Familie: Modernes Theater für ein antikes Stück

Wir brauchen keine Väter und Mütter mehr.
Wir brauchen nur noch bemuttert und bevatert zu werden.
Der Tod der Familie, DAVID COOPER

Erster Akt: Der abwesende Vater

Patriarchalische Gesellschaft, ödipale Struktur, Kleinfamilie. Das ist der Bereich, in dem der Analytiker tätig wird, in dem er sich unvermeidlich die Frage nach dem. sozial. gelebten Ödipus stellen muß sowie nach der neurotisierenden Wirkung, die von der Gesamtgesellschaft ausgeht.
Da sich die Gesellschaft weiterentwickelt, ohne sich indessen radikal zu verändern, verschieben sich Untersagungen wie auch Symptome: die große hysterische Krise ist nicht mehr aktuell, sondern die diskrete Konversion, die langsame Umsetzung eines psychischen Konflikts in somatische Symptome. Nachdem die Homosexualität als mögliche Form der Sexualität akzeptiert wurde, ist es jetzt die Bisexualität, die in den Vordergrund tritt. Dies bedeutet, daß die Psychoanalyse sich laufend in immer neue Bereiche vorarbeitet, wobei aber das Unbewußte dem Wissenschaftler, der sich Psychoanalytiker nennt, ständig um einiges voraus ist.
Der Familienverband verkleinert sich. Dabei kann man unter anderem feststellen, daß die Rollenverteilung zwischen Mann und Frau immer deutlicher wird, daß der Ödipus sich immer mehr auf die »Mutter« beschränkt und daß gleichzeitig Vergewaltigung und Gewalttätigkeit in den Zeitungen an die erste Stelle rücken. Wird der antike Mythos, der den unglücklichen ödipalen Helden den Tod des Vaters und die verbotene sexuelle Beziehung zur Mutter durchleben läßt, um so deutlicher, je mehr sich die familiäre Szene verengt? Gibt es eine Beziehung zwischen der Verkleinerung der Familie und der Heftigkeit der dort entstehenden Gefühle, angesichts des Vaters und der Mutter, die die einzigen Hauptdarsteller in dem kindlichen Drama sind?
Je mehr ich Zeitungen lese, je mehr ich in der Familie lebe, je mehr ich meinen Patienten zuhöre, desto mehr frage ich mich, ob mein Beruf nicht eher mit einer kranken Gesellschaft zu tun hat als mit Einzelwesen, denen es schlecht geht. Was sie mit ihren Symptomen in die Behandlung einbringen, ist immer nur das Spiegelbild ihrer persönlichen Geschichte; ihre Symptome entstehen immer aus der Unmöglichkeit, den ödipalen Konflikt zu lösen, der sich aus der Abwesenheit des einen Hauptdarstellers ergibt. In diesem für drei vorgesehenen Drama wird nämlich meistens nur zu zweit gespielt: Der Vater fehlt im allgemeinen auf der Bühne ...
Die Familie in den großen Wohnblöcken ist das Abbild einer ganz kleinen Einheit in einer riesigen Gesellschaft. Je größer der Wohnsilo, um so mehr zieht sich die Familie auf wenige Quadratmeter zurück. In der Mitte dieser kleinen familiären Welt thront die allmächtige Mutter. Die Welt des Kindes ist also auf die Mutter und die mehr oder weniger kleinen Geschwister beschränkt. Mit der Versorgung oder den Schwierigkeiten bei der Beaufsichtigung des Kindes beschäftigt sich für gewöhnlich und nahezu ständig nur die Mutter.
Da sich die Gesellschaft außerhalb der Familie in der Tat keine Einrichtungen geschaffen hat, die sich nach den Schulstunden mit dem Kind befassen könnten (unzureichende Kindergärten und Kindertagesstätten, keine Jugendhäuser für die Heranwachsenden), muß ein Elternteil für das Kind verantwortlich gemacht werden. Das ist zwangsläufig die Mutter, die weniger verdient als ihr Mann und die deshalb ohne Zögern bereit sein wird, ihre Arbeit aufzugeben.
Das Kind wird also meistens mit der »Mutter« leben, da der »Vater« in der Regel auf seiner Arbeitsstelle ist: »mit dem Auto weg« wie das Kind sehr richtig sagt. Der Vater ist der große Abwesende in dieser neuen bürgerlichen Konsumgesellschaft. Eine merkwürdige Gesellschaft, die vorgibt, mit dem Geld des Vaters den materiellen Wohlstand zu mehren, aber das psychische Elend vergrößert, indem sie die Erziehung ausschließlich der Frau überläßt. Die Abwesenheit des Vaters wird durch die ständige Anwesenheit der Mutter doppelt wirksam.
Früher konnte das, was im engeren Familienkreis nicht gesagt werden konnte, woanders ausgesprochen werden, bei einem Onkel, bei einem Cousin, einem Nachbarn. Man fand in der großen Gesellschaft immer »HiIfs«-Eltern. In unserer heutigen, sich abschottenden Welt ist die Kleinstfamilie der einzig mögliche Ort für das Miteinander-Reden. Von daher kommt das zunehmende Gefühl der Beklemmung zwischen Eltern und Kindern: man verlangt viel zuviel von dieser Mutter, die viel zuviel von ihrem Kind verlangt, was schließlich Qual und Angst erzeugt, weil es kein Entrinnen gibt.
Da der Ödipus (die Anziehung des Kindes für den gegengeschlechtlichen Elternteil) in einer so sehr reduzierten Szene nicht ausgelebt werden kann, wird er um so gewaltsamer in der Liebe und in der kommenden Paarbeziehung zum Ausbruch kommen. Die Verkleinerung der FamiIie führt zu einer Dramatisierung der normalen Gefühlskonflikte der Kindheit. Die Liebe hat eine übermäßige Bedeutung angenommen, erweist sich aber als ungeeignet, unsere Wunden aus der Kindheit zu heilen; also scheidet man sich, denn ein Kompromiß scheint für diese neue, unduldsame und gewalttätige Generation unmöglich.
Die Erziehung des Kindes füllt das Leben der Frau ganz und gar aus. Da sie sich allein verantwortlich fühlt für ihr Kind, ist sie bereit, ihm, alles zu opfern, auch wenn sie ihm gegenüber deshalb später aggressiv wird. Da die Mutter und das Kind die alleinigen Akteure sind, die sich immer gegenüberstehen, gewinnt der Ödipus hier einen neuen Aspekt, denn er wird in einem nach außen abgeschirmten, geschlossenen Milieu gelebt. Unzertrennlich und fest miteinander verbunden vermengen die Mütter häufig ihre Identitäten und sagen, wenn sie von ihrem Kind sprechen:[1]

»jetzt hat er mir die Masern bekommen.«
»jetzt hat er mir doch noch angefangen, am Daumen zu lutschen.« (An welchem, ihrem oder seinem?)
»Sie hat mir eine 2 im Rechnen nach Hause gebracht.« (Geht sie für sich zur Schule oder für sie?)
»Er hat mir endlich seine Suppe gegessen.« (Hat er sie für sie gegessen oder weil er selber Hunger hatte?)
»Er hat mir 39 Fieber beschert.« (Ist er gegen sie krank?)

