Als am 1. 4.1848 auf Drängen der liberalen und nationalen Bewegung in Württemberg das Gesetz zur Volksbewaffnung verabschiedet wurde, eröffnete sich damit nationalgesinnten Württembergerinnen ein neues Aufgabenfeld. Den ganzen Sommer über und bis in den Herbst hinein stickten Frauen Fahnen für die sich neu bildenden Bürgerwehrbataillone. Auf den ersten Blick erscheint Fahnensticken als unpolitisch. Doch wenn wir die Tätigkeit des Fahnenstickens nicht als >typisch weiblich< abqualifizieren, sondern im Rahmen der politischen Symbolik der Revolution sehen, werden die historische Bedeutung und die vielschichtigen Inhalte dieser weiblichen Arbeit sichtbar. Kulturanthropologische und ethnologische Herangehensweisen ermöglichen es, den inneren Sinnzusammenhang, der die stickenden Frauen mit dem politischen Geschehen und den Empfängern der Fahne verbindet, aufzudecken. Gleichzeitig wird dabei deutlich, daß die Frauen nicht nur real, sondern auch symbolisch in die nationale Politik verwoben waren.
Die Stuttgarterinnen ergriffen in Württemberg als erste die Initiative und machten sich ans Sticken von Bürgerwehrfahnen. Dazu organisierten sie bereits am 20. April 1848 eine Frauenvollversammlung im Stuttgarter Bürgermuseum. Ihr gemeinsamer Entschluß stand bald fest. Sie wollten »für die Stuttgarter Bürgerwehr Fahnen (an)fertigen, und zwar eine größere gemeinsame als Zeichen für alle Abtheilungen der Wehrmänner und kleinere Einzelfahnen für jedes Banner« (SK 21.4.48). Das dort gegründete Comitè nahm die weiteren Schritte in die Hand in den nächsten Tagen lagen in einigen Geschäften Spendenlisten aus, um Geld für das notwendige Material zu sammeln. In Zeitungsaufrufen baten die Comitèmitglieder die Stuttgarterinnen um ihre aktive Mitarbeit (SK 26.4.48).
Den offiziellen >Startschuß< zum Fahnensticken gab dann die königliche Entschließung vom 26. April 1848. Darin gestand König Wilhelm I. den örtlichen Bürgerwehren zu, daß
»für jedes Bataillon... als Sammlungs- und Erkennungszeichen eine Fahne bestimmt wird, deren Blatt auf der oberen Hälfte die Landesfarben, auf der untern Hälfte die deutschen Nationalfarben zeigt. Die ganze Länge der schwarz und rothen Fahnenstange bis zur Spitze der Lanze beträgt 9', die Fahne ist 3 1/2' hoch, 4' breit, einschließlich der vierfach auf 1 1/2' auslaufenden Spizen. Über der Flagge befindet sich ein Herz mit der Nummer des Bataillons oder dem Anfangsbuchstaben der Gemeinde, 3"3... hoch und 4"5... breit. Die Lanze ist 9"2... lang. Die Fahne wird an schwarzem Lederwerk in einem Becher betragen und ist mit schwarzrot-goldenen Fransen geziert.« (SK 9.5.48)[1]
- Musterentwurf für die von der Organisationskommission der Bürgerwehren vorgeschlagenen Fahnen. Beschreibung des Bürgerwehrbanners von Metzingen: »Es trägt auf der einen Seite die deutschen Farben mit dem Reichsadler im goldenen Felde, auf der anderen Seite die württembergischen Farben und darin das bis zum 30jährigen Kriege als Mezinger Wappen gebrauchte, ursprünglich gräflich Achalmsche Wappen.« (Schwäbische Kronik 14.10.1848) Beschreibung der Stuttgarter Bürgerwehr-Fahne: »Auf der Vorderseite ist sie gebildet durch drei horizontale Streifen schwarz, roth, gold, in der Mitte in einem goldenem Felde der deutsche Reichsdoppeladler, schwarz gestickt. Die Rückseite ist schwarzroth, im goldenen Felde das württembergische Wappen. Umschrift: Bürgerwehr 1848. Die Arbeit ist sehr schön und macht der Kunst der Frauen, welche sie gestickt alle Ehre. Auf der Fahnenstange steht auf den Hinterfüßen die Stute, welche zum Stuttgarter Stadtwappen gehört, vergoldet...«.
Desweiteren verfügte er, daß für die Anschaffung dieser vorgeschriebenen Bataillons-Fahnen die Verwaltungsräte sämtlicher Bürgerwehren Sorge zu tragen hätten. In den nächsten Wochen appellierten Bürgerwehren, demokratische Vereine und Frauenvereine an die >verehrlichen Frauen und Jungfrauen<, sich bei der »Stiftung einer Fahne für die Bürgerwehr« (NWB 17.6.48) zu beteiligen.
Es war nicht das erste Mal, daß sich Frauen in dieser Form für die nationale Bewegung einsetzten. Bereits während der Befreiungskriege gegen Napoleon hatten sich preußische Frauen an der »nationalen Erhebung« beteiligt. Schon damals hatten sie zu Nadel und Faden gegriffen, um den studentischen Freikorps schwarz-rot-goldene Fahnen anzufertigen. »Frauen« und »Jungfrauen« stifteten am 31. März 1816 der Jenaer Burschenschaft zu ihrer Gründung die erste Fahne.[2] Auch die Berlinerinnen hatten für das Lützowsche Freikorps [3] eine Fahne gestickt, die zu verleihen sich jedoch der preußische König Wilhelm 11. geweigert hatte. Etwa 30 Jahre später wurden die Farben schwarz-rot-gold - die Farben des Lützowschen Freikorps - vom Bürgertum bzw. von der liberalen Bewegung als Zeichen nationaler Einheit und politischer Freiheit aufgegriffen. 1848 bekannte sich die Nationalversammlung wieder zu der in den Restaurationsjahren verbotenen schwarz-rotgoldenen Fahne und erklärte sie zu den Farben der deutschen Nation. Auf seinem Weg zum Nationalstaat konnte das Bürgertum auf diese Symbole deutscher Einheit nicht verzichten. Genausowenig wie auf das Engagement der Frauen.
Um Frauen in das revolutionäre Geschehen einzubinden, hielt zum Beispiel ein Tübinger Wehrmann den Frauen das vorbildhafte Verhalten der Wienerinnen vor Augen. Diese hatten ihrer Trauer und Solidarität mit den in der Märzrevolution gefallenen Kämpfern mit zahlreichen gestickten Fahnen und Ehrenzeichen Ausdruck verliehen. Die Wienerinnen »... schenkten bei einem Trauerzug zur Bestattung der Gefallenen ihrer mit den Bürgern vereinten Nationalgarde gegen 360 gestickte Fahnen.« Und indem er an die örtlichen Verhältnisse erinnerte, fuhr er fort: »Darum, Frauen von Tübingen, ahmt jenen Wienerinnen nach, gleich wie wir ihren Männern, Brüdern und Söhnen nachzueifern suchen...« (TC 15.6.48).
Ehe die Frauen aber dem Wiener Vorbild nacheifern konnten, mußten sie organisatorische Vorarbeiten leisten. Es fehlte sowohl Material - dicker Baumwollstoff oder geschmeidige Seide sowie Stickgarne - als auch vor allem Geld. Bei den öffentlichen Sammlungen für die gemeinsame nationale Sache griffen dann nicht nur viele Frauen in ihre Geldbörsen und leisteten einen symbolischen Beitrag zum erfolgreichen Gelingen, auch viele gutsituierte Kaufleute beteiligten sich mit Spenden. Und da jede Frau die Möglichkeit haben sollte, das Ihre zur gemeinsamen nationalen Sache beizusteuern, setzten die Organisatorinnen die Beiträge niedrig