Väter und Söhne

Die Beziehung zwischen sehr vielen Vätern und ihren Söhnen
ist von einer rätselhaften Aggression, Abwertung und Boshaftigkeit
seitens des Vaters gekennzeichnet. Die Ursachen dafür liegen
wohl in der Kindheit des Vaters und in einer tiefen Unzufriedenheit
des Mannes mit seiner eigenen Situation. In der Entwicklung
männlicher Kinder spielt diese väterliche Aggressivität
jedoch eine sehr verletzende Rolle.

Dieses Buch handelt von Müttern und Söhnen. Doch insistierend schlich sich ein anderer Mitspieler ein. An und für sich begrüßen wir es immer, wenn das passiert. Es wirft zwar die sorgfältig aufgebauten Hypothesen um, wenn etwas Unvorhergesehenes an die Tür trommelt und in die Untersuchung hineingelassen werden will. Aber nur so entsteht eine wirkliche Erkenntnis. Wir haben schon oft Anlaß gehabt, unsere Forschungsmethoden zu erläutern und zu reflektieren. Doch die beste Beschreibung fanden wir vor kurzem in einem Krimi. Da geht es um einen Psychologen, der mit der Polizei zusammenarbeiten soll. Der Detektiv, der sein Partner sein soll, will ihn einweisen und beschreibt die Arbeit so: Man stellt seine Nachforschungen an, ganz geradlinig, ganz normal, und dann wartet man, bis man stolpert und auf die Nase fällt. Dann dreht man sich um und schaut, worüber man gestolpert ist. Und dieser Stolperstein, diese Tatsache, dieses Detail, das da nicht hingehört, das einem den Weg verstellt, das liefert meist den entscheidenden Hinweis. Wir wollten uns ausschließlich auf die Mutter-Sohn-Beziehung konzentrieren, aber dieser Weg war nicht gangbar. Wir stolperten sehr oft, und zwar fast immer, über dasselbe: über die Väter.

Einige Stolpersteine aus den Interviews:
Unverarbeitete Wut über den Ex-Partner und den Verlauf der Ehe machte es Frauen schwer, unbefangen mit dessen Sohn umzugehen. So sehr sie sich bemühten, manchmal platzten sie mit »Du bist genau wie dein Vater« heraus. Kränkungen durch den Vater ließen Söhne häufig an ihrem persönlichen Wert zweifeln, führten zu Komplexen, auch wenn die Mutter noch so perfekt und überlegt erzog und das Ego des Sohnes noch so sorgfältig in seiner Entwicklung begünstigte. Beziehungen zwischen Männer und Frauen zerbrachen immer wieder daran, daß der Mann seine Partnerin als eine Art Mutter betrachtete. Das geschah entweder sofort, weil die Frau nicht geduldige, aufopfernde Mutter, sondern Partnerin sein wollte, oder etwas später, wenn ein Kind kam. Der Mann sah sich als Anwärter für mütterliche Dienste durch die Ankunft eines echten Kindes verdrängt, die Frau versuchte eine Weile, den Ansprüchen ihres großen und ihres kleinen Kindes gerecht zu werden, und warf irgendwann das Handtuch.

Dann gab es in den Interviews Passagen und Beobachtungen, die uns nicht oder nur als individuelle Kuriosität aufgefallen wären, wenn sie sich nicht durch die reine Häufigkeit unsere Aufmerksamkeit verschafft hätten. Manche dieser Äußerungen unserer Interviewpartnerinnen wollten wir anfangs nicht wahrhaben, weil sie uns nicht gefielen. »Plötzlich hatte ich zwei Kinder«, sagten Frauen immer wieder in den Interviews. »Er war keine Hilfe, er war wie ein Kind mehr.« Das fanden wir klischeehaft. »Mein Mann war eifersüchtig auf das Kind«, sagten sie immer wieder. Das, fanden wir, lag doch unter der Würde eines erwachsenen Mannes und Vaters. Das konnte doch nicht im Ernst ein verbreitetes Problem sein. »Nach der Scheidung verlor er das Interesse an den Kindern, das hätte ich gar nicht für möglich gehalten, wie schnell das ging.« »Nach der Scheidung war er zwar noch an mir interessiert, aber nicht an den Kindern. Er wollte mit mir sprechen, mich sehen, mich zurückbekommen. Die Kinder hat er ignoriert.« Das fanden wir eitel, die schmeichelhafte Selbsttäuschung eitler Frauen. Und immer wieder erzählten uns Frauen, junge Söhne und auch Väter Geschichten, die zeigen, wie sehr ein männliches Kind in seiner Identitätsfindung durch gedankenloses, kritisches und ablehnendes väterliches Verhalten beeinträchtigt werden kann. Sobald es um alleinerziehende Mütter oder Fragen des Sorgerechts geht, steht plötzlich ganz intensiv der Vater zur Diskussion.

Was bedeutet es vor allem für die Söhne, ohne den männlichen Elternteil aufzuwachsen? Haben Kinder nach einer Scheidung nicht das Recht auf beide Eltern, und wie kann man ihnen das in der Praxis sichern? In den letzten vier Jahren haben wir mehrere Projekte zu den Themen Elternschaft, Scheidung und Sorgerecht durchgeführt. Dabei wurde uns klar, daß ein anderer Aspekt dieses Problems eigentlich viel dringlicher ist: die äußerst unvollkommene Wahrnehmung der Vaterschaft. Dieses Problem kann in jedem Kontext auftreten: bei einer intakten Ehe, nach einer einträchtigen Scheidung, nach einer Kampf-Scheidung. Natürlich wollen die betroffenen Väter nicht wissentlich und mutwillig negativ auf die Entwicklung ihrer Söhne einwirken. Meist kann man nach einem längeren Gespräch mit den Betroffenen schon vermuten, wo die Gründe liegen könnten. Selten haben sie etwas mit dem Kind zu tun, meist liegen die Gründe in der Kindheit des Vaters oder in schwelenden Konflikten zwischen den Partnern und Ex-Partnern. Doch der hauptsächliche Leidtragende ist das Kind.
Wir haben drei unterschiedliche Ursachenkomplexe ausgemacht, die für dieses Verhalten maßgeblich sein dürften:

  • Männliche Unwissenheit über das Wesen von Kindern und deren Bedürfnisse, Egoismus, also unzureichende Fähigkeit oder Bereitschaft, sich mit den Gefühlen des Kindes auseinanderzusetzen und zugunsten des Kindes persönliche Einbußen hinzunehmen. Hier haben Frauen, seit jahrhunderten diesbezüglich sozialisiert, zweifellos einen »Bonus« oder sagen wir besser, einen Vorsprung. Jeder einzelne Mensch jedoch, der mit einem zweiten Menschen - vor allem mit einem weit kleineren, schwächeren, abhängigen Menschen zusammenlebt, sollte sich eigene Gedanken machen.
  • Viele Männer sind biografisch vorbelastet durch die Beziehung zu dem eigenen Vater, der abweisend oder abwesend war oder aus anderen Gründen negativ auf ihr Erwachsenwerden einwirkte.
  • Der Sohn gerät oft in das Psychoterror-Kreuzfeuer zwischen den Eltern oder wird als Schachfigur in einem Kampf eingesetzt, der mit einer Trennung der Eltern noch lange kein Ende finden muß.

Gedankenlosigkeit, Egoismus, Rache?

