Am Anfang war Freud

Angesichts so grundlegender Unsicherheiten
ist es bedauerlich, daß Freud in seiner Konstruktion 

der weiblichen Psychologie so weit gegangen ist.

KATE MILLETT

Warum wird Freud in so heftiger Weise von den Frauen angegriffen? Warum, gerade er vor allen anderen? Wir wissen ja schließlich, daß er nicht der einzige Sexist, der einzige Phallokrat, der einzige Feind der Weiblichkeit gewesen ist. Gewiß, aber er ist der einzige, der »seine« Wahrheit zur scheinbar objektiven Wissenschaft und »seine« Sexualität zur universellen Sexualität erhoben hat. In der Psychoanalyse finden wir ein Konzept der Frau nach der Vorstellung des Mannes, einer Frau, wie viele andere Männer sie sich auch wünschen würden, aber ohne Bezug zu dem, was »die Frau« wirklich ist. Seit Freud ist die weibliche Sexualität so verzerrt dargestellt worden, daß Frauen diese Verzerrung in Frage stellen müssen. Wenn sich schon keine Frau gefunden hat, sich an ihre Geschichte als kleines Mädchen zu erinnern, so sollte man sich vergegenwärtigen, daß am  Anfang der Psychoanalyse ein der sich sein Leben als kleiner Junge mit einziger Mann stand, seiner Mutter ins Gedächtnis rief Vergessen wir nicht, daß Freud von seiner Mutter vergöttert wurde, einer jungen, hübschen, begehrenswerten Frau, verheiratet mit einem sehr viel älteren Mann, die in ihrem Sohn Befriedigungen fand, die dem jungen Sigmund sicherlich Probleme bereiteten. Aus diesem Leben mit seiner Mutter hat der zum Mann gewordene Junge später Schlußfolgerungen für die Entwicklung gezogen, die bis heute nicht in Frage gestellt wurden: Die Analyse war offenbar zutreffend. Aber nicht so bei der Frau. Die Gradlinigkeit in der Entwicklung des jungen scheint Freud in Verwirrung gebracht zu haben: In seiner ersten Zeit wollte er die Entwicklung des kleinen Mädchens symmetrisch zu der des jungen festlegen, was zu merkwürdigen Schlußfolgerungen beim Mädchen. führte. Er wollte eine Symmetrie herstellen auf der Basis einer grundlegenden Asymmetrie: der der Geschlechter nämlich. Denn die Überlegenheit des männlichen Geschlechts stand für ihn außer Zweifel (worüber wir heute nur lächeln können). Aufgrund dieser Prämisse war er genötigt, für das Mädchen einen komplizierten inneren Entwicklungsweg zu entwerfen, der es dazu bringt, die »Überlegenheit« des männlichen Geschlechts einzusehen und anzuerkennen. Nicht ohne Schwierigkeiten hat er dann eine Theorie erarbeitet und sie ab 1905 in den den Abhandlungen zur Sexualtheorie in allen Einzelheiten ausgeführt. Sie liest sich für uns heute wie eine Ansammlung von Unwahrscheinlichkeiten, von denen die beiden folgenden am meisten ins Auge springen:
    •    der Penisneid
    •    der Verzicht auf die Klitoris.

