Wie sprechen, um ihren Einteilungen, Rastern,
Unterscheidungen, Oppositionen zu entgehen ...
Wie sollten Wir uns von diesen Begriffen losketten,
uns von diesen Kategorien befreien, uns von ihren Namen häuten?
Wie sollen wir uns LEBENDIG von ihren Vorstellungen lösen?
LUCE IRIGARAY
Und was ist mit den Worten, was mit der Sprache, die die Frauen so oft eingesperrt hat? Einer Sprache, der die Frauen endlich mit anderen Begriffen zu entkommen lernen, endlich mit anderen als denen, die der Mann ihnen zugeteilt hatte? Warum nur dieser Krieg der Worte, ihr Söhne und Töchter der gleichen »Mutter«? Warum ist der Sexismus in der Sprache immer gegenwärtig? Warum die Weigerung, die gleiche Sprache zu sprechen, je nachdem, ob man Mann oder Frau ist?
Die durch die Trennung von der Mutter entstandene Sprache... hat doch auch dazu gedient, die Mutter wieder zurückkommen zu lassen! Das Objekt war doch das gleiche warum ist dann die Art, sich auszudrücken, so sehr vom Geschlecht geprägt, dem man angehört? Und warum sind die angesprochenen Themen so streng nach Geschlechtern getrennt? Warum eine solche Abgrenzung? Ist es nicht in den patriarchalischen Gesellschaften, in denen der Mann die Macht innehat, so, daß er auch »das Wort« hat und es mit seinem Bedürfnis nach Abstand zur Frau prägt, der Frau, die er mit der »Mutter« gleichsetzt?
Da die Sprache seit Jahrtausenden im Besitz des Mannes ist, trägt sie die Spuren der Analschlacht mit der Mutter, und sie birgt die Furcht vor der Annäherung an alles, was weiblich ist, in sich, an alles, was mit dem Körper zu tun hat und was die Erinnerung an die »Symbiose« mit ihr wachruft. Der Sexismus in der Sprache kommt vom Mann, der von der Angst besessen ist, sich nur nicht der gleichen Worte zu bedienen wie die Frau, sich nur nicht an den gleichen Orten wiederzufinden wie die Mutter.
Da die Sprache in unserer Gesellschaft männlich ist, ist sie notwendigerweise antiweiblich geprägt, was die Frauen nach und nach entdecken. [1]
Als erstes Bild hat der Mann in unseren abendländischen Familien das Bild einer Frau vor sich. Ein Mann lernt das Sprechen zwangsläufig mit einer Frau, nämlich mit seiner Mutter, und all seine Bemühungen als Mann bestehen darin, sich von ihr abzugrenzen, um nicht Frau zu »werden«. Ein Mann kann zunächst nur im Gegensatz zur Mutter ein Mann werden, nur in der Gegenidentifikation zur Frau.
Erst sehr viel später in seinem Leben wird er sich auf seinen Vater hin ausrichten, aber unglücklicherweise für uns, Frauen wie Männer, bleiben viele Männer mehr von ihrer ersten Beziehung zur Mutter geprägt als von ihrer zweiten Beziehung zum Vater. Ein Buch wie Fèminin-Masculin[2] erfaßt und klassifiziert scharfsinnig und voller Humor weibliche und männliche Vorzüge und Mängel. Es wird deutlich, daß das, was für das eine Geschlecht als Vorzug angesehen wird, für das andere im allgemeinen als Nachteil gilt. Dieses merkwürdige Phänomen ist damit zu erklären, daß die Eigenschaften des Mannes sowie seine Sprache sich in der Auseinandersetzung mit der Mutter bilden. Die Mutter ist aber für ihren Sohn ein unbrauchbares Identifikationsobjekt (unnötig zu erwähnen, daß nur der Junge in seiner Sprache eine anale Phase mit groben, meist sexuellen Schimpfworten durchmacht, die das weibliche Geschlecht betreffen).
Wie schon gesagt, ist die männliche Sprache zwangsläufig antiweiblich geprägt. Wie sollen es die Frauen nun anstellen, wenn sie reden wollen? Wenn sie sich in das männliche Gespräch einmischen, übernehmen sie das darin eingebaute. Antiweibliche und sprechen gegen sich selbst, und wenn sie sich bemühen, anders zu reden, verschlimmern sie noch den Unterschied zwischen den Geschlechtern und beteiligen sich an der gerade vom Mann diktierten Distanz. Dieser glaubt auch nicht einen Moment lang, wie eine Frau reden zu können, und verteidigt hartnäckig die Existenz zweier unterschiedlicher Naturen und Diskurse. Ich bin auch nicht sicher, ob die Frauen, die so sehr das Recht auf Unterschiedlichkeit fordern, nicht, ohne es zu wollen, geradewegs in die Falle des Mannes tappen, der von nichts anderem träumt als vom Unterschied zur Frau.
