Alternativen zur Kleinfamilienerziehung?

Frauengruppe Kinderhaus

»Das machen wir anders«
Viele Mütter kennen das Problem: »Wo soll ich mein Kind lassen, während ich arbeite?«
Auch wir standen vor dieser Frage. Unsere Kinder waren bei Tages- und Großmüttern, in städtischen und kirchlichen Einrichtungen mehr schlecht als recht untergebracht - von der großen Zahl der Schlüsselkinder gar nicht zu sprechen. Deshalb suchten wir nach einer Alternative. So entstand Ende 1975 die Idee »Kinderhaus«. Wir - das waren einige wenige Eltern und Erzieher, die die Vorstellung von einem Projekt mit vielen guten Angeboten für große und kleine Kinder, mit Bibliothek, Werkraum, Kuschelecken, ausreichend Platz und genügend Erziehern entwickelten. Und wir hatten das Glück, daß uns eine kleine Erbschaft zur Verfügung stand, die eigens dazu bestimmt war, davon ein Kinderhaus zu gründen.
Im Februar 1976 packten wir die Sache an: Wir gründeten den Verein »Kinderhaus e.V. in der Heinrichstraße«, suchten Räume und fanden 500 qm über einem Supermarkt. Schon damals ging der kleine Kreis an die Öffentlichkeit und warb für seine Idee. Mit den neu hinzugewonnenen Interessenten begannen wir die Planung von Umbau und Einrichtung. Mit Bauzeichnungen und Inventarlisten gingen wir zur Jugendbehörde und beantragten Zuschüsse. Gleichzeitig legten wir los: In mehr als ein Dutzend Projektgruppen, unter Anleitung von Spezialistinnen und Fachmännern, teilten wir die verschiedenen Arbeiten auf: Bänke und Garderoben bauen, Sanitär- und Küchenanlagen installieren, Wände ziehen und einreißen, Regale und Schränke fertigen, Geld- und Materialspenden heranholen usw. Auch für uns war es damals keine Selbstverständlichkeit, daß Frauen die >Leitung< in Projektgruppen hatten. Frauen lernten Kacheln und Schweißen, elektrische Leitungen verlegen - bald beherrschten Frauen ihre neuen Arbeiten besser als das Gros der Männer. Auch Männer besorgten und kochten Essen, machten den Abwasch. So haben wir in diesen vier Monaten nicht nur einen attraktiven Kindergarten eingerichtet, sondern gleichzeitig mit Vorurteilen bei Mann und Frau aufgeräumt. Diese Wochen waren besonders für uns Frauen eine wichtige Erfahrung, die gewissermaßen Kampfmoral und Selbstbewußtsein brachte - Tugenden, derer wir später sehr bedurften.
Unsere Kinder wurden in dieser Zeit gemeinschaftlich betreut. Im Juli '76 erhielten wir die Betriebserlaubnis, ab sofort 60 Kinder im Alter von 3 bis 15 Jahren in diesen Räumen ganztags zu betreuen. Für die 4 Kindergruppen stellten wir Erzieher und Erzieherinnen ein, um endgültig am 2. August zu eröffnen. Nach den großen Anstrengungen in den vergangenen Monaten - viele von uns hatten z. B. ihren Jahresurlaub für »ihr« Kinderhaus gegeben - waren wir jetzt alle überzeugt, daß die Mühe sich gelohnt hatte. Der »Hammer« traf uns nach mehreren Wochen Arbeit mit 43 Kindern im Kinderhaus: Die Behörde lehnte jegliche Bezuschussung für das Kinderhaus mit der Begründung ab, es bestände kein Bedarf an dieser Kindergarteneinrichtung. Daran hat sich bis heute nichts geändert, auch wenn die Begründungen »ehrlicher« geworden sind und der politische Hintergrund für die Ablehnung deutlicher wurde.[1]
Mit seinem 3. Geburtstag im August 1978 hat sich das Kinderhaus auf insgesamt 77 Kinder und 13 Erzieher erweitert, lang ist die Warteliste und der Kinderhaus e.V. hat heute über 1000 Mitglieder! Das Kinderhaus ist werktags von 7 bis 18 Uhr geöffnet, denn die Elternschaft besteht überwiegend aus Angestellten und Arbeitern.
Unser »pädagogisches Konzept für eine emanzipatorische Erziehung« haben wir in der Praxis entwickelt. Ziel dieser Erziehung ist die Emanzipation des Kindes und seiner Erzieher, die Überwindung von Wertvorstellungen, Normen und Verhaltensweisen, die in unserer Gesellschaft üblich sind und von der Ungleichheit des Kindes ausgehen. Wir wollen aber unsere Kinder zu selbstbewußten, kritikfähigen und gerechtigkeitsliebenden Menschen erziehen. Soziales Verhalten und politisches Denken sollen ebenso gefördert werden wie die individuellen Fähigkeiten des einzelnen.[2] Gleichzeitig bedeutet das für uns Eltern, bereit zu sein, mit unseren Kindern zu lernen, uns zu verändern und immer wieder für Kritik offen zu sein.

Gleichberechtigung zwischen Kindern und Erwachsenen
Die Kinder haben das Recht, den Erwachsenen zu widersprechen und alle Fragen, die sie betreffen, mitzuentscheiden. Im Kinderhaus gibt es wöchentlich eine Vollversammlung der Kinder, auf der Beschwerden eingebracht, gemeinsame Lösungsmöglichkeiten für anstehende Probleme gesucht und Regeln für das Zusammenleben im Kinderhaus aufgestellt werden. Besondere Bedeutung messen wir der ökonomischen Selbständigkeit der Kinder bei. Das traditionelle »Taschengeld« schränkt die Kinder ein, gewährt ihnen nicht die Bestreitung ihrer Bedürfnisse und macht sie abhängig von Gnade und Laune der Eltern. Nach zahlreichen Diskussionen beschlossen wir daher, daß unsere Kinder ein wesentlich höheres Monats-Taschengeld erhalten mit dem Recht, darüber allein zu verfügen. Das bedeutet nicht »sinnloses Verprassen«. Eine Finanzplanung, unterstützt von Müttern und Vätern bzw. den Erziehern, macht die Kinder im Umgang mit dem Geld sicher. So lernen sie, bei freier Verfügung finanziell zu haushalten.

Gleichberechtigung zwischen Mädchen und Jungen
Unsere eigene Erziehung und die in unserer Gesellschaft übliche Rollenverteilung bestimmen - wenn auch teilweise unbewußt - die Haltung, die wir zu unseren Kindern entwickeln. Wie oft hört man den Ausspruch: »Ein Junge weint doch nicht« und »Mädchen heiraten ja doch...«.Im Kinderhaus gibt es grundsätzlich keine geschlechtsspezifische Rollenerziehung. Die »Hausarbeit« im Kinderhaus wie Aufdecken, Tischabdecken, Saubermachen wird von allen Kindern geleistet. Trotzdem bedarf es immer wieder neuer Anstöße, um nicht in alte Verhaltensweisen zurückzufallen. So wurden z.B. Mädchen mit einer Wandzeitung aufgefordert, an dem typischen Jungenspiel Fußball teilzunehmen. Mittlerweile gehören mehrere Mädchen zu den »Stammspielern« der Kinderhaus-Fußballmannschaft. Aber auch die Situation der Mädchen in Arbeitsgrupppen und in den jeweiligen Kindergruppen machte besondere Anstrengungen nötig. Dazu kam unsere Erfahrung, daß der Verfestigung herkömmlichen Jungen- und Mädchenverhaltens durch die Schule organisiert entgegengearbeitet werden muß. So gründeten wir eine Mädchengruppe für die älteren Mädchen. Schon nach relativ kurzer Zeit war das Problembewußtsein dieser Mädchen für die eigene Situation gestärkt, z.B. konnte Eifersucht bezüglich Jungen untereinander abgebaut werden. Die Mädchen resignieren nicht mehr so leicht, wenn sie mit Vorschlägen und Wünschen in den Gruppen nicht im ersten Anlauf zum Ziel kommen. Zuerst in der Mädchengruppe und dann auch in den beiden Schulkindergruppen haben wir begonnen, uns mit der Lage der Frau in dieser Gesellschaft auseinanderzusetzen. Wir halten die Mädchengruppe für einen richtigen Schritt, die Ungleichheit der Mädchen gegenüber den Jungen aufzuheben.

Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern
Von Anfang an, schon vor Eröffnung des Kinderhauses, waren wir uns einig, daß wir im Kinderhaus die übliche Zurückhaltung der Männer in der Erziehungsarbeit überwinden wollen. Daß die Männer genauso wie die Frauen den monatlichen Putzdienst wahrzunehmen haben, wurde von allen akzeptiert. Anders war es mit der Beteiligung der Väter bzw. Freunde der Mütter an den Elternabenden. Für das 14tägliche Gesamtplenum der Eltern war das Erscheinen beider Bezugspersonen Pflicht. Doch nicht alle Erfolge aus der Aufbauphase waren von Dauer: Mehr und mehr führten Männer das Wort auf den Elternabenden, während gleichzeitig die Zahl der anwesenden Männer auf den Elternabenden zurückging. Reparaturen wurden wieder zusehends zur Männersache. Das war für 15 Frauen die Motivation, im Kinderhaus eine Frauengruppe zu gründen, deren Entstehungsgeschichte von der Filmautorin Christa Auch-Schwelk dokumentarisch festgehalten wurde.[3]
Die Frauengruppe hat 1978 zum zweiten Mal an dem jährlichen Basar der »Demokratische Friedens-Frauen-Initiative« teilgenommen. Ein Schwerpunkt unserer Arbeit ist das Thema »Frauen gegen Faschismus«. Besonders wichtig war für uns die Herstellung der »Kinderhaus-Frauenzeitung«, die als »Kinderhaus-Nachrichten Nr.7« (Vereinszeitung) mit einer Auflage von 3000 Exemplaren erschien. Den Vertrieb der Zeitung organisierte weitgehend die Frauengruppe. Seitdem gehören Artikel der Frauengruppe zu jeder Nummer der Vereinszeitung!
Der Fernsehfilm über unsere Frauengruppe war für uns der Anfang von regelmäßigen Filmveranstaltungen, die wir samstags nachmittags im Kinderhaus veranstalten. Auch Öffentlichkeitsarbeit ist ein fester Bestandteil unserer Arbeit geworden, z.B. im Rahmen der Hamburger Frauen-Aktionseinheit, in der Frauenkneipe, bei Frauenfesten usw.
Die Frauengruppe hat sich mehr und mehr mit der Pädagogik im Kinderhaus befaßt. Die beiden Erzieherinnen aus der Mädchengruppe sind auch in der Frauengruppe. Wir haben gemeinsam das Problem der Emanzipation von Mädchen diskutiert. Auf einem Wochenendseminar der Frauen- und Mädchengruppe haben wir anhand unserer eigenen, manchmal schon etwas in Vergessenheit geratenen Mädchenerfahrungen Themen wie Sexualität mit den Mädchen besprochen. Diese Diskussionen und das gemeinsame Spiel und der Spaß, den wir hatten, machten dieses Wochenende zu einem großen Erfolg.
Heute umfaßt die Kinderhaus-Frauengruppe fast 30 Frauen. Wir arbeiten in 2 Gruppen: die eine beschäftigt sich vorwiegend mit theoretischen Fragen der Frauenbewegung; die andere hat mehr den Ansatz, von den persönlichen Erfahrungen ausgehend, Frauenfragen zu behandeln. Beide Gruppen treffen sich  regelmäßig im Plenum,  auf dem sie sich gegenseitig ihre Arbeit darstellen und gemeinsam darüber diskutieren. Zu solchen Themen gehört auch die Vorbereitung eines Frauenfaschings im Frühjahr'79. Das persönliche Verhältnis unter den Frauen hat sich soweit entwickelt, daß wir uns in den verschiedensten Dingen gegenseitig unterstützen, auch in Fragen der Beziehungen zu Freunden und Ehemännern. Mehr und mehr, trotz Höhen und Tiefen, erreichen wir im Kinderhaus die
Emanzipation der Kinder, Frauen und auch Männer.

Lea Rosh
Service-Häuser

1.
- »Unsere Mütter mit ihren Kindern leben in einer Isolation, die zu Dauerspannungszuständen, zu nörgelnder Gereiztheit, zu Aggressionen und Depressionen führt.«
- »Immer mehr Frauen wollen frei entscheiden, ob sie Voll-Hausfrauen und Mutter sein möchten oder nach Geburt eines Kindes ihre beruflichen Tätigkeiten fortsetzen wollen.«
- »Staat und Gesellschaft dürfen die Familie und insbesondere die Mütter und ihre Kinder nicht mehr im Stich lassen.«
Das sagt Hilde Kratz, 70 Jahre alt, Mutter von vier Kindern, Großmutter von dreizehn Enkelkindern, Vorsitzende des Förderkreises Service-Haus e. V. Saarbrücken.
2.
Vor hundert Jahren, Ende 1878, schrieb August Bebel:
»Die Privatküche ist für Millionen Frauen eine der anstrengensten, zeitraubendsten und verschwenderischsten Einrichtungen, bei der ihnen Gesundheit und gute Laune abhanden kommt ... Die Privatküche ist eine ebenso rückstandige und überwundene Einrichtung wie die Werkstätte des Kleinmeisters, beide bedeuten die größte UnWirtschaftlichkeit, eine große Verschwendung an Zeit, Kraft, Heiz- und Beleuchtungsmaterial, Nahrungsstoffen usw.«[1]

In den hundert Jahren, die seitdem vergangen sind, verschwanden immer mehr unrentable Werkstätten der Kleinmeister; die Zahl der Haushalte und damit der Privatküchen jedoch wurde immer größer. Noch immer verbringen
Millionen von Frauen im Durchschnitt 60(!) Stunden pro Woche mit Hausarbeit.
Angesichts dieser 60 Stunden muß man kein Sozialist sein, um zu verstehen, was diese Hausarbeit für die Frauen bedeutet: Für die Nur-Hausfrau bedeutet sie die totale soziale und ökonomische Abhängigkeit vom Mann; für die berufstätige Mutter bedeutet sie Doppelbelastung und ein ständig schlechtes Gewissen gegenüber Kind und Mann.
Damit ist die Hausarbeit[2] das größte Hindernis für die Frauen, ihrem Beruf nachzugehen, sich wie der Mann zu entfalten, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Um das zu verstehen genügt es, eine Frau zu sein.
3.
Wofür kämpft Hilde Kratz?
Sie ist keine Sozialistin, sie ist eine Frau, die ein Leben lang Hausfrau und Mutter war; mit 70 kämpft sie für Service-Häuser, »in denen die Freiheit der Lebensgestaltung für Mütter ermöglicht werden soll«.
Über die Folgen des Hausfrauendaseins und die Doppelbelastung ist in den letzten Jahren viel geschrieben worden. Wenig aber über reale Alternativen:

»Unserem Standpunkt nach ist es notwendig, die Forderung nach Vergesellschaftung der Hausarbeit inhaltlich zu füllen, das heißt zu fragen, welche Inhalte von Hausarbeit unbedingt in die Gesellschaft zu überführen sind, und zugleich, was heute schon möglich ist«.[3]

Vor hundert Jahren hatte die Sozialdemokratie konkrete Vorstellungen, wie Staat und Gesellschaft die berufstätigen Mütter entlasten können. In seinem damals durch das Sozialistengesetz verbotenen Buch »Die Frau und der Sozialismus« beschrieb Bebel das Bild einer sozialistischen Gesellschaft, in der die Hausarbeit durch die Gesellschaft organisiert ist:

Die gemeinsame Küche, in der »alle möglichen technischen und maschinellen Einrichtungen vorhanden sind, welche die unangenehmsten und zeitraubendsten Arbeiten spielend erledigen«, und die Zentraleinrichtungen und Zentralanstalten, die Wasch- und Reinigungsarbeiten übernehmen, sollen die Frauen freisetzen, »ihre physischen und geistigen Kräfte und Fähigkeiten nach Bedürfnis (zu) entwickeln und (zu) betätigen... die Gebiete für ihre Tätigkeit zu wählen, die ihren Wünschen, Neigungen und Anlagen entsprechen«.[4]

Eine sozialistische Utopie? Keineswegs. Mindestens ein Teil davon ist für Hunderte von Frauen im Service-Haus Sollentuna in Schweden eine Realität.
4.
Zwanzig Minuten vom Zentrum Stockholms entfernt liegt Sollentuna. Dort bauten die Schweden Mitte der sechziger Jahre das bisher größte Service-Haus. Es ist der Versuch, den schwedischen Frauen Beruf und Familie zu ermöglichen. Damit setzten die Schweden fort, was sie dreißig Jahre vorher begonnen hatten, als die Frauen durch rapide sinkende Geburtenzahlen deutlich machten, daß sie sich für Berufstätigkeit entscheiden, wenn Kinderkriegen weiterhin Verzicht auf eine eigene Lebensperspektive bedeutet. Damals, in den dreißiger Jahren, antwortete die schwedische Regierung mit dem Bau der ersten Service-Häuser. Mitte der sechziger Jahre besannen sie sich auf diese Lösung und bauten Sollentuna: 10 neungeschossige Häuser und 1 dreigeschossiges langgestrecktes Zentralgebäude, das alle Häuser durch lange Gänge miteinander verbindet. 1250 Wohnungen für 2500 Bewohner. 1 bis 5-Zimmer-Wohnungen, die Mieten wie bei uns im Sozialen Wohnungsbau. In den Mieten enthalten ist die Benutzung der Wasch- und Bügelmaschinen, der Sauna, der Turnhalle, der Hobbyräume und Werkstätten. Im Erdgeschoß: Restaurant, Cafe, Bank, Post, Schuster, Apotheke, Arztpraxen, Frisör, Blumengeschäft, Chemische Reinigung, Zeitungsstände, ein Lebensmittelgeschäft - bis 20 Uhr geöffnet. Das Herz des Hauses: die Service-Station, in der von 7 bis 20 Uhr vier Hostessen für die Bewohner des Hauses da sind. Nach Wunsch nehmen sie die Post entgegen, gießen Blumen, füttern Hunde und Katzen, gehen einkaufen, holen Geld, bestellen Babysitter, empfangen Gäste, besorgen Theaterkarten. Dieser Service kostet jeweils umgerechnet 50 Pfennige.
Frau Nord, 40 Jahre alt, Sekretärin, verheiratet mit einem Verkäufer, 2 Kinder, 10 und 7 Jahre alt:

»Bequemer als hier könnte ich es gar nicht haben. Ich muß mich überhaupt nicht um den Haushalt kümmern. Ich arbeite oft länger. Dann haben die Hostessen für mich eingekauft und den Reinigungsdienst in die Wohnung geschickt. Außerdem brauche ich mich auch nicht um die Kinder zu sorgen. Die gehen im gleichen Haus in die Schule und die Schularbeiten werden nachmittags im Kinderhort gemacht.«

Im Service-Haus von Sollentuna ist auch die Kinderbetreuung und Erziehung organisiert. Im Hause sind für alle Kinder zwischen 6 Monaten und 6 Jahren Kinderkrippen und Kindergärten von 7 bis 18 Uhr geöffnet. Die 7-bis 10jährigen besuchen im gleichen Haus die drei ersten Schulklassen. Die Kinder von berufstätigen Eltern gehen nachmittags in sogenannte Freizeitheime, wo sie spielen oder Schularbeiten machen.
Frau Soeren, 32 Jahre alt, geschieden, Mutter von 2 Kindern, 5 und 3 Jahre alt, von Beruf Sozialarbeiterin:

»Ich wohnte vorher in Stockholm in einem ganz normalen Haus. Als ich geschieden wurde, mußte und wollte ich wieder arbeiten. Ich mußte auch Geld verdienen. Aber wo sollte ich die Kinder lassen? Dann bin ich hierher gezogen. Hier ist alles einfacher. Der Weg bis zum Kindergarten dauert nur 4 Minuten. Er ist auch bis 18 Uhr geöffnet. Ich muß mich also nicht abhetzen. Und selbst, wenn ich mal später komme, dann weiß ich, die Kinder sind bei Nachbarn oder sie sind schon in die Wohnung gegangen. Im Vergleich zu früher geht es meinen Kindern hier besser. Sie sind nicht mehr so isoliert. Denn sie haben ständig Kontakt zu anderen Kindern. Sie brauchen sich auch abends häufig nicht von ihren Freunden zu trennen, wir wohnen alle im gleichen Haus.«

In seinen Vorschlägen zur Kindererziehung in der sozialistischen Gesellschaft erklärt Bebel diese zur gesellschaftlichen Aufgabe. Er sagt:

»Auch können die allermeisten Eltern ihre Kinder nur sehr ungenügend erziehen. Der sehr großen Mehrzahl fehlt es an Zeit dazu; die Väter haben ihren Geschäften, die Mütter den Haushaltungsarbeiten nachzugehen, wenn sie nicht selbst zur Erwerbsarbeit gehen müssen. Haben sie aber selbst zur Erziehung die Zeit, so fehlt ihnen in unzähligen Fällen die Fähigkeit dazu. Wieviel Eltern sind denn imstande, den Bildungsgang ihrer Kinder in der Schule zu verfolgen und ihnen an die Hand zu gehen? Sehr wenige«.[5]

In Sollentuna, wo die Mütter erwerbstätig sind, wird die Erziehung zur Aufgabe der Gemeinschaft, die die erforderlichen Einrichtungen schafft und organisiert: In den Kindergärten kommt jeweils 1 Erzieher/in auf 5 bis 7 Kinder. Und die Erzieher haben, im Gegensatz zu den Eltern, Erziehung als Beruf gelernt. Die Schulklassen sind auf 20 Kinder begrenzt. Schularbeiten werden in kleinen Freizeitgruppen mit Hilfe von Erziehern gemacht. Die Eltern sind also weitgehend von diesen Aufgaben entlastet. Hier können auch die Mütter ihren Interessen nachgehen, ohne dabei Schuldgefühle zu haben:

»Wieso Schuldgefühle«, sagt Frau Nord, »ich kann hier viel mehr Zeit mit meinen Kindern in Ruhe verbringen als jede berufstätige Frau, die woanders lebt. Und die Schulaufgaben und dergleichen machen die Erzieher sowieso viel besser als ich.«