Der Penisneid - oder der Neid auf das, was man nicht hat

Eine der ersten Behauptungen zur kindlichen Sexualität in den Drei Abhandlungen scheint völlig unannehmbar: »Es ist dem männlichen Kinde selbstverständlich, ein Genitale wie das seinige bei allen Personen, die es kennt, vorauszusetzen...« [1] Hier schließt sich unmittelbar die Frage an: und was glauben die Mädchen? Wenn auch sie nur ihre eigenen Genitalien kennen, können sie sich andere vorstellen? Hier antwortet Freud, ohne ersichtliche Logik - fest entschlossen, dem männlichen Geschlecht den Vorrang einzuräumen: »Die Annahme des nämlichen (männlichen) Genitales bei allen Menschen ist die erste der infantilen Sexualtheorien. [2] Aus Sorge, wir könnten vielleicht doch nicht recht verstanden haben, ergänzt er etwas später: »... könnte man den Satz aufstellen, die Sexualität der kleinen Mädchen habe durchaus männlichen Charakter«. [3] Oder noch besser: »... so ließe sich auch die Behauptung vertreten, die Libido sei regelmäßig und gesetzmäßig männlicher Natur, ob sie nun beim Manne oder beim Weibe vorkomme ...« [4] In diesem Primat des Männlichen stimmt die erste analytische Theorie mit der herrschenden Ideologie überein. Und was noch frappierender ist: Es ist eine Theorie, an der Freud sein Leben lang festhalten sollte. Der Penisneid, ausgelöst durch ein unterstelltes Leiden des Mädchens unter seinem Mangel an einem männlichen Geschlechtsteil, wird als Gegebenheit in allen Schriften Freuds zur Sexualität der kleinen Mädchen regelmäßig wiederholt. Ob in den Drei Abhandlungen oder in den späten Vorlesungen über das Sexualleben aus dem Jahre 1932 - die Formulierung ist immer die gleiche: »Das kleine Mädchen verfällt nicht in ähnliche Abweisungen, wenn es das anders gestaltete Genitale des Knaben erblickt. Es ist sofort bereit, es anzuerkennen, und es unterliegt dem PENISNEIDE . . .« [5] »Es bemerkt den augenfällig sichtbaren, groß angelegten Penis eines Bruders oder Gespielen, erkennt ihn sofort als überlegenes Gegenstück seines eigenen kleinen und versteckten Organs und ist von da an dem Penisneid verfallen.« [6] Und aus diesem Neid zieht Freud dann Folgerungen, die sich mit dem decken, was er allgemein über die Frauen denkt: »Die psychischen Folgen des Penisneides . . . sind vielfältige und weittragende. Mit der Anerkennung seiner narzißtischen Wunde stellt sich ... ein Minderwertigkeitsgefühl beim Weib her... Auch wenn der Penisneid auf sein eigentliches Objekt verzichtet hat, hört er nicht auf zu existieren, er lebt in der Charaktereigenschaft der Eifersucht mit leichter Verschiebung folgt.« [7] Es ist merkwürdig, mit welcher Gewißheit Freud davon überzeugt ist, das einzig wertvolle Geschlechtsmerkmal zu besitzen, wenn er als ausschließliche Triebfeder für die psychische Entwicklung des kleinen Mädchens den Neid und die Eifersucht auf das Geschlechtsteil des kleinen jungen unterstellt. Es ist keineswegs einsichtig, daß jedes kleine Mädchen den »großen Penis« eines Bruders oder Gespielen zu Gesicht bekommt: denn wenn der Penis groß ist, ist der kleine Junge mindestens ein junger Mann, und man fragt sich, ob er in diesem Alter bereit sein wird, seinen Penis zur Schau zu stellen. Zu all diesen Unwahrscheinlichkeiten kommt hinzu, daß das kleine Mädchen mit außergewöhnlicher BIindheit geschlagen oder aber mit einer sonderbaren Vorstellungskraft begabt sein müßte, um. im Geschlechtsteil des Jungen etwas zu erkennen, was auch nur entfernt ihrem eigenen ähnelt: eine Ähnlichkeit zwischen dem »Schlitz« des Mädchens und dem »Anhängsel« des Jungen ist kaum herstellbar. All dies entsprang der Phantasie eines Mannes, der unbedingt eine Vergleichbarkeit der beiden Geschlechter herstellen wollte, anstatt ihre radikale Verschiedenheit festzustellen. Eine andere Untersuchung, diesmal von einer Frau, sagte etwas ganz anderes: Luce Irigaray entschließt sich 1974 endlich, mit diesem realitätsfernen Freudschen