Seit dem »Christiane entwickelt sich«, als ich dreizehn war, bis zum »Ihr Feministinnen seid dabei, euer eigenes Grab zu schaufeln«, über all die »Ah.! Da ist ja die Schönste« bis hin zum »Könnte die Rettung der Frauen nicht im Schweigen liegen?«, das einer meiner psychologischen Fachkollegen (sprich Gegen- oder Scheinkollegen)[3] vor gar nicht langer Zeit von sich gegeben hat, bin ich in der Tat immer nur ein und derselben Haltung begegnet: der Mann versucht, mich mit allen Mitteln als »unterschiedlich« hinzustellen. Von dem genannten Analytiker habe ich sogar noch etwas hinzugelernt, nämlich daß ich seit meinem dreizehnten Lebensjahr zum Tode verurteilt bin (da man doch von meiner Rettung spricht), oder vielleicht bin ich das ja sogar seit meinem ersten Tag - ich, die ich doch geschaffen bin, Leben zu schenken! Ist es etwa dieser Unterschied zu ihm, den der Mann an mir nicht erträgt? Er versucht doch, mich einzig und allein auf die Funktion des Kindergebärens zu reduzieren, da er mir alle anderen. Funktionen nimmt. Er hat diesen Vorteil in einen Nachteil verkehrt, und während ich dieses in mir angelegte Wunder besitze, will er alle anderen für sich behalten und mir den Zugang zu ihnen verwehren. Muß ich denn als Rassentrennung hinnehmen, was ich als »Geschlechtlichkeit« bekommen habe?[4]
Welch eine Anstrengung für eine Frau, anders und an anderer Stelle zu existieren als an dem Ort, den der Mann, ihr Gefährte, ihr zuweist! Welche Schwierigkeit, mit ihm darüber zu sprechen, in dem sicheren Bewußtsein, ihm zu mißfallen. Wie andererseits sich, in einem Diskurs ausdrücken, der nicht der meine ist, mit Worten, die dem »anderen« gehören? Das ist wie Schweigen! Genau das, was die Frauen schon immer getan haben. Lieber schweigen als den Krieg anfangen. Sie schwieg, und er fand das nur natürlich. Da »sie« sich als »Objekt des Mannes« wollte, konnte die Frau nicht gleichzeitig Subjekt sein.
Der Diskurs des Mannes ist für die Frau in dem Maße demütigend, wie er sie als Objekt betrachtet, ihr ihren Platz als Subjekt nimmt und für sie entscheidet, was gut für sie ist. Auf diese Weise bestimmt der Mann den Platz und die Sprache der Frau, und vielleicht ist das nur ein toter Platz und eine Stummen-Rolle, da sie ja nicht darüber entscheidet.
Zu sehen, wie man sich spielt und wie man unaufhörlich das gleiche Theaterstück wiederholt, in dem die Regeln immer dieselben und die Rollen auf die gleiche Weise verteilt sind, gleichzeitig Schauspielerin und Zuschauerin in einem Stück zu sein, das ich nicht geschrieben habe, zu wissen, daß der Ausgang des Stückes mein Verschwinden vorsieht - all dies macht mir überhaupt keinen Spaß, auch wenn ich meine Rolle perfekt zu spielen weiß.
Es ist also für eine Frau unmöglich, zu sprechen, ohne den Eindruck zu haben, »tote Frauen« wiederzuerwecken, denn damit vollzieht sie ja den Übergang vom Objekt zum Subjekt und begehrt sofort und unvermeidlich gegen die geheimsten Wünsche des Mannes auf. Kann ein Mann das hier lesen, was ich schreibe, ohne sich nicht schon durch meine bloße Existenz angegriffen zu fühlen? Ich verlasse das Kinderzimmer, in das er mich für eine Weile eingesperrt zu haben glaubte. Ich verlasse den Ankleideraum und erkläre, daß mir seine Anzüge total gleichgültig sind. Ich verlasse die Küche und sage ihm, daß er sich beköstigen möge, falls er Hunger hat. Und zum Schluß mache ich ihm klar, daß ich alle diese Rollen stumpfsinnig gelernt habe, ebenso stumpfsinnig, wie er sie nicht erlernt hat, und wenn ihn dies gegenwärtig quälen sollte, dann ist das genauso, wie es mich quält, daß ich nicht sprechen, schreiben und denken gelernt habe.
Die eigentliche Geburt der Frauen liegt deshalb hier: Sie beginnen aus ihrem eigenen Begehren heraus zu existieren; und sie machen sich nichts daraus, wenn das weder in die Träume noch in die Vorstellungen des Mannes paßt. Die Schwierigkeiten des Lebens zu zweit werden dadurch noch verschärft, daß der Sklave revoltiert und es vorzieht, auf den Lohn der »Anerkennung« durch den Mann zu verzichten. Der Mann, der sich dank einer präzisen Verteilung der Rollen vor einem neuen Krieg mit Jokaste geschützt glaubte, sieht sein System von allen Seiten angegriffen. Überall stoßen die Frauen den »Schrei« des Neugeborenen aus, den sie übrigens scherzhaft den der Jung-Geborenen nennen.[5] Haben sie doch den Eindruck, daß sie zum erstenmal »sprechen« und es endlich nicht mehr hinnehmen, »Besprochene« zu sein.
All diese Frauen, die jetzt gleichzeitig ihre Stimme erheben, machen einen ziemlichen Lärm in den Ohren des Mannes, der nicht mehr weiß, wie er sich verhalten soll, um seine uralte Ruhe wiederzufinden, die aus der Zeit stammt, als die Frauen noch stumm waren, das heißt tot. All die Frauen, die bis jetzt das Wort ergriffen haben, haben es mit Wut getan, mit Leidenschaftlichkeit und heftiger Entrüstung darüber, so lange betrogen worden zu sein (Simone de Beauvoir, Luce Irigaray, Kate Millett, Benoite Groult, Annie Leclerc).