Schuldgefühle haben diejenigen Frauen, die keine passenden Einrichtungen für ihre Kinder haben. Schuldgefühle haben auch diejenigen, denen immer wieder gesagt wird, daß das Kind für seine Persönlichkeitsentwicklung unbedingt die ständige Anwesenheit der Mutter brauche. Und wie steht es mit der Persönlichkeitsentwicklung der Mutter? Berufstätige Mütter hören schließlich nicht auf, ihre Kinder zu erziehen. Im Gegenteil. Es gibt heute immer mehr wissenschaftliche Untersuchungen, die nachweisen, daß eine berufstätige Mutter ihre Erziehungsfunktion viel besser wahrnehmen kann als die Nur-Hausfrau. So resümierte z.B. der Erziehungswissenschaftler Rüdiger Koch die Ergebnisse zahlreicher internationaler Studien folgendermaßen:

»Weder lassen sich die berufsbedingte Abwesenheit noch die Erwerbstätigkeit einer Mutter als entwicklungshemmende Faktoren beim Kind nachweisen. Es besteht vielmehr Grund zu der Annahme, daß die Erwerbstätigkeit eine Mutter in der Wahrnehmung ihres Erziehungsauftrags unterstützt und ihre Fähigkeit als Erzieherin wesentlich erhöht. Nicht zuletzt aus dieser Fähigkeit ergibt sich die besondere Bedeutung der außerhäuslichen Erwerbstätigkeit von Müttern für einen günstigen Verlauf der Persönlichkeitsentwicklung ihrer Kinder«.[6]
5.
Die Frauen in Sollentuna leben dort nicht aus ideologischen Gründen, und für die allermeisten von ihnen ist Bebel kein Begriff. Aber Sollentuna bietet ihnen die einzige Möglichkeit, berufstätig zu sein und Kinder zu haben, ohne dabei zugrunde zu gehen. Aus diesem Grund sind sie eingezogen, aus diesem Grund denken sie nicht daran, auszuziehen.
Ein Service-Haus ist überflüssig, wenn die Frauen in dem Hausfrausein die Aufgabe und das Ziel ihres Lebens sehen. Damit allerdings würden sie sich so verhalten, wie es der Gesetzgeber der Bundesrepublik Deutschland von ihnen erwartet:

»... Vielleicht kann diese neue Art der Ehegattenbesteuerung ein wenig dazu verhelfen, daß die eine oder andere berufstätige Mutter die außerhäusliche Berufsarbeit aufgibt und erkennt, daß Ehefrau und Muttersein nicht nur im Sinne der Steuergesetze, sondern auch in Wirklichkeit ein das Leben voll ausfüllender Beruf ist«.[7]

Eine Formulierung der CDU, deren Inhalt die Sozialdemokratie allerdings mit der Steuerreformgesetzgebung von 1975 inhaltlich voll übernommen hat.
Für die Frauen, die dieser »Empfehlung« nicht zu folgen gedenken, ist das Service-Haus ein Projekt, für das es sich zu kämpfen lohnt. Hilde Kratz tut dies seit nunmehr fast 10 Jahren.
Allerdings ist das Service-Haus keine Lösung der Frauenfrage. Die Grundstruktur der Familie als privater Reproduktionseinheit wird dadurch nicht geändert und genau in diesen Grundstrukturen liegt heute die Frauenfrage begründet. Das Service-Haus zeigt aber die Entwicklungsrichtung an, die nach Vergesellschaftung der Produktion nun auch zur Vergesellschaftung der Reproduktionssphäre führen muß. Hilde Kratz will nicht die Änderung der Grundstrukturen unserer Gesellschaft. Sie will lediglich das, was heute und hier möglich und machbar ist. In Sollentuna steht in Beton und Glas der Beweis dafür. »Im Service-Haus«, sagt Hilde Kratz, »geht es darum, die Kernfamilie mit eigenem Haushalt zu erhalten, aber gleichzeitig den Frauen die Möglichkeit zu geben, sich -wenn sie es wünschen - im Beruf zu betätigen.«
In zahllosen Papieren und Appellen versucht sie seit fast 10 Jahren die Öffentlichkeit zu interessieren, die Parlamentarier und Institutionen für das Service-Haus zu gewinnen. Bisher ist es nicht gebaut worden. Es gibt nämlich Männer und Frauen, denen die Frauenmisere nicht weh tut.

3. Kinder und Emanzipation

Hedi Robitzsch-Klee
Aufgabe des Berufs der Kinder wegen?