Was hat das Kind ihr noch alles getan? »Es«, das Kind, hat ihr einfach deshalb etwas getan, weil es dauernd da ist, weil es keine Möglichkeit gibt, einen Augenblick ohne es zu sein, weil es wie aufgenietet auf seine Mutter lebt. Das ist einfach zuviel für alle Beteiligten, für die Mutter, die ihrem geliebten Kind gegenüber aggressiv wird, wie für das Kind, das keine Freiheit kennt, denn alles, was es tut, das tut es ihr gegenüber. Mit den Vorteilen, die eine andere, halb entlastende Erziehung durch externe Einrichtungen bietet, würden Mutter und Kind ein Stück Freiheit wiedergewinnen, denn während mehrerer Stunden könnten sie nur aus sich selbst heraus handeln, ohne sich nach den Wünschen des anderen zu richten ...
Was meinen Sie, was der Ursprung dieser unglückseligen Rechtschrelbschwäche ist, wegen der der Therapeut so häufig aufgesucht wird? Es ist die Unmöglichkeit für das Kind, das Ich ohne das Sie der Mutter aufzubauen. Dieses Sie hält das Kind besetzt, das nur scheinbar in der Schule allein ist. Das Kind ist nämlich nie allein: Es ist immer mit seiner Mutter verbunden, was zur Verwechslung der Geschlechter (männlich und weiblich werden durcheinander gebracht) und der Zahl führt (eins oder mehrere ist dasselbe, denn es hat ja immer zu zweit mit der Mutter gelebt.) Es hat weder Sinn für den Singular noch für den Plural; man hält sie nicht für möglich, diese Unlogik, die jedoch im Kopf des Kindes durchaus logisch ist. Es kennt nicht »eins«, sondern »zwei«: es und seine Mutter. Das war immer so, seit seiner Geburt, warum sollte das in der Schule plötzlich aufhören? (Muß hier wiederholt werden, daß es die kleinen Jungen sind, die am häufigsten unter Schulproblemen leiden? Die Geschichte mit »männlich und weiblich« läuft doch in ihrem Kopf deshalb wild durcheinander, weil sie mit ihrer Mutter, die unterschiedlichen Geschlechts ist, wie auf die Haut geklebt leben.)
Können wir als Psychoanalytiker unsere Zeit damit verbringen, die Schäden zu reparieren, die durch die reduzierte FamiIie verursacht werden, durch die Erziehung in den Händen der Frau, ohne über den gesellschaftlichen Zusammenhang zu sprechen? Wir könnten uns sehr bemühen, diesen Müttern die Schuld zuzuweisen oder sie davon freizusprechen (dies hängt vom Standort des Psychoanalytikers ab), diesen Müttern, die keine andere Alternative haben als den Teufelskreis: Masochismus-Hingabe-Aggressivität, auf den das Kind so reagiert: Ablehnung-Aggressivität-Schuldgefühle.
Wir würden so tun, als sähen wir nicht, daß diese Mütter schon seit langem allein in die Sprechstunde kommen, da sie sich einzig und allein für die Situation verantwortlich fühlen. Weil nur sie sich um das Kind gekümmert haben? Muß man ihnen nicht zuallererst sagen, daß die Erziehung eines Kindes zu schwer ist, zu schwierig, um von einem allein getragen zu werden? Wenn der Vater heute - wieder einmal - im Sprechzimmer nicht anwesend ist, will das nicht heißen, daß ihn die Geschichte, die über sein Kind erzählt wird, nichts angeht.
Nur, bitte, der Mann hat sich vom Bevatern dispensiert gefühlt, er glaubte, daß das Bemuttern genügen würde. Und im übrigen, wo hätte er die Zeit und die Energie für das Bevatern hernehmen sollen, er, der so erschöpft von seiner Arbeit außer Hause heimkommt? »Wenn man sich auf ihn verlassen müßte ...«, sagen die Frauen triumphierend, glücklich, ihn von einer Funktion ausgeschlossen zu sehen, bei der sie sich endlich einmal dem Mann überlegen fühlen (ein sehr kurzer, sehr teuer bezahlter Triumph!). Dient das Kind als Bastion für die Frau in diesem endlosen Geschlechterkrieg? Es scheint so, denn in der Tat ist sehr häufig die Hartnäckigkeit, mit der die Frau das Kind für sich beansprucht, ebenso groß wie die Ablehnung des Mannes, sich um das Kind zu kümmern.
Seit einiger Zeit jedoch tritt eine andere Frau auf den Plan - eine, die mit ihrem Kind leben will, aber nicht durch das Kind, eine Frau, die ihre gesellschaftliche Aktivität beibehalten will, obwohl sie Kinder hat. Dafür braucht sie natürlich Strukturen um sich, die sich des Kindes auch über 17 Uhr[2] hinaus annehmen. Diese Frau sieht die Mutterschaft als eine Funktion unter anderen, nicht aber als Ziel an sich. Ein Kind muß nämlich den Weg der Frau ebenso wenig verändern wie den des Mannes. Wenn man da aber nicht aufpaßt, verwandelt sich die Mutterschaft, eine normale Station auf dem Weg einer Frau, in einen Halt, in eine »Endstation«.
Wenn ich mich selbst befrage, als Frau, als Mutter, als Psychoanalytikerin, über die Schwierigkeiten, denen ich in meinem eigenen Leben begegnet bin, finde ich sie alle im Bereich »Mutter« und in der psychoanalytischen Theorie über die Frau und über die Struktur ihres Unbewußten. Hier wird die unhaltbare Praxis der Mutterschaft von einer noch unhaltbareren Theorie gestützt, in der Freud mich als Frau dazu bestimmt, das Kind zu begehren als Ersatz für den Penis, der mir fehlt. Also es tut mir leid, aber dieses berühmte Kind hat mich nie die Tatsache vergessen lassen, daß ich nur die Hälfte des Geschlechts habe und daß ich mich an das andere Geschlecht wenden muß, um das Ganze zu finden. Ich stelle fest, daß der Mann in der gleichen Situation ist wie ich, daß aber Freud daraus nicht die gleichen Schlüsse gezogen hat, sonst müßte das Kind auch als Ersatz für die fehlenden Brüste und die nicht vorhandene Gebärmutter herhalten... Das Kind wäre dann nämlich das universale Objekt für das Paar, was das Paar in eine ganz andere Position gebracht hätte, die nichts mit dem von Freud verteidigten klassischen Familienbild gemein hätte, nach dem das Kind zur Mutter gehört.
Ich habe ein Kind gewollt, wie ihr alle auch (Frauen und Männer), als Bild, das Mann und Frau vereinigt, als Nachweis für das Zusammentreffen zweier unterschiedlicher Welten. Das unter dem Zeichen der Bisexualität und der Aussöhnung der Geschlechter gewünschte Kind gerät jedoch durch seine Geburt in den Geschlechterkrieg und danach in die monosexistische Erziehung, deren Objekt es ist. Das Kind, Symbol von zweien in einem, Fortdauer des kurzen Einsseins im Koitus, findet sich durch seinen vorgeburtlichen Aufenthalt im weiblichen Körper an den Körper der Frau angehängt. Man sollte meinen, daß diese Gemeinschaftsexistenz auf einige Monate begrenzt sei, aber wegen der Gesellschaft, in der wir leben, wird sie unendlich viel länger dauern! Das Durchschneiden der Nabelschnur unterbricht keineswegs die Verbindung der Mutter zum Kind, da die Gesellschaft das so vorsieht und alles tut, um diese enge Verbindung aufrechtzuerhalten ... Zwischen der Empfängnis und der Geburt verändert sich der Kinderwunsch beim Mann und bei der Frau: Sie scheint durch die Schwangerschaft die »Einheit« zu entdecken, während er sich von dem Unternehmen ausgeschlossen fühlt, das er mit geplant hatte. Bei der Geburt des Kindes wagt er nicht, das ihm Zustehende einzufordern, und seine Frau wird nichts tun, um ihm da Zugang zu verschaffen: sie behält es. Da der Mann während der Zeit der Schwangerschaft keine körperliche Beziehung zu seinem Kind entwickeln konnte, wird er diese Beziehung auch bei der Geburt nicht aufnehmen: das Kind bedeutet für den Vater die Fortsetzung seines Stammes, es wird sein Nachfolger, aber in diese Körpersache mit dem Kind mischt er sich nicht ein, die wird sich nur mit der Mutter abspielen.
