Und sein Weib sah hinter sich und ward zur Salzsäule.
ERSTES BUCH MOSEDie Frau kann sich also dem Ursprung zuwenden,
nur, es ist nicht der ihre.
LUCE IRIGARAYNicht der Ursprung: sie kehrt dorthin nicht zurück.
Reise des Jungen: Rückkehr ins Heimatland (...)
Reise des Mädchens: viel weiter, in das noch zu findende
Unbekannte.
HÉLÈNE CIXOUS
Heimkehr zu mir selbst, über meine Erwartungen. sprechen, über meine Enttäuschungen, meine Wünsche: diese Nacht soll der Begegnung mit meinem Leben als Frau gewidmet sein. Ich werde von mir selbst sprechen. Nur wie? Habe ich denn nicht seit dem Beginn dieser Reise nur das getan? Nein, denn meistens habe ich von »lhm« und von »mir« gesprochen, habe davon berichtet, wie wir mehr oder weniger harmonisch zusammen wanderten, habe unseren Zickzackkurs beschrieben, der uns immer wieder voneinander entfernte, um uns bald danach wieder zusammenzuführen. Ich und meine Wünsche, er und seine Verweigerungen, das waren die ödipalen Schnittpunkte unserer beiden Wege. Bei diesen Begegnungen wurde uns bewußt, welchen Weg wir seit Jokaste zurückgelegt haben und welche Strecke wir noch bewältigen müssen, um sie vergessen zu können.
Ich habe meine Wünsche zu verbergen gelernt, er hat gelernt, seine Verweigerungen zu nuancieren: ich habe aufgehört, von mir zu,verlangen, ihm »in jeder Hinsicht« zu gefallen, und er hat mir nicht gesagt, daß er mit meiner Intelligenz nichts zu schaffen habe, aber er hat es so eingerichtet, daß ich sie für sehr spezifische Aufgaben einsetze, insbesondere häusliche, für die er sich nicht eignet - so stellt er sich zumindest dar. Er hat versucht, mir freundlich einen Klappsitz neben seinem Orchestersessel zu geben. All dies wurde so taktvoll eingefädelt, war gesellschaftlich so anerkannt, daß es schwer war, sich dagegen aufzulehnen. Es -war zum Beispiel ausgeschlossen, daß ich den Posten als Erziehungsverantwortliche hätte verlassen können, denn wer hätte sich an meiner Stelle um die Erziehung gekümmert?
Er gab vor, nicht zu sehen, daß das Gewicht der Zukunft der Kinder in, der Waagschale meines eigenen Lebens zu schwer zu werden drohte.
Von meiner Verheiratung an hat man mir ein. Leben aus zweiter Hand zugemutet. Ich mußte von der Freude anderer leben, mußte über ihren Schlaf wachen, über ihre Gesundheit, über den Appetit bei ihren Mahlzeiten und mußte mich darüber freuen, wenn all dies gut vonstatten ging, mußte aus »ihrem« Leben »,»mein« Leben machen.
Das ist es, was es bedeutet, Frau zu sein: sich mit den Krümeln der Mahlzeit begnügen; die Bruchstücke einer Unterhaltung genießen, für die die anderen die Muße haben; aufstehen, während die anderen sitzen bleiben usw. Frau zu sein bedeutet, immer ein bißchen im Abseits zu leben, neben dem Geschehen, und das führt schließlich dazu, daß sie eine immer größere Frustration empfindet.
Die Frau ist eine Schnecke, deren Haus sich alle ausleihen, um es warm zu haben, während sie selbst häufig fast erfriert.
Die Frau ist eine Reisende ohne Gepäck, die zum Gepäckträger der anderen wird. Was nun die Reise selbst angeht, so führt sie die Frau nie zu sich nach Hause, sondern immer nur zu den anderen.