Dogma zu brechen, auch wenn ihr dies das Unverständnis ihrer Freudianer-Kollegen eintragen sollte. Zweifellos erschütterte sie damit die klassische psychoanalytische Lehre und brachte die von Freud begründete und stillschweigend anerkannte Überlegenheit des männlichen Geschlechts ins Wanken. Luce Irigaray bestreitet, daß die Weiblichkeit sich ausschließlich auf den Neid und die Mißgunst gegenüber dem männlichen Geschlecht gründet. Sie geht geduldig der Geschichte jenes berühmten »ersten« Blicks nach, nüt dem die Geschlechter einander mustern, und sie wehrt sich gegen die Behauptung, daß die Feststellung des Unterschieds zu einer Abwertung des Weiblichen führt. »Warum ist es der Begriff »Neid« der Freud einfällt? Welche Wahl trifft er damit? Neid, Eifersucht, Begierde in Korrelation zu Fehlen von, Mangel an, Abwesenheit von ... Alle diese Begriffe beschreiben die weibliche Sexualität als die Kehrseite oder Rückseite eines männlichen Sexualismus. Aber der Begriff des »Penisneids« bezeichnet nichts anderes als die Verachtung des kleinen Mädchens, der Frau für ihre Lust, eine Verachtung, die als ein (...) Mittel gegen, die Kastrationsangst des Mannes dienen soll.« [8] Kurz gesagt, die Frau wird (nach L. Irigaray) als jemand gesehen, der etwas verliert oder verloren hat, um den Mann davor zu bewahren, sich selbst als vom Verlust bedroht, als eines Dinges beraubt sehen zu müssen ... Wahr ist doch, daß der Mann um nichts »ganzer« ist als die Frau und daß er mit seinen verkümmerten Brüsten und seiner fehlenden Gebärmutter nur spärliche Reste von Weiblichkeit aufweist. Und dann fährt Luce Irigaray, diesmal mit einer nicht von der Hand zu weisenden weiblichen Logik, fort: »Das Verlangen der Frau, ihn haben zu wollen, bestätigt dagegen den Mann in der Gewißheit, daß er ihn, noch immer, hat ( ... ) Wäre es anders, warum wird dann nicht auch der »Neid« auf die Vagina analysiert? Auf die Gebärmutter? Auf die Vulva? Etc. Das in jedem Pol der sexuellen Differenz verspürte Verlangen »auch so etwas zu haben«? Das Gekränktsein darüber, fehlerhaft, mangelhaft im Vergleich zu einem Heterogenen, zu einem anderen zu sein? Die »Benachteiligung« die euch die Natur (die Mutter) zugefügt hat, indem sie euch nur mit einem Geschlecht versah?« [9] Der Neid wäre somit nicht etwas spezifisch Weibliches, sondern er gehört zu beiden Geschlechtern und richtet sich auf die sexuellen Attribute des jeweils anderen. Das belegen ausführlich die sexuellen Spiele von Kindern, wo jeder das sehen will, was der andere hat. Jeder stellt mit nicht geringer Betrübnis fest, daß ihm etwas fehlt, was der andere hat. Daher auch die Spiele, bei denen je nach dem Geschlecht des Kindes - Kissen oder Bälle zur Korrektur herhalten müssen. Spricht Freud mit seinem mühselig zusammengebauten »Penisneid« nicht eher von »seinem« Neid auf den Busen, auf Weiblichkeit, auf Mutterschaft - auf alles, was die Frauen haben und von dein die Männer aller Zeiten geträumt, die Dichter uns gesungen haben? Wie viele berühmte Elegien, wie viele herrliche Verse, wie viele Oden auch unserer Tage sind unserem Gedenken gewidmet, feiern diesen berühmten Busen, den Ort so vieler Wonnen für den Mann, der ihn nicht besitzt, so sehr er ihn an der »anderen« auch betrachtet und berührt! Wie viele heimliche - und damit diebische - Blicke (das stammt nicht von mir) verschlingen dieses teure Objekt, das der Mann ohne Unterlaß begehrt:

»Bedeckt diese Brust, die ich nicht schauen kann« (Moliére); »So leid' zumindest es, daß meine Hand an Deinem Busen spielt ...« (Ronsard); »Dies! Dies! Daß ich sie küßte, Eure schöne Brust ...« (Ronsard); »Und ihr Leib und ihre Brüste, Trauben seid ihr meiner Rebe« (Baudelaire); »Ihre schlafenden Brüste hab' ich berührt und ihres Busens Pracht tat sich mir auf ...« (Garcia Lorca); »Ganz nackt, ganz nackt, Deine Brüste sind zarter noch als jeder Duft betauten Grases, und tragen Deine Schultern doch« (Eluard).