Und ich selbst? Ist dies nicht der Bereich meines Denkens, in dem ich mich am meisten verunsichert fühle durch das, was mir widerfahren ist, weil ich als Frau geboren bin? Es ist in der Tat die Sprache, an die sich der Tod heftet, dessen Keim man mir einpflanzen wollte. Wenn ich reden will und wenn ich existieren will, dann wird das gegen die Sprache des Mannes sein, .der mich zunichte gemacht hat. Ich habe diesen berühmten Männer-Satz niemals vergessen: »Falls die Frauen irgend etwas wissen, hat dann die Psychoanalyse irgend etwas mit dem zu tun, was sie wissen könnten?«[6]
Ist die große panische Furcht des Mannes gegenüber der Frau etwa darin zu suchen, daß »sie« auf den gleichen Gebieten das Wort ergreifen könnte wie er? Und die Psychoanalyse ist, weiß Gott, ein besonders männlicher Bereich , in dem man es sich ohne weiteres erlaubt, von einer Weiblichkeit zu sprechen, die mit der Frau oft überhaupt nichts zu tun hat ... Kann die Sprache des Mannes etwas anderes sein. als Exekution und Ausschluß der Frau-»Mutter<? Erinnern wir uns nur an den Satz Lacans: »Die Frau, das kann man nur schreiben, wenn man das Die durchstreicht.« Eine Sprache, die die Frau ausstreicht, sie ablehnt, sie als weiblichen Bezugspunkt beiseite schiebt, entfernt sich immer weiter von dem, was an die »Mutter< erinnern kann. Die Lacansche Sprache ist beispielhaft für die männliche Sprache, sie ist der Fluchtbereich, weit weg von derjenigen, die die Erinnerung an eine andere wachrufen könnte. Ihm können nur die folgen, die ihre Seele in der Garderobe abgegeben und ihr Empfinden für die Mutter in einem Holocaust geopfert haben: die Lacansche Sprache ist typisch für einen antiweiblichen Diskurs (selbst wenn gewisse Frauen die Herausforderung, ihn zu benutzen, angenommen haben), denn Ziel und Zweck dieser Sprache ist es, Körper und Gefühle fernzuhalten, und sei es nur durch die esoterische Form dieser Sprache.
Was sagen demgegenüber denn die »Neuen Frauen«, die jede Spaltung zwischen der lebenden Sprache und der Abstraktion so ganz und gar ablehnen; doch nur, daß ihre eigene Sprache den Körper einschließt und die Gefühle beibehält, ohne daß sie dabei die intellektuelle Abstraktion vernachlässigen... Sie sagen, daß diese Körper-Geist-Trennung im Diskurs daher kommt, daß der Mann die fixe Idee hat, vor allem fliehen zu müssen, was ihm als Teil einer Welt erscheint, die er als weiblich erlebt hat.
Die Feministinnen betonen, daß die »Kastration« nicht ihre Sache sei ... und daß sie entschlossen seien, von allem zu sprechen und auf jede denkbare Weise! Tabuiserte Themen werden wiederaufgenommen, die unerlaubten Worte sollen ausgesprochen werden. Die Frauen sind dabei, die Verbote aufzuheben, die ihnen auferlegt waren, denn sie sind sich klar darüber, daß es der Mann war, der all diese Barrieren errichtet hat, um die »Hexe« besser einzuschließen.
Da sie aufhören, sich an das Gesetz des »anderen« zu halten, sind die Frauen dabei, aus der Hysterie herauszuwachsen, aufzutauchen aus der Entfremdung: ihre Sprache ist nicht mehr durch die Form weiblich, sondern sie wird es vom Grunde her. Bis jetzt war eine Frau durch das Äußere Frau, durch ihre Redeweise, die sich in eine gewisse Form kleiden und auf gewisse Themen beschränken mußte.
Die Feministinnen weisen die Idee weit von sich, sich durch das Äußere zu definieren. Sie verzichten also auf das »hysterlsche« Verhalten als Lebensform, was für das Verständnis der neuen weiblichen Sprache sehr wichtig ist: sie spricht vom Innern und nicht mehr vom Äußern, und deshalb erreicht sie uns in unserem eigenen Herzen, in unserem eigenen Innern. Die neue Ausdrucksweise der Frauen hat etwas Faszinierendes, Berauschendes, etwas vom Weg in grenzenlose Weiten, von Freiheit, vom Davonfliegen. Nach der √úber-Kastration des Wortes ist das jetzt die Anti-Kastration ... Zunächst haben die Frauen das Bedürfnis, allem zu entfliehen, um dann aber doch ihre eigenen Grenzen zu suchen, die nicht mehr die vom Mann gesteckten sein werden.
Es amüsiert mich zum Beispiel ungeheuer, den Mann auf seinen Neid (auf die Gebärmutter), auf seinen Uterusneid[7] zu verweisen, den Mann, der mit meinem vermeintlichen Penisneid so viel Unheil angerichtet hat. Es macht mir Spaß zu sagen, was ich von ihm weiß, während ich bis jetzt nur hörte, was er über mich sagte... Man redete immer von unserer Frigidität, die beinahe ein fester Programmpunkt war, und jetzt entdecke ich, daß sie von ihrer Impotenz geplagt werden, als dem unauslöschbaren Überrest ihrer Furcht vor der Mutter/Frau. Warum es dann nicht einfach offen sagen? Weil die Erinnerung an Jokaste in uns beiden lebendig ist, im Mann ebenso wie in der Frau. Um das Begehren des anderen zu erfüllen, taugen wir nämlich doch nicht so sehr viel, weder die einen noch die anderen.
Der große Unterschied zwischen meiner Sprache und der des Mannes ist, daß die meine da ist, um aufgenommen, erfahren zu werden, um eine Verbindung mit dem »anderen« zu schaffen, während die seine mich immer hat flüchten lassen, mich immer auf Abstand gehalten hat. Mich, die ich doch einen solchen Schrecken vor dem Abstand hatte ... Und wenn man mich fragt, ob es nicht einen männlichen Psychoanalytiker gibt, der versucht hätte, Neulingen die unbewußten Probleme des Paares zugänglich zu machen, habe ich jedesmal Lust zu lachen. Ich meine nämlich, daß der Mann sich nur in der Distanz wohl fühlt, insbesondere gegenüber den Frauen, und daß jede Annäherung meinerseits als unrechtmäßige Besitzergreifung, jeder Versuch, meine Existenz geltend zu machen, von ihm als kastrierend empfunden wird.