Die Frau ist die, die sich nicht finden kann, weil sie ihre Zeit damit verbringt, von sich wegzugehen, um zu den anderen zu gelangen; unglaubliche Mama, die ihren Platz von anderen zugewiesen bekommt und die dem Himmel dankt, daß sie endlich überhaupt einen Platz hat, sie, die bis dahin nie einen hatte.
Man hatte ihr eingetrichtert, daß ihre Identität sich nicht im tiefsten Innern ihres Selbst verberge, sondern im Innern des »anderen« zu suchen sei! Immer auf dem Weg, weg von sich selbst, immer auf der Flucht vor sich. selbst, so lebt die Frau ihr Leben. Sie hat lange gehofft, daß ihr wirkliches Sein eines Tages dem Traum des Mannes entsprechen würde und daß sie endlich aufhören könnte, zu lügen und Tricks anzuwenden. Weit gefehlt. Der Traum des Mannes von der Frau geht eindeutig nur in eine Richtung: »Gefähttin gesucht, 20 bis 40 Jahre, sanftmütig, treu, zärtlich., bescheiden, möglichst hübsch« so will er uns, so zeigen wir uns. Nur, so sind wir nicht!
Und der Mann, werden Sie mir nun sagen, ist er denn nicht auch auf die Stereotype des männlichen Mannes verkürzt? Bleibt ihm etwas anderes, als sich tüchtig, angepaßt, stark, mutig usw. zu zeigen? Zweifellos, aber nach der Komödie des Tages entspannt er sich, und man gönnt ihm die »Ruhe des Kriegers«. Er kommt nach Hause und findet dort all die Merkmale seiner Kindheit: Er fragt beiläufig, was es zum Abendessen gibt, er sucht die Zeichen, daß er erwartet wird, und er findet sie: Sein Bett ist gemacht (man weiß nicht, will nicht wissen, von wem), seine Wäsche ist sauber, sein Gedeck ist nicht vergessen worden, er kann also meinen, zu seiner Mutter zurückgekehrt zu sein, und er kann um sich schauen: die Landmarken seiner Kinderlandschaft sind immer noch da. Er wird erwartet.
Und ich? Mein armes Ich in dieser Zeit? Wer kümmert sich um mein Heimkommen, mein Wohlbefinden, meine Wäsche, mein Gedeck? Niemand. Ich selbst muß »mich« bemuttern. Welch unbegreifllicher Köder, der mich glauben ließ, wenn ein Mann mich in seine großen Arme nimmt, dann dürfte ich endlich klein sein, dann hätte ich endlich eine liebende und begehrende Mama. Aber er ist es, der regrediert; er behält seine Richtung bei, und ich trete auf der Stelle, denn ich habe noch immer keinen wirklichen Zufluchtsort. Nicht einmal in meinem eigenen Haus, da dort niemand ist, der meine »Mutter< spielen könnte. Ich bin die einzige unter diesem Dach, die keine »Mutter< hat. So wie ich als Kind die einzige war, die kein meinem Geschlecht entsprechendes Sexualobjekt hatte. Diese Geschichte geht immer weiter, denn um meinen Platz muß ich kämpfen, muß ihn immer wieder aufs neue erobern, diesen Platz, der von so vielen »Wenns« abhängt...
Es ist immer die gleiche Flucht nach vorn, ich muß mich als gute Mutter, als gute Köchin, als gute Gattin zeigen, wenn ich nicht Gefahr laufen will, zur Strafe für ein Nichts gehalten zu werden. Das ist genau die Fortsetzung meiner Kindheit, in der ich mich als gutes kleines Mädchen zeigen mußte, um nicht riskieren zu müssen, überhaupt kein Mädchen zu sein. Ich versuche erfolglos, ein Bild von mir abzugeben, das nicht mein Bild ist, denn es entspricht mir nicht: ich bin nämlich wie alle, ich habe keine Lust, die »Mutter« zu sein, sondern ich möchte eine »Mutter« haben, und ich finde niemand, der bei mir diese Rolle übernehmen möchte.