Karl ist sechs Jahre alt. Sein Vater Jonas ist Dolmetscher, die Mutter Sekretärin. Karl besucht eine experimentelle Schule, in der großen Wert auf die Mitarbeit der Eltern gelegt wird. Jonas trägt sich oft in die Liste der Eltern ein, die sich für Ausflugsbegleitung oder Mitarbeit im Unterricht melden. Karl ist schon am Tag vorher immer ganz aufgeräumt und erzählt seinen Freunden, daß morgen sein Papa kommen wird. Bis jetzt hat Jonas sich viermal in die Liste eingetragen, ist aber nur ein einziges Mal auch tatsächlich erschienen. Es kommen ihm berufliche Verpflichtungen dazwischen, was ja passieren kann. Allerdings wäre es dann besser, wenn er schon am Tag vorher Bescheid geben und nicht erst in der Schulgarderobe seinem Sohn und dessen Lehrerin absagen würde. Nun hat die Lehrerin ihn ausdrücklich gebeten, genau zu überlegen, ob er den Termin auch einhalten kann, bevor er sich wieder in die Liste einträgt. Jonas erklärt sein Verhalten damit, daß er die Enttäuschung und die Bitten seines Sohnes so schwer ertragen kann; wenn er schon am Vortag Bescheid sagen würde, wäre das Kind den ganzen Abend traurig und würde versuchen, ihn umzustimmen. Auch für Karl sei es doch besser, sei »der Schmerz kürzer«, wenn er vor vollendeten Tatsachen stünde. Hier können wir eine Mischung aus Selbstsucht, Unwissen und mangelndem Einfühlungsvermögen diagnostizieren. Für Jonas, aber sonst für niemanden, ist es leichter, wenn er aus dem Garderobenraum flüchtet, statt sein Versprechen einzuhalten. Die Lehrerin hat zu wenige Betreuungspersonen für den Ausflug, Karl verweint den halben Vormittag und geniert sich vor seinen Freunden. Jonas bemerkt nicht, was die wiederholten Enttäuschungen in seinem Sohn auslösen. Er erkennt nicht, daß Ereignisse für ein Kind eine andere Dimension haben können als für einen Erwachsenen. Er sieht es nicht, und er will es nicht sehen, und deshalb vermeidet er die Auseinandersetzung am Vortag. Jonas hat, wie er selber meint, stets den »Vorsatz, zu den vereinbarten Zeiten auch wirklich zu kommen. Doch im letzten Moment hält mich oft etwas ab, manchmal ein Termin, manchmal nur das Gefühl, zuviel Arbeit im Büro zu haben. Dann denke ich, vielleicht reicht es, wenn ich nächste Woche komme. So entsteht eine Kette von Verschiebungen.«
Seine Frau Veronika sieht darin ein Muster, und zwar eines, das leider für die Interaktion zwischen Jonas und Karl typisch ist. »Zu Hause beginnt er mit Karl ein Spiel, dann fällt ihm ein, daß jetzt die französischen Nachrichten laufen, die er unbedingt hören muß. Gut, das wäre eine Unterbrechung von nur 20 Minuten, aber danach macht er dann noch ein paar Telefonate. Bis er wieder zur Verfügung steht, hat Karl dann keine Lust mehr.« Die Vorfreude des Sohnes, seine anfängliche Begeisterung, dann immer wieder seine Enttäuschung... scheinbar fragt sich Jonas nicht, welche Spuren das hinterlassen wird. Er lebt in dem Glauben, daß guter Wille und gute Vorsätze genügen.
Friedrich und Helga waren beide noch Studenten, als der Sohn Chris geboren wurde. Friedrich hat sich ausführlich an dessen Betreuung beteiligt; weil Helga damals gerade ihr Diplom machte, war er streckenweise sogar der hauptverantwortliche Elternteil. Doch dann beendete auch Friedrich sein Studium, und plötzlich kriselte es in der Ehe. Helga, die Lehrerin, wirkte auf Friedrich plötzlich zu »bieder«, er fühlte sich eingeengt, und als er das 19jährige Model Ina kennenlernte, war überhaupt alles aus. Ina wollte, was aus ihrer Warte verständlich ist, die Wochenenden im Taumel ihrer jungen Liebe verbringen und nicht mit einem »fremden« Kind. Ihren Willen setzte sie meist erst in letzter Sekunde durch; bereits ausgehfertig und mit seinem Wochenendköfferchen wartend, erfuhr Chris oft erst eine Stunde nach dem vereinbarten Abholtermin, daß sein Vater nun doch nicht kommen würde. Nachdem es deswegen immer wieder Streit mit der Ex-Frau gab, blieb Friedrich schließlich ganz aus. Nach einer Unterbrechung von drei Monaten tauchte er dann wieder auf. Doch mittlerweile hatte Chris Gelegenheit gehabt, Ina als seine Feindin und Rivalin zu erkennen; die Besuchstage wurden zu einem Krieg zwischen Sohn und Freundin. Bezeichnenderweise gipfelte ihre Konkurrenz im Kampf um das Recht, Friedrichs Bett zu teilen. Chris bestand tränenüberströmt darauf, wie in den guten alten Tagen bei seinem Vater schlafen zu dürfen. Daraufhin entstand Streit zwischen Ina und Friedrich. Das Besuchswochenende sah so aus, daß Chris in der ersten Nacht schluchzend vor der versperrten Schlafzimmertür seines Vaters einschlief, während in der zweiten Nacht Ina, von Friedrich zum Nachgeben aufgefordert, wutentbrannt aus der Wohnung stürmte. Später entstand ein Kompromiß: An den Besuchswochenenden schläft eine Nacht Chris, die nächste Nacht Ina mit Friedrich im Ehebett. Doch der halbe Sieg hat Chris auch nicht glücklich gemacht. Zunehmend klagte er in dieser Zeit über Hautjucken, der Arzt diagnostizierte Neurodermitis im Frühstadium und verschrieb eine strenge Diät. Die Besuche beim Vater gestalten sich nun schwieriger; McDonalds ist verboten, statt dessen reist Chris mit Essensbehältern an, da weder Friedrich noch Ina bereit sind, nach Vorschrift zu kochen. Friedrich behauptet, Chris gegenüber kein schlechtes Gewissen zu haben. Schließlich hat er sich in dessen ersten drei Lebensjahren ganz vehement eingebracht und damit sozusagen eine Vorauszahlung in Sachen Vaterschaft geleistet. Dafür setzt er sich jetzt weniger ein. Und da die »frühkindliche Phase ohnehin die prägende ist«, meint er, daß die aktuellen Konflikte dem Sohn nicht bleibend schaden werden. Auch er, Friedrich, hat schließlich ein Recht auf Glück, und dazu gehört, daß er sich an die Bedürfnisse einer sehr jungen, noch nicht reifen und schon gar nicht mütterlichen Freundin anpaßt.

Isabel ist Hausfrau, ihr Mann Achim hat einen kleinen Bioladen. Sohn Eddi ist neun Jahre alt. Isabel erzählt vom letzten Wochenende: »Es war Sonntag. Achim wollte aber arbeiten. Ich hatte mich also mit einer Freundin verabredet, die zwei Kinder hat, wir wollten schwimmen gehen. Doch plötzlich kommt Achim heim und sagt, er möchte mit Eddi essen gehen und dann ins Kino. Ich bin schon ziemlich irritiert, denn er sieht ja, daß wir gerade gegessen haben, und Eddi ist sehr übergewichtig und wird deswegen in der Schule ständig gehänselt. Und dann schlägt Achim vor, unmittelbar nach dem Mittagessen zu McDonalds zu gehen! Aber Eddi ist hellauf begeistert, sein Vater hat selten Zeit für ihn, und dieses Angebot ist einfach nicht auszuschlagen. Also gut. Die zwei ziehen ab, ich gehe allein mit meiner Freundin und ihren Kindern ins Bad. Um fünf komme ich heim, sitzt der Eddi mit Kopfhörern vor dem Fernseher und weigert sich, über den Nachmittag zu reden. Erst am nächsten Morgen erzählt er mir, was los war. Achim ist mit ihm zu McDonalds, bestellt eine Menge Zeugs, ohne Eddi zu fragen, was er will, nimmt für sich selber einen Hamburger vom Tablett und geht nach nebenan, weil er flippern will. Eddi sitzt alleine vor seinem Tablett, mit der Anweisung nachzukommen, wenn er fertig ist. Okay, danach ist Kino angesagt. Achim fragt Eddi, was er sehen will, Eddi sucht sich >Free Willy< aus. Eddi sieht, daß Achim nur ein Ticket kauft, und fragt: >Gehst du nicht mit, Papa?< Darauf Achim: >Brauchst du noch ein Kindermädchen? Hast du vielleicht Angst im Dunkeln?< Eddi geht ins Kino, Achim vergewissert sich noch, daß Eddi von dort alleine heimfinden kann. Aber Eddi bleibt nicht bis zum Ende des Films. Statt dessen geht er spazieren, er geht kreuz und quer durch die Stadt und landet schließlich vor dem Geschäfts seines Vaters. Aber an der Ecke kehrt er wieder um, weil er nicht weiß, was er sagen soll, wenn sein Vater ihn dort sieht.«