Natürlich, bedroht denn nicht jede Existenz des einen diejenige des anderen? Sartre hat gesagt: »Die Hölle, das sind die anderen.« Ja, wir sind Hölle und Paradies für einander; das Schlimme ist nur, daß die Männer (von den Dichtern einmal abgesehen) die Frauen eher als Hölle sehen denn als Paradies. Ist das berühmte »Ich bete die Frauen an« nicht das offene Eingeständnis einer Vergötterung, die ohne dieses Bild nicht denkbar wäre?
Fängt nicht jede Frau, die kein Paradies für ihren Mann ist (also eine, die sich frigide gibt), damit an, aus der Hölle herauszukommen, in der er sie hielt? Nimmt sie sich denn nicht zunächst ihren Teil an Freiheit und an »Leben«, bevor sie jenen anderen Teil (den Penis) »lebt«?[8] Es gibt also wohl doch eine Verbindung zwischen der Existenz und der Lust, und falls der Mann uns wirklich »lustvoll« will, wird er uns als »existierend« akzeptieren müssen. Es ist kein Zufall, daß sich die Frauen die Frage nach, ihrer Lust stellen, wenn sie eine gewisse Macht erlangen und. das Wort ergreifen.
Sie begreifen, daß sie dadurch, daß sie ihre Entfremdung in einer gesellschaftlichen und familiären Rolle akzeptiert haben, sich auch ihrer ursprünglichen Sexualität entfremdet haben, um aus ihr die vom Mann erwartete zu machen.
Um den in ihrer Jugend erlebten Mangel an »Anerkennung« von seiten des Mannes wettzumachen, stürzen sich die Frauen als Erwachsene vor den Spiegel, den der Mann in Händen hält. Die Frau sieht indessen nicht ihr Bild, sondern das, das der Mann von ihr hat. Jokaste hat dem Herzen des Mannes ihre untilgbare Spur aufgeprägt, denn dieser Spiegel enthält nur das Bild einer »toten« Frau.
Auf die hysterische, nicht beantwortbare Frage an ihn also eine verrückte, an der Wahrheit vorbeigehende Antwort. Wer irrt mehr, diejenige, die fragt oder derjenige, der antwortet? Auf jeden Fall sprechen beide auf eine Weise, die durch die Mißgeschicke mit Jokaste verformt ist.
Es gibt beim Mann aufgrund seiner persönliichen Lebensgeschichte nicht einen Reflex, den wir finden könnten, der nicht demütigend, ja abtötend wäre. Den Teil der Sprache zu akzeptieren, den er uns zubilligt, hieße das »Schweigen< akzeptieren (wie es mir einmal ein Analytiker so schön gesagt hat). Das werden, was der »andere« will, das wir sein sollen, das ausdrücken, was »er< denkt: gibt es einen schlimmeren Tod? Der Mann ist nicht geschaffen, Leben zu spenden, selbst wenn die Frau einer Geburt zuliebe bei ihm Zuflucht sucht. Er wird nur eine Totgeburt zur Welt bringen.
»Ich bin mir selbst immer im Weg gewesen«, sagte mir eine Frau dieser Tage. ja, das ist in der Tat das, was die Frauen sich antun. Von dem vom Mann hingehaltenen Spiegel ausgehend, kann die Frau nur mit Hilfe des Antiweiblichen weiterkommen, und »die geliebte Lügnerin«[9] weiß das sehr genau, aber sie zieht es vor zu lügen, statt zu »sterben« ... Einmal mehr zahlt die Frau ihren Tribut an Jokaste. Sie hat den Tod empfangen, während sie das Leben suchte. Schreibt doch Annie Leclerc: »Die einzige Sache, die ihr Männer von uns Frauen mit wirklichem Nachdruck immer wieder verlangt, ist, zu schweigen. Man kann wahrhaftig kaum mehr verlangen; darüber hinaus gibt es nur noch den Tod, deti man verlangen könnte.«[10]
Durch das Wort des Mannes ins Leben treten heißt, den Zugang zu dem verlieren, was unsere Existenz hätte sein können, heißt, auf immer und ewig mit unserem Verschwinden in der seinen unterzugehen. Präsentiert uns Montherlant, dieser notorische Anti-Feminist, die Frau nicht als Schmetterling, der kommt, um sich an der Flamme des Mannes unrettbar seine Flügel zu verbrennen? Läßt er nicht uns in die tote Königin sagen: »Der Tag, an dem ich ihn. kennenlernte, ist wie der Tag, an dem ich geboren bin«, und läßt er nicht durch König Ferrante antworten: »Alle Frauen flattern - ich habe es beobachtet - hartnäckig um den, der sie verbrennen muß.«[11]
Es geht hier um den Lebenswillen der Frau gegen die Todeswünsche des Mannes, die er ihr gegenüber hegt. Inès findet denn auch bei dem den Tod, bei dem sie ihr Dasein suchte.
Sucht die Frau nicht dennoch unverändert die Existenz bei dem, der sie ihr nur verweigern kann? Und trifft sie schließlich auf diesen so ersehnten, so idealisierten Mann nicht nur, damit er ihr die Unerfüllbarkeit ihrer Forderung durch ihn, einen Mann, verdeutlicht?