So und ähnlich wurde in der Literatur unablässig das Preislied auf unseren Busen, unsere zarten Brüste und Taillen gesungen - auf all das, was der Mann nicht hat und an uns begehrt. Der Ort männlichen Neids ist allemal der Busen, Inbegriff aller Zärtlichkeit, aller Fülle und Süße, die sich mit der Mutter verbindet. Aber kann man vom »Brüste-Neid« des Mannes auf den »Penisneid« bei der Frau schließen? Was bedeutet schon diese jüngst entstandene psychoanalytische Sicht gegenüber Jahrhunderten der Poesie und Literatur? Und wer wird das andere Lied singen, wer aus dem Lager der Frauen preist den Zauber des Mannes? Wann bekommen wir diese neue, weibliche Poesie und Literatur zu sehen, die sich mit dem männlichen Körper und dem Penis in seiner Verletzlichkeit wie in seiner Stärke beschäftigt? Denn dieses männliche Organ, von Freud als so beneidenswert für die Frauen erklärt, wird in der Kunst wie in der Literatur, das muß man wohl zugeben, fast nur durch Männer vertreten: in der griechischen Plastik, der etruskischen Töpferkunst, in der Malerei eines Picasso, Chagall, in den Romanen von D. H. Lawrence, H. Miller u. a. Auf der Seite der Frauen - nichts als Schweigen, kein Wort. Jenes teure, so sehr begehrte Objekt erscheint überhaupt nicht, keine weibliche Feder (außer kürzlich B. Groult - in wenig schmeichelhafter Weise) und kein weiblicher Pinsel nehmen sich seiner an. Wenn irgend jemand etwas zu neiden hat, dann ist es der Mann. Er ist der Eifersüchtige, Mißgünstige, und in einer seltsamen Umkehrung der Situation sehen wir uns geschmückt mit dem, was ihm fehlt, wie es A. Leclerc ganz richtig sagt: »Wir hatten einst ein Geschlecht voll von Abenteuern, Ereignissen und Erfahrungen, daß der Mann vor Neid nur erblassen konnte, und jetzt sollen wir in all unserem Reichtum plötzlich als die Neiderinnen, dastehen!« [10] Diese Frau zögert nicht, den Neid einfach umzudrehen, wenn sie uns einlädt, die immer neuen Freuden des weiblichen Körpers zu genießen ... Es könnte ja tatsächlich so sein, daß dieser den Frauen zugeschriebene Neid auf den Penis umgekehrt das Gegenstück ist zum Neid des Mannes auf Brüste. Die Brüste waren beiden Geschlechtern von Anfang an vertraut, als wir in den Armen der Mutter lagen. Wir haben sie verloren, und wir träumen immer davon, sie wiederzufinden. Es ist dies ein Verlust, den ausschließlich die Frau wettmachen kann, einmal, weil sie selbst Brüste hat, zum anderen, weil sie beim Mann etwas findet, was ihr in ähnlicher Weise zuted werden kann wie das früher von der Mutter Empfangene. Was der Mann als einen Akt männlicher Aggression versteht, empfängt die Frau als spendende Brust (Penis = Brust). »Wenn wir uns lieben, bin ich erfüllt von Dir, bezaubert von Dir und vom Gesang Deines Wanderns und vom Raunen Deines Strandens an fremden Orten, aber nicht gepackt, nicht fortgerissen, nur da bin ich, mehr als jemals da, und voll, voller als je zuvor.« [11] So drücken Frauen sich aus, wenn sie sich endlich die Freiheit nehmen, ohne Rückgriff auf männliche Vorstellungen über ihre Sexualität zu sprechen: nicht hingerissen, nicht in Besitz genommen, nicht vergewaltigt, sondern bezaubert, erfüllt, wunderbar genährt so fühlt sich die Frau bei der Liebe. Gewiß braucht sie dazu den Penis des Mannes, aber sie ist überhaupt nicht neidisch, will ihn nicht haben. Im Gegenteil: Was sie will, ist, daß der andere ihn ihr schenkt, daß sie ihn empfangen und aufnehmen und manchmal auch