Frauen und Erziehung oder die Kinderfrage in der Frauenbewegung

Mutterschaft spielte bereits im vorhergehenden Kapitel, im Zusammenhang mit der körperlichen und psychischen »Enteignung« der Frau und den Versuchen, dem die Wiederentdeckung einer neuen Identität über verändertes Körperbewußtsein, Sexualität und Frauenselbsthilfe entgegenzusetzen, eine wichtige Rolle. Das Verhältnis zwischen der untergeordneten gesellschaftlichen Stellung der Frau und ihrer Funktion als Hausfrau, Mutter und kostenlose Erzieherin der Kinder war auch ein entscheidendes Moment bei der Einschätzung des Emanzipationswerts von »Arbeit« und entsprechenden Befreiungsstrategien im I. Kapitel.
In diesem Kapitel geht es um die Mutterrolle im Zusammenhang mit der Erziehungsproblematik, um die Frage also, wer die Kinder erziehen soll und wie die Kinderfrage mit Frauenemanzipation zu vereinbaren ist. Darauf hat die Frauenbewegung bisher höchst widersprüchliche Antworten gegeben, was sich schon aus der Tatsache erklären läßt, daß die Kinderfrage unmittelbar mit der Arbeitsproblematik zusammenhängt. So formulierte Clara Zetkin: »Wer die Frauenarbeit bejaht, muß... auch eine Lösung der Kindererziehung suchen«.[1] Deshalb treten z.B. die Demokratische Fraueninitiative, der Sozialistische Frauenbund und die Gewerkschaften für eine verstärkte »Vergesellschaftung« der Erziehung ein, durch erweiterten und verbesserten Mutterschutz, das »Babyjahr«, den Ausbau und die Verbesserung von Kinderkrippen, -gärten, -tagesstätten, Schülerhorten und Ganztagsschulen, allgemeine Verkürzung der Arbeitszeit sowie weitere umfangreiche sozialpolitische Maßnahmen.[2]
Dies wird verstanden als Antwort auf eine Realität, die sich darin ausdrückt, daß in der Bundesrepublik mehr als ein Drittel aller Erwerbstätigen Frauen sind, von denen wiederum mehr als ein Drittel Kinder zu versorgen haben, darunter ein hoher Anteil lediger oder alleinstehender Mütter - während gleichzeitig z.B. nur für 1 bis 2 Prozent der Null- bis Dreijährigen ein Krippenplatz zur Verfügung steht. Hedi Robitsch-Klee bemerkt daher in einem grundsätzlichen Beitrag zur Frage »Kinder oder Beruf?« im dritten Abschnitt sehr prosaisch, »daß für ein gesellschaftlich entstandenes Problem gesellschaftliche Lösungen gefunden werden müssen«. Wer jedoch »Lohn für Hausarbeit« fordert, wird ganz andere Lösungen im Auge haben. So betonen radikale Feministinnen unter der Prämisse, daß »alle Frauen Hausfrauen sind«:

»Uns kann es nicht darum gehen, die ganze Kinderfrage an eine männliche Vergesellschaftung, männliche Institutionen abzugeben, sondern wir müssen darum kämpfen, daß der Zusammenhang von unserem Körper, Geburt, Kindererziehung, Reproduktion, Leben, Wissen, Macht wieder in unsere Hand kommt«

- und sprechen sich ganz offen gegen die Berufstätigkeit von Müttern aus.[3] Mit dieser Position, bei der »die weibliche Biologie wie eh und je zur Wesensbestimmung der Frau« gerät, setzt sich - ebenfalls im dritten Abschnitt - Dagmar Zimmermann sehr kritisch auseinander.
Zwischen diesen beiden Polen: der Forderung nach Vergesellschaftung der Erziehung einerseits und Kinderkriegen als Selbstverwirklichung andererseits (wobei bezeichnenderweise hier die eigentliche Erziehungsfrage überhaupt nicht vorkommt und insofern in diesem Kapitel auch radikalfeministische Beiträge fehlen), siedelt sich das Spektrum der Beiträge an, die eine Lösung der Kinderfrage bzw. eine Verbesserung der Situation von Müttern und Kindern im Auge haben. Im ersten Abschnitt schildert Barbara Brasse Veränderungsprozesse in den Lebens- und Arbeitsbedingungen von Hausfrauen, die Tagesmütter wurden. Sophie Behr berichtet, wie eine Initiative alleinstehenden Mütter (und Vätern) konkrete Hilfen bietet und für sie Verbesserungen erkämpft.
Im zweiten Abschnitt stellen die Frauengruppe Kinderhaus und Lea Rosh zwei mögliche Alternativen zur ausschließlichen Kleinfamilienerziehung vor - Chancen, wie Kinder und Beruf besser zu vereinbaren sind und gleichzeitig allen Beteiligten, Müttern, Kindern und Vätern zugutekommen.
Ich will nicht verschweigen, daß das hier vorgestellte Spektrum an Erziehungsinitiativen unvollständig ist. Das ist bei dem so schwerwiegenden Konflikt Mutter-Kind-Beruf in einer so frauen- und kinderfeindlichen Gesellschaft auch nicht anders zu erwarten. Die vielfältigen Alternativ- und Ausbruchversuche, die sehr direkt mit der Anders-Leben-Bewegung zusammenhängen, hätten jedoch den Rahmen dieses Kapitels entschieden gesprengt: z. B. Mütter in Frauenwohngemeinschaften, Kinder-und Schülerläden, Landkommunen wären mit einem einzelnen, gewiß sehr individuell geprägten Beispiel nicht repräsentiert worden. Aber auch viele fachwissenschaftliche Erziehungsdiskussionen konnten hier nicht berücksichtigt werden.[4] Gerade im Erziehungsbereich sind geschlechtsspezifische Arbeitsteilung und Weiblichkeitsideologie noch voll wirksam. Hier ist ein noch auf weite Strecken unbeackertes Feld für die Frauenbewegung, und insbesondere feministische Gruppen haben bisher zur Lösung dieser Probleme - z.B. mit der Propagierung eines neuen »Mutterkultes« - wenig beigetragen.