Ist es nicht verrückt, bei ihm das zu suchen, was wir mit der Frau/Mutter nicht gefunden haben? Von wo kann er ihr denn antworten, ihr, die ihn für die Absicherung ihres physischen und geistigen Daseins hält? Er antwortet ihr von der Höhe seiner »Festung« herab, die er zwischen der Frau und sich zu errichten gelernt hat. Er hat beschlossen, jener nichts mehr zu geben, die ihm allzuviel genommen hat, als er klein und zu schwach war, um sich zu wehren ... Nun ja, da ist sie, sie, die sich selbst zur Gefangenen macht, die jetzt ihrerseits die Schrecken der Geburt durch das andere Geschlecht erlebt. Sie will den Ödipus, sie wird ihn bekommen, und sogar über ihre Hoffnungen hinaus. Die Frau ist nicht bereit, sich aus diesem Ödipus zu lösen. Sie will »dem anderen gefallen«, und sie wird das erreichen, indem sie sich vollkommen versklavt. Sie wird all das erfahren, was der kleine Junge damals erlebt hat. Sie wird begehrt sein, aber angekettet. Unter der drohenden Strafe der Zurückweisung wird sie sich der Erpressung beugen; mit einem Wort, die Frau wird in ihrer Beziehung zum Mann all dem begegnen, worunter der kleine Junge in der Beziehung zu seiner Mutter zu leiden hatte.
Ja, er liebt sie, aber indem er sie »vorbestimmt«, ja, er akzeptiert sie, aber nur wenn sie ihm »folgt«, er beschützt sie, aber nur wenn sie »auf jede Freiheit verzichtet«, und schließlich »betrügt« er sie, weil seine eigene Mutter ihn doch mit dem Vater betrogen hat. Die Abrechnung des Mannes ist voll im Gange, und der Ödipus der Frau wird die Kosten tragen. Von, dem Moment an, in dem sie Frau sein wird, wird sie nicht mehr aufhören, den Ödipus zu leben, der dem Mädchen so sehr gefehlt hat. Aber was für einen Ödipus! Mit welch einem Vater! Denn der Mann hat es verlernt, die Worte zusammenzusetzen, die Verben zu konjugieren, die einen liebevollen Satz ergeben. Und hilflos vor der Forderung derjenigen, die er liebt (zu lieben glaubt), sagt er zu ihr: »Was möchtest du denn nur, das ich dir sage?« Er weiß wirklich nicht, was er ihr sagen. soll, denn er hat ja vor allem anderen gelernt, sich gegen sie zu wehren.
Im übrigen fällt es ihm sichtlich leichter, ihr unangenehme Dinge zu sagen als angenehme. Das haben jedenfalls viele Männer im Laufe ihrer Analyse so ausgesprochen:
»Sie möchte, daß ich ihr sage, daß ich sie liebe, ich kann es aber nicht sagen, wegen der Distanz, die ich zu ihr brauche ...«
Wer sollte ihnen das verübeln? Wer wollte ihnen vorwerfen, Jokaste keine Geschenke mehr machen zu können? Sie können einer Frau keine Freude mehr bereiten, ohne sich an die Lust zu erinnern, die ihre Mutter aus ihnen gezogen hat.
Im Namen der »Mutter« wird die Schwiegertochter der Worte beraubt werden. Es ist ja im übrigen. bekannt: Die Männer finden keine Worte, weder für die eine noch für die andere, und sie erweisen sich als unfähig, bei Schwiegermutter-Schwiegertochter-Konflikten einzugreifen. Sie schweigen, da sie nicht die Worte finden, um eine Wahl auszudrücken, die ohnehin nie ganz klar ist: der Sohn, das Objekt der »Mutter«, das sich gegen seine »Frau« verteidigt. indem er die meldet, die er täglich sieht, bleibt er stecken in der Abrechnung mit derjenigen, die er nicht mehr sieht. Zwischen ihren Müttern und ihren Frauen wissen die Männer nicht mehr, an welchen Busen sie sich flüchten sollen.
Es sind die Männer, die die sozialen Ungleichheiten aufrechterhalten, unter denen die Frauen leiden. Im Namen ihrer Kindheit, die es immer wieder zu rächen gilt, halten sie an ihnen fest: sie waren als Jungen Gegenstand der Lust für ihre Mutter, die Frauen werden für sie »Ware« sein.[12]
Seit einiger Zeit hören die Frauen interessanterweise auf, gegen die männliche Festung anzurennen, und sie beginnen, sich untereinander zu befragen, miteinander zu reden, als hätten sie endlich begriffen, daß die Antwort des Mannes nur ein Köder sein kann oder noch Schlimmeres. Sie geben einander Antworten, sie überwinden die vom Mann geschaffene, gefährliche weibliche Konkurrenz, und sie entdecken endlich die so sehr gesuchte Gleichheit, die sie seit der frühesten Kindheit verloren hatten.
In der erwachsenen Frau findet jede andere Frau den wahren Spiegel, der weder eine Hexe noch eine Kokotte, noch eine Verschlingende zeigt, sondern eine ihr gleichende Frau, und das im Anfang wegen der Ungleichheit der Mutter/Tochter-Körper fehlende Gefühl der Gleichgeschlechtlichkeit findet sich dort. Aber nach wie vielen Irrwegen und vor allem nach wieviel leidvoller Erfahrung für das Mädchen, das sich den Mann als gute Mutter vorstellte, während der »ödipale« Mann, auf den es traf, sein schlimmster Feind war!
Die Identität des Mannes beruhte Jahrhundertelang auf der Gegenidentifikation zur Frau, die auf eine mütterliche Stereotype reduziert war und als solche in ganz bestimmten Bereichen und Ausdrucksformen im sozialen Gefüge festgeschrieben ist. Dagegen scheint sich die Identität der Frauen durch das Bewußtwerden der gemeinsamen Versklavung und des Schweigens gegenüber dem Mann zu bilden. Das bisherige einverständliche Schweigen verwandelt sich in die Sprache der Opposition, und der Mann ist darüber erstaunt. Dabei kennt er die Sprache des Widerspruchs gegenüber der Macht der »anderen« sehr gut. Es scheint sogar, daß er der Frau gegenüber nur diese Sprache kennt.
