»Hat nicht Gott... euch eure Stellung zum Manne angewiesen?«
Das Frauenbild in der württembergischen Presse
In Württemberg - wie auch in anderen deutschen Staaten - entwickelte sich die Presse in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einem der wichtigsten literarischen Kommunikationsmittel.[1] Gab es 1809 außerhalb Stuttgarts nur neun Tag-und Wochenblätter,[2] so existierten 1831 bereits 56 Zeitungen,[3] und im Jahr 1876 erschienen 244 Zeitungen (davon 6 Wochenblätter) in Württemberg.[4]
Seit den 30er Jahren wurde die Presse zum Medium einer verstärkt politisierten Öffentlichkeit. Da die Presse seit den Karlsbader Beschlüssen von 1819 einer strengen Zensur unterlag und politische Blätter einer obrigkeitlichen Genehmigung bedurften, hatten nur wenige Zeitungen eine Konzession für politische Berichterstattung. Die meisten Zeitungen waren »Intelligenzblätter«, häufig Organe der Verwaltung; ihre Hauptaufgabe war neben der Anzeigenvermittlung die Veröffentlichung von Gesetzen und Verordnungen. In der kurzen Liberalisierungsphase nach der Julirevolution 1830 politisierte sich die Tagespresse zunehmend, wurde zum bürgerlichen Diskussionsforum, zur Informationsträgerin und Vermittlerin liberalen Gedankenguts. In dieser Zeit enstand auch der »Beobachter«, der 1830 als Organ der württembergischen liberal-demokratischen Opposition gegründet worden war.
Um gegenüber »populären Lesestoffen«[5] wie den Wochenschriften, Almanachen, Traktaten und Kalendern bestehen zu können, übernahm die Tageszeitung nach und nach deren Inhalte: Fortsetzungsromane, Anekdoten, Ratschläge, Witze, Silbenrätsel usw. Mit der Aufnahme solcher Unterhaltungsteile konnte einerseits ein größerer Absatz erzielt werden, andererseits glich dies auch die fehlende politische Berichterstattung aus.[6] Die Tagespresse versuchte die Zensur immer wieder zu umgehen, um dem Informationsbedürfnis des liberalen Bürgertums Rechnung zu tragen. Besonders durch den Abdruck von Leserbriefen konnten Bürger Ansichten, Interessen, Ansprüche, Wünsche oder Kritik öffentlich artikulieren. Anonymität schützte die Autoren vor Sanktionen.[7] Es wurde möglich, sich »jenseits von Institutionen und Organisationen relativ einfach zu verständigen und Aktionen zu initiieren«.[8]
Der Ausbruch der Revolution und die Aufhebung der Zensur am 1.3.1848 führten zur Gründung zahlreicher neuer Zeitungen und Zeitschriften. Bis 1848 hatte sich die Tageszeitung zum bedeutendsten literarischen Medium entwickelt, während das Interesse an schöngeistigen Büchern,[9] moralischen Wochenschriften usw. sukzessive zurückgegangen war. Die Tagespresse lieferte nun »Belehrung und Unterhaltung, Information, Meinungsbildung und Propaganda zugleich - und verband ihr Angebot mit den dem Medium immanenten Vorzügen der Aktualität, des regelmäßigen Erscheinens (Periodizität) und der umfassenden Themenbehandlung (Universalität)...«.[10]
Frauen und Zeitung
Die Tageszeitung hatte mit den Lesestoffen der populären Unterhaltungsliteratur auch deren Leserschaft übernommen - und dies waren in erster Linie bürgerliche Frauen. Mit dem unterhaltenden Teil, der meist belehrenden Charakter hatte, sprach sie die Frau gezielt als Leserin an. Frauen nützten die Zeitung jedoch auch als Kommunikationsmittel. Sie schrieben Leserbriefe, formulierten Wünsche, inserierten oder veröffentlichten persönliche Erklärungen, die in der Regel Fragen des Privatrechts, eheliche Streitfälle, Ehrabschneidungen und dergleichen Fälle betrafen. Wurden Familienangehörige für geschäftsunmündig erklärt, wurde dies gewöhnlich in der Zeitung bekannt gegeben, ebenso, wenn es darum ging, Verleumdungen zurückzuweisen. So schrieb im Februar 1846 eine Stuttgarter Bürgerin:
»Stuttgart. (Erwiderung). Wenn mein Mann in seiner Warnung in der heutigen Schnellpost von Bezahlen von Schulden spricht, so hätte er auch beisetzen sollen, wessen Schulden er mit meinem Vermögen von etwa 7000 fl zu bezahlen mir zumu-thete. Ich kann Gottlob leben, ohne etwas von ihm zu bedürfen und wünsche ihm, daß er seine Schulden ebenso leicht aus eigenen Mitteln bezahlen kann, als ich die meinigen. Ich bin aber nicht gesonnen, mein Geld für ihn und seine Kinder erster Ehe aufzuopfern; dies der Grund unserer Trennung und seines Ärgers. Friederike Klebsattel, geborene Gauger.« (NT 5.2.46)
Im Jahr 1848, als die lokale Berichterstattung verstärkt politische Ereignisse miteinbezog, veränderte sich auch das Umfeld, in dem Frauen in der Zeitung dargestellt wurden. In den Vordergrund trat nun die politisch aktive Bürgerin. Frauen äußerten sich zum revolutionären Tagesgeschehen und benutzten die Zeitung zur Kommunikation zwischen den verschiedenen Frauenvereinen. Zahlreiche Spendenaufrufe, Gründungserklärungen von Vereinen, Stellungnahmen und Briefe an die Redaktion legen Zeugnis ab über die aktive Teilnahme der Frauen an der Revolution. So wandte sich beispielsweise eine Stuttgarter Bürgerin in der »Schwäbischen Kronik« am 1.5.1848 an den Abgeordneten Moritz Mohl, der im Frankfurter Vorparlament die Abschaffung der Adelsvorrechte beantragt hatte:
»Ihr gestriger Aufsatz im Schwäbischen Merkur war auch mir, so wie gewiß dem größten Theil aller rechtlich gesinnten Menschen aus der Seele gesprochen. Fahren Sie, edler Mann, ruhig auf der betretenen Bahn fort - der Unfug, welcher nur zu lange schon mit den Bevorrechtungen des Adels gedauert hat, wird sein Ende nun nächstens erreicht haben«. (SK 1.5.48)
Im Jahr 1849 sah der »Beobachter« in der zunehmenden Zahl von Frauenbriefen an die Redaktion »ein Zeichen« der politisch bewegten Zeit.[11] Vermutlich bestand eine Wechselwirkung zwischen der Art der Berichterstattung und dem Leserinnen-Interesse: So berichtete der demokratische »Beobachter« am sachlichsten und ausführlichsten über politische Aktivitäten von Frauen und erhielt auch die meisten Zuschriften von Leserinnen, in denen diese ihre eigenen Vorstellungen und Forderungen äußerten.
Frauen gründeten in den Revolutionsjähren jedoch auch eigene Zeitungen: Die erste erschien in Köln unter dem Titel »Frauen-Zeitung« und wurde von Mathilde Franziska Anneke herausgegeben;[12] es folgten Louise Astons »Freischärler«, die »Soziale Reform« Louise Dittmars[13] und schließlich die »Frauen-Zeitung« Louise Ottos, die bis 1852 erschien.[14] In Württemberg allerdings gab es 1848 keine von Frauen geschriebene oder herausgegebene Zeitung. Die einzige bekannte Redakteurin war Therese Huber, die von 1817 bis 1823 das »Stuttgarter Morgenblatt für gebildete Stände« redigierte und leitete.[15] Rechtlich gesehen stand es Frauen trotz ihrer politischen Rechtlosigkeit im Prinzip offen, »die Stelle eines Redakteurs zu versehen«.
- »... daß namentlich Modezeitungen, selbst wenn sie gelegentlich politische Übersichten über die politischen Ereignisse beifügen, ferner periodische Blätter schönwissenschaftlichen oder pädagogischen Inhalts hin und wieder von Schriftstellerinnen redigiert« werden, hält das württembergische Oberamt Rottenburg 1851 »nicht für unzulässig..., ein Grund für den Ausschlüsse der Frauen von dieser Art von schriftstellerischem Gewerbe (kann so) weder in ihrer Nichtteilnahme und Ausübung politischer Rechte noch in gewerbepolizeilichen Vorschriften bestehen...«[16]
Anlaß dieser amtlichen Überlegungen war das Gesuch der Witwe Betz, die die Zeitung ihres verstorbenen Mannes weiterführen wollte. Da es sich um ein »politisches« Amts- und Intelligenzblatt handelte, brauchte sie dazu die amtliche Genehmigung. Als oberste Zensurbehörde bemerkte das Innenministerium am 17.1.1851 zu diesem Fall:
- »So wird es zwar ungewöhnlich seyn, daß eine Frau als verantwortliche Redakteurin einer Zeitung politischen Inhalts erscheint; allein wir halten diese Stellung nicht unvereinbar mit den Bestimmungen der Preß Verordnung vom 25.12.1850, da in denselben für die Berechtigung Redakteur einer Zeitung... zu sein keine Eigenschaft verlangt werden, durch welche eine Frau von der Redaktion eines Blattes ausgeschlossen (wäre)«.
Das Ministerium fügte allerdings hinzu, daß sie die Artikel »selbst bearbeiten oder sortieren« muß und nicht nur den »Namen geben« darf.
Auch wenn es in Württemberg 1848 noch keine Redakteurinnen gab, so hatten die Revolutionsjähre in Bezug auf Frauen doch für einen Umbruch auf dem württembergischen Zeitungsmarkt gesorgt: Am 1.4.1849 erschien in Stuttgart zum ersten Mal »Das Kränzchen«, eine »Zeitung für das weibliche Geschlecht«. Diese war als zweiseitige Beilage in die »Illustrierten Kreuzerblätter« integriert. Noch bevor das »Kränzchen« erschienen war, sprach die konservative Zeitung »Laterne« von einem »demokratischen Frauenblatt« (25.3.49). In der Gründungserklärung des »Kränzchens« im »Schwäbischen Merkur« vom 31.3.1849 hieß es :
»Auch wir Frauen nehmen einen immer regeren Antheil an den Bewegungen der Zeit und dem öffentlichen Leben, das dieselben hervorgerufen... und hiezu bedarf es eines öffentlichen Organs, wie wir bisher noch keines hatten, nämlich eines solchen, das die politischen wie außerpolitischen Zeit- und Tagesfragen auf eine der - weiblichen Anschauungsweise, dem weiblichen Gefühle und der weiblichen Sitte angemessene Art berichtet und bespricht...«.
Ob das »Kränzchen« von Frauen redigiert und herausgegeben wurde, läßt sich schwer sagen. Autoren/Autorinnen blieben entweder anonym oder zeichneten nur mit den Initialen. Die frauenfeindliche Tendenz einiger Artikel sowie bestimmte Anredeformen (»Ihr Frauen«) lassen jedoch darauf schließen, daß die Schreibenden wohl meist Männer waren. Dennoch ist das Erscheinen des »Kränzchens« fraglos als Ausdruck eines verstärkten politischen Interesses von Frauen zu werten, auch wenn das Blatt gezielt anstrebte, dem häuslichen Lebensbereich der Frauen einen breiten Platz einzuräumen:
»... weil wir, ungeachtet der Nothwendigkeit jenes unseres Antheils an dem öffentlichen Leben, doch zunächst dem Hause und der Familie angehören und hier das Leben zu verschönen, zu veredeln haben, (wird das »Kränzchen«; d.V.) auch über alle jene neuesten Erscheinungen und Erfahrungen... Bericht erstatten, welche das Leben und die Bestimmung des weiblichen Geschlechts insbesondere angehen, dieses insbesondere interessiren.«
Dem Anspruch, Politik und Fragen weiblicher Lebenstätigkeit zu verbinden, vermochte das »Kränzchen« allerdings nur in den ersten Monaten seines Erscheinens gerecht zu werden. Solange die Revolution noch anhielt, veröffentlichte die Zeitung beispielsweise einen Artikel von Louise Otto über Mädchenbildung (KR 47, 1849) oder auch eine Serie über Georges Sand (KR 77,78,79,80, 1849). Darüber hinaus kommentierte sie politische Ereignisse wie zum Beispiel die Einrichtung der deutschen Flotte. Mit Beginn der Restauration, vor allem 1850, häuften sich jedoch Kochrezepte, Stickanleitungen und Geschichten über Ehe und Familie. Dies hing möglicherweise mit dem am 1.7.49 vollzogenen Redaktions- und Verlagswechsel der »Kreuzerblätter« zusammen. In der Ankündigung dieser Veränderung erklärte die Redaktion »fortan neben ihrem Unterhaltungsteile auch auf das Bedürfnis des weiblichen Geschlechts durch Mitteilungen in Bild und Wort (Hauswirtschaft, weibliche Arbeiten, Mode- und Musterbilder) für dessen speziellen Berufskreis besondere Rücksicht (zu) nehmen, so daß sie (die Kreuzerblätter; d.V.) als ein unentbehrliches Blatt für jede Familie erscheinen müssen.« (Beob 24.6.49)
Obwohl die Berichterstattung 1849 und dann 1850 deutlich konservativer war, füllte das »Kränzchen« eine Lücke aus. Es berichtete fast ausschließlich über Frauen, sei es über deren Dasein als Gattin und Mutter, oder über deren erfolgreiches Leben als Künstlerin. Es stellte damit eine neue >Leserin-Blatt-Bindung< her, wie sie in der anderen Tagespresse in dieser Art wohl kaum existierte.