seine Frucht behalten darf. Der »Habenichts« bei dieser Geschichte ist der Mann, der kein Mittel besitzt, den ursprünglichen Verlust wettzumachen, außer durch immer neues Betrachten und Berühren von Brüsten (vgl. auch die Männermagazine und ihre Fotos). Verhungert nach Brüsten, das ist der Mann, und sein unersättliches Verlangen hat er geschickt uns untergeschoben und sich selbst und uns damit betrogen. Letzten Endes liegt dem offensichtlichen Kontrast zwischen der Zartheit von Männergedichten und der Aggressivität feministischer Schriftstellerinnen ein und dasselbe Phantasma, ein und dasselbe Verlangen zugrunde: das Verlangen nach der für immer verlorenen Mutterbrust, die vom Mann wie von der Frau immerwährend gesucht wird. Wenn wir aber dieses Axiom zugrunde legen, dann verwerfen wir damit die gesamte phallokratische Sexualtheorie. Dazu nochmals A. Leclerc: »Sie haben sich die ganze Sexualität einfallen lassen, und wir haben dazu geschwiegen. Wenn wir uns unsere eigene erfinden, dann müssen sie die ihre ganz neu überdenken. Die Männer lieben die Frauen nicht, noch nicht: sie suchen sie, sie begehren sie, sie besiegen sie - sie lieben sie nicht. Aber die Frauen, die hassen sich!« [12] Hier also tut sich noch ein neues Feld für die Psychoanalyse auf: nicht nur die weibliche Sexualität muß neu durchdacht, sondern auch dieser Haß der Frau auf die »andere Frau« muß erklärt werden. Es geht nicht darum, den Neid und die Eifersucht auf den Penis, sondern die aggressiven Wünsche gegenüber der Mutter zu erklären, der ersten aller Frauen, der das kleine Mädchen auf seinem Weg begegnet.



Der Verzicht auf die Klitoris



Der andere Teil der Freudschen Theorie über die weibliche Sexualität, der die Funktion der Klitoris behandelt, wird sich als noch weit weniger haltbar erweisen. Nicht nur weil er schon vom Ansatz her wacklig ist - ohne wirkliche anatomische Basis und ohne klinische Absicherung - sondern weil alle seither unternommenen physiologischen und naturwissenschaftlichen Versuchsreihen diese Theorie widerlegen. Der Fortschritt in der Forschung und der Einsatz der Statistik (zu Freuds Zeiten nicht vorhanden) werden dieses theoretische Gerüst leicht zu Fall bringen, dessen Hauptzweck es war, die Frau ein weiteres Mal den Wünschen des Mannes zu unterwerfen: Die wahre weibliche Lust sollte dadurch in noch weit höherem Grad abhängig werden von der männlichen Penetration; die äußeren, klitoralen Empfindungen wurden entwertet, als zweitrangig, zufällig oder neurotisch erklärt, was die Männer dann immer wieder als Argument benutzt haben, um sich mit ihren eigenen Wünschen durchzusetzen und um jeden möglichen Anspruch der Frauen auf eigene Lust auszuschließen. Im Zeitalter der Informatik ist eine These, die nichts mit der Wirklichkeit zu tun hat, nicht lange zu halten. Genau das aber hatte Freud versucht. Was er unternommen hat, war der Versuch einer veritablen »mentalen Klitorisektomie« mit Hilfe einer Theorie: Nichts anderes sollte erreicht werden, als die Frau zum Verzicht auf einen Teil ihrer eigenen Anatomie zu bringen, der vom Mann als männlich betrachtet wird. Der Zugang zur weiblichen Sexualität geschah also über den Verzicht, ein Vorgeschmack auf alle Verzichte, die Freud uns später noch zumuten wird. »Will man das Weibwerden des kleinen Mädchens verstehen, so muß man die weiteren Schicksale dieser Klitoriserregbarkeit verfolgen. Die Pubertät, welche dem Knaben jenen großen Vorstoß der Libido bringt, kennzeichnet sich für das Mädchen durch eine neuerliche Verdrängungswelle, von der gerade die Klitorissexualität betroffen wird. Es ist ein Stück männlichen Sexuallebens, was dabei der Verdrängung verfällt.