Die Frauen haben es sehr schwer, die für ihre Identität so notwendige gleichgeschlechtliche Sprache zu schaffen, denn der Mann hat sie, als das »schöne Objekt«, so sehr gegeneinander dressiert, daß jede Frau für die andere eine gefährliche Konkurrentin geworden ist. Die Feministinnen haben das gut verstanden, die als erstes verlangen, daß diese schreckliche Komödie, das »Dem-Manne-Gefallen«, aufhört, damit sich eine neue Beziehung unter den Frauen bilden kann. Eine Beziehung frei von Haß und Vergleich; damit endlich eine wirkliche Sprache der Frauen entsteht und das Geschwätz über das, was dem Mann gefällt, aufhört.
Kann die Frau nur von einer anderen Frau geboren werden, die nicht ihre Mutter ist? Kann nur ein Körper, der dem gleich ist, narzißtischer Spiegel sein? Ist das die vom jungen Mädchen beim Übergang zur Adoleszenz durchlebte Dialektik, als es seinen Körper dem der Mutter ähnlich werden sah? Ja, aber der Krieg zwischen den beiden war schon ausgebrochen und die Gleichgeschlechtlichkeit seit langem abgelehnt. Machen die Frauen in den ferministischen Bewegungen etwas anderes, als sich gegenseitig anzuerkennen und zu verzichten auf den »entfremdenden Dritten«, den Mann, Sohn von Jokaste?
Wir kommen endlich zu dieser neuen Sprache, die vielleicht nichts mehr von dem an sich haben wird, was der Mann für uns als weiblich vorgesehen hatte; vielleicht werden wir nicht mehr über die Küche reden, über Kleider oder Babys. Wer weiß? Wir brauchen Zeit, um uns von all dem zu lösen, was man uns jahrhundertelang eingetrichtert hat. Wir brauchen Zeit, uns an unsere Freiheit zu gewöhnen, Zeit, um unseren Weg zu bestimmen, denn bis jetzt war unser Weg der der Reproduktion. Was werden wir produzieren, wenn Produktion und Reproduktion sich in unserem Kopf voneinander unterscheiden werden? Wann wird unsere Sprache nicht mehr mit unserem Geschlecht identifiziert werden, wie werden wir dann reden?
Im Namen unseres Geschlechts hatte man uns Themen und Ausdrucksweisen zugewiesen. Es genügt, eine Zeitung aufzuschlagen, um festzustellen, daß die Veränderung noch kommen muß und daß die Stereotypen, der Mann »stark« und die Frau »Körper, geschaffen, um zu gefallen«, »immer noch da sind. Unsere Sprache ist sexistisch., sogar unser Konsum ist sexistisch (Parfums für Frauen, Parfums für Männer, Uhren für Frauen, Uhren für Männer usw.). Wer wird es wagen, die Bastion des Konsums anzutasten, in. dem die Hauptverbraucherin die Frau ist, die ihrem »Bild von der Frau« nachrennt? Dies alles kann sich nicht von heute auf morgen verändern. Der Mann versucht, Zeit zu gewinnen, aber er befürchtet, daß der Teil seines Selbst, den er ihr anvertraut und auf den er verzichtet hatte, ihm von der Frau nicht mehr entgegengebracht werden wird. Er hat Angst, ohne Gefühle, ohne Worte der Liebe leben zu müssen, da er sie alle vergessen hat. Er hat Angst, in eine ausschließlich männliche Welt zu geraten, denn seine Weiblichkeit, seine Empfindsamkeit, seinen Wunsch, zu gefallen, alles hat er in der Garderobe abgegeben. Wenn wir unsere Identität überdenken, wird er gezwungen sein, die seine zu überdenken. Das ist genau das, was ihn am Feminismus so stört. Im Augenblick ist er nur dabei, zu spotten. Aber er weiß, daß er eine so umfassende Bewegung nicht aufhalten kann und daß auch er gezwungen sein wird, Inventur zu machen. Er wird all das auflisten müssen, was er auf seinem Weg seit der Geschichte mit Jokaste verloren hat. »Denn er ist ein Mann geworden, das heißt ein Zerrbild dessen, was er war.«[13]
Während unsere Sprache die Farbe und die Frische der präödipalen Kindheit beibehalten konnte, ist die des Mannes unter das Skalpell der ödipalen Untersagung geraten, das sie jeder affektiven Färbung beraubte. Die für den Jungen so einschneidende Liebe zur Mutter ist letztendlich eine »gesperrte« Liebe, und das männliche Kind sieht sich gezwungen, das mütterliche Reich zu verlassen, nicht nur mit aggressivem Verhalten, wie wir schon gesehen haben, sondern auch mit Hilfe der Sprache. Kälte, Logik, Schweigen die Abwesenheit von Gefühl und Emotionen, das ist die männliche Sprache nach dem ödipalen Gesetz.
Der Mann bemüht sich, so »kalt« zu sein, wie er uns »warm« haben will. Was hat es mit dieser Aufteilung der Gefühle je nach Geschlecht auf sich? Was ist mit diesem Geschlecht, das auf unsere ganze Person übergreift? Reichen die sexuellen Unterschiede unserer Körper für die Unterscheidung denn nicht aus? Müssen auch noch Unterschiede in unserer Gedanken-und Gefühlswelt hinzugefügt werden? Muß es sein, daß die Gedanken sich mehr und mehr voneinander entfernen, wenn die Geschlechter versuchen, sich im sexuellen Akt wiederzufinden? Müssen wir in unserem Bestreben, die Vollkommenheit des ursprünglichen Geschlechts wiederzufinden (Platon), die Unvollkommenheit des in zwei Teile geteilten Geistes hinnehmen, verteilt auf ein männliches und ein weibliches Wesen? Wir haben doch jeder nur die Hälfte des Geschlechts mitbekommen, dürfen wir dann auch nur die Hälfte der Sprache haben?