Immer wieder hören wir herzzerreißende Geschichten von der Sehnsucht junger Söhne nach der Liebe des Vaters. Und auffallend ist dabei, wie auch bei den typischen Problemen, die zwischen einer Mutter und ihrem Sohn auftreten können, daß eine »intakte Ehe« keines dieser Probleme verhindert. Das Vorhandensein eines zweiten Elternteils ändert wenig an der Dynamik zwischen Vater und Kind, Mutter und Kind. Inzestuöse oder emotional inzestuöse Grenzsituationen oder Mißbräuche und die vielen Probleme, die sich aus dem Gefühl ergeben, von Mutter oder Vater nicht oder zuwenig geliebt zu werden, das alles quält Kinder, ob ihre Eltern miteinander und mit ihnen leben oder nicht. Was den Vater anbelangt, so ist sein negatives Verhalten dem Sohn gegenüber oft erklärbar, aber selten zu entschuldigen. Oft ist ersichtlich, daß eine destruktive Dynamik zwischen den Ehepartnern oder ehemaligen Ehepartnern auch den Sohn mit einbezogen hat. Durch die schlechte Behandlung ihrer Söhne erreichen Väter, daß sie ihre Frauen für eine Trennung bestrafen, nach einer Trennung kontrollieren oder von einer Trennung abhalten können. Man sieht das bei Isabel. Sohn Eddi hat zwar gute Lernerfolge, doch sonst hat er viele Probleme. Die anderen Kinder verspotten ihn wegen seines Übergewichts, die Lehrer machen sich Sorgen über seine Verschlossenheit und erleben ihn als intelligent, aber geistesabwesend und unkonzentriert. Die Schulpsychologin erstellte ein Gutachten, aus dem hervorgeht, daß Eddi sich nicht konzentrieren kann, weil er permanent an seinen Vater denkt und dessen Ablehnung ergründen will. Er zeigte auch deutliche Ansätze von Selbsthaß. Eddi ist »innerlich völlig von dem Gedanken absorbiert, die Aufmerksamkeit seines Vaters auf sich zu ziehen«, merkt die Psychologin an. »Er lebt in dem Gefühl, unzulänglich zu sein und aus gutem Grund nicht geliebt zu werden.« Wenn wir uns nun ein wenig ausführlicher mit der Dynamik in dieser Familie beschäftigen, dann erkennen wir, daß Achims Verhalten dem Sohn gegenüber durchaus einen pragmatischen Zweck erfüllt - und zwar einen überraschenden. Adressat seiner Botschaft, dürfen wir mit gutem Grund vermuten, ist nicht der Sohn, sondern die Ehefrau. Die nämlich hegt seit zwei Jahren Trennungswünsche, traut sich aber des Sohnes wegen nicht, sie durchzuführen. Wenn der Sohn schon jetzt so obsessiv an seinem Vater hängt, schon jetzt so sehr unter dessen Ablehnung leidet, wie soll es dann erst nach einer Scheidung sein? Wird sie dann nicht in den Augen des Sohnes dastehen als die Böse, die ihn endgültig um die Liebe des heißbegehrten Vaters gebracht hat? »Eddi würde eine Trennung nicht verkraften«, fürchtet Isabel. In anderen Fällen entscheiden sich Frauen für die Trennung, um ihren Kindern die anhaltenden Familienkonflikte zu ersparen. Doch die Hoffnung, den Kindern nach einer Scheidung eine zwar kleinere, aber dafür harmonischere Familie bieten und endlich zur Ruhe kommen zu können, erfüllt sich nicht immer. Ein Grund dafür liegt in der Ambivalenz der Frauen. Mitunter ist aus ihren Stellungnahmen klar ersichtlich, daß sie sich nur scheinbar von ihren idealisierten Familienvorstellungen lösen konnten. In Wirklichkeit haben sie sie nur auf eine andere Ebene transponiert. Immer noch hoffen sie, daß aus diesem Mann ein toller Vater, ein Gesprächspartner bei Erziehungsfragen wird - wenn schon nicht in der Ehe, dann doch noch nach der Scheidung. Manchmal klappt das sogar. Manchmal verlieren nach Beendigung des Zusammenlebens auch die meisten Streitpunkte an Gewicht, und man kann sich auf einer neuen Ebene verständigen. Doch oft bedeutet die Trennung nur eine Fortsetzung des Ehestreits mit anderen Mitteln. Man sagt oft, und oberflächlich scheint das zu stimmen, daß gemeinsame Kinder die vollständige Trennung verhindern, man kann nicht voneinander frei sein, kann nicht gänzlich mit der Vergangenheit abschließen, weil es da ja noch diese Menschen gibt, für die man gemeinsam Verantwortung trägt. Doch manchmal scheint es eher umgekehrt zu laufen: Die Partner können nicht wirklich voneinander loskommen, und die Kinder leiden unter der Ambivalenz ihrer Eltern.
Sibylle unternahm einige Versuche, ihre Ehe zu retten, doch ihr Mann schien zur Scheidung entschlossen zu sein. Eine Ehetherapie lehnte er rüde ab mit dem Hinweis, sie könne ja, wenn sie sich für geistig gestört halte, zur Therapie gehen; er jedenfalls brauche so etwas nicht. Da er zu diesem Zeitpunkt auch schon eine neue Freundin hatte und fast nie zu Hause übernachtete, gab Sibylle sich schließlich geschlagen und willigte in die Scheidung ein. Daß ihr Mann sie nicht mehr liebt Sibylle hatte insgesamt zwei Jahre Zeit, sich an diesen Gedanken zu gewöhnen. Um so schwieriger ist es für sie heute »mitzuerleben, daß der Benni jetzt so leidet wie ich vorher«. Wenn Benni alle zwei Wochen seinen Vater besucht, dann weiß dieser auf den Kummer und die Vorw-ürfe des Sohnes eine deutliche Antwort: Er gibt die Schuld seiner Frau. Sie allein, erzählt er dem Kind, ist an der Trennung schuld. Sie hat ihn hinausgeworfen. Auch heute noch varde er zu seiner Familie zurückkehren, wenn die Mama nicht so böse wäre. Objektiv stimmt das nicht. Ihr Ex-Mann und dessen Freundin haben, wie Sibylle weiß, sogar schon einen Hochzeitstermin festgelegt. Mit seiner Version der Ereignisse umgeht er die Vorvi-ürfe des Sohnes, doch Sibylle sieht noch ein anderes Problem. Ihre Trennung, glaubt sie, ist irgendwie unvollständig, nicht ganz abgeschlossen. »Diese Trennung war kein Abschluß, das war ein >Hinschmeißen und Auseinandergehen<.« Daß es kein Zurück mehr gibt, daß sie es heute auch gar nicht mehr möchte, ist ihr klar. Und trotzdem konstatiert sie auf beiden Seiten, auch bei ihrem Mann, ein »Nichtloslassenkönnen«, das möglicherweise vom Kind wahrgenommen wird. Bei Barbara sind die Begleitumstände ganz anders, aber im Lauf des Interviews trifft sie eine ähnliche Feststellung. Barbaras Ehe war von Anfang an von Konflikten geplagt. Die Beziehung zu den Schwiegereltern, finanzielle Probleme, unterschiedliche Erziehungsauffassungen; von der Freizeitgestaltung über die Wahl des Wohnorts bis hin zum Sex gab es kein Thema, über das Barbara und ihr Mann nicht heftig streiten konnten. Barbara wirft sich vor, ihren Mann aus den falschen Gründen geheiratet zu haben - nicht wirklich aus Liebe, sondern um dem Elternhaus zu entkommen, um sich erwachsen zu fühlen. Man ging zu einer Eheberatung, doch die Probleme wurden immer größer. Unerträglich waren für Barbara letztendlich zwei Dinge: die Untreue des Ehemannes und die brutale Art, in der er seinen Sohn behandelte. Mit riskanten Mutproben, mit Spott und mit Drohungen wollte er aus dem Kleinen die Art von Kind machen, die er sich vorstellte. Der letzte Anstoß war eine Affäre, die er im sechsten Lebensjahr des Sohnes hatte. Das Kind war gerade eingeschult worden, hatte in der Schule extreme Probleme und hätte beide Elternteile gebraucht, um Halt zu finden. Statt dessen hatte er, wie Barbara meint, überhaupt keine Eltern.
Der Vater war zur Freundin gezogen, und sie selber war so deprimiert und verzweifelt, daß sie sich kaum dem Sohn zuwenden konnte. Von einer Scheidung versprach sich Barbara klare Verhältnisse und eine persönliche Stabilisierung. Hatte es in dieser Ehe dauernd Streit gegeben, so verlief die Scheidung musterhaft. Harmonisch einigte man sich über alle anstehenden Punkte: das Geld, das Besuchsrecht, die Verteilung des gemeinsamen Eigentums. Der Vater sah den Sohn einen Nachmittag in der Woche, jedes zweite Wochenende und einen Teil der Ferien. Oberflächlich schien es sich um eine erfolgreiche Trennung zu handeln. Doch der Sohn sah das anders. Schon auf die ersten Vorboten der Trennung hatte er so hysterisch reagiert, daß seine Eltern beschlossen, ihm die Scheidung zu verheimlichen. Der Vater war ja schon vorher nachts nicht mehr nach Hause gekommen, da würde es dem Kind gar nicht auffallen, daß der Zustand nun auch gesetzlich verankert war. Doch direkt lügen wollte Barbara auch nicht. »Wir waren schon mehrere Monate geschieden, da hat er wieder mal so panisch nachgefragt: >Gell, ihr laßt euch nicht scheiden.< Darauf habe ich gesagt: >Schatz, wir sind schon längst geschieden.< Mein nächster Satz wäre gewesen: >Und du siehst ja, für dich hat sich überhaupt nichts geändert.< Doch den konnte ich nicht mehr aussprechen, weil der Kleine einen Schreikrampf bekam und überhaupt nicht mehr zu beruhigen war.« Für Barbara war das eine schockierende Einsicht. Für sie war evident, daß die Scheidung unausweichlich war. Am Tag der Scheidung hatte sie sogar ein »absolutes Glücksgefühl« überkommen. »Ich war so befangen in der Vorstellung, daß jeder froh sein muß, diesen Mann loszuwerden, daß ich überhaupt nicht mitbekommen habe, daß sich in diesem Haushalt jemand nach ihm sehnt und ihn vermißt.« Auch der Vater hatte das anscheinend nicht bemerkt. Mit der neuen Freundin und den Ehevorbereitungen beschäftigt, reduzierte er seine Besuchstage immer mehr. Barbara glaubt, daß die Probleme des Sohnes zumindest teilweise in der Unvollständigkeit der elterlichen Trennung zu suchen sind. »Was eigentlich fehlt, ist ein Resümee. Wir haben in Wirklichkeit nicht Abschied genommen, nicht in der Größenordnung, wie es nach zwölf gemeinsamen Jahren eigentlich hätte sein müssen.« War es wirklich nur der Wunsch, das Kind zu schonen, der dieses Paar veranlaßte, die Scheidung einfach zu verschweigen? Oder verrät das nicht auch eine gewisse Ambivalenz, ein unvollständiges Abschließen mit der Vergangenheit und miteinander? In vielen Fällen ist diese Ursache ganz deutlich erkennbar.