An der Wiege vollzieht sich die Zweiteilung der Weit des Kindes, und die Geschlechtswerdung gestaltet sich als Sexismus. Das Kind ist dabei, sich in einer Welt einzurichten, in der alles, was mit dem Körper und mit Gefühlen zu tun hat, über die Mutter läuft. Dies wird also als weiblich eingestuft, während alles, was intellektuelle Wunschvorstellungen und die Fortsetzung der Art angeht, also der soziale Bereich, als männlich angesehen wird. Das Geschlecht prägt seit dem aller frühesten Lebensalter nicht nur den genitalen Bereich, worauf Freud hingewiesen hat, sondern alles. Das kleine Wesen wird sehr schnell geschlechtlich geprägt: Schon im Frühstadium unseres Lebens werden wir unbemerkt programmiert und auf das vorbereitet, was als Krieg der Geschlechter enden wird.
Wie kam mir das ersehnte Kind doch schwer vor, nachdem es meinen Innenraum verlassen hatte: dort hatte es mich nicht gestört, mich nicht gehindert zu leben, mich begleitet, während es sich nach der Geburt an mir festklammerte. Es hatte nur mich, ich war seine einzige Zuflucht, seine alleinige und einzige Mutter. Welch ein Abgrund zwischen dem Traum einer gemeinsamen Verwirklichung mit meinem Mann und der enormen Belastung, die plötzlich auf mich zukam! Und auf mich ganz allein! Die Gesellschaft war weder für das Kind noch für mich da; das wurde mir dann erst richtig klar. Sie war es nur für meinen Mann.
Ist dies eine Männergesllschaft, in die ich durch einen Irrtum oder ein Versehen geraten bin? Immer höre ich das gleiche Lied von den Männern und den Psvchoanalytikern: Frau, »ohne Penis«, verlasse dich auf dein phallisches Kind, und betrachte es als das »Objekt« das dir fehlt. Dort liegt deine einzige Bestimmung, deine einzige Verwirklichung, dein eigentlicher Platz, den einzunehmen man dir helfen wird, das übrige gehört dem Mann.
Wenn ich mein Leben als Frau betrachte, stelle ich fest, daß mein Berufstätigsein in dieser Gesellschaft mir nicht das Recht gegeben hat, von ihr bei der Erziehung meiner Kinder Hilfe zu bekommen. Im Gegenteil, man hat alles getan, um mich verstehen zu lassen, daß die Versorgung des Kindes vorrangig sei (soziale Absicherung der Familie durch den Mann, ein einziges Gehalt ohne Berücksichtigung der Lebensumstände) . Meine Arbeit war fakultativ (es gibt keine Tagegelder, um das Kind irgendwo unterzubringen, außer wenn mein Lebensstandard außergewöhnlich niedrig wäre). Die Erziehung des Kindes durch die Mutter im Haushalt ist in allererster Linie eine politische Entscheidung - das ist eine Tatsache, die nur allzu offensichtlich ist. Daß die Frau ihre Arbeit aufgibt, liegt daran, daß sie häufig nichts anderes machen kann: sie hat keine Wahl.
Seit unserer zartesten Kindheit teilt uns die Gesellschaft unsere Rollen so einseitig nach dem Geschlecht zu, daß wir es manchmal schwer haben, unsere eigenen Wünsche aufzuspüren. Für eine Frau ist es undenkbar, nicht gerne zu streicheln und zu hätscheln, für einen Mann ist es lächerlich, sollte er es wagen, daran auch Vergnügen zu finden.
Da es nun sozusagen von außen her so eingerichtet ist, daß ich streicheln und hätscheln muß, und da ich aber auch arbeiten wollte, habe ich das schreckliche Dilemma erlebt, das so viele Frauen kennen! Niemand kam, um mich während meiner Abwesenheit bei meinem Kind zu vertreten; nichts war außerhalb der Familie vorgesehen, um die Versorgung bis zum Ende meiner Arbeit sicherzustellen. Keiner will wahrhaben, daß Kinderkrippen und Tagesstätten, gemessen am Bedarf, nicht vorhanden sind. Ich wohnte in einer Stadt mit hundertvierzigtausend Einwohnern, und für alle gab es insgesamt zwei Krippen und einen Halbtags-Kindergarten. Also war es an mir, Ersatzlösungen zu finden: kleine Tricks mit der Oma, mit der Nachbarin usw. Ab 17 Uhr packte mich immer die lähmende Angst, sie ohne Schule, ohne Versorgung zu wissen, die lieben Kleinen.
17 Uhr: keine leichte Stunde für die meisten Frauen, die noch eine Stunde Arbeit abzuleisten haben. Eine doppelt schwere für eine von Bangigkeit erfüllte Mutter. »Ob wohl der Plan heute funktioniert hat? Wenn nur nichts schiefgegangen ist! Wenn doch auch das Leben und die Gesundheit nur so gleichmäßig laufen würden wie die Uhrzeiger!« Dies sind die Gedanken der Frauen in Frankreich nach 17 Uhr.[3] Wer regiert denn bloß dieses Land, daß nicht gesehen wird, wie die Leistung einer Arbeitnehmerin abfällt, wenn Schuldgefühle und mütterliche Ängste zunehmen!
Männer waren Minister, Frauen wurden es, und ich habe vergeblich darauf gewartet, daß dieses ernste Problem angesprochen würde: die Versorgung des Kindes, die quälende mütterliche Angst, die elterlichen Schuldgefühle, die so schädlich für das Kind sind. Brauchen wir etwa Psychoanalytiker im Gesundheits- oder Erziehungsministerium? Denn die Frauen, fest entschlossen, sich vom Kind nicht mehr ihren Weg versperren zu lassen, entwickeln mehr und mehr unerwartete Verhaltensmuster, pendeln zunehmend zwischen Arbeitsplatz und Wiege.
Nichts ist vorgesehen, um ein aktives Leben und die Reproduktion gleichzeitig zu ermöglichen. Angesichts der sinkenden Kinderzahl pro Familie machen die Anhänger hoher Geburtenraten zu Recht verzweifelte Gesichter! Solange aber die Gesellschaft beiden Elternteilen nicht dadurch hilft, daß ihnen ein Teil der Versorgung des kleinen Kindes abgenommen wird, wird es immer weniger Kinder geben.
Das kann man nicht dadurch ändern, daß man die »Mutter« durch ein Gehalt an ihr Kind bindet (eine immer wieder von den Familienförderern propagierte Lösung). So ist das Problem der zur Sklavin ihres Kindes gewordenen Mutter nicht zu lösen. Nur dadurch, daß man sie von der ausschließlichen Last des Kindes befreit, wird sie wieder Geschmack daran finden, sich mit Freude und nicht mit Qual der Fortpflanzung zu widmen. Ja, die Familie wird kleiner, und sie wird noch kleiner werden, wenn die, die in dieser Gesellschaft die Verantwortung tragen, nicht alles daransetzen, Mutterschaft nicht mehr als ein Ziel hinzustellen, sondern als eine Funktion unter anderen, die nicht alle anderen Funktionen verbaut und die den Weg der Frau nicht mehr behindert, als die Vaterschaft den Weg des Mannes behindert.
Es ist die Mutterschaft und nicht die Sexualität, in der die Ungerechtigkeit zwischen den Geschlechtern liegt: wegen der mit der Schwangerschaft verbundenen unteilbaren weiblichen Lust hat der Mann beschlossen, sich zu rächen und sich vom Kind nicht nur während neun Monaten, sondern sogar während neun Jahren fernzuhalten. Die Frau wird für viele Jahre allein die Folgen des Begehrens der beiden Gatten tragen.
Der Mann durchläuft die Vaterschaft nur, die Frau aber bleibt in der Mutterschaft stecken. Sie wird gesellschaftlich in dem eingemauert, was einmal als Wunsch begonnen hatte, während der Mann unbehelligt bleibt. Die Mutterschaft wird so zu einer gesellschaftlichen Entscheidung, die die Frau verschwinden läßt, während gleichzeitig mit ihrem Kind die Mutter geboren wird. Wie kann man sich noch wundern, daß es auf dem Weg dorthin mitunter einen Verzicht, angesichts einer solchen Wahl? Wie kann man sich wundern, daß zwischen dem tiefen und instinktiven Wunsch, zu zweit ein Kind zu haben, und der Geburt dieses Kindes, das sich die Frau allein aufladen muß, die Frau sich zwischen ihrem Traum und der Wirklichkeit mit der Abtreibungskürette zur Wehr setzt?
»Kinderwunsch« und »Mutterschaft« sind zwei sehr unterschiedliche Dinge. Während Männer und Frauen vom ersten gemeinsam träumen, erwacht die Frau vor dem zweiten meistens allein und muß dann in den Augen des Mannes schändliche Entscheidungen treffen, während er fortfährt zu träumen. Zu träumen von einem Kind, das zu behalten er nicht die Macht hat, da er nicht den Mut hatte, sich mit ihm zu belasten.
Es ist verblüffend, die Hartnäckigkeit des Mannes zu sehen, mit der er versucht, das Leben eines ungeborenen Kindes zu erhalten, dessen Versorgung er nicht auf sich nimmt (ich verweise nur auf den nahezu durchgängigen Widerstand der Ärzte gegen die Abtreibung!).