Die Frauen müssen sich mit der Zukunft (avenir) der anderen abgeben, aber wer kümmert sich darum, daß das eigene Kommende (venir) nicht kommt (ne vient pas)?[1] Müssen sich die Frauen mit dem Kommenden (venir) der Ihrigen zufrieden geben? Was heißt das eigentlich, die Ihrigen, die Meinen? Von meinem Mann, von meinen Kindern gehört mir doch nichts, sie gehören nur dem Leben: jeder ist in dieses achtzigjährige Abenteuer hineingeworfen, das man, so gut es irgend geht, in dieser komplizierten Welt bestehen muß, deren Sinn und Zweck häufig nicht einzusehen ist.
Für meinen Teil glaube ich, daß mein Zweck in ihren Augen klar bestimmt ist und daß ich »ihnen« gehöre. Ich bin die Mutter, was mich davon abhalten soll, mir die anderen metaphysischen Probleme aufzuladen.
Im Gegensatz zu den anderen Familienmitliedern habe ich zu keiner Zeit das Recht, das Kind zu spielen, denn wer würde in diesem Falle die Rolle der »Mutter« übernehmen? Es ist die unauswechselbare Rolle, ist das Ding, das auf der Haut klebt, denn niemand übernimmt die Ablösung ... Die Frauen nähren die anderen, wer aber nährt sie.o Niemand, sie sind die einzigen, die sich allein nähren müssen, die einzigen, die autark funktionieren müssen, in einer FamiIie, in der alle anderen das Recht haben, die Rollen auszutauschen. Und das erscheint den Frauen an manchen Tagen so ungerecht, so falsch, daß sie nur einen Wunsch haben: all diese Einkaufstüten aus dem Fenster zu werfen, alle Salate zu zertrampeln alle Eier an die Wand zu schmeißen und zu heulen, endlos zu heulen: Weinen wie kleine Mädchen, die das Gefühl haben, nie wirklich dazusein, weinen wie verarmte Wesen, weinen wie Kinder, wie verwaiste Kinder ...
Gewiß, man erlaubt uns theoretisch alle die Zeichen der Kindheit: wir haben das Recht, zu weinen, zerbrechlich und schwach zu sein, nicht fähig, lange über etwas nachzudenken ... In Wirklichkeit aber verweigert man uns das Recht auf wirkliche Schwäche, auf das vollkommene Ausruhen, auf das materielle Abschalten (was der Mann verlangt, wenn er abends nach Hause kommt). Immer abgekämpft, aber nie müßig, so akzeptiert uns die Gesellschaft, die gut ausgerichtet ist auf die Arbeit des Mannes, auf die die Ruhe folgt, und auf die Nicht-Arbeit der Frau, auf die die Nicht-Ruhe folgt, so daß die Frauen nicht an den gleichen gesellschaftlichen Aufgaben wie die Männer arbeiten, daß sie dafür aber rund um die Uhr im Einsatz sind.
Für die Frauen ist es immer unmöglich, jemanden zu finden, der sie ablöst, unmöglich, ein Eckchen zu finden, um sich. zurückzuziehen, ein paar Augenblicke, um sich auszuruhen. Sie finden manchmal nur den Arzt oder den Psychoanalytiker, die bereit sind, ihnen ein Innehalten vorzuschlagen.
Weiß Gott, sie wissen es, jene, die die Sprechzimmer der Ärzte bevölkern und die darauf warten, das lange Klagelied ihrer physischen Leiden anzustimmen, den blassen Widerschein ihrer psychischen Einsamkeit. Kann denn der Arzt eine Frau »lnnehalten« lassen, die keine klar definierte Arbeit hat? Sie ist erschöpft davon, außerhalb von sich selbst zu leben. Wie kann man sie zu sich, selbst zurückführen? Ihre Flucht liegt ja schon lange zurück, stammt aus ihrer Kindheit und ist jetzt Teil der Familienszene. Was ist mit dieser von allem und allen erschöpften Frau zu tun?