« [13] Wie weit wird man uns denn noch in die Irre führen, wenn wir nicht aufpassen? Da sagt man uns doch allen Ernstes, daß ein weibliches Wesen bei der Gattung Mensch im Naturzustand nicht vorkommt und es sich um eine Nachahmung [14] der männlichen Anatomie handelt. Und daß es in den Augen des Mannes nur in dem Maß existieren kann, wie es auf gewisse Partien seines Körpers, die als »zu maskulin« gelten, verzichtet... Freuds Behauptung: »Wir müssen nun anerkennen, das kleine Mädchen sei ein kleiner Mann«, [15] bringt die beherzte und hellsichtige Fürsprecherin Luce Irigaray folgerichtig auf den Nenner: ».das kleine Mädchen (hat) seinen ersten Auftritt als kleiner Junge. Am Anfang war das kleine Mädchen (nichts als) ein kleiner Junge. Anders gesagt, es hat niemals ein kleines Mädchen gegeben (und es wird niemals eines geben).« [16] Um sich mehr Glaubwürdigkeit zu verschaffen, denkt Freud sich einen Wechsel der erogenen Zone aus, durch den die klitoralen Empfindungen in die Vagina geleitet und übertragen werden, die als »eigentlich weiblich« erklärt wird, weil sie zweifellos dem Mann und seiner Lust dient. Es ist eindeutig, in all dem »existiert die Frau nicht«, was Lacan - noch weiter gehend - ja auch behauptet. Er versteht sich als »Freudianer«; ich würde das einfach »ödipal« nennen, das heißt durchdrungen von Todeswünschen gegenüber der Frau. Und hier noch einmal Freud, wie er den notwendigen Verzicht auf die Klitoris und den Einsatz der Vagina zur Aufnahme des Mannes erklärt und rationalisiert: »Es nimmt oft eine gewisse Zeit in Anspruch, bis sich diese Übertragung vollzogen hat, während welcher dann das junge Weib anästhetisch ist ... Ist die Übertragung der erogenen Reizbarkeit von der Klitoris auf den Scheideneingang gelungen, so hat damit das Weib seine für die spätere Sexualbetätigung leitende Zone gewechselt, während der Mann die seinige von der Kindheit an beibehalten hat. In diesem Wechsel der leitenden erogenen Zone . . . der gleichsam die infantile Männlichkeit beiseite Schafft, liegen die Hauptbedingungen für die Bevorzugung des Weibes zur Neurose, insbesondere zur Hysterie.« [17] Es ist die verhängnisvolle Gleichsetzung der Klitoris mit etwas Männlichem, die Freud in die Irre führt, denn von da an fanden sich die Frauen darauf reduziert, mit einem Geschlechts-Teil Lust zu empfinden: mit dem, was der Mann ihnen erlaubte. Wie aber sollten sie dann »selbst« Lust empfinden, wenn nicht durch Identifizierung mit dem Begehren des »anderen«? Genau das ist die Definition von »Hysterie«; die Frau hätte also überhaupt nur Zugang zu einer hysterischen Lust... »Es bleibt ihr nur die Hysterie. Die hysterische Psychose? Neurose? Durch oder auch in Suspension der Ökonormie ihrer ursprünglichen Triebregungen wird sie sich verhalten, »wie« man es von ihr verlangt, »als ob« sie das macht, was man von ihr verlangt ( ... ) Folglich wird das hysterische Mimen des kleinen Mädchens, der Frau, Arbeit sein, um ihre Sexualität vor der totalen Unterdrückung, vor dem völligen Verschwinden zu bewahren.