Zweiter Akt: Das mütterliche Opfer

Die Schwangerschaft, die an sich nur eine Veränderung des physiologischen Zustands darstellt, verändert in gleicher Weise den sozialen Status. Während der Schwangerschaft ist die Entscheidung unausweichlich. Die werdende Mutter kann entweder den Status der Frau aufgeben und den der Mutter annehmen, was den Eindruck einer unmittelbaren Zufriedenheit erwecken kann, einer Zufriedenheit, der viele Enttäuschungen folgen werden, wenn die Frau einige Jahre später wieder ein aktives Leben aufnehmen will. Oder sie kann ihren Status als Frau behalten und zusätzlich Mutter sein. Das vermittelt dann zunächst den Eindruck der √úberbelastung und löst mitunter Schuldgefühle aus, hält aber die soziale Stellung der Frau aufrecht, die sich dann nicht nutzlos fühlen wird, wenn ihre Kinder fortgehen.
Durch sein Auf-die-Welt-Kommen berührt das Kind allzu sehr das innere Gleichgewicht der Mutter, weshalb ihre Beziehung zueinander gewisse Merkmale haben wird: die Liebe der Mutter wird häufig ambivalent sein, die Liebe des Kindes wird durch Befürchtungen und Schuldgefühle belastet sein und sich durch Widerstand gegen die Aggressivität der Mutter auszeichnen.

Die eine Möglichkeit

Falls die Frau sich dahn entschieden hat, bei ihrem Kind zu bleiben, weil sie diese Lösung finanziell oder psychologisch für vorteilhafter hält, wird das Kind empfangender Teil in der libidinösen Struktur der Mutter werden, es wird der Nachweis ihres Erfolges sein, es wird da sein, um mitzuteilen, daß sie doch eine gute Mutter ist: es ist der Lohn für die Mutter; es kann nichts tun oder begehren, ohne daß sich das für oder gegen sie auswirkt. Das Kind empfindet sich als Träger einer Existenz, die nicht die seine ist. Und das ist manchmal so schwer zu ertragen, daß ich einige Mütter gesehen habe, die es vorziehen würden, in die Fabrik zurückzugehen.
Die Mütter, die da sagen: »Du bringst mich um« oder »Du bringst mich noch ins Grab«, enthüllen mit diesen Worten, daß sie nur noch durch das Kind existieren. Wer von uns, Erwachsener oder Kind, will eigentlich den Erfolg oder den Untergang des anderen verantworten?
Gibt es nicht den sakrosankten Muttertag, der die Bedeutung des mütterlichen Opfers zeigt und das Bedürfnis nach Wiedergutmachung gegenüber diesen Frauen, die soviel für ihr Kind getan haben? Müssen sich die Mütter ausgebeutet fühlen, entwertet, erniedrigt, um sich plötzlich an jenem Tag auf das höchste Podest stellen zu lassen? Wenn die Mütter, die bei ihrem Kind bleiben, soviel Lust daraus beziehen, warum muß man ihnen dann danken? Man rehabilitiert nur jemanden, der einen Schaden erlitten hat. Es ist kein Zufall, daß diese Aufwertung zuerst auf die Mutter fiel.
Ich aber wollte Kinder aus Lust am Leben! Um nichts in der Welt wünschte ich, daß sie mir für die Freude zu danken hätten, die ich habe, die wir erlebt haben, sie zu bekommen und aufwachsen zu sehen! Müßte ich nicht viel eher ihnen danken oder mich dafür entschuldigen, daß ich sie in das Lebensregister eingetragen habe, ohne sie zu fragen, einfach nur, weil ich nicht wollte, daß mein Leben eines Tages stehen bliebe?