Vater-Sohn-Probleme können oft unschwer auf die Mann-Frau-Ebene zurückverfolgt werden, das Kind ist nur ein willkommener Anlaß, um miteinander im Clinch zu bleiben: Ist es für Peter eine Befriedigung, daß seine geschiedene Ehefrau ihn wöchentlich per Ferngespräch im Namen der drei Söhne anflehen muß, sich doch bitte bei seinen Kindern zu melden? Baut es ihn auf, daß sie ihn zwar schnöde verlassen hat, jetzt aber demütig immer wieder Kontakt zu ihm suchen muß, um der Söhne willen? Und Helmut - sein Nicht-Erscheinen zum ausgemachten Besuchstermin kann vielleicht als Versuch interpretiert werden, im schönen neuen Leben seiner Ex-Ehefrau permanent negativ präsent zu sein. Sie hat vielleicht einen neuen Ehemann, ein neues Baby und ein glückliches neues Leben, aber ihre Wochenenden kann er ihr immerhin noch vermiesen, und er kann verhindern, daß sein Sohn sich glücklich und ausgeglichen in diese neue Familie einfügt. All diese Strategien setzen voraus, daß der Betreffende sehr gut abstrahieren kann, d. h. die Gefühle des Sohnes total verdrängen und statt dessen nur mehr die eigene Kränkung sehen kann. »Der Tiefpunkt«, erzählt Traude, »war Simons sechster Geburtstag. Helmut hatte versprochen zu kommen; erwartungsvoll raste Simon bei jedem Läuten zur Tür. Er flehte, mit dem Clownprogramm erst anzufangen, wenn Papi eingetroffen sei. Es war eine absurde Situation, ich führte in der Küche hektische Verhandlungen mit dem Clown, damit der länger blieb und noch wartete. Aber umsonst. Schließlich begannen wir mit der Vorführung, Simon saß lustlos da und schlich sich mittendrin davon. Ich fand ihn in seinem Zimmer, wo er sich im Bett verkrochen hatte. Ich sollte seine Freunde heimschicken, und Geburtstag wollte er nie mehr haben.«
Helmut ist nicht bloß irrational böswillig oder verantwortungslos. Er macht seiner Frau, der er die Scheidung noch nicht verziehen hat, eine Menge Probleme. Und er zwingt sie in die Bittstellerposition. »Ich habe Helmut schon x-mal angerufen, um eine verbindliche Besuchsregelung zu treffen.
Mittlerweile komme ich nur bis zur Sekretärin durch. Dort wird mir mitgeteilt, daß Helmut mich zurückrufen wird; das findet aber nie statt. Ich weiß nicht, was ich tue, wenn es eine echte Krise gibt. Wenn Simon etwas passieren sollte, kommt er dann auch nicht?« Oder der vorhin erwähnte Peter. Die zwei jüngeren Söhne waren bei der Scheidung zu klein, um viel mitzubekommen, aber der älteste Sohn vermißt seinen Vater sehr. Es war für Helga schwer gewesen, die Trennung zu verkraften; jetzt ist sie in der paradoxen Situation, des Sohnes wegen wieder Kontakt suchen zu müssen. Und abzublitzen. »Ich habe gesagt, Liebling, ich wünsche mir, ich könnte dir helfen, aber ich kann es nicht. Ich habe deinem Vater geschrieben, ich habe ihn angerufen, aber er meldet sich nicht. Daraufhin sagte Patrick: >Mama, ich muß dir etwas sagen. In der letzten Woche habe ich jeden Tag angerufen und auf sein Band gesprochen. Warum ruft er mich nicht zurück?< Was soll ich da machen? Ich habe schon alles versucht: Bittbriefe, Drohbriefe, alles. Er reagiert einfach nicht. Die Kinder leiden, und ich muß das mitansehen.« Bei Bianca ist es zunächst schwieriger, hinter dem ablehnenden Verhalten ihres »Kindesvaters« eine Motivation zu erkennen. Ihr Sohn ist heute 16. Bei der Scheidung war er vier. Und in den dazwischenliegenden zwölf Jahren hat ihr Mann von seinem uneingeschränkten Besuchsrecht gerade dreimal Gebrauch gemacht, obwohl er nur wenige Kilometer entfernt in derselben Stadt wohnt. Das erste Mal, erinnert sich Bianca, das war kurz nach der Scheidung. Ausgemacht war, daß er das Kind um 18 Uhr zurückbringt, doch er kam zwei Stunden früher. Das zweite Mal war zwei Wochen später. Und danach war eine unerklärte Sendepause von vier Jahren. »Dazwischen kam eine zufällige Begegnung. Wir sind uns auf der Straße begegnet, er hat uns angeschaut und dann weggesehen. Er war mit einer Frau unterwegs, wahrscheinlich seiner neuen Freundin. Er tat so, als ob er uns nicht kennt. Wie sollte ich da reagieren? Ich war echt perplex.« Mit fünf wollte mein Sohn ihm unbedingt schreiben. Ich mußte es vorschreiben, er hat mir diktiert, und dann hat er es mühsam nachgemalt. Er warf den Brief selber ein, darauf legte er Wert. Danach wartete er auf Antwort, doch die kam nicht.
Als er acht war, rief dann sein Vater an, ganz plötzlich. Er hätte ein Geburtstagsgeschenk für ihn und möchte ihn auch sehen. Davor hatte es nie ein Geburtstagsgeschenk gegeben, auch keinen Anruf und keine Karte. Er schlug vor, das Kind solle zu einer bestimmten Zeit unten am Hauseingang auf ihn warten. Das allein war schon ein umwerfender Vorschlag. Das Kind hatte ihn ja seit vier Jahren nicht mehr gesehen; sollte ich ihm vielleicht ein Foto vom Vater mitgeben, zur Erkennung? Er ging mit dem Kind dann zur Freundin. Die war zwar sehr lieb, offensichtlich, aber Andi sagte dort zu allem nein. Die Situation hat ihn überfordert. Und sein Vater fühlte sich wohl auch überfordert, denn danach war wieder Sense.« Aus Biancas Erzählungen können wir schließen, daß bei ihrem Mann biographische Gründe für sein Verhalten vorliegen. Seine Eltern ließen sich scheiden, als er klein war; danach zog sein Vater ins Ausland, und er hatte zu ihm keinen weiteren Kontakt. Offensichtlich hat er keine »Vorlage« für väterliches Verhalten; für diese Vermutung spricht, daß er beim ersten Besuchstag die anberaumten Stunden nicht füllen kann. Er weiß nicht, was er mit einem kleinen Kind anfangen soll; das ist unbequem, also läßt er es nach dem zweiten Mal bleiben.
Vier Jahre später probiert er mal, ob es nun schon besser geht. Der Sohn, gekränkt durch die lange Abwesenheit des Vaters, reagiert lauwarm, und schon ist sein Vater wieder entmutigt. Doch können wir nicht von einem erwachsenen Mann mehr erwarten, mehr Nachdenken, mehr Geduld, mehr Verantwortungsgefühl? Die psychischen Kosten der väterlichen Ablehnung und Unzurechenbarkeit sind für Söhne hoch. Abfällige Bemerkungen, sichtliches Desinteresse, gebrochene Versprechungen, Kinder beziehen das auf die eigene Person, und ihr Selbst wertgefühl nimmt daran Schaden. Wo Interaktionen rar sind, kann eine einzige Episode tonangebend sein.
Auch Georgs Vater lehnte es ab, sein Besuchsrecht in Anspruch zu nehmen. Anfangs kam er alle zwei Wochen, dann einmal im Monat, und schließlich blieb er ganz aus. Als sein Sohn zehn Jahre alt war, tauchte er plötzlich wieder auf. »Georg war irrsinnig aufgeregt. Sie gingen miteinander auf den Sportplatz, und beim Heimbringen wollte Georg seinem Vater unbedingt sein Zimmer zeigen. Dort hingen Zeichnungen, die er gemacht hatte; der Vater stand vor diesen Zeichnungen und fragte: >Was ist das?< Darauf Georg: >Ein Pferd mit einem Reiter.< Und sein Vater: >Ich dachte, es ist eine abgebundene Knackwurst.< Vielleicht sollte das ein Scherz sein, aber Georg hat es nicht so aufgefaßt. Er hat kein Wort gesagt, aber am nächsten Tag waren alle Zeichnungen weg, und er hat nie mehr eine aufgehängt.«