Diese Aufteilung der Werte, der Rollen und der Sprache nach dem Geschlecht vertieft nur den Unterschied, und statt uns zu Verbündeten zu machen, dient sie uns meistens nur als Abschreckung. Wir verstehen einander nicht mehr. Hört man nicht gelegentlich Beleidigungen wie: »Finden Sie nicht, daß Sie wie eine Frau reden« (von einem Mann) oder »Drücken Sie sich da nicht wie ein Mann aus« (von einer Frau)? Falls wir ebenso viel mit dem Vater wie mit der Mutter hätten reden können, als wir klein waren, hätten die weibliche Sprache oder die weiblichen Emotionen nicht die einzigen Bezugspunkte werden können, die es zu reproduzieren oder zu vermeiden galt, und vielleicht gäbe es keinen Krieg der Worte.
Es ist der Zwang, die Mutter zu verlassen, der den Jungen in eine von Affekten entleerte Sprache eingesperrt hat; wenn sein Ödipus nicht über die Ablehnung der Mutter gegangen wäre, hätte die Sprache nicht sexistisch werden müssen ...
Der Mann muß aufhören, seine Abrechnung mit der Mutter auf unserem Rücken auszutragen, und wir, die Frauen,
müssen aufhören, unser Geschlecht überall da zur Geltung zu bringen, wo es nicht hingehört ... Beide verlieren wir da, wo wir zu gewinnen glauben... Ohne daß wir es wollen, verraten uns unsere Worte, sie dienen uns in einem Krieg, der aus unserer Zeit in der Wiege stammt. Der Mann ist aber ebenso wenig verantwortlich für seine ödipale Geschichte wie wir für unser präödipales Drama: beide sind das Ergebnis einer patriarchalischen Gesellschaft, in der die Herrschaft der Mutter während der Kindheit beim Mann den Haß auf alles Weibliche erzeugte und bei der Frau den Respekt für alles Männliche. Wir sollten Ödipus das Recht zugestehen zu sagen:
»Meine Werke sind weit eher ja gelitten als getan.«[14]
Und für Jokaste das Recht zu fragen:
»Die Liebe, nichts als die Liebe,
den lieben, der der Tod ist?
Er gibt dir nichts, er, der dir alles nimmt,
mir hat er alles genommen; alles gegeben; alles wieder genommen.«[15]
Werden wir uns erst mit jahrhundertelanger Verspätung darüber klar, was mit uns einfach nur deshalb geschieht, weil wir als Mann oder als Frau geboren werden? Vielleicht werden wir uns eines Tages gegenseitig unsere so merkwürdig verworrene, auf so verschiedene Weise entfremdete Geschichte erzählen können. Bei der Entwicklung ihrer Sprache gehen das Mädchen und der Junge in der Tat nicht den gleichen Weg, obwohl diejenige, mit der sie die Sprache lernen, dieselbe ist, die »Mutter«. Das Mädchen verirrt sich ein erstes Mal in der Kindheit, wenn es, weil es keine eigene Sexualität hat, das Verhalten und die Sprache der Mutter übernimmt: Es spricht »wie eine echte kleine Frau«, oder es redet »wie ein Buch«, Mit der Sprache überbrückt es, zumindest dem. Anschein nach, den enormen Abstand, der es von der Frau trennt, als die es sich nicht fühlen kann: mit seiner Sprache, wie mit seiner ganzen übrigen Person, beugt sich das Mädchen während dieser Zeit dem für weiblich erklärten Gesetz des Verführens: Ein Mädchen gebraucht keine groben Worte, es zeigt sich sanft, artig, weniger wild als ein Junge,[16] es begreift bereits zu der Zeit, wie es sein muß, um zu gefallen, anstatt sich zu zeigen, wie es ist. Wie oft hat man mir nicht gesagt, weil ich ein Mädchen war: »oh, Christiane, was für schmutzige Worte in einem so kleinen Mund!« Zweifellos hatte ich für einen Moment das Verhältnis zwischen meiner Existenz und meiner Erscheinung vergessen.
Späterhin, wenn die Pubertät einsetzt, wird das Mädchen ein zweites Mal in die Irre geführt, diesmal aber vom Mann, der es auf die weiblichen Themen festlegen wird, die es kennen muß, wenn es gefallen will. Es wird die Liebe sein, der Körper, die Schönheit, letztlich alles, was sich auf die Lust bezieht. Und der Körper wird und bleibt also das von den Frauen am liebsten angesprochene Thema: der Körper, der durch. seine Schönheit gefällt, oder der Körper, der mit seinen Krankheiten beunruhigt, egal, was: der Körper ist das den Frauen in der Ordnung des Mannes auferlegte Thema.
In dem Moment, in dem sie das Wort ergreift, hat die Frau Angst, sich einerseits nicht der erwünschten Worte (der als weiblich erklärten) zu bedienen und andererseits sich von den erlaubten Themen zu entfernen. Meistens sagt sie, sie habe nicht die Worte, um sich auszudrücken (die Worte sind ja auch nicht die ihren, sondern die, die man der Frau, die sie ja ist, auferlegt hat), und sie hat Angst, daß sie nicht mehr als »Frau« angesehen wird, wenn sie nicht die Worte ihres Geschlechts benutzt. Sie hat Angst zu mißfallen. Körper Worte - Geschlecht, alles verknäult sich in ihrem Kopf, so wie man es für sie verwirrt hat, als sie klein war, und sie erweist sich als unfähig, sich dieser Wirrnis zu entziehen. Sie spricht mit ihrem Körper (sagt man von der Frau), oder sie spricht wegen ihres Körpers nicht: »Sobald ich vor einem Mann stehe, werde ich dumm, habe keine Ideen mehr. Ich kann nicht mal mehr richtig antworten, ich schäme mich meiner Dummheit, mein Kopf arbeitet nicht mehr, ich bin nur noch Körper«, sagte mir neulich eine Frau. Körper als Sperre, Körper als Gefängnis des Geistes, Körper als Objekt des physischen Begehrens, der die Frau hindert, sich als »Subjekt« geltend zu machen.