Die andere Möglichkeit

Angenommen, die Frau hat sich entschlossen, ihren persönlichen Weg weiterzugehen und ihren sozialen Status zu behalten, weil sie meint, daß Mutterschaft nicht ihre einzige Bestimmung sei. Ihr wird schnell klar werden, daß von der Gesellschaft nichts für ihr Kind vorgesehen ist, und es wird ihr nicht erspart bleiben, sich alsbald in Sorgen und Schuldgefühle verstrickt zu sehen: die erste Krankheit des Kindes wird ihr Leben in eine Hölle der Angst verwandeln. Ist nicht das häufige Fehlen wegen »Krankheit« die schwerste Kritik an den arbeitenden Frauen? Dabei wird hier doch immer nur die Krankheit eines anderen kaschiert: die Krankheit des Kindes.
Diese Frauen beschreiben sich als kontinuierlich arbeitende Computer: in ihren Köpfen laufen in der Tat mehrere verschiedene Programme gleichzeitig. Doppeltes Leben, doppeltes Gesicht, doppeltes Lächeln, doppelte Sorge, alles ist im Leben einer Frau, die arbeitet und die ein Kind hat, verdoppelt worden. Wie beneidenswert erscheint demgegenüber die Lebensweise des Mannes: jeweils nur ein einziges Programm im Kopf, ein ausschließlich in Geld gemünzter Lohn. Wie einfach ist das!
Die Frauen pendeln von einem Status zum anderen, die meisten haben beide Formeln ausprobiert, eine nach der anderen: immer ist da etwas, was nicht funktioniert in dem System, und es ist immer die Versorgung des Kindes, die die Frau allein übernimmt, wobei sie oft noch verbissen daran festhält, daß das so bleibt. Ihre Konditionierung auf das Kind setzt so frühzeitig ein, daß sich ihr Selbstwert hieraus zu ergeben scheint, und sie kann sich nicht einen Augenblick lang vorstellen, mit dem Mann die einzige Rolle zu teilen, die er ihr ganz überlassen hat...
Der Mann ist sehr zufrieden, für sein Kind einen so treuen Babysitter gefunden zu haben, und es wäre sehr nachteilig für ihn, eine andere Aufteilung der Lasten vorzuschlagen. Auch wenn die Frau arbeitet, behält sie gleichzeitig und im Gegensatz zum Mann ihre familiäre, für das Kind verantwortliche Rolle.
Solange die Frau aus ihren persönlichen Schuldgefühlen nicht herauskommt, solange sie weiterhin mehr an den- Wert des anderen als an ihren eigenen Wert denkt, wird der Mann intelligent genug sein, diese schreckliche Schwäche weiterhin auszubeuten, und dies mit den großartigsten Bezeichnungen schmücken: mütterliche Aufopferung, weiblicher Instinkt, Stimme des Blutes. Hinter all diesen großen Worten wird sich immer so etwas wie eine Rehabilitation finden. In der Form der lobenswerten Mütterlichkeit will man der Frau alles zurückgeben, was man ihr an Freiheit genommen hat. Die Tatsache, daß ihre Freiheit die Freiheit eines anderen geworden ist, nennt man Hingabe.
Diese Hingabe, diese Entsagung, diese Selbstaufgabe muß denn ja wohl auf irgendeine Weise vom Kind bezahlt werden. Ist es nicht sehr schwer, das Kind dieser Frau zu sein, die vor allem Rechtfertigung und Dankbarkeit braucht? Wird dieses von. der einen Seite kommende Opfer, das sich im Leben und Fühlen des anderen fest verankern wird, nicht eine untilgbare Schuld zwischen den Generationen entstehen lassen? Wird die Frau nicht später dem heimlichen Groll der -Kinder und der Erwachsenen beiderlei Geschlechts begegnen, weil sie über die jungen Wesen geherrscht hat, die noch zu schwach waren, um sich zu wehren.~ Wir haben gesehen, daß der Mann sich rächen wird , indem er sie von allen Bereichen fernhält, in denen er sich befindet, und das Mädchen wird sie als immer währende Rivalin ansehen. Ist das nicht ein recht erbärmlicher Dank für die, die für ihr Kind »soviel. getan« hat? Ist die Mutterschaft ein Köder, der uns für einige Jahre der Freude, die auch mit Mühen verbunden sind, im Gegenzug für den Rest unserer Tage eine mit Haß vermischte Liebe von denen einbringt, mit denen wir leben?
Sehe ich denn nicht, daß jede Neurose in erster Linie auf die Beziehung zur Mutter zurückgeht, die vom Kind wie vom Erwachsenen im Vordergrund der Szene gesehen wird? Als Frau finde ich dieses Schicksal (wenn man denn sicher sein könnte, daß es so etwas gibt. . .) sehr schwer zu ertragen. Die Frauen müßten die ersten sein, diesen gefährlichen Platz, diesen heißen Boden zu verlassen. Was sie auch tun, welche Lebensform mit dem Kind sie auch wählen, wenn Frauen die alleinigen Erzieherinnen sind, werden sie allein für das verantwortlich gemacht werden, was aus dem Kind wird. Ist es nicht bedrückend, das zu erfahren?
Ist es nicht schrecklich, so teuer und so lange für diese Freude zu bezahlen, die wir für uns alleine behalten wollten? So wie der Ödipus in der heutigen Gesellschaft abläuft, macht er aus der Frau die alleinige Zielscheibe für das alte, gegen die Mutter gerichtete Ressentiment. Wenn wir irgend etwas daran ändern wollen, daß die Gesellschaft sich an der Frau rächt, müssen wir es dann nicht zuallererst vermeiden, daß sich das kindliche Ressentiment im Familienverband ausschließlich gegen sie richtet?
Ist diese »Mutterstellung«, die uns als so beneidenswert beschrieben wird, nicht ein im voraus vermintes Gelände? Wäre es nicht besser, Männer und Frauen, durchquerten dieses unbekannte Gelände gemeinsam, das uns von denn zur Welt kommenden Kind trennt? Wir würden dann jeder eine Prägung hinterlassen, die sich von der des anderen unterscheidet.
Wenn die weibliche Welt doch nur aufhören, würde, das einzige Bezugssystem zu sein, auf das sich die Kinder beiderlei Geschlechts einrichten müssen. Wenn doch der Mann teil hätte an der psychischen Erziehung seines Kindes, wie er teil hatte am Moment seiner Zeugung! Sein Sohn könnte von Anfang an eine Beziehung der Gemeinsamkeit entwickeln, anstatt sich verzweifelt an eine Ungleichheit gegenüber der Frau zu klammern, die ihm als Erwachsenem in seinen Beziehungen zu ihr so sehr schaden wird. Seine Tochter könnte sich vielleicht endlich von Anbeginn an in einem Spiegel sehen, der ihr vom anderen Geschlecht hingehalten wird und in dem sie ihren Körper als begehrenswert erkennen kann. Sie wird dann nicht mehr unablässig ihr Bild in den Augen des Mannes befragen müssen. Dieses Mannes, der da kommen soll, der aber unfähig scheint, die Angst seiner Partnerin zu besänftigen. Die als kastrierend empfundene Mutter, der als Erlöser beschriebene abwesende Vater sind unheilvolle Imagines (Bilder) für die beiden Partner; ihnen zu entrinnen erweist sich als schwierig.
Kurz gesagt, man hat alle eingesperrt, weil man die » Frau« einsperren wollte, und nun ist es die ganze FamiIie, die von ihrem Opfer gezeichnet ist. Hat man denn eigentlich den Einfluß einer für weiblich und sanft erklärten Frau ausreichend untersucht? Hat man dabei etwa die Wahrheit übersehen? Gerade jetzt zeigt sich nämlich, daß sie in Wirklichkeit weder das eine noch das andere ist. Kann dieses Wesen denn überhaupt weiblich und sanft sein, das vom Beginn seiner Existenz an in der Weiblichkeit gefangen gesetzt und eingesperrt wurde? Wie kann eine solche Gefangene, die nichts anderes getan hat, denn als Frau, also mit weiblichem Geschlecht, geboren zu sein, wie kann sie sanft und glücklich sein angesichts des Schicksals, dem sie sich ausgeliefert sieht?
Wie kann ich, die ich doch mit der individuellen Neurose so vertraut bin, angesichts dieser selben, kollektiv gelebten Neurose unbeteiligt bleiben? Sollte ich verschweigen, daß die Frauenfeindlichkeit des Mannes und das Schuldgefühl der Frau sich vor allem aus der heutigen Form der Familie herleiten? Ich finde sie wieder im winzigsten Zeitungsartikel , im unscheinbarsten Gesetzesvorschlag zur Familienpolitik.