Ludwig oder: Die Sehnsucht nach der Liebe des Vaters

Ludwig ist neun Jahre alt. Seine Eltern leben seit eineinhalb Jahren getrennt, in der Absicht, sich scheiden zu lassen. Ludwigs Mutter arbeitet für eine Fluglinie, in der Buchungsabteilung. Sein Vater ist Bürokaufmann. Gelegentlich muß die Mutter einen Fortbildungskursus besuchen, dann ist sie über das Wochenende weg. Ludwig übersiedelt dann meist in die Wohnung seiner Großmutter. Seinen Vater hat Ludwig seit zwei Monaten nicht mehr gesehen, obwohl eigentlich abgemacht war, daß er das Kind jedes zweite Wochenende zu sich nimmt. Ludwigs Mutter muß über das Wochenende nach Kopenhagen zu einem ihrer Kurse. Diesmal soll er nicht bei der Großmutter bleiben, sondern endlich wieder einmal bei seinem Vater sein. Freitag abend bringt Ludwigs Mutter ihn zur Großmutter und fliegt dann ab. Samstag vormittag ruft die Großmutter ihren Schwiegersohn an, um die Abholung zu koordinieren. Er sagt, es sei ihm etwas dazwischengekommen und er würde den Sohn erst am Abend holen.
Es ist ein wunderschöner Sommertag. Damit er nicht bei der Oma in der Wohnung herumsitzen muß, nimmt eine befreundete Familie sich Ludwigs an. Er spricht fast den ganzen Tag nur von seinem Vater. Er erzählt den anderen Kindern von dem tollen neuen Auto, das sein Vater kaufen wird. Er erzählt, daß sein Vater ihn im Urlaub nach Griechenland mitnehmen wird. Er will nicht ins Schwimmbad gehen, weil sein Vater angekündigt hat, sie würden am Sonntag zusammen baden gehen. Wozu zwei Tage hintereinander schwimmen? Am späten Nachmittag wollen die Kinder ins Kino gehen, aber Ludwig besteht darauf, zu Hause zu bleiben: Sein Vater wird ihn ja nun jederzeit abholen, er könnte anrufen, während er gerade im Kino ist, und dann wüßte er nicht Bescheid. Um 21 Uhr hat sich der Vater noch immer nicht gemeldet, also wird über die Großmutter nach ihm gefahndet. Etwas irritiert meint er per Handy, Ludwig sei doch sicher lieber mit anderen Kindern zusammen und sollte doch noch bei dieser Familie übernachten, er würde ihn am nächsten Morgen holen. Ludwig ist ein schwieriger Gast, er ist unruhig, kann nicht einschlafen und redet, immer prahlerischer, von seinem Vater. Jedes Thema eignet sich dazu, den Vater ins Gespräch einfließen zu lassen. Man sieht fern? Sein Vater hat ein tolles neues Videogerät bestellt. Man ißt etwas? Morgen wird sein Vater mit ihm in ein fantastisches Restaurant gehen, wo es die beste Pizza der Welt gibt. Die Erwachsenen verstehen das, aber die anderen Kinder erleben es als Angeberei, die Stimmung wird immer schlechter, und es ist schwer, einen Streit zu verhindern. Am nächsten Tag um 11 Uhr gibt es von Ludwigs Vater noch keine Spur. Ludwig ist in nervöser Hochspannung, schaut immer wieder aus dem Fenster, ist unruhig. Schließlich setzt sich die Familie mit seinem Vater in Verbindung. Bestimmt hätten sie für den Sonntag doch schon irgendeinen Ausflug geplant, meint dieser, und es wäre netter für Ludwig, bei ihnen zu bleiben. Der Gastvater teilt ihm jedoch sehr direkt mit, das Kind würde schon seit gestern Nachmittag fieberhaft auf ihn warten, und es sei unbedingt ratsam, ihn umgehend abzuholen. Ludwigs Vater erscheint, läßt sich erschöpft auf das Sofa fallen und erzählt irgend etwas von einer »langen Nacht«.
Ludwig tänzelt um ihn herum und will ihn in ein Gespräch verwickeln, vor allem will er erreichen, daß sein Vater bestätigt, was er den anderen Kindern erzählt hat. Nicht wahr, sie werden jetzt doch in das Freibad fahren, in das tolle mit dem Wellenbecken? Doch sein Vater winkt mürrisch ab. Ein Bad? Bloß nicht, das mache schon Kopfweh beim Drandenken, nein, er möchte jetzt in einem schattigen Garten sitzen und ausspannen. Während er spricht, fällt sein Auge auf Ludwig, der eine Schirmmütze trägt. Der Vater wird zornig und fährt Ludwig an. So etwas trägt man nicht im Haus, nicht in seiner Anwesenheit! Mit einer aggressiven Bewegung, viel zu fest, schlägt er ihm die Mütze vom Kopf. Ludwig wird ganz rot; dieser Zwischenfall ist ihm vor den anderen Kindern, denen er einen lieben, tollen Vater geschildert hat, äußerst peinlich. Schließlich erhebt Ludwigs Vater sich vom Sofa. Ludwig hat seinen Pyjama eingepackt und eine kurze Hose angezogen. Beim Fußballspielen am Vortag hat Ludwig sich einige lange Kratzer zugezogen; um diese abzudecken, hat er seine Socken fast bis zum Knie hinaufgezogen. Das fällt seinem Vater auf. »Wie du schon wieder ausschaust, wie ein Clown«, meint er abschätzig. Das Telefon läutet. Es ist Ludwigs Mutter, aus Kopenhagen; sie möchte wissen, ob alles geklappt hat, und bestätigt ihre Rückkehr für 7 Uhr. Ludwig spricht mit ihr. Dann sagt er: »Wart noch, der Papa will mit dir reden, ich geb ihn dir.« Der Papa will aber überhaupt nicht mit ihr reden, er winkt energisch ab, doch Ludwig hält ihm insistierend den Hörer entgegen, und schließlich muß er zum Telefon gehen. »Ja ja. Weiß noch nicht. Ja.« Ludwigs Vater fährt mit Ludwig in einen Biergarten. Nachdem er zwei Cola getrunken und gegessen hat, ist es Ludwig schrecklich langweilig. Sein Vater liest die Zeitung, Ludwig setzt sich auf die Wiese. Später entdeckt er, daß er sich eine Zecke geholt hat. Der Vater liefert ihn früher als ausgemacht und mitsamt der Zecke zu Hause ab.
Tag der offenen Tür im Gymnasium. Georg und seine Klasse spielen Fußball, die Eltern sehen zu. Georg gibt als Torwart sein Äußerstes, aber seine Mannschaft spielt heute einfach nicht gut, die andere Mannschaft ist schneller, aggressiver und zum Teil einfach auch körperlich größer und stärker. Georg liebt Fußball. Er gilt in der Schule als guter Spieler und ist darauf stolz. Er hat sich enorm auf den heutigen Tag gefreut, an dem sein Vater ihm beim Spiel zusieht. Georgs Vater beobachtet den Verlauf des Spiels mit Irritierung und mit vielen abfälligen Kommentaren über das »lahmarschige« Auftreten von Georgs Klasse. Zur Halbzeit will er bereits weggehen mit der Bemerkung, die seien nun schon »abzuschreiben«; nur das gute Zureden seiner Frau kann ihn davor zurückhalten. Im Anschluß an das Spiel gibt es weitere Darbietungen, doch Georgs Vater meint laut, nach diesem 3:0 könne man wohl nur noch heimgehen. Seine Frau redet auf ihn ein, er solle doch den Sohn nicht kränken und ihn auch nicht vor seinen Freunden blamieren; der Vater ist ungehalten und ungeduldig. Untersuchungen werfen auch Fragen auf, die unbeantwortet bleiben. Warum gehen Männer mit ihren Söhnen oft so grob und gefühllos um? Diese Frage blieb für uns offen. Wir können nur Vermutungen anstellen, glauben aber, daß die Ursachen sehr tiefliegend sind und eine ausführlichere Beschäftigung verdienen würden. Ein vielzitiertes Schlagwort besagt, daß Kinder zu ihrer Entwicklung beides brauchen: einen Menschen, der sie bedingungslos liebt, und einen Menschen, dessen Liebe sie sich erst verdienen müssen. Meist wird die Mutter in der ersten, der Va ter in der zweiten Rolle gesehen. Doch diese Ansicht überzeugt uns nicht. Erstens ist die Welt voll von Leuten, die einen nicht lieben und denen man sich, um von ihnen akzeptiert zu werden, erst beweisen muß. je gefestigter man in sich selber ist, desto besser gelingt einem das bzw. desto besser bewältigt man die Erfahrung, trotz aller Bemühung auch einmal abge lehnt zu werden. Und diese Festigung erfährt man, indem man als Kind geliebt, gefördert, für gut befunden und stabilisiert wurde - am besten durch beide Eltern.
Wenn einen nur die Mutter gut findet, während der Vater seine tiefe Unzufriedenheit zum Ausdruck bringt, muß das doch zutiefst verunsichernd sein, etwa so: Meine Mutter liebt mich, aber was soll's, deren Liebe ist ja blind, doch meinem Vater, der mich kritisch studiert und beurteilt, gefalle ich nicht. Das muß eine Bruchlinie ergeben. Für uns ist und bleibt das Verhalten vieler Väter schwer zu deuten. Warum weckt jegliche Unvollkommenheit des Sohnes so schnell eine aggressive Reaktion, wo dieser Sohn doch bestimmt von seinem Vater geliebt wird? Ist es eine Art von Selbsthaß, der sich gegen das kleinere Selbst, die kleinere Verkörperung der eigenen Schwächen richtet? Ist es eine Wiederholung der Grobheit, die der Mann selber als Junge erlebt hat? Zeigt er ein Verhalten wie im Kindergarten, der große Mann, der, wenn er im »Puppeneck« der Elternschaft keine Rolle für sich sieht, in die Rolle des Spielverderbers und Demolierers schlüpft?