« [18] In der Tat scheint es, daß sich die Frau durch den Verzicht auf diesen eigenen lustbesetzten Teil ihres Selbst oft in die Schauspielerei flüchtet, in die Entfremdung, hin zur Lust des anderen. Und der Mann ist der erste, den das verstört: Hat sie einen Orgasmus, oder täuscht sie ihn nur vor, wie man es ihr empfohlen hat? Man hat der Frau bis in ihr Geschlecht hinein »Vorschriften machen«, nicht aber sie »vorbestimmen« können bis in ihre Lust hinein, und das ist es, was den Mann beunruhigt. Er ist sich nicht sicher, ob er sich ein richtiges Bild von der Frau gemacht hat, und solange sie nichts sagen will, wird er weiter nichts von ihr wissen. Ist es eine auf die Lust »des anderen« reduzierte und an den Lust-Ort »des anderen« angepaßte Lust oder eine doppelte Lust, die der Kontrolle des Mannes entgleitet? Hat es der Mann geschafft, die Frau zur Gefangenen seines Penis zu machen, dieses obersten Symbols des phallokratischen Systems, oder entzieht sie sich auf mysteriösen Wegen in eine heimliche Lust? Etwa eine doppelte Lust durch ein Doppelorgan oder durch ein doppeltes Phantasma (für ihn ein hysterisches, für sie ein autoerotisches)? Dies sind Fragen, die der Mann sich und uns unaufhörlich stellt. Zwischen der Nachahmung der Lust des anderen und der Wahrheit der eigenen Lust liegt das ganze Feld des »Rätsels Weib«, durch das der Mann sich so genarrt fühlt. »Seit den Zeiten, da wir sie auf Knien angefleht haben (ich sprach letztes Mal von den Psychoanalytikerinnen), es uns doch endlich zu sagen - Stille. Es war nichts herauszubringen.« [19] Das ist die Wut desjenigen, der nicht anstelle der anderen wissen kann und einsieht, daß »sie«, der er alles entrissen hat, trotzdem alleinige Bewahrerin ihres eigenen Wissens bleibt. Aber hatte er denn nicht sämtliche Vorkehrungen getroffen, um sie von allem fernzuhalten, was von Lust und dem Wissen darüber handelt? »Es gibt eine Lust, die ihr zu eigen ist, dieser sie, die nicht existiert und die nichts bedeutet. Es gibt eine ihr eigene Lust, von der sie vielleicht nicht einmal selbst etwas weiß.« [20] Oder es ist die unendliche Geduld des wackeren Freud, der noch einmal auf diese ewige Klitoris zurückkommt (ewig für sie und problematisch für ihn), um dann genau das Gegenteil seiner bisherigen Theorie zu verkünden: »Die Klitoris behält dann die Rolle, wenn sie beim, endlich zugelassenen Sexualakt selbst erregt wird (Wie denn? Hat die Frau also trotz all Ihrer weisen Ratschläge nicht darauf verzichtet? Anm. d. Autorin.), diese Erregung an die benachbarten weiblichen Felle weiter zuleiten, etwa wie ein Span Kienholz dazu benutzt werden kann, das härtere Brennholz in Brand zu setzen.« [21] Hier wird man plötzlich stutzig: Ist das wirklich Freud, der da spricht? Sollte hier etwa ein Widerspruch bestehen zwischen dem Wissenschaftler, der der weiblichen Sexualität um jeden Preis den Garaus machen will, und dem Mann im Bett, der erkennt, daß diese merkwürdige Klitoris beim Koitus doch eine Rolle spielt? (Vielleicht war die von Martha ja noch in Ordnung, obgleich sie die Frau Sigmund Freuds war.) Nachdem er an den Quellen der Wahrheit war, treffen wir Freud nicht überraschend wieder, und zwar Seite an Seite mit Wissenschaftlern von heute? Masters und Johnson sagen kaum etwas anderes, wenn sie von der Klitoris als dem »Auslöser des Orgasmus« sprechen - und das sind Sexologen! Unter wissenschaftlicher Beobachtung (während des Koitus und Macht mehr in der Vorstellung einer phallokratischen Gesellschaft) entpuppt sich die Klitoris als ein reich mit Pacini-Nervenenden ausgestattetes Organ (sensible Zellen, die es an