Dritter Akt:
Sozialpolitischer Diskurs statt antiken Chores

Der Mann erläßt das Gesetz, das die Frau einsperrt, und die Frau akzeptiert alles, was dem Mann angenehm ist, so sehr ist sie damit beschäftigt, ihm nur ja nicht zu mißfallen, so sehr ist sie daran gewöhnt, seit ihrer frühesten Jugend, sich dem Bild anzupassen, das man ihr von ihr vorhält, und der Rolle zu entsprechen, die man von ihr erwartet.
Was sieht man denn in der Tat im gesellschaftlichen Bereich? Unter welcher Regierung auch immer, es ist immer die Zukunft der Frau, die mit der des Kindes verbunden wird. Tauchen Schwierigkeiten auf, ist immer sie es, die man
einspannt: Was, wenn es zum Beispiel nicht genug Krippen und Kindergärten gibt? Sei's drum, man wird der Frau einen Mutterschaftsurlaub vorschlagen, lang genug, um den Mangel an kollektiven Einrichtungen zu verdecken. Man könnte sogar ein Gehalt ab dem dritten Kind vorschlagen (von Herrn Debrè[4] angeregt, um die Geburtenfreudigkeit zu heben); dies würde einerseits Gemeinschaftseinrichtungen für die Kinder erübrigen und andererseits es dem Staat ersparen, hohe Gehälter an Kindererzieher zu zahlen. Für einen unendlich geringeren Betrag würde die Mutter die Erzieherin ihres eigenen Kindes sein, und es gäbe darüber hinaus noch nicht einmal ein Streikrisiko, da Arbeitgeber und Arbeitnehmer zur gleichen Familie gehören.
Dank des sehr ausgeprägten Ödipus unseres lieben Präsidenten V. G. E.[5] haben wir ja nun auch das Recht auf zwei Jahre Mutterschaftsurlaub, um uns - vom gesellschaftlichen Umfeld ausgeschlossen - fest im Ödipus unseres Kindes zu verankern. V. G. E. ist natürlich kein Psychoanalytiker, er weiß überhaupt nichts vom Zustandekommen eines Phallokraten und von der Entstehung der Objekt-Frau. Obgleich er öffentlich die Bedeutung der Beteiligung der Frau an der Politik verteidigt, hat auch er, mit ganz und gar gutem Gewissen, tatsächlich den Weg gefunden, sie noch für einige Jahre von der politischen Szene fernzuhalten. Der Gewerkschaftler wird der Mann sein, der Babysitter wird »sie« sein.
So kommen wir da ganz bestimmt nicht heraus, und solange das Schicksal des Kindes nicht von dem der Mutter durch externe Hilfe für die Familie abgekoppelt wird, werden die Frauen weder zu den Verantwortlichkeiten noch zu den Tätigkeiten des Mannes Zugang haben: die Welt wird stumpfsinnig in zwei Teile geteilt bleiben, die Gesellschaft wird zutiefst sexistisch bleiben, und das Schicksal wird weiterhin an der Wiege zugeteilt werden.
Gleichgültig, ob der Mann dem linken oder rechten politischen Spektrum nahe steht, er scheint nur die eine Idee zu haben: die Frau zu ködern, sei, es mit Hilfe der Pflicht oder mit Hilfe, des Geldes. Man will ihre Aufopferung kaufen, sie für die Liebe bezahlen, mit der sie ihr Kind hegt und pflegt; aber müssen denn Liebe und Aufopferung gleichgestellt werden? Kann man denn nicht lieben, ohne sich zu opfern, übertrieben und ganz und gar, wie es die Frauen tun?
Es gibt nicht nur Politiker, die Opfer ihres Ödipus sind, es gibt auch noch all diese anderen männlichen Sachverständigen, Geburtsraten-Spezialisten, wissenschaftlichen Historiker und Direktoren der großen Frauenzeitschriften (fast immer Männer), die sich an der Verbreitung soziologischer Ideen beteiligen. Alle sitzen sie in der großen Runde der von Frauen aufgezogenen Phallokraten, in der sie immer wieder und widerstandslos das gleiche Opfer für die kommende Generation fordern. (Und was hatte man nicht alles gehört, damals im Jahre 1979, das ganz besonders dem »Kind« gewidmet war!)

Was fordert ein Monsieur P. Chaunu, Professor für moderne Geschichte, unter der Überschrift: »Sind wir zu viele, oder sind wir nicht zahlreich genug?« in den Spalten eines in Marie-France[6] zu jener Zeit veröffentlichten Artikels? Er fängt damit an, sich über die sinkende Geburtenzahl zu erregen, und verlangt von der Gesamtgesellschaft eine allgemeine Anstrengung. Sie werden sehen, wie schnell und geschickt man diese allgemeine Anstrengung zunächst von der Frau verlangen wird, wenn man ihr den keineswegs neuen Vorschlag, macht, ihr Kind vom ersten bis zum dritten Lebensjahr selbst zu erziehen. Dadurch, daß man ihr den prachtvollen Titel einer Erzieherin ihres eigenen Kindes verleiht, wird man weder an der Situation der Mutter irgend etwas verändern noch an ihrer Versklavung. Diesmal aber ist das vorgeschlagene System noch perfider, denn es könnte eine Menge Frauen in die vom Mann ausgehobene Fallgrube locken. Monsieur Chaunu verlangt nämlich lautstark:

  • Ein »Mütter«lohn (warum für die Mutter, hat der Vater irgendeinen fundamentalen Mangel, der ihn von dieser Funktion ausschließt?) für drei bis fünf Jahre für alle Frauen, die sich dann dafür entscheiden können, Kinderpflegerin und Erzieherin für ihre Kinder zu werden. (»Sich entscheiden?« Sind Sie sicher, daß in einem Gesellschaftssystem, in dem so manches Paar am Rande der Sozialhilfe lebt, eine zusätzliche Geldquelle nicht eher eine »Verpflichtung« darstellt? Hat man unseren Lebensweg so mühsam vom Zufalls-Kind befreit, um es jetzt als Geld-Kind wieder einzuführen? Wird denn die Frau niemals in ihrem Kinderwunsch frei sein?) Nur diese Finanzierung würde die Bedingungen wahrer Gleichheit zwischen den Geschlechtern wieder einführen. (Nein, mein Herr, denn dieser Lohn wird nur für die Frau vorgeschlagen, und ich sehe nicht, wieso er die Gleichheit der Geschlechter wiederherstellen würde. Ganz im Gegenteil, ich sehe, wie ein solcher Lohn die Geschlechter in ihrem Verhältnis zum Kind »verungleicht« ... Falls die mütterliche Funktion derjenigen des Mannes gleichzusetzen ist, warum drängen sich die Männer dann offensichtlich nicht danach, sich damit zu beschäftigen?)
  • Ein Pensionsanspruch für Mütter von drei oder mehr Kindern, als einzige Möglichkeit, gegen die Ungerechtigkeit einer Gesellschaft zu kämpfen, in der alle davon profitieren, außer denjenigen, die mit ihren Herzen und in ihren Schößen die Generation ausgetragen haben, die diese Renten finanzieren wird.

Wollen Sie, Monsieur Chaunu, die Beziehung zu unserer Mutter, die schon so sehr belastet ist, in eine Hölle verwandeln, indem Sie zum früher vom Kind verlangten guten Verhalten jetzt noch die vom Erwachsenen verlangte gute Bezahlung hinzufügen? Wollen Sie, daß von dieser ersten Beziehung nur Geldschulden, Zwänge und Pflichten übrig bleiben? Warum diese enge Verknüpfung von Mutterliebe und Arbeit, die das Kind macht? Das Kind, ein Ergebnis der Liebe und nicht eines Lohns, ist doch für die Mutter kein Fremder, während das der Erzieherin fremde Kind aus dem Bereich des Begehrens herauskäme und in den der Erziehung gelangen würde. Soweit ich weiß, hat man die Erzieher immer entlohnt, aber ich hoffe sehr, daß man niemals die Eltern bezahlen wird. Das wäre der Beginn einer Entwicklung, die ich nicht zu benennen wage: es wäre das Ende der Liebe. Sich ein Kind zu geben ist ein unbezahlbares Geschenk, das die Eltern einander geben und das einmalig ist auf dieser Welt. Erscheint diese Gabe so sehr als Danaergeschenk, daß weder der Mann noch die Frau es spontan haben will?
Was keiner will, ist die alleinige Mühe und Verantwortung für dieses Kind, was alle wollen, ist die Liebe dieses Kindes. Es ist also ganz klar, daß es darum geht, die Lasten anders zu verteilen, durch die Einrichtung von Tagesstätten,[7] durch die Bezahlung von Erziehern und Erzieherinnen für das Kind, durch eine flexiblere Gestaltung der Arbeitszeit und des Urlaubs, damit beide Eltern einander abwechseln können. Von dem Moment an, in dem man vorschlägt, eine so instinktive Funktion wie die Zeugung eines Kindes zu bezahlen, sehe ich keine Grenze mehr für das, was alles in einem Menschenleben zu bezahlen sein wird.
Viele Freuden sind nur durch eine vorausgehende Anstrengung zu erlangen. Das Kind ist in erster Linie die Freude der Eltern, erst in zweiter Linie ist es ein Glied der Gesellschaft, und man wird nie erreichen, daß die Eltern für das Wohlergehen der Gesellschaft Kinder machen, sondern immer nur für ihr eigenes Wohlbefinden. Wenn die Mühe mit dem Kind das Wohlbefinden beeinträchtigt, insbesondere das der Mutter, dann muß dort angesetzt werden, um die Geburtenziffer zu beeinflussen: das Kind darf nicht mehr der Käfig der Mutter sein, auch nicht, wenn er vergoldet ist.
Glücklicherweise sehen nicht alle die Dinge in derselben Weise wie Monsieur Chaunu. Der Kauf von Staatsbürgern durch die Finanzierung der Eltern scheint denn doch nicht eine so einleuchtende Lösung zu sein, wie dieser Herr es uns glauben machen möchte. In der gleichen Zeitschrift ergreift auch ein anderer Wissenschaftler, Monsieur Leridon, das Wort (dafür gebe ich Marie-France einige Punkte): » Wenn nun offensichtlich niemand ein drittes Kind haben will, dann doch wohl nur deshalb nicht, weil nicht alles zum besten steht mit der Nummer zwei. Diese Schwierigkeiten müßten zuallererst untersucht werden. Wenn die Erklärung für ein Problem gefunden ist, verschwindet es von selbst, wie die Erfahrung lehrt.«