Das kennen wir alle, ob wir zu Hause sind als Hausfrau wegen der Kinder oder als Mütter berufstätig: das große Unbehagen mit unserer Situation. Den Zusammenbruch, die Depressionen, den Eklat.
Hausfrau-Mutter oder berufstätige Mutter: sind das Alternativen, die nur auf jeweils andere Art genau die gleiche Diskriminierung der Frauen aufrechterhalten und verewigen; ist es für unseren Weg der Emanzipation egal, welchen Status wir wählen (falls wir wählen können)? Sind wir in jedem Fall »beschissen« dran?
Hausarbeit: Natürlich arbeiten wir, und mit Kleinkindern ist der Tag der Hausfrau »ausgefüllt«, aber was ist das für eine Arbeit! Von abtötender Einförmigkeit, die Arbeitsvorgänge auf einfache, sich immer wiederholende Handgriffe reduziert. Diese Arbeit wird verrichtet von einer isoliert Arbeitenden, deren Handlungsspielraum auf den engen Rahmen der privaten Lebensbedingungen und der familiären Finanzkraft angewiesen ist und damit in einem anachronistischen Gegensatz steht zu den Möglichkeiten, die allein schon durch den Stand einer gesamtgesellschaftlich einsetzbaren Wissenschaft und Technik gegeben wären.
Da Hausfrauenarbeit unbezahlte Dienstleistung ist, schafft sie ein Ausmaß von persönlicher Abhängigkeit, das bis zur Entwürdigung gehen kann und das den täglichen häuslichen Verrichtungen noch einen weiteren Stempel der Abwertung aufdrückt.
Diese Arbeiten können nicht um ihrer selbst willen befriedigen; an einem zu schrubbenden Fußboden kann sich keineHausfrau »bewähren«,Teller kann man nicht »schöpferisch« abspülen, mit dem privaten Wäschewaschen ist keine Aufnahme sozialer Kontakte verbunden. Das Wissen und Können, die Fähigkeiten und Fertigkeiten, die sich eine Frau bis zu ihrem Nur-Hausfrauendasein als Mensch unter Menschen angeeignet hat, werden unter solchen Arbeitsbedingungen verkümmern.
Ich will es einmal auch mir selbst gegenüber ganz hart sagen: Ich muß mich als ein Wesen mit Entwicklungsperspektiven aufgeben, wenn ich die lebenslange Hausfrau-Einzelhaft akzeptieren würde, und ich lasse mich auch nicht durch das scheinbar schlagende Argument einer Zahl von zehn Millionen Hausfrauen eines Schlechteren belehren. Die Hausfrauen selbst sprechen für sich: eine Untersuchung von 1973 stellt fest, daß 68,7 Prozent der Hausfrauen die Aussage bejahen: »>Kinder und Küche< - das war einmal genug für eine Frau, heute muß eine Frau die Möglichkeit haben, durch ihre eigene Arbeit etwas zu verdienen.«
Durch eigene Arbeit etwas verdienen - eine Frau mit Kind ist oft genug trotz eines verdienenden Ehemannes darauf angewiesen. 3,1 Millionen Mütter mit Kindern unter 15 Jahren sind in der BRD erwerbstätig, also über ein Drittel aller berufstätigen Frauen, und die Tendenz ist steigend. Diese Frauen ernten dafür offene und latente Vorwürfe, machen sich Selbstvorwürfe und stehen unter einer zeitlichen, physischen und psychischen Belastung, die noch in keinem Verhältnis steht zur Haben-Seite der Rechnung. Und das soll sich lohnen?
Es lohnt sich für uns trotz der Unmenschlichkeit vieler Arbeitsprozesse, die Frauen zugemutet werden und die, nur in diesem Punkt betrachtet, private Hausarbeit an Stumpfsinn übertreffen. Es lohnt sich, die Diskriminierung der Frau, die sich vom Ausschluß der Frauen von der gesellschaftlichen Produktion ableitet, auf demselben Feld anzugehen, auf dem sie entsteht: durch die Teilnahme am gesellschaftlichen ökonomischen Prozeß, um dabei selbst einen Prozeß der Emanzipation zum gesellschaftlichen Menschen zu beginnen, um die Chance wahrzunehmen, zum Subjekt der Entscheidungen über unsere eigene Existenz zu werden.
Wir brauchen nicht einmal eine solche Ausformulierung dessen, was Arbeit für uns bedeutet. Unsere Erfahrungen aus der Erwerbsarbeit sind so deutlich im Detail, beweisen sich trotz aller Widersprüche so handfest als Schritte, die eine Perspektive zeigen: größere ökonomische Freiheit, damit das gleiche Argument, das der Partner hat, im möglichen Konflikt mit ihm; ein eigenes und ein kollektives Selbstbewußtsein durch die Erfahrung kollektiver Arbeitsprozesse; Eingehen von sozialen Kontakten, neue Fähigkeiten zu aktivem Einsatz für die eigenen Interessen.
Das ist kein unauflösbarer Widerspruch: in einer Frau, die abgeschafft, fertig, kaputt um sechs oder sieben Uhr abends von Fließbandarbeit, Supermarktstraße, Schreibbüro nach Hause kommt zu Spülbecken, Scheuerbesen und Kinderlärm, einen neuen Typ Frau zu sehen. Sie ist nicht nur Opfer der Umstände, sondern auch, um es bewußt pathetisch zu sagen, handelnde Persönlichkeit der Zeitgeschichte. Wenn dies ein Paradox sein sollte, dann ist es das dieser Gesellschaft.
Ich habe mich bis hierher bewußt dagegen gewehrt, die drohende Frage: »Und was wird aus dem Kind?« bei dem Plädoyer für die mütterliche Erwerbstätigkeit zu stellen. Der Anspruch der Mutter auf ein Leben mit emanzipatorischer Perspektive hat wahrhaftig einen Stellenwert für sich, und ich nehme mir heraus, ihn voranzustellen.
Ich kann dies um so leichter, als ich der Überzeugung bin, daß die Berufstätigkeit der Mutter für das Kind nicht notwendig ein Defizit bedeutet, dem nur durch prinzipiell unvollkommene pädagogische Hilfskonstruktionen begegnet werden könnte. Entsprechend diesem wissenschaftlich aufgebauten Alibi werden immer noch billigerweise gesellschaftliche Einrichtungen der Kinderbetreuung und -erziehung nur als letzter sozialer Notbehelf konzipiert und betrieben.
Der oben angeführte Satz ist immer dann als Schuldspruch über die Mutter gesprochen worden, wenn die Frau durch ihren Wunsch nach Erwerbstätigkeit andere als die gewohnten Bedürfnisse anmeldete und noch unbeantwortete familiäre und gesellschaftliche Konflikte schuf.
Eine zum wissenschaftlichen Popanz geratene »mütterliche Bezugsperson« hält auch Frauen, die berufstätig sein wollen, davon ab, ihr Kind einer anderen als der mütterlich-häuslichen Erziehungssituation zu überlassen. Ich akzeptiere eine Wissenschaft, die mir weiterhilft. Und das ist der Fall bei den Forschungsergebnissen von Psychologen und Pädagogen,[1] die feststellen, daß eine wesentliche Bedingung frühkindlicher Entwicklungsprozesse (und nur für diesen Zeitabschnitt kann die Frage nach der Bezugsperson als existenzbestimmend zulässig sein) nicht allein die intensive emotionale Bindung des Kindes an die Mutter ist, sondern die ausreichende Befriedigung des frühkindlichen Bedürfnisses nach Sinneseindrücken, nach »Welterfahrung«. Gerade die Befriedigung dieses elementaren Bedürfnisses schafft sich erst das Bedürfnis nach sozialen Kontakten und emotionalen Bezügen. Und bei der Vermittlung dieses notwendigen Angebots an Eindrücken ist die Mutter ersetzbar.
Dies ist keine Aufforderung für die ausschließliche Betreuung aller Kleinkinder in öffentlichen Erziehungseinrichtungen (zumal über den sozialpolitischen Forderungskatalog für die Errichtung und Konzeption von Krippen, Kindergärten und Horten noch zu reden ist), aber eine solche Feststellung muß dazu beitragen, tief eingepflanzte Schuldkomplexe berufstätiger Mütter gegenüber ihren Kindern aufzubrechen. Die Kinder außer Haus arbeitender Mütter sind nicht vernachlässigter, nicht schulunfähiger, nicht neurotischer als die Kinder von Nur-Hausfrauen (wobei ich behaupte, daß die Neurosen der Kinder von Hausfrauen, die durch den engen Bezugsrahmen der isolierten Kleinfamilie entstehen, nur deshalb kaum registriert werden, weil sie die »normalen« sind). Die Kinder arbeitender Mütter - und das ist immerhin frappierend angesichts der gängigen Betreuungsverhältnisse - haben in der Regel, wie eine ganze Reihe empirischer Untersuchungen feststellen, ein stärkeres Selbstbewußtsein, größere Unabhängigkeit, größere Leistungs- und Durchsetzungsfähigkeit, bessere Erkenntnisfähigkeiten.
Und in diesem neuen Kindertyp sehe ich, wie eine ganz entscheidende Seite der mütterlichen Berufstätigkeit für die Kinder pädagogisch zum Tragen kommt: Die durch Arbeit geprägte (und zugegeben auch widerspruchsvoll geprägte) Lebenseinstellung einer berufstätigen Mutter, ihre neuen Verhaltensweisen, ihre erweiterten Zukunftsperspektiven, ihre vermehrten Sozialkontakte machen aus ihr eine andere Erziehungspersönlichkeit, als es die Hausfrau ist. Ich möchte meinem Kind keine Mutter sein, deren Existenz allein durch das Kind definiert ist, sondern ein Mensch, eine Persönlichkeit, die ihren Wert auch für sich allein hat. Ich kann nichts weitergeben, was ich nicht selbst habe und bin.
Häufig jedoch erscheint, trotz vielleicht prinzipieller Zustimmung, vielen Müttern der emanzipatorische Aspekt von Berufstätigkeit unter den teilweise extremen Belastungen, die dabei entstehen, völlig verschüttet. Denn die politischen und ökonomischen Entscheidungsträger in dieser Gesellschaft, die das reibungslose Funktionieren von Frauenarbeit verlangen, wenn die Konjunktur danach ist, verweisen die entstehenden Aufgaben einer notwendig stärker gesellschaftlich getragenen Kindererziehung nach wie vor zurück in das Privatleben.
Das Kindergarten-Platzangebot für Drei- bis Fünfjährige beispielsweise liegt in der BRD bei nur knapp 40 Prozent. Wenn man weiß, wie wenig sich die technische Organisation und die Betreuungszeiten der Kindergärten an die Arbeitszeiten der Mütter halten, dann ist selbst die relativ niedrige Zahl von 25 Prozent der Kinder berufstätiger Mütter, die in öffentlichen und privaten Kindergärten untergebracht sind, ein deutlicher Hinweis für das starke Bedürfnis nach diesen Einrichtungen.
Die Regel ist jedoch: Kinder arbeitender Mütter müssen nach wie vor, weil es Alternativen nicht gibt, im Familienverband betreut werden. 50 Prozent der Kinder berufstätiger Mütter sind tagsüber bei den Großeltern oder anderen Verwandten untergebracht. Auseinanderklaffen von Erziehungsauffassungen, sich widersprechende Autoritäten, gleichzeitiges Verbleiben in der isolierten Kleinfamiliensituation lassen gerade im stark emotionalisierten Verhältnis der verschiedenen Generationen einer Familie diesen gängigen Kompromiß der privaten Lösung des Betreuungsproblems für Mutter wie Kind doch recht belastend und fragwürdig erscheinen. Teilzeitarbeit, der am empfindlichsten auf Krisenschwankungen reagierende Arbeitsmarktsektor, stellt das Unterbringungsproblem der Kinder nach wie vor und verleitet dabei eher zu zweifelhaften Kompromissen, denn es ist ja nur »für ein paar Stunden«. Zudem kann Teilzeitarbeit als untergeordnete Tätigkeit ohne Verantwortung, bei eingeschränktem Kollegenkontakt, Niedriglohn und mangelnder sozialer Absicherung kaum die emanzipatori-sche Perspektive von Erwerbsarbeit eröffnen.
Wenn es an die unmittelbar praktische Organisation der Erwerbstätigkeit einer Mutter geht, dann wird zwischen den Ehepartnern unweigerlich mit einem Höchsteinsatz von Emotionen die innerfamiliäre Rollenverteilung diskutiert. Die Trumpfkarte eines Mannes, der meint, dem Emanzipationsstreben seiner Frau längst das Wasser reichen zu können, ist ein Angebot, das unter der Hand zu einem Vorwurf gegenüber der von der Frau nicht erfüllten Hausfrauen-Mutter-Rolle wird: »Dann bleibe ich zu Hause!« Einmal dahingestellt, daß ein Frauenlohn für den Unterhalt einer Familie ausreichen würde: eine bloße Umkehrung bei der Beschaffung des Einkommens der Familie, während doch die übrigen gesellschaftlichen Verhältnisse, die Abhängigkeit schaffen, ganz die gleichen bleiben, ist keine Lösung. Das peinliche Unverständnis, auf das ein Hausmann stößt- »wie kann ein Mann seine Fähigkeiten so vergeuden!« - läßt die Diskriminierung der Frau nur um so nackter erscheinen.
Kein Wort aber dagegen, daß Männer sich verändern müssen, wenn ihre Partnerin als Mutter erwerbstätig ist. Das wird bei den primitivsten praktischen Dingen anfangen, wird eine auf zwei Personen aufgeteilte Organisation des Haushalts und der Verantwortung in der Kindererziehung bedeuten müssen, und das kann ganz »beinharte« Auseinandersetzungen und Konflikte bringen.