Ihr Mann, ihr Gefährte, müßte lernen, ihr mögliche Rückzüge anzubieten, müßte auch Essen kochen, Nächte durchwachen, Krankenpfleger seiner Kinder sein, damit sie sich endlich auf jemanden verlassen könnte, anstatt sich auf den Arzt zu verlassen. Der Mann muß auf seine Seelenruhe verzichten, damit die Frau die ihre entdecken kann, der Mann muß ein wenig seinen Ödipus aufgeben, damit die Frau den ihren finden kann. Der Ehemann muß aufhören, das Kind zu spielen, damit seine Frau auffhören kann, die »Mutter« sein zu müssen.
Bis jetzt hatten die Männer einen vorfabrizierten Einwand: »Wir haben nicht die Zeit, und unsere Frauen, haben sie«, aber die arbeitenden Frauen, sind dabei, eine andere Antwort zu formulieren, denn sie haben nicht mehr die Zeit, sich von der FamiIie ausbeuten zu lassen, sich in der Ehe versklaven zu lassen. Sie haben nicht mehr Zeit als der Mann. Es wird also jetzt darum gehen, deutlich dieses Recht auf Regression. anzusprechen, es wird darum gehen, es nicht mehr nach dem Geschlecht zuzuteilen, sondern nach den Bedürfiüssen eines jeden in der Paarbeziehung ...
Das neue Problem, das sich bei der Frauenarbeit stellt, ist ihr Recht auf Regression und ihr Zugang zur »Sublimierung«.
Die Sublimierung ist nämlich der zweite Bereich, der im Leben der Mütter/Frauen fehlt. Nachdem die Regression an ihnen vorbeigegangen ist, fehlt ihnen (wie Freud gesagt hat) die Sublimierung.
Denn sublimieren bedeutet, seine primären Triebe auch »woanders und anders« einzusetzen; zum Beispiel kann man seinen Körper mit Nahrung wie seinen Geist mit interessanter Lektüre ernähren. Der Mann vertieft sich zur Essenszeit in seine Zeitung; seine Frau dagegen wird sich selbst noch nach dem Essen weiter um die Küche kümmern, denn über die Mahlzeit hinaus gibt es das Hinterher: das Abräumen, das Geschirr spülen usw. Wie könnte sie ihre Triebe »woanders und anders« einsetzen? Wenn sie all ihre Aufgaben erledigt haben wird, wird sie müde sein, und keine Libido mehr haben, um sie in anderer Form zu nutzen: die Art, sich zu verausgaben, ist bei der Frau auf das Konkrete ausgerichtet, so sehr, daß für das Abstrakte kein Platz bleibt. Es ist leicht, aber niederträchtig, zu sagen, daß die Frauen zur Sublimierung keinen Zugang hätten, wenn man ihnen die Zeit dazu nicht läßt. Der Beweis dafür ist dieses Buch, das ich nur mit großer Mühe in meine Existenz als arbeitende Frau mit Familie hineinschmuggeln konnte. Wenn es mich zwei Jahre gekostet hat, es zu schreiben, so nicht wegen der Schwierigkeit, es auszuarbeiten, sondern eher, weil ich keine Zeit fand, um es zur Welt zu bringen. Dieses Buch habe ich in mir getragen wie ein Kind, bei dem die Gesellschaft mich hinderte, es zu gebären, im Gegensatz zu meinen anderen Kindern aus Fleisch und Blut, für die man mir Zeit gab, Ruhe und so manche Erleichterung.