Tips zur Schadensbegrenzung

Wie kann die Mutter - ob verheiratet oder geschieden - sich in solchen Fällen verhalten, um eine »Schadensbegrenzung« zu erwirken? Die Vorgehensweise, die logisch und naheliegend erscheint, ist in erster Linie der Appell an den Vater. Ein klärendes Gespräch, ein Brief, ein Telefonat. Genau das versuchen Frauen meist und scheitern damit. Die Frauen sind darüber oft enttäuscht, manchmal fassungslos - doch das sollten sie nicht sein. Ihre Erfahrung bestätigt meist nur, was sie in den vorangegangenen Ehejahren erlebt und beklagt haben, daß ihr Mann nicht partnerschaftlich empfindet und handelt, daß er als Vater unzuverlässig ist, daß man mit ihm nicht sprechen kann. Jede Situation ist natürlich ein bißchen anders. Nach manchen Scheidungen klappt es mit dem Besuchsrecht gut; wenn nicht, kann auch die Frau daran schuld sein. Manche Väter, die vorher nur wenig Zeit für ihre Kinder hatten, erleben nach der Trennung einen heilsamen Wandel und bauen zu ihren Kindern eine richtig gute Beziehung auf. Manche Paare konnten einfach nicht miteinander leben; voneinander befreit, entspannen sie sich und haben zu den Kindern - und manchmal sogar wieder zueinander - ein viel besseres Verhältnis. Manche Frauen sind unangenehm und unfair, ihre Männer können es ihnen weder vor noch nach der Scheidung recht machen. Doch leider kommt es auch oft vor, daß Männer ihre Vaterschaft nach der Scheidung in einer Art und Weise gestalten, die für ihre Kinder schmerzhaft und verletzend ist. Ideal wäre, daran besteht wenig Zweifel, wenn das Kind nach der Trennung zu beiden Eltern einen guten und beständigen Kontakt hält und das berechtigte Gefühl hat, daß beide Eltern sich für seine Entwicklung, seine Probleme und seine Person interessieren. Wenn das nicht der Fall ist, sollte man versuchen, eventuell mit Unterstützung einer Familienberatung, doch noch zu einer für das Kind erträglichen Übereinkunft zu kommen. Doch was ist zu tun, wenn diese beiden Hoffnungen sich zerschlagen haben? Wir haben die häufigsten Problemsituationen sehr genau analysiert und dabei überraschende Beobachtungen gemacht. Was können Mütter also anders machen, um Probleme zu verhindern oder zu mildern?

  1. Suggerieren Sie dem Kind kein Defizit, das es selbst noch gar nicht empfindet
    Geschiedene Frauen litten darunter, daß ihre Kinder über die Vernachlässigung durch den Vater unglücklich waren, daß der Vater die Kinder enttäuschte. Doch bei genauerer Betrachtung stellte sich manchmal heraus, daß die »Enttäuschung der Kinder« keine objektive Größe war. Sie stand nicht einfach im Raum, sondern sie wurde - manchmal - erst in den Raum gestellt. Anders gesagt, es lief nicht unbedingt so ab: Kind richtet Erwartungen an Vater, Vater erfüllt sie nicht, Kind ist traurig, Mutter leidet mit dem Kind; sondern auch: Mutter (oder: Lehrerlnnen, Verwandte, anteilnehmende Nachbarn) erwarten einen regelmäßigen, zuverlässigen Kontakt zwischen Vater und Kind, Vater hält das nicht ein, Umwelt ist stellvertretend für das Kind enttäuscht, Kind bekommt mit, daß es betrogen wird, Kind ist traurig. Das Defizit an väterlicher Liebe war also oft etwas, das dem Kind erst suggeriert wurde: von der Umgebung, von Bezugspersonen, von der Mutter. Oder die Enttäuschung des Kindes beruhte auf falschen Versprechungen, die dem Kind im Zuge des Scheidungsverlaufs gemacht wurden: »Es wird sich nichts ändern, du wirst den Papa ganz oft sehen.« Enttäuscht ist man, wenn nicht eintrifft, das man sich erhofft und erwartet hat. Doch woher kommt die ursprüngliche Erwartung? Nicht immer vom Kind selbst. Frauen unternehmen sehr viel, um ihr eigenes Idealbild der Vater-Kind-Beziehung wahr zu machen. Wir hatten Fälle, in denen Frauen auf größere, ihnen rechtlich zustehende Geldbeträge oder Hausanteile verzichteten, um das »Klima zu verbessern« und »die Vater-Kind-Beziehung nicht zu vergiften«. Frauen sparten ihr Geld zusammen, um dem Vater als Anreiz für die Wahrnehmung seines »Besuchsrechts« ein Flugticket schicken zu können. Eine weitere Frau war vom Vater ihres Kindes gegen Ende der Schwangerschaft sitzengelassen worden. Es gab keine weiteren Kontakte, aber sie wußte mittlerweile von ihm, daß er gutverdienender, verheirateter, aber kinderloser Anwalt war. Sie selber lebte mit ihrem Kind an der Armutsgrenze, doch sie stellte keine Unterhaltsforderungen an ihn; dem jugendamt gegenüber behauptete sie, seinen Aufenthaltsort nicht zu kennen. Warum diese Loyalität? Weil sie hoffte, daß er sich »irgendwann« doch noch für sein Kind interessieren v",ürde und diese mögliche zukünftige Vater-KindKontaktnahme nicht durch finanzielle Forderungen »vergiften« wollte? Der Vater, den das Kind noch nie und die Mutter sei zehn Jahren nicht mehr gesehen hat, ist in dieser Familie ständig als Sehnsucht präsent. Die Mutter erzählt von ihm und spricht oft in Anwesenheit ihres Sohnes davon, wie sehr das Kind »einen Vater« vermißt und wie schwierig ihre Liebesbeziehungen sind, weil der Sohn in jedem längerfristigen Partner »einen Vater sieht«.
     
  2. Erlauben Sie es dem Kind, sich ein eigenes Urleil zu bilden.