Aber gerade die ernsthaften Versuche, auf der privaten, der familiären und partnerschaftlichen Ebene der arbeitenden Mutter ihre realen Chancen zu schaffen, stoßen letzten Endes um so deutlicher auf die Erkenntnis, daß für ein gesellschaftlich entstandenes Problem gesellschaftliche Lösungen gefunden werden müssen, und das heißt, daß für die neue Kindererziehung und die Arbeitsrealität der Frauen Alternativen nicht bloß erträumt, sondern hart erkämpft werden müssen.
Wichtige Zwischenziele sind ausformuliert, sie sind teilweise schon Bestandteil der demokratischen Bewegung in unserem Land: Die Forderung nach gleicher Bildung und Berufsausbildung für Mädchen und Frauen; das Recht auf Berufstätigkeit, auf einen gesicherten Arbeitsplatz; die Forderung nach 18 Monaten Sonderurlaub nach einer Entbindung; die Forderung nach sehr viel mehr und pädagogisch besseren Ganztagsschulen, Ganztagskrippen und -kindergärten, nach Steuerabgaben von Großbetrieben für den Unterhalt solcher Einrichtungen, nach einer Kostensenkung für die Benutzung, die sich der Schulgeldfreiheit annähern muß; nach öffentlichen Dienstleistungseinrichtungen, die einen spürbaren Anteil der Hausarbeit gesellschaftlich erledigen, und wie der richtigen Forderungen mehr sind.
Wie viele Frauen sind leidenschaftlich dafür, und doch beginnt hier ein erneutes Unbehagen. Da reden wir von der prinzipiellen emanzipatorischen Sprengkraft der Berufstätigkeit der Frau und sind doch von unseren Verhältnissen oft wie gelähmt. Ich schreibe dies und bin, mit einer Hochschulausbildung, mit einem einjährigen Kind, ohne Aussicht auf einen Krippenplatz, in einer Gemeinde mit nicht einmal 7000 Einwohnern, ohne Arbeit. Und andere, mit einem Arbeitsplatz, Kindern, Haushalt, Schwierigkeiten mit dem Ehemann, kommen unter ihren Belastungen überhaupt nicht zur Besinnung über das, was ihnen Arbeit sein kann.
Was machen jetzt, heute all die, für die dieser Text nur »prinzipiell« stimmt? Welche Durststrecke verkraften wir? Was sind die von uns allen gangbaren Schritte, wenn ein Rigorismus der Theorie zwar die Köpfe klar machen, meine und deine konkreten Verhältnisse aber noch nicht ändern kann? Ich kann unzufrieden sein mit dem Stand der Frauenbewegung, weil diese Fragen noch keine Antworten haben, aber ich kann mich, bei Strafe selbst der privaten Perspektivlosigkeit, nicht ausschließen vom Kampf. Nur als aktiv handelndes Subjekt innerhalb eines gesellschaftlichen Widerspruchs können wir Geschichte machen.

Dagmar Zimmermann
Ein neuer Muttermythos?