Ich glaube indessen nicht, daß das Problem mit der sinkenden Geburtenzahl von selbst verschwinden wird, denn es gibt eine deutliche Abneigung, an die Wurzeln des √úbels heranzugehen. Der Wunsch, das Kind in den Händen der Mutter zu lassen, ist offensichtlich. Das wahre Problem ist, daß das Kind den Weg der Mutter unterbricht und sie zwingt, auf ihre eigene Weiterentwicklung zugunsten eines anderen zu verzichten. Manche Frauen beginnen, sich über den Preis Gedanken zu machen, den sie zahlen, und begreifen, daß sie in diesem System mitmarschierten ja, rannten wegen ihres Schuldgefühls, das sie mehr an den Wert des anderen glauben ließ als an den eigenen.
Indem die Frau die Rolle der sich für ihre Kinder aufopfernden »Mutter« akzeptiert, hofft sie insgeheim immer, zur Norm zurückzukehren, eine echte Frau zu, sein (wir wissen, daß das seit dem Beginn ihres Lebens ihr Ziel war), also »genügend« zu sein in den Augen der anderen. In der Mutterschaft läuft die Frau wie üblich weiter hinter ihrem Bild her. Ist dieses günstige Bild von ihr denn nun das einzige, um das sich eine Frau bemühen könnte? In einem patriarchalischen System hält der Mann die Frau mit den Kindern im Hause, um überall sonst herrschen zu können. Nimmt deshalb die Frau womöglich etwas als ihre wahre Berufung hin, was nichts weiter ist als der Wunsch des Mannes?
Im übrigen erkennt Monsieur Leridon das Problem. Einige Zeilen weiter schreibt er: »Anders zu leben würde voraussetzen, daß jeder seine Chance erhält.« Ich gehe davon aus, daß die Mutterschaft nicht die einzige Chance für die Frau ist und daß die Frau frei sein müßte, auch eine andere Wahl zu treffen, wenn sie das will. Dies aber würde natürlich voraussetzen, daß ihr Kind entweder von ihrem Mann oder von außerfamiliären Strukturen versorgt wird. Dem Kind seine Chance geben bedeutet nicht notwendigerweise, es zu zwingen, Auge in Auge mit der Mutter zu leben. Wir haben gesehen, wie sehr das Kind darunter leiden kann ...
Es ist so, wie es Monsieur Leridon sieht, um ihn noch einmal zu zitieren: »Insgesamt ist festzustellen, daß unsere Gesellschaft auf das Kind absolut nicht eingerichtet ist und die besonderen Bedürfnisse des Kindes überhaupt nicht berücksichtigt.«
Es ist nur zu wahr, daß die Gesellschaft sich mehr um ihr Geld kümmert, das heißt um ihren materiellen Komfort, als um das psychische Wohlbefinden der Einzelwesen ... Was die besonderen Bedürfnisse des Kindes angeht, so weiß niemand genau, wo sie liegen: isolierte oder kollektive Erziehung? Zärtilche Pflege durch die Hände des Mannes oder der Frau? Ausschließliche oder erweiterte Beziehung zur Mutter? Es gibt bis heute keine Antwort außer der vaterländischen: Frauen und Kinder gehören ins Haus.
Kann eine Analytikerin überhaupt ruhig eine Frauenzeitschrift lesen, ohne darin nicht auf die Hinweise zu stoßen, die in die ödipalen Sackgassen führen, die das Feld ihrer Tätigkeit bilden? Bedeutet nicht das Aufschlagen eines dieser Journale, sofort die zwei Stereotypen wiederzufinden, die die Frauen irreführen? Die Objekt-Frau, die dem Mann gefallen soll (durch die Mode), und die Frau, die das Kind als Objekt hat (soziologische Artikel, die das Kind unter die Verantwortlichkeit der Frau stellen).
Ist es nicht die Pflicht der Analytiker, zu sagen, daß das Bild der Mutter im Verlauf einer Analyse im allgemeinen ebenso hypertrophiert ist, wie es ihre Rolle im wirklichen Leben des zu behandelnden Menschen war? Und müssen wir uns nicht vorhalten, daß dieses Einzelwesen, dem wir vorgeben helfen zu wollen, aus einer Gesellschaft kommt, der gegenüber wir uns meistens in Schweigen hüllen, obgleich wir Analytiker sind?
Das ödipale Gift hat sich überallhin ausgebreitet, und ohne daß wir es wissen, beherrscht uns das ödipale Gedankengut dermaßen, daß wir seine Auswirkungen gar nicht mehr wahrnehmen ... Die »Ödipalisierung«, der Gesellschaft ist allgemein. Muß man noch darauf hinweisen, daß sie sich durch das »Gesetz des Vaters« und dank der Erziehung durch die »Mutter« bildet? Daß diese weibliche Erziehung beim Sohn eine antiweibliche Haltung erzeugt, die zwangsläufig die Frauen eingrenzt und quält? Und daß jede patriarchalische Gesellschaft aus sich heraus das antiweibliche Ferment absondert?
Ist es denn nicht offensichtlich, daß das Hauptziel des Mannes nur sein kann, die Frau daran zu hindern, als Gleiche oder Überlegene zu existieren? Wenn die Ferministinnen heute um sich schlagen, dann geht es darum, das Existenzrecht wieder zu erlangen. Aber ich wiederhole es, nach meiner Meinung greifen sie nur die oberste Schicht des Sexismus an, seine sekundären Auswirkungen, weil das Phänomen des Sexismus im Herzen des Mannes vom zartesten Kindesalter an verwurzelt ist. Dort kann es aufgespürt werden, und dort ist ihm beizukommen. Nur wenn die Frauen sich aus dem Kinderzimmer zurückziehen und den Mann dort hineinlassen, haben sie eine gewisse Chance, daß der Geschlechterkrieg allmählich abnimmt ...

Und hier ist die Antwort auf meine anfängliche Frage: Wie weit kann eine Analytikerin Ferministin sein? Sicher nicht bis dahin, wo die Frauen gegenwärtig kämpfen, denn der Mann, zu dem sie sprechen, den sie überzeugen wollen, hat seine Ohren schon vor langer Zeit vor den von ihnen kommenden Reden verschlossen. Eine Analytikerin kann mit dem Feminismus nur insoweit zu tun haben, als sie über den (gegen die Frau gerichteten) Sexismus berichten muß, der an der Wiege entsteht und seine Wurzeln ins Unbewußte senkt.
Die Psychoanalyse wird ihren Beitrag zum Feminismus leisten, indem sie einen Konflikt zwischen den Geschlechtern bewußt und erklärbar machen wird, der bis dahin unbewußt und unerklärbar geblieben war. Wo Es war, soll Ich werden.[8] Dort liegt der Gegenstand der Psychoanalyse seit Freud. In der heutigen Familienstruktur kann sich das Unbewußte nur durch den Bezug auf die »Mutter« bilden, der einzigen vom Kind erlebten Erzieherin; und als Folge davon rechnet das Bewußte eines jeden mit der »Frau« ab, die nun von beiden Geschlechtern verfolgt wird. Hier sollten Männer und Frauen einmal innehalten und begreifen, bis zu welchem Grad sich alle der »Mutter« zugestandenen Privilegien in eine gnadenlose, lebenslange Hexenverfolgung [9] für die Frau verwandeln. Es ist unerläßlich, daß die Frauen sich darüber klar werden, daß sie automatisch von jeder anderen Macht ferngehalten werden, solange sie weiterhin die Macht über das Kind beibehalten. Die neuen Frauen sind jene, die Mutterschaft und Besitz, Rolle und Berufung nicht mehr durcheinander bringen. Sie haben vor, ihren Teil sowohl bei der Produktion wie bei der Reproduktion zu übernehmen, während wir bisher geglaubt hatten, je nach unserem Geschlecht nur Anspruch auf das eine oder das andere zu haben.

Die Existenz der »Frau« kann nur über die Entheiligung der »Mutter« erreicht werden. Ihre Herrschaft hat die Frauenfeindlichkeit des Mannes und die Eifersucht der Frau erzeugt. Es kann eine andere Familie geben, eine andere Erziehung, eine andere Verteilung der elterlichen und der gesellschaftlichen Aufgaben, die es dem Kind erlauben vwürden, bei seinem Auf-die-Welt-Kommen einen Bezug zum gleichen wie auch eine Ergänzung zum entgegengesetzten Geschlecht zu finden. Der gleichgeschlechtliche Bezug würde die Identifikation fördern, und der gegengeschlechtliche würde den Ödipus und die Identität ermöglichen. Solange aber die Familie der Ort des Unterschiedes zwischen der Rolle des Mannes und der Rolle der Frau bleibt, wird das Kind dort die Saat des Sexismus in sich aufnehmen.
Männer und Frauen müssen sich in der Unterschiedlichkeit der Geschlechter zu einer Rollengleichheit bereit finden, damit das Kind begreifen kann, daß die Unterschiedlichkeit der Körper keinen Machtunterschied erzeugt, denn der ist die Grundlage für den Krieg zwischen Männern und Frauen.