Eines Tages hörte ich auf einem Psychoanalytikerkongreß diese »Herren« über die »Mutter« reden, für die, nach ihrer Auffassung, der Phallus nur das Kind sein konnte, und ich sagte mir, wenn sie das mit unbewegem Gesicht verkünden, setzen sie die Frau nur deshalb auf diesen Platz, um ihr nicht an »anderer Stelle« zu begegnen und insbesondere nicht beim Sublimieren. Nachdem ich in diesem Sinne das Wort ergriffen hatte, zog mich der Sitzungspräsident beim Hinausgehen freundlich beiseite und sagte: »Wissen Sie, wir wissen sehr wohl., daß wir euch Frauen gegenüber ungerecht sind, aber wir haben es nicht gern, wenn man uns daran erinnert.« Ein Anfall von Ehrlichkeit bei einem alten Fuchs der Psychoanalyse, der die gefährliche Gratwanderung sieht, die mit dem »Penisneid« begann, aus dem dann das »Penis-Kind« wurde, umgewandelt schließlich in »Sublimierungsneid«?
»Sie«, die Männer, wollen weder, daß ich denke, noch, daß ich sublimiere; das reservieren sie für sich; für mich gibt es die großartige Rolle der »Mutter«, gibt es das tägliche Auf-der-Stelle-Treten derjenigen, die für die anderen sorgt. In diesem Zusammenhang werden sie sich um mich kümmern, glauben Sie mir! Sie werden sogar so weit gehen, mich zu definieren, unabhängig von dem, was ich denke, weit entfernt von dem, was ich weiß. Das, was sie wissen, was sie wollen, haben sie ausgiebig unter Beweis gestellt: sich unsere Dienstbarkeit erhalten, indem sie uns glauben machen, daß sie es sind, die für uns »schuften«.Wie oft haben wir nicht diesen berühmten Ausspruch gehört: »Beschwert euch nicht, ihr habt das bessere Los gezogen.« Wie oft haben sie aber etwas von unserer Rolle haben wollen? Von dem Drama derjenigen, die niemand »bemuttert«?
Die Männer kennen uns schlecht, oder, besser gesagt, sie versuchen nicht, uns kennenzulernen. Da sie sich nur mit ihrem persönlichen Wohlergehen beschäftigen, haben sie versucht, uns nach ihrem Begehren zu formen, und haben dabei vergessen, unsere Bedürfnisse zu berücksichtigen, insbesondere die nach »Regression« und nach »Sublimierung«. Weil sie sich an ihre »Mutter« erinnern, die immer für sie tätig war, haben sie uns an diese »Mutter« angeglichen und haben schließlich die beiden Wesen, Mutter und Frau, endgültig miteinander verschmolzen, und da wir ihre Frauen sind, müssen wir ihnen als »Mutter« dienen. Da ihre »Mutter« groß war, als sie klein waren, werden wir »groß« bleiben müssen, damit sie in ihrem Zuhause wieder »klein« sein können. Wer aber wird für uns »groß« sein, um uns von Zeit zu Zeit unsere Regression zu ermöglichen? Denn das Bedürfnis, nach rückwärts zurückzugehen, den Wunsch, die Kindheit wiederzufinden, haben alle, sowohl Männer wie Frauen. Es ist ungerecht, seine Erfüllung nach Geschlecht zu verteilen: Nach der Heirat scheint der Mann sein ganzes Haus als Regressionsbereich zu haben, die Frau dagegen nur ihr Bett. Und selbst da gibt es das Problem, daß der Mann den lustvollen Genuß seiner Frau verlangt, als ihm gegenüber zu leistende Pflicht, anstatt daß er ihr Lust verschafft, als etwas, worauf sie Anspruch hat. Der Konflikt im Bett ist der Konflikt mit dem, der sich während des Tages als schlechte Mutter erwiesen hat und dann nachts plötzlich eine gute Mutter werden will. Das ist eine Haltung, die von der Frau meistens abgelehnt wird, die meint, daß sie heute genug für ihn getan hat, und die ihn um seine Lust bringt, indem sie sich auch selbst die Lust versagt (S. 163). Es gibt Frauen, die einen Orgasmus nur mit sich selbst kennen, denn sie kennen das Bemuttern nur mit sich selbst, für den Rest ihres Lebens.