Seit geraumer Zeit beherrscht ein neuer Trend weite Kreise der Frauenbewegung: Frau bekennt sich wieder zur Weiblichkeit, die vor allem Schwangerschaft und Geburt als Selbsterfahrung preist. Kämpfte die Frauenbewegung noch vor einigen Jahren darum, die »allseitige Reduzierung der Persönlichkeit« durch Mutterschaft und Haushalt nicht länger hinzunehmen, kämpfte sie um die Beteiligung der Frau an der Gestaltung der Gesellschaft, kämpfte sie um das Recht auf Arbeit und Ausbildung, so wird heute eine Strömung sichtbar, die gerade die Biologie der Frau ins Feld führt, um ihre Überlegenheit zu beweisen und um die Nichtbeteiligung an gesellschaftlich produktiver Arbeit zu rechtfertigen. Indem Kategorien der Produktionssphäre auf biologische Vorgänge übertragen oder zur Erklärung zwischenmenschlicher Beziehungen herangezogen werden, avanciert der Privatbereich zum Produktionsbereich, und der Rückzug in die traditionell weibliche Sphäre wird zum politischen Handeln.
»Schwanger sein, feministisch definiert, heißt Arbeit erbringen, eine erschöpfende, aber tief befriedigende körperliche und geistige Arbeit. Eine Leistung, die in dieser Leistungsgesellschaft überhaupt nicht anerkannt, ja nicht einmal so erkannt wird! Da Frauen sie erbringen, gilt sie nicht viel, sie ist selbstverständlich, >natürlich<. Da der Mann sie dringend braucht - es ist das Einzige, was er in seiner so perfekt nach seinem >Geiste< gestalteten Welt noch nicht selber machen kann, darum wird sie mit erhebender Mutterschaftsideologie verbrämt; damit er genügend Einfluß darauf hat -und die Frau nicht merkt, welch unerhört schöpferische Arbeit sie damit für die Gesellschaft leistet, muß das Grundgefühl der Angst bei ihr jede selbstbewußte Sicherheit verhindern«.[1]
Beschwörungen sollen biologische Vorgänge zur Arbeit machen und das Selbstbewußtsein stärken, obwohl Arbeit eindeutig als Akt menschlichen Willens, als bewußte zweckgerichtete Tätigkeit definiert ist, die Produkte zur Mehrung des gesellschaftlichen Reichtums schafft.
Vieles wird bei der Beschäftigung mit Schwangerschaft und Geburt bedacht - trau geht sogar bis in vorgeschichtliche Zeit zurück, um sich in den Mythen antiker Matriarchate als Mutter und Schwangere positiv wiederzufinden -eine Auseinandersetzung mit der Kindererziehung in dieser Gesellschaft findet erstaunlicherweise nicht statt. Diese Zurück-ins-Heim-Bewegung der Frauen hat ihre Parallele in der Alternativbewegung allgemein. Mit Landkommunen, Töpfereien, Makroläden, überhaupt mit alternativen Lebensformen versuchen viele kleinbürgerliche Intellektuelle, durch die Krise ihrer beruflichen Chancen und der Illusionen auf baldige Gesellschaftsveränderung beraubt, ihre Vorstellungen von einem besseren und menschlicheren Leben zu verwirklichen. Die neue Innerlichkeit, die sich bei Frauen in der Mystifizierung alles Weiblichen zeigt, ist ebenfalls Ausdruck der Resignation. Eigene Wünsche und Selbstverwirklichungsideen werden zu Handlungsanweisungen für eine gesellschaftsverändernde Praxis.

»Nur wenn Frauen mit Frauen leben und auch Kinder aufziehen, haben wir die Chance, daraus eine echte feministische Alternative zu entwickeln, feministische Inseln< in einer patriarchalischen Gesellschaft. Feministische Wohngemeinschaften könnten zum Gegengewicht werden und den Keim zu einer künftigen Überwindung des Patriarchats ebenso in sich tragen wie das Vordringen der Frau im Berufsleben«.[2]

Den Grund für die freiwillige Reduzierung auf den Haushalt und die Mystifizierung des weiblichen Körpers finden wir in der Gesellschaftsanalyse der Feministinnen.

»Zum anderen orientieren sich Gleichberechtigungsbestrebungen an männlichen Wertstrukturen: an der männlichen Definition von Politik und Arbeit, an den männlichen Begriffsvorstellungen von männlich und weiblich und so weiter. Ein Ausweg aus unserem fremdbestimmten Dasein führt jedoch nicht über eine Kopierung der Männerrolle, über eine Übernahme der männlichen Eigenschaften - mit der Illusion, darüber Erfolg in den derzeitigen gesellschaftlichen Institutionen zu erlangen, Anerkennung seitens der Männer zu erfahren und sich als Subjekt Mensch verwirklichen zu können. Die Alternative zu unserem jetzigen fremdbestimmten Leben kann nur über eine radikale Infragestellung und Kritik an allen, jenem >offenen< (= offensichtlichen) Sexismus zugrundeliegenden Strukturen erschaffen werden. Diese Alternative, in der Bedingungen für Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung gegeben sind, kann nur jenseits der existierenden sexistischen Kultur und sämtlicher (da patriarchalisch getrübter) Gesellschaftssysteme liegen«[3]

Die radikale Ablehnung aller bestehenden Gesellschaftssysteme führt schließlich zur Rückbesinnung auf das »eigentliche« Wesen der Frau, das durch ihre Biologie bestimmt wird. Um der Frauenbewegung die gleiche revolutionäre Bedeutung zu verleihen wie sie die Arbeiterbewegung hat, greifen feministische Theoretikerinnen zu dem Trick, alle Frauen zu Angehörigen einer Klasse zu machen. Nicht der Besitz oder Nichtbesitz an Produktionsmitteln ist für die Klassenzugehörigkeit ausschlaggebend, sondern die Konditionierung auf ein Hausfrauenleben.
»Indem wir die bewußtlosen Grenzen des allgemein üblichen Begriffs Hausarbeit durch neue Inhalte sprengen, zerstören wir auch zugleich die >Logik der Spaltung< von Frauen und entdecken in der grundsätzlichen Bestimmung von uns Frauen, Hausarbeit zu leisten, den kleinsten gemeinsamen Nenner, der alle Frauen durch sämtliche sozialen Klassen, Schichten und Rassen hindurch vereint«.[4]