mehreren Körperstellen gibt, die sich aber gehäuft an der Klitoris und ihrer Umgebung - den kleinen und großen Schamlippen – finden). Es ist bewiesen, daß es keinen Orgasmus gibt ohne eine mehr oder weniger deutliche Beteiligung der Klitoris. Die Vagina wird dagegen für unempfindlich gehalten, bis auf ihr unterstes Drittel. So haben sich also die Frauen wacker gemüht, Lust mit einem Organ zu empfinden, das dafür gänzlich untauglich ist; es sei denn, sie hätten stillschweigend schon immer ihre klitoralen Empfindungen genutzt. Darüber können wir nur so weit etwas wissen, wie die Frauen ihre Scheu überwinden, über dieses von gewissen Leuten so sehr geschmähte Organ zu sprechen. In Amerika verflog die Scheu am schnellsten. Dieses Land wurde nicht jahrhundertelang vom Patriarchat erdrückt, und das macht sich von Zeit zu Zeit bemerkbar. Von dort kam auch der Hite-Report, der die Frauen in Sachen eigener Sexualität zu Wort kommen läßt und endgültig die Bedeutung aufzeigt, die sie der Klitoris beimessen, die für sie das Organ ist, das ihnen jede weitere Lust eröffnet.
Die von der Psychoanalyse gestiftete Verwirrung hat sich zunächst unter dem Einfluß der Biologen und dann der Frauen- aufgelöst. Die von der Psychoanalyse um ihr Geschlecht gebrachte Frau hat es endlich wiederbekommen. »Wollen Sie mehr über die Weiblichkeit wissen, so befragen Sie Ihre eigenen Lebenserfahrungen, oder wenden Sie sich an die Dichter, oder Sie warten, bis die Wissenschaft Ihnen tiefere und besser zusammenhängende Auskünfte geben kann.« [22]
Das hat niemand anders als Freud gesagt, entmutigt von der Komplexität der weiblichen Problematik und auch ein wenig Prophet, denn. wir haben in jüngster Zeit von der Wissenschaft entscheidende Auskünfte bekommen. Die Dichter haben uns seit Jahrhunderten schon ihre Antworten gegeben. Bleibt also, unsere eigene heutige Erfahrung heranzuziehen.
Der Fall Freud hat nämlich bewiesen, daß wir uns nicht auf den Mann als Berichterstatter über unsere eigene Erfahrung verlassen können. Es ist unserer Weiblichkeit nur allzu schlecht bekommen, daß wir andere an unserer Stelle haben reden lassen und uns selbst in einer anderen Sprache als der unseren versucht haben. Wir sollten uns endlich als rechte Freudianerinnen zeigen und seinen allerletzten Rat befolgen. Ich sage »allerletzten«, denn zwischen den drei Abhandlungen von 1905 und der Neuen Folge der Vorlesungen ... von 1932 hatte Freud viel über die angebliche Symmetrie zwischen den Geschlechtern nachgedacht, und er kam mehrmals auf seine eigenen Aussagen zurück. Dabei hat er zu wieder-holten Malen neue Wege der Forschung, eröffnet, die die Frauen seltsamerweise bis heute nicht haben erkunden wollen. Seltsamerweise oder logischerweise? Wir wissen doch sehr gut, warum die Frauen so lange geschwiegen haben. und sich noch heute, sobald sie das Wort ergreifen, bewußt sind, daß sie so etwas wie Ablehnung von seiten des Mannes riskieren. Die Frauen beginnen gerade erst, sich so zu zeigen, wie sie sind und nicht, wie die Männer sie haben wollen. Vielleicht werden sie von den Männern nun nicht mehr akzeptiert und auf sich selbst zurückgeworfen in die Einsamkeit oder die Homosexualität? Reden bedeutet ein Wagnis, und wir haben gelernt, dieses Wagnis eher vorsichtig abzuwägen als es zu bestehen. Und sehr oft haben die Frauen noch immer Angst vor den auf sie gemünzten Vernichtungswünschen der Männer und wählen lieber das Schweigen als den Tod.