Für die meisten Frauen gibt es im täglichen Leben k-einen Ort und keinen Moment für eine mögliche Regression und die Ehemänner, die früher einmal fürsorgliche und einfühlsame Liebhaber waren, die an das Vergnügen ihrer Liebsten dachten, haben sich den zwei oder drei Kindern angeschlossen, die gierig ihren Teil an Zuneigung verlangen, an Nahrung und täglicher Versorgung. Diese Männer denken, wenn sie es für drei macht, kann sie es wohl auch für vier tun. Für sich gesehen, scheint das Argument richtig zu sein, aber für das Unbewußte ist es falsch: der Mann, der da sitzt, wurde nicht als Kind gewählt, sondern als Liebespartner, also als Mutter. Was macht er daraus? Und was weiß er davon?
Mit der Verheiratung hört die Regression auf.. . Die Frauen haben. nur noch die Zuflucht, sich gegenseitig zu bemuttern (falls ihre Gleichgeschlechtlichkeit es ihnen erlaubt) oder mit Hilfe der Natur zu regredieren, in Bereiche, die vom Mann noch nicht besetzt sind, noch nicht von ihm kontrolliert werden ...Wegen der Kinder gestattet es sich die Frau, und man gewährt ihr das Recht, es sich an einem Strand in der Sonne bequem zu machen, was für sie allein eigentlich undenkbar wäre. Da bleibt sie, inaktiv, aufgewärmt von der Sonne, die mit ihrer Wärme wenigstens nicht geizt. Das ist alles, was dieser Frau an Regression bleibt, die keiner nährt noch wärmt, noch erwartet. Dort endlich findet sie etwas von ihrem Ursprung wieder: den Wellenschlag, der gleichmäßig an ihr Ohr dringt und der sie an den Herzschlag erinnert, als sie noch ein Fötus war. Und dann - welch ein hemmungsloses Jagen seitdem, immer im Namen des andern oder der anderen! Und selbst hier, was tut diese Frau? Sie ist gehalten, braun zu werden und noch begehrenswerter in den Augen des Mannes. Verbergen sich nicht die meisten weiblichen Regressionen hinter dem Gefallen-Müssen, das der Mann uns verordnet hat?
Die Ehemänner tun dann so, als ob sie das Verhalten ihrer Angetrauten für ziemlich unberechenbar halten, aber gibt es denn für die Frau nicht nur dieses eine Mittel, um zur Regression Zugang zu finden: sich etwas nehmen, was man braucht, und dabei erklären, man tue es ja nur für die anderen?
Ich verstehe die weiblichen Schwächen, die ich eher charmant finde und die nur den Nachteil der Schuldgefühle haben, die mit ihnen verknüpft sind.
Das fängt mit dem Spiegel an (ein für die Frau notwendiges Hilfsmittel seit der Zeit des abwesenden väterlichen Blicks), geht dann über in kleine Verrücktheiten (Geschenke, die die Frau sich macht, weil niemand sonst sie ihr gibt), und hört auf mit den Leckereien (die Süße der gefühlsmäßigen Zuwendung, die ihr zu geben der Gefährte häufig vergißt und die die Frau in Form von Süßigkeiten hinunterschlingt).
Überall, wo es geht, versucht die Frau, sich etwas zugute zu tun, sich zu hätscheln, sich Mut einzuflößen. Sie bittet um ein Rezept, eine Adresse, den Namen eines Medikaments, sie erbittet irgend etwas von »einer anderen«, die sich darauf einläßt, die das versteht. Seit einiger Zeit nimmt das in den Augen des Mannes beängstigende Formen an. Er begreift nicht, daß Homosexualität den Platz der Heterosexualität einnehmen kann, wegen dieser Sache mit der Zärtlichkeit, wegen dieses Regressionsbedürfnisses, von dem er nichts zu verstehen scheint ... Die Frauen. wenden sich in der Tat anderen Frauen zu, um sich ohne Bedingungen liebhaben zu lassen, ohne Versklavung, mit dem Recht auf Regression ...