Frauen waren also Leserinnen und >Benutzerinnen< des neuen Mediums Tageszeitung - doch wie fanden sie sich darin wieder? Welche Aussagen wurden über Frauen gemacht? Welche Bilder wurden ihnen angeboten und wie wurde mit ihnen als Leserinnen umgegangen? Die folgende inhaltliche Analyse stützt sich auf Artikel in württembergischen Zeitungen zwischen 1846 und 1850, wobei Fortsetzungsromane außer Acht gelassen sind. Sie versucht, das Frauenbild in der Presse auf dem Hintergrund der damaligen historischen Ereignisse zu interpretieren. Die Entwicklung weiblicher Rollenzuschreibungen wird dabei ebenso miteinbezogen wie die gesellschaftliche Situation des Vormärz und der Revolutionsjahre - diese widerspruchsvolle Zeit, in der Rückständigkeit und Fortschritt, in der >alte Bilder< und >neue Verhaltensmodelle< für Frauen nebeneinander existierten. Bereits Themenwahl, Stil und Darstellungsformen lassen bestimmte Normierungen und geschlechtsspezifische Ideologien erkennen. Die Inhalte der meist belehrenden und unterhaltenden Artikel kreisten hauptsächlich um das Dasein der Frau als Gattin, Mutter und Hausfrau. In Anekdoten, Satiren, Witzen usw. wurden Frauen zum Objekt männlicher Betrachtung gemacht, die - je nach Lage der Dinge - wohlwollend-moralisierend, erzieherisch-tadelnd oder auch ironisch-bissig bis hin zu diffamierend ausfiel. Besonders in Anekdoten oder raisonierenden Abhandlungen wurde ein Idealbild der bürgerlichen Frau geschaffen, das zur allgemein verbindlichen, erstrebenswerten Norm erhoben wurde. Diese Art von belehrenden und unterhaltenden Lesestoffen zementierte geschlechtsspezifische Ideologien und förderte deren Akzeptanz.[17] Durch sie sollte die herkömmliche Geschlechterhierarchie aufrecht erhalten werden. Dies wurde besonders 1848/49 deutlich, als ein Teil der Presse versuchte, der Verunsicherung über die sich auflösenden Geschlechterrollen und Verhaltensnormen bei Frauen durch die Propagierung eines bestimmten Weiblichkeitsbildes gegenzusteuern. Gleichzeitig wurde jede Form weiblichen Verhaltens, das von herkömmlichen Normen abwich, polemisch karikiert oder lächerlich gemacht.
Anforderungen an das »weibliche Geschlecht«
»Ein Weib soll seyn: angenehm,... bescheiden,... christlich,... demüthig,... einsichtsvoll, ... fleißig,...«, hieß es in einem Artikel im »Neuen Tagblatt für Stuttgart und Umgegend« vom 1.2.1846, der die männlichen Anforderungen an das >weibliche Geschlecht< auflistete, von A wie angenehm bis Z wie zuverlässig. Dieselbe Zeitung veröffentlichte ein halbes Jahr später eine belehrende Betrachtung mit dem Titel »Für denkende Leser«:
- »In der Sphäre des schaffenden Geistes wird das Weib - wie günstig sich sein Verhältniß auch einmal im Volldaseyn der Menschheit gestalten mag - immer dem Manne nachstehen... Sein Herz ist gleichsam ein großer Crystallspiegel, der die vorübergehende äußere Welt... wiedergibt... Anders verhält es sich mit dem Manne. Er ist nicht so sehr der Abdruck einer fremden, als der Schöpfer seiner innern Welt... Das Weib gehorcht, der Mann gebietet seinem Herzen«. (NT 19.8.46)
Diesen Vorstellungen liegt ein Denkmodell zugrunde, das Karin Hausen mit dem Begriff »Polarisierung der >Geschlechtscharaktere<« beschrieben hat.[18]
»Ein Weib soll seyn: angenehm, artig, anmuthig, achtbar, aufrichtig; bescheiden, bedächtig, belesen, beliebt, beharrlich, bewährt, brav; christlich, demüthig, dienstwillig, dankbar; ehrbar, edelmüthig, einsichtsvoll, enthaltsam, ergeben; freundlich, fleißig, fromm, friedfertig, fehlerfrei, freimüthig; geduldig, gesprächig, gesellschaftlich, gütig, gesittet, gebildet, gesund, gehorsam, gefühlvoll, geistvoll, genügsam, gewandt, gewissenhaft; heiter, häuslich, herzlich, harmlos, haushälterisch, höflich, hold, hülfreich; innig, interessant; jung; keusch, kindlich, kräftig; liebenswürdig, liebreich, leutselig; milde, manierlich, mäßig, musterhaft, mitleidig; nachsichtsvoll, nachgiebig, nett; offen, ordnungsliebend; pflichttreu, pünktlich; qualificirt; reizend, reich, rechtlich, reinlich; schön, standhaft, sanft, scharfsinnig, sittlich, sparsam; talentvoll, tugendhaft, tadellos, thätig, theilnehmend, treu; unveränderlich, ungekünstelt, uneigennützig; verschämt, verschwiegen, vernünftig; wohlwollend, weise, wohlgezogen, wirthschaftlich; züchtig, zärtlich, zuvorkommend, zutraulich und zuverlässig.« (Neues Tagblatt für Stuttgart und Umgegend 1.2.1846)
Mit der Herausbildung der bürgerlichen Gesellschaft und der damit verbundenen »Dissoziation von Erwerbs- und Familienleben« wurden Frauen und Männern bestimmte Charaktereigenschaften zugeschrieben, die eben diese Aufspaltung ihrer Tätigkeitsbereiche legitimieren sollten. Dem Mann wurde die äußere, große Welt zugewiesen (Erwerb, Lebenskampf, Öffentlichkeit, Staat und Politik), der Frau die innere, kleine Welt zugeordnet (Familie, Erziehung, Haus, Privatleben). Begründet wurde dies mit der natürlichen Bestimmung der Geschlechter. Nach den Auffassungen der Naturrechtsphilosophie und der Romantik waren die Aufgaben und Anlagen von Mann und Frau gleichwertig und gleichrangig, jedoch andersgeartet.
- »Wie die Natur die Erdensorgen getheilt hat, sonderte sie auch die Kräfte für sie. Alles soll zu einem schönen Ganzen wirken, ein Ganzes sollen die strebenden Kräfte bilden. Ein Körper - steht die irdische Schöpfung da, dessen Haupt der Mann, dessen Herz das Weib ist. Der zartere, kleinere Theil ist deßhalb nicht der geringere. Vom Herzen strömt das lebentragende Blut in alle übrigen Theile des Leibes«.[19]
Mann und Frau wurden als komplementär gedacht: die Ergänzung des vollkommen Weiblichen mit dem vollkommen Männlichen wurde als Ideal der Menschheit angesehen. Diese Sichtweise floß auch in die romantische Idee der Liebesehe ein, die die freie Partnerwahl und die Ehe als Liebesbeziehung der arrangierten bürgerlichen Konvenienzehe und Geldheirat gegenüberstellte. Indem die Romantiker die Geschlechterbeziehung durch die Verabsolutierung der Liebe überhöhten und den Frauen den emotionalen Part (Herz) sowie den Männern die geistige Führung zuwiesen, trugen sie zur Trennung der Lebenswelt von Mann und Frau bei.
Aussagen über Frauen in der damaligen Zeit müssen vor diesem Hintergrund analysiert werden. »Das Kind reift zur Jungfrau, zur Gattin, zur Mutter«, ist im »Damen Conversations Lexikon« von 1836 zu lesen.[20] Diese Einteilung des weiblichen Lebenslaufes und die damit verbundene Fixierung weiblicher Aufgaben bestimmte auch die Inhalte und die Art und Weise, wie über Frauen in der württembergischen Presse geschrieben wurde. Den »Jungfrauenstand« betrachtete man als »Vorschule des Ehestandes«,[21] ledige Frauen wurden ausschließlich als >Anwärterinnen< auf Ehe und Mutterschaft angesprochen. In den »Lehren einer alten Jungfer an unverheirathete Mädchen« (RMC 20.7.47) warnte der - wahrscheinlich männliche Autor - seine Leserinnen davor, sich Hals über Kopf in die Ehe zu stürzen. Gleichzeitig forderte er sie aber auf, »sich frühzeitig die Tugenden einer guten Hausfrau« anzueignen, denn vom »Schalten und Walten (der Frau; d.V.) hängt des Hauses Glück und Friede ab«. Pflicht der Ehefrau sei es, daß sie ihren »Gatten zärtlich liebt, und ihm in allen Stücken treu, hold und gewärtig« sei.
Wie ein »Heirathsgesuch« zeigt, das ein »junger Mann von sehr guter Familie« 1847 veröffentlichte, waren die Wünsche der Männer präzise. Die Annonce im »Neuen Tagblatt« zählte einen ganzen Katalog weiblicher Tugenden auf, die die künftige Frau in die Ehe einbringen sollte: »Stete strenge Ordnung und Reinlichkeit ... Aufrichtige gewohnte Liebe zur Häuslichkeit und Thätigkeit... Weibliche Sanftmuth, Anspruchslosigkeit, gute Beurtheilung, aufrichtiges Wesen und richtiger Tact dürfen ihr nicht fehlen! Er schätzt dies höher als große Talente.« Erfüllte eine Frau solche Anforderungen nicht, wurde sie als negatives Beispiel in der Zeitung bloßgestellt. »Fräulein Unverbesserlich« nannte ein Leserbriefschreiber eine junge Stuttgarterin (NT 16.4.46), deren Schlampigkeit er in der Zeitung anprangerte: »Wenn ihr die Bänder an dem Unterrocke abreißen, so näht sie keine neuen an«, klagte er und beschrieb eine Reihe von Verhaltensweisen, an denen mann »ein Fräulein Unverbesserlich sogleich erkennen kann«. Sie habe keine Lust zu häuslichen Arbeiten und achte nur auf »äußern Putz«. Sie sei, warnte der Verfasser seine Geschlechtsgenossen, »das größte Unglück für einen Freier..., er wird, wenn er sie zur Gattin wählt, durch sie zu Grunde gehen.« Die Zeitung wurde in diesem Fall zu einem Instrument der Rüge und des Tadels, mit dem Frauen bloßgestellt und gleichzeitig normengerechtes weibliches Verhalten erzeugt werden sollten.
Die meisten Artikel kreisten um das Thema Ehe, die im 19. Jahrhundert als das Zentrum weiblicher Existenz galt. Nur als Gattin konnte eine Tochter aus bürgerlichem Hause eine angesehene Stellung in der Gesellschaft erreichen. Einen sozial adäquaten Ehemann und damit eine entsprechende wirtschaftliche Versorgung zu finden, war indessen nicht leicht und hing auch von der Mitgift und dem Wohlstand ihrer Familie ab. Der damals bestehende Frauenüberschuß sowie die wirtschaftliche Notlage des Mittelstandes in den 40er Jahren verschlechterten zudem die Heiratschancen der Mädchen. Daraus ergab sich ein doppeltes Dilemma: einerseits mußte ein bürgerlicher Familienvater mit mehreren Töchtern schon aus ökonomischen Gründen darauf drängen, diese sobald wie möglich durch einen Schwiegersohn versorgt zu wissen; andererseits konnte ein junger Mann nur dann um eine Frau werben, wenn er genügend Kapital zur Gründung und Erhaltung einer Familie vorweisen konnte - was in der damaligen prekären wirtschaftlichen Lage keineswegs mehr gewährleistet war.
Da es 1848 noch keine Berufsausbildung für bürgerliche Frauen gab und somit keine Möglichkeit zur eigenen Versorgung bestand, hatten Bürgerstöchter nur zwei Perspektiven: entweder die erste beste Heiratschance zu ergreifen oder das harte Los einer Ledigen auf sich zu nehmen. Ledig bleiben hieß aber: nicht so geachtet zu sein wie die verheiratete Schwester und häufig zum Gegenstand des Spottes zu werden. Die Situation der Partnerwahl, die >Brautschau< sowie die Versorgungsproblematik waren Gegenstand zahlreicher Glossen und Anekdoten. Über eine hübsche, aber geistlose Frau witzelte beispielsweise ein junger Mann: »Solange mich Fräulein R. nicht angesprochen, hat sie mich sehr angesprochen; seitdem sie mich aber angesprochen, hat sie mich nicht mehr angesprochen« (KR 17, 1850).
Um begehrenswert zu sein, sollte eine junge Frau hübsch, aber nicht kokett; gebildet, aber nicht gescheit; taktvoll, aber nicht prüde; gereift, aber nicht alt sein. Alters- und Schönheitsnormen waren klar definiert. Unter dem Titel »Betrügerei aus Liebe« berichtete das »Kränzchen« von einer Frau, die befürchtete, ihr Geliebter würde sie nicht mehr heiraten, wenn er ihr wahres Alter erführe. Sie datierte deshalb ihren Geburtstag auf dem Taufschein, den sie zur Trauung benötigte, zurück. Der Schwindel wurde jedoch entdeckt, und die Braut, so hieß es in dem Artikel weiter, sei hart bestraft worden, da sie ihren Bräutigam glauben gemacht habe, »er bekomme eine junge Frau, während er doch nur eine alte empfangen haben würde« (KR 88, 1849). Dieser Bericht illustriert eine den Frauen immer wieder unterstellte Strategie: Männer zu täuschen und sie unter Vorspiegelung falscher Tatsachen zur Heirat zu bringen. Daß Frauen falsche Prüderie mit Hinterlist koppelten, um einen Mann zu gewinnen, war ein ebenso gängiges Stereotyp der damaligen Unterhaltungsspalten wie der Vorwurf, daß sie bei der Partnerwahl nur auf ihre wirtschaftliche Versorgung bedacht wären:
- »Fürwahr, die Mädchen werden jetzt so erzogen, daß sie jeden alten Gecken heira-then und küssen, wenn er nur Geld genug hat, um sie ein Haus machen zu lassen, und einen Titel, mit welchem sie hernach dieser oder jener Räthin an die Seite treten können«. (KR 55, 1849)
Das Bild der unverheirateten Frau in der Presse war widersprüchlich: einerseits unterstellte man ihr, sie sei ständig auf der Suche nach Mann und Heim, blieb sie jedoch ledig, wurde sie zur alten Jungfer abgestempelt. Die reale Ehe- und Heiratsproblematik wurde so zum individuellen Problem der Frauen gemacht. In der Anekdote »Naturgeschichte der Mädchenjahre« (RMC 13.4.47) warf der Autor z.B. ledigen Frauen vor, sie hätten zu hohe Ansprüche an Leben und Liebe, und würden deshalb keinen Mann finden. Mädchen, die sich nicht bald zur Ehe entschieden, belehrte er die Leserinnen weiter, verfehlten ihr weibliches Lebensglück und Ziel und entwickelten sich >naturgemäß< zu alten, gehässigen, giftigen Jungfern. Dieses Negativbild gipfelte schließlich in der Darstellung habgieriger, hinterlistiger Altlediger, wie sie folgender Witz karikierte: »Da hab< ich besonders eine Tante«, sagte der Ehemann, »die besucht uns... jährlich regelmäßig zweimal und bleibt jedesmal sechs Monate« (RMC 29.7.47).
Trat nun das bürgerliche Mädchen in den Ehestand, bot ihr die Presse genügend Bilder an, wie sie ihr künftiges Dasein zu gestalten hätte. Propagiert wurde die gute Hausfrau, die liebende Gattin und treusorgende Mutter. Bei ihrem Anblick schlug das Männerherz höher:
- »Schreiber dieses hat eine herzliche Ehrfurcht für ein Paar regsame Stricknadeln! Und ein weibliches Geschöpf, welches spinnt, aufwickelt, stickt, näht, oder auch nur zuschneidet, feines Linnen selbst waschet und glättet, dann ihr eigenes Leibzeug oder des Mannes Hemden mühsam, jedoch unverdrossen, in geregelte Falten legt, ist ihm ein rührender Anblick!« (NT 27.1.47)
Einer solchen vorbildlichen Gattin prophezeite der Autor auch den Lohn ihrer Tugend:
- »... wenn sie allen seinen Wünschen, nach ihren Kräften entgegen kömmt, mithin alle ihre Aufmerksamkeit auf ihn richtet! dann muß der Mann, wenn er ein empfängliches Herz hat, eben so glühend an den Hals seines Weibes eilen und daselbst in sanfter Rührung ausströmen!«
In solchen Artikeln wurden Leitbilder präsentiert, die durchaus pädagogisch gedacht waren. In der Anekdote »Wie ein vernünftiges Weib ihren Mann bekehrt hat« (RMC 11.8.47) forderte der Schreiber die Leserinnen sogar dazu auf, sich an den Eigenschaften der geschilderten Ehefrau ein Beispiel zu nehmen: Geduld, Sanftmut, Freundlichkeit und Gefälligkeit machten angeblich aus dem tyrannischsten Ehemann einen liebenden Gatten.
Der moralisierende und belehrende Charakter der Zeitung kommt besonders stark in den Artikeln der Jahre 1849/50 zum Ausdruck, als die Revolution gescheitert war und sich die restaurativen Kräfte wieder etablierten. Da eine harmonische Ehe und Familie als Fundament für ein »gesundes Staatsleben« (KR 92,1849) galt, aber gerade in der Revolutionszeit diese gesellschaftlichen Institutionen bedroht waren,[22] propagierten die Konservativen wieder überlieferte Werte und das alte Frauenideal. Diese Tendenzwende spiegelte sich auch in der Presse wieder. »Ja! es gibt kein heiligeres... Wort, als das Wort >Ehe<!«, schrieb pathetisch das »Kränzchen« (KR 54,1849), in dem sich ab Ende 1849 reaktionäre Berichte häuften. »Wo wird noch die Heiligkeit der Ehen in Ehren gehalten? Wo herrscht noch das ursprünglich schöne, edle Verhältnis der Glieder der Familie?« (KR 90, 1849), klagte die Zeitung, die sich ja nur an Leserinnen richtete, und wies die Frauen auf ihre besondere Verantwortung hin: als tugendhafte Gattinnen und Mütter, als »Hüterinnen des heiligen Feuers der Reinheit der Sitten« sollten sie wieder auf das Wohl des Familien- und Staatslebens hinwirken. Nicht zufällig zitierte die Presse in jenen Jahren besonders häufig Schillers Verse über die »Würde der Frauen« von 1795 (vgl. KR 90,1849/NWB 3.4.49). Das Gedicht, das mit den Zeilen »Ehret die Frauen! / Sie flechten und weben / Himmlische Rosen ins irdische Leben« beginnt, ist eine Hymne an die >natürliche Aufgabenverteilung< der Geschlechter. Daß die Revolution auch die >natürliche< Geschlechterordnung bedrohte, war während und vor allem nach der Revolution ein immer wiederkehrendes Thema. In dem Artikel »Über die Stellung der Frau zum Manne« (KR 14, 1850) kritisierte der Autor:
- »Dienen lerne das Weib bei Zeiten, nach seiner Bestimmung! So schrieb vor einigen Jahrzehnten der Dichterfürst Göthe. Wie haben sich seitdem die Ansichten hierüber geändert! Wie ganz anders äußert sich jetzt ein großer Theil des zarteren Geschlechtes über die Bestimmung des Weibes. Wir sollen dienen? gehorsam sein? sprechen sie; warum will man uns als Sklavinnen betrachten?... Warum will man uns nicht gleichstellen mit den Herren der Schöpfung?«
Mit Nachdruck wies der Verfasser die Frauen, die Gleichberechtigung forderten, auf ihr eigentliches Aufgabenfeld hin:
- »Ja die Herren der Schöpfung! darin liegt euer Unheil, ihr Frauen! Dürft ihr das heilige Bibelwort: er soll dein Herr sein, überhören, es nach Gefallen deuten? hat nicht Gott deutlich durch dasselbe gesprochen, euch eure Stellung zum Manne angewiesen?... hütet euch vor dem Dünkel, die Erste im Hause sein, das Regiment über den Mann ausüben zu wollen. Gebet nach, wo es nur irgend möglich ist...«. (KR 14, 1850)
Würde der Frauen
Ehret die Frauen! sie flechten und weben
Streng und stolz sich selbst genügend,
Himmlische Rosen ins irdische Leben,
Kennt des Mannes kalte Brust,
Flechten der Liebe beglückendes Band,
Herzlich an ein Herz sich schmiegend,
Und in der Grazie züchtigem Schleier
Nicht der Liebe Götterlust,
Nähren sie wachsam das ewige Feuer
Kennet nicht den Tausch der Seelen,
Schöner Gefühle mit heiliger Hand.
Nicht in Tränen schmilzt er hin,Selbst des Lebens Kämpfe stählen
Ewig aus der Wahrheit Schranken
Härter seinen harten Sinn.
Schweift des Mannes wilde Kraft,Unstet treiben die Gedanken
Aber, wie leise vom Zephir erschüttert
Auf dem Meer der Leidenschaft.
Schnell die äolische Harfe erzittert,
Gierig greift er in die Ferne,
Also die fühlende Seele der Frau.
Nimmer wird sein Herz gestillt,
Zärtlich geängstigt vom Bilde der
Rastlos durch entlegne Sterne
Qualen,
Jagt er seines Traumes Bild.
Wallet der liebende Busen, es strahlenPerlend die Augen von himmlischem
Aber mit zauberisch fesselndem Blicke
Tau.
Winken die Frauen den Flüchtigen
zurücke,
In der Männer Herrschgebiete
Warnend zurück in der Gegenwart Spur.
Gilt der Stärke trotzig Recht;
In der Mutter bescheidener Hütte
Mit dem Schwert beweist der Skythe,
Sind sie geblieben mit schamhafter Sitte,
Und der Perser wird zum Knecht.
Treue Töchter der frommen Natur.
Es befehden sich im GrimmeDie Begierden wild und roh,
Feindlich ist des Mannes Streben,
Und der Eris rauhe Stimme
Mit zermalmender Gewalt
Waltet, wo die Charisfloh.
Geht der Wilde durch das Leben,Ohne Rast und Aufenthalt.
Aber mit sanft überredender Bitte
Was er schuf, zerstört er wieder,
Führen die Frauen den Zepter der Sitte,
Nimmer ruht der Wünsche Streit,
Löschen die Zwietracht, die tobend
Nimmer, wie das Haupt der Hyder
entglüht,
Ewig fällt und sich erneut.
Lehren die Kräfte, die feindlich sich
hassen, Sich in der lieblichen Form zu umfassen,
Aber, zufrieden mit stillerem Ruhme,Brechen die Frauen des Augenblicks
Und vereinen, was ewig sich flieht.
Blume,
Nähren sie sorgsam mit liebendem Fleiß,
Freier in ihrem gebundenen Wirken,
Reicher als er in des Wissens Bezirken
Und in der Dichtung unendlichem Kreis.
Friedrich Schiller (1795)
Die Presse war nicht nur Vermittlerin einer reaktionären Geschlechterideologie, sondern spiegelte auch ein Stück Revolutionswirklichkeit wider: Frauen hatten sich 1848 teilweise über ihre >Bestimmung< hinweggesetzt; die Betonung der Geschlechterhierarchie in zahlreichen Artikeln der Jahre 1849/50 war Ausdruck und Folge der konservativen Gegenrevolution, und damit der sich wieder etablierenden alten Ordnung. So ist es nicht verwunderlich, daß gerade in dieser Zeit das Bild der christlich-frommen, opferbereiten, sittsamen Mutter wieder mystifiziert und »dem geheimen Zauber der Mutterliebe«, dieser »tiefwirkenden Naturkraft« (KR 90, 1849), mehr Verantwortung denn je zugeteilt wurde. Daß dieser Verweis der Frauen auf ihre Wirkungsmöglichkeiten als Gattin und Mutter für die Leserinnen auch ein positives Identifikationsangebot darstellte, sollte dabei nicht übersehen werden: durch die Idealisierung ihrer Aufgaben wurde den Frauen auch eine besondere Form der sozialen Macht zugewiesen.
Erlaubt ist, was weiblich ist
Obwohl das Stereotyp der >echten deutschen Weiblichkeit< dominierte, gab es bereits im Vormärz Anzeichen eines ersten Aufweichens der starren Geschlechterrollen. Bereitwillig griff die Presse - sei es aus Sensationslust oder auch um Rügen auszuteilen - Fälle auf, in denen Frauen die Grenzen verordneter Weiblichkeit überschritten hatten. So widmete das Stuttgarter »Neue Tagblatt« einer Gasthausszene, die sich in der Nähe Blaubeurens auf der Schwäbischen Alb abgespielt hatte, einen ausführlichen Bericht (NT 29.10.46). Eine Reutlingerin, »wohlgestaltet und von anständigem Äußern«, war, obwohl in männlicher Begleitung, von einem angetrunkenen Gast angesprochen worden. »Als diese kurz und gut ihm zur Antwort gab: daß sie nichts von ihm wolle, und er sie in Ruhe lassen solle«, beleidigte er die Frau mit groben Worten. Schließlich setzte die Reutlingerin den Belästigungen mit zwei Ohrfeigen ein Ende. Ihr offensives und mutiges Verhalten ging als »Reutlinger Frauenjustiz« angeblich in die Gespräche der »Bierhäuser« ein.
Auch wenn sich in der Partnerwahl einmal die Rollen verkehrten, war dies ein Thema für die Presse. So berichtete das »Kränzchen« über eine reiche Aristokratin, die sich per Heiratsannonce ihren Gatten selbst suchte, und führte den Leserinnen vor Augen, wie leicht sich eine passiv-weibliche in eine aktiv-männliche Rolle umkehren ließ. Daß diese Art von Berichten sich vor allem 1849 häuften, in den Vormärzjahren dagegen eher selten waren, ist so gesehen bemerkenswert. Besonders das »Kränzchen«, die »Zeitung für das weibliche Geschlecht«, berichtete des öfteren über Frauen, die sich in männliche Bereiche vorgewagt hatten. Das Wettschwimmen zweier Französinnen in der Seine (KR 66, 1849) war ebenso nachrichtenwürdig wie ein Damenduell in Madrid (KR 1,1850). Bei allen Restriktionen war die Presse 1848/49 sensibel für die Veränderung weiblicher Verhaltensmuster. Diese Öffnung weiblicher Handlungsräume spiegelte sich auch in Berichten über Frauen wider, die sich als Männer verkleideten. Als äußeres Zeichen der Männlichkeit waren Hosen ja zugleich Ausdruck eines sich verändernden weiblichen Selbstverständnisses. Eine Frau in Hosen beanspruchte offensichtlich die gleichen Rechte wie ihre männlichen Zeitgenossen. Bereits in den 1840er Jahren hatten Schrifstellerinnen wie Georges Sand oder Louise Aston großes Aufsehen erregt, weil sie gelegentlich in Männerkleidern auftraten. An diese Vorbilder dachte möglicherweise der Stuttgarter Journalist, als er folgende Geschichte kolportierte.
»... ein hübsches Mädchen hier ist von der Manie befallen worden, in dem großen Welten-Drama die Rolle eines fahrenden Ritters zu übernehmen. Nachdem sie den Tag hindurch sich mit verschiedenen weiblichen Arbeiten gelangweilt hatte, wirft sie sich Abends in eine Manns-Tracht, steckt sich ein Schnurrbärtchen unter die Nase... und begibt sich so auf ihren mysteriösen Pilgerpfad... Bis jetzt hat man aber noch nicht erfahren können, in welchen Bereich ihre Abenteuer gehören«. (NT 8.8.47)
Gerade die im »Kränzchen« häufig abgedruckten Lebensschilderungen berühmter weiblicher Persönlichkeiten lieferten neue Bilder und Verhaltensmodelle für die bürgerliche Leserin:
»Es gab eine Zeit, wo man behauptete, das Weib könne nicht wissenschaftlich gebildet sein, noch weniger auf einen Platz in der Literatur Anspruch machen; jetzt aber erscheint die Zeit der Emancipation gekommen zu sein... wo eine Gräfin Hahn-Hahn, eine Gräfin Blessington uns ihre Wanderungen durch die verschiedensten Gegenden der Welt beschrieben haben, wo eine Madame Jameson auf einem Kahn von Birkenrinde durch die canadischen Seen gefahren, eine Mrs. Dalkeith Holmes amazonengleich zu Pferde Frankreich und Italien durchstreifte, und eine Madame Calderon de la Barca eine gefahrvolle Reise durch Mexiko gewagt. Sollte man wohl länger zweifeln können, daß bei so heroischen Schritten es dem Weibe gelingen könne, sich von den Fesseln gewohnten Übereinkommens zu befreien, bei so kühnen Anfängen, die kaum erst seit den letzten Jahren begonnen haben?« (KR 77, 1849)
Damit die Frauen sich allerdings nicht allzusehr mit diesen Heldinnen identifizierten, stellte das »Kränzchen« »solche Fortschritte des Weibes« sofort wieder in Frage, da dadurch »das Weib dem häuslichen Kreise, dem natürlichsten Gebiete seiner Wirksamkeit entfremdet« würde. Frauen, die die häusliche Sphäre verließen und sich auf männlich definierte Terrains, vor allem in die Politik begaben, waren suspekt. Akzeptiert wurden Frauen in der Öffentlichkeit nur, wenn sie ihre weiblichen Fähigkeiten nicht verleugneten, sondern sie in den Dienst des Gemeinwohls stellten. Traten Frauen als öffentliche Wohltäterinnen auf, so war das gern gesehen, denn erlaubt war, was weiblich war. Eine besondere Vorbildfunktion übten dabei die weiblichen Angehörigen des Königshauses aus, die die Presse als >Landesmütter< feierte. Kronprinzessin Olga Nikolajewna von Württemberg wurde so als gütige, heilende und tröstende künftige Landesfürstin geschildert und in bewegenden Worten gleichsam zur »Hoffnung des Vaterlandes« und zum »Liebling des Volkes« erhoben (RMC 29.5.47).
Das Bild einer bürgerlichen >Idealfrau< wurde schließlich in einem Artikel über die englische Quäkerin Elisabeth Fry (1780-1845) entworfen, die gleichzeitig Gattin, Hausfrau, Mutter sowie Wohltäterin der Nation war (RMC 14.7. und 17.7.47). Elisabeth Fry, über die auch 1850 im »Kränzchen« eine siebenteilige Serie erschien, schmückte man mit Eigenschaften, die sich offensichtlich die deutsche Weiblichkeit< zu Herzen nehmen sollte: sie war aufopfernd und bescheiden, geduldig und zärtlich, mit einer »reinen christlichen Selbstverläugnung«, dabei liebenswürdig und heiter sowie klug und umsichtig. Auch in der Öffentlichkeit, so der Tenor des Artikels im »Reutlinger und Mezinger Courier«, hatte diese Frau den >Pfad weiblicher Tugenden< nicht verlassen:
»Und wie sie es nie verschmähte, die kleinen Pflichten treu zu erfüllen, welche ihr als Hausfrau oblagen, so bewegte sie sich mit der festesten Haltung in weitern Lebenskreisen, und - was bei Frauen immer die größeste Seltenheit sein wird - sie führte ein Leben in der Öffentlichkeit, ohne dadurch den Eindruck zu machen, als verläugne sie nur im geringsten ihr Geschlecht. Im Gegentheil übte ihre Gegenwart auch in größern Versammlungen stets den tiefen Einfluß, welcher nur der edlen Weiblichkeit eigen ist«. (RMC 17.7.47)
»Bewaffnete Weiber mischten sich unter die Männer...«
Während Frauen in der Presse der Vormärz jähre vor allem im Zusammenhang mit Ehe als Jungfrauen, Gattinnen und Mütter angesprochen wurden, rückte 1848/49 die politisch handelnde Bürgerin in den Mittelpunkt. Dabei bewegte sich die Berichterstattung in den württembergischen Zeitungen zwischen zwei Polen: einerseits reflektierte und kommentierte sie weibliche Aktivitäten relativ sachlich, andererseits war die Darstellung vielfach emotional gefärbt, Vorurteile und Klischees wurden reproduziert. Häufig wurden solche Artikel aus anderen Zeitungen deutscher Staaten oder des Auslandes übernommen.
Eher sachbezogen waren z.B. die Berichte über die badischen Freischärlerinnen Emma Herwegh und Amalie Struve, die einzigen bekannten Frauen, über die 1848 kontinuierlich und in verschiedenen Zeitungen gleichzeitig Meldungen erschienen. Vor allem der überregionale, demokratische »Beobachter« verfolgte wohlwollend die Teilnahme der beiden Revolutionärinnen an den Aufständen im April und September 1848 in Baden. Zur Flucht des Ehepaars Herwegh (nach dem mißlungenen Putsch-Versuch Friedrich Heckers im April 1848, den Georg Herwegh mit einem Freicorps unterstützt hatte, floh dieser mit seiner Frau vor den württembergischen Truppen in die Schweiz) schrieb der »Reutlinger und Mezinger Courier«, daß allein »die Entschlossenheit seiner Frau« Herwegh rettete (RMC 6.5.1848). Als das Ehepaar Struve nach dem gescheiterten zweiten demokratischen Aufstand in Baden (21.-25.9.1848) gemeinsam gefangen genommen wurde, schilderte der »Beobachter« die Verhaftungsszene: »Schopfheimer Bürgerwehrmänner nahmen Struve nebst seiner Frau und Karl Blind gefangen... Struve sah blaß vor sich hin und hielt seine schöne Frau, tief an seine Brust gelehnt, in den Armen« (30.9.1848). In den fast schon romantischen Beschreibungen der Eheleute Struve und Herwegh wird das Ideal einer Paarbeziehung sichtbar, in dem die Frau nicht nur Gattin und Geliebte, sondern zugleich auch geistige und politische Gefährtin des Mannes ist. Neben dieser eher positiven Darstellung wurde die Teilnahme der beiden Frauen an der Revolution in anderen Zeitungen kritisch bewertet. Frauen auf dem >männlichen Terrain< der Politik richteten eher Schaden an, lautete ein Vorwurf der Demokraten, den das »Amts- und Intelligenzblatt für Schorndorf« aufgriff:
»Namentlich wurde von den Republikanern sehr getadelt, daß Struve seine Frau den Berathungen der Männer beiwohnen ließ. Schon das erste Mal erregte das häufige Erscheinen von Struve's Frau auf dem Kriegsschauplatze Mißvergnügen. Überhaupt sagte man allgemein von Struve, >die Begleitung eines Frauenzimmers< sey sein ihn Jedermann verrathendes Signalement. Auch jetzt, behauptet man, wäre er ohne die Mitführung seiner Frau nicht gefangen genommen worden«. (AIS 3.10.48)
Auch die Aktivitäten Emma Herweghs wurden von einigen Blättern skeptisch beurteilt. Einerseits wurde ihrem Mut durchaus Respekt gezollt, andererseits wurde sie häufig - mit einem unüberhörbaren boshaften Unterton - als >exzentrische Amazone< beschrieben:
»Die Frau Präsidentin, Madame Herwegh... trägt ihr Haar ä laTitus republikanisch geschoren und ist in eine enganschließende Tunika von schwarzem Atlas gehüllt. Schade, daß die Figur für die zu spielende große Rolle etwas zu klein ist«. (NT4.5.48)
Uneingeschränkt positiv fiel hingegen das Bild jener italienischen Freischärlerinnen aus, die für die Befreiung ihres Landes gekämpft und dabei den Tod gefunden hatten. Über die Frau des italienischen Freiheitskämpfers Garibaldi schrieb das »Nürtinger Wochenblatt«, daß es »wenige ihres Geschlechtes geben dürfte, die ihr an persönlichem Muthe und an Entschlossenheit nahe kommen« (NWB 28.8.49). Über Colomba Antonetti von Juligno, die Frau eines Oberst, hieß es im »Kränzchen«: »Diese Frau von 21 Jahren, hochherzig und echt italienischer Gesinnung, kämpfte wie Mann und Held in der Schlacht von Veletri, würdig ihres Gatten« (KR 48, 1849).
Während über einzelne Frauen, die sich an der Seite ihrer Männer für die revolutionäre Bewegung einsetzten, eher wohlwollend berichtet wurde, reagierte die Presse auf den kollektiven Prozeß weiblicher Politisierung häufig mit aggressiven und polemischen Darstellungen. Viele Anekdoten und Satiren beschäftigten sich mit dem Auftreten der Frauen in der Öffentlichkeit, mit der politisierten Bürgerin, die ihre eigenen Forderungen formulierte. So ließ der Autor einer Satire einen »stillen deutschen Bürger« darüber klagen, daß seine ganze Familie, sogar die Frauen, vom Revolutionsfieber ergriffen seien.
»Meine Tochter (gottlob, die einzige!) ist sozialistische Schriftstellerin und Präsidentin des hiesigen Frauenclubs. Vor vierzehn Tagen hat man ihr ein Ständchen gebracht, bei welcher Gelegenheit sie zum Fenster hinaus eine aufreizende Rede hielt und dem Volke das Versprechen gab, seine gerechte Sache bis aufs Äußerste zu verfechten. Sie schimpfte so wüthend auf die besitzende Klasse, daß ich, der ich im Bett lag, mich schämte, ein wohlhabender Mann zu seyn. Was meine Frau betrifft, so hält sie es mit allen Parteien, besonders mit ihrem ältesten Sohn, dem Rothrepublikaner. Vorige Woche hat sie ihn mit einem rothsammten Käppchen überrascht; sie wird ihm vielleicht nächsten Monat, an seinem Geburtstage, ein goldenes Guillotinchen bescheeren.« (AIS 8.12.48)
Obwohl in Württemberg (nach unseren Recherchen) keiner der Frauenvereine die politische und soziale Gleichberechtigung der Frau forderte, beschäftigte dieses Thema die württembergischen Presse, die versuchte, politische Initiativen von Frauen lächerlich zu machen. Die Satire »Wie Eulenspiegel fast ein Ehemann geworden wäre«, die die »Eßlinger Schnellpost« am 21.9.1850 abdruckte, karikierte die Mitglieder eines demokratischen »Frauen-Klubbs«:
»Freie Frauen wollen wir sein, frei in der Wahl unseres Lebensberufes. Und warum sollten nicht auch aus unsern Reihen Volksvertreter und Staatsmänner hervorgehen können? Wir wären zu schwachen Charakters, schmäht man. Unser Herz, unser Gefühl, unsere Sinne seien leicht gefangen zu nehmen; ich aber sage Euch, was eine rechte Frau ist, fürchtet keine Versuchung.« (ESP 21.9.50)
Eulenspiegel überführte die emanzipierte und radikale Klub-Präsidentin schließlich ihres eigentlichen Herzenswunsches, nämlich >unter die Haube zu kommen<, sich durch einen Ehemann versorgt zu wissen. Er machte ihr einen Heiratsantrag, und sie vergaß darüber alle politischen Bestrebungen und griff bereitwillig nach dem sich anbietenden Ehemann.
Daß Frauen, die sich mit Politik befaßten, sich >unweiblich< verhielten, war ein in den Satiren stereotyp wiederkehrender Vorwurf. Besonders dermis radikal geltende Wiener Demokratische Frauenverein diente der württembergischen Presse als warnendes Lehrstück für alle Leserinnen, die sich für Politik interessierten. Zwar existierte der Wiener Verein nur von August bis Oktober 1848, da er seine Arbeit nach der Niederschlagung der Revolution wieder aufgeben mußte; doch seine Forderungen nach einer Emanzipation der Frauen und das offensive Auftreten seiner Mitglieder wirkten anscheinend so nachhaltig bedrohlich, daß selbst eine kleine Lokalzeitung wie das »Nürtinger Wochenblatt« ihm am 3.4.1849 die nebenstehende Satire widmete.
Andere Artikel machten die Wienerinnen, die offenbar ein beliebtes Objekt des Spottes waren, zu treulosen Gattinnen, schlampigen Hausfrauen und schlechten Müttern
»Viele Ehemänner in Wien, deren Wäsche nicht gewaschen und nicht geflickt wird, deren Küche und Wirthschaft zu Grunde gehen, deren Kinder nicht erzogen werden, deren Töchter sittenlos und zügellos werden, und die überhaupt gar keine Weiber haben, da diese sich mit Politik befassen, den ganzen Tag auf den Gallerien zubringen, Vereine bilden, sich blamiren und öffentlich lächerlich machen, alle diese unglücklichen Ehemänner sind beim Reichstage um Aufhebung ihres Cölibats eingekommen; ihre Frauen mögen in Gottesnamen sich der von ihnen so geliebten Öffentlichkeit ganz widmen - sie selbst aber wieder heirathen dürfen! Ein Vorschlag zur Güte! Den Männern kann geholfen werden!« (NT 15.9.48)
»Der Humorist hält den demokratischen (Wiener) Frauen eine Vorlesung.
Meine sehr verkehrten Hörerinnen! Wundern Sie sich nicht, daß ich die Ehre habe, Ihnen von rückwärts Etwas vorzulesen, denn ich denke so: wenn man verkehrte Dinge von dem verkehrten Gesichtspunkte betrachtet, so erhält man die richtige Ansicht der Dinge. Überdem glaube ich, meine sehr verkehrten Hörerinnen, daß wir uns gegenwärtig nur gratuliren sollen, daß wir uns nicht sehen; wir haben Beide dabei nichts verloren; denn die Sage geht im Volke, daß die Mitglieder innen des demokratischen FrauenClubbs< in Bezug auf,Schönheit< unschuldig an jeder Anregung und Aufreizung des Volkes sind und daß im Durchschnitte Elisabeth's Worte: >Die verführt mir keine Unterthanen mehr< auf jede Einzelne von Ihnen anzuwenden sind. Von der anderen Seite aber, meine sehr verkehrten Hörerinnen, verlieren Sie auch nichts, daß Sie ihrem >Humoristen< nicht in 's Angesicht sehen, denn - ohne ihm im Entferntesteen schmeicheln zu wollen — was >Schönheit< betrifft, könnte er alle Augenblicke die Ehre haben, eine >Demokratin< zu sein. Mein jetziger Stand- oder vielmehr Sitzpunkt ist eben schon deshalb gut gewählt, weil Sie wissen, daß man nur hinter dem Rücken der Menschen die Wahrheit von ihnen sagt. Der Fext meiner heutigen Vorlesung findet sich bei Schiller und heißt:
>Ehret die Frauen, sie flechten und weben
Himmlische Rosen ins irdische Leben,
Flechten der Liebe beglückendes Band;
Und in der Grazie züchtigem Schleier
Nähren sie wachsam das ewige Feuer
Schöner Gefühle mit heiliger Hand.<
Nun frage ich Sie, meine sehr verkehrten Hörerinnen, was haben Sie >geflochten<, was >gewoben<, wo sind Ihre >himmlische Rosen<, wo befindet sich Ihre >züchtige Grazie< mit oder ohne >Schleier<, was für >ewiges Feuer< nähren Sie, wo sind Ihre >schönen Gefühle<, wo ist besonders Ihre Joeilige Hand'* Anstatt >sie flechten und weben<, muß es von ihnen heißen: >sie schnattern und tratschen<; anstatt flechten der Liebe beglük-kendes Band<, muß es heißen: entwürdigen des Weibes natürlichen Stand< anstatt im >züchtigen Schleier der Grazie<, sehen wir Sie im unzüchtigen Hute der Burschenschaft; an der Stelle des >ewigen Feuers schöner Gefühle< schüren Sie >stinkende Zigarren roher Gesellen< und das nicht mit Joeiliger Hand<, sondern mit >entweihtem Schnabel<. Sie wollen Freiheit? Die erringt man nicht durch Frechheit. Gehen Sie nach Hause, meine sehr verkehrten Hörerinnen! Stopfen Sie die Löcher Ihrer Strümpfe, bevor Sie die im Staate stopfen wollen; waschen Sie Ihre schmuzige Wäsche, ehe Sie die Landeswäsche waschen wollen; flicken Sie Ihrem Manne oder Ihren Kindern die Hemden, ehe Sie der Politik was anflicken wollen; machen Sie Ihre Familie glücklich, ehe Sie das Volk glücklich machen wollen, krönen Sie vorerst ihre Männer nicht, bevor Sie alle anderen Kronen abschaffen wollen; kurz, seien Sie des Namens, Weib< zvürdig und nicht des Ausdrucks, Weibsbilder<, dann, dann will ich Ihnen wieder in 's Gesicht sehen. Adieu. Saphir.« (NWB 3.4.49)
Der Ausbruch der Frauen aus der Familie, die als Keimzelle des Staates angesehen wurde, bedrohte auch das gesellschaftliche Gesamtgefüge: Frauen, die sich aus der häuslichen in eine öffentliche Sphäre wagten, gefährdeten nach Ansicht der Konservativen nicht nur das Familien-, sondern auch das Staatsleben. Die politisierte Frau wurde so zum Symbol sozialer Unordnung.
Auch das zunehmende Interesse an Frauenbildung erschien den Konservativen als bedrohlich, da sie die Frauen dazu verführte, sich verstärkt am politischen Leben zu beteiligen. Wilhelm Riehl schreibt noch 1855: »Die weiblichen Demagogen sind gebildete Frauen, Blaustrümpfe, die ihr Geschlecht verläugnen, vornehme Damen, die Monate lang in den Logen der Parlamente zuhörten, weil sie zu Hause nichts zu tun hatten.«[23] So stellte die Presse im Verlauf der >konservativen Gegenrevolution< die gebildete Frau immer negativer dar, während sie das Bild der Mutter immer mehr aufwertete:
- »Ich halte nicht gar viel auf jene reichgebildeten, feinen Frauenzimmer, die, mit dem blinkenden Griffel in der Hand, dickleibige Werke schreiben. Ihre Familien sind meistens am schlechtesten bestellt; die Kinder sind am schlechtesten erzogen... Verdienen je solche Frauenzimmer, daß ihnen ein blonder Säugling das vielsagende Wort >Mutter< entgegenstammle - einer Mutter, die unwillig wird, wenn sich das unschuldige Kind ihr naht?« (KR 91, 1849)
Je mehr sich Frauen politisch engagierten, je radikaler ihre Forderungen waren, desto mehr Ängste lösten sie aus. So tauchte auch noch nach der Revolution das Schreckbild der >Emancipirten< auf, die die politische Gleichberechtigung der Frauen verlangte. Karikieren, ridikülisieren und diffamieren waren die Methoden, mit denen sie in die Schranken gewiesen werden sollte. So beschrieb die »Eßlinger Schnellpost« einen fiktiven »Damen-Emancipationsverein im Olymp« mit allen Klischees, die mann damals mit dem Bild >emancipirter< Frauen verband: sie wären häßlich, grob und unweiblich, sie übernähmen männliche Verhaltensweisen wie Tabakrauchen, sie frönten der freien Liebe, wären sittenlos und,sexuell entfesselt<. In der fiktiven Satzung des Vereins hieß es zum Beispiel:
- »Der Zweck des Vereins ist Hebung aller sozialen Übelstände durch stufenweise Gleichstellung beider Geschlechter... Jedes Mitglied muß, da Extravaganzen unvermeidlich sind, genaue Kenntniß der Polizeiverordnung haben... Sporen sind streng verboten, doch können andere klingende Gegenstände ihre Stelle vertreten... Tabak darf geraucht werden, jedoch nur inländischer, zur Aufrechterhaltung der Würde des Staates. Die Mitglieder dürfen keine Reifröcke tragen, denn diese verhindern große Seitensprünge... Die Präsidentin muß starker Constitution und mit guten, scharfen Zähnen versehen sein; diejenige Dame, die schon einen Recensenten geprügelt hat, erhält den Vorzug.« (ESP 2.10.50)
Die Darstellung der politisierten Frau gipfelte schließlich im Bild der Amazone und Furie. Während man der heldenhaften Bürgerin, die an der Seite ihres Mannes ihr Leben ließ, noch Achtung entgegenbrachte, wurde die Revolutionärin, die selbst die Initiative ergriff und handelte, extrem negativ bewertet: sie wurde zur mörderischen Megäre. Ende Oktober 1848, als Frauen sich an der Verteidigung des demokratischen Wiens gegen kaiserliches Militär beteiligt hatten, kursierten in den Zeitungen zahlreiche Berichte über wüste und wilde Amazonen.[24] Noch im März 1849 druckte der »Beobachter« einen Brief des demokratischen badischen Abgeordneten Julius Fröbel ab, in dem dieser seine Erlebnisse während der Belagerung Wiens schilderte.
- »Bewaffnete Weiber mischten sich unter die Männer... Ein Schauer, ich gestehe es, durchlief mich, als die eine von ihnen, ein Bajonett als Dolch in der Hand, von mir eine Muskete verlangte. >Ich bin eine Ungarin!< rief sie; >ich habe schon Wölfe geschossen! ich weiß die Waffen zu führen!<... Eine andere, ein junges, hübsches Mädchen mit gutmüthigem Ausdruck war in ihrem Benehmen das Gegenteil dieser deklamierenden Amazone. Still und heiter, mit leuchtenden Augen, stand sie in der Reihe und schulterte einen Karabiner.« (Beob 4.3.49)
Frauen, die zu den Waffen griffen, bedrohten nicht nur ihre Gegner, sondern waren für alle Männer bedrohlich. War die >Emancipirte< schon gefährlich für das Staatsleben und den Erhalt der Ordnung, so erst recht die Amazone, deren Aggressivität Schreckensvisionen in den Köpfen der Männer auslöste. So warnte das »Göppinger Wochenblatt«:
- »Frankreich ist durch die Republik nicht glücklicher geworden. Abscheuliche Saat ist in Blut und Jammer aufgegangen, alle Leidenschaften sind entfaltet und rufen Grausamkeit hervor, wie sie uns nur von den indianischen Wilden erzählt werden. Fünf Offiziere wurden von einer Furie mit dem Küchenmesser enthauptet. Die Frau, gefangen, rühmt sich der Tat«. (GWB 8.7.48)
... Ihr werdet nicht nur gute Hausfrauen, sondern auch edle Bürgerinnen erziehen«.
Schulbildung und Mädchenerziehung in Württemberg
Die bürgerliche Revolution 1848, deren Ziel es war, die >Finsterniß feudaler Zeiten< zu beseitigen, war von vornherein mit einem aufklärerischen Bildungsanspruch verbunden. »Ohne Intelligenz wird die Freiheit von einem Volke nicht verstanden und ohne sittliche Bildung kann sie von demselben nicht genützt werden, wohl aber leicht mißbraucht werden. Es liegt daher wesentlich in der Aufgabe eines freien Staates, auf die Bildung seiner Bürger hinzuwirken«, schreibt der liberal-demokratische »Beobachter« in einem Leitartikel vom 18.5.1848. Eine umfassende Bildung wurde als Fundament der bürgerlich-demokratischen Gesellschaft angesehen; auch Mädchen sollte der Zugang zu höherer Bildung offen stehen. An der Frage, wie diese Mädchenbildung aussehen sollte, schieden sich allerdings die Geister.
Mädchen waren bis 1848 und noch 30 Jahre danach von der gymnasialen Bildung wie auch von den Realschulen ausgeschlossen: Noch Mitte der 30er Jahre wurde das Haus als »das zweckmäßigste Asyl«[1] ihrer Erziehung angesehen, wie es 1835 im »Damen Conversations Lexikon« heißt. Wollten die Eltern den Mädchen trotzdem eine qualifizierte Schulbildung ermöglichen, waren sie auf Privatschulen angewiesen. In Württemberg bestand zwar seit 1649 Schulpflicht für Mädchen und Jungen, der Lehrstoff in den sogenannten »Volksschulen« war allerdings beschränkt. In den ländlichen Schulen umfaßte er kaum mehr als den Katechismus. Das höhere Bildungswesen, Gymnasium und Universität, war eine ausschließlich männliche Domäne, in der männlicher Verstand geschult wurde.
Da Demokraten und Liberale eine bessere Bildung des Volkes als Voraussetzung für die politische Emanzipation des Bürgertums betrachteten, votierten sie bereits im Vormärz für die Förderung der Mädchenbildung. Als zukünftige Staats- und Gemeindebürgerinnen sollte ihnen die Verstandesbildung in der Schule nicht vorenthalten bleiben (NT 13.10.47). Denn die neue Zeit stellte auch neue Anforderungen an die Frau. Sie sollte »dem Manne nicht nur Haushälterin, Gebärerin seiner Kinder und Pflegerin sein, sondern auch Freundin, Vertraute, Rathgeberin, eine Stütze bei schwierigen Verhältnissen, dem Vaterlande eine Bürgerin, und ihren Kindern eine Erzieherin«.[2] Obwohl im Vormärz noch am häuslichen Erziehungsideal festgehalten wurde, nahm seit den 30er Jahren die Zahl der Privatschulen für Mädchen aus gehobeneren (bildungs)bürgerlichen Kreisen zu.
»Lerne, du kannst nicht wissen, wozu es dir nützt.«
Erste Bildungsanstalten für Töchter der höheren Stände
Die ersten »weiblichen Bildungsanstalten« wurden in Württemberg Anfang des 19. Jahrhunderts gegründet. Sie waren speziell auf Töchter der »mittleren und höheren Stände« ausgerichtet. Im Gegensatz zu den Fächern der Volksschule -Religions- und Sittenlehre, deutsche Sprache, Lesen, Schreiben, Rechnen und Singen - oder dem recht unsystematischen Privatunterricht, wurde den Mädchen hier ein sehr umfangreiches Lehrangebot gemacht. Da die finanzielle Belastung der Eltern durch das Schulgeld geringer war als beim Hausunterricht, brachten diese neuen Schulen eine ökonomische Erleichterung für die Familien des Bil-dungs- und Wirtschaftsbürgertums.
Die beiden ersten wichtigen Privatschulen in Württemberg waren die Tafingersche Bildungsanstalt und das Oelschlägersche Institut in Stuttgart.[3] Obwohl diese Privatschulen beliebt waren, wurden sie 1818 auf königlichen Befehl aufgelöst, um durch eine »öffentliche« - im Sinne von königliche - »Erziehungs- und Unterrichtsanstalt für Töchter aus den gebildeten Ständen« ersetzt zu werden. Diese Anstalt stand unter dem »Schutz und der Leitung« der Königin Katharina, die für ihre »segensreiche Wirksamkeit« als Landesmutter hoch verehrt wurde (Kap. IV.l). In Württemberg war man auf das Katharinenstift besonders stolz. Es hatte eine Vorbildfunktion für die kommenden Privatschulen. Verglichen mit anderen deutschen Ländern war diese Schule unter dem Patronat des Herrscherhauses keine Besonderheit. Diese Anstalt sollte den Mädchen ausdrücklich keine »gelehrte« Bildung vermitteln, die war den Jungen vorbehalten, doch sollte sie den »Forderungen der Gründlichkeit Genüge leisten«.[4]
Bereits bei der Eröffnung der königlichen Schule in Stuttgart bestand der Plan, auch für Töchter des mittleren Bürgerstandes ein entsprechendes Institut zu gründen.[5] Denn viele Familien konnten ihre Töchter aus finanziellen Gründen nicht in die königliche Schule schicken, fanden aber das Niveau in der Volksschule zu gering. Die Idee zu einer bürgerlichen Mädchenschule ging von Schulinspektor Zoller aus; die Besonderheit seiner Schulkonzeption bestand darin, daß die Lehrinhalte stärker an den Bedürfnissen des täglichen Lebens orientiert sein sollten, und daß er auf den Unterricht in »weiblichen Arbeiten« ganz verzichten wollte. In Handarbeiten sollten die Mädchen seiner Ansicht nach nur außerhalb der Schule unterrichtet werden, wofür es genügend Lehrerinnen gab. In seiner Argumentation gegenüber dem evangelischen Konsistorium, der Oberschulbehörde, wies er ausdrücklich auf den wissenschaftlichen Charakter des Schulunterrichts für Mädchen hin. Zoller konnte sich mit seiner Ansicht nicht durchsetzen. Selbst 1848 wurde am Handarbeitsunterricht als Schulfach der Töchterschulen nicht gerüttelt.
Die eigentliche Gründungsphase der Töchterschulen lag in den 30er Jahren. Eine günstige Wirtschaftslage und das Erstarken des Liberalismus begünstigten solche Initiativen auf dem Bildungssektor. Im Vormärz entstanden in den größeren württembergischen Städten Töchterschulen, die von Privatleuten oder Elternvereinen gegründet und privat von diesen finanziert wurden. Die Stadt beteiligte sich bei diesen Privatunternehmen nicht. Selbst Anträge, wenigstens Räume oder Brennholz zur Verfügung zu stellen, wurden in manchen Städten abschlägig beschieden. Weder Staat noch Stadt sahen ein öffentliches Interesse darin, bessere Bildungsmöglichkeiten für Mädchen und Frauen zu schaffen. In Württemberg gab es in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nur einen einzigen Versuch, eine städtisch-öffentliche, d.h. eine allen Schichten zugängliche Mädchenschule einzurichten. In Ludwigsburg wurde sie 1836 auf Betreiben des Diakons M. Süßkind mit städtischen Mitteln eröffnet.[6] Der Konkurrenz mit der Privattöchterschule von Gottlieb Wetzel,[7] die bei Ludwigsburger Bürgern beliebter war, konnte diese mit öffentlichen Mitteln geförderte Schule jedoch nicht standhalten. Nach der Visitation der öffentlichen Mädchenschule durch das Konsistorium im Jahr 1849 zeigte sich, daß die Schülerinnen im Unterricht nicht richtig gefördert worden waren, weil der Lehrer schwerhörig und die Stadt nicht bereit war, einen qualifizierteren Lehrer einzustellen.[8] Obwohl diese einzige öffentliche höhere Töchterschule in der Presse der Revolutionszeit gelobt und als nachahmenswertes Beispiel vorgestellt wurde, verweigerte der Stadtrat 1851 die weitere finanzielle Unterstützung der Schule.[9]
Sie wurde privatisiert und als »Privat-Töchterbildungsanstalt« weitergeführt; in dieser privaten Anstalt lag jetzt das Hauptgewicht auf biblischer Geschichte und Religion, denn »sie durchdringt, belebt und heiligt den ganzen Unterricht, ist keinem Fache fremd und redet alle Sprachen.«[10]
Innerhalb des württembergischen Schulsystems waren die privaten Töchterschulen als Alternative anerkannt, seit 1836 unterstanden sie der gleichen Oberaufsicht wie die Volksschulen. Wer vom Besuch der Volksschule befreit werden wollte, um eine Privatschule zu besuchen, konnte dies mit Genehmigung der Oberschulbehörde tun. Um die staatliche Anerkennung zu erhalten, mußte allerdings das Lehrangebot dieser Schulen umfangreicher sein als das der Volksschulen. Die Privatschulen hatten zwangsläufig eine geringere Schülerinnenzahl als die überfüllten Volksschulen. Hier wurden Mädchen auch in kleineren Gruppen unterrichtet und in der Regel bildeten zwei Jahrgänge eine Klasse. Im Unterschied zu den Volksschulen unterrichteten in Töchterschulen auch Frauen; gewöhnlich umfaßten ihre Fächer »weibliche Arbeiten« und Französisch. Sie waren aber noch keine ausgebildeten Lehrerinnen, da es in Württemberg damals noch kein Lehrerinnenseminar gab. Erst 1858 wurden Frauen als Lehrkräfte in der Volksschule zugelassen.
Für Mädchen der mittleren und höheren Stände setzten sich die privaten Töchterschulen bis Ende der 1840er Jahre als gängige Bildungsinstitutionen durch. Noch immer war es eine verhältnismäßig neue Einrichtung, die ihr Angebot langsam, aber ständig erweiterte (vgl. Beob 15.3.46). Eine genauere Analyse der Lehrpläne zeigt, daß Schöngeistiges< keineswegs den Schwerpunkt der schulischen Bildung ausmachte. Mit »Klavierspielen, französischer Konversation und Kenntnissen literarischer Modeströmungen«, wie es in der bisherigen Forschungsliteratur, vor allem von Zinnecker und Simmel dargestellt wird, gaben sich die privaten höheren Töchterschulen in Württemberg nicht zufrieden.[11] Zu den Pflichtfächern gehörten außer den Volksschulfächern zusätzlich Geschichte, Geographie, Naturgeschichte, Naturlehre, Französisch und »weibliche Arbeiten«. Wenn Tanzen und Klavierspielen angeboten wurde, dann als Ergänzung außerhalb des regulären Schulunterrrichts (vgl. NT 24.4.47). Die bisherige Einschätzung der Töchterschulen geht so an der Realität vorbei. Für die Qualität des Töchterschulunterrichts und die Vielseitigkeit des Lehrprogramms spricht schließlich die Tatsache, daß in der Revolutionszeit die Schulen von konservativer Seite wegen ihrer einseitigen Ausrichtung auf die >Bildung des Verstandes< angegriffen wurden. In Württemberg waren bis Mitte des 19. Jahrhunderts die Privatschulgründungen abgeschlossen. Es bestanden zu diesem Zeitpunkt in Stuttgart vier Institute,[12] außerdem gab es Töchterschulen in den Städten Eßlingen, Heilbronn, Korntal, Ludwigsburg, Reutlingen und Ulm.
Gemüt oder Verstand - Für oder gegen Töchterschulen
Von konservativer Seite wurde die wachsende Zahl von höheren Töchterschulen mit Mißtrauen beobachtet. Ihrer Ansicht nach entfremdeten die >moderne< Erziehung und »die Privat-Töchterinstitute durch ihre Kunstgärtnerei und einseitige Gedächtniß- und Verstandes-Cultur« (Beob 30.8.47, RMC 1.9.47) die Mädchen ihrer Natur.[13]
- »Die armen Mädchen werden auf Kosten ihres Herzens mit einer Masse von Dingen überladen, daß sie... über dem frühzeitigen, ungemessenen und hastigen Genüsse vom Baum der Erkenntnis ihren schönsten Schmuck, die kindliche Einfalt und Herzlichkeit einbüßen.« (Beob 30.8.47)
Die Anklage, daß diese Schulen einseitig den Verstand förderten, nahm in den Auseinandersetzungen in der württembergischen Presse einen breiten Raum ein. Die Konservativen sahen in der Schulung des Verstandes, d.h. in der Anleitung zu logischem und selbständigem Denken, das >Wesen< der Frau in Gefahr; sie fürchteten, daß gebildete Frauen ihre Pflichten als Ehefrau, Hausfrau und Mutter nicht mehr richtig erfüllen würden. Auch liberal-demokratisch gesinnte Autoren unterstützten im Vormärz mitunter dieses Vorurteil: »Mädchen von sogenannter Bildung finden keinen Gefallen mehr am Kochen, Stricken, Nähen, Führen des Hauswesens« (Beob 30.8.47). Selbst in Zeitungen, die sich wie das »Kränzchen« unmittelbar an Frauen richteten, wurden Schreckgespenster weiblicher >Unnatur< an die Wand gemalt:
- »>Geistige Ausbildung< sollen die Mädchen bekommen. Was heißt das? Tanzstunde, französische Stunde, englische Stunde, beiläufig auch deutsche Stunde, Ciavierstunde, Singstunde, Zeichenstunde, so wird das wirkliche Leben verstundet, und kommt nun gar noch eine höhere Erziehungsanstalt, ein Stift usw dazu, so ist die weibliche Blüte geknickt und wir haben das anmaßendste, klapperigste, altklugste, unausstehliche Produkt unserer Erziehungs- und Verdrehungskunst, eine überladene und mit allerhand Civilisations- und Conversations-Plunder ausgestopfte Salonfigur, der nur die fadesten Gecken huldigen können.« (KR 55, 1849)
Mit solchen männlichen Schreckbildern einer verlorenen Weiblichkeit sollten Frauen von den neuen Bildungsinstitutionen ferngehalten werden. Töchterschulen erschienen den Konservativen als Modetorheit, auf deren baldiges Verschwinden sie hofften. Ihre Existenz wurde dann toleriert, wenn »Gemüthsbildung« als weibliches Bildungsprinzip vorherrschte. Bescheidenheit, Sittsamkeit, Häuslichkeit sollten die Zierde der Frauen sein. Die weiblichen Tugenden waren den Konservativen ehernes Gesetz. Auch viele Liberale huldigten diesem Frauenbild. Nach einem Artikel im »Beobachter« 1847 sollten die Schulen »jugendlich frische, kindliche, natürliche harmlos heitere und sittlich tüchtige Mädchen« formen (Beob 30.8.47). »Denn im Gegensatz zu den Französinnen«, schrieb das »Nürtinger Wochenblatt«, seien die »deutschen Damen rein und ausschließlich nur -Frauen.
Ihr Blick, ihre Stimme, ihre Sitten - alles deutet die sanften Eigenschaften ihres Geschlechts an« (NWB 2.3.47). Die Bürgerinnen sollten als »Damen« in der ihnen zugeordneten Lebenswelt einen Beitrag zum nationalen Bewußtsein leisten. Frauen als »Hüterinnen des heiligen Feuers der Reinheit der Sitten«[14] hatten eine Verantwortung, die es zu erfüllen galt.[15]
In der Bildungsdebatte 1848 trafen so zwei unterschiedliche Positionen aufeinander. Die Konservativen wollten an der traditionellen »Bildung des Gemüts« festhalten, während Demokraten für eine umfassende Bildung und politische Aufklärung der Frauen eintraten. Demokraten begrüßten in der Revolutionszeit das zunehmende Interesse von Frauen an einer umfassenden Bildung und die Fortschritte der Mädchen auf schulischem Gebiet:
- »Während ehedem nur hin und wieder ein weibliches Wesen es wagte, an dem unergründlichen Borne der Wissenschaft zu schöpfen, um dem bestehenden Geist mit nützlichen Kenntnissen zu bereichern ist heutzutage der Trieb nach geistiger Vervollkommnung so allgemein unter unsern Frauen und Jungfrauen verbreitet, und sind die Fortschritte derselben... überraschend«. (NT 19.10.49)
Sie befürworteten die höhere Schulbildung der Mädchen, da diese sich ihrer Ansicht nach stärker am politischen Leben beteiligen sollten. Nicht nur in der Volksschule, sondern auch in den höheren Töchterschulen sollten nationale Fragen in den Unterricht integriert, religiöse Themen stärker eingeschränkt und damit auch der Einfluß der Kirche auf die Schule eingedämmt werden.
»Warum ein Stehenbleiben auf halbem Weg?«
1848 gehörte die Öffentlichkeit aller Bereiche des gesellschaftlichen Lebens zu den zentralen Grundsätzen der demokratischen Volksvereine und der späteren demokratischen Partei. Jeder Bürger sollte deshalb ohne Rücksicht auf Stand und Vermögen Zugang zur Bildung haben, und es wurde als die Aufgabe des Staates betrachtet, öffentliche Schulen einzurichten. Private Schulen für die Mädchen der oberen Schichten konnten auf Dauer das Problem weiblicher Bildung nicht lösen, dies war den Liberalen und Demokraten 1847 bewußt: »Eine sichere Gewährschaft für die dauernde Befriedigung der Bildungsbedürfnisse der weiblichen Jugend«, schrieb der »Beobachter«, sei nur in solchen »Lehranstalten (gewährleistet), welche unter öffentlicher Autorität errichtet, auf öffentliche Kosten unterhalten und von öffentlich geprüften Lehrern organisiert und geleitet werden« (Beob 31.8.47). Karl Kleemann, der Vorsteher der Reutlinger Töchterschule, verlangte von einem demokratischen Schulkonzept: »gleichmäßige Behandlung der Kinder, die weder auf einseitige Wünsche, noch auf Stand und Ansehen der Eltern Rücksicht nimmt« (RMC 21.9.47). Zwei Monate später forderte Schlossermeister Nägele aus Murrhardt, der spätere demokratische Abgeordnete der Nationalversammlung, in einer Grundsatzerklärung, daß »mindestens in allen Städten eine oder zwei höhere Klassen eingerichtet seyn (sollen),... in welchem die fähigeren Schüler beiderlei Geschlechts, welche eine höhere Bildungsanstalt nicht besuchen können oder wollen, ohne Rücksicht auf Stand und Vermögen den Unterricht genießen könnten« (RMC 6.11.47).
Im September 1848 machte der Eßlinger Rektor und demokratische Landtagsabgeordnete Riecke die demokratische Position der Volksvereine deutlich: »Sämmtliche Bildungsanstalten des Staates müssen jedem Staatsangehörigen, der sich für sie eignet, zugänglich sein«. Frauen wurden in diesen Erklärungen der Demokraten nicht ausdrücklich genannt, doch war ein wesentlicher Angriffspunkt in der öffentlichen Debatte der Jahre 1848/49 das Stuttgarter Katharinen-stift, das als elitäres königliches Institut den demokratischen Bildungsprinzipien entgegen stand. Die Demokraten verurteilten deshalb das >Luxusinstitut<, da ihnen zum einen die Lehrinhalte zuwenig an den Bedürfnissen des mittleren Bürgertums orientiert waren. Zum anderen, weil es ihrer Auffassung nach keine öffentliche Schule war, denn nur begüterte Familien konnten es sich leisten, ihre Töchter ins Katharinenstift zu schicken. Konsequenterweise verweigerte der Finanzausschuß des Landtages, in dem die demokratische Linke die Mehrheit hatte, 1849 den jährlichen Staatszuschuß von 2000 Gulden. Selbst der Chef des Departements für Kirchen- und Schulwesen, Eduard Schmidlin, der den liberalen Märzminister Pfitzer im August 1848 abgelöst hatte, setzte sich vergeblich für das Katharinenstift ein. Durch die Streichung der Subventionen wurde dieser Schule symbolisch das öffentliche Ansehen entzogen.
Einen wesentlichen Fortschritt brachte die Revolution im Realschulwesen für Mädchen. Bereits in den 40er Jahren hatten die Familien des Gewerbestandes begonnen, sich für eine bessere Bildung ihrer Töchter zu interessieren. Sie sollten in den mittelständischen Familienbetrieben die Kontor- und Schreibarbeiten übernehmen bzw. als Unverheiratete für ihren Unterhalt selbst sorgen können. Das Schulgeld in den Töchterschulen war den Familien des »Mittelstandes« allerdings zu hoch, außerdem wünschten sie sich mehr auf ihr alltägliches Leben ausgerichtete Lehrinhalte. Diesen Interessen versuchte Friedrich Wetzel entgegenzukommen, als er in Stuttgart 1849 eine private »Mittelschule« gründete. Sie war, wie es im Pfarrbericht 1849 heißt, »nach Umfang der Lehrgegenstände und in Betreff des Schulgeldes (ein) zwischen der Volksschule und den bisherigen Töchter-Anstalten in der Mitte stehendes Institut für Mädchen aus dem Bürgerstande«.[16] Wie groß das Interesse an dieser Schule war, zeigte die schnell ansteigende Zahl der Schülerinnen. Im »Neuen Tagblatt für Stuttgart und Umgegend« gab im Juli 1849 der Vorsteher Friedrich Wetzel den Eltern bekannt, »daß nun sein Institut sich fest begründet hat, und in Folge des zahlreichen Besuchs, dessen er sich zu erfreuen hatte, ihm möglich geworden ist, 3 Unterrichtsklassen einzurichten und weitere Lehrkräfte herbeizuziehen.« (NT 11.7.49) Trotz der florierenden privaten Mittelschule für Mädchen bestand bei den Stuttgarter Bürgern immer noch der Wunsch nach einer öffentlich-städtischen Schule. 1851 trug der demokratische Verein diesen Wunsch an den Stadtrat heran, der allerdings angesichts des bestehenden Privatinstituts keinen Bedarf erkennen mochte.[17] Erst nachdem der Gewerbeverein genügend politischen Druck ausgeübt hatte, eröffnete die Stadt Stuttgart 1860 eine öffentlich-städtische Mädchenmittelschule.
Zu den aktivsten Gruppen in der bildungspolitischen Debatte gehörten in der Revolution 1848/49 die Volksschullehrer. 1837 bereits hatten sich die Lehrer- als Reaktion auf das Schulgesetz von 1836 - in einem Volksschulverein organisiert. Seine Mitglieder setzten sich für qualifiziertere Ausbildungsmöglichkeiten und die Einführung eines einheitlichen Lesebuchs ein und verlangten die Revision der konservativen Schulgesetzgebung. Zu diesem Verein kam 1840 der demokratisch orientierte Volksschullehrerverein. Dieser, vom Eßlinger Rektor Riecke gegründete Verein setzte sich nicht nur für neue Lehrinhalte, sondern auch für die Verbesserung der Lage der Lehrer ein. Beide Vereine erhofften sich von der Revolution, daß ihre Forderungen nach einer Liberalisierung der Volksschulbildung schneller eingelöst würden.
Im Programm beider Vereine allerdings war die Mädchenbildung kein Thema, obwohl die privaten höheren Töchterschulen organisatorisch an die Volksschule angegliedert waren und damit in den Kompetenzbereich dieser Vereine fielen (Beob 31.8.47). Für Volksschullehrer waren die Töchterschulen auch insofern wichtig, als sie den schlecht bezahlten Lehrern eine Chance boten, durch stundenweisen Unterricht ihr Gehalt aufzubessern.
Auch wenn die demokratisch eingestellten Lehrer kein gemeinsames Konzept für das höhere Mädchenbildungswesen entwickelt hatten, wirkte sich die Diskussion um neue Lehrinhalte in den Volksschulen indirekt auch auf die privaten Töchterschulen aus. Ein wesentlicher Aspekt, der heftige Diskussionen auslöste, war die Frage, wie groß der Einfluß der Kirche auf die Schule sein sollte. Demokraten vertraten die Meinung, daß >Nationalerziehung< und religiöse Erziehung schlecht miteinander vereinbar wären.
»In dieser großen Zeit, in welcher das deutsche Volk wieder seine Nationalität zu erringen strebt, muß auch die Volkserziehung eine nationale Grundlage erhalten. Man mißverstehe uns aber ja nicht, als wollten wir die Religion aus der Schule verdrängen. Nein! vielmehr wünschen wir im Interesse der Religion und des Christen-thums selbst, daß der religiöse Unterrichtsstoff auf das gebührende Maaß zurückgeführt werde«. (Beob 18.5.48)
Liberalere Töchterschulleiter reagierten auf dieses neue Bedürfnis, soweit ihnen die kirchliche Oberaufsicht dazu Spielraum ließ. Aus Anzeigen in einzelnen Lokalzeitungen geht hervor, daß der Religionsunterricht beschränkt oder auch anders ausgerichtet wurde. In der Eßlinger Schule spielte Religion eine untergeordnete Rolle, weshalb sich die Vorsteherinnen genötigt sahen, sich öffentlich abzusichern (NT 24.4.47). Karl Kleemann aus Reutlingen formulierte es vorsichtig, Ziel sei es, »den Sinn für wahre Religiosität zu wecken« (RMC 19.5.48). Diesen Handlungsspielraum hatten die Volksschullehrer nicht, hier konnte nur die geforderte Gesetzesänderung Abhilfe schaffen.
Von keiner Seite allerdings wurden in Württemberg so weitgehende bildungspolitische Forderungen erhoben, wie sie Louise Otto in einem 1849 im »Kränzchen« abgedruckten Artikel formulierte. In diesem Aufsatz, den sie eigentlich für die Zeitschrift »Sociale Reform« geschrieben hatte, beklagte sie, »daß eine vorzugsweise gebildete Frau oder eine, die neben ihrem besonderen Beruf auch dem Allgemeinen dient usw. als Ausnahme betrachtet wird« (KR 47, 1849). Die schulische Bildung soll Frauen die Möglichkeit schaffen, berufstätig zu werden.
»Es muß dem Weibe Gelegenheit gegeben werden, seinen Weg durch das Leben selbst zu finden, oder mit anderen Worten das tägliche Brod sich selbst zu verdienen. Die Befähigteren müssen es finden können als Lehrerinnen, besonders der weiblichen Jugend, in den Comptoiren usw., in Handel und Wandel.« (KR 47, 1849)
Louise Ottos Artikel blieb lange Zeit die einzige weibliche Stimme, die sich 1848/ 49 in den württembergischen Blättern für Verbesserungen der Mädchenbildung erhob. Ihre Ansicht, daß die geistig-intellektuelle Bildung von Mädchen nicht mit dem 14. Lebensjahr beendet sein sollte, zu einem Zeitpunkt »wo die eigentliche Denkfähigkeit erst beginnt«, wurde von einigen württembergischen Liberalen geteilt. Schon 1846 verlangte ein Artikel des »Beobachters«, daß das in der Schule Erlernte in der Zeit zwischen Konfirmation und Heirat nicht verloren gehen sollte. Denn »fragt man... nach den nachhaltigen Früchten dieser bereits gesicherten Pflanzstätte (der Töchterschulen; d.V), so muß man ihre Leistung in den nachfolgenden Strick- und Nähjahren größtentheils verschwinden sehen« (Beob 17.3.46, RMC 18.9.47). Der Autor plädierte für eine Verlängerung der Schulzeit, qualifizierte jedoch die sogenannten »Bildungsanstalten für konfirmierte Töchter« ab, da diese nur die christliche Erziehung und das Handarbeiten in den Mittelpunkt stellten. Vielmehr sollte das Hauptgewicht auf der »geistigen Bildung« liegen; der Autor warf die Frage auf, »wozu und warum das gänzliche Abbrechen und Unterlassen der geistigen Bildung auf einer Altersstufe (gemeint ist das 14. Lebensjahr; d.V), welche so häufig erst in eine eigentliche Lehrzeit einleiten möchte, nunmehr erst eine zweckdienliche Behandlung und Benützung der genannten Fächer (Sprachen, Geschichte, Geographie, Naturgeschichte; d.V.) gestatten würde?« (Beob 17.3.46)
In den Jahren der Revolution waren sich alle Seiten einig, daß die Erziehung der Jungen und Mädchen auf eine nationale Grundlage gestellt werden sollte. »Auch das Mädchen müßte«, schrieb Louise Otto in dem oben erwähnten Artikel, »zu der Begeisterung für hohe Ideen, für das heilige Streben der Volksbeglückung erweckt werden, damit es selbst in diesem Sinne wirken oder die ihm anvertrauten Kinder so wirken lehre.« Dies entsprach dem Interesse der Demokraten, denn, so klagte ein Gewerbetreibender schon im Vormärz, »wie selten ist eine patriotisch gesinnte für höhere Interessen empfängliche Jungfrau,... wie selten ist ein Weib zu finden, auf das sich der Mann in seinen Kämpfen für seine Überzeugung stützen könnte« (RMC 5.11.47).
1848 wurden Frauen erstmals in die politische Bewegung miteinbezogen. Sie begannen sich zu organisieren und mit politischen Fragen zu beschäftigen, traten in der Öffentlichkeit auf und nahmen an Volksversammlungen und Revolutions-feiern teil. Es ist sicher nicht falsch, diese Bereitschaft, sich mit den nationalen Zielen der Revolution zu identifizieren, auf die bessere Ausbildung und den Unterricht in den seit 20 Jahren bestehenden Töchterschulen zurückzuführen; durch sie wurde die Isolation häuslicher Erziehung aufgebrochen, und der gemeinsame Schulunterricht bürgerlicher Mädchen ließ ein neues Bewußtsein gemeinsamer sozialer Identität und Geschichte entstehen. Töchterschulen trugen so fraglos zum politischen Formierungsprozeß des Bürgertums bei. Mädchen entdeckten 1848 ihr Interesse für die >Welt<. Nahmen sie allerdings zu deutlich Anteil an politischen Fragen, so wurde ihnen dies verübelt, denn sie verletzten damit die auch für demokratisch gesinnte Frauen geltenden Regeln der Bescheidenheit. Als im März 1848 Mädchen der höheren Töchterschule in Reutlingen mit einem Artikel in einer radikaldemokratischen Zeitung an die Öffentlichkeit traten, wurden sie vom Vorstand der Schule, Kleemann, öffentlich dafür gerügt.[18] Obwohl dieser selbst Demokrat war, sah er sich veranlaßt, den Eindruck zu korrigieren, die Schule hätte die Mädchen zu dieser Erklärung angeregt. Offenes politisches Engagement wurde so für Frauen zur Gratwanderung, da Progressive wie Konservative sie auf ein einfaches und bescheidenes Auftreten festlegten.
Wie groß das Bedürfnis der Frauen nach Wissen war, zeigten auch die ersten,Institutionen der Erwachsenenbildung<. Seit 1847 gab es auch in Württemberg eine ganze Reihe populär-wissenschaftlicher Vorträge, die eifrig von Frauen besucht wurden. In Eßlingen hielt der Mechaniker Bopp Vorlesungen in Experimentalphysik, »welche so populär sind, daß jeder, auch Frauenzimmer, dieselben gerne hören« (NT 3.2.47). In den Jahren 1848/49 wurden diese Vorlesungen immer beliebter, boten sie doch den Frauen eine Möglichkeit, sich fortzubilden und am Zeitgeschehen teilzunehmen. So gab es »Nationale Vorlesungen«, die sich an Frauen wendeten. In Stuttgart, Cannstatt, Eßlingen und Ludwigsburg fand diese Vortragsreihe schließlich bei Frauen und Männern Anklang (ESP 21.4.49). Frauen wurden aber nicht nur durch Vorlesungen angesprochen; bedingt durch die politische Bewegung wandelte sich auch das Angebot der Bildungsbücher in den Zeitungen. Offerierte man vorher noch überwiegend Bücher, mit deren Hilfe Frauen ihre hausfraulichen Qualitäten verbessern sollten/konnten, richteten die Verlage sich jetzt verstärkt an die »Damenwelt«, die sich bilden wollte. Denn »auch wir Frauen nehmen einen immer regeren Antheil an den Bewegungen der Zeit und dem öffentlichen Leben«, heißt es in der Vorankündigung des »Kränzchens«, der 1849 gegründeten württembergischen Zeitung für Frauen (SM 31.3.49, Blg.).
Die Mütter im Kreuzfeuer der öffentlichen Kritik
Während der Revolution wurde nicht nur die schulische, sondern auch die häusliche Erziehung offener Kritik unterzogen. Die demokratische Presse sah in der einseitigen Ausrichtung der Frauen auf die Familie ein Hindernis, diese für nationale Interessen zu begeistern. So stellte ein Demokrat seinen Genossen 1847 schon die Frage, ob diese Beschränkung es nicht mit sich bringen würde, daß die Frau
- »bei Euren politischen Kämpfen wie Blei an Eure Thatkraft sich hängt und diese lähmt, ob nicht sie es sind, die Euch, sofern nicht Eitelkeit oder Ehrgeiz sie anders bestimmt, jeden Augenblick an das Glück Eurer Familie, an die Gefahr, Euch zu verfeinden, an den wahrscheinlichen Verlust an Zeit und Geld etc. erinnern, Euch umstimmen, wenigstens vorsichtiger kühler und nachdenklicher machen, wenn Ihr gerade im Begriff stehet, mit dem festen Willen für das Recht und Eure Überzeugung einen entscheidenden Schritt zu wagen; daß sie es sind, die Eure Teilnahme für die höheren Interessen der Gesellschaft als Thorheit und die Sorge für sich selbst als die erste Pflicht darstellen«. (RMC 5.11.47)
Konservative dagegen idealisierten die Häuslichkeit der Frauen und das Familienleben. Sie betonten die besondere >Kulturaufgabe< der Mütter. »Die Familien, von der Centralsonne aechter Weiblichkeit erleuchtet und von lauterer mütterlicher Wärme getragen, sind die Stützen des Staates, sind die Grundpfeiler jeder gesellschaftlichen Organisation« (KR 92, 1849). Der Pflicht Kinder zu gebären und zu erziehen, dürften sie sich nicht entziehen. Denn »bei dem Geschäfte der Erziehung ist die liebevollste Mutter zum unabweisbaren Bedürfnis geworden. Wo keine Mutterliebe ist, gedeiht keine Erziehung« (KR 90, 1849). Müttern wurde geradezu eine >Heilswirkung< zugesprochen (vgl. BvR 7.4.49, Big.). »Geistige Sammlung des Gemüths, stille Hingebung, edle Ruhe und heilige Zufriedenheit« seien die Grundlagen einer richtigen Erziehung (KR 91,1849). Daß auch die Liberalen und Demokraten von diesem Ideal der Mutter und Hausfrau nicht so weit entfernt waren, zeigt ihre Kritik an dem »in dem Schöße so vieler Familien spuk-kende(n) Gespenst der modernen Anstands- und Sittenbildung... wornach man von der Wiege an mit der Mode lebt, und die Jugend von Haus aus zu einem Kinde des Luxus macht« (Beob 30.8.47). Der eleganten, modebewußten Bürgerin der 40er Jahre wurde Oberflächlichkeit vorgeworfen. Ihr Interesse bestünde einzig darin, sich nach der neusten Mode zu kleiden (Kap.V. 1) und anderen zu gefallen, ihr Herz wäre »von weltlichen Außendingen zu sehr eingenommen«, so daß Kinder in solchen Müttern keine guten Erzieherinnen mehr hätten (RMC 7.9.47). Das schlechte Beispiel der Mütter würde auch die Töchter verderben. Es seien so selten Mädchen zu finden, »deren Sinn nicht gefangen gehalten ist von der Eitelkeit und Genußsucht, vom Flittertand der fremden Mode« (RMC 5.11.47).
Demokraten wie Konservative waren sich einig in der Verurteilung weiblicher Eitelkeit und Putzsucht, ihre Motive allerdings waren unterschiedlich. Den einen ging es darum, politisches Bewußtsein und Einsicht in die nationalökonomisch begründete Forderung nach Bescheidenheit< zu wecken. Sie wollten Mädchen und Frauen davon überzeugen, daß auch im häuslichen Bereich eine nationale Gesinnung wichtig sei (Kap.V.l). Die neuen Mütter sollten durch einfaches und bescheidenes Auftreten, gepaart mit dem »Sinn für höhere Interessen, für das Vaterland, für die Natur und das Natürliche« ihren Kindern ein gutes Vorbild sein (RMC 5.11.47). Die Konservativen verdammten den Luxus als Ergebnis der verfehlten Erziehung, verlangten mehr häusliche Bildung und die Einschränkung öffentlicher Erziehung; dementsprechend polemisierten sie gegen Frauen, die nach (mehr) Bildung strebten. »Haltet es für einen größeren Ruhm, für ein liebendes Weib, eine sorgende Mutter, eine treue Führerin des Hauswesens zu gelten, als wenn eurer Klugheit das zweideutige Lob gezollt wird« (KR 14,1850). Da Mutterschaft der natürliche Beruf der Frau sei, braucht die Mutter »gerade nicht feingebildet zu sein, die Mutterliebe ist erfinderisch genug, die Erziehung recht leicht und die Unterhaltung angenehm zu machen« (KR 91, 1849).
Mit dem Einsetzen der politischen Restauration meldeten sich die konservativen Kräfte wieder stärker zu Wort und versuchten, das alte Frauenideal zu zementieren. Im Oktober 1849 sahen sich so die Vorsteherinnen der Eßlinger Töchterschule veranlaßt, ihre bildungspolitischen Grundsätze deutlich zu machen und sich gegen Mißverständnisse und politische Unterstellungen abzusichern.
- »Wir glauben, daß der Unterricht des Mädchens als Erziehungsmittel hauptsächlich darauf zielen soll, dasselbe für den unserem Geschlechte eigenen Beruf tüchtig zu machen, und daß vielleicht der Vorwurf, den man unserm Jahrhundert häufig macht, anstatt guter Hausfrauen Gelehrte bilden zu wollen, hauptsächlich daher kömmt, daß man sich nicht genug mit dem Gedanken vertraut macht, daß der Unterricht des Mädchens in jedem Fache und schon von Kindheit auf eine ganz andere Tendenz haben soll als der des Mannes. Geistige Bildung, Entwicklung des Verstandes darf und soll gewissermassen in dem Letztern vorherrschend sein, beim Weib jedoch sollte die Bildung und Entwicklung des Verstandes eher als Mittel denn als Ziel angesehen werden«. (ESP 24.10.49, Big.)
Mit dem Scheitern der Revolution erlitten auch die Bestrebungen nach Verbesserungen der Mädchenbildung eine Niederlage. Die Verurteilung der revolutionären Bewegung ging einher mit der Kritik an der weiblichen Erziehung, die dazu beigetragen hatte, daß Frauen 1848 ihren angestammten Platz verlassen hatten. Die in den nächsten Jahren herrschende Erziehungsdoktrin formulierte Wilhelm Heinrich Riehl in seinem 1855 erschienenen Buch »Die Familie«:
- »Der erste Schritt zu einer politischen Erziehung des Volkes scheint mir vielmehr darin zu suchen, daß man das weibliche Geschlecht gründlich in seine eigene Art zurückführt... Man bilde die jungen Mädchen wieder zu Hüterinnen der Sitte, man lehre sie wieder Selbstbeschränkung im Hause finden, man gebe ihre Erziehung, die viel zu viel der Schule zugefallen ist, der Familie anheim«.[19]
Diese Versuche, Erziehung und Bildung des weiblichen Geschlechts wieder verstärkt in die Familie zu verlagern, schlugen fehl. Im historischen Rückblick zeigt sich zwar, daß die Entwicklung hin zum öffentlichen Schulwesen zwar verzögert wurde, doch bildeten die privaten Töchterschulen die Basis für das in den 1870er Jahren entstehende öffentliche höhere Mädchenbildungssystem in Württemberg.