Nach dieser Analyse sind alle Frauen - ob berufstätig oder nicht - im Reproduktionsbereich tätig, da Hausarbeit so weit gefaßt ist, daß alle weiblichen Handlungen in ihr aufgehen: Dazu gehört zunächst einmal die gewöhnliche Hausarbeit, dann die Sexualität, die Verhütung, Schwangerschaft und Geburt, Sorgen um Abtreibung und schließlich auch Erwerbstätigkeit, da diese immer nur als Nebentätigkeit angesehen wird, die an der Wesensbestimmung von Frauen nichts ändert. Logischerweise wird nun der Privatbercich zu dem Ort, den es zu verändern gilt. Frau glaubt, selbst zu bestimmen, wo »es sich lohnt, für Unabhängigkeit, auch ökonomische, zu kämpfen«,[5] obwohl sie damit nur krisengerecht handelt. Die zunehmende Aussichtslosigkeit auf einen angemessenen Arbeitsplatz läßt intellektuelle Frauen, aus denen sich die feministische Frauenbewegung hauptsächlich zusammensetzt, die Idylle einer neu bestimmten Hausarbeit dem Kampf um qualifizierte Arbeitsplätze vorziehen, zumal auch die bürgerlichen Parteien einem finanziellen Anreiz nicht abgeneigt gegenüberstehen. Von dieser Position aus muß auch die neue Propagierung von Schwangerschaft als Selbsterfahrung verstanden werden. Veränderung wird nicht mehr als gesellschaftliche aufgefaßt, sondern ausschließlich als Neugestaltung des eigenen Lebens. Hierzu gehört auch die Forderung nach Lohn für Hausarbeit, sozusagen als Stipendium, um sich ganz und gar seinem individuellen Experiment hingeben zu können und nicht durch eine Berufstätigkeit sich Zwängen aussetzen zu müssen.
Das Grundanliegen vieler Feministinnen ist die Befreiung des weiblichen Körpers aus der Fremdbestimmtheit. Wahrhaft weibliches Leben äußert sich in solchen Theorien als naturhaftes Dahinwesen. Schwangerschaft als »schöpferische Arbeit«, Geburt als »orgiastisches Fest« und Stillen als »sexuelles Erleben« machen den Körper zum einzigen Bezugspunkt bei der Suche nach weiblicher Identität. Diesen freiwilligen Rückzug in den Privatbereich einer Subkultur legitimiert frau mit Hilfe von matriarchalischen Schöpfungsmythen und Mutterkulturen.
»Gebären war durch lange Zeiträume hindurch mehr als nur ein Kind zu bekommen. Wir haben heute nicht allein den Bezug zu unserem Körper um! die Vertrautheit mit ihm verloren, wir haben auch jeden Bezug zu weiblich-religiöser Sinngebung verloren. Während der langen Dauer des Matriarchats war von Frauen ausgeübter Kult mit dem ritualisierten Vorgang der Geburt verknüpft; war jede natürliche, tatsächliche Geburt voll Anstrengung und Lust auch mit weiblich-religiösem Empfinden verbunden und deshalb ein heiliger Vorgang. Uns heutigen Frauen ist ein solches Geburtserlebnis fremd. Ursprünglich war beides zusammen der höchste Wert: Geburt und Kult zeigten der Gemeinschaft die inneren Kräfte der Frau. Das Leben war höchstes und heiligstes Gut - die weibliche Wertung war verbindlich für die Gemeinschaft«.[6]
Zu Beginn der Menschheitsgeschichte war die Welt noch in Ordnung, die Frau war Gottheit und Herrin über das Leben. »Als Religion noch mit dem Mutterschoß verknüpft war, nahm jede Gebärende auch am Mysterium teil«.[7] Die Fruchtbarkeitskulte und ihre Mythen sind Ausdruck für die Form von Naturaneignung, die eine neue Stufe mit dem Übergang zum Patriarchat erreicht, was sich auch in neuen Mythen niederschlägt. Dem naturhaften Sein der Frauen wird das bewußte Eingreifen in die Natur gegenübergestellt, deutlich z.B. in der Geburt der Athene, die dem Kopf des Zeus' entspringt. Sicherlich wollen Frauen, die sich heute auf frühgeschichtliche Mythen beziehen, nicht auf den Stand der damaligen Kenntnisse zurückfallen, vielmehr sollen solche Erinnerungen ihr Selbtbewußtsein stärken. Doch das ist nur das eine Mittel, Überlegenheit zu dokumentieren. Gravierender erscheint mir die Übertragung von Kategorien des Produktionsbereichs auf den Reproduktionsbereich und sogar auf körperliche Vorgänge. Durch diese Gedankenakrobatik wird erreicht, daß Frauen sich trotz ihrer Emanzipationswünsche nicht im Widerspruch zur traditionellen Frauenrolle befinden. »Kinder, Küche, Heim und Herd sind nun wieder ein ganzes Frauenleben wert«, da das Haus nach feministischer Theorie zum grundlegenden Produktionsbereich wird. Hier befinden sich Frauengruppen in schöner Übereinstimmung mit jenen Politikern, die mit Neid auf den Geburtenanstieg der DDR sehen und den Frauen bei uns am liebsten per Gesetz das Kinderkriegen verordnen würden. In der jetzigen Krise sollen sich Frauen von neuem auf ihre »wahren Aufgaben« besinnen, und die Feministinnen geben den reaktionären Kräften auch noch Schützenhilfe, indem sie Schwangerschaft zur schöpferischen, nichtentfremdeten Arbeit hochstilisieren. Auch wenn sich das alles sehr gut anhört und die Frau zur wichtigsten Produzentin wird, nämlich zur Produzentin der Ware Arbeitskraft,
»so ist doch einzuwenden, daß Frauen die Ware Arbeitskraft eben nicht produzieren. Nicht die Familie oder die Hausfrau stellt die Ware Arbeitskraft her, sondern es sind die Verhältnisse der kapitalistischen Produktion, die die Fähigkeit des Menschen, zu arbeiten und Mehrarbeit zu leisten, in eine Ware verwandeln. Anders ausgedrückt: Es liegt nicht im Ermessen der Hausfrau, die Ware Arbeitskraft herzustellen, sondern Arbeitskraft wird erst beim Abschluß des Arbeitsvertrages zur Ware«.
Den Begriff der produktiven Arbeit auf körperliche Vorgänge wie Schwangerschaft und Geburt anwenden heißt, ihn bis zu völligen Sinnentleerung auszuweiten. Arbeit ist danach alles und jedes. Die weibliche Biologie wird wie eh und je zur Wesensbestimmung der Frau und der männlichen Berufstätigkeit als ebenbürtig, wenn nicht sogar als überlegen entgegengehalten. Frauen schließen sich so selbst von der Teilnahme am gesellschaftlichen Fortschritt aus und tragen das ihre zur Ideologie von der Frau bei, die schon immer dazu benutzt wurde, Frauen die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben zu verwehren. Geburt feministisch bestimmt ist nicht nur »orgastisches Fest«, sondern Kampfmittel für eine menschlichere Gesellschaft.

»Wir müssen uns der Institution Krankenhaus/Entbindungsstation verweigern, wir müssen es lernen, Frauen mit Frauen in Hausgeburten mit frauenfreundlichen Hebammen und Ärztinnen zu entbinden. Die Institution Krankenhaus wird ihr menschenfeindliches Verhalten erst dann ändern, wenn wir einfach nicht mehr hingehen«.[9]

So richtig es ist, den eigenen Körper kennenzulernen, die herkömmlichen medizinischen Methoden zu hinterfragen und mehr als skeptisch der Pharmaindustrie gegenüber zu sein, darf das aber nicht dazu führen, unser Heil in den Geburtenpraktiken unserer Vorfahren zu suchen. Was hat frau denn gegen den Einsatz von Wissen und Technik im Sinne des Menschen? Jeden Fortschritt, weil männlich, als frauenfeindlich zu verteufeln, gleicht der Maschinenstürmerei und zeugt von einem wenig entwickelten politischen Bewußtsein. Die Fließbandgeburt im Krankenhaus durch den Boykott einer verschwindend geringen Zahl von privilegierten Frauen verändern zu wollen, die sich eine Hausgeburt mit Beistand der gesamten Wohngemeinschaft, einer Ärztin und Hebamme ohne Risiko für Leib und Leben leisten können, ist nicht nur naiv, sondern wird zynisch, wenn vorgegeben wird, damit etwas für alle Frauen ändern zu können. Nur wenige Frauen können sich aufgrund ihrer Klassenlage alternative Lebensformen ökonomisch als auch psychisch leisten. Da feministische Theorie bisher nicht über die Beschreibung von Erscheinungen hinausgekommen ist und sie deshalb für das Wesen hält, werden nicht die bestehenden Herrschaftsverhältnisse grundsätzlich bekämpft, es geht vielmehr darum, eine weibliche Identität zu finden, die sich im wesentlichen über Sexualität bestimmt.

»Grundsätzliches Recht der Frauen ist: schwanger sein, ein Kind gebären, ein Kind stillen. Das ist nicht nur die »biologische Rolle« der Frau; es ist auch eine gesellschaftlich wichtige und wertvolle anstrengende Arbeit. Es ist zum andern ein großer Teil eigener Sexualität. Sie lustvoll und ohne Repression leben zu können, macht einen Großteil meiner Befreiung als Frau aus«.[10]

Und damit hätten wir die Neuauflage der Verklärung von Mutterschaft und der biologischen Wesensbestimmung der Frau, diesmal nur erweitert durch das Recht auf gelebte Sexualität.

»So richtig es ist, den eigenen Körper kennenzulernen, um bewußt mit ihm - im privaten wie im gesellschaftlichen Sinne - agieren zu können, so sehr erschüttern manche Ausführungen durch ihr borniertes Verweilen in finsteren vorzeitlichen Betrachtungen. Gesellschaftlicher Reichtum und Fortschritt sind weit genug, um sowohl Aufklärung als auch angemessene medizinische Behandlung wie überhaupt einen angemessenen Standort in der Gesellschaft zu verlangen«.[11]

Die bestehenden Herrschaftsverhältnisse werden nicht durch Schaffung einer Gegenkultur beseitigt, und die allgemeine Unterdrückung der Frau wird nicht durch die Zuflucht zu den Mythen antiker Frauengesellschaften und durch sich endlos wiederholende Beteuerungen von der eigenen Stärke und Überlegenheit aufgehoben. Herrschaftsverhältnisse ändern kann man/frau nur durch die Beteiligung an der Gesellschaft.

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