    In der Vater-Kind-Beziehung spielen viele Mütter die Rolle der Animierdame paradoxerweise auch noch nach der Scheidung. »Dem Kind muß der Vater erhalten bleiben« nach diesein Glaubenssatz richten sie ihr Verhalten aus, auch wenn es ihnen mitunter noch so widerstrebt. Wenn der Vater nicht von allein kommt, muntern sie ihre Kinder auf, ihm einen Brief zu schreiben, ihm ein Bild zu malen. Sie rufen an, um dem Vater mitzuteilen, daß das Kind ihn vermißt und ganz bedrückt ist. Gar nicht selten widersetzen sich die Kinder diesem Ansinnen. Erikas Ex-Mann meldete sich zwei Jahre lang fast gar nicht. Doch dann verließ ihn seine neue Freundin, der Scheidungsgrund, er zog wieder zu seinen Eltern, und Erika erfuhr von der Schwiegermutter, daß er ein »gebrochener Mann« sei und »ständig über seine Kinder spräche«. Daraufhin redete Erika auf die beiden Söhne ein, sich doch beim Vater zu melden. Sie hielt ihnen vor Augen, daß es ihm schlecht ginge, daß er traurig und allein sei. Die beiden Söhne, 11 und 13 Jahre alt, erwiderten ganz richtig, daß er sich zwei Jahre lang auch nicht dafür interessiert hätte, ob sie nach seinem Auszug traurig und allein waren und ob es ihnen schlecht ging. Und wenn er sich jetzt anders besonnen habe, warum rufe er dann nicht einfach selber an? »Sie sind halt Kinder«, entschuldigte sich die Mutter im Interview. »Irgendwie erwarten sie, daß der Erwachsene den ersten Schritt tun soll.« Erika bedauert diese Einstellung, doch haben die Kinder damit nicht recht, bzw. haben sie nicht ein Recht auf diesen Standpunkt? Frauen machen die Kinder oft zu ihren Stellvertretern, ihren Nachfolgern in einer Beziehungsdynamik, die letztendlich ja keinen Erfolg zeigte, sondern bloß zur Scheidung führte. Das Kind spielt jetzt den Part, den vorher die Frau spielte: den Part desjenigen, der Zuwendung sucht, der Zeit und Aufmerksamkeit haben will und sie von einem unwilligen Gegenüber erweint, ertrotzt und mit moralischem Druck erzwingt. In die Vater-Kind-Beziehung intervenieren sollte eine Mutter nur dann, wenn dem Kind Unrecht getan wird. Keinem Kind ist zuzumuten, mehr als einmal ohne sehr guten Grund auf seinem Köfferchen sitzen zu bleiben, weil der Vater einfach nicht zum Abholtermin erscheint.
    Wenn die Enttäuschungen sich häufen, stehen Mütter vor der Frage, wie das Kind am besten zu trösten sei. Zwei Möglichkeiten bieten sich offenbar vorrangig an: Entweder die Mutter entschuldigt den Vater, findet vor dem Kind irgendeine beschönigende Erklärung für sein Ausbleiben und entwirft gemeinsam mit dem Kind Strategien, wie der Vater besser »eingefangen« werden könnte. Oder die Mutter verteufelt den Vater, um dem Kind seine Illusionen und Hoffnungen und damit auch seine Enttäuschbarkeit zu nehmen. Diese zwei Wege sind zwar verständlich, aber nicht wirklich zielführend. Ein Kind, das vom Vater immer wieder sitzengelassen wird - ob im wortwörtlichen oder auch nur im emotionalen Sinn - muß aus dieser Situation befreit werden. Das ist nicht optimal, aber besser als die Alternative. Säumnisse seitens des Vater sollten von der Mutter weder entschuldigt noch in den Kontext ihrer eigenen, langjährigen Konflikterfahrung mit diesem Mann gestellt werden. Am besten ist es, wenn die Fakten für sich allein stehen. Wenn sie es für erforderlich hält, kann die Frau dem Kind auch ihre persönliche Meinung dazu sagen. Dem Kind sollte jedoch klargemacht werden, daß es keine Schuld daran hat. Je normaler die Situation dem Kind erscheint, desto leichter wird es sich damit abfinden. je mehr Mitleid und bedauerndes Kopfschütteln es miterlebt, desto stärker wird es seinen Verlust empfinden. Mütter erleben Kinder als Stellvertreter ihrer selbst, als fortgesetztes Opfer von Ungerechtigkeit und Vernachlässigung durch den Mann, aber auch als Stellvertreter des Vaters. Beide Sichtweisen sind schädlich. Im ersten Fall stellen sie durch das Kind weiterhin ihre Bindungswünsche an den Mann mit allen begleitenden Psychodramen. Im zweiten Fall setzen sie, wieder stellvertretend durch das Kind, ihre Abgrenzungsversuchen und Konflikte fort. Der Satz »Du bist genau wie dein Vater« sollte auch im Zorn nicht fallen. Wenn er doch fällt, dann sollte man sich umgehend dafür entschuldigen und dem Sohn erklären, daß es ein Ausspruch im Affekt war. Den Sohn negativ an einen Vater zu ketten ist genauso destruktiv, wie den Sohn in einer gemeinsamen Opferhaltung »positiv« an sich selbst zu binden. Das gilt um so mehr, als die meisten Eigenschaften, die Frauen ihren Söhnen im Zorn vorwerfen, alles andere als erblich sind. Daß der Sohn beim Essen Zeitung liest, statt sich mit seinem Gegenüber zu unterhalten, daß er ungern Hausarbeit verrichtet, daß er zu vereinbarten Treffen zu spät kommt, das alles sind Dinge, die neben diesem speziellen Vater auch unzählige andere Menschen tun, die nicht mit dessen Erbgut belastet sind. Von vielen Müttern wird der Satz gezielt als Disziplinierung eingesetzt, was noch fataler ist. Hertas zwei Söhne wurden von ihrem Vater geschlagen und mißhandelt. Infolge finanzieller Not blieb die Frau trotzdem sehr lange bei diesem Mann, um erst im Alter von 45 die Scheidung zu wagen. Wenn sie heute Probleme hat mit ihren Söhnen »und einem von ihnen etwas Bösen sagen will, dann muß ich nur sagen, du erinnerst mich an deinen Vater. Das mache ich aber nur sehr selten. Denn da werden sie richtig zornig.«
     
  3. Übersteigern Sie nicht die Bedeutung männlicher Leistungen.
    Den Frauen ist es ein sehr großes Anliegen, Männer in die väterliche Rolle hineinzuziehen. Das ist nicht nur innerhalb der Familie so, sondern auch in anderen Bereichen. Im Kindergarten wird ein Vater, der sich zur Verfügung stellt, wie ein Held gefeiert, während die Mitwirkung einer Mutter, die doppelt soviel beiträgt wie er, für selbstverständlich gehalten wird. In der Volksschule sind männliche Lehrer der Hahn im Korb. Alleinerziehende Väter können mit der Anteilnahme und Mithilfe ihrer gesamten weiblichen Umgebung rechnen, während eine alleinerziehende Mutter sich kaputtrackern kann und dankbar sein muß, wenn sie nicht schief angesehen wird. Männliche Leistungen gegenüber Kindern werden umjubelt und als etwas ganz Besonderes gefeiert. Damit wollen Frauen die Männer ermutigen, sich in dieser Richtung weiterzuentwickeln. Diese Reaktion hat allerdings auch eine gewisse herablassende Note. Die Frauen, die in Ekstase geraten, weil ein Mann ausnahmsweise mal ein winziges Bruchstückchen von dem tut, was Millionen Frauen ständig tun, erinnern an die Mutter, die Hingerissenheit mimt, weil ihr Zweijähriger endlich in den Topf statt in die Windel gemacht hat. Eigentlich handelt es sich um eine kulturelle Minimalleistung, doch in Anbetracht der geringen Fähigkeiten des Betroffenen und um ihn zu ermutigen, spielt man die Begeisterte. Er hat sich zwei Stunden freigenommen für den Buchstabentag? Toll! In der Volksschule wird die neue Lehrerin, die freiwillig am Nachmittag einen Englischkurs anbietet und ihren Unterricht auffallend mitreißend gestaltet, die in ihren Sommerferien ausländische Projekte besichtigt, um neue Ideen mitzubringen, mit keinem Wort erwähnt. Der neue Kollege, der außer seiner Geschlechtszugehörigkeit nichts Besonderes anzubieten hat, wird umhätschelt, seine Teilnahme am Elternabend als ganz besondere Errungenschaft für die Schule gepriesen. Ein männliches Rollenbild für die Kinder! Fantastisch! Und die erwachsenen Männer, die in den Genuß dieser wohlmeinenden Pädagogik kommen, gebärden sich wie Kleinkinder. Sie sonnen sich im Lob, fühlen sich ganz groß und reagieren mit Trotz, wenn irgend jemand es wagt, die Grandiosität ihrer Leistung anzuzweifeln.

Die dahinterstehende Absicht ist gut. Auf jeden Fall wäre es besser, wenn die Lehrerschaft in der Volksschule geschlechtsmäßig ausgewogener wäre - das gleiche wäre übrigens auch auf der Hochschule zu begrüßen, wo die vereinzelten weiblichen Professoren jedoch nicht mit Begeisterung, Jubel und besonderer Förderung von ihren männlichen Kollegen aufgenommen werden. Auf jeden Fall gehört der männliche Elternteil in den Kindergarten, in die Ausflugsgruppe usw. Aber die erzieherische Taktik, den Männern auf dem Weg in diese Einrichtungen Blumen zu streuen, schlägt fehl. Natürlich soll man sie will kommen heißen und ihnen auf dem vielleicht noch unvertrauten Terrain weiterhelfen. Doch die Grundbotschaft ist falsch, sofern sie auf diesem Terrain als etwas Besonderes behandelt werden. Wie überall sonst in der Gesellschaft werden Männer dann zum Überfluß auch noch hier zu etwas ausgenommen Wichtigem, ausgenommen Wertvollen. Das entspricht aber nicht den Tatsachen, denn Männer sollten in diesen Bereichen natürliche Pflichten und Aufgaben haben, und ihre Anwesenheit und Mitwirkung sollte eigentlich selbstverständlich sein. Durch die Sonderbehandlung gerät die väterliche Teilnahme zu einem seltenen und um so kostbareren Gastauftritt, was die Männer in ihrer eigenen (Fehl-)Einschätzung noch bestärkt. Die übertriebene Anerkennung für selbstverständliche Väterleistungen bewirkt bei vielen Frauen nach einer Trennung eine große Unsicherheit. Sie haben das Gefühl, daß ihr Kind etwas sehr Essentielles, nämlich die männliche Bezugsperson, verloren hat. Oft stellt sich im Gespräch heraus, daß diese Sichtweise überhaupt nicht stimmt. Der Vater war für das Kind nie verfügbar, während es aber einen männlichen Lieblingslehrer oder Basketball-Coach, einen Onkel und zwei hingebungsvolle Großväter gibt, die sowohl männlich als auch Bezugspersonen sind.