Auch der Junge entwickelt seine Sprache mit der Mutter, aber auf eine ganz andere Weise. Um dem Ödipus und dem und dem Begehren der Mutter zu entkommen, wird der Junge alles ablehnen, was seinen Körper betrifft. Der Körper war der Anziehungspunkt für die Mutter, er stand für alles, was das Gefühlsleben betrifft, mit dem sie ihn allzusehr umgeben, ja erstickt hatte. Mit ein und derselben Anstrengung wird der Junge gewisse Themen, vermeiden und eine von Gefühlsäußerungen entkleidete Sprache wählen.
Da haben wir also den Mann, auf einmal ohne Beziehung zum Körper und ohne Gefühl für affektive Worte, »er hat beinahe nichts mehr zu sagen«, außer unverbindlichen Banalitäten. Die männliche Sprache, oder die dazu erklärte, ist ein Sprachbruch, ist eine Sprachsperre gegenüber der Mutter und ihren Emotionen. Der Mann versagt sich das Weinen, die Gemütsbewegungen, auch er ist eingesperrt, aber in der Härte gegenüber der Mutter, im Widerstand gegen die Zärtlichkeit, die früher zwischen ihnen bestanden hat.
Der Mann ergreift leicht das Wort oder die Feder, denn er riskiert ja nichts, da er nie mehr von sich spricht, sondern von Dingen außerhalb seiner selbst. Berührt uns das, was er sagt? Selten, denn er spricht nie das an, was in uns empfindungsfähig ist, sondern das, was logisch ist.
Ein Mann sagte mir etwas Erstaunliches:
»Ich fühle mich zweigeteilt, auf der einen Seite ist da mein Körper, der mir nicht gehört (ich habe ihn verschenkt an meine Mutter, an meine Frau), und dann ist da mein Kopf, der sich nur für mich alleine dreht, mit 100 000 Umdrehungen pro Minute.«
Es ist ganz deutlich: Eben noch hat eine Frau zu mir über ihren ständig anwesenden Körper (allgegenwärtiger Körper, der jeden Zugang zur Sublimierung versperrt) und von ihrem abwesenden Kopf gesprochen, und, dann erzählt mir ein Mann von seinem abwesenden Körper und von seinem Kopf, der sich nur für ihn dreht (Sublimierung, die den ganzen libidinösen Bereich besetzt und für den Körper keinen Platz läßt). Eine entgegengesetzte Entwicklung des Mannes und der Frau in bezug auf die gleiche »Mutter«, eine Entwicklung, die beiden oft den Eindruck gibt, himmelweit voneinander entfernt zu sein. Was für Dinge bilden und lösen sich wieder in diesem Körper, in diesem Kopf! Wegen einer Frau.
Wer könnte die schreckliche Jokaste daraus entfernen, oder wenigstens ihre Wirkung mildern, wenn nicht ihr Mann Laios, der verschwundene Vater? Man müßte ihn wiederbeleben können, ihn in seinen Palast zu seinen Kindern zurückführen. Der Platz des »Vaters« sollte überall dort sein, wo auch sein Kind ist: im Kinderzimmer, im Badezimmer, in der Küche, im Kindergarten, beim, Spielen. Überall dort, wo die Frauen herrschen, müssen die Männer gleichberechtigt an ihrer Seite sein, wenn wir Kinder sehen wollen, deren Sexualisierung nicht zwangsläufig auf eine Parteinahme für oder gegen die Frau hinausläuft.
Die Feministinnen haben erkannt, daß die Frau in der Sprache unablässig als negativer Bezugspunkt für den Mann herhalten muß, wenn er spricht, selbst wenn er sich an »sie« wendet. Die Männer tun das unbewußt, ohne es überhaupt zu merken, und die Frauen sind entschlossen, ihnen diesen Kampf auf der Ebene der Worte bewußt zu machen. Und ich habe es übernommen, aufzuzeigen, daß der Mann, der von Frauen großgezogen ist, »ihnen« gegenüber nur eine defensive oder aggressive Sprache haben kann!
Weiß denn der Analytiker nicht besser als jeder andere, daß es sich dabei um eine »Geschichte« handelt, die nur von einer anderen ausgelöscht werden kann? Insbesondere diese hier, die in seinem Konsultationszimmer zur Sprache kommt? Wir sehen doch, wie der Mann in der Analyse nach und nach den gefühlsmäßigen Teil seines Selbst wieder zurückgewinnt, den er damals aufgegeben hat, und wie seine Starrheit einer neuen Wärme und Nachgiebigkeit Platz macht, eine Entwicklung, die nicht zwangsläufig über die Opposition gegen die Frau führt.
Erleben wir die Geburt einer »anderen« Frau? Einer Frau, die beginnt, aus sich selbst heraus zu existieren, ohne daß sie um eine Identität bitten muß, weil da niemand mehr ist, der sie ihr streitig macht? Nämlich dann, wenn sie aufgehört hat, sich von der Überlegenheit der Mutter erdrücken zu lassen oder sich dem Begehren des Mannes zu unterwerfen.
Anstatt die √úberlebenden des Ödipus einen nach dem anderen zu analysieren, muß man sich fragen, ob dieser Ödipus nicht anders gestaltet werden könnte, damit er nicht immer nur in einen Krieg der Geschlechter und der Worte mündet.