Wenn doch die Männer die weibliche Sehnsucht anders beurteilen würden, wenn sie doch nur sehen könnten, daß das Bedürfnis, klein zu sein, weder eine Mitgift des Mannes noch eine Besonderheit der Frau ist, sondern daß es die kleine Erholung darstellt, die wir brauchen, einer wie der andere, um unser Leben als Erwachsene in der übrigen Zeit bestehen zu können. Die Regression ist der Grundstein unseres psychischen Lebens, sie ist die Rückkehr zu den Anfängen, wie der Schlaf die unentbehrliche Rückkehr ist zum Auftanken für unser physisches Dasein. Warum nur wird die Frau um die Möglichkeit gebracht, auf psychischer Ebene gesund zu leben? Und warum sollte sie nur auf Umwegen ein Recht auf Regression haben?
Eine Frau geht zum Friseur. Um den Wunsch ihres Mannes zu erfüllen, schön zu sein, oder um das eigene Bedürfnis zu befriedigen, sich ohne andere Sorgen während einiger Stunden verwöhnen und verhätscheln zu lassen? Immer dieser merkwürdige Flirt zwischen dem Begehren des anderen und dem eigenen Begehren, immer diese Zwiespältigkeit der Frau, eingeschlossen zwischen dem, was sie ist, und dem,' was man ihr vorschreibt zu sein. Sie kennen wie ich diese Frauen, die nach der Sitzung beim Friseur für einige Stunden wie verwandelt sind: dort haben sie gespürt, daß man ihnen wohlwollte oder daß sie gut zu sich selbst waren. Wer wird das je genau erfahren? Wer schwindelt in dieser Sache? Die Frau? Der Fiseur? Der Ehemann?
Lesen Sie Céres menteuses[2] (Geliebte Lügnerinnen), und Sie werden alles über die fortwährende und unumgängliche Lüge der Frau verstehen. Aber der Mann will unsere Lüge nicht verstehen, will nichts von ihr wissen; er möchte so tun, als ginge ihn das nichts an. Und ganz besonders möchte er durch die weibliche Existenz nicht verunsichert werden, während die Frau ihre Welt auf den Kopf gestellt sieht, verdreht durch die männliche Existenz.
Sind denn nicht alle die heutigen Scheidungen das Ergebnis einer doppelten Lüge? Der Mann hat das Bedürfnis nach Regression bei seiner Frau nicht sehen wollen, die Frau hat so getan, als ob sie sich damit abfindet, aber plötzlich wird ihr klar, daß sie bei diesem großen egoistischen und anspruchsvollen Kind nichts zu gewinnen hat, und sie beschließt, sich davonzumachen (gegenwärtig ist die Scheidung viel häufiger eine weibliche Forderung als eine männliche). Das Paar scheitert wegen dieser zwischen den Partnern schlecht verteilten Regressionsgeschichte. Während seine Regression im Haus den ganzen Raum einnimmt, findet sich ihre geschrumpft auf einige Augenblicke im Bett (von daher kommt die übertriebene Bedeutung des Bettes, in dem der Mann sich mit der Hälfte zufriedengibt, mit seiner üblichen Angst vor Zärtlichkeit und Worten). Die Frauen betreiben die Scheidung viel öfter als Männer, aber am häufigsten deshalb, weil der Mann ihnen keinen eigenen Regressionsbereich zu schaffen wußte und weil die Einsamkeit innerhalb oder außerhalb der Ehe die gleiche ist.
Gibt es denn überhaupt noch Frauen, die bereit sind, zu akzeptieren, daß in der Ehe Regression und Sublimierung nur für einen erlaubt sind? Beweisen sie denn nicht, daß sie ein Leben ohne Trauschein vorziehen, weil dieses Papier sich immer gegen die Freiheit des einen Teils richtet, nämlich gegen die der Frauen?