»Thäterinnen der Liebe« Frauen in Wohltätigkeitsvereinen
Wer nach Formen der politischen Partizipation von Frauen in der Revolution 1848/49 fragt, kann nicht umhin, sich intensiver mit dem Engagement der Frauen in Wohltätigkeitsvereinen zu beschäftigen. Diese teils privaten, teils halbstaatlichen, sozialpolitischen und sozialfürsorgerischen Organisationen, denen eine wichtige Rolle im politischen Formierungsprozeß des Bürgertums im Vormärz zukam, bauten wesentlich auf der Mitarbeit von Frauen auf. Seit 1816 waren württembergische Frauen in solchen Vereinen aktiv, und diese Form der öffentlichen Betätigung definierte in gewisser Weise auch die politischen Handlungsmuster von Frauen 1848/1849. Selbst in der bürgerlichen Frauenbewegung des späten 19. Jahrhunderts finden wir noch Konzepte und Vorstellungen über gesellschaftliche Wirkungsmöglichkeiten von Frauen, die auf diese Erfahrung in der Wohltätigkeitsarbeit zurückzuführen sind. Eine Analyse der ersten Wohltätigkeitsvereine und der Anfänge weiblicher Fürsorgearbeit vermag so deutlich zu machen, was diese Form organisierter »Mütterlichkeit«[1] für die Emanzipation der Frauen im 19. Jahrhundert bedeutete.
Der »Allgemeine Wohlthätigkeitsverein im Königreich Württemberg«
Der erste Wohltätigkeitsverein in Württemberg, dem auch Frauen angehörten, entstand in unmittelbarem Zusammenhang mit der Hungerkrise von 1815/16. Da die bestehenden Armenfürsorgeeinrichtungen der Gemeinden und Kirchen der Situation nicht mehr gewachsen und in ihren Hilfsmöglichkeiten völlig überfordert waren, gründete Königin Katharina von Württemberg 1817 einen »Verein zur Hülfe der Nothleidenden«.[2] Dieser »Allgemeine Wohlthätigkeitsverein« bemühte sich mittels >Soforthilfe< die unmittelbare Not zu lindern. Er regte in vielen Gemeinden des Landes die Gründung von Suppenanstalten an, in denen die Armen unentgeltlich oder gegen geringes Entgelt einige Teller »Rumfordscher Suppe«[13] zu essen bekamen.
Eigentlich war der Wohltätigkeitsverein als reiner Frauenverein geplant, da nach Katharinas Meinung »diess Geschäft niemand besser ziemte, als dem Theil der menschlichen Gesellschaft, dessen hoher Beruf im Leben ist, zu helfen«.[4] Doch diese Idee ließ sie sich von dem mit ihr befreundeten Verleger Johann Heinrich Cotta ausreden.[5] So waren bei der konstituierenden Sitzung der Zentralleitung, dem obersten Gremium des Wohltätigkeitsvereins, am 29.12.1816 im Stuttgarter Schloß neben sieben Frauen auch zehn Männer versammelt.dem obersten Gremium des Wohltätigkeitsvereins, am 29.12.1816 im Stuttgarter Schloß neben sieben Frauen auch zehn Männer versammelt.[6]
Zu den ersten von der Königin ernannten Mitgliedern der Zentralleitung gehörten 1816 fünf Ehefrauen von hohen Beamten, darunter zwei Adlige, eine Kaufmannsfrau, ein Fräulein, außerdem sechs höhere Beamte, zwei Geistliche und zwei Kaufleute.[7] Es dominierte also das Stuttgarter Intelligenz- und Bildungsbürgertum, das schon Erfahrung in organisierter Wohltätigkeit besaß. Seit 1805 bestand in Stuttgart die »Privatgesellschaft freiwilliger Armenfreunde«, ein von Pietisten getragener Verein, dem hauptsächlich Männer angehörten.[8]
1816 setzte sich die Zentralleitung des »Allgemeinen Wohlthätigkeitsvereins« aus ehrenamtlich tätigen »berathenden« Mitgliedern und aus staatlich verpflichteten Beamten zusammen.[9] Nach den Plänen der Gründungsmitglieder sollte die Zentralleitung eine staatliche Behörde werden. Da ihr aber Nichtbeamte und Frauen als Mitglieder angehörten, wurde dies vom König abgelehnt.
Die Zentralleitung besaß ein eigenes, vom Staat getrenntes Vermögen, ihre Rechnungsführung unterstand aber staatlicher Kontrolle. Die Unterstellung unter die Oberaufsicht des Staates, allein schon durch die persönliche Verbindung zur Königin gegeben, gewährte der Zentralleitung einen Rückhalt und garantierte eine gewisse Autorität gegenüber den Behörden.[10] Aus dem ursprünglich angestrebten Frauenverein war damit ein Verein mit halbstaatlichen Funktionen geworden.
Der Wohltätigkeitsverein unterteilte sich in drei organisatorische Ebenen: Zuoberst stand die Zentralleitung, die mittlere Ebene wurde von den Oberamtsleitungen gebildet, die unterste und breiteste Ebene stellten die Lokalleitungen und die zugehörigen Lokalvereine dar. 1818 gab es in 1665 Orten Lokalleitungen.[11] Die Lokalvereine arbeiteten meist so, daß den Mitgliedern verschiedene Distrikte in der Stadt zugewiesen wurden, in denen sie die Lage der dort wohnenden Armen erkunden und für entsprechende Hilfsmaßnahmen sorgen sollten.[12] Im Stuttgarter Lokalwohltätigkeitsverein gab es 1817 fünf Kommissionen - eine für »milde Stiftbürger«, eine Kommission für unmittelbare Unterstützungen, eine Industriekommission, eine Kommission für das Rechnungswesen und eine Frauenkommission, die Armenbesuche unternahm. Für jeden der acht (später zehn) Stuttgarter Distrikte war eine Frau als Aufsicht bestimmt, die von mindestens zehn bis zwölf Helferinnen unterstützt wurde. Die Frauen besuchten >ihre< Armen mehrmals in der Woche und führten darüber Buch. Damit es zu keiner Bevorzugung einzelner Bedürftiger kam, machten sie wechselweise Besuche bei den Armen, die von anderen Frauen betreut wurden. Mit dieser Form der gegenseitigen Kontrolle sollte ausgeschlossen werden, daß einzelne Betreuerinnen sich über die wahre Lage der unterstützten Personen täuschen ließen.[13]
Das System der persönlichen Besuche trug also deutlichen Herrschaftscharakter, andererseits entstand aber auch eine direktere soziale Beziehung zwischen Betreuten und Betreuerinnen, wie Amalie Sieveking, die 1832 in Hamburg den »weiblichen Verein für Armen- und Krankenpflege« gegründet hatte, es formulierte; ihrer Ansicht nach veränderte sich das Verhältnis zwischen den Gebern und den Empfängern der Hilfe; dieses sei dann nicht mehr »... das vornehme Verhältnis des Patrons zu seinen Klienten; es nimmt, möchte ich sagen, etwas von dem mütterlichen Charakter an.«[14]
In den Instruktionen für den »Allgemeinen Wohlthätigkeitsverein« in Württemberg wurden weibliche Fähigkeiten organisatorisch bewußt eingeplant:
- »Persönliche Dienste, als Beiträge zur Armen-Versorgung, lassen sich vorzüglich von dem weiblichen Geschlecht erwarten. Sie werden geleistet a) durch Einsammeln, besonders von Haus zu Haus, b) Krankenpflege, c) Zubereitung von Speisen, besonders der - nach Rumfordischer Anweisung gekochten Suppen, d) Handarbeiten, welche die Mitglieder weiblichen Geschlechts zum Besten der Armen verfertigen, wozu in jeder Woche eine oder mehrere Stunden ausgesetzt werden, e) Aufsicht über die Arbeit der Armen...<«.[15]
Frauen sollten nach Ansicht der Gründungskommission von 1816 auch in den Vereinsleitungen repräsentiert sein, da ihre Kenntnisse in Hausarbeit gebraucht wurden:
- »Die Mitglieder der Leitungen werden nicht aus dem männlichen Geschlecht allein, sondern auch aus dem weiblichen deswegen gewählt, weil theils die Beurtheilung einiger Hülfe-Gegenstände, theils die Leistung gewisser Dienste am zuverlässigsten und wirksamsten von diesem erwartet wird.«[16]
Die Lokalleitungen, die organisatorisch eng mit den Kirchenkonventen verbunden waren, rekrutierten ihre Mitglieder aus »den geistlichen und weltlichen Orts-Vorstehern, einzelnen Armen-Freunden und erfahrenen sorglichen Hausfrauen.«[17] Die gesellschaftliche Arbeitsteilung spiegelt sich also in der Vereinsarbeit wider. Während die Frauen in der praktischen Armenpflege tätig waren, erledigten die Männer die Verwaltungsarbeit und repräsentierten den Verein nach außen. Viele von ihnen waren Beamte, die von Berufs wegen im Verein tätig waren. Ihre Vereinsarbeit fiel damit mit ihrer amtlichen Funktion zusammen und genoß dementsprechend in der Öffentlichkeit mehr Ansehen als die Arbeit der Frauen. Diese wirkten wie zu Hause auch hier im Hintergrund und verrichteten die Vereinsarbeit zusätzlich zu ihrer alltäglichen Haus- und Familienarbeit. Daß diese Form der Sozialarbeit auch für Frauen hätte Berufsarbeit werden können, wie dies Amalie Sieveking in den 30er Jahren für die Frauen ihres Hamburger Frauenvereins anstrebte, wurde 1816/17 in Württemberg nicht in Betracht gezogen. Man war im Gegenteil darauf bedacht, daß die fürsorgerische Arbeit nicht zuviel Zeit beanspruchte. Die Organisatoren des Stuttgarter Lokalwohltätigkeitsvereins forderten so, daß möglichst viele Frauen im Verein mitarbeiteten »... damit die Geschäfte gehörig vertheilt, und die Mitwirkung einzelner nicht mehr in Anspruch genommen werde, als es ihre häuslichen Verhältnisse zulassen...«[18]. Die Grenzen weiblicher Vereinstätigkeit waren somit klar: »die Verrichtungen, die sie übernehmen, müssen mit dem Berufe der thätigen Hausfrau vereinbar seyn,...«. Familie und Hausarbeit sollten keinesfalls vernachlässigt werden. Dies bedeutete, daß sich vor allem Frauen höherer Klassen im Wohltätigkeitsverein engagieren konnten, da sie - dank ihres Dienstpersonals - über mehr freie Zeit verfügten.
Neben der Arbeit in den Wohltätigkeitsvereinen übernahmen bürgerliche Frauen auch Aufsichtsfunktionen in den von Vereinen getragenen Industrieschulen. In ihnen wurden meist einheimische Frauen mit Handarbeitskenntnissen oder ausgebildete Näherinnen als Lehrerinnen eingesetzt, während Lehrer- und Pfarrfrauen die Kinder zusätzlich mit Lesen und Singen beschäftigten.[19] In Stuttgart wechselten sich z.B. 16 Frauen » ... theils täglich, theils wöchentlich mit ihren persönlichen Besuchen in den Anstalten ab.«[20]
Auf der lokalen Ebene, der Basis des Wohltätigkeitsvereins, war die Mitarbeit der Frauen also notwendig; im obersten Gremium des Vereins, der Zentralleitung, waren die Frauen dagegen unterrepräsentiert. Während in der Gründungsphase die Königin Frauen und Männer in die Zentralleitung berufen hatte, nahm nach dem Tod Katharinas 1819 die Dominanz der Männer zu, da keine Frauen mehr ernannt wurden, und die 1816 eingesetzten weiblichen Zentralleitungsmitglieder Mitte der 40er Jahre alle ausgeschieden waren. Zwischen 1846 und 1866 bestand die Vereinsführung ausschließlich aus Männern. Erst als Königin Olga 1866 das Protektorat übernahm, wurden wieder sechs Frauen zu Vorstandsmitgliedern ernannt.[21]
Auch in den Oberamtsleitungen waren Frauen selten vertreten, obwohl theoretisch sowohl Frauen wie auch Männer freiwillige Mitglieder sein konnten. Da auch hier Pflichtmitgliedschaft bestand, und somit Oberamtsleute, Geistliche beider »Confessionen«, Amtsschreiber und -pfleger, Oberamtsärzte und Stiftungsverwalter von Amts wegen mitarbeiten mußten,[22] begünstigte dies die Dominanz von Männern, diese Amtsmitglieder sicherten allerdings auch die Kontinuität dieser Wohltätigkeit >von oben<. Dies änderte sich erst ab 1847, als die Mitgliedschaft ausschließlich auf freiwillige Basis begründet wurde.[23] In der Revolutionszeit war der Wohltätigkeitsverein verstärkt darauf bedacht, Frauen zu mobilisieren. In einem Bericht von der Versammlung der Bezirkswohltätigkeitsvereine und »Armenfreunde« 1849 in Ludwigsburg wurde erfreut bemerkt, daß erstmals ein »Kreis von Frauen anwesend« sei, »hier als Hörerinnen des Wortes, die draußen sich als Thäterinnen der Liebe bewährten.« (BfA 15.12.49)
»Errettet den Geringen und Armen«[24] — Strategien der Armenpflege
Beschränkten sich während der akuten Krise 1817 die Hilfsaktionen des »Allgemeinen Wohlthätigkeitsvereins« vor allem auf direkte Hilfe durch Suppenküchen, trat danach das eigentliche Hauptanliegen der Zentralleitung, nämlich die Hilfe zur Selbsthilfe, in den Vordergrund. Der Wohltätigkeitsverein stellte armen Handwerkern Arbeitsmaterial zur Verfügung und organisierte Beschäftigungsmaßnahmen. Er richtete unter anderem Spar- und Leihkassen sowie ein Verkaufsmagazin, die sogenannte »National-Industrie-Anstalt«, zum Verkauf von Handarbeiten ein, oder unterstützte verarmte Gemeinden durch die Ansiedlung von Heimindustrie. Außerdem förderte er die Einführung von Industrieschulen und war auch für die Arbeitshäuser zuständig.[25]
In einer 1820 von der Zentralleitung erstellten Statistik über die Anzahl der Armen in ganz Württemberg wurde festgestellt, daß ca. 65 000 der knapp 1,5 Millionen Einwohner verarmt waren, also etwa jeder zehnte bis zwölfte.[26] Diese Massenarmut führte die Zentralleitung in ihren Aufrufen immer wieder an, um Bürger und Bürgerinnen zur Mitarbeit anzuregen. Gemeinsam sollten Staat und Bürgertum gegen die Verarmung immer weiterer Bevölkerungskreise ankämpfen.
Ziel der ökonomisch-praktischen Hilfsmaßnahmen war die >moralische Besserung< der Armen und die Anhebung ihrer Sittlichkeit.[27] Diese ethischen Motive formulierte die Zentralleitung auch in ihren internen Anweisungen:
- »Den Oberamts-Leitungen liegt es vorzüglich ob, auf die Sittlichkeit der Armen zu ihrem Vortheil einzuwirken. Es sind daher nicht nur die den Armen zu reichenden Unterstützungen, indem sie mit dem höheren, oder mindern Grade ihres sittlichen Betragens in ein richtiges Verhältniß gesetzt und die Empfänger hierüber belehrt werden, zu diesem Zweck zu benutzen; sondern es ist auch, so weit es nur immer möglich ist, der Lebens-Unterhalt der Armen von ihrer Beschäftigung abhängig zu machen, es ist der Geist der Arbeitsamkeit in ihnen anzufachen, zu beleben und zu erhalten, und dadurch der Keim der Laster zu ersticken. Zu eben diesem Zweck werden die Beamten von ihren höheren Behörden angewiesen werden, dem Bettel zu steuren.«[28]
Da das Bürgertum Müßiggang als verwerflich empfand, und Bettel als dessen extremste Form galt, suchte es diesen zu bekämpfen. Um dem Anfang allen Lasters zu wehren, sollte der »Geist der Arbeitsamkeit« bei den Armen angeregt und gefördert werden. In diesen Gedanken kamen pietistische Ideen zum tragen: Für den Pietismus war körperliche Arbeit Ausdruck eines gottgefälligen Lebens. Arbeit war so ein Mittel, um sündhafte Neigungen im Zaume zu halten.[29] Armut erschien als selbstverschuldet, als Folge mangelnden Fleißes. Nicht die gesellschaftlichen Verhältnisse, sondern die Sündhaftigkeit des Einzelnen wie auch der gesamten Gesellschaft wurden als Ursache der Verarmung gesehen.[30] Wer Armut bekämpfen wollte, mußte die Menschen verändern, sie zu einem >besseren< Leben führen. »Weltverwandlung durch Menschenverwandlung«,[31] lautete der Leitsatz der pietistischen Missionsbestrebungen. Sittliche Wirksamkeit sollte die Idee des »lebendigen Glaubens«[32] durch praktische Liebestätigkeit erreichen. Dies führte zu einer betont sozialfürsorgerischen Haltung der Pietisten, die zugleich mit Disziplinierungsbestrebungen gepaart war. Die Pietisten bildeten kleine Kreise, Konventikel genannt, in denen sich Laien zur Bibelauslegung trafen. Zu den Teilnehmern gehörten zahlreiche Frauen und Männer, die später auch Mitglieder wohltätiger Vereine waren - selbst Königin Katharina soll Beziehungen zu pietistischen Kreisen gepflegt haben.[33] Die über Konventikel entstandenen Kommunikationsnetze stellten eine wichtige Grundlage der wohltätigen Vereine dar.
Frauen verwirklichten die vom Pietismus geforderte praktische Liebestätigkeit durch ihre >Mütterlichkeit<. Wohltätigsein hieß für sie eine Art »soziale Mutterschaft«[34] zu übernehmen. Wie sich bereits am Gründungsaufruf des »Allgemeinen WohlthätigkeitsVereins« ablesen läßt, wurden Staat und Familie Anfang des 19. Jahrhunderts analog gedacht:
- »In einem von der Natur begünstigten Staate, wo die Vaterlandsliebe die staats-bür-gerlichen Verhältnisse zu einem Familien-Verbände erhebt, bedarf es nur einer zweckmäßigen Anregung, um der Ausübung dieser Familien-Pflicht wieder jene allgemeine Wirksamkeit zu geben, wodurch sich unsere Voreltern so vortheilhaft ausgezeichnet haben.«[35]
Dem Ideal der bürgerlichen Familie konnte sich im spätabsolutistischen Staat auch das Herrscherhaus nicht entziehen. Genauso wie eine Mutter für das Wohlergehen ihrer Familie zu sorgen hatte, gehörte es im frühen 19. Jahrhundert zu den Pflichten der Königinnen und Prinzessinnen, mittels ihres wohltätigen Engagements für das Allgemeinwohl zu sorgen.[36] Königin Katharina war in den Augen ihrer Zeitgenossen »ganz Gattinn, ganz Mutter, ganz Landes-Mutter« und wurde verehrt, weil sie für »Andere und für alles Gute und Schöne« lebte.[37]
Katharinas Wohltätigkeit hatte Tradition. Bereits ihre Mutter, eine württembergische Prinzessin und spätere Kaiserin von Rußland, hatte mehrere Institute zur Waisenfürsorge und den Orden der »barmherzigen Witwen« in St. Petersburg gegründet.[38] Ihre Großmutter Dorothea, eine Nichte Friedrichs des -Großen, wird als »wahre Mutter der Armen«[39] geschildert. Da allerdings wohltätige Arbeit im 18. Jahrhundert noch nicht Teil der Repräsentationsaufgaben war, trug diese tiefreligiös geprägte Frau noch nicht den Titel einer >Landesmutter<. Soziale Mutterschaft war ein Phänomen des 19. Jahrhunderts und eng verbunden mit der Tradition der patriotischen Frauenvereine.
Auch hier lassen sich Kontinuitätslinien feststellen. Katharinas Schwester, die Großherzogin Maria Pawlowna von Sachsen-Weimar, hatte während der Befreiungskriege den weimarischen Frauenverein geleitet und 1817 das »patriotische Institut der Frauenvereine« gegründet, ein Zentralverein, der sich vor allem der Krankenpflege und der Ausbildung von Pflegerinnen widmete und mit Einrichtungen, Geld und Naturalgaben half.[40] Vorbild dieses Vereins wie auch der ursprünglichen Idee des württembergischen Wohltätigkeitsvereins waren die preußischen Frauenvereine, die sich während der Befreiungskriege 1813/14 gebildet hatten, und in denen sich wohltätiges Engagement von Frauen mit patriotischen Motiven verknüpfte.[41] Während die Männer im Krieg gegen die französische Besatzung kämpften, taten die Frauen dies mit ihren Mitteln an der Heimatfront. Beide Geschlechter erfüllten auf ihre spezifische Weise ihre nationale und staatsbürgerliche Pflicht. Der allgemeinen Wehrpflicht der Männer entsprach der Dienst der Frauen auf freiwilliger Basis. Dieses Verhaltensmodell der »sozialen Mutterschaft« wurde im Vormärz dann weitgehend vom Bürgertum aufgenommen. Königin Pauline, die nach Katharinas Tod Wilhelm I. heiratete, war ebenso wie diese »wohltätig«. Obwohl sie Armenschulen und Krankenhäusern ihren Namen gab, erreichte sie nicht mehr den Nimbus ihrer Vorgängerin.
Die Erziehung »verwahrloster« Kinder
Am deutlichsten wird die Übernahme der sozialen Mutterschaft an den in den 30er und 40er Jahren entstandenen »Vereinen zur Versorgung verwahrloster Kinder«. Da Kindererziehung zur selbstverständlichen< Pflicht jeder Frau gehörte, gründeten die Stuttgarterinnen 1834 einen Frauenverein, dessen Zweck dahin ging, »... verwahrloste Kinder durch eine geordnete Erziehung in einer öffentlichen Erziehungsanstalt dem Verderben zu entreißen.«[42] Als »verwahrlost« wurden all diejenigen Kinder bezeichnet, die nach bürgerlicher Meinung in sozialen Verhältnissen aufwuchsen, die sich negativ auf ihre persönliche Entwicklung auswirkten, da »deren Eltern theils durch Mittellosigkeit und das Abmühen um den nothdürftigen Lebensunterhalt, theils auch durch geistige Beschränktheit oder Mangel an eigener sittlicher Bildung an der zweckmäßigen Erziehung gehindert werden.«[43] Diesen Einflüssen sollten die Kinder entzogen werden.
Seit 1819 bestanden in Württemberg »Rettungshäuser« für die Erziehung »verwahrloster« Kinder, die auf den pädagogischen Konzepten von Pestalozzi und Fellenberg aufbauten.[44] Johann Heinrich Pestalozzi hatte um die Wende zum 19. Jahrhundert in der Schweiz verschiedene Elementarschulen gegründet, in denen er geistige Bildung mit praktischer Arbeit, vor allem in der Landwirtschaft und im häuslichen Bereich verknüpfte. Kinder früh an ein arbeitsames Leben zu gewöhnen, erschien Pestalozzi als Mittel zur Bildung, zur allgemeinen wie auch zur Berufsbildung, und als eine Möglichkeit, die Armut zu überwinden.[45]
Als Mutter nahm die Frau in seinem Erziehungskonzept eine wichtige Position ein. Sie sollte »Hüterin« und »Stifterin« der Ordnung im Kleinen sein und damit auf das Große, die Gesellschaft, wirken. Liebe und der Sinn für Ordnung sollten in der Kindererziehung wirksam werden und waren somit auch ein Ziel der Mädchenerziehung, da sie als spezifisch weibliche Fähigkeiten angesehen wurden.[46] Diese Vorstellungen griffen die pietistischen Erziehungsinstitutionen auf. Der leitende Grundsatz in den württembergischen Rettungsanstalten lautete: bete und arbeite.[47]
Gemeinsam hatten die Kinder in den Instituten Verhaltensmuster und Werte zu lernen, die ihnen ein bürgerliches Leben ermöglichen und somit den Staat vor zukünftigen Bettlergenerationen bewahren sollten. Die leibliche Familie, der die Kinder durch ihre Unterbringung im Rettungshaus entrissen wurden, sollte durch die aus den Kindern gebildete »pädagogische Familie« ersetzt werden. Neben der Unterbringung in Rettungshäusern war es teilweise auch üblich, die »verwahrlosten« Kinder gegen Kostgeld in »gute« Familien zu geben (EA 12.8.43).
Mit dieser Form der Kinderfürsorge waren aber durchaus auch politische Intentionen verbunden; dies kommt in einer 1848 erschienenen Schrift des Pfarrers Ch.U. Hahn zum Ausdruck. Er plädierte für Kinderrettungsanstalten, damit nicht ein »Geschlecht« heranwächst, »welches der bürgerlichen Gesellschaft über kurz oder lang den Todesstoß bringt.«[48] Die Gründung von Erziehungsanstalten begann in Württemberg in großem Umfange 1826 und endete Anfang der 50er Jahre. In dieser Zeit entstanden etwa 25 evangelische, meist von Privatvereinen getragene Rettungsanstalten und zahlreiche Anstalten für Behinderte. Zum Teil unterstellten sich die Privatvereine der Zentralleitung des »Allgemeinen Wohlthätigkeitsvereins«, von der sie dann zwar finanzielle Zuwendungen bekamen, ihr gleichzeitig aber auch rechenschaftspflichtig waren. Die Zentralleitung regte in den 30er Jahren auch selbst die Errichtung von Rettungshäusern für kleinere Kinder an.[49] Nach der Krise 1847 kam es in der Revolutionszeit zu einer zweiten Gründungswelle von >Kleinkinderpflegen< und ähnlichen Einrichtungen.
Am Stuttgarter »Frauenverein zur Versorgung verwahrloster Kinder« lassen sich Struktur und Arbeitsweise eines solchen Vereins nachvollziehen. Er wurde auf Initiative der »Bergräthin« Wagner als Frauensparverein gegründet. 1834 rief sie die Stuttgarterinnen auf, Geld zu spenden, um arme Kinder in der pietistischen Rettungsanstalt Korntal unterzubringen. Zusammen mit einer Kostenaufstellung gab sie den Frauen zugleich Ratschläge, wie sie das Geld zusammenbringen könnten:
- »In Korntal kostet die Aufnahme eines Kindes 40fl und dann eben soviel Kostgeld, wenn nun 10 Personen mit gleich gutem Willen sich vereinigen, wöchentlich 6 Kreuzer an etwas Unnötigem oder Überflüssigem zu sparen, sei es an einer Visitt oder an einem Gastessen - kurz, es gibt für eine nachdenkende Hausfrau immer Fälle, wo wöchentlich etwas erspart werden kann, ohne geizen zu müssen oder einem Hausgenossen das ihm Nötige zu entziehen!«[50]
Um bei einer monatlichen Einlage von 24kr ein einziges Kind zu finanzieren, waren also 34 Frauen nötig. Zwischen 1844 und 1861 wurde deshalb der Monatsbeitrag auf 48kr erhöht.[51]
Mitbegründerinnen des Vereins waren eine Regierungsrätin und die »Oberstin« von Haller, die später auch einen Verein zur Unterstützung von »Honoratiorentöchtern« organisierte (BfA 8.12.49). 1843 wurde Louise von Luck, die Tochter des Staatsministers von Wächter (auch er gehörte dem Verein zur Unterstützung der Honoratiorentöchter an), Vereinsvorsteherin und sie blieb dies 25 Jahre lang.[52] Die lange personale Kontinuität ist erstaunlich, wenn man bedenkt, daß statutengemäß alle drei Jahre Vorstandswahlen stattfanden. Bei den Stuttgarterinnen fand der Verein rasch Anklang: 1835 hatte er schon 232, 1844 dann 446 Mitglieder, darunter auch 16 Männer. In den Jahren zwischen 1849 und 1859 betrug die durchschnittliche Mitgliederzahl etwa 490.[53]
Bei der Auswahl der unterstützungsbedürftigen Kinder legte der Verein strenge sittlich-moralische Maßstäbe an. Kinder ohne guten Leumund oder dubioser Herkunft, z.B. uneheliche, wurden nicht zur Pflege aufgenommen. Für die Aufnahme der Kinder war die Lebensführung der Eltern ausschlaggebend:
- »... Es wird deshalb bey der Wahl dieser Kinder nicht allein auf die Dürftigkeit der Kinder selbst, und seiner Eltern, oder sonstiger natürlicher Personen, sondern vorzüglich auch auf die Unfähigkeit der letzteren, dem Kind eine zweckmäßige Erziehung zu geben, Rücksicht genommen. Grundsatz ist, daß unter gleichen Umständen ehelichen Kindern vor unehelichen, und Kindern von weiblichem Geschlecht der Vorzug gegeben wird.«[54]
Privatleute und Gemeinden konnten sich direkt an den Verein wenden und um die Aufnahme von Kindern nachsuchen, die besonders gerne aufgenommen wurden, wenn sich die Antragssteiler finanziell beteiligten (BfA 8.12.49). Die Kinder kamen aus allen Gegenden des Landes und gehörten verschiedenen Religionsgemeinschaften an.[55] Der Verein bezahlte ihnen das Eintritts- und Austrittsgeld für die Rettungsanstalt in Höhe von jeweils 20—25fl, außerdem das Kostgeld, das zwischen 36 und 44fl im Jahr betrug. Mädchen wurden nach der Konfirmation in Dienst gegeben, konnten sich also schon früh selbst ernähren, während die Jungen auf Kosten des Vereins in die Lehre geschickt wurden, was noch einmal einen Aufwand von 36—60fl ausmachte.[56] Da die Unterstützungszeit der Mädchen demnach kürzer war als die der Jungen, wurden sie bei der Aufnahme in die Rettungsanstalt vorgezogen (vgl. oben). Der Verein versorgte die Kinder also bis zu dem Zeitpunkt, an dem sie sich finanziell auf eigene Füße stellen konnten, und die Gefahr des Abrutschens in die Armut und damit in die Bettelei einigermaßen ausgeschlossen werden konnte. Die Zahl der vom Verein betreuten Kinder betrug 63 (1844) und stieg dann auf 92 (1847) und 152 Kinder 1858 an.[57]
Für ein Kind war jeweils eine Abteilung mit 14 (später 12) Mitgliedern zuständig, die die Aufenthaltskosten in der Rettungsanstalt finanzierte. Die Kosten der Konfirmation, der Kleidung und die weitere Unterstützung der Kinder nach dem Verlassen der Anstalt übernahm die Hauptkasse des Vereins. Die einzelnen Abteilungen konnten sich ihr Kind selbst auswählen, hatten sich »aber hiezu vom Ausschuß Vorschläge machen zu lassen.«[58]
Die Statuten des Vereins waren relativ demokratisch. Die Abteilungsleiterinnen bildeten einen Ausschuß, der alle drei Jahre neu gewählt wurde. Den Abteilungsvorsteherinnen unterstanden die Abteilungskassen. Dem Ganzen übergeordnet war die Hauptvorsteherin, welche die Hauptkasse verwaltete. Sie entschied bei der Aufnahme der Kinder mit und hatte Kontrollbefugnisse über die Abteilungen. Die Einnahmen der Hauptkasse bestanden aus den Überschüssen der Abteilungskassen, den Beiträgen der Mitglieder, die noch keiner Abteilung angehörten, Geldgeschenken und anderen Zuwendungen, vor allem von der königlichen Familie. 1849 wurde die Hauptvorsteherin von zwei Männern bei der Kassenführung unterstützt, die für die Verwaltung des Kapitalvermögens sowie Revision und Abrechnung zuständig waren (BfA 8.12.49). Einmal im Vierteljahr wurde abgerechnet, einmal jährlich fand eine Vollversammlung statt. In ihrer organisatorischen Struktur mit Vorstand, Mitgliederversammlung, Kassenführung etc. unterschieden sich die Frauenvereine damit nicht von >männlichen< Vereinen.
Bestanden 1837 noch 20 Abteilungen, so waren es 1844 schon 35 und 1847 dann 38.[59] Daneben bestanden zwei außerordentliche Sektionen; die Abteilung »A« umfaßte die Mitglieder der königlichen Familie, zur Abteilung »B« gehörten die ebenfalls beitragspflichtigen Männer (BfA 8.12.49). Obwohl also Männer Mitglieder waren, wenn auch in einer gesonderten Abteilung, nannte sich dieser Verein interessanterweise >Frauenverein<. Das Phänomen der männlichen Mitgliedschaft findet sich in fast allen uns bekannten württembergischen Frauenvereinen. Bürgerliche Männer oder Geistliche saßen entweder mit im Vorstand oder vertraten den Verein als >Galionsfiguren< nach außen. Zur Tradition der Wohltätigkeit gehörte auch in Württemberg, daß die weiblichen Mitglieder des Königshauses das Protektorat in den Wohltätigkeitsvereinen inne hatten. So stand dem Verein für »verwahrloste« Kinder seit 1847 Kronprinzessin Olga vor (SK 2.2.47). Obwohl die Vereinsmitglieder, laut Bericht aus dem Jahr 1844, »aus allen Klassen der bürgerlichen Gesellschaft« kommen sollten, rekrutierten sich neue weibliche Mitglieder hauptsächlich aus dem Freundes- und Verwandtenkreis der bereits im Verein aktiven Frauen, also aus dem Stuttgarter Intelligenz- und Finanzbürgertum.
Die jährlichen Einnahmen des Vereins beliefen sich um 1848 etwa auf 7000fl, das Vermögen betrug ca. 20 000fl.[60] Auf Anregung der Kreisregierung[61] wurden nach dem Vorbild des Stuttgarter Frauenvereins auch in anderen Oberamtsstädten Frauenvereine dieser Art gebildet. Diese waren wesentlich kleiner; der Eßlinger Verein bestand 1846 aus 139 Mitgliedern (EA 29.8.46) und hatte 1844 neun Abteilungen (EA 25.9.44). Der Verein in Kirchheim u.T. wies 1841 70 Mitglieder und sieben Abteilungen auf.[62]
Frauenvereine als »bergende Hülle«
Mit den wohltätigen Frauenvereinen schufen sich die Frauen neue Formen der Öffentlichkeit, wie sie bis dahin den Männern vorbehalten gewesen waren. Ihre pflegende und fürsorgende Rolle als Hausfrau, Gattin und Mutter, die sie bisher im Binnenraum der Familie ausgeübt hatten,[63] bekam nun eine öffentliche Funktion. In der sozialen Mutterschaft wurde deutlich, daß Frauen andere, aber für die bürgerliche Gesellschaft ebenso wichtige Fähigkeiten besaßen wie Männer. Sie erschloß den Frauen Handlungsräume, die außerhalb >des Hauses< lagen. Das »Kränzchen«, eine Zeitschrift für Frauen, schrieb 1850:
- »Es ist also ein gewisses Heraustreten des Weibes aus dem Hause allerdings geboten, und bloß durch das Weib kann gegründet werden, was als Unterlage des politischen Lebens vor Allem noth thut: eine wirklich bürgerliche Gesellschaft. Wir hatten bisher nur Familie und Staat.« (KR 48, 1850)
Der bürgerliche Staat brauchte die Frauen als »Nationalgarde des Armenwesens«, sie sollten auf ihre Weise zum Gemeinwohl beitragen:
- »Schafft aus dem weiblichen Theile der Bevölkerung eine Nationalgarde des Armenwesens, die wohlthätigen Folgen für Wohlstand, und die sittliche Kräftigung der ärmeren Volksklassen werden nicht lange auf sich warten lassen.« (KR 47, 1850)
Daß die in Wohltätigkeitsvereinen organisierten Frauen mehr und effektivere Leistungen erbringen konnten als einzelne Frauen, die »im Stillen« wohltätig waren, betonte Amalie Sieveking schon in den 30er Jahren. Sie war sich auch des ambivalenten Verhältnisses der Frauen zu ihrem Verein bewußt:
- »Die Menge der Mitarbeitenden dient dem Wirken des einzelnen Mitgliedes gleichsam zu einer bergenden Hülle, und also auch zu einer Hüterin der Demuth.«[64]
Frauen kam es also nicht darauf an, ihre Wirksamkeit nach außen hin zu demonstrieren — im Gegensatz zu den Männern, die den Verein als Instrument benutzten, um auf der Ebene der Politik Öffentlichkeit zu schaffen und dem Staat politische Zugeständnisse abzuringen. Da der Verein für die Frauen eine »bergende Hülle«, gleichsam ein geschütztes Terrain war, konnten sie im Rahmen ihrer Fürsorgearbeit an die Öffentlichkeit treten, ohne ihren >privaten< Bereich eigentlich verlassen zu müssen. Damit bekamen Vereine für Frauen eine andere Funktion. Sie nahmen ihren Verein eher von >innen< wahr, während er als Verein aber zum Bereich der Öffentlichkeit zählte und von Männern auch als ein Teil davon angesehen wurde.
Der » Verein zur Unterstützung älterer unverheirateter Frauenspersonen
aus dem Honoratiorenstande« in Stuttgart
In den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts bildeten sich als Reaktion auf die zunehmende Armut im Lande neben dem institutionalisierten »Allgemeinen Wohlthä-tigkeitsverein« zahlreiche andere Vereine, die jeweils auf ein bestimmtes Gebiet der Armenpflege spezialisiert waren.[65] Neben konfessionellen Armenvereinen entstanden zwischen 1840 und 1845 hauptsächlich standesbetonte Vereine, deren Zielgruppe in erster Linie der verarmende Mittelstand war. Ab 1846 bildeten sich dann Vereine, die sich verstärkt um die verarmte Unterschicht bemühten. Die Privatvereine drangen damit auf Gebiete vor, die vorher staatlich dominiert gewesen waren. Wirtschaftliche und soziale Interessen des Bürgertums flössen so zunehmend in die Wohltätigkeit ein und beeinflußten auch die Organisationen des staatlichen Armenwesens.[66]
Ein zentrales Problem der 40er Jahre war die soziale Deklassierung mittelständischer und kleinbürgerlicher Gruppen, die sogenannte »verschämte« Armut, die versuchte, die Statuseinbuße und wirtschaftliche Not zu verbergen. Sie betraf vor allem ledige Töchter aus dem »Honoratiorenstand«, die weder auf finanzielle Unterstützung durch ihre Familien noch auf Einkünfte aus eigener Erwerbstätigkeit zurückgreifen konnten.
- »... je drückender meistens die Lage der verschämten Armuth ist, die auf der einen Seite den Blicken der Welt sich entzieht und ebendamit die Hülfsmittel persönlicher Rührung und natürlichen Mitleidens entbehrt, auf der anderen fast am wenigsten Gelegenheit hat, durch eigene Arbeit sich den Unterhalt zu sichern, um so größer ist das Verdienst eines Vereins, der nach dieser Seite der Noth... mit so treuer Beharrlichkeit gewirkt hat.« (BfA 26.1.50)
Zielgruppe des 1840 gegründeten »Vereins zur Unterstützung älterer unverheiratheter Frauenspersonen aus dem Honoratiorenstande« in Stuttgart waren vor allem »Töchter von geistlichen und weltlichen Beamten, Kaufleuten, Künstlern etc.«, die die Mittel nicht besaßen »in ihrem Alter sich allein fortzubringen...«. Vom Verein wurden sie deshalb hauptsächlich mit Zuschüssen zu Heizkosten und Miete, im Krankheitsfall auch durch Erstattung der Arzneikosten unterstützt (BfA 26.1.50). Da die Frauen »... häufig kein Gemeinde-Bürgerrecht« hatten »und die Verlassenheit in ihrem Alter doppelt schwer« empfanden, förderte der Verein das Zusammenleben mehrerer Frauen in Gemeinschaftswohnungen, »... damit sie sich hauptsächlich in kranken Tagen gegenseitig nach Christenpflicht unterstützen können.« (BfA 26.1.50) Verhielten sie sich dort nicht »friedlich und anständig« oder störten nachhaltig den Hausfrieden, konnte ihnen der Verein die finanzielle Hilfe entziehen.
Fürsorge war auch hier wieder mit gegenseitiger Kontrolle und sozialer Disziplinierung gekoppelt. Die Frauen konnten über die ihnen gewährten Mittel in der Regel nicht selbst verfügen, sondern diese wurden »... einer bekannten Person des Wohnorts oder dem Pfarramte mit dem Ersuchen zugestellt, die Bedürfnisse, zu deren Zweck die Unterstützung gegeben wird, zu bestreiten.« Um das Geld überhaupt zu bekommen, mußten die Frauen ihre finanziellen und familiären Verhältnisse offen legen und »... eine Nach Weisung über Verhalten, über das, was sie an Vermögen besitzen und über die Beiträge, welche sie zu ihrer Unterhaltung aus öffentlichen Kassen und von Verwandten und andern Privatpersonen beziehen, beibringen.« (BfA 26.1.50) Die Unterstützung erlosch, sobald die betreffende Frau durch eine Erbschaft oder auf andere Weise zu etwas Vermögen kam. 1853 wurde in den geänderten Statuten zusätzlich eingeführt, daß der Anspruch ebenfalls endete, falls sich herausstellte, »... daß eine Unterstützte das bei ihrer Anmeldung ausgestellte günstige Zeugniß in Beziehung auf sittliches Verhalten später nicht mehr verdiente...« (BfA 27.8.53).
Initiatorin des Vereins war die Witwe des Oberst v. Haller, die auch im Stuttgarter »Frauenverein für verwahrloste Kinder« mitarbeitete.[67] Die Satzung sah eine Mindestmitgliederzahl vor von »wenigstens 6 Männern und 6 Frauen mit gleicher Stimmenberechtigung.« (BfA 26.1.50) Um 1848 kamen fast alle Mitglieder aus dem Stuttgarter Intelligenz- und Finanzbürgertum.[68] Die Vorstandspositionen im Verein wurden von Männern besetzt, die beruflich mit Verwaltungsaufgaben vertraut waren. So fungierte Kriegsrat v. Teichmann als Schriftführer und Kassier,[69] eine Aufgabe, die er auch im Stuttgarter »Frauenverein für verwahrloste Kinder« wahrnahm.
Die Unterstützungen wurden durch jährliche Mitgliederbeiträge, durch Vermächtnisse und Legate sowie Geschenke, vor allem der königlichen Familie, finanziert. 1844 betrugen die Mitgliederbeiträge 2517fl, mit der Krise 1847 gingen sie auf 1777Ü zurück und sanken bis 1850 auf 1180fl (BfA 31.5.51). Das Vermögen des Vereins belief sich 1849 auf rund 14 OOOfl (BfA 26.1.50). Von diesem Geld wurden 1848 115 »Personen«[70] unterstützt, 1849 112 (BfA 26.1.50), 1850 waren es 117 Frauen — darunter Töchter von Geistlichen (39), von »Civilbeamten« (37), von Lehrern und Kaufleuten (je 8), von »Civilärzten« (7), von Gemeindebeamten (6), von Künstlern (5), von Offizieren (4), von Militärbeamten (2) und eine Advokatentochter. Die meisten, nämlich 39 der Frauen waren zwischen 60 und 69 Jahren alt. Unter 40 und über 80 Jahren waren dagegen jeweils nur vier (BfA 31.5.51).
Der Verein zahlte allerdings nicht nur Unterstützungen, sondern fungierte auch als Versicherungsverein. Einige vermögendere Frauen hatten ihren Besitz dem Verein als Kapital überschrieben und bezogen daraus »... so lange sie leben 8 Proc. Zinse..., wogegen das Kapital nach ihrem Tode dem Verein heimfällt.« (BfA 31.5.51) Einzelne »Honoratiorentöchter« konnten so ihre Altersversorgung sichern; für sie besaß der Verein den Charakter einer Notgemeinschaft.
Armut und soziale Frage - Die Krise 1847
Bereits in den 40er Jahren hatte eine schleichende gewerbliche Krise — ausgelöst durch den ersten Industrialisierungsschub in den 30er Jahren - zu zahlreichen Konkursen im Kleinhandwerk geführt. Diese Verelendung des Handwerks traf 1846/47 schließlich zusammen mit den Folgen einer agrarischen Krise und löste eine der letzten Hungersnöte in Deutschland aus. Kartoffelfäulnis und Mißernten führten zu extremen Preisanstiegen bei Getreide und Kartoffeln und zu einer allgemeinen Lebensmittelverknappung. Verstärkt wurde diese Notlage durch strukturelle Probleme der Landwirtschaft, starkes Bevölkerungswachstum, extreme Güterzerstückelung im Realteilungsgebiet und die Verarmung weiter Kreise der Landbevölkerung.[71]
Da sich die Ernährungslage im Jahr 1847 extrem verschlechterte, versuchten es zahlreiche Gemeinden wieder mit einem >alten< bewährten Mittel, mit Suppenküchen, die schon 1817 erfolgreich zur Bekämpfung des Hungers beigetragen hatten. Schon im Laufe des Jahres 1846, vor allem aber in den ersten Monaten des Jahres 1847, wurden in fast allen Oberamtsstädten Suppenanstalten eingerichtet, in denen die Frauen der Wohltätigkeitsvereine die »Leitung und Aufsicht« übernahmen, zum Teil aber auch selbst kochten und die Speisen verteilten.[72]
Um die Armenversorgung durch private Mittel zu ergänzen, veranstaltete die Zentralleitung des »Allgemeinen Wohlthätigkeitsvereins« im Februar 1847 eine Lotterie, deren Erlös von 25 250fl 28kr unter den 229 Lokal-und Bezirksvereinen verteilt wurde.[73] Auch Lokalvereine verschafften sich durch Lotterien Geld. Der Reutlinger Liederkranz veranstaltete z.B. eine Verlosung »zum Besten der bedrängten Gewerbsleute und der Armen«, zu deren Gelingen auch Frauen und Mädchen durch »Gaben« beitragen sollten.[74]
Die Krise von 1847 führte schließlich zu einer Reorganisation des »Allgemeinen Wohlthätigkeitsvereins«. Da die lokalen Armenkassen der Gemeinden die Situation nicht mehr alleine bewältigen konnten, und die Arbeit der lokalen Wohltätigkeitsvereine seit den 20er Jahren stagnierte, rief die Zentralleitung am 10.3.1847 zur Neugründung von Oberamtsleitungen, nun Bezirksleitungen genannt, auf. Mit dem Erfolg, daß 57 neue Vereine mit ca. 4000 freiwilligen Mitgliedern gegründet wurden.[75] Dem Bürgertum bot die freiwillige Mitarbeit in Wohltätigkeitsvereinen eine Gelegenheit, seine politische Verantwortlichkeit und >Reife< zu demonstrieren: »Handeln wir nicht, so geben wir uns selbst auf, stellen uns selbst ein Zeugniß unserer Armseligkeit, unserer Schwäche, unserer politischen Unreife aus.«[76]
War die Hungersnot von 1816/17 als quasi >naturbedingt< oder als Folge des Krieges wahrgenommen worden, sozusagen als Schicksalsschlag, der ergeben ertragen werden mußte, besaß die Krise der 40er Jahre einen anderen Charakter; die Armut im Vormärz bekam nun »einen politischen, systemgefährdenden Aspekt«.[77] Die pauperisierten Massen ertrugen die Lage nicht mehr geduldig wie zuvor, sondern begannen sich zu wehren: Brotkrawalle, Holzdiebstähle und andere >Delikte< signalisierten eine offensive Auflehnung gegen die als systembedingt empfundene Armut. Arme erschienen in den Augen der Bürger nun als potentielle Revolutionäre; Verarmung wurde gleichgesetzt mit Niederträchtigkeit und Gesetzlosigkeit.[78] Richteten sich die Angriffe in den früheren Jahren vor allem gegen Bettler, waren nun alle arbeitsfähigen Armen, die von der Gemeindekasse Unterstützung bezogen, die Zielscheibe bürgerlicher Kritik.[79] Als Gefahrenquelle wurden nicht die »verschämten,... durch unverschuldete Unglücksfälle und den schweren Druck der Zeiten herabgekommenen Armen...«, sondern die als arbeitsscheu, oft sogar als kriminell eingestuften Armen angesehen.[80]
Um die »... arbeitsscheuen, genußsüchtigen und liederlichen Armen zur Arbeitsliebe, zur Genügsamkeit und Mäßigkeit, zu einem ehrbaren rechtschaffenen Leben oder wenigstens zu äußerer Zucht und Ordnung« zu erziehen, sahen »Armenfreunde« wie Pfarrer Hahn strenge Zwangsmaßnahmen wie Armenhäuser gerechtfertigt und plädierten dafür, in die bisherige Armenpflege stärker Erziehungsmaßnahmen einzuführen.[81] Das zunehmende Interesse des Bürgertums an der Armenfürsorge in den 40er Jahren und vor allem in der Krise 1847 basierte somit weniger auf Mitgefühl oder dem Verantwortungsbewußtsein gegenüber den verarmten Schichten, sondern eher auf der »Angst vor politischen Unruhen« und »Umwälzung der bestehenden Herrschafts- und Besitzverhältnisse«.[82]
Der »Paulinenverein zur Bekleidung armer Landleute«
Zu den Vereinen, die 1847 unmittelbar auf die Krise und die damit verbundene Verelendung der Landbevölkerung reagierten, gehörte auch der »Verein für Bekleidung von Landarmen«, den 1846 eine Arztgattin zusammen mit einem Stuttgarter Pfarrer gegründet hatte. 1851 übernahm Königin Pauline das Protektorat des Vereins, woraufhin er in »Paulinenverein zur Bekleidung armer Landleute« umgetauft wurde.[83] Der Verein unterstützte Landarme » ... durch Verabreichung von Kleidungsstücken, Betten und Leibweißzeug«,[84] die die etwa 70 weiblichen Mitglieder[85] meist selbst anfertigten. Dazu trafen sie sich jeden Donnerstag zwischen 14 und 17 Uhr in einem eigenen Vereinslokal, 1848 in einem Raum der »Amtsober-amtei«.[86] Einige Frauen arbeiteten auch zu Hause und holten sich das Material gegen Empfangsschein im »Geschäftslokal« ab. Mitglied war, wer regelmäßig Kleidungsstücke spendete, unentgeltlich Kleider anfertigte oder einen Geldbeitrag bezahlte. Die Gelder wurden dazu benutzt Stoffe zu kaufen, vereinzelt wurden auch Arbeitslohn bezahlt oder einzelnen Mitgliedern besondere Auslagen erstattet.[87] Die Materialausgabe und Verteilung der Spenden war Aufgabe des Vereinsausschusses, dem 1848 fünf ledige Frauen, eine Arztgattin und ein »Präzeptor« als Schriftführer angehörten. Nach außen wurde der Verein sowohl von der Gräfin Pauline von Zeppelin wie auch dem Prälaten Gerok vertreten.[88]
1846/47 versorgte der »Verein für Bekleidung von Landarmen« 122 Orte mit Kleidung,[89] 1847/48 schon 140,[90] und 1849 wurden bereits an 152 Orte 250 Sendungen verschickt.[91] Im Rechnungsjahr 47/48 verbuchte der Verein etwa 1600fl Einnahmen, wovon ca. 1300fl für Armenunterstützung ausgegeben wurden. Die Gegenstände, die in diesem Jahr verteilt wurden, waren:
- »50 Männerhemden, 53 Frauenhemden, 80 Kinderhemden, 137 Paar Strümpfe, 12 Paar Socken, 12 Paar Stiefel, 28 Paar Schuhe, 45 Paar Beinkleider, 11 Überröcke, 26 Weiberröcke, 36 Kinderröcke, 7 Kinderkleider, 64 Kittel, 24 Bettjacken, 43 Westen, 29 Wämser, 2 Schlafröcke, 5 Unterröcke, 1 Frack, 31 Mützen, 20 Paar Handschuhe, 23 Hauben, 23 Kinderhäubchen, 90 Halstücher, größere und kleinere..., 23 Schürzen, 15 Windeln, 2 Bettdecken..., 7 größere und kleinere Kissen, 3 Tragkissen, 17 Leintücher, 11 Bettziechen, 28 Kissenziechen«.[92]
Dazu kamen etliche Ellen an Zitz, Zwillich, Futter, Leinwand und anderen Stoffen. Die Gegenstände wurden durch »Agenten« in den verschiedenen Oberämtern -verteilt. Allerdings nur an solche Arme, die mit amtlichem Zeugnis ihre Bedürftigkeit nachweisen konnten, oder deren Lage einzelnen Vereinsmitgliedern näher bekannt war.[93]
Indem Vereine wie der »zur Unterstützung älterer unverheiratheter Frauenspersonen aus dem Honoratiorenstande« und der zur »Bekleidung von Landarmen« nur Arme unterstützten, die ihren wirtschaftlichen und moralischen Anspruch auf Hilfe durch einen entsprechenden »sittlichen« Lebenswandel nachweisen konnten, waren sie zugleich ein Instrument sozialer Kontrolle. Damit wuchs Frauen in den Wohltätigkeitsvereinen eine soziale Macht zu, die ihnen im Bereich der bürgerlichen Öffentlichkeit sonst verwehrt war. Weibliche Wohltätigkeit war somit konstitutiver Teil bürgerlicher Herrschaft. Durch das Ausleseprinzip, das nur diejenigen Armen berücksichtigte, die es >verdienten<, in die Gunst der bürgerlichen Wohltätigkeit zu gelangen, trugen die Frauen zur sozialen Disziplinierung und Unterdrückung des vierten Standes bei: Die >Hilfe< für »verwahrloste« Kinder oder die Aufsicht über Arme durch entsprechende Vereine war im Endeffekt nichts Anderes als die Überwachung und Disziplinierung von Müttern der Unterschicht durch Frauen der Oberschicht. Wohltätigkeit war damit kein Akt weiblicher Solidarität, sondern trug zur »Aufrechterhaltung des weiblichen Unterdrük-kungszusammenhangs«[94] bei.
Frauen in den Wohltätigkeitsvereinen - Gleiche unter Gleichen?
Von den 139 Stuttgarter Frauen, die uns durch Zeitungsberichte, Spenden- und Mitgliederlisten von Vereinen namentlich bekannt sind, lassen sich 109 durch ihre Väter oder Ehemänner sozial identifizieren. 47 Frauen, also fast die Hälfte, kamen aus Beamtenfamilien, 28 waren Kaufmannsgattinnen oder -töchter, 19 entstammten Handwerkerfamilien, 9 waren Ärzte- oder Apothekersgattinnen bzw. -töchter, 6 Frauen kamen aus Pfarrhäusern.
Die Mehrzahl der Frauen stammte also aus dem gehobenen Beamtentum, dies gilt vor allem auch für die adligen Frauen. Eine zweite große Gruppe stellten die Frauen aus dem gutsituierten Stuttgarter Wirtschaftsbürgertum dar. War die Teilnahme der Adligen im Wohltätigkeitsverein noch eine Frage des Prestiges, kam im Engagement der bürgerlichen Frauen die liberale Gesinnung des Bürgertums zum Ausdruck und stand so auch für den politischen Anspruch dieser Klasse. Die wohltätigen Vereine waren im Prinzip,klassenübergreifend<, denn in ihnen kamen Frauen verschiedenster Lebenskreise zusammen, die sich im alltäglichen Leben sonst kaum begegneten, die im Verein aber-zumindest formal-als,Gleiche unter Gleichen< arbeiteten. Nur vereinzelt finden wir auch Unterschichtsfrauen in den Vereinen, denn diese waren in der Regel Empfängerinnen der Unterstützung.
In der Führung der Vereine dominierten deutlich adlige Damen und wohlsituierte Frauen aus der Mittelschicht. Dies zeigt auch eine Beschreibung der Mitgliederstruktur aus dem Jahr 1821:
- »... Frauen besonders, von edler Geburt, durch theure Pflichten im Hause viel beschäftigt; jetzt aber verdoppelnd ihre Kraft und Anstrengung, und als zu einer schönen Abwechslung ihrer Thätigkeit herniedersteigend in die Hütten der Armuth; emsig im Forschen, unermüdlich im Sammeln und Austheilen; sonst vielleicht unbekannt miteinander und auf verschiedenen Lebenswegen, jetzt zu dem Einen theuern Zwecke eng vereinigt; an sie angeschlossen eine Menge wohlgesinnter Frauen aus den mittleren Ständen: mit dem gleichen Eifer, oft mit größerem Opfer von Zeit und Kräften; ja selbst nicht wenige von Denen, welche mit Mühe ihres Lebens Nothdurft fanden, zu freundlichen, freyen Leistungen voll edlen Willens,.. .«.[95]
Von den 139 in Stuttgarter Vereinen engagierten Frauen gehörten 50 (= 36%) dem Witwenstand an, 43 (= 31%) der Frauen waren verheiratet, 20 (= 14%) ledig, 13 (= 9%) adliger Herkunft, die restlichen konnten sozial nicht eingeordnet werden. Allgemein läßt sich die Tendenz erkennen, daß sich Witwen und ledige Frauen vor allem auf Spenden beschränkten, während sich die adligen und verheirateten Frauen meist direkt in den Vereinen engagierten. Insgesamt gehörte Spenden zum Habitus der bürgerlichen und adligen Oberschicht, da diese durch die Zeitungen regelmäßig publizierte Form der Wohltätigkeit das Ansehen einer Familie steigerte. Der Kreis der Frauen und Familien, die in den Spendenlisten auftauchen, ist so immer wieder derselbe.
Wie eine >ideale Vereinsfrau< aussah, und welche Verhaltensanforderungen an Frauen in Wohltätigkeitsvereinen gestellt wurden, verdeutlichen Portraits bekannter Wohltäterinnen wie Amalie Sieveking oder Elisabeth Fry, die von den damaligen Zeitungen verbreitet wurden. 1847 wurde im »Reutlinger und Mezinger Courier«,[96] 1850 in den »Illustrirten Kreuzer-Blättern« (Nr. 2-8) und 1852 in den »Blättern für das Armenwesen«[97] das Lebensbild von Elisabeth Fry (1780-1845), einer englischen Quäkerin, gezeichnet. Diese hatte 1813 einen Frauenverein gegründet, der sich die Reform des englischen Gefängniswesens zum Ziel gesetzt hatte. Durch die Übersetzung ihrer Schriften ins Deutsche genoß Elisabeth Fry in den zwanziger Jahren auf dem Festland, vor allem in deutschsprachigen Gebieten, eine ungeheure Popularität. Auf ihren Reisen durch Europa wurde sie in zahlreichen Städten zur >Geburtshelferin< von Frauenvereinen, die es sich zur Aufgabe machten, weibliche Gefangene zu besuchen.
Wesentlich an allen Berichten über Elisabeth Fry-und dies ist programmatisch für die gesamte Wohltätigkeitsarbeit von Frauen - ist die Betonung, daß Elisabeth Fry niemals den Eindruck erweckte »als verläugne sie nur im geringsten ihr Geschlecht« (RMC 17.7.47). Trotz ihrer Vereinstätigkeit und ihres häufigen Auftretens in der Öffentlichkeit erwies sie sich als »treue Gattin«, »sorgsame Hausmutter« und »liebreiche Pflegerin ihrer Kinder« (BfA 15.5.52). Frauen blieben damit auf traditionelle Formen weiblichen Verhaltens fixiert. Da ihnen aber der bewußte Einsatz bestimmter weiblicher Fähigkeiten wie Mütterlichkeit und Fürsorglichkeit zugleich einen Weg in die politische Öffentlichkeit bahnte, kam der Arbeit in den Wohltätigkeitsvereinen zumindest im Vormärz noch eine gewisse emanzipative Funktion zu.
»Die Erlösung des weiblichen Geschlechts«.
Frauen in deutschkatholischen Gemeinden
Zu den religiös rationalistischen Bewegungen, welche mit ihren Vorstellungen von religiöser und politischer Freiheit zum Ausbruch der Revolution 1848 beitrugen, gehörte neben der protestantischen freireligiösen Bewegung auch der Deutschkatholizismus.[1] Ein wesentlicher Bestandteil der reformerischen Ideen des Deutschkatholizismus war seine Haltung gegenüber Frauen, ein Thema, das in mehreren Schriften ausführlich behandelt wurde. In seinem Artikel »Die deutschkatholische Frau« wies der Breslauer Heinrich Thiel schon 1846 Frauen eine besondere Stellung in deutschkatholischen Gemeinden zu.[2] Johannes Ronge, ehemaliger katholischer Priester und Hauptbegründer der deutschkatholischen Bewegung, versuchte schließlich 1849 in »Maria, oder die Stellung der Frauen der alten und neuen Zeit« ein neues Frauenbild zu entwerfen.[3] Seiner Ansicht nach war die Frau in besonderem Maße dazu befähigt, ja sogar dazu verpflichtet, sich um nationale Belange zu kümmern.
- »Auch die Frauen schlagen die Augen auf zum Altar der Nation und fordern mit Recht ihren Teil am Kampf der Weltgeschichte. Und weh< über Deutschland, wenn die Frauen zurückbleiben wollten, wo es für Volk und Vaterland und die heiligsten Menschenrechte zu wirken gilt!«[4]
Als eine der wenigen politischen Bewegungen der damaligen Zeit thematisierte der Deutschkatholizismus die Unterdrückung der Frauen, die Ronge in engem Zusammenhang mit den gesellschaftlichen Machtverhältnissen sah. Weibliche Emanzipation war seiner Ansicht nach nur möglich durch eine politische Emanzipation des Bürgertums.
- »Mit der Erlösung der Völker von der Selbstsucht, der Sündhaftigkeit des Privilegiums und der Despoten in Kirche und Staat ist zugleich die Erlösung des weiblichen Geschlechts aus den jetzigen unwürdigen und oft tödtlichen Verhältnissen verbunden.«[5]
Frauen fühlten sich durch diese Ideen vielfach angesprochen, denn sie eröffneten ihnen neue Aufgabenbereiche und damit eine neue gesellschaftliche Verantwortung. Nicht zufällig standen viele Frauen der frühen bürgerlichen Frauenbewegung mit dem Deutschkatholizismus in Verbindung, denn er ermutigte Frauen, sich politisch zu engagieren.[6]
- »Zagt ihr vielleicht, Töchter und Frauen, vor der Größe dieser Eurer Aufgabe und meint, Ihr hättet nicht die Kraft dazu? O! Ihr habt die Kraft, erprobt sie nur erst ein Mal, und Ihr werdet freudig erstaunen und Euch wundern, daß Ihr nicht eher erwacht seid.«[7]
Der Deutschkatholizismus war dort besonders stark, wo auch die demokratische Bewegung eine breite Basis hatte. Der >freie Mann und Bürger< brauchte an seiner Seite eine Frau, die ihn durch ihre »heiligende Kraft der Weiblichkeit« tatkräftig unterstützte und die Kinder im Geist des Liberalismus erzog. Ihre »zum Bewußtsein der Freiheit durchdrungene Mutterliebe« sollte die gemeinsamen Kinder vor der »Schande der Knechtschaft« bewahren.[8]
Deutschkatholizismus und demokratische Bewegung
Die religiösen, sozialen und politischen Ideen des Deutschkatholizismus deckten sich in vieler Hinsicht mit den zentralen Ideen der revolutionären demokratischen und nationalen Bewegung. Der Deutschkatholizismus war aus der Kritik am damaligen katholischen Wallfahrtswesen 1844 entstanden, als die Ausstellung des »Heiligen Rocks« zu Trier in Deutschland öffentliche Diskussionen um christliche Glaubensinhalte und kirchliche Hierachie ausgelöst hatte. Im Verlauf dieser Auseinandersetzungen hatte sich die deutschkatholische Dissidentenbewegung gebildet,[9] die jegliche Form von kirchlichen Dogmen und verbindliche theologische Auslegungen ablehnte und diesen das Prinzip eines theologischen Pluralismus entgegensetzte, in dem das Individuum selbst Maßstab religiöser Überzeugung war, und jedem Menschen eine persönliche Haltung in Glaubensfragen zugestanden wurde. An die Stelle der hierarchisch aufgebauten kirchlichen Institution trat bei den deutschkatholischen Gemeinden eine am bürgerlichen Vereinswesen orientierte, basisdemokratische Organisationsform.[10] Ein Leben in »sittlicher Freiheit« war nach dem deutschkatholischen Ideal nur zu verwirklichen, wenn damit die Befreiung sowohl von herrschender kirchlicher als auch politischer Unterdrückung verbunden war. Die Idee der sozialen Gleichheit aller Menschen und der »Praxis der Liebe«[11] bildeten die Voraussetzung für die Entstehung eines religiösen Sozialismus, der die Verwirklichung des Reiches Gottes auf Erden anstrebte. Da tätige Nächstenliebe als der eigentliche Gottesdienst begriffen wurde,[12] kam Frauen eine entscheidende Rolle im religiösen Leben zu. Die »Praxis der Liebe« wurde zum eigentlichen Aufgabenbereich der Frauen. Was deutschkatholische Vereine aber von anderen wohltätigen Frauenorganisationen unterschied, war die Einbindung von Wohltätigkeit in ein fortschrittliches politisches Konzept.[13] Dies gab dem Deutschkatholizismus revolutionäre Sprengkraft.
Da für die Deutschkatholiken ein notwendiger Zusammenhang zwischen ihren religiösen Vorstellungen und einer auf politische Emanzipation zielenden Politik bestand, gehörten zu ihren Forderungen nicht nur die Bildung einer deutschen Nationalkirche, unter der alle Konfessionen gleichberechtigt vereint sein sollten, sondern auch die Republik. »Die Revolution der Freiheit, der Souveränität des Volkes wider Unterdrückung und Despotie« war in ihren Augen »eine höchst religiös-sittliche Handlung!«[14]
Auf der ersten südwestdeutschen Synode der Deutschkatholiken im September 1845 in Württemberg trafen dann auch »die Häupter der politischen Reform mit den Vertretern der kirchlichen Reform zusammen.«[15]
Bei den Vorträgen und Verhandlungen der Synode waren auch Frauen anwesend.[16]
Die Anziehungskraft des Deutschkatholizismus auf die Württemberger zeigte sich besonders in der starken Teilnahme der Bevölkerung an den Kundgebungen von Johannes Ronge. Sein Besuch in Stuttgart anläßlich dieser südwestdeutschen Synode löste in der Hauptstadt Schwabens eine »Gährung« aus, »wie sie seit der Julirevolution nicht mehr stattgefunden (hatte), man... sprach von Nichts als von Ronge und dem Deutschkatholizismus...«.[17]
- »Die Stuttgarter sahen und hörten hier eine achtunggebietende Anzahl von Vertretern der neuen Kirche aus allen Ständen und mehreren deutschen Staaten..., und merkten, daß die beiden kleinen Gemeinden Stuttgart und Ulm nur die Ringe einer großen, ganz Deutschland zu umschlingen bestimmten Friedenskette seien, und daß es doch was anderes sei, wenn das Volk selbst über seine religiösen Angelegenheiten verhandle und beschließe, als wenn geistliche oder weltliche Oberbehörden dem Volke kirchliche Gesetze geben.«[18]
Während der Synode sprach Ronge auch vom Balkon des Kaufmanns Carl Mercy zu den auf dem Dorotheenplatz versammelten Stuttgartern und Stuttgarterinnen, nachdem er
- »durch ein donnerndes Vivatgebrüll, von unterschiedlichen Streich-, Blas-, und Jodelinstrumenten begleitet, herausgerufen worden war, worauf ihm sodann von Buchdrucker- und Schriftgießer-Gesellen der Stadt... eine Prachtbibel... überreicht wurde...«.[19]
Die deutschkatholische Bewegung war eine urbane Bewegung, die ihre größte Resonanz unter protestantischen Intellektuellen und Theologen, liberalen katholischen Laien und Klerikern, vor allem aber unter Handwerkern, Kaufleuten und Arbeitern fand,[20] insbesondere sympathisierten Berufsgruppen aus dem Verlagswesen, Buchhändler, Verleger und Schriftsetzer mit der Bewegung. Letzteres erklärt z.B. die guten Kontakte der Deutschkatholiken zur liberalen württembergischen Presse.[21] Wie in anderen Teilen Deutschlands bestand auch in Württemberg eine »enge Personalunion« zwischen bürgerlichen und religiösen Reformvereinen, d.h. Deutschkatholiken stellten häufig den »inneren Kern« von demokratischen Vereinen dar.[22] Die personelle Überschneidung wird in Württemberg gerade an den Personen Carl Mercys, Vorstandsmitglied der Deutschkatholiken in Stuttgart, und dem Demokraten Johannes Scherr deutlich.[23] Scherr, einer der bekannten theoretischen Vertreter des religiösen Sozialismus, war Landtagsabgeordneter und 1848/49 im Landesausschuß der württembergischen Volksvereine, dem auch der deutschkatholische Prediger Friedrich Albrecht aus Ulm angehörte.[24] Deutschkatholische Gemeinden entstanden in Württemberg 1845 zunächst in Ulm und Stuttgart, etwas später dann in Eßlingen; in Heilbronn herrschte ebenfalls großes Interesse an der Bewegung, allerdings kam es nie zur Gründung einer eigenen Gemeinde.[25] Deutschkatholische Gemeinden waren ein Ort des Zusammentreffens aller Konfessionen, ihnen gehörten sowohl Katholiken als auch Protestanten an, auch Juden traten den Vereinigungen bei.[26] Da der Pietismus in Württemberg besonders einflußreich war, hatte die deutschkatholische Bewegung sich nicht nur gegen die römisch-katholische Kirche, sondern auch gegen pietistische Vereinigungen zu behaupten. Für die Deutschkatholiken repräsentierten diese Gegner die >finstere Reaktion<, sie waren in ihren Augen Feinde der bürgerlichen Freiheit und Verbreiter von Aberglauben und Unvernunft.[27]
»Frauen und Jungfrauen als >Mütter der Kirche<«
Auf der Stuttgarter Synode 1845 wurde unter anderem auch die Verfassung für die südwestdeutschen Gemeinden festgelegt. Die Anwesenden beschlossen in Anlehnung an die vorangegangene schlesische Synode, daß
- »Frauen und Jungfrauen als >Mütter der Kirche< an den Berathungen und Beschlüßen der deutschkatholischen Kirchen- und Gemeindeversammlungen activen Antheil haben sollen, und daß überhaupt das demokratische Princip in möglichster Reinheit durchzuführen sei.«[28]
Einige Tage später wandte sich der inzwischen nach Ulm weitergereiste Ronge in seiner Predigt im Ulmer Münster nochmals an die Frauen:
- »Es sollen aber die Frauen nicht blos und allein auf ihre Familie beschränkt bleiben, ... sie sollen ihren Blick auch auf das Gemeindeleben richten, und da als in einer größern Familie schaffen und wirken helfen, und sie sollen hinausblicken in den noch größern Kreis, den die Nation bildet, und für das Wohl und Heil der Nation heilige Begeisterung wecken und stärken in der Jugend.«[29]
Nachdem sich die Frauen anfangs nur zögernd den Gemeinden angeschlossen hatten, was das »Neue Tagblatt für Stuttgart und Umgegend« auf die bis dahin übliche Fernhaltung des »schönen Geschlechts« von »allem öffentlichen Leben« zurückführte (NT 13.2.46), gelang es den Deutschkatholiken zusehends Frauen für die Bewegung zu interessieren. Zum Teil wandten sie sich in den öffentlichen Einladungen zu Gemeindeversammlungen direkt an die Frauen.[30] Immer häufiger traten diese den Gemeinden bei. Aus einem Bericht im »Neuen Tagblatt« vom 15.3.1846 geht hervor, daß Frauen auf den Versammlungen besonders stark vertreten waren.
- »Bei der gestrigen Versammlung der Deutsch-Katholiken konnte man gewahr werden, daß der gelbe Saal des Bürgermuseums (das Haus der Stuttgarter Bürgergesellschaft; d.V.) noch stärker besucht war, als das letzte Mal, denn nicht nur zahlreich erschienen diesmal die Damen, sondern auch die Herren ließen es sich angelegen seyn, in größter Menge an den Verhandlungen der Deutsch-Katholiken Theil zu nehmen.« (NT 15.3.46)
Daß Frauen aktiv am politischen Gedankenaustausch in der Gemeinde teil hatten, zeigt die Tatsache, daß sie im Unterschied zum sonstigen politischen Leben Erklärungen, die die Gemeinde z.B. an Abgeordnete schickte (NT 12.2.46), gemeinsam mit den Männern unterzeichneten, und daß bei öffentlichen Grußadressen und Anschreiben in deutschkatholischen Kreisen häufig die Anredeform »hochwert-geschätzte Herren und Frauen« benutzt wurde (NZ 8.5.46). Aus den spärlichen Berichten wissen wir, daß Frauen hin und wieder sogar als Rednerinnen oder Vortragende in den Versammlungen auftraten (ESP 30.12.48/Beob 6.10.49). Im Vergleich zur politisch rechtlosen Stellung der Frau und ihrem Ausschluß von politischen EntScheidungsprozessen war außergewöhnlich, daß Frauen in deutschkatholischen Gemeinden das Wahlrecht besaßen. Außerdem galt in den Gemeinden die Wahlberechtigung bereits ab dem 21. Lebensjahr, während es bei der Wahl zur Nationalversammlung für Männer erst bei 25 Jahren lag.[31]
Allerdings wurde das Frauenwahlrecht regional unterschiedlich gehandhabt. In den preußischen Gemeinden z.B. hatten die Frauen uneingeschränktes Wahlrecht, während es in anderen nur alleinstehenden und unverheirateten bzw. den Frauen zustand, deren Männer nicht Gemeindemitglied waren.[32] Es existierten auch einige wenige Gemeinden, in denen Frauen überhaupt kein Wahlrecht hatten.[33] Trotz des aktiven und passiven Wahlrechts gab es in Deutschland keine einzige Frau, die Mitglied eines Gemeindevorstandes gewesen wäre, mit Ausnahme einiger Frauen im Altestenkollegium einer schlesischen Gemeinde, einem Gremium, aus dem sich die Vorstandsmitglieder rekrutierten.[34] Einmal jährlich wurde in den Gemeinden ein Vorstand gewählt. Seine Aufgaben reichten von der Verantwortung für die Finanzierung der Gemeinde, dem Organisieren der Gottesdienste und Versammlungen bis hin zur Sorge für das Schulwesen und überhaupt alle sonstigen sozialen und religiösen Aktivitäten der Gemeinde.[35]
Viele Frauen und Männer, die dem Deutschkatholizismus beitraten, kamen aus gemischt konfessionellen Ehen. Da solche Verbindungen von beiden Kirchen abgelehnt wurden, waren diese Paare einem starken sozialen und religiösen Druck ausgesetzt.[36] Mit dem Übertritt zum Deutschkatholizismus bot sich ihnen endlich die Gelegenheit, gemeinsam »an einen Tisch des Herrn gehen zu können.« (NT 8.4.46) Die Deutschkatholiken vertraten die Idee der Liebesehe und lehnten die Konvenienzehe als unmoralisch und unmenschlich ab.
- »Wenn bei den jetzigen Zuständen die Ehen vielfach nur aus äußeren Interessen und Rücksichten geschlossen werden und demnach die Selbstsucht das Band derselben bildet, die Ehe demnach gottlos ist, so soll in den neuen Zuständen nur die Liebe das Band der Ehe sein, die Liebe, welche frei giebt und frei empfängt, welche beide Gatten geistig in Eins verbindet und verschmilzt...«[37]
Die Freiheit in der Partnerwahl wurde dementsprechend analog gesehen zur Freiheit in der Gestaltung des staatlichen Lebens. Da die sittliche Wohlfahrt der Gesellschaft auf dem Familienleben beruhte, war eine Liebesheirat nach deutschkatholischer Auffassung Voraussetzung für die Bildung der >neuen Familie< und damit auch eines >neuen Staates<. Die Liebe allerdings sollte sich nicht auf die Paarbeziehung allein beschränken.
- »Diese Liebe in der Ehe und Familie muß sich aber erweitern... und sich offenbahren in der Erziehung der gesammten Jugend eines Staates und Volkes.«[38]
Die Frau wird zur Erzieherin der Nation - die Ideen des Deutschkatholizismus decken sich hier auch mit den Konzepten der Nationalerziehung (Kap. III.2), was auf die engen Kontakte mit den Reformpädagogen der Zeit hinweist.[39]
Bereits im Mai 1846 entwickelten die deutschkatholischen Frauen eigenständige Aktivitäten. In Stuttgart veranstalteten sie eine Lotterie »zum Besten der deutschkatholischen Religionsgesellschaft«, da es der Gemeinde an Geldmitteln fehlte (Beob 4.5.46). Die Frauen, die diesen Aufruf organisierten, kamen aus unterschiedlichen Schichten. Ihre Herkunft zeigt nochmals die soziale Bandbreite der deutschkatholischen Bewegung. Neben ledigen Frauen gehörten zu der Gruppe die Witwe eines Hofbäckers, eine Putzmacherin, die mit einem Schauspieler verheiratet war, sowie die Tochter eines Oberpolizeicomissärs und die Professorentochter Eugenie Grammont, die Gattin des Bankiers Federer, Abgeordneter in der Nationalversammlung. 1847 beteiligte sich auch die Ehefrau des Oberpolizeicomissärs an der Organisation einer weiteren Lotterie für die Deutschkatholiken (SK 9.3.47).[40] Aus diesen Aktivitäten ging schließlich ein fester Frauenverein hervor, der es sich zur Aufgabe machte, regelmäßig Lotterien zu veranstalten, um die Gemeinde mitzufinanzieren (NT 7.4.47). Auch die Ulmerinnen versuchten, über das Verlosen von wertvollen Handarbeiten Geld zu beschaffen (Beob 2.6.46). Die Bedeutung dieser Aktivitäten für den Fortbestand der deutschkatholischen Bewegung und ihrer Gemeinden darf nicht unterschätzt werden, denn gerade die Frage der Finanzierung war durch die Trennung von den etablierten Kirchen ein existentielles Problem. Deutschkatholische Frauenvereine engagierten sich zudem auch in dem für Frauen typischen Bereich der Wohltätigkeit. Frauen versorgten Kranke und Arme in ihrer jeweiligen Gemeinde.[41]
Gerade im Rahmen der sozialen Ideen des Deutschkatholizismus und der von ihm vertretenen Idee der »Praxis der Liebe« hatten diese Tätigkeiten einen zentralen Stellenwert.[42]
»Frei von ceremoniellen Fesseln...«
Da der Deutschkatholizismus der Bildung eine große Bedeutung für die Befreiung des Subjekts beimaß, sollten auch Frauen entsprechenden Unterricht und eine Ausbildung erhalten, nicht zuletzt, um ihrer Rolle in Öffentlichkeit und Familie gerecht werden zu können. Diese Vorstellung führte in Hamburg unter Mitwirken der deutschkatholischen Gemeinde zur Gründung einer besonderen Hochschule für Frauen, der sogenannten »Hamburger Hochschule für das weibliche Geschlecht«. Diese Hochschule war die erste derartige Institution für Frauen überhaupt. Unter dem Druck der Restauration mußte sie allerdings nach erst kurzem Bestehen 1853 schließen.[43] Im Programm der Hochschule hieß es:
- »Der vernünftige Geist reicht in den Frauen so weit wie in den Männern; beide Geschlechter sind sich vollkommen ebenbürtig... Die Frauen müssen unserer höchsten philosophischen Überzeugungen, unserer allgemeinsten großartigsten Zwecke teilhaftig gemacht werden; sie müssen über die religiösen Ansichten von Gott, Vorsehung, Schicksal, und über Unsterblichkeit, das Endziel des Individuums sowie des Menschengeschlechts denken und fühlen, wie wir Männer - dann und nur dann rücken wir dem Ziele näher, wo Wahrheit, Liebe und Gerechtigkeit unter den Menschen walten.«[44]
In Stuttgart gab es zwar keine Hochschule, doch die wißbegierigen Stuttgarterinnen besuchten die »Ästhetischen Vorlesungen« des deutschkatholischen Predigers Heribert Rau, die »eine angenehme Unterhaltung gewähren und die Theilnehmenden in die bezüglichen, so interessanten Wissenschaften einführen« sollten. Bei den Frauen erfreuten sich diese Vorträge großer Beliebtheit (Beob 26.10.48). Ja sie waren
»von einem so zahlreichen Auditorium, dessen Mehrzahl aus Damen bestand, besucht, daß der vordere Saal gefüllt war, und ein anderes Lokal nothwendig werden dürfte, wenn die Zahl der Zuhörer sich vermehren sollte...«. (SK 5.11.48)
Die enge Zusammenarbeit zwischen Männern und Frauen ließ in den deutschkatholischen Gemeinden eine neue Form von Geselligkeit entstehen und führte zu anderen Umgangsformen zwischen den Geschlechtern.
- »Frei von ceremoniellen Fesseln, fühlten sich hier die Einzelnen - aus jedem Alter und Stande, aus beiderlei Geschlecht - als freie Menschen, und Mancher behauptete, daß er diese Zusammenkünfte weit mehr erbaut verlasse, als den kirchlichen Kult.«[45]
Teil des Gemeindelebens waren unter anderem solche gemeinsamen Abende, an denen man/frau sich unterhielt, zusammen aß und trank, Reden hörte und diskutierte. Religiöse wie politische Festtage wurden in den Gemeinden feierlich begangen. »Zur Feier der Eröffnung des deutschen Parlaments« hielten die Deutschkatholiken einen Gottesdienst in der »reformirten Kirche« Stuttgarts ab (Beob 21.5.48). Bei einer Veranstaltung anläßlich der Verabschiedung der Grundrechte in Eßlingen trug Frl. Marie Brunow ein von ihr selbst verfaßtes Gedicht über Vernunft und Geistesfreiheit vor:
»Die Zeit der Kämpfe ist herangebrochen,
Es ringt der neue Geist zum neuen Licht,
Schon manche Fessel hat er kühn zerbrochen,
Den Kranz der Freiheit er der Erde flicht.« (ESP 30.12.48)
Zu Ehren des in Wien standrechtlich erschossenen Nationalversammlungsabgeordneten Robert Blum, der Deutschkatholik und »Stifter und Vorstand der deutschkatholischen Gemeinde in Leipzig« war, veranstalteten die Stuttgarter Deutschkatholiken einen Gottesdienst und eine Gedenkfeier.
Dazu waren auch die Mitglieder des demokratischen Volksvereins eingeladen (Beob 20.11.48). 1849 befanden sich bei der Blumfeier in Eßlingen unter den 700 Anwesenden »120 Frauen und Jungfrauen«, die abwechselnd mit dem Chor des Eßlinger Arbeitervereins mit Gesang zur Veranstaltung beitrugen. Einer der Redner dieser Versammlung war der deutschkatholische Prediger Heribert Rau (Beob 14.11.48).[46] Die ausgeprägte Festkultur der Deutschkatholiken stieß im pietistischen Württemberg ebenso auf Ablehnung wie die Weltbezogenheit ihrer kirchlichen Riten.
»Natürlich! Wer sollte auch an einer Kirche, wie diese ist, viel zu loben wissen! Muß es doch Jeden, der Kopf und Herz noch an der rechten Stelle hat, erbarmen, wenn er an ihre Feste an ihren Gottesdienst, an ihr Glaubensbekenntnis denkt!« (NZ 13.5.46)
Schon während der Stuttgarter Synode behauptete ein Kritiker, daß die Deutschkatholiken wohl am liebsten »bei Wein, Forellen und Rehbraten Weltgeschichte« machten,[47] und ein katholischer Pfarrer scheute sich nicht, die ganze Bewegung »einen >allgemeinen blauen Montag von Brüder- und Schwesterliebe< zu schelten« (Beob 18.1.46).
Vor allem die Freiheit, die deutschkatholische Frauen in den Gemeinden besaßen, war ein beliebter Angriffspunkt für ihre Gegner. Daß Deutschkatholiken »in aller Eile nach einem Weibe greifen, wahrscheinlich, um sobald als möglich aller Welt den Beweis zu liefern, zu was die neu errungene Glaubens- und Gewissensfreiheit gut ist, und wie man keineswegs für nichts und wieder nichts so ritterlich dafür gestritten« (Beob 18.1.46), fand der zitierte Pfarrer nicht verwunderlich. Die Zusammenarbeit zwischen Männern und Frauen erregte das Mißtrauen der Konservativen und löste die wildesten Phantasien aus. Auch innerhalb der Bewegung selbst meldeten sich mit der Zeit Stimmen zu Wort, die eine zu aktive Teilnahme von Frauen etwas eingeschränkt wissen wollten. Einer der wesentlichen Einwände, der sich gegen Frauen richtete, war, daß gerade die Praxis des Frauenwahlrechts die Bewegung zu sehr von der sie umgebenden Gesellschaft entfremdet habe. Diese Haltung gewann dann auch im Südwesten Deutschlands immer mehr an Einfluß.[48]
»Beseitigung der Armuth und des Elends«[49]
Der Deutschkatholizismus war vor allem auch eine Sammelbewegung für die Unterschichten. »Es ist das eigentliche Volk, das sich anschließt«, schreibt die in Eßlingen erscheinende »Neue Zeit«. Die Zusammensetzung der Eßlinger und Ulmer Gemeinde belegt diese Aussage. Ein großer Teil der Mitglieder in Eßlingen waren
- »fremde Fabrikarbeiter, vorzüglich aus der Deffner'schen Blechfabrik, worunter mehrere Baiern, zur Hälfte Katholiken und zur Hälfte Protestanten.«[50]
Einer der Vorsitzenden der Eßlinger Gemeinde war der Handschuhfabrikant Adam Mangold, ebenfalls Mitglied einer radikal-demokratischen Arbeitervereinigung, dem »Bruderbund«.[51] Der ehemals protestantische Pfarrer Heinrich Loose, der später auch an den Reichsverfassungskämpfen in Baden teilnahm, war Prediger in Eßlingen. Während dieser Zeit redigierte er auch die dort erscheinende, deutschkatholisch geprägte, sozialistische Zeitschrift »Neue Zeit«.[52] Innerhalb der deutschen Gesamtbewegung gehörte Loose jedenfalls zu den radikalen Vertretern der »Emancipation der Arbeiterklasse«.[53] Der Ulmer Gemeinde hatten sich unter anderem Angehörige des Militärs angeschlossen, und auch einige der Schanzarbeiter am Ulmer Festungsbau sympathisierten mit der Bewegung. Der aus Schlesien stammende Prediger Friedrich Albrecht organisierte den ersten Ulmer Arbeiterverein.[54]
Die Deutschkatholiken widmeten der sozialen Frage besondere Aufmerksamkeit.
- »In den Versammlungen werden zweckmäßige Vorträge gehalten, auch von nichtgeistlichen Mitgliedern und Freunden der Sache, wobei häufig die soziale Frage in Verbindung mit der Religion zur möglichen Beseitigung der Armuth und des Elends verhandelt wird...«. (NZ 7.3.46)
»Die drei württembergischen Gemeinden wuchsen fortwährend bis zum Frühling 1846...«.[55] Die Zahl der eingetragenen Mitglieder war zwar nicht außergewöhnlich hoch, doch die Bewegung hatte viele Freunde, die regelmäßig zu den Gottesdiensten und Versammlungen kamen.[56] Am 4.2.1846 erging ein Regierungserlaß an die deutschkatholischen Gemeinden, der ihre Situation zusehends verschlechterte und interne Schwierigkeiten auslöste. Nach dieser Verordnung war es Deutschkatholiken untersagt, sich Gemeinde zu nennen. Sie mußten die Bezeichnung »Religionsgesellschaft« führen (Beob 4.2.46). Die bereits gewählten Prediger wurden zwar offiziell bestätigt, die Gemeindeverfassung und kirchliche Unabhängigkeit anerkannt, doch die Besucher der Gottesdienste sollten auf die Gemeindemitglieder beschränkt bleiben, und danach mußte sich auch die Größe des Lokals richten. Die Öffnung der Gottesdienste für ein breites Publikum wie bisher üblich sollte unterbunden werden. Außerdem wurde der Beitritt zu einer deutschkatholischen Gemeinde von der Abmeldung bei den katholischen und protestantischen Geistlichen abhängig gemacht. Geldstrafen wegen unerlaubter Taufen gab es zwar von diesem Zeitpunkt an nicht mehr, doch Trauungen von Deutschkatholiken mußten von protestantischen Geistlichen vorgenommen werden, den deutschkatholischen Predigern wurde nur eine nachträgliche Einsegnung gestattet. Deutschkatholische Eheschließungen wurden durch diese Regelung erheblich behindert. Der »Beobachter« schrieb so am 8.2.1846:
»Wir hatten allen Grund vorauszusetzen, daß die Mehrzahl der Geistlichen sich beharrlich weigern wird - wie diess ja auch bis jetzt geschehen - die Trauungen vorzunehmen, gezwungen aber können sie doch nicht werden!«
Die negativen Folgen der Verordnung waren trotz einiger weniger Zugeständnisse von Seiten der Regierung nicht zu übersehen.[57] Der einschneidendste Teil des Erlasses betraf den Entzug des aktiven Landtagswahlrechts für Deutschkatholiken, denn ihnen als Angehörigen einer »christlichen Secte« mußte das Wahlrecht laut Verfassung nicht notwendigerweise zugestanden werden.[58] Damit wurden viele Deutschkatholiken in ein politisches Dilemma gebracht und letztlich dazu veranlaßt, die Gemeinde zu verlassen, um nicht ihr politisches Stimmrecht zu verlieren. In den Gemeinden verblieben so hauptsächlich Angehörige der Unterschichten, die auf Grund ihres fehlenden Bürgerrechts und wegen des bestehenden Wahlzensus ohnehin kein Wahlrecht besaßen.[59]
Die Verordnung brachte die Gemeinden zudem in finanzielle Schwierigkeiten, wie vor allem das Beispiel Eßlingens zeigt. Der recht vermögende Vorsitzende Mangold, der sich zunächst auch finanziell für die Gemeinde stark gemacht hatte, trat Ende des Jahres 1846 wieder zur evangelischen Kirche über, um sein Landtagswahlrecht zurückzuerhalten. Da noch andere seinem Beispiel folgten, kam es in der Eßlinger Gemeinde zu ungeheuren finanziellen Problemen. Die hauptsächlich verbliebenen Fabrikarbeiter konnten nicht genügend Mitgliederbeiträge und Spenden aufbringen, um die Gemeinde ausreichend zu finanzieren. Die Eßlinger mußten so auf einen eigenen Prediger verzichten, und Loose verließ daraufhin die Stadt.[60]
Für Frauen, die ja grundsätzlich kein Wahlrecht hatten, blieb der Deutschkatholizismus weiterhin ein Anziehungspunkt. Dies galt auch für Frauen aus dem proletarischen und kleinbürgerlichen Milieu. Den meist aus unterschiedlichen Regionen in die jungen württembergischen Industriestädte< zugewanderten Fabrikarbeiterinnen bot der Deutschkatholizismus die Chance zur sozialen Integration. Da es gerade in diesen Schichten oft zu interkonfessionellen Beziehungen kam, war eine deutschkatholische Ehe die Möglichkeit, den bisherigen religiösen Separatismus zu überwinden. Die Zeremonie der deutschkatholischen Taufe eines Kindes aus deutschkatholischer bzw. gemischtkonfessioneller Ehe wurde unter diesen Umständen zu einem symbolischen Akt von öffentlicher Bedeutung, über den auch die Zeitungen berichteten. Als in Eßlingen derTuchscheerer Kurfeß, ehemals römischer Katholik, und dessen Ehefrau, früher Protestantin, ihr Kind vom Prediger Loose taufen ließen (Beob 18.1.46/9.2.46), befaßten sich der »Beobachter« und die »Neue Zeit« in mehreren Artikeln mit diesem Vorgang. Die »Neue Zeit« schrieb dazu:
»Am verflossenen Sonntag hat der Prediger der hiesigen Deutschkathol. Heinrich Loose das neugeborne Kind des Mitglieds derselben, Tuchscheerermeisters Kurfeß, hiesigen Bürgers, früher röm. kath. und Gatten einer früheren Protestantin, getauft, und wurde deswegen heute vom K. Oberamt vorgeladen und vernommen, weil er einer K. Ministerialverfügung zuwider die ihm früher eröffnet wurde, gehandelt habe. Loose hatte zwar die Eröffnung jener Verfügung unterzeichnet, aber sogleich dagegen protestirt, und vor der Taufhandlung eine Protestazion mit der Anzeige seines Vorhabens an das K. Kultministerium abgehen lassen nebst einer durchaus freiwilligen Erklärung der Eltern, daß sie ihr Kind entweder gar nicht, oder deutschkatholisch durch ihren Prediger taufen lassen wollen. Die amtliche Entscheidung steht noch zu erwarten.« (NZ 16.1.46)
Die Entscheidung, ein Kind deutschkatholisch taufen zu lassen, führte häufig zu gesellschaftlichen Konflikten. Ein Vorfall, nämlich der Streit um die >Seele< eines unehelichen Kindes in Ulm, der 1846 durch die liberale württembergische Presse ging, verdeutlicht die Probleme der Deutschkatholiken (Beob 15.2.46/NZ 8.3.46). Johanna Karg, eine ledige Dienstmagd, stammte aus Bayern und war katholisch. Der Vater ihres Kindes war ein württembergischer Protestant. Johanna Karg wollte ihr Kind entsprechend ihrem eigenen Glauben zunächst katholisch taufen lassen. Da aber der vorgesehene Pate, ein Trompeter beim Militär, deutschkatholisches Gemeindemitglied war, weigerte sich der katholische Priester, die Taufe durchzuführen, und verlangte, daß einer der anwesenden Ministranten die Stelle des Taufzeugen einnehmen sollte. Der abgewiesene Pate veranlaßte nun empört, daß die katholische Taufhandlung ganz unterblieb. Schließlich entschieden sich die Dienstmagd und der Trompeter für eine deutschkatholische Tau-fe.Um dies zu verhindern, suchte der katholische »Decan« die Wöchnerin auf und versuchte, sie doch noch zu einer katholischen Taufe zu überreden. Diese beharrte allerdings auf ihrem Beschluß und begründete ihn damit,
- »daß sie ohne Vermögen... ohne Eltern... und daher nicht im Stande sei, ihr Kind zu ernähren, daß dagegen der von ihr gewählte Pathe ihr erklärt habe, er wolle Vaterstelle an dem Kind vertreten...«[61]
Obwohl die katholische Kirche ihr für den Fall der katholischen Taufe finanzielle Unterstützung zusagte, wurde das Kind schließlich deutschkatholisch getauft, wobei die Taufhandlung nach dem inzwischen publik gewordenen Konflikt zu einer regelrechten >Volksveranstaltung< wurde. In einem Beschwerdebrief an das Ulmer Oberamt beschreibt der »Decan« die Zeremonie:
- »Heute nun wurde dieses Kind von dem Dissidenten-Prediger Albrecht in dem Bethause der Dissidenten unter dem Zulaufe vieler Menschen und zum offenbaren Hohne der Katholiken getauft. Bis zu 20 Personen legten ihm die Hände auf, (den Katholiken und Protestanten ist verboten mehr als 4-6 Taufpathen zu haben).«[62]
Wie die Streitereien um Taufen und Ritus zeigen, befand sich die deutschkatholische Bewegung in Konkurrenz zu den anderen Konfessionen. Sehr oft waren Frauen, welche sich dem Deutschkatholizismus zuwandten, massivem Druck von Seiten der etablierten Kirchen ausgesetzt. Diese Erfahrung machte auch eine mit einem Arbeiter verheiratete, ehemals protestantische Hebamme, die in einem Dorf bei Ulm lebte und einem kleinen deutschkatholischen Zirkel anghörte. Trotz der Drohungen des evangelischen Pfarrers, »daß fortan die (Frauen der; d.V.) evangelischen Arbeiter sich von ihr als Deutschkatholikin nicht mehr würden entbinden lassen«, trat sie nicht aus der Gemeinde aus. Selbstverständlich ließ auch dieses Paar sein Kind deutschkatholisch taufen.[63] Die Entscheidung für den Deutschkatholizismus war also nicht nur eine Frage des richtigen Glaubens, sondern erforderte auch im Alltag eine gewisse Standfestigkeit.
Politische Frauenvereine und ihre Aktivitäten 1848 bis 1850
Für das Bürgertum in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts waren Vereine ein Mittel, sich mit politisch Gleichgesinnten zusammenzuschließen und soziale, wirtschaftliche und kulturelle Interessen zu vereinheitlichen. Da im Vormärz Organisationen mit politischer Zielsetzung verboten waren, gehört das Entstehen politischer Vereine als Vorläufer regulärer Parteien zu den wesentlichen Errungenschaften der 1848er Revolution.[1] Auch Frauen haben sich 1848/1849 politisch organisiert, allerdings nicht in denselben Vereinen wie die Männer — als Nichtwahlberechtigte hatten sie in den ursprünglich als Wahlvereine gegründeten Männervereinen keinen Platz -, sondern in eigenständigen Frauenvereinen. Zwischen 1848 und 1850 bildete sich eine Vielzahl hauptsächlich demokratischer Fraueninitiativen, Vereine und Gruppen, die in einem engen Wechselverhältnis mit den politischen Organisationen und Aktivitäten der Männer standen. Im Unterschied zu den Frauenclubs in der französischen Revolution[2] verfolgten die württembergischen Frauenvereine 1848 keine auf spezifische Fraueninteressen bezogene Politik; die große Zahl der Vereine war meist Ausdruck der nationalen und demokratischen Gesinnung der Frauen 1848/1849.
Nach Bekanntwerden der Pariser Revolution im Februar 1848 hatten in fast allen Städten Württembergs Bürgerversammlungen stattgefunden, die die Aufhebung der Pressezensur, Versammlungsfreiheit, Öffentlichkeit der Gerichte, Volksbewaffnung und die Ablösung der feudalen Grundlasten forderten. Wie in anderen deutschen Ländern führte die Märzbewegung in Württemberg zu einem Regierungswechsel. König Wilhelm I. von Württemberg berief am 9. März 1848 Angehörige der liberalen Opposition in das sogenannte »Märzministerium«. Bereits in den ersten Wochen der Revolution, bevor die ausgeschriebenen Neuwahlen stattfanden, erfolgte eine Liberalisierung der Gesetzgebung; die Abgeordnetenkammer verabschiedete Gesetzentwürfe zur Volksbewaffnung und Ablösung der Feudalabgaben. Die Pressezensur war schon am l.März aufgehoben und damit die politische Berichterstattung freigegeben worden. Kurz darauf bildeten sich in Stuttgart und in anderen Städten »Vaterländische Vereine« zur Vorbereitung der Nationalversammlungswahlen. Nach einer großen Volksversammlung der Vereine in Göppingen Ende März breitete sich das politische Vereinswesen im April in ganz Württemberg aus.
Noch bevor diese politischen Organisationen entstanden, erschienen Mitte März erste Appelle in den Zeitungen, die zum Kauf »deutscher Waaren« und zur Gründung von Frauenvereinen aufriefen.
Sie richteten sich vor allem an bürgerliche Frauen, die sich verpflichten sollten, ausländische Erzeugnisse zu boykottieren und nur noch »vaterländische Produkte« zu kaufen. Den Auftakt bildete ein am 11.3.1848 in der demokratischen »Eßlinger Schnellpost« erschienener Aufruf »An die deutsche Frauenwelt«. Am 12.3. berichtete der »Beobachter« von ähnlichen Fraueninitiativen in Stuttgart und Reutlingen. Die Tübinger Frauen meldeten sich am 15.3. zu Wort, und in Ulm gründeten zur selben Zeit »55 Frauen und Jungfrauen« einen Verein »zur Hebung der Gewerbe« (USP 18.3.48). In Backnang, meldete schließlich die »Schwäbische Kronik« am 21.3.1848, »circuliert gegenwärtig eine Aufforderung zur Bildung eines Vereins«. Sogar auf der schwäbischen Alb in Blaubeuren entstand ein Verein zum »Schutz deutscher Waren« (SK 22.3.48). Innerhalb von knapp zehn Tagen verbreitete sich die Bewegung über ganz Württemberg, und durch die Berichte in der Zeitung hofften die Frauen ihre Mitbürgerinnen zu motivieren, »das Ihrige« zur »Erstarkung« des deutschen Gewerbes und damit des bürgerlichen Mittelstandes beizutragen (Kap. V. 1).
Frauen, die sich diesen Erklärungen anschließen wollten, konnten sich in Unterschriftenlisten eintragen, die entweder bei Kaufleuten oder in den Vereinslokalen der Bürgergesellschaften auslagen. Obwohl sich diese Fraueninitiativen Vereine nannten, ist nicht anzunehmen, daß sie regelmäßige Sitzungen abhielten wie die politischen Männervereine. Als >Vereinigung< waren sie eher ein lockerer, informeller Verbund, der im wesentlichen darin bestand, daß die Frauen sich zu gemeinsamen politischen Zielen bekannten. Zum Teil wurden die Frauen von lokalen Gewerbevereinen zu diesen Solidaritätsaktionen aufgefordert. Mit einem >Warenboykott< sollten die Bürgerinnen die Forderungen der Gewerbetreibenden nach Schutzzöllen und Einfuhrbeschränkungen für ausländische Waren unterstützen. Ob diese ersten Frauenvereine des Jahres 1848 Bestand hatten, läßt sich aus den zur Verfügung stehenden Quellen nicht ermitteln. In jedem Fall waren diese ersten Organisationsversuche Ausdruck eines wachen politischen Bewußtseins der Frauen, und sie schufen auch neue, politisch definierte Kommunikationskreise.
Frauen und die deutsche Flotte
Daß Frauen sich von Fragen nationaler Politik betroffen fühlten, zeigten schließlich auch die im Frühsommer 1848 stattfindenden Sammlungen für »eine deutsche Kriegsflotte«. Da die staatliche Einigung im Frühjahr 1848 noch in weiter Ferne lag, sollte eine nationale Flotte zeichensetzend sein für eine zukünftige >deutsche Großmacht<, die deutsche Flagge sollte möglichst bald »auf allen Meeren wehen« (Beob 16.5.48). Im Hintergrund standen dabei ganz offen macht- und handelspolitische Interessen: »Ohne den Schutz einer Kriegsflotte kann aber deutscher Handel und deutsche Schifffahrt nie gedeihen und erstarken« (ESP 24.5.48).[3] Schon zu Beginn der 40er Jahre hatte sich der Deutsche Bund mit dem Gedanken getragen, eine Flotte aufzubauen. Die 600-Jahr-Feier für die Hanse wurde zum Anlaß genommen, diese Idee in Deutschland zu verbreiten. Sogar der demokratische Dichter Georg Herwegh begeisterte sich 1841 für dieses nationale Ziel. Sein Gedicht über die »deutsche Flotte«, das auch einen Appell an die deutschen Frauen enthält, wird heute allerdings gerne verschwiegen:
»Erwach, mein Volk, mit neuen Sinnen,
Blick in des Schicksals goldnes Buch,
Lies aus den Sternen dir den Spruch:
Du sollst die Welt gewinnen!
Erwach, mein Volk, heiß deine Töchter spinnen!
Wir brauchen wieder einmal deutsches Linnen
Zu deutschem Segeltuch!...«[4]
Die Bemühungen des Deutschen Bundes um den Aufbau einer deutschen Seemacht führten bis 1848 über den Bau eines einzigen preußischen Schiffes nicht hinaus. Im deutsch-dänischen Krieg 1848, als Preußen auf der Seite Schleswig-Holsteins kämpfte, lag dieses Kriegsschiff, die »Amazone«, allerdings »ruhig im Hafen«. Der Anker des »Schiffleins« wurde erst gar nicht gelichtet, »weil sein Untergang mit Sicherheit vorauszusehen war«[5]
Die Blockade der deutschen Seehäfen durch dänische Schiffe ließ im Mai 1848 die Rufe nach einer deutschen Kriegsflotte immer vehementer werden. Die deutsche Nationalehre konnte diese Schmach nicht verkraften:
- »Brüder! Deutsche Kriegsflotten wiegten einst ihre Masten auf allen Meeren, schrieben fremden Königen Gesetze vor... Jetzt sind wir wehrlos auf der weltenverbindenden See,... selbst auf unseren heimatlichen Strömen!... Das kleine Dänemark verhöhnt das große, im Lichte seiner Freiheit, im Bewußtsein seiner Weltsendung doppelt mächtige Deutschland... Unsere Nationalehre ist angetastet, der deutsche Gewerbefleiß bedroht.«[6]
Alte und neue Flottenbefürworter griffen zur Feder, um die Notwendigkeit einer Seestreitmacht zu betonen. In Württemberg rief der Vaterländische Hauptverein in Stuttgart noch vor dem Zusammentreten der Nationalversammlung am 14.5.1848 die politischen Vereine im Land dazu auf, Sammlungen zugunsten der Flotte zu veranstalten. Am 26.5.1848 wurde von der Nationalversammlung ein Marineausschuß gebildet und nach kurzer Debatte im Juni die »Errichtung einer deutschen Kriegsflotte« beschlossen. Diese Flottenpläne hatten über alle politischen Richtungen hinweg eine einigende Wirkung und wurden als erste große Sachentscheidung der Nationalversammlung gefeiert.[7] Auch Frauen wurden in diesen Aufrufen angesprochen. Die Initiatoren fragten, ob »nicht auch patriotische Frauen eingeladen werden möchten, dem großen Zwecke ihre Mitwirkung zu leihen« (Beob 17.5.48).
»Die deutsche Flotte und die deutschen Frauen
Hoch leben die deutschen Frauen!
Das Band eurer weißen Arme,
Hoch lebe die deutsche Maid!
Der Ring von der schönen Hand,
Sie helfen uns heute bauen
Sie sind in der Zeiten Harme
Mit Perlen und Goldgeschmeid.
Ein mächtiges Unterpfand;
Sie helfen uns Schiffe hämmern
Der Becher von schönen Lippen,
Aus Eisen und deutschem Holz;
Er bürgt uns, als fromm Gebet,
Ich sehe das Frührot dämmern
Daß unter drohenden Klippen
Des werdenden Tags mit Stolz.
Doch Deutschland nicht untergeht.
Durch brausender Zeiten Wellen
Die Männer auf deutschen Schiffen,
Tanzt fröhlich das deutsche Boot;
Sie werden gedenken dran,
Die schneeweißen Segel schwellen,
Einst zwischen des Meeres Riffen
Wild flattert sein Schwarzgoldroth.
Und einst in der Schlacht Orkan.
O daß eine jede denke
Sie werden auf Gott vertrauen,
An nordischer Obmacht Druck,
Vertrauen der neuen Zeit:
Den silbernen Pfeil und schenke
Hoch leben die deutschen Frauen!
Vom goldenen Haar den Schmuck!
Hoch lebe die deutsche Maid!
Bonn, 31.5.1848 L.L.«
(Allgemeine Zeitung Nr. 165, 13.6.1848)
Wie die vielen veröffentlichten Spendenlisten zeigen, hatten diese Appelle selbst in dem »vom Meere am entferntesten liegenden deutschen Land« (Beob 17.5.48), in Württemberg, großen Erfolg. Die württembergischen Frauen ließen sich von dem Begeisterungstaumel mitreißen und beteiligten sich an der Sammlung für die Flotte.
In der kleinen Oberamtsstadt Nürtingen verfaßten die Töchter zweier Bezirksbeamter einen eigenen Aufruf, in dem sie den »verehrtesten Jungfrauen der hiesigen Stadt und des Bezirks« vorschlugen, durch »kleine Handarbeiten, die späterhin im Wege einer Lotterie verwerthet würden, an diesem großartigen Werke (sich) zu betheiligen. Zur Fertigung dieser Arbeiten, zu deren Empfang« sie sich »mit Vergnügen« bereit erklärten, sollten »vier Wochen genügen« (NWB 23.5.48). Der Lotterievorschlag der Nürtingerinnen wurde ebenfalls im »Beobachter« veröffentlicht und sollte so den »viele(n) Vaterlandsfreundinnen unter der Blüthe des schönen Geschlechts in Schwaben« (Beob 30.5.48) als Anregung zu ähnlichen Aktivitäten dienen.
Text zu Bild unten:
- „Erste: Von frühster Jugend an bin ich gewöhnt in Liebe und Ergebenheit in der Stille Gutes zu thun, drum kann ich auch nicht ohnehin, dieses Goldstück, was mir erst gestern der Himmel bescherte, der deutschen Flotte zu opfern, damit mein Volk stark werde nach Außen und Innen und kräftig wirken möge zu unserm Besten.
Zweite: Dem Rufe zu folgen bringe ich hier willig meinem Mann seine silberbeschlagene Pfeife, da ich von meinen wenigen Sachen nichts entbehren kann.
Dritte: Heiraten werde ich wohl nicht mehr, es müßte mir denn Jemand einen Antrag stellen. Zwar bin ich erst 65 Jahre alt u. noch stark bei Kräften u. Jugendfeuer, doch bringe ich auch hier 5 Gulden zur Flotte, welche ich nach meinem Ende dem Waisenhaus zugedacht hatte. Was thut man nicht Alles fürs Vaterland."
Ab Juni 1848 erschienen in den Zeitungen regelmäßig Spendenlisten. Die Uracherinnen veranstalteten mehrere Sammlungen (Beob 1.6.48).
Die Frauen aus Berg bei Stuttgart erzielten mit einer Lotterie 62fl 36kr (SK 28.7.48). Neben Geld wurde am häufigsten Schmuck gespendet. So leitete der Abgeordnete Ludwig Uhland zusammen mit dem Tübinger Flottenbeitrag von 241fl 18kr auch »Silberwaaren« an die Nationalversammlung weiter.[8] Der Marineausschuß des Frankfurter Parlaments dankte in einem Schreiben an den Vaterländischen Verein in Stuttgart »besonders den deutschen Frauen Stuttgarts für die von ihnen gebrachten Opfer für die Flotte« (SK 2.9.48). Soweit die einzelnen Namen in den Spendenlisten identifiziert werden konnten, läßt sich erkennen, daß Männer wie Frauen aller Klassen und Stände - von der Adligen über die Beamtengattin, dem Kaufmann, dem kleinen Handwerker bis hin zum einfachen Dienstmädchen - für die Flotte spendeten. In diesem Punkt wenigstens war eine »nationale Einigung« gelungen.
Zeitungskampagnen, Flottenvereine und Geldsammlungen blieben bis zum Herbst 1848 allerdings das einzige, womit die Flotte von sich reden machte. Da es im Sommer immer noch kein Marineministerium gab, lagen die beim Marineausschuß in Frankfurt eingegangenen 73 OOOfl vorerst auf der Bank. Im Oktober 1848 wurden dann die ersten Kriegsschiffe gekauft und in Dienst gestellt, am 8. November 1848 eine Marinebehörde eingerichtet. Kommandeur der Seestreitkräfte wurde am 5. April 1849 K.R. Bromme, genannt Brommy, der ingesamt 11 Fregatten und Korvetten sowie 26 Kanonenboote befehligte (KRB 10, 1850). Brommy, der erste Admiral Deutschlands, war dementsprechend populär, und 1850 widmete ihm die Frauenbeilage der in Stuttgart erschienenen »Illustrierten Kreuzer-Blätter« sogar eine mehrteilige Fortsetzungsgeschichte. Die »Blütezeit< der deutschen Flotte währte indes nicht lange, da ihr Aufbau schon im Sommer 1849 mangels Finanzen stagnierte. Am 2. April 1852 wurde sie schließlich durch Beschluß der Bundesversammlung endgültig aufgelöst.[9]
»Gaben auf dem Altar des Vaterlandes«[10]
Es ist auffällig, wie viele Aktivitäten von Frauen unmittelbar zur »Wehrhaftma-chung« der Nation wie. auch des Volkes beitrugen. Mit dem Bürgerwehrgesetz vom April 1848 war die allgemeine Volksbewaffnung eingeführt und damit alle Männer zwischen 18 und 50 Jahren verpflichtet worden, in die Bürgerwehr einzutreten. Um diese neu gebildeten militärischen Formationen mit entsprechenden militärischen Zeichen wie Fahnen, Uniformen und Gewehren auszurüsten, wurden wiederum die Frauen zur Mithilfe aufgefordert. In fast allen Städten stickten die Frauen den ganzen Sommer über Fahnen für die verschiedenen Abteilungen der Bürgerwehr (Kap. V.2)
Text zu Bild unten:
- Bürgerwehrmann Eduard Mauch, Göppingen. Er unterschrieb 1848 den Aufruf der Bürgerte) ehr an „Die verehrten Frauen" und bat „dringend um ihre Unterstützung"'. „Ich bin überzeugt, daß mancher abgegriffene Löffel, manche Zuckerklammer, manche Tortenschaufel und ähnliche unnütze Gegenstände zu finden seyn werden; ich bin ferner überzeugt, daß die verehrten Frauen, wenn es sie auch für den Anfang einige Überwindung kosten wird, gewiß eine hohe Befriedigung darin finden würden, wenn sich ihnen mit der Zeit eine Anzahl Bürgersoldaten präsentieren würde, und sie das Bewußtsein in sich tragen, wir haben es diesen Männern möglich gemacht, die Waffen zu ergreifen, wir haben uns damit eine besondere Schutz- und Ehrenwache geschaffen."
Da die Wehrmänner ihre kostspielige Ausrüstung selbst finanzieren mußten, baten die Bürgerwehrausschüsse, »unbemittelte« Bürger zu unterstützen. Besonders an die bürgerlichen Frauen wurden Appelle zur Sparsamkeit gerichtet, »von der eingebildeten Höhe herunterzusteigen, und durch einfachere, minder kostspielige Anzüge den übrigen Frauen voranzugehen, was für alle Klassen einen mächtigen Einfluß ausüben, bedeutende Ersparnisse herbeiführen... könnte« (SK 17.5.48). Frauen sammelten so »zum Besten solcher Wehrmänner, welchen die Anschaffung der Armaturstücke zu schwer fallen würde...« (SK 3.6.48) Geld und Sachgaben. Manche Frauen »rüsteten« mit ihrer Spende einen »Wehrmann« komplett aus (RMC 23.4.48), andere begnügten sich mit einer Summe Geldes. Eine Reutlinger Witwe ließ der Bürgerwehr gar »21 Ellen Ordonnanzrocktuch« zukommen (RMC 29.4.48). Gemeinsam mit einer Gruppe von Professoren- und Kaufmannsgattinnen organisierte Lotte Moser in Tübingen »eine Lotterie von weiblichen Arbeiten und anderen werthvollen Gegenständen zum Besten der Volksbewaffnung« (TAI 1.5.48). Mit ihren Schülerinnen wollte sie selbst »eine Parthie Arbeiten liefern«. Im September berichteten beide Tübinger Zeitungen über den Eingang von 379fl 15kr. Im Juni hatte die Initiative der Ludwigsburger Frauen 600fl zusammengebracht (SK 3.6.48). Da es um den lokalen militärischen Stolz ging, flössen die Spenden noch reichlicher als für die deutsche Flotte.
In ihrem Aufruf zur Unterstützung der Bürgerwehr beriefen sich im Juni 1848 national gesinnte Frauen aus Rottweil auf das Vorbild preußischer Frauen, die während der Befreiungskriege 1813/14 aus patriotischer Gesinnung Vereine gegründet hatten.
- »Unsere Voreltern, die deutschen Frauen, deren Ruhm nie erlöschen wird, theilten die Opfer, die ihre Männer zu bringen hatten, wenn das Vaterland in Gefahr war, damit gerne, daß sie einen Theil ihres entbehrlichen eitlen Besizes, ihres Schmuckes auf den Altar des Vaterlandes niederlegten, und für den Erlös Waffen und andere Kriegsgeräthe herbeischafften. Wir sind um nichts schlimmer geworden, auch wir begreifen den Ernst der Zeit und laden unsere Mitbürgerinnen ein, gleich uns durch freiwillige patriotische Geschenke... zur Wehrhaftmachung unbemittelter Bürger beizutragen.«[11]
Noch deutlichere »Worte der Aufmunterung zur Teilnahme« hielten die Verfasserinnen nicht für nötig, da »das Gefühl, Herz, Liebe zum Vaterlande keiner Fürsprache bedürfen«.[12] 89 Frauen und 88 Jungfrauen unterzeichneten diesen Appell und beschlossen auch, eine Versammlung abzuhalten. An der Reihenfolge der Unterschriften läßt sich ablesen, daß der Aufruf in der jeweiligen Familie und Verwandtschaft herumgereicht wurde. Mütter, Töchter, Schwestern und Schwägerinnen unterschrieben nacheinander. Solche Frauenvereinigungen bauten offensichtlich auf verwandtschaftlichen Beziehungsnetzen auf.[13]
Frauensolidarität in der politischen Krise 1849/50
Die Bedeutung der Frauenvereine für den Zusammenhalt und die Kontinuität der politischen Bewegung zeigte sich vor allem in den Zeiten politischer Krise. Die angespannte Lage im Frühjahr 1849 motivierte auch die Frauen ihre politischen Aktivitäten zu verstärken. Am 28.3.1849 war in der Nationalversammlung die Reichsverfassung verabschiedet worden, die bis zum 14. April von 28 Regierungen anerkannt worden war. Der württembergische König beugte sich nach anfänglichem Zögern dem Druck der politischen Öffentlichkeit und billigte die Verfassung am 24.4.1849. Fünf Länder allerdings verweigerten ihre Zustimmung: Hannover, Bayern, Österreich, Sachsen und Preußen. Die Ablehnung der Reichsverfassung führte Anfang Mai zu demokratischen Aufstandsbewegungen in der Pfalz und Sachsen, wo die Demokraten versuchten, die Reichsverfassung mit Waffengewalt durchzusetzen. Der Aufstand in Dresden wurde bereits nach 5 Tagen von sächsischen und preußischen Truppen niedergeschlagen, in der Pfalz hielten die Auseinandersetzungen an.
In Württemberg lösten die Reichsverfassungskämpfe große Empörung aus. Am 7.5.1849 wandten sich deshalb die württembergischen Frauen mit einem Aufruf an die Truppen, die gegen die Reichsverfassungskämpfer eingesetzt wurden. Die »deutschen Krieger« sollten sich nicht in den Dienst der politischen Reaktion stellen und zur Unterdrückung der demokratischen Bewegung mißbrauchen lassen. Mit Beginn der Reichsverfassungskämpfe in der Pfalz (2.5.1849) und in Baden (12.5.1849) bildeten sich in vielen Ländern Freikorps und Vereine, um die demokratische Bewegung zu unterstützen. Unter denen, die Spendenaufrufe verfaßten, waren auch Frauen. »Eine Deutsche« wandte sich an ihre Geschlechtsgenossinnen: »Laßt uns eilen, deutsche Frauen und Jungfrauen, unser Scherflein auf dem Altar des Vaterlandes zu opfern, ehe es zu spät ist« (USP 25.5.49). Damit »unser geliebtes Vaterland« nicht »ewiger Schmach und Knechtschaft anheimfalle«, sondern »frei, groß und glücklich« werde, sollten »alle Waffenfähigen«, die noch keine Waffen hatten, unterstützt werden (USP 25.5.49).
Bereits Anfang Mai hatten die Turner in einem Aufruf betont, daß die Wahrung der »Mannes-Ehre« auch Sache der Frauen sei (Beob 10.5.49). Jetzt in der Krise wurde Frauensolidarität zu einem tragenden Element der demokratischen Bewegung: zur Unterstützung der badischen Reichsverfassungskämpfer bildete sich ein weit verzweigtes Netz von Frauenvereinen. Ende Mai schlössen sich Eßlinger Demokratinnen in einem »Verein zur Unterstützung der Freiwilligen« zusammen und mahnten ihre »Mitbürgerinnen«:
»Die Lösung der politischen Fragen in dieser sturmbewegten Zeit erfordert noch manche Opfer, deren Darbringung nur durch gemeinschaftliches Zusammenwirken möglich gemacht wird; es ist daher Pflicht und Aufgabe jedes Einzelnen, die Mittel zur Sicherung und Erhaltung des gemeinsamen Wohles nach seinen Kräften zu fördern und zu vergrößern. Wir rechnen hierunter hauptsächlich die Unterstützung der Freiwilligen, die sich in jüngster Zeit zusammengeschaart haben und die dazu berufen sind, unsere Freiheiten und unsere Ehre gegen jeden äußern Feind zu vertheidigen... Die ächte Vaterlandsliebe bewährt sie durch die That!« (ESP 26.5.49)
Die Reichsverfassungskämpfe in Baden hatten in Württemberg große Diskussionen innerhalb der demokratischen Bewegung ausgelöst. Die Fragen, ob Württemberg sich den badischen Kämpfen anschließen sollte, und ob die Reichsverfassung nur auf legalem Weg oder auch mit Waffengewalt durchgesetzt werden sollte, war im Mai/Juni Thema zahlreicher Volksversammlungen, ohne daß die demokratische Bewegung zu einer einheitlichen Position hätte finden können.[14] Als die württembergische Regierung Mitte Juni die Reichsregentschaft für illegal erklärte, bekannten sich z.B. die Gmünder Demokraten zu der Nationalversammlung und ihren Beschlüssen. Der auf der Volksversammlung verabschiedeten Adresse fügten die anwesenden Frauen einen Zusatzantrag hinzu:
»auf daß dem deutschen Vaterlande zu Kunde werde, daß auch das weibliche Geschlecht in patriotischer Begeisterung bereit ist, die Männer und Jünglinge für den Kampf um des theuren Vaterlandes Freiheit und Wohl zu ermuntern und zu bestärken! Wir fordern unsere Schwestern in Württemberg auf, unserem Beispiele zu folgen und die Bestrebungen der Männer durch entschlossene Hingebung von unserer Seite zu unterstützen und nachhaltig zu machen!« (Märzspiegel 11.6.49)
Nach der Auflösung des Rumpfparlaments am 18.6.1849, als die Niederlage der Revolution abzusehen war, bestimmten die Hilfsaktionen für die badischen Freiheitskämpfer die Tätigkeit der württembergischen Frauenvereine. Die Frauen beschafften vor allem Verbandsmaterial und zupften Charpie (Verbandsmull), das sie in die badischen Lazarette sandten, wo Frauen aus Frauenvereinen15 die Verwundeten pflegten. Nach der Niederschlagung der badischen Revolution Ende Juli 1849 bildeten sich in den württembergischen Städten, aus denen Freikorps nach Baden gezogen waren, Frauenvereine, die die ins Ausland geflüchteten Kämpfer unterstützten. Diese Frauenvereine, die unter anderem in Ulm und Heilbronn gegründet wurden, standen in engem Kontakt zu den Flüchtlingskomitees im Ausland. Zehn Tage nach Erscheinen eines Aufrufs des Züricher Komitees im »Beobachter« (17.7.49) sammelte in Ulm ein »Frauenkomitee zur Unterstützung der Flüchtlinge in der Schweiz« für eine »Verloosung« (Beob 27.7.49). Insgesamt verkauften die Ulmerinnen 3800 Lose, so daß sie schon am 8. August 1849 200fl in die Schweiz schicken konnten (Beob 8.8.49). Der »Verein junger Mädchen zur Unterstützung der politischen Flüchtlinge«, der sich im Juli in Heilbronn gebildet hatte, nahm sich vor allem der nach Bern geflüchteten Heilbronner Turner an. Über einen Mittelsmann schickten die Mädchen wöchentlich 40fl an die Flüchtlinge, bis die letzten Exilanten zurückgekehrt waren oder Arbeit in der Schweiz gefunden hatten.[16] In Stuttgart richtete der Volksverein ein zentrales Unterstüt-zungskomitee ein, das die Spendenverteilung organisierte und regelmäßig Spendenverzeichnisse veröffentlichte.
Die zunehmende politische Restauration 1849 und die Strafverfolgung der Reichsverfassungskämpfer wirkte sich auch auf die Frauenvereine aus. Lotterien von Frauen wurden verboten bzw. wurde die behördliche Genehmigung dazu verweigert. So wies die Ludwigsburger Kreisregierung Anfang August ein Gesuch von Heilbronner Frauen ab, die mit ihrer Lotterie Flüchtlinge in der Schweiz unterstützen wollten (Beob 9.8.49). Diese legten zwar Beschwerde ein, erhielten aber eine Bestätigung des Verbots mit der Begründung, daß »sich unter den politischen Flüchtlingen offenkundig Verbrecher befinden, deren Unterstützung die Regierung nicht fördern darf«.[17] Die Heilbronnerinnen unterliefen jedoch die behördlichen Einschränkungen. Ende September, noch bevor ihnen der endgültige ablehnende Beschluß des Ministeriums vorlag, gaben sie in der Zeitung bekannt, daß sie die für die Lotterie gesammelten Gegenstände auf dem Volksfest direkt, »in öffentlicher Bude«, verkaufen wollten. Der Erlös allerdings fiel bei diesem Direktverkauf wesentlich niedriger aus und betrug nur 112fl 45kr (Beob 5.10.49), während die Heilbronnerinnen für die Lotterie ursprünglich 200fl Gewinn angesetzt hatten. Auch den Tübinger (Beob 20.9.49) und Stuttgarter Frauen[18] wurde die Veranstaltung einer Lotterie im September 1849 untersagt. Im Unterschied zu den Heilbronnerinnen fanden sie aber keine Möglichkeit, das Verbot zu umgehen.
»Freundinnen politischer Märtyrer«[19]
Der Stuttgarter Frauenverein zur Unterstützung deutscher Flüchtlinge
Das politische Selbstverständnis, mit dem die Frauen ihre Hilfsaktionen begründeten, wird besonders deutlich in den Aufrufen des Stuttgarter Frauenvereins:
»Tief erregt von dem Unglück der deutschen Flüchtlinge hat sich eine Anzahl Frauen und Jungfrauen von hier (Stuttgart; d.V.) vereinigt, um, so weit in ihren Kräften steht, zur Milderung der Not dieser Armen beizutragen. Unterzeichnete laden nun alle Frauen und Jungfrauen, welche sie in diesem Vorhaben zu unterstützen geneigt sind, zu einer allgemeinen Besprechung am Dienstag, den 30. Oktober nachmittags 1 Uhr in den gelben Saale des Bürgermuseums ein.« (Beob 30.10.49)
So lautete die Einladung, die sechs Stuttgarter Bürgerinnen im »Beobachter« veröffentlichten. Bei der folgenden Besprechung gründeten sie einen »Verein von Frauen und Jungfrauen zur Unterstützung der deutschen Flüchtlinge«, dem ein Komitee von 14 Frauen vorstand. Außerdem versuchten sie in einem Aufruf, der in mehreren Zeitungen und Lokalblättern erschien, Frauen über die Parteigrenzen hinweg für ihre Sache zu gewinnen. Im Namen der Flüchtlinge baten sie
»alle Frauen und Jungfrauen, hier und auswärts, in Städten und Dörfern,... sich an dem Liebeswerk zu betheiligen. Wir wenden uns an keine Parthei; wir wollen nicht Richterinnen sein in den ernsten Kämpfen der Zeit; politische Sympathien und Antipathien mögen schweigen, wo das Unglück weint; vereinigen wir uns vielmehr Alle in dem schönen Berufe unseres Geschlechtes, der Armuth und der Noth versöhnend und rettend zur Hilfe zu eilen. Jede Gabe, auch die kleinste, werden wir dankbar entgegennehmen und über ihre Verwendung öffentliche Rechenschaft ablegen... Wo so vielfacher Mangel zu decken ist, entehrt uns unnöthiger Schmuck mehr als er uns schmückt, und ist doppelter Fleiß unsere Pflicht. Frauen und Jungfrauen im Schwabenlande, nah und fern, sorget mit uns, und bringet herzu, was ihr habt und was ihr entbehren könnet.« (Beob 3.11.49)
Die unterzeichnenden 14 Frauen erklärten sich bereit, die Spenden anzunehmen. »Jede Gabe, auch in Naturalien bestehend«, war ihnen willkommen (Beob 16.11.49). Die Gegenstände wurden über einen Laden weiterverkauft. In den Zeitungen erschienen regelmäßig Verzeichnisse der eingegangenen Spenden. Schon nach der zweiten von insgesamt sechs Listen meldeten die Frauen,
»daß eine Kiste mit Kleidungsstücken und Weißzeug nebst einer baaren Summe von 350fl bereits (in die Schweiz; d.V.) abgesendet worden ist. Den menschenfreundlichen Gebern, welche, um die große Noth der Flüchtlinge zu erleichtern, so reichliche Gaben gespendet, sagen wir unseren herzlichsten Dank. Mit denselben Gesinnungen werden wir fernere Gaben, um welche wir bitten, empfangen und an die Heimathlosen befördern.« (Beob 2.12.49)
Drei Monate lang war der Frauenverein aktiv, von Ende Oktober 1849 bis Januar 1850. Die Frauen leiteten die Spenden, die aus allen Teilen Württembergs hauptsächlich von Einzelpersonen eingingen oder aus größeren städtischen Sammlungen in Nürtingen, Kirchberg und Wimpfen stammten, in die Schweiz und nach Frankreich20 weiter. Die Einnahmen der Frauen waren nicht unbedeutend. Außer kleinen Geldbeiträgen gingen große Mengen Männerkleidung ein. Schmuck und Haushaltswaren wurden in Geld umgesetzt. Frauen bildeten so das finanzielle Rückgrat der Flüchtlingskomitees.
Im weiteren Verlauf des Winters 1850 ließ die Unterstützungstätigkeit dieses Frauenvereins wie auch vieler anderer Vereine nach, obwohl die Flüchtlingszahlen nur langsam zurückgingen. »Noch ist kein Jahr verflossen«, schrieb das zentrale Flüchtlings-Unterstützungskomitee in Frankfurt Mitte Mai 1850,
»daß unsere Brüder, welche den Kampf gegen den hereinbrechenden Absolutismus bestanden, im Exil seufzen - und schon versiegen die Unterstützungen, welche das Volk seinen Mitbrüdern, seinen Kämpfern schuldet!... Das Volk glaubte vielleicht, die Zahl der Flüchtlinge sei so verringert, daß es keiner Unterstützung mehr bedürfe. Aber das ist irrig. In der Schweiz befinden sich noch 1125 Flüchdinge, die fast alle der Unterstützung bedürfen, weil sie nur selten Gelegenheit haben, Arbeit zu bekommen ... Darum helft, ihr deutschen Männer und Frauen! Ihr, die ihr seither wacker gesteuert habt, ermüdet nicht!« (Beob 18.5.50)
Das Stuttgarter Hilfskomitee rief zu organisiertem Handeln auf: »Das erste Erfordernis ist, daß sich Männer und Frauen finden, welche sich der regelmäßigen Einsammlung unterziehen...« (Beob 13.7.50). Gerade weil 1850 der Spendenfluß erlahmte, bedurfte es kontinuierlicher Unterstützungsmaßnahmen. Die Eßlinger Demokratinnen entschlossen sich deshalb im Oktober 1850, erneut einen Verein zu bilden, nachdem die in der Revolutionszeit gegründeten Frauenvereine ihre Arbeit zeitweilig eingestellt hatten.
»An freie, gleichgesinnte Frauen und Jungfrauen! Vielfache Erfahrung, meine theu-ern Schwestern, veranlaßt mich, einen Aufruf an Euch ergehen zu lassen, zur Bildung eines demokratischen Unterstützungs-Vereins... Wir wollen... die Schwankenden aufrichten, die Kämpfenden ermuthigen, die Gefangenen und Bedrängten unterstützen, wie es die Pflicht der Liebe und der allgemeinen Verbrüderung fordert, welche alle wahrhaft freigesinnten Herzen anerkennen müssen.« (ESP 19.10.50)
Der Eßlinger Verein war einer der letzten Frauenvereine, der sich in der Reaktionszeit offen zur demokratischen Gesinnung seiner Mitglieder bekannte, was auch damit zu tun hatte, daß die Fraueninitiative in Eßlingen von einer starken demokratischen Bewegung getragen wurde.[21]
»Gaben der Liebe und des Mitgefühls«[22]
Frauen sammeln für den Krieg in Schleswig-Holstein 1849/50
Das Scheitern der Reichsverfassungskämpfe und die Konzentration auf die Unterstützung der politischen Flüchtlinge bedeutete nicht, daß Frauen sich in den Jahren 1849 und 1850 vom politischen Geschehen zurückgezogen oder ihr nationales Engagement eingestellt hätten. Kurz bevor die Auseinandersetzung um die Reichsverfassung ihren Höhepunkt erreicht hatte, begann ein zweiter Krieg in Schleswig, an dem sich neben den Bundestruppen auch Freikorps der Demokraten beteiligten. Im März 1849 hatten die Dänen den Malmöer Waffenstillstand aufgekündigt und erneut ihre Gebietsansprüche gegenüber den Herzogtümern Schleswig und Holstein geltend gemacht. Am 2. April 1849 kam es zur Kriegserklärung. Trotz der inneren politischen Konflikte um den Fortbestand von Reichsverfassung und Revolution sahen viele Demokraten in diesem kriegerischen Konflikt eine konkrete Möglichkeit, für die deutsche Einheit zu kämpfen. Schleswig-Holstein wurde zum Kristallisationspunkt einer eigentlich schon gescheiterten nationalen Hoffnung. Auch die Württembergerinnen nahmen in diesem nationalen Konflikt Partei, und ihre Anteilnahme ging sogar soweit, daß »mehrere Frauen und Jungfrauen« aus Stuttgart planten, »ein Regiment zu bilden, um fürs Vaterland zu kämpfen und zu streiten« (NT 27.4.49). Ob sich dieses weibliche Regiment gebildet hat, und ob sich Frauen auf diesen Aufruf im »Neuen Tagblatt« hin gemeldet hatten, läßt sich nicht rekonstruieren. Daß Frauen an militärischen Auseinandersetzungen teilnahmen, war in der deutschen Geschichte nicht unüblich. Schon in den Befreiungskriegen 1813/14 hatten Frauen im Lützowschen Freikorps mitgekämpft23. Der Stuttgarter Freikorpsaufruf von 1849 ist allerdings eine Ausnahme. In der Regel beschränkte sich die Tätigkeit der Württembergerinnen im deutsch-dänischen Krieg auf das Spenden von Geld und Verbandsmaterial. Ein erster Appell an Frauen »für die Verwundeten in Schleswig-Holstein Charpie herzustellen«, war am 2. Mai 1849 in württembergischen Zeitungen erschienen (ESP 2.5.49). Da im Frühsommer 1849 außer Freikorps auch Soldaten des 8. württembergischen Infanterie Regiments (Laterne 11.4.49) in Schleswig-Holstein kämpften, lag es nahe, daß sich die württembergischen Frauen um das Wohlergehen der Verwundeten sorgten.
Obwohl der Waffenstillstand vom 10. Juli 1849 den Krieg vorerst beendete, und Schleswig-Holstein von norwegischen/dänischen und preußischen Truppen besetzt wurde, flammten ein Jahr später die Kämpfe wieder auf, als Schleswig und Holstein mit dem Friedensvertrag vom 2. Juli 1850 an Dänemark übergeben werden sollten. Die Schleswig-Holsteiner wehrten sich gegen diesen von Preußen ausgehandelten Vertrag, und wieder unterstützten Freiwillige aus allen deutschen Ländern den Kampf um Selbständigkeit und Zugehörigkeit zum Deutschen Bund. Die militärischen Auseinandersetzungen dauerten bis in den Herbst 1850, als die Herzogtümer endgültig Dänemark eingegliedert wurden. Die Widerstandsbewegung im Sommer 1850 löste in Württemberg eine weitere Solidaritätswelle aus. Württembergische Patrioten unterstützten das »verlassene Land« mit Hilfsaktionen, an denen sich viele Frauen beteiligten. In Eßlingen appellierten die Demokratinnen an ihre »Schwestern«, sich für die »gerechte deutsche Sache« in Schleswig-Holstein zu »bethätigen«, da das Land
»durch den Frieden, welchen Preußen mit Dänemark geschlossen hat, gezwungen (ist), für sein uraltes, constitutionelles Recht das Schwert aufs Neue aus der Scheide zu ziehen... Die Unterzeichneten glauben, daß in solchen Fällen... das weibliche Geschlecht nicht zurück bleiben darf, nicht zurück bleiben will.« (ESP 20. 7.50)
Wie sich aus den zahlreichen Veröffentlichungen des zentralen Komitees in Stuttgart erkennen läßt, waren die Frauen in allen Teilen Württembergs den ganzen Sommer über mit Hilfsaktionen für Schleswig-Holstein beschäftigt. Außer Lotterien und Sammlungen wurden auch Konzerte »für die bedürftigen Landsleute im Norden« veranstaltet24. Für Schleswig-Holstein engagierten sich auch Frauen in solchen Städten, in denen bisher noch keine politischen Fraueninitiativen an die Öffentlichkeit getreten waren (Großsachsenheim, Biberach, Bietigheim, Neuenstein, Sulz, Öhringen und Heidenheim).
Anfang Oktober 1850 verbreitete die Presse den Brief zweier Schleswig-Holsteinerinnen, die die Folgen des Krieges am Beispiel ihrer eigenen Familie schilderten: Der älteste Sohn war gefallen, der zweite vermißt, der Mann der Tochter schwer verwundet. Mit diesem Schreiben »im Namen der schleswig-holsteinischen Mütter und Frauen« und der Darstellung des persönlichen Schicksals hofften die Schleswig-Holsteinerinnen, andere Frauen anzusprechen und Betroffenheit auszulösen. Sie formulierten zugleich einen Vorwurf an die Männer Deutschlands, deren passive Haltung sie kritisierten.
»Eure Väter, Männer, Söhne und Brüder sitzen ruhig zu Hause und sehen zu, wie unser Land vom Feinde des gemeinsamen Vaterlandes niedergetreten wird, sehen zu, wie man versucht, ein Stück von Deutschland abzureißen. So helft denn Ihr uns wenigstens, die Gefangenen trösten und die Verwundeten pflegen...
Deutsche Frauen und Mädchen! geht in Trauerkleidern von Thür zu Thür im Lande herum, sammelt Almosen im Namen Eures Vaterlandes für Eure Brüder und Schwestern in unserem Lande, die da leiden, >weil sie deutsch sind und deutsch bleiben wollen<. Klopfet an jedes Herz - und indem ihr christliches Frauenwerk thut, weckt Ihr vielleicht Eure Männer auf zu deutscher Mannesthat.« (Beob 16. und 27.10.50)
Dieser Aufruf stieß nicht nur bei den bestehenden Frauenvereinen auf große Resonanz, sondern veranlaßte auch Frauen in anderen württembergischen Städten für Schleswig-Holstein zu sammeln. Das »Mitleid mit Wittwen und Waisen« (Beob 27.11.49) ließ die Eßlingerinnen zum »samaritischen Werk« aufrufen, seien die Spenderinnen nun »absolutistisch oder republikanisch«:
»Auf! meine Schwestern, laßt uns in allen Orten groß und klein Vereine bilden zur Unterstützung der Familien, die durch das langwierige traurige Verhältniß in Schleswig-Holstein so schrecklich heimgesucht worden sind.« (Beob 27.10.50)
Auch die Stuttgarter Frauen versuchten, durch öffentliche Erklärungen die Unterstützungsbewegung für Schleswig-Holstein zu verbreiten.
»Tief ergriffen von dem Schicksale eines heldenmüthigen, für sein gutes Recht und für die deutsche Sache kämpfenden Volksstammes, wagen wir es, uns an die Frauen und Jungfrauen Schwabens zu wenden, mit der Bitte, durch Gaben der Liebe und des Mitgefühls sich zu bethätigen... Die Gaben sind für diejenigen bedürftigen Frauen bestimmt, welche durch den Krieg der Stütze und des Ernährers ihrer Familie beraubt sind...«. (Beob 31.10.50)
Der Erlös dieser Spendenaktionen kam im Unterschied zu den früheren Hilfsaktionen diesmal den vom Krieg betroffenen Frauen und Familien zugute. Über die Aufrufe in den Zeitungen entstand ein Dialog zwischen den Frauenvereinen in ganz Deutschland, die sich über die jeweils benötigten Hilfsgüter informierten. Beim neugegründeten Stuttgarter Frauenverein, in dem sich vor allem Frauen aus dem liberalen Milieu trafen, ging eine Meldung vom Hamburger Frauenverein ein, daß genügend Verbandszeug vorhanden sei, dagegen warme Kleidung, besonders Socken, fehlten. Der Stuttgarter Frauenverein beschloß deshalb, »seine Thä-tigkeit ganz diesen Artikeln zuzuwenden« (ESP 2.11.50). Zusammen mit dem Volksverein führten die Stuttgarter Frauen eine Haussammlung, eine Auktion von Schmucksachen und anderen Luxusgütern durch. Das zentrale Unterstützungskomitee meldete beachtliche Spendenbeträge von Frauen aus ganz Württemberg.
»Bringet herzu, was ihr habt und entbehren könnet.«[25]
Die Lotterie als politische Aktionsform
»Wenn die Männer Geld unterzeichnen, so haben wir in der Kunstfertigkeit unserer Hände, das Mittel, Geldeswerth zu schaffen. Welche deutsche Frau oder Jungfrau sollte nicht gern einige Freistunden anwenden, um für die Beförderung eines ebenso deutschen als humanen Zweckes zu arbeiten, ja welche sollte nicht gerne etwas von ihrem entbehrlichen Schmucke hingeben, und soviel in ihrer Kraft steht, zum Siege einer gerechten Sache beizutragen.« (ESP 20.7.50)
So und in ähnlicher Weise argumentierten Frauen während der Jahre 1848 bis 1850, wenn es darum ging, Geld oder Sachmittel für einen bestimmten politischen Zweck zu beschaffen. Waren Spendenaktionen und Lotterien im Vormärz vor allem im Bereich der Wohltätigkeit üblich, erhielten sie nun eine politische Zielsetzung; Frauen unterstützten politische Flüchtlinge und Freischärler. Neben den Einnahmen aus kulturellen Veranstaltungen wie Konzerten oder Festen bzw. öffentlichen Sammlungen waren Lotterien das häufigste und finanziell auch ertragreichste Mittel, Geld für die entsprechenden Zwecke aufzutreiben. Lotterien waren genehmigungspflichtig, da der Staat betrügerische Veranstaltungen verhindern wollte.[26]
Hatte sich eine Gruppe von Frauen gefunden, um eine Lotterie zu organisieren, kündigten sie Ziel und Zweck ihres Vorhabens in der Zeitung an und baten um später zu verlosende Sachspenden. Die eingegangenen Gegenstände wurden dann in einem öffentlichen Gebäude, gewöhnlich im Rathaus, im Oberamt oder im Bürgermuseum ausgestellt und solange die Ausstellung dauerte Lose verkauft, die später unter »polizeilicher Leitung« gezogen wurden (TC 28.7.48). Die Summe des Erlöses wurde publiziert, da ihre Größe zugleich als Indikator galt für politisches Interesse und den Umfang der Solidaritätsbewegung.
Im Unterschied zu sonstigen Sammelaktionen war die Relation von Geld und Warenwert bei Lotterien besonders günstig, und dies umso mehr, wenn attraktive Preise ausgesetzt waren. Da Frauen im allgemeinen über wenig Bargeld verfügten, bot ihnen die Form der Lotterie, zu der sie Handarbeiten geben konnten, eine Möglichkeit zu materieller Unterstützung der »deutschen Sache«. Die Frauen riefen deshalb ihre Geschlechtsgenossinnen dazu auf, durch die »Kunstfertigkeit (ihrer) Hände... Geldeswerth zu schaffen« (ESP 20.7.50). »Ein deutsches Mädchen« aus Heilbronn nahm die Sammlung für die Flotte zum Anlaß, in einem Brief an den Vaterländischen Verein anzufragen, ob auch Sachspenden möglich seien. Wenn Gaben wie ein »silberner Strickpfeil« willkommen seien, »so bedürfte es nur einer leisen Ermunterung von Ihrer Seite und Hunderte meiner schüchternen Schwestern würden mit Freude ihr Scherflein zum großen Zwecke bieten« (SK 1.6.48). »Bringet herzu, was ihr habt und entbehren könnet« (Beob 3.11.49), lautete die Standardformel der Aufrufe, um »zur Milderung der Not dieser Armen beizutragen« (Beob 30.10.49). In erster Linie waren Schmuckstücke, Haushaltsgegenstände und Luxusartikel gemeint. Entscheidend war bei Lotterie- und Sammlungsbeiträgen das »Opfer für das Vaterland«, für dessen Wohl die Frauen Verzicht leisten sollten. In dieser »sturmbewegten Zeit« (ESP 26.5.49), hieß es in den Appellen, »entehrt uns unnöthiger Schmuck mehr als er uns schmückt« (Beob 3.11.49). Den spendenden Frauen wurde die »begeisterte Achtung und Liebe aller freigesinnten Männer« versprochen (BvR 30.5.49). Ihnen wurde nahegelegt, ihr Luxusbedürfnis einzuschränken. Für viele Frauen hatte die Trennung von einem goldenen Ring, einem geerbten Stück, das sie sich vom Herz reißen mußten, eine große persönliche Bedeutung. Wichtig war neben dem tatsächlichen Geldwert der Spenden der symbolische Akt des Opferns, der als ein nationaler dargestellt wurde.
Die Art der Spenden hing im allgemeinen vom Zweck der Spendenaktion ab. Für die Verwundeten der verschiedenen kämpferischen Auseinandersetzungen gingen zahlreiche »Lazarethgegenstände« ein, darunter sehr viel Leinwand, die zur Herstellung von Charpie (Verbandsmull) benötigt wurde. Den politischen Flüchtlingen fehlte es hauptsächlich an Geld und Kleidung. Gespendet wurden für sie Beinkleider, wollene Unterleibchen, Sacktücher, Stiefel, Westen, Hemden, Hosenträger, Röcke, Kappen, aber auch Tuchhosen und seidene Halstücher. Den weitaus größten Posten in dieser Rubrik nahmen die Socken ein, die nicht so teuer waren und auch von Frauen selbst hergestellt werden konnten. Die 70 Frauen des Stuttgarter Frauenvereins für Schleswig-Holstein trafen sich 1850 jeden Montag nachmittag im »hiezu mit freundlicher Bereitwilligkeit eingeräumten blauen Saale des Museums« (SK 24.10.50), um eingegangene »Arbeitsstoffe« zu verarbeiten und gemeinsam zu stricken. Ein Reutlinger Mädchenverein sendete 230fl und 46 Paar Socken an das Kieler Frauenkomitee (Beob 18.12.50). Andere Artikel wie »Cigarren, Pfeifen, Schreibzeug oder Tintenzeug« konnten direkt an die Flüchtlinge weitergesendet werden. Alle anderen »Gaben«, die 1849 beim Stuttgarter Frauenverein eingegangen waren, wurden zum Weiterverkauf im »Verkaufslokal, im Blumenladen des Herrn Schickler« angeboten (Beob 16.11.49). Seine Tochter, Frau C. Böhm, war Mitglied des Frauenvereins. Neben Kinderkleidern und Schmuck wie »ein goldenes Kreuz, goldene Ohrringe, Perlocken, Vorstecknadeln« waren im Geschäft wertvolle Haushaltsgegenstände, Gebrauchsgüter sowie Handarbeiten von Frauen zu haben: »Eine kleine Standuhr, Sophakissen, Teeser-vice'chen, Bügeleisen, Blumenlampe, Handleuchter, silberne Zuckerklammer, Salzbüchschen, Trinkhorn etc.«, des weiteren »eine Damentasche, ein Flacon, Portemonnaie, köln. Wasser, 1 Körbchen wohlriechender Seife«. Außer Handarbeiten wie »ein gestickter Gewehrriemen, 1 gestickte Mappe, gehäkelte Einsätze, 1 gesticktes Sacktuch« wurden auch »Nähetuis, Nadelkissen, Faden und silberne Fingerhüte« verkauft, - vielleicht um andere Frauen zum Handarbeiten anzuregen. Erworben wurden die Gegenstände von >besser gestellten< Frauen und Männern, die es vorzogen, durch den Kauf dieser Spenden ihren Beitrag zu leisten. Die Waren mußten deshalb einen gewissen Gebrauchswert haben.
Geldbeiträge erhielten die Frauen des Stuttgarter Frauenvereins vor allem von einzelnen Frauen, wobei sich die Höhe der Summe nach deren ökonomischen Möglichkeiten richtete. Die einen spendeten wenige Kreuzer, andere mehrere Gulden. Die meisten beschränkten sich auf Sachspenden wie ein Paar Socken oder wie eine Schuhmachersfrau auf »1 Paar Stiefel« (Beob 24.8.49), andere stellten eine ganze Garnitur Männerkleidung zur Verfügung: »Frau Procurator Seh. 4 Hemden, 4 Paar Socken, 1 Paar Schuhe und 9fl« (Beob 28.11.49). Eine andere Spendenmeldung im »Beobachter« lautete: »Frl. L. und PH. lfl, Erlös einer Arbeit von Frl. H. und B.H. lOfl, Frl. C. Hofacker 2 Pr. wollene Socken« (Beob 2.12.49). Obwohl in den Aufrufen immer wieder betont wurde, daß die Frauen durch ihrer Hände Arbeit zur Lotterie beitragen sollten, zeigt ein genauer Blick auf die Spendenlisten, daß Geld und Gegenstände des alltäglichen Gebrauchs die Handarbeiten bei weitem überwogen, was sicherlich mit der sozialen Herkunft der Frauen zu tun hatte. Schwierigkeit bereitet die Identifizierung der spendenden Frauen; meistens zeichneten sie nur mit einem Kürzel. Anläßlich einer Spendenaktion für die »Schwäbische Legion« 1849 (einer Einheit württembergischer Reichsverfassungskämpfer) wagten immerhin 12 von 17 Spenderinnen nicht, ihren Namen anzugeben und verwendeten stattdessen die allgemeine Formulierung »von einer Frau«. Diese politische Zurückhaltung der Frauen als ein Indiz für die Verschärfung des politischen Klimas zu werten, ist so sicher nicht falsch. Nur wenige Frauen, unter ihnen die ohnehin bekannten Demokratinnen oder die Frauen des Stuttgarter Frauenvereins, lösten diese Anonymität auf und unterzeichneten die Aufrufe mit vollem Namen. Soweit sich aus Namen Rückschlüsse auf die Schichtzugehörigkeit ziehen lassen, handelt es sich in Stuttgart vor allem um Frauen aus dem Wirtschafts- und Bildungsbürgertum, Ehefrauen und Töchter von Professoren, Beamten, Handwerksmeistern und Kaufleuten.
Die Aktivitäten der Frauen brachten beträchtliche Geldbeiträge für die jeweils »Bedürftigen« zusammen, wobei es eine Frage der politischen Mehrheitsfähigkeit war, daß die Sammlungen für die Kriegsflotte und für Schleswig-Holstein einen breiteren Spenderinnenkreis fanden als die für die politischen Flüchtlinge. Um den Spenderinnenkreis über den Kreis der demokratischen Bewegung hinaus auszuweiten, auch um die Behörden zu beruhigen, betonten die Unterstützerinnen der badischen Reichsverfassungskämpfer bewußt den wohltätigen Charakter dieser Sammlungen und versuchten, mit eindringlichen Schilderungen der notleidenden Exilanten Mitleid zu erregen. Indem Frauenvereine sich hauptsächlich auf das Lindern von Not und auf Spenden konzentrierten, besaß weibliche Politik zugleich den Charakter der Wohltätigkeit,[27] die >Liebesgaben< waren Dienst am (politischen) Nächsten.
Frauen und Öffentlichkeit.
Möglichkeiten und Grenzen politischer Partizipation
im Vormärz und in der Revolution 1848/1849
»Und drinnen waltet die züchtige Hausfrau«, mit diesem Schillerleitwort wuchs in der Zeit des Vormärz eine ganze Frauengeneration auf.[1] Doch nicht nur der Lieblingsdichter der württembergischen Liberalen[2] wies die Frauen ins Haus, ebenso taten es die Philosophie und Rechtslehre der damaligen Zeit.[3] Im großen Brockhaus hieß es: »... das Weib ist auf einen kleinen Kreis beschränkt... Der Mann muß erwerben, das Weib sucht zu erhalten; ... Jener gehört dem geräuschvollen öffentlichen Leben, dieses dem stillen häuslichen Cirkel an«[4] Ähnliche Positionen vertrat auch das 1835 erschienene »Conversations Lexikon« für »Damen.[5] Diese Aufteilung der Welt in Haus und Öffentlichkeit, »drinnen und draußen« entsprach dem Erleben der bürgerlichen Frauen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Schriftstellerinnen der Revolutionszeit, wie z.B. Claire von Glümer, thematisierten immer wieder diese Begrenzung des weiblichen Horizonts. Angesprochen auf politische Fragen der Zeit, sagt Glümers Heldin in einem Roman über das Jahr 1848: »...ich spinne mich oft so ein in mein kleines Leben, daß ich für das Weite, Große keinen Blick und kein Empfinden habe.«[6]
Die häusliche Welt der Frauen erschien als Gegensatz zum öffentlichen Leben der Männer, wobei Öffentlichkeit sowohl den Bereich der gesellschaftlichen Produktion und des Austausches wie auch Meinungsbildung und Politik umfaßte. Öffentlichkeit erschien als die Verkehrsform bürgerlich-kapitalistischer Produzenten, deren Interessen sich über den Markt vermittelten und deren Interessen wiederum aufgehoben waren in dem vom Staat als öffentlicher Gewalt vertretenen Allgemeininteresse.[7] Obwohl dieses im Zuge der Naturrechtslehre entstandene theoretische Konzept weiblicher und männlicher Sphären und deren Korrespondenz mit entsprechenden polar definierten »Geschlechtscharakteren« (Hausen) sich fraglos auf die Lebenswirklichkeit der Geschlechter im 19. Jahrhundert auswirkte, stellt sich bei näherer Betrachtung männlicher und weiblicher Lebensräume der Gegensatz von »Haus« und »Öffentlichkeit« in einem andern Licht dar. Wird Öffentlichkeit nicht nur über Teilhabe an der gesellschaftlichen (kapitalistischen) Produktion, Markt und Staat definiert, sondern -in der stärkeren Betonung des kommunikativen Aspekts - als Raum sozialer Beziehungen, in der sich in der symbolischen Interaktion einzelner Personen und Gruppen die Gesellschaft als Ganzes darstellt, so zeigen sich wesentliche Wechselwirkungen zwischen diesen beiden gesellschaftlichen Räumen. Hinzu kommt, daß trotz der allgemeinen Verbreitung der Idee von der häuslichen Bestimmung der Frau diese Vorstellung in der gesellschaftlichen Praxis, im Handeln einzelner sozialer Gruppen zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen führte.
Inwieweit Ideologie und gesellschaftliches Verhalten möglicherweise auseinanderklafften und wie sich diese Vorstellungen in verschiedenen Bereichen des Alltagslebens auswirkten, ist in der Sozial- und Frauengeschichte bisher nicht genügend erforscht worden. Die von Karin Hausen aufgezeigten geistesgeschichtlichen Entwicklungslinien und die daran sichtbaren Parallelen zum ökonomischen Strukturwandel der bürgerlichen Gesellschaft, zur »Dissoziation von Erwerbs-und Familienleben«, wurden in der Rezeption vielfach simplifiziert und als unumstößliche Tatsache behandelt statt als Fragestellung für weitergehende Forschungen. Allzuschnell wurden Ideologie und gesellschaftliche Realität gleichgesetzt.[8] Es entstand dadurch eine Perspektive auf das 19. Jahrhundert, in dem dieses als eine Zeit erscheint, in der bürgerliche Frauen zunehmend ins Haus verbannt wurden, während sie gleichzeitig durch den Strukturwandel des bürgerlichen Haushalts an produktiver Kompetenz verloren und zum »schönen Eigentum« des Mannes wurden.[9] Der Blick der Frauenforschung blieb damit fixiert auf das Haus, der Wandel der Öffentlichkeitsstrukturen wurde nicht wahrgenommen, ebensowenig die Rolle der Frau in dieser Entwicklung. Die bisherige Frauenforschung orientierte sich - und dies ist auf dem Hintergrund ihrer Geschichte nur logisch - an einem Öffentlichkeitsbegriff, der angesichts der Rechtlosigkeit von Frauen Öffentlichkeit als »die freie, gleiche Teilhabe an der Welt ohne Einschränkungen«[10] verstand. Dieser politisch-emanzipative Begriff der Öffentlichkeit (der interessanterweise dem bürgerlichen Kampfbegriff der Öffentlichkeit im 19.Jahrhundert sehr nahe kommt), führte allerdings zu einer historischen Perspektive, die Forschungen über den weiblichen Lebenszusammenhang im 19. Jahrhundert blockieren mußte, denn das Problem der Öffentlichkeit schien durch die Verweisung der Frauen aufs Haus und die nicht vorhandenen Entscheidungskompetenzen im ökonomischen und politischen Bereich erledigt.
Damit entstand ein »Interpretationsmodell der zunehmenden Frauenunterdrückung im 19. Jahrhundert«,[11] das in seiner Monolinearität[12] Widersprüche und wesentliche Momente des Wandels, Veränderungen in der Situation und im Verhalten der Frauen oder kollektive Prozesse nicht erfassen konnte. Übersehen wurde so z.B., daß viele der Diskussionen über die häusliche Bestimmung der Frau nach der Revolution 1848/49 bereits Verteidigungsgefechte (Kap. ULI) waren, eine Reaktion der Männer auf das sukzessive Vordringen der Frauen auf dem Terrain der bürgerlichen Öffentlichkeit. Forschungen über Frauen in der Revolution 1848 zeigen so, daß eine starre Dichotomie zwischen privat und öffentlich den real bestehenden Wechselbeziehungen zwischen beiden Sphären nicht gerecht wird.
Die in der Frauenforschung gängige These, daß »bürgerliche Öffentlichkeit Frauen ausschloß"13, läßt sich im Hinblick auf die Zeit des Vormärz und der Revolution 1848/1849 in dieser absoluten Form nicht halten.
Frauen im bürgerlich-liberalen Vereinsleben des Vormärz
Bereits im Vormärz hatten Frauen Zutritt zu bestimmten Formen bürgerlicher Öffentlichkeit. Dies galt vor allem für den Bereich der Geselligkeit, in der Bürger und Bürgerinnen den Umgang mit ihresgleichen suchten. Das »Damen Conversa-tions Lexikon« von 1835 bezeichnete die »Gesellschaft« als »verbindendes Element zwischen Haus und Öffentlichkeit...; sie ward, wie Ersteres, vorzugsweise der Wirkungskreis der Frauen«.[14] In der »Gesellschaft«, d.h. im bürgerlichen Salon oder bei festlichen Einladungen standen Frauen als Gastgeberinnen häufig im Mittelpunkt der geselligen Zusammenkünfte. Im provinziellen Württemberg mit seinem protestantisch sparsam und bescheidenen Bürgertum gab es zwar nur wenige Familien, die ein offenes Haus führten und großbürgerliche Geselligkeitsformen pflegten;[15] doch ein Ersatz für das fehlende gesellschaftliche Leben war durch die Geselligkeit im Verein gegeben, die zudem den Einzelhaushalt von repräsentativen Verpflichtungen und Kosten entlastete.
Mit den nach der Jahrhundertwende gegründeten »Museums- und Kasinogesellschaften«[16] entstand ein öffentlicher Raum, in dem sich bürgerliches Privatleben organisierte. Zu den tabakumwölkten Männerrunden der frühen bürgerlichen Vereine des 18. Jahrhunderts, den sogenannten Lesegesellschaften,[17] hatten Frauen keinen Zutritt gehabt. In diesen Gesellschaften und Lesezirkeln, die vor allem aufklärerische, soziale und wirtschaftspädagogische Bestrebungen verfolgten, formierte sich erstmals eine literarische Öffentlichkeit in Gestalt eines diskutierenden bürgerlichen »Publikums«.[18] In den Museen und Geselligkeitsvereinen des 19. Jahrhunderts dagegen konnten Frauen Mitglied werden. In der 1807 gegründeten Stuttgarter Museumsgesellschaft waren nicht nur die weiblichen Angehörigen der männlichen Mitglieder bei Veranstaltungen zugelassen, sondern konnten auch »Witwen und andere selbständige Frauenspersonen« dem Verein beitreten.[19] Der Ulmer »Kasino-Gesellschaft zum Goldenen Hirsch« gehörten 1838 immerhin 4 Witwen bzw. selbständige Fräulein an.[20] Die Integration der Frauen in das Vereinsleben ergab sich aus der Zielsetzung der Unterhaltungsvereine. Die Museumsgesellschaften des frühen 19. Jahrhunderts unterhielten zwar noch Lesezirkel und Bibliotheken, sie wollten aber neben der politischen Information auch literarische und musikalische Unterhaltung bieten. In ihnen waren die »privaten Interessen« sehr viel stärker integriert als vorher. Gleichzeitig verbreiterte sich die kulturelle Praxis und es bildete sich ein völlig neuer Lebensstil heraus.
Gerade weil diese Vereine sich vordergründig als Verbindungen zur zweckfreien Geselligkeit verstanden, konnte sich in ihnen ein Forum bürgerlicher Öffentlichkeit und Kultur entwickeln. Dies war umso wichtiger, als die Bildung politischer Vereine seit 1819 und nach einer kurzen Liberalisierungsphase 1830/1831 dann wieder im Jahr 1832 verboten worden war21. Indem sie »bürgerliche Kommunikation« organisierten, waren die Museumsgesellschaften und mehr noch die Bürgergesellschaften der 30er und 40er Jahre für die Vereinheitlichung bürgerlicher Interessen von eminenter Bedeutung. Vor allem die liberale Bewegung bediente sich nach der Julirevolution 1830 dieses Mittels des geselligen Umgangs. In den Statuten der danach gegründeten liberalen »Bürgergesellschaften«, die zugleich Wahlvereine der Liberalen waren, standen sowohl »gesellige Unterhaltung« als auch Diskussion »vaterländischer Angelegenheiten« auf dem Programm (EWA 31.8.31). Diese Gesellschaften engagierten sich bei Landtagswahlkämpfen wie auch im kommunalpolitischen Bereich. Politik und Geselligkeit gingen in ihnen fließend ineinander über22.
Die Bürgergesellschaften organisierten neben den künstlerischen und bildenden Veranstaltungen regelmäßig Abendunterhaltungen, Tanztees und Bälle, »um auch« - so die Reutlinger Bürgergesellschaft- »den Frauen und Töchtern der Mitglieder, welche bis jetzt lediglich keinen Genuß von dieser Gesellschaft hatten, wenn sie die circulierenden Unterhaltungsblätter nicht lesen, eine Freude zu machen.« (RMC 29.2.48) Für bürgerliche Kreise waren die Festivitäten der Museumsgesellschaften und Unterhaltungsvereine oft die einzige Möglichkeit, sich standesgemäß zu vergnügen, weshalb diese Organisationen indirekt als Heiratsmarkt für die Töchter und Söhne des lokalen Bürgertums fungierten. Indem die ganze Familie in das gesellige Leben mit einbezogen war, entstand ein dichtes soziales Netz und ein Zusammenhalt bürgerlicher Eliten, der diese wiederum politisch handlungsfähig machte. Bürgerliche Öffentlichkeit hatte also eine private Seite, die durchaus konstitutiv war für den politischen Formierungsprozeß des Bürgertums. Für das politische Verhalten von Frauen (s.u.) war dabei entscheidend, daß diese durch die Vereine regelmäßig mit Politik in Berührung kamen oder wenigstens auf der Ebene der Geselligkeit in politische Zusammenhänge integriert waren. Es waren die Museen schließlich, die den Frauen 1848-1850 Räume für ihre Vereinsversammlungen und Aktivitäten zur Verfügung stellten (Kap. IV.3).
Außer dieser passiven Form der Partizipation am Vereinsleben gab es auch eigenständige Initiativen von Frauen, die den Verein als Solidarorganisation für ihre eigenen Bedürfnisse benutzten. In den 1840er Jahren - der großen Zeit der Versicherungsvereine[23] und wirtschaftlichen Zusammenschlüsse - gründeten Frauen in einzelnen Städten sogenannte »Wöchnerinnenvereine«. Genau besehen waren dies private Unterstützungs- und Hilfsvereine, in denen die Frauen sich durch regelmäßige Beiträge gegenseitig die Kindbettauslagen sowie die Kosten für Hebamme, Arzt oder Medikamente finanzierten und für die wirtschaftliche Absicherung der Wöchnerinnen sorgten. Vereint war es möglich, die Kosten zahlreicher Geburten zu reduzieren und die Haushaltskasse zu entlasten. Es waren vor allem Frauen des handwerklichen Mittelstands - also einer Schicht, die bereits Organisationserfahrung hatte - die diese Vereine ins Leben riefen.[24] Die Vereine legten an ihre Mitglieder strenge moralische Maßstäbe an, bedingt auch durch die obrigkeitliche Überwachung: Ledige Mütter, die die Unterstützung am nötigsten gehabt hätten, durften nicht aufgenommen werden.
Neben diesen vereinsmäßigen Verbindungen gab es informelle Zusammenschlüsse von Frauen, in denen sich eine eigene (bürgerliche) Frauenöffentlichkeit konstituierte. Dies waren die sogenannten »Kränzchen«, meist Freundschaftszirkel, in denen sich Frauen nachmittags zu Tee, Kaffee und Likör trafen. Die »Kränzchen« waren sozusagen die Kleinstform geselliger Zusammenkünfte, wobei diese Form der Gruppe entgegen dem heutigen Verständnis nicht nur von Frauen gepflegt wurde. Auch die Stuttgarter Bürgerwehr unterhielt z.B. 1848 ein »Mittwochskränzchen, wozu Wehrmänner aller Waffen und von jeder politischen Farbe Zutritt« hatten (Sonne 4.10.48), dieses fand allerdings abends statt. Zum Teil waren solche Gruppen fest institutionalisiert und gingen über den engeren Freundinnenkreis hinaus wie z.B. die Nürtinger »Frauengesellschaft in der Neckarsteig oberhalb der Brücke«. Diese Frauenrunde, über die sonst nichts weiter bekannt ist, war entweder so groß oder so heterogen zusammengesetzt, daß »eine Freundin« in der Zeitung annoncieren mußte, daß die Gesellschaft wieder »ihren Anfang genommen« hatte und sich »den ganzen Sommer über bei schönem Wetter« treffen würde (NWB 6.5.48).
»Wein, Weib und Gesang«
Frauen in Liederkränzen und in der vormärzlichen Festkultur
»Wein, Weib und Gesang - nirgends findet man dieses lutherische Kleeblatt besser vereinigt, als bei uns in Stuttgart und im ganzen Schwabenland«, schrieb 1839 ein Besucher der Stuttgarter Schillerfeier, noch ganz beeindruckt von den »Frauenzimmer-Liederkränzen, die sich als Filialkränze hier bildeten«[25] Daß Frauen im Vormärz eigene Gesangvereine unterhielten oder aktive Mitglieder in den bestehenden Liederkränzen waren, ist von der Forschung bisher nicht wahrgenommen worden.[26] Angesichts der Gründungsgeschichte vieler Vereine und ihrer Selbstdarstellung als »edler Männerbund«[27] galten die Liederkränze als rein männliche Organisationen. In den Statuten der 1845 gegründeten »Gesellschaft Harmonie«
in Stuttgart hieß es dementsprechend: »... wo Männer sich gefunden, zu innigem Verein, durch Ordnung gebunden, dem Frohsinn sich zu weih'n«.[28] Bis Anfang der 30er Jahre durften in den meisten Liederkränzen Frauen nur als Gäste zuhören,[29] wobei die Liederkranzvorstände darauf bedacht waren, daß »keine Frauenzimmer eingeführt werden, welche vermöge ihres Standes und Rufs die Ehre der Gesellschaft beeinträchtigen würden.«[30] In der Regel waren deshalb die Einladungen nur auf die weiblichen Angehörigen der Mitglieder beschränkt.
Es waren vor allem die stark liberal geprägten Liederkränze, die auch Frauen aufnahmen. Schon bei der Gründung des Stuttgarter Liederkranzes, des ersten württembergischen Gesangvereins, im Sommer 1824 war der Gedanke aufgetaucht, weibliche Mitglieder aufzunehmen. Da sich die Liederkränze zum Zweck gesetzt hatten, den schlichten einstimmigen Volksgesang »zu veredeln«[31] und den mehrstimmigen Gesang zu üben, lag es nahe, Frauenstimmen miteinzubeziehen, denn ohne sie fiel es schwer, mehrstimmige Chorwerke aufzuführen. Im 1823 gegründeten kirchlichen Oratorienverein in Stuttgart sangen deshalb z.B. Frauen von Anfang an mit.[32]
Ein Hindernis für den Eintritt der Frauen in weltliche Gesangvereine war die »Sittlichkeit< bzw. der Widerspruch zwischen den von Frauen verlangten Verhaltensweisen und den von den Gesangvereinen gepflegten männlichen Geselligkeitsformen. Die Proben der Gesangvereine fanden in Gastwirtschaften statt und endeten meist mit weinseligen Trinkrunden. Frauen jedoch konnten abends nicht allein oder in Begleitung fremder Männer in ein Wirtshaus gehen, dies umso weniger, als viele der Sängerinnen noch ledig waren und von daher besonders auf ihren Ruf bedacht sein mußten. Ein Gründungsmitglied des Stuttgarter Liederkranzes vertrat deshalb die Ansicht, daß bei einem anderen Probenlokal »auch Frauen Antheil nehmen« könnten und befürchtete ganz allgemein, daß es Leute gäbe, »die es in solcher Anzahl im Wirthshaus zu sein anstößig finden möchten«.[33]
Das Problem der Probenräume ist kennzeichnend für die Geschichte der Frau-enliederkränze. Der Stuttgarter Frauenliederkranz traf sich deshalb zu den Proben abends im Rathaus oder sang im Saal des Bürgermuseums, und der Tübinger Liederkranz verlegte, um keinen Anstoß zu bieten, die Frauenchorproben in die Wohnung des Musikdirektors34. Dadurch, daß Frauen in den Liederkränzen allein und im Unterschied zu den Bürgergesellschaften ohne männliche Begleitung oder familiären Zusammenhang auftraten und zudem noch mit fremden Männern zusammentrafen, mußten sie zwangsläufig in Konflikt geraten mit den weiblichen Verhaltensnormen der damaligen Zeit. Die Mitarbeit von Frauen in den Liederkränzen, selbst wenn sie sich nur auf gelegentliche gemeinsame Auftritte und Aufführungen beschränkte, war so im Hinblick auf die bestehenden Umgangsformen zwischen den Geschlechtern geradezu revolutionär. Frauen taten dasselbe wie Männer und dies öffentlich und in geselligem Rahmen. Ein Verein wie der 1829 gegründete Murrhardter Liederkranz, dem neben 8 Ehrenmitgliedern 13 junge Frauen und 14 junge Männer angehörten, besaß mit seiner Geschlechterparität fast den Charakter einer >alternativen Jugendkultur<. Wenn sich die Murrhardter Sängerinnen und Sänger dann noch abends zu gemeinsamen Proben im Wirtshaus trafen, mußte dies den Ärger der anständigen Bürger erregen. Da sich der Vereinsvorstand (u.a. der Schlossermeister und Nationalversammlungsabgeordnete Nägele) offen zum Liberalismus bekannte, war dieser Verein Zielscheibe konservativer Kritik. Diese witterte (mit Recht) nicht nur >Revolutionsideen<, sondern sah in der neuen Form der Geselligkeit »eine Trinkgesellschaft und die Gelegenheit zum Geldverputzen«[35]
Im Unterschied zum gemischten Murrhardter Verein entstand der erste württembergische Frauenliederkranz in Stuttgart aus einem ganz anderen Milieu heraus. Der Verein verdankte seine Gründung privaten Beziehungen und vor allem der Initiative von Emilie Zumsteeg, die den Frauenchor dirigierte. Zumsteegs Bruder war Mitbegründer des Stuttgarter Männer-Liederkranzes, sie selbst unterrichtete als Musiklehrerin am Katharinenstift. Beide Geschwister kamen aus einer Musikerfamilie, der Vater war ein damals bekannter Komponist und Kapellmeister, und auch Emilie Zumsteeg selbst komponierte Chormusik.[36] Durch ihre Lehrtätigkeit am Katharinenstift zog der Chor viele Frauen aus dem gehobenen Stuttgarter Bürgertum an (Kap. III.2). Im Frauenchor traf sich alles, was im Kulturleben der Residenzstadt Rang und Namen hatte. Als zu Ehren des Geburtstags von Prinzessin Sophie 1839 ein Oratorium von Händel aufgeführt wurde, sangen neben der Ehefrau des Malers Stirnbrand die Gattin des Literaturpapstes Menzel, die Ehefrau des Dichters Gustav Schwab, Sophie Schwab, die Töchter des Bankier und Abgeordneten Federer sowie Frauen aus den Familien des späteren Ministers Duvernoy und des Katharinenstiftrektors Zoller u.v.a.[37] Der Stuttgarter Frauenliederkranz umfaßte 1836 rund 30 ständige Mitglieder, deren Zahl sich bei Aufführungen »verdoppeln« konnte.[38]
Betrachtet frau die Umgangsformen zwischen dem eigenständigen Frauenliederkranz und den 325 Sängern des Männervereins, so erscheinen die »holden Damen« als attraktives und schmückendes Accessoire des Gesamtvereins. Die »verehrlichen Sängerinnen«, so die Briefe des Ausschusses an Emilie Zumsteeg, waren gebeten, die Feste »durch ihre gefällige Teilnahme zu verschönern«.[39] Sängerinnen im Verein zu haben, war in den 1840er Jahren ein Zeichen von Progressi-vität und eines verfeinerten kulturellen Niveaus (Kap. V.3). Das Auftreten des Stuttgarter Frauenchors hatte schließlich auch Vereine in anderen Städten animiert, Frauen aufzunehmen. 1841 waren die Tübinger Sänger stolz, daß ihr Frauenliederkranz »die Mannigfaltigkeit (ihres) Gesanges erhöht und unsere Gesellschaft veredelt«.[40] Zehn von zwölf Ausschußmitgliedern hatten bereits 1836 dafür gestimmt, »künftig auch weibliche Stimmen zu dem Gesang im Sängerkranz zu ziehen«.
Lediglich der Gesangsdirektor hatte schwerwiegende Bedenken, weshalb 1840 beschlossen wurde, einen vom Männerchor getrennten Frauen-Liederkranz zu bilden, dem 36 Frauen angehörten.[41] Frauenliederkränze oder Frauenchöre gab es nach einer Statistik des Innenministerium 1836 in Stuttgart, Murrhardt, Hall und Spaichingen. In Sersheim, einem Dorf im Oberamt Vaihingen, sangen ebenfalls Frauen mit, und ein Lehrer hatte in Deißlingen, einem kleinen Ort im Schwarzwaldkreis, einen Mädchenchor eingerichtet.[42] Für das Jahr 1847 gibt es Hinweise auf einen Frauenliederkranz in Herrenberg (NT 3.2.47), und in Eßlingen veranstalteten die »Damen des Oratorienvereins« 1849 gemeinsam mit dem liberal-demokratischen Liederkranz eine »musikalische Produktion« (ESP 17.2.49).
Nicht zufällig sind die meisten Städte, in denen Frauenliederkränze entstanden, Hochburgen der liberalen oder demokratischen Bewegung. Wie sich am Stuttgarter Verein zeigt, kamen viele der Frauen aus dem Umfeld der Liberalen. Liederkränze waren im Vormärz mehr als nur Unterhaltungsvereine. In einer Zeit, in der politische Meinungsbildung behindert wurde, pflegten die Vereine mit ihrem Liedgut nationale und liberale Ideen. »In den Liedern einer Nation weht ihr Geist«, heißt es im Tübinger Protokollbuch 1840, und der Vorsitzende des Schwäbischen Sängerbundes dichtete zum Jahresfest der Eßlinger Sänger: »Stets sollen wie heute die Lieder erklingen; für Glauben, Recht und Wahrheit, für Freiheit (und) Vaterland.« (EA 27.2.39) Theodor Körners Freiheitslieder gehörten zum festen Repertoire der Sänger, und daß sich in den Vereinen »ein freier Geist regte«, bemerkte nicht nur der Chronist des Stuttgarter Liederkranzes.[43] Die Mitgliedschaft vieler »Freisinniger« machte auch dem Innenministerium Sorgen, so daß 1836 eine Untersuchung gegen die Gesangvereine eingeleitet wurde.
Die Liederkränze bildeten im Vormärz die emotionale Basis der deutschnationalen und liberalen Bewegung, und entsprechend politisiert war das Klima in diesen Vereinen. Es ist deshalb nicht verwunderlich, daß einige der Frauen, die zwischen 1839 und 1843 im Stuttgarter Liederkranz sangen, wie z.B. die Kaufmannsgattin Conradi, in der Revolutionszeit für die Volksbewaffnung spendeten oder dem demokratischen Unterstützungsverein angehörten wie Fräulein Auguste Cammerer.[45]
In ihrer typischen Verbindung von bürgerlicher Geselligkeit und politischer Kultur prägten die Liederkränze den Feststil der Vormärzzeit und der späteren Revolutionsjahre. Seit 1825 veranstaltete der Stuttgarter Verein regelmäßig Schillerfeiern, in denen »der Dichter der Gedanken, der Freiheit und des Gemüths«[46] zur Identifikationsfigur der liberalen Bewegung erhoben wurde. Seit 1827 organisierten die Sänger — in Ulm gemeinsam mit Frauen[47] - überregionale Treffen mit großen Festzügen und Gesangsdarbietungen. Die paradeähnlichen Aufmärsche und die seit 1836 allgemein verbreiteten Sängerfahnen - meist ein Geschenk der Frauen[48] - sollten zusammen mit Musik und Reden den Veranstaltungen eine festliche Würde verleihen. Anlehnend an Formen feudaler Repräsentation bemühte sich das Bürgertum, sich bei seiner Selbstdarstellung in diszipliniert militärischer Form zu präsentieren, wenn auch bescheiden und zivil.
Die Nationalfeiern im Vormärz entwickelten damit eine Festdramaturgie, die sich später bei den Revolutionsfeiern 1848 wiederholte. In ihrem stereotypen Ablauf gingen diese Bürgerfeiern zurück auf die Tradition französischer Revolutionsfeste, auf denen sich nationaler und revolutionärer Enthusiasmus in Massenaufmärschen und Gesängen ausgedrückt hatte.[49]
Ein wesentliches Element dieser bürgerlichen Selbstdarstellung war die Teilnahme von Frauen. Als Fest- und Ehrendamen trugen diese weiße Kleider, also die Farbe der Reinheit (Kap. V.2) wie auch der Vernunft. Das Szenario der Schillerfeier 1839 in Stuttgart, als zur Einweihung des Schillerdenkmals Tausende von Sängern aus dem ganzen Land anreisten, kann hier als typisch gelten. Ein Zuschauer schilderte, wie die Liederkränze auf ihrem Marsch zum Festplatz am »Museum« vorbeidefilierten, wo der Schillerverein und der Frauenliederkranz die Parade empfingen.
- »Vor dem Museum hielt der Zug einige Augenblicke. Die Frauen und Jungfrauen, alle weiß gekleidet, das Festband in den Putz verwebt,... standen vom Eingange des Museums an Reihe hinter Reihe die Treppe hinauf dicht aneinander - ein ungemein malerischer Anblick, er zauberte auf Momente alle vorüberziehenden Sänger fest.«[50]
Auf der Schillerfeier wurde nicht nur die »Einheit aller Klassen und Stände«, das Miteinander dörflicher und städtischer Sänger gefeiert, eindrücklich war auch das gemeinsame Auftreten der Geschlechter. Der Liederkranzausschuß schrieb später an Emilie Zumsteeg: »Wenn schon das bloße Einnehmen des inneren Festplazes unmittelbar um das Denkmal durch den Kranz der Frauen und Jungfrauen das Fest auf die schönste Weise schmückte, so erhöhte ihr seelenvoller Gesang noch seine Weihe«.[51] Als lebendiger »wunderschöner Kranz« ehrten die Frauen, »die schönsten der Schönen von Stuttgart«[52] den »Dichterhelden« wie auch seine Verehrer.
Allein von seiner Größe her hatte das Schillerfest Maßstäbe für die künftige württembergische Festkultur gesetzt. Mit kleinen Varianten wiederholte sich dessen Inszenierungsmuster bei allen anderen Feiern zur nationalen Geschichte. 1840 wurde z.B. das 4. Jubiläum der »Erfindung der Buchdruckkunst« in Stuttgart mit ähnlichem Pomp begangen. Auch hier war, wie auf dem obigen Bild zu erkennen, die Tribüne umsäumt mit weißgekleideten Frauen.
Diese Form der Frauenpräsentation hatte eine doppelte Tradition; sie erinnerte sowohl an französische Revolutionsfeiern, in denen die Frauen als Sinnbild der Göttin der Freiheit oder Vernunft in weißen Gewändern auftraten, als auch an fürstliche Brautzüge. Als Wilhelm I. 1820 seine Braut und spätere zweite Frau, Prinzessin Pauline am Kirchheimer Schloß abholte, empfing er sie mit blumenstreuenden Mädchen und 4 Ehrenjungfrauen53. Dasselbe Motiv wiederholte sich bei der Huldigungsfeier zum 25-jährigen Regierungs Jubiläum Wilhelms I. im Jahr 1841. »Zweihundert Jungfrauen aus den Oberamts-Bezirken und der Residenz-Stadt, weiß gekleidet, mit roth und schwarzen Schärpen« gingen im »Festzug der Württemberger«. Sie trugen »in Körbchen Blumen, welche sie vor der Königlichen Tribüne"54 ausstreuten und hielten Kränze bereit, um den königlichen Sitz zu schmücken. Geleitet wurden sie - ähnlich wie später bei den Fahnenweihen 1848 - von Militär, den Veteranen der Befreiungskriege und dem Ludwigsburger Bürgermilitär (Bild Kap. V.2). Auch wenn sich auf den ersten Blick monarchische und liberale Inszenierung gleichen, unterscheiden sie sich doch in Funktion und Inhalt an wesentlichen Punkten. Beim Regierungsjubiläum gab es eine deutliche Hierarchie zwischen dem >verehrten< Monarchen und den ihm huldigenden >Untertanen< Frauen. Obwohl sich auch bei den liberalen Festen die unterschiedliche gesellschaftliche Wertigkeit von Männern und Frauen in aktiven und passiven Rollenzuweisungen niederschlug, stand der Auftritt zumindest nach außen hin für Gemeinsamkeit und Gleichheit der Geschlechter. Frauen und Männer erwiesen sich gegenseitig die Ehre (detailliert dazu Kap. V.2).
Dieses Miteinander der Geschlechter wurde besonders deutlich im zweiten geselligen Teil der Feiern, den Garten- und Volksfesten, die gewöhnlich den Aufzügen und Festreden folgten und einen heiteren Kontrast bilden sollten zum gemessenen Ernst der offiziellen Feier. Im geselligen Verkehr gaben sich die Sänger volkstümlich, es kam zu Verbrüderungen, und es wurden jene »inneren Bande« geknüpft, die die Sängerbewegung zu einer wichtigen politischen, weil kommunikativen Kraft werden ließ. In diese Verbrüderungen waren zum Teil auch Frauen miteinbezogen. Vom Fest auf der Schillerwiese schrieb ein Teilnehmer:
- »Nun da aber alle Ordnung in Convenienz losgelassen, nun da alle Convenienz in Cordialität sich umgestaltete, trat ein ganz anderes Leben ein. Alle Liederkränze begrüßten sich als Brüder. Alle alte Bekannte begrüßten sich als alte Bekannte. Da und dort fiel ein Bruderkuß vor, und auch mit dem Schwesterkuß wurde es nicht so genau genommen.«[55]
Die Politisierung der Frauen und ihr Engagement für liberale Ideen setzte sich erstmals 1831 in konkrete Aktionen um, als der nationale Befreiungskampf der Polen gegen Rußland bei den südwestdeutschen Liberalen eine Welle der Sympathie auslöste. Wie der Stadtdirektor von Stuttgart schreibt, waren es vor allem Frauen, die sich von dieser Polenbegeisterung anstecken ließen.
- »So wie die öffentliche Meinung alles ergreift, was dem Gemüth und der Phantasie Beschäftigung und Unterhaltung gewährt, so ist dieses insbesondere dann der Fall, wenn der Schwächere mit dem Stärkeren mit einigem Schein des Rechts einen moralischen und physischen Kampf besteht... Diese öffentliche Stimmung ist auch nicht zuerst in Württemberg zur thätigen Theilnahme angewachsen, sondern sie hat sich zuerst in der Nähe des Schauplatzes gebildet, und vorzugsweise auch den für politische Einflüsse minder zugänglichen Theile der Völker, das schöne Geschlecht ergriffen.«[56]
Als sich in Stuttgart Ende Mai 1831 der erste Polenverein bildete, sprach der »Hochwächter«, die Zeitung der Liberalen, von einem »merkwürdigen Tag«:
»Es ist der erste öffentliche allgemeinere thätige Antheil an den Ereignissen der Zeit, und - wunderbar! er kommt aus den zarten Händen der Frauen. Als wir den Helden der drei unsterblichen Tage einen silbernen Kranz als ein Zeichen unserer Achtung weihen wollten, traten Rücksichten und Hindernisse die ihre Quelle von oben nahmen, in den Weg. Nun aber bereiten seit mehreren Tagen mehr als hundert Hände in Stuttgart Charpie für die Wunden, die die Dornenkronen unsern polnischen Märtyrern für die Freiheit in die blutigen Schläfen gedrückt! - In der Catharinenschule beschäftigten sich die Schülerinnen, wie man sagt, mit Unterbrechung aller Lehrstunden, einen ganzen Tag mit diesem menschenfreundlichen Geschäfte.« (2.6.1831)
In Stuttgart wurde 1831 ein Konzert zu Ehren der polnischen Freiheitshelden gegeben, und die liberalen Abgeordneten Murschel und Schott sowie der Stadtrat Ritter sammelten Hilfsgüter.[57] Unter dem Motto »Resurrescat Polonia« riefen auch die Eßlinger Liberalen »Frauen und Jungfrauen« zu Hilfeleistungen auf (EWA 31.8.31). Als nach der Niederlage der polnischen Erhebung polnische Revolutionskämpfer mit ihren Familien auf der Flucht im Frühjahr 1832 durch Württemberg kamen, wurden ihnen von den Liberalen nächtliche Ständchen und »donnernde Vivat« gebracht.[58] In die Unterstützung der »wackeren Polenhelden« (ESP 25.3.32) flössen die eigenen nationalen und liberalen Sehnsüchte der Deutschen ein. »Für unsere und für Eure Freiheit«[59] stand auf den Fahnen, die bei den Polenfeiern aushingen.
Interessanterweise waren es 1832 Frauen, die als erste auf die Situation der Flüchtlinge reagierten. Nachdem bekannt geworden war, daß die Unterstützung der »Helden der Privatwohltätigkeit überlassen bliebe«, hatte sich in Ulm eine »Gesellschaft von vielen Frauen und Jungfrauen« gebildet, um Geld zu sammeln. Die 12 Mitglieder des Frauenkomitees kamen alle aus dem Bildungsbürgertum, unter ihnen 5 Beamten- und 4 Kaufmannsgattinnen, 2 Pfarrersfrauen und eine Arztehefrau. Angesprochen durch die Initiative der Frauen gründeten Männer aus dem Umfeld der Liberalen ein männliches Hilfskomitee, dem die Ehemänner der Frauen wie auch liberale Handwerker angehörten.[60] Das Schicksal der Verfolgten, hieß es im »Gmünder Gemeinnützigen Wochenblatt«, mußte »bei jedem Fühlenden inniges Mitleid erregen« (20.6.32). Mitgefühl bestimmte das politische Handeln der Frauen, politische Solidarität war entsprechend dem Engagement der Frauen in den wohltätigen Vereinen »ein Werk der Liebe«.[61] »Der Ruf der Noth trifft unsere Herzen«, hatte der »Hochwächter« bereits ein Jahr zuvor geschrieben, »warum sollten die Arme der Liebe... nicht auch nach Polen reichen.« (2.6.31) Die politischen Verhaltensmuster, die Eva Kuby bei den Vereinen 1848 festgestellt hat, lassen sich so alle bereits im Vormärz beobachten. Die Ulmerinnen, die 1832 den ersten Polenverein gründeten, besaßen Erfahrungen in der aktiven Wohltätigkeit. Unter den 12 Frauen waren laut Oberamtsbericht
- »solche, welche in den letzten Kriegsjahren (1813/14; d.V.) für die wirtembergischen Militärspitäler Charpie usw. eingesammelt und kistenweise fortgeschickt und die seit anfang der theuren Zeit bis augenblicklich sich dem öffentlichen Dienst der Armuth hingegeben haben.«[62]
Von den Polenvereinen 1831/1832 reichte so eine unmittelbare personelle Kontinuitätslinie offensichtlich zurück bis zu den Befreiungskriegen. Zugleich markierten diese Frauenvereine den Beginn der ersten öffentlichen politischen Parteinahme liberalgesinnter Frauen in Württemberg. Für das politische Verhalten und die Einstellung der Frauen in der Zeit des Vormärz und in der Revolution 1848 war dies fraglos von Bedeutung. Was 1831 begann, fand 26 Jahre später seine Fortsetzung. Jene Katharinenstiftlerinnen, die im Sommer 1831 Charpie für Polen zupften, taten dies in reiferem Alter 1849/50 noch einmal für die demokratischen Flüchtlinge.
Die Formen, in denen sich die politische Anteilnahme der Frauen später in der Revolution 1848/49 ausdrückte, ähnelten denen der Jahre 1831/32. Die Frauen veranstalteten Lotterien zur Bargeldbeschaffung, sammelten »Luxus- und Modewaren« zur Versteigerung, verfertigten Kleidungsstücke und nähten vor allem Hemden und Weißzeug für die Flüchtlinge. Auch die geschlechtliche Arbeitsteilung bei diesen Hilfsaktionen unterschied sich kaum. Die Männer verwalteten die Gelder und sorgten für die Verbindungen und die Unterbringung der Polen, die Frauen erbrachten hausfrauliche Dienstleistungen und organisierten Hilfsmittel.
Obwohl sich die Begeisterung der Frauen vor allem in praktischer Tätigkeit niederschlug, wehte dennoch ein Hauch von Revolutionsgeist durch die Jahre 1831/32. Hermine Villiger schildert in einer Erzählung eine Szene am Rande einer Polenfeier:
- »Lenchen hing an meinem Halse: >O Anna<, flüsterte sie, >wir wollen eine Revolution anstiften - Hermann ist gleich dabei - wir gehen von Haus zu Haus und feuern die Männer an - wenn du willst, kommt's gewiß zustande<.«[63]
So naiv diese Darstellung erscheint, sie ähnelt in vielem dem, was 1848 später wirklich geschah. 1831/1832 waren die Aufregungen der französischen Julirevolution noch im Gedächtnis, und das liberale Bürgertum in den südwestdeutschen Staaten verfolgte gespannt die Auseinandersetzungen zwischen Liberalen und Regierung in den Ständekammern.[64] Frauen blieben davon nicht unberührt. Ein großer Teil der Demonstrierenden beim Hambacher Fest am 27. Mai 1832, an dem auch Mitglieder von Polenvereinen teilnahmen, waren Frauen.[65] »Schmückt und belebet die Versammlung durch Eure Gegenwart«, hieß es im Aufruf an die Adresse der »Deutschen Frauen und Jungfrauen« (Hochwächter 22.4.32).
Im Unterschied zu konservativ eingestellten Männern, deren »Frauenachtung« darin bestand, »den Ernst des Lebens... aus den (Augen der Frauen) zu entfernen«,[66] bezog die liberale Bewegung Frauen bewußt mit ein. Diese teilten oftmals die politische Einstellung ihrer Männer und wuchsen über den familiären Zusammenhang ins politische Leben hinein. Die viel belächelte biedermeierliche Familie spielte beim Politisierungsprozeß der Frauen eine wichtige Rolle, wobei - wie bereits gesagt - die Geselligkeit als Ferment im Prozeß der politischen Bewußtseinsbildung wirkte. Viele Mitglieder der Polenvereine traten nach dem Verbot politischer Organisationen in die Liederkränze und Bürgergesellschaften ein. Über das Vereinswesen, die geselligen Organisationen ebenso wie Bürgergesellschaften, die das politische Leben der 1830er und 1840er Jahre prägten, wurden Frauen in »bürgerliche Gruppenzusammenhänge«[67] eingebunden, von denen sie Jahrzehnte zuvor ausgeschlossen waren. Natürlich war es nur eine kleine Elite bürgerlicher Frauen, die Zugang zu diesen Formen der Öffentlichkeit hatte.
»Die große Wendung der Dinge«.
Die Revolution in den Briefen der Emilie Ritter.
Daß der politische Horizont der Frauen 1848 weit über den häuslichen hinausreichte, zeigen die Briefe einer Stuttgarter Bürgerin und Hausfrau.[68] In wenigen Briefen an ihren in der Schweiz lebenden Bruder gelingt es Emilie Ritter (1819— 1900), eine detaillierte und engagierte Darstellung der Revolutionsereignisse zu geben. Zugleich vermitteln die Briefe einen lebhaften Eindruck vom Denken des liberalen Bürgertums.
Emilie Ritter repräsentierte jene Gruppe politisch bewegter Frauen, die im Umfeld der Liberalen aufgewachsen war. Im März 1848 war sie gerade 29 Jahre alt und seit 1839 mit dem zehn Jahre älteren Matthäus Friedrich Ritter, Professor an der Gewerbeschule, verheiratet. Seit ihrer Kindheit war Emilie Ritter mit liberalen Ideen vertraut und bewegte sich auch in einem entsprechenden gesellschaftlichen Milieu. Ihr Vater, der Conditor und Handelsmann August Fr. Nie. Walter, organisierte als Vorstandsmitglied des 1832 gegründeten liberalen Bürgermuseums die dortigen Konzerte; ihr Schwiegervater, der Stadtrat Ritter, hatte im Stuttgarter Polenverein mitgearbeitet, war Mitglied im Schillerverein wie auch im Vorstand des Liederkranzes. Das Politisieren lag also in der Familie, und die Briefe von Frau Ritter verraten sehr viel Hintergrundwissen und Einsicht in die liberale Bewegung wie auch gründliche Zeitungslektüre. Wie aus den Briefen hervorgeht, war Frau Ritter regelmäßige Leserin des »Schwäbischen Merkur« und der »Schwäbischen Kronik«. Die Briefe ähneln so in ihrer Diktion und ihrem chronikartigen Stil fast Zeitungsberichten. In ihnen spiegelt sich sehr gut die Aufbruchstimmung, die die Liberalen im März erfaßte.
- »Die große Wendung der Dinge in Frankreich hat wie beinahe ganz Europa, so besonders Deutschland mächtig bewegt. Einmütig und darum mit überwältigender Macht verlangen die deutschen Völker von ihren Regierungen die Erfüllung heiliger Verheißungen, gerechter Wünsche. Auch Württemberg ist nicht zurückgeblieben, und eine nie gesehene, nie geahnte Bewegung hat seine sonst so ruhigen Bewohner ergriffen.« (17.3.48)
Auf die Aufregungen der ersten Revolutionstage reagierte Emilie Ritter mit einem feinen Gespür für soziale Spannungen und Ängste.
- »Es liefen dunkle, beunruhigende Gerüchte um, die alles von des Königs Festigkeit, oder lieber seinem, dem allgewaltigen Zeitgeist widerstrebenden Eigensinn befürchten ließen. Doch wie durch einen Zauberschlag löste sich die allgemeine ängstliche Stimmung in Jubel und Freude, als die Nachricht erscholl, daß der König Männer an die Spitze der Regierung gestellt habe, die immer und überall als Vorkämpfer der Volksrechte gegolten haben... damit (war) die Idee der deutschen Einheit bis daher an ihren Trägern beinahe wie Hochverrat verfolgt und geächtet, vollkommen rehabilitiert und hoffähig geworden.« (17.3.48)
Emilie Ritters Briefe lassen indessen auch die Ambivalenz erkennen, die das liberal-konstitutionelle Bürgertum 1848/49 prägte, das einerseits eine heftige Abneigung gegen den Adel hegte, genauso aber von der Angst um Besitz und Eigentum geplagt war.
- »... vereinzelte gröbliche Exzesse im Hohenlohischen... von Bauern gegen ihre Gutsherren begangen, haben nur diese und ihre Standesgenossen mit Schrecken erfüllt. Du kannst Dir keine Vorstellung machen von der fieberhaften Aufregung, welche am Anfange der vergangenen Woche herrschte, eine Aufregung, die durchaus keine Befürchtungen für Leben und Eigenthum erregte, da sie vorzugsweise in denjenigen Klassen der Gesellschaft herrschte, denen um ihrer selbst willen an Erhaltung der Ruhe und Ordnung gelegen sein muß.« (Ebd)
Als sich Anfang April 1848 die Arbeiter zu Wort meldeten und auf den Volksversammlungen konstitutionelle und demokratisch-republikanische Positionen aufeinanderprallten, fühlte sich Emilie Ritter vom Stil der politischen Auseinandersetzung abgestoßen. Sie sprach nun »von den Schreiern im Bürgermuseum« und distanzierte sich von deren radikaldemokratischen Ansichten. Ihre Haltung gegenüber den Unterschichten zeugte von einer nicht geringen sozialen Verachtung und Ablehnung, die ebenso allerdings das Großbürgertum traf. An die Stelle der Märzeuphorie war die Furcht vor den »verhängnisvollen Tagen« getreten.
- »Vor 14 Tagen wurde von einer Gesellschaft hiesiger Arbeiter eine Adresse an den 50er Ausschuß gerichtet, worin diese ihre Sympathie für die Republik aussprachen, darauf wurde von Bürgern schnell eine Eingabe an unsere Regierung im entgegengesetzten Sinne gemacht; da nun zu derselben Zeit in Stuttgart verschiedene Volksversammlungen stattfanden, in welchen über die Frage: ob direkte oder indirekte Wahlen, entschieden werden sollte, so glaubten die Leute, welche in diesen verhängnisvollen Tagen zu viel zu schreien hatten, um denken zu können, es handle sich um Einführung der Republik oder Erhaltung der Monarchie... Drei Tage dauerte das Fieber, während dessen mancher Proletarier sich in süßen Träumen von Reichtum und Genuß gewiegt haben mag. Die Hoffnungen und Gelüste der Besitzlosen kennend und ihre Macht überschätzend bemächtigte sich ein panischer Schrecken des ganzen Philistertums, und viele Kostbarkeiten sind verborgen und geflüchtet worden. Militär, Bürgerwehr... patrouillierten gemeinschaftlich drei Nächte lang, ohne aber je von ihren Waffen Gebrauch machen zu müssen.« (Brief 22.4.48)
Die Mobilisierung der Bürgerwehr in Stuttgart bekam Frau Ritter unmittelbar zu spüren. Ihr Mann »exerzierte jeden Tag als Landwehrmann«. Hinzu kam die finanzielle Belastung. Durch die »Ausrüstung« ihres »Mannes zur Bürgerwehr und durch ein Heer sogenannter Ehrenausgaben« fühlte sie sich »stark in Anspruch genommen« (Brief 22.4.). Da gleichzeitig die Geschäfte stockten (»denn jetzt ist das Bezahlen hier völlig abgeschafft worden, und wie durch Zauber scheint alles bare Geld verschwunden«), war die Familie in finanzielle Schwierigkeiten geraten. Im Verlauf des Jahres 1848 war Emilie Ritter mit dem Konkurs ihres inzwischen gestorbenen Vaters beschäftigt, - er hatte zuviel »politisiert« und sich wohl zuwenig um seine Geschäfte gekümmert. Erst im Juni 1849 geht E.Ritter wieder auf politische Themen ein, nachdem sie sich auf bissige Ausfälle gegen die »Herren von der Linken« beschränkt hatte.
»Bei uns ist alles ruhig bis heute und die Bürgerwehr versieht alle Wach- und Patrouillendienste«, berichtet sie am 22.5.1849. Als das Frankfurter Rumpfparlament nach Stuttgart geflohen war, hatte sich das reguläre Militär, um politische Konflikte zu vermeiden, aus der Stadt zurückgezogen und der Bürgerwehr das Feld überlassen. Als im Juni dann die Soldaten wieder einrückten, wurde dies von der Bürgerwehrmannsgattin Ritter genauestens registriert.
- »Seit einigen Tagen sieht man wieder Soldaten hier; vier Wochen lang war die Bürgerwache die einzige Besetzung... Mein Mann wurde erst zweimal verwendet: bei der Bewachung des Ständehauses vor einer beabsichtigten Überrumpelung der Versammlung, wo zwei Banner von morgens 6 bis Abends 6 in der größten Sonnenhitze auf der Straß bivakouieren mußten, und vor acht Tagen auf der Hauptwache. Es machte einen ganz eigenen Eindruck wenn man unter einer Schildwache im Vorübergehen plötzlich Löwe, Meurer, Dingelstedt, den Prinzen von Öhringen[69] etc. erkannte, aber die Gleichheit, die allen ohne Unterschied diesselbe Pflicht auferlegt, entzückt mich, und ein Geschlecht, daß unter diesen Einrichtungen aufwächst, kann unmöglich all' den Plunder der alten Vorurteile mit sich großziehen.« (Brief 12.6.49)
„Auch wir Frauen nehmen eine immer regeren Antheil an den Bewegungen der Zeit und dem öffentlichen Leben« (SK31.3.49)
Nicht alle Frauen blieben wie Emilie Ritter kommentierende Zuschauerinnen des revolutionären Geschehens. Frauen nahmen 1848/49 an Volksversammlungen teil oder besuchten die öffentlichen Veranstaltungen der politischen Vereine, wo sie manchmal sogar mitdiskutierten. Selbst bei den konservativeren »vaterländischen Vereinen« kam es, schreibt ironisch der »Beobachter«, »schon vor, daß auch die Frau Pfarrerin... das Wort ergriffen hat.« (Beob 27.3.49) Auf einer Volksversammlung in Gmünd stellten die Frauen sogar einen eigenen Antrag, um die von der Versammlung verabschiedete Adresse der Männer durch eine Zusatzerklärung der Frauen zu erweitern (MSP 11.6.49). Vor allem im Endstadium der Revolution, als die Reichsverfassungskämpfe begonnen hatten, »sah man« nicht nur in Horb »ungemein viele Weibsleute auf den Volksversammlungen« (Beob 16.5.49), sondern ebenso in Eßlingen, Gmünd, Stuttgart, Rottweil etc.[70]
Das Auftreten der Frauen in der politischen Öffentlichkeit bekam — verglichen mit dem politischen Engagement im Vormärz - 1848/49 eine neue Qualität. Frauen nutzten in diesen Jahren immer häufiger das Forum der Presse, um ihre politischen Ansichten und Sympathien kundzutun (Kap. III.l); sie schrieben offene Briefe an den Präsidenten der Ständekammer oder äußerten sich zum politischen Tagesgeschehen. Durch Erklärungen oder durch Vereine (Kap. IV.3), mit denen sie an die Öffentlichkeit traten, griffen sie in den politischen Meinungsbildungsprozeß ein. Die in der Nähe von Eßlingen wohnende Marie Brunow, die auf keiner Volksversammlung fehlte und dafür sogar mit der Eisenbahn in andere Städte reiste, half den Demokraten »Manifeste und Wahlzettel«[71] zu verteilen. Andere Frauen sammelten Unterschriften für weibliche Solidaritätsadressen und unterschrieben, wenn der Mann nicht zu HFF72ause war, in dessen Namen Petitionen und politische Adressen. Selbst in der Wahlagitation unterstützten die Frauen ihre Männer; im Oberamt Leutkirch zog bei der Wahl zur Ständekammer »die Frau des bisherigen Abgeordneten mit ihren Kindern von Dorf zu Dorf... und (bat) um Stimmen für ihren Mann« (Beob 7.8.49). Im selben Oberamt trugen im Juni 1849 Frauen die Loyalitätsadresse an das Rumpfparlament von »Haus zu Haus« (Beob 20.6.49). Die Tätigkeit der Frauen fand allerdings nicht immer den Beifall der Männer. Einige der hier angeführten Aktivitäten sind nur in bissigen oder mokanten Kommentaren überliefert.
Was es damals für Frauen bedeutete, auf öffentliche Versammlungen zu gehen, läßt sich nur ermessen, wenn die praktischen Schwierigkeiten mitbedacht werden, die dem öffentlichen Auftreten der Frauen entgegenstanden. Ein wesentliches Hemmnis in der politischen Betätigung begann bereits zu Hause: beim Ankleiden. Obwohl es seit den 1840er Jahren bessere Überkleidung und endlich Mäntel für Frauen gab, war bürgerliche Frauenkleidung insgesamt nicht besonders geeignet für längere Aufenthalte im Freien und bei nassem Wetter (Kap. V.l). Nicht alle Frauen setzten sich so leicht über bürgerliche Konventionen hinweg wie die sehr frei erzogene Marie von Brunow, die bei ihren politischen Ausflügen in die nahe Oberamtsstadt mitunter bäuerliche Kleidung trug, weil diese bequemer war.[72] Das Wetter entschied oft mit über die politische Partizipation von Frauen. Wenn »günstige Witterung es gestattete« (MSP 11.6.49), sah man mehr Frauen auf den Volksversammlungen als an kühlen oder nassen Tagen. Jenseits aller rechtlichen Beschränkungen, die eine Rolle spielten, hatte die politische Öffentlichkeit für Frauen immer eine private Dimension, die wie alle Restriktionen des weiblichen Alltags von großer politischer Bedeutung war.
Dies galt auch für die Schicklichkeitsregeln, denen sich Frauen unterworfen sahen. Allein auf eine Vereinsveranstaltung zu gehen und dies auch noch abends, war für eine Frau aus guter Familie undenkbar. Frauen, die noch Abendbesuche machten, taten dies in Begleitung oder ließen sich nach Einbruch der Nacht von Dienstboten abholen. Um peinliche Situationen zu vermeiden, wurden die Termine der Frauenvereinssitzungen gewöhnlich auf den Nachmittag gelegt. Im Winter erlahmten die Vereinsaktivitäten oft ganz. Nachdem die Göppinger Frauen bis zur Fahnenweihe im Juli intensiv an der Fahne gearbeitet hatten, traf sich der Frauenverein danach im Herbst und Winter nur »noch vierwöchig und am Nachmittag« (GWB 20.9.48). Obwohl sich gerade Liberale und Demokraten weit von
jeder >aristokratischen Etikette< distanzierten, waren sie im Hinblick auf das Benehmen der Frauen nicht ganz so progressiv. Auch eine demokratische >Bürgerin< konnte nicht allein auf eine Volksversammlung gehen, ohne Anstoß zu erregen. Neben der passenden Kleidung brauchten die Frauen - um der Schicklichkeit Genüge zu tun - eine Anstandsperson. Marie von Brunow aus Eßlingen nahm deshalb, wenn sich kein männlicher Begleiter fand, die Haushälterin ihres Vaters mit auf die Versammlungen. Ihren Anschauungen gemäß ließ das radikaldemokratische Freifräulein von Brunow es nicht zu, daß die Dienstbotin Josephine - wie damals üblich - einen Schritt hinter ihrer Herrschaft ging. Marie von Brunow ging Seite an Seite mit Josephine zur Volksversammlung.[73] Die meisten Frauen besuchten die Veranstaltungen en famille, mit ihrem Ehemann oder zusammen mit männlichen Verwandten und Bekannten.
Was einerseits die Bewegungsfreiheit der Frau einschränkte, war andererseits eine besondere Qualität der politischen Kultur der Revolutionszeit. Indem Männer und Frauen gemeinsam zur Volksversammlung gingen, möglicherweise noch in Gruppen, wurde die Politik zum geselligen Ereignis. Stuttgarter Bürgerwehrmänner gestalteten z.B. die Anreise zur Eßlinger Volksversammlung als »Landpartie«, d.h. sie machten eine Fußwanderung, der sich auch Frauen »anschlössen« (Beob 17.9.48). Ein politisch wichtiges Ereignis war zugleich ein Anlaß für ein Fest. Der »Abschluß der Nationalversammlungswahlen« lockte in Eßlingen »eine große Volksmasse Männer, Frauen und Jungfrauen« in den »Heuchelinschen Bierkeller« (NT 2.5.48). Auch bei den Geselligkeiten nach den großen Volksversammlungen fehlten Frauen selten. Nach der Eßlinger Veranstaltung am 17.9.1848 zog z.B. die »Versammlung nach 5 Uhr... unter lauter Hochrufen für Hecker und die Republik... in die Stadt zurück und vertheilte sich in die verschiedenen Gaststätten und Wirthshäuser der Stadt, wo noch mehr Reden gehalten wurden und eine innige Verbrüderung durch Gespräch und Gesang stattfand« (Donauzeitung 19.9.48). Wie das Oberamt berichtete, waren es »mit Einschluß des schönen Geschlechts rund 2000 Personen«[74]
Hatte das Stuttgarter »Neue Tagblatt« noch 1846 festgestellt, daß »Frauen lange vom öffentlichen Leben ferngehalten worden« waren (13.2.46), so hatte sich das in der Revolution geändert. In dieser Zeit gab es erstmals - und das ist bemerkenswert - institutionalisierte, d.h. rechtlich verankerte Formen der politischen Partizipation von Frauen. Die Frauen profitierten dabei von den in der Revolution erkämpften bürgerlichen Rechten, die zum ersten Mal auch für sie galten. Die Liberalen hatten im Verlauf der Revolution die Öffentlichkeit von Presseprozessen und Schwurgerichtsverhandlungen durchgesetzt. Dadurch bekamen Frauen erstmals Zutritt zu Räumen, die bisher ausschließlich Männern vorbehalten gewesen waren. Auch hier lohnt der Rückblick: Noch 20 Jahre vorher hatten die württembergischen Frauen unter »Geschlechtsvormundschaft« gestanden und bedurften vor Gericht und bei jeder Art von Geschäftsabschluß des Beistandes des Gatten oder eines ernannten »Kriegsvogtes«, der die Sache der Frau vor Gericht vertrat.[75] Erst mit der Aufhebung dieser Beschränkung wurde zugebilligt, »daß in moralischer und intellektueller Hinsicht zwischen beiden Geschlechtern kein Unterschied sey«, und daß »das weibliche Geschlecht demnach nicht unmündig ist«.[76] Das Erscheinen von Frauen in den Gerichtssälen, und sei es nur als Zuhöre-rinnen, war eine Sensation, und die Presse reagierte entsprechend darauf. Gerade das Gerichtswesen gehörte (nach der liberalen Theorie) neben der Legislative und der Staatsverwaltung zu den drei zentralen Bereichen staatlicher Öffentlichkeit.[77] Nur zögernd allerdings gewöhnten sich die Frauen an ihr neues Recht, was die »Schwäbische Kronik« am 20.10.1848 und später noch einmal am 23.12.1848 zu einem süffisanten Kommentar »über die Emancipation« veranlaßte.
- »Ulm:... Das weibliche Geschlecht hatte von seinem durch den hiesigen Kriminalse-nat bei Preßprozessen anerkannten Rechte (woran wohl nicht gezweifelt werden kann, da die Verordnung Öffentlichkeit und nicht wie die Strafprozeßordnung beschränkte Öffentlichkeit vorschreibt) zum Besuche der dießfalligen Verhandlungen keinen Gebrauch gemacht.« (SK 20.10.48)
Erst mit der zunehmenden Verfolgung der demokratischen Linken und ihrer Presse wuchs das Interesse, aber auch die Solidarität der Frauen. Bei den Prozessen wegen Hochverrats oder wegen »Majestäts- und Regierungsbeleidigung« im Sommer und Herbst 1849 fanden sich, wie die »Kronik« nun vermerkte, »viele Zuhörerinnen ein« (SK 28.9.49).
Auch im Bereich der Kommunalpolitik vollzogen sich in der Revolution wesentliche Veränderungen. Nach der 1849 verabschiedeten Gemeindeordnung wurden die Sitzungen der bisher hinter verschlossenen Türen tagenden Gemeinderäte öffentlich, und damit hatten zumindest theoretisch auch Frauen das Recht, kommunalpolitischen Entscheidungsprozessen beizuwohnen.
»Die deutschen Frauen den deutschen Männern«
Wegweisend für die stärkere Einbeziehung von Frauen in die politische Öffentlichkeit aber war die Nationalversammlung in Frankfurt, auf deren öffentlichen Sitzungen — auch dies eine Innovation - Frauen zugelassen waren. Auf der Zuhörergalerie in der Paulskirche saßen die Angehörigen der Abgeordneten (aus Württemberg u.a. Emilie Uhland) und politisch interessierte Frauen, die die Chance nutzten, erstmals politische Entscheidungen von nationaler Tragweite aus der Nähe mitzuverfolgen. Überrascht vom weiblichen Interesse an Politik wurden die »Frauen auf der Galerie« zum beliebten Sujet der Karikaturisten.
Über die Stimmung und das Gedränge auf der Galerie berichtet »eine Dame« in einer Korrespondenz an die radikaldemokratische württembergische Zeitung »Die Sonne«:
»Um halb 10 Uhr wurde die Thüre eröffnet, wollte man einen Platz bekommen, mußte man sich gefallen lassen, anderthalb Stunden vor der Thüre zu stehen,... in kurzer Zeit waren Vorplatz und Stiege besetzt, voll der angesehensten Damen und Herren. Wurde dann geöffnet, kam man halb todt auf dem Platze an, und die Damen strichen sich gegenseitig mit kölnisch Wasser die Schläfe. Ich habe mich aber auch noch nie besser unterhalten als hier; oft kam man neben gebildete Männer, die sich belehrend über die jetzigen Zeitverhältnisse unterhielten, Aufschlüsse gaben über Dieses und Jenes, was mich interessirte, und so verstrich die Zeit, wir wußten nicht wie. - Wir Frauenzimmer waren alle so bekannt (miteinander; d.V.) geworden...« (Sonne 15.6.48)
Obwohl in Deutschland das Beispiel der Paulskirche überall Nachahmung fand, blieben den Württembergerinnen die Türen zur Abgeordnetenkammer im württembergischen Landtag verschlossen. Württemberg war damit der einzige Staat in Deutschland,[78] in dem es Frauen nicht erlaubt war, die Besuchergalerie zu benutzen, und dies, obwohl Württemberg im Vergleich zu andern Staaten sonst in der Handhabung von Öffentlichkeitsrechten großzügig war. Seit der Verfassung von 1819 waren hier bereits die Kammerverhandlungen (für Männer) öffentlich. Die Benachteiligung der Frauen war unter den Liberalen 1848 ein Gegenstand heftiger Diskussion, und in der Kammer der Abgeordneten wurde schließlich der Antrag gestellt, »daß künftig auch den Frauen die Gallerie geöffnet werde«.[79] Als die Diskussion darauf hinauslief, daß den Frauen schicklichkeitshalber »ein abgesonderter Platz angewiesen werden müßte«, wurde der Antrag ad acta gelegt. Die Presse veröffentlichte daraufhin eine Erklärung des Präsidenten der Abgeordnetenkammer Murschel, der selbst Liberaler und ein ehemaliges Mitglied der Polenvereine war:
- »Von dem seit Bestehen der Verfassung eingehaltenen Gebrauche, den Damen keine Pläze einzuräumen, konnte, zum Bedauern des Präsidenten, wegen zu engen und unbequem gebauten Raumes der Gallerie, nicht abgegangen werden.« (SK 22.10.48)
Eine »Stuttgarter Dame« griff daraufhin empört zur Feder, um »die gekränkten Rechte (ihres) armen Geschlechts zu vertheidigen« und sich gegen diese neue »Art der Geschlechtsvormundschaft« zu wehren, die ausgerechnet ein alter Liberaler wieder eingeführt hatte.
»Sie haben verfügt, daß auch fernerhin den Damen und Kindern der Zutritt zur Gallerie der Abgeordnetenkammer verschlossen bleibt. Sie haben damit dem Grundsatz der Öffentlichkeit der Kammerverhandlungen, welche eine unbedingte, für Alle gleiche sein sollte, die Spitze abgebrochen und sich an dem Geist der neuen Zeit versündigt, welcher die ehrliche und ganze Durchführung freisinniger Maaßregeln fordert. Man rühmt Sie im Bürgermuseum als galant gegen Damen - aber die ächte Galanterie bewährt sich überall... - wie konnten Sie gegen uns so illiberal sein!« (Beob 2.11.48)
In der Aussperrung der Frauen sah »die unbekannte Freundin« des liberalen Kammerpräsidenten ein Indiz für die Zweifel, die Männer gegenüber der politischen Kompetenz von Frauen hegten.
»Oh schnöder Conservativismus!... wir wissen den Werth eines Kompliments zu schätzen, mit dem man uns die Thüre vor der Nase zuschlägt, die Thüre zu der >zu unbequemen und engen< Gallerie... Finden wir den Raum zu unbequem,... dann werden wir schon selbst so frei seyn, wegzubleiben. Aber die Gallerie ist auch zu eng, sagen Sie, es muss daher das Privilegium der Männer gewahrt und diesen der wenige Raum vorbehalten werden. Es wäre ja thöricht, den kostbaren Platz an Frauen zu verschwenden; sie haben ja doch keine Theilnahme, kein Verständnis für die Verhandlungen. Es ist besser, wenn sie zu Hause sitzen, ihre Haushaltung besorgen und nach ihrer Wäsche sehen, statt nach der unsrigen.« (Beob 2.11.48)
Die Schreiberin des offenen Briefes sprach dabei nicht nur für sich, sondern im Namen aller »Frauen Württembergs«, die »die Schmach trifft... wie unmündige Kinder behandelt« zu werden; »man hat unsere Stellung«, fährt sie fort, »unsern Verstand, unsere Ehre dem Spotte des Auslandes preisgegeben.« (Beob 2.11.48)
Trotz dieses Protestes blieb die Galerie den Frauen verschlossen. Doch der Ärger über diese Zurückweisung beschäftigte die Stuttgarter Frauen noch lange. Als im August 1849 die erste verfassungsrevidierende Ständeversammlung eröffnet wurde, klagten sie in einem Artikel im Stuttgarter »Neuen Tagblatt«:
- »Wie einsam und verlassen schmachten wir in dieser bösen Zeit oft tagelang zu Hause? Warum mußte die Unsitte in unserm Schwabenland einreißen, die Frauen auszuschließen vom öffentlichen Leben! Da waren die Herren der Nationalversammlung galanter, die gestatteten den Damen doch den Zutritt zu ihren Verhandlungen, darum kränzten und krönten wir ihren von roher Männerhand verwüsteten Saal und verliehen dadurch ihren Berathungen die höhere Weihe.« (NT 4.8.49)
Erst als die Nationalversammlung von Frankfurt nach Württemberg geflohen war und das sogenannte »Rumpfparlament« in Stuttgart tagte, waren die Württem-bergerinnen zu ihrem politischen Recht gekommen. »Auf den Gallerien des Ständehauses«, schrieb damals der »Beobachter«, »bemerkte man zum ersten Mal Frauen und Jungfrauen« (Beob 7.6.49). Ab da war bei allen Sitzungen der »Flor von Stuttgarts Damenwelt« zu sehen, und als das Rumpfparlament, — von der württembergischen Regierung aus dem Ständehaus verwiesen - im Reithaus tagen mußte, schmückten Stuttgarter und Eßlinger Frauen den Raum mit Blumengebinden und Kränzen. Auf der Tafel am Eingang stand: »Die deutschen Frauen den deutschen Männern". Der Präsident und die deutsche Reichsversammlung dankten es ihnen »mit einstimmigem Hoch auf Schwabens Frauen« (Beob 19.6.48).
Wie diese wechselseitigen »Ehrungen« zeigen, spielten Frauen in der symbolischen Interaktion der Revolutionsöffentlichkeit und in der Selbstdarstellung der revolutionären Bewegung eine große Rolle. Vor allem bei den Festen, die eine identitätsstiftende Funktion für einzelne politische Gruppen wie auch die gesamte Bewegung hatten, war die Mitwirkung der Frauen im Ablauf fest eingeplant. In ritueller Wiederholung der schon aus dem Vormärz bekannten Arrangements gehörte die Gruppe weißgekleideter und mit Schärpen geschmückter Frauen zu jedem Festzug, und bei allen Feiern gab es spezielle Tribünenplätze für die »Ehren- und Festdamen«. Kein Festakt, kein Bürgerwehr- oder Vereinsaufmarsch, der ohne die Anwesenheit und den Beifall von Frauen auskam. Die Teilnahme von Frauen erst verlieh der politischen Bewegung Würde und Gesetztheit. Erst durch sie wurde deutlich, daß die Nation ein »Familienverband«[80] war, und der Staat, wie es Riehl später in seiner »Naturgeschichte des Volkes« ausdrückte, auf »den Besonderungen... von Mann und Weib« aufbaute.[81] Die Vorstellung der Familie als »Grundlage aller... größeren und künstlichen gesellschaftlichen Verbindungen« (Rotteck)[82] vertraten 1848 sowohl Liberale als auch Demokraten. Unterschiede bestanden lediglich in der Definition der Geschlechterbeziehung, die in der Interaktion zum Ausdruck kam (Kap. V.2).
»Centralsonne ächter Weiblichkeit« oder Die Inszenierung der Familie
Die klassische liberale Staatstheorie, wie sie Carl Rotteck im »Staatslexikon« entwickelte, war im Hinblick auf die Familie eher konservativ. Im Unterschied zu linksliberalen Positionen ging Rotteck von einer patriarchalen Struktur der Familie aus, weshalb er auch eine Analogie zwischen Staat und Familie kategorisch ablehnte. In der Familie herrschte seiner Ansicht nach »die väterliche Gewalt«, während der Staat »das Organ des Gesamtwillens«[83] sein sollte. Der Mann vertrat als Familienoberhaupt die Familie nach außen, d.h. vor allem gegenüber dem Staat. Die demokratisch naturrechtlichen Theorien dagegen, die auch von Linksliberalen vertreten wurden, betonten sehr viel stärker den Aspekt der Gleichheit der Geschlechter (Kap. V.3). Diese unterschiedlichen Perspektiven auf die Geschlechterbeziehung wirkten sich auch auf die symbolischen Beziehungen aus, die auf den Revolutionsfeiern dargestellt wurden. Die Inszenierung der bürgerlichen Familie signalisierte im Kontext der patriarchalen Theorie zuerst einmal, daß hier ihrer Verantwortung bewußte Familienväter die Geschicke der Nation in die Hand zu nehmen bereit waren. Diese Vorstellung fand ihren Widerhall im Denken der Frauen. »Väter des Volkes« nannte die oben zitierte Stuttgarterin die Abgeordneten der Ständekammer (NT2.11.48). Aus der demokratischen Perspektive dagegen wurde die vorgeführte familiäre Einheit zum Sinnbild sozialer Gleichheit (Kap. V.3).
In beiden Konzepten erschien die Familie als die Basis des bürgerlichen Nationalstaates, und beide Parteien konnten die Mitwirkung der Frauen nicht entbehren. Schließlich war ihre ,Domäne' jener Innenraum, dem in diesen bürgerlichen Theorien staatstragende Funktionen zugewiesen wurden. In einem Artikel über den »Einfluß der Frauen auf die socialen Zustände« schrieb so das »Kränzchen« 1849:
»Das Weib ist die Seele der Familie, sie ist der Centralpunkt... Wenn die Familien krank sind, wankt das gesunde Staats leben dem Grabe zu. Die Familien von der Centralsonne ächter Weiblichkeit erleuchtet und von lauterer mütterlicher Wärme getragen, sind die Stützen des Staates, die Grundpfeiler jeder gesellschaftlichen Organisation.«(KR 92, 1849)
Nationalstaatsidee und Geschlechterdiskurs waren im Denken der Zeit eng verbunden. Als Widerpart zu den »Vätern des Volkes« erfuhr die »Mutterschaft« eine politische Aufwertung, die über die reproduktive Funktion der Frau als Gebärerin hinausging, die Frauen in der alten hausväterlichen Gesellschaft des 18. Jahrhunderts innehatten. Frauen wurde im Rahmen der Nationalerziehung (Kap. III.2) eine politische Verantwortung zugewiesen. Lag früher die Erziehung der Kinder in der Kompetenz des Hausvaters, teilten sich nun Schule und Mutter in diese Aufgabe. »Die Mütter begründen unsere Zukunft« (KR 91,1849), hieß es wegweisend im einzigen (wohl von Männern geschriebenen) württembergischen Frauenblatt; »... der treuen Sorge wackerer Bürgerinnen hat Gott die Vorbereitung einer besseren Zeit mit übertragen«, betonte der Stuttgarter Stiftungsprediger von Klemm auf der Fahnenweihe im August 1848.
- »Vaterlandssinn und Vaterlandseifer, welche zusammen die Vaterlandsliebe bilden, gedeihen am lieblichsten, wo sie am häuslichen Heerde gehegt und gepflegt werden von Gattinnen, Müttern und Töchtern, die, hellen Geistes und frommen Herzens und festen Willens und schlichten Thuns, deutsch, brav und ehrenhaft für des Vaterlandes Wohl in der eigenen Brust erglühen, und durch Wort und Beispiel diese edle Flamme auch in ihren Umgebungen anzufachen bemüht sind. Ehre solchen Frauen!«[84]
Mutterschaft bedeutete nicht die Übernahme einer privaten Rolle, sondern einer gesellschaftlichen Funktion, die zugleich übertragen wurde auf den Staat als Ganzes (Kap. IV.l). Frauen wurden damit nicht auf die Familie als »Rückzugsort vor der Öffentlichkeit«[85] festgelegt, im Gegenteil eröffneten sich ihnen neue Handlungsräume. Mutter oder Gattin zu sein, besaß 1848 noch eine gewisse politische Virulenz, die in der Konsequenz zu außerhäuslicher Betätigung führte.
Als ,treu sorgende' Gattin sprach die oben zitierte Stuttgarterin vom »Recht, uns weiblich an den Sorgen der Männer zu beteiligen, auch an ihren politischen Sorgen« (NT 2.11.48). Im Juni 1849, als Preußen begonnen hatte, militärisch gegen die Nationalversammlung vorzugehen, traten »sämtliche Frauen und Jungfrauen Württembergs« mit einem Aufruf an die Öffentlichkeit, in dem sie sich als zukünftige Bräute und Gattinnen an die Soldaten wendeten und den Gegnern der Reichsverfassung mit Heiratsverweigerung drohten.
»Nie werden wir mit dem unsern häuslichen Herd teilen,
der mit Feuer und Schwert
dieses, unser Heiligtum zerstört hat!!!
Höret deutsche Jünglinge unsern Schwur...«[86]
Auf einen Akt militärischer Gewalt reagierten die Württembergerinnen mit privaten Konsequenzen. Ihre Argumentation blieb ganz bezogen auf ihre häusliche Lebenswelt, wobei eben dieser >Privatheit< in dem beschriebenen Sinnzusammenhang von Staat und Familie politische Bedeutung. In der bürgerlichen Öffentlichkeit spiegelte sich der Innenraum des bürgerlichen Lebens, und diese Projektion des »Privaten« ins »Öffentliche« erlaubte Frauen, den ihnen zugewiesenen Bereich zu verlassen. »Es ist ein gewisses Heraustreten des Weibes aus dem Haus allerdings geboten«, schrieb das »Kränzchen« 1850 als Lehre aus den Jahren der Revolution, denn »bloß durch das Weib kann gegründet werden, was als Unterlage des politischen Lebens vor Allem noth thut: eine wirklich bürgerliche Gesellschaft.« (KR 47, 1850)
Obwohl sich Frauen einerseits durch die kulturellen Definitionen des Weiblichen auf »das häusliche Leben verwiesen«[87] sahen, traten sie in der Revolution 1848/1849 und zum Teil schon vorher (Kap. IV.l) über die scheinbar einengenden traditionellen Rollen als Mütter und Gattinnen verstärkt in die Öffentlichkeit. Dieser immanente Widerspruch prägte letztlich alle Frauenaktivitäten in der Revolution.
Politik der kleinen Schritte
Das »Kränzchen« spricht zweifellos das Empfinden der damaligen Frauen aus, wenn es Vormärz und Revolution als eine Zeit beschrieb, in der
»das Weib aller Nationen der civilisirten Welt sich trotz des Widerspruchs der eingefleischten Gläubigen und Sittenprediger, welche es nur in der ihr angewiesenen praktischen Sphäre wirkend sehen wollen, nach und nach aus dieser hervorhebt und und freier auf den Schauplatz des socialen Lebens tritt.« (KR 77,1849)
Obwohl die meisten der beschriebenen weiblichen Partizipationsformen passiv waren - sieht frau von den Vereinsaktivitäten ab - waren die Frauen 1848/49 fraglos einen wichtigen Schritt auf dem Terrain der politischen Öffentlichkeit vorwärts gekommen. Mit der Bildung eines »weiblichen Publikums« und eigener Organisationen vollzogen die Frauen - wenn auch zeitlich versetzt - genau besehen den politischen Formierungsprozeß des Bürgertums nach. Wobei gerade diese Politik der kleinen Schritte in ihren Konsequenzen für die politische Bewußtseinsbildung wie auch die Entwicklung eigenständiger politischer Handlungsformen nicht unterschätzt werden darf. In den Vereinen z.B. war erstmals die Chance gegeben, daß sich Ansichten und Interessen der Frauen vereinheitlichen konnten, was wiederum die Voraussetzung für die Entwicklung einer weitergehenden Programmatik war, wie sie später z.B. von der bürgerlichen Frauenbewegung entwik-kelt worden ist.[88] Allerdings brachten die oben beschriebenen Rollenvorgaben auch Inhalte in diese Bewegung, die einen offensiven Anspruch auf soziale und politische Gleichberechtigung verhinderten, und die Frauen in konservativer Weise auf eine »weibliche Form« politischen Verhaltens, eine »Politik der Mütterlichkeit«[89] festlegten.
Obgleich den Frauen 1848 wesentliche politische Mitbestimmungsrechte wie das Wahlrecht vorenthalten blieben, waren diese ersten Schritte in die politische Öffentlichkeit für sie selbst von weitreichender Bedeutung. In der Bescheidenheit ihrer politischen Ansprüche kam eine >weibliche Selbstbeschränkung< zum Ausdruck, die nur verständlich ist, wenn frau sich vergegenwärtigt, daß in einigen deutschen Ländern Frauen damals noch unter Geschlechtsvormundschaft lebten und es jahrzehntelang gewohnt waren, im öffentlichen Recht als Unperson betrachtet zu werden. »...alles Frauenzimmer... entbehrt der bürgerlichen Persönlichkeit«, hatte schon Kant gesagt,[90] und die Rechtslehre befaßte sich mit Frauen nur im Kontext des Privatrechts.[91] In Württemberg besaßen Frauen so zwar ein Staatsbürger- und Heimatrecht, hatten aber nach der Verfassung von 1819 als »unter väterlicher Gewalt« oder »unter Vormundschaft« stehende Personen kein Wahlrecht.[92] Im Gemeindebürgerrecht teilten sie »das Genossenschaftsrecht« des Mannes, aber nicht das aktive Bürgerrecht.[93]
Eine Diskussion um die Gleichberechtigung von Frauen oder das Wahlrecht fand unter den württembergischen Frauen 1848/49 nicht statt bzw. wurde nicht öffentlich. Was die Frauen verlangten, war Partizipation, die Teilnahme am Kampf der Männer. Nur die Eßlingerinnen definierten sich dabei bewußt von ihrem Geschlecht her als »die eine Hälfte der Menschheit«.
»In dieser Zeit, wo Alles um uns her vorwärts drängt, dürfen wir nicht allein zurückbleiben. Wir wollen auch unsernTheil fordern... an der großen Wehenerlösung, welche der ganzen Menschheit, deren eine Hälfte wir sind, Glück, Einheit, Freiheit und Gleichheit bringen soll«. (ESP 19.10.50)
Eigenständige politische Forderungen wurden von den Frauen nicht formuliert. Lediglich im »Kränzchen« erschien 1849 ein Artikel, der die Württembergerinnen über die politische Position von Louise Otto - der Herausgeberin der ersten Frauenzeitung[94] - informierte. Der Autor überließ es »den verehrten Leserinnen, ob sie sich gestimmt fühlen, sich zu demselben („merkwürdigen Glaubensbekenntnis«; d.V.) zu bekennen« (KR 47, 1849). Zitiert wurde in diesem Artikel u.a. die Forderung Louise Ottos, »daß die Frauen bei denjenigen Gesetzen, die sie selbst betreffen, eine Stimme haben« sollten, auch dort, »wo es gilt, Vertreter des Volkes zu wählen« (KR 47, 1849). Louise Ottos Programm, das verglichen mit dem der Frauen in der französischen Revolution eher gemäßigt war95, ging dennoch über die politischen Ansprüche der württembergischen Frauen hinaus; in der Öffentlichkeit zumindest fand Louise Ottos Artikel keine Resonanz.
Emanzipation stand in Württemberg nicht auf dem Programm der Revolution. 45 Jahre Franzosenfeindlichkeit hatten 1848 eine Rezeption französischer Frauenforderungen verhindert. Von Emanzipation wurde in Württemberg typischerweise nur gesprochen, wenn es um die Emanzipation von der französischen Mode ging (Kap. VI), oder sie fand auf der Bühne statt: In einem in Reutlingen aufgeführten Lustspiel mit dem Titel »Dr. Wespe oder die Emanzipation der Frauen« (RMC 27.4.48) wurde das freizügige Liebesleben der Schriftsteller und Schriftstellerinnen des »Jungen Deutschland«[96] aufs Korn genommen.
Obwohl die »Zeit der Emancipation gekommen« schien (KR 77, 1849) und schon im Vormärz viel darüber geschrieben worden war[97], war der Begriff Frauenemanzipation in Deutschland 1848/49 zweideutig geworden. Er wurde meist gleichgesetzt mit der Befreiung der Frau aus ehelichen Fesseln, mit der sexuellen »Emanzipation des Fleisches« und der »Freigebung der Sinnlichkeit« (Brockhaus 1839). Die wenigsten Frauen mochten sich mit diesen von Männern entworfenen Vorstellungen identifizieren, umso weniger als die Vertreter dieser Theorie, die Saint Simonisten, Sozialisten waren, die angeblich von einem,Kommunismus der Weiber' träumten. Auch Louise Otto distanzierte sich weit von solchen Ideen und sprach von »jenen lächerlichen und verrückten Träumereien, die das Wort >Emancipation der Frauen< entwürdigt haben, indem sie unsittliche und unmögliche Forderungen damit verbanden« (KR 47,1849). In den 1830er und 40er Jahren wurde »emancipirt« häufig als Gegenbegriff zu »weiblich« benutzt. Als »emancipirt« galten Frauen, die überdurchschnittlich gebildet waren, sich in männlichen Tätigsfeldern bewegten und wie z.B. einige Schriftstellerinnen der damaligen Zeit mit weiblichen Verhaltensnormen gebrochen oder gar wie George Sand männliche Verhaltensweisen übernommen hatten (Kap. III.1). Mit diesen Bildern konnten sich die Württemberge-rinnen 1848/49 kaum identifizieren.
Ein Problem, mit dem sich Frauen in der Revolution häufig auseinanderzusetzen hatten, war die Notwendigkeit, ständig ihre sachliche und öffentliche Kompetenz beweisen zu müssen und dadurch zu legitimieren, daß sie es wagten, an den Rand der politischen Bühne zu treten. Schließlich sahen sie sich mit Männern konfrontiert, die die Ansicht vertraten, daß Frauen »jede öffentliche Tugend fremd war« (RMC 8.1.48). Und die ihnen deutlich zu verstehen gaben, daß sie eines »haßten«, nämlich »waschhaftige Weiber, die Politik treiben wollen« (NZ 6.9.49). Die Eßlinger Demokratin Katharina Authenrieth-Boll, die im Vorstand des demokratischen Frauenvereins zur Unterstützung der Flüchtlinge (Kap. IV.3) war und sich öffentlich mit der politisch reaktionären Haltung eines Pfarrers auseinandergesetzt hatte, mußte sich so von diesem abkanzeln lassen.
- »Es thut mir recht weh, daß jetzt auch die Weiber anfangen solches Zeug herauszuschwätzen, wie unsere heruntergekommenen Theologen und Poeten und anderes leichtes Männervolk im Beobachter und drgl. Zeitungen. Habt denn Ihr Hausfrauen nichts gescheidteres zu thun? und ist es nicht genug, daß Eure Männer die seither ihren Beruf versäumt und dagegen unbillig geschwätzt und getrunken und gelärmt haben und ist so gar nichts dabei herausgekommen als Thorheit und Elend? Glauben Sie mir, beste Frau Boll, es steht ihr gewiß besser an, Ihrem Mann dienen, Ihre Kinder ziehen und Ihre Haushaltung in Ordnung bringen, als solche Redensarten aus den Zeitungen zusammenzustöppeln und aufs Papier setzen, hinter denen doch nichts ist.« (NZ 6.9.49)
Frauen, die 1848/49 politisch aktiv waren, gerieten zwangsläufig in Konflikt mit den herrschenden (ja auch von Liberalen vertretenen) Weiblichkeitsvorstellungen. Die Tatsache, daß das öffentliche Auftreten der Frauen an geschlechtsspezifische Rollenvorgaben gebunden war, engte ihren Verhaltensspielraum entsprechend ein, bzw. zwang sie, permanent in öffentlichen Selbstdarstellungen ihre Sonderstellung als Frau zu reflektieren. In ihren Erklärungen und politischen Aktionen finden wir deshalb immer wieder die Betonung, daß sie sich als Frauen »in weiblicher »Weise« für Politik engagierten. Im Konflikt zwischen Konvention, bürgerlichem Frauenbild und politischer Betätigung kam es sehr oft zu dem Kompromiß, daß Frauen zwar öffentliche, politische und soziale Aktivitäten zugestanden wurde, dies aber in spezifisch weiblichen Handlungsfeldern, wo sie »im Stillen umso wirkungsvoller« (NT 16.3.48) tätig werden sollten.
Selbst diese bescheidenen Formen des öffentlichen Auftretens von Frauen wurden nach der Revolution von den Konservativen verdammt. Und das ganze spätere Jahrhundert erscheint als Versuch, Frauen aus der politischen Öffentlichkeit wieder zu verdrängen. Dieser im 19. Jahrhundert andauernde Konflikt wird besonders bei Wilhelm Heinrich Riehl deutlich, der rückblickend auf die Revolution von der »Entfesselung weiblicher Art und Sitte« sprach und hinter den Frauenvereinen »überweibliche Gelüste, die Männer nachzuahmen« vermutete, denen es zu wehren galt.[98]
- »Der rechte Frauenverein ist das Haus, wenn eine wohlhabende Frau einsam steht, dann soll sie sich vorerst umschauen, ob in ihrer Sippe keine Familie ist, bei der sie als ,alte Tante' einziehen kann und mitarbeiten im Hause. Es ist dies immer noch ein stolzerer und weiblicher Wirkungskreis denn Präsidentin mehrerer Frauenvereine zu seyn.«[99]
Das Verbot politischer Vereine in Württemberg (1851/52) und damit auch von Frauenvereinen setzte vorerst der politischen Betätigung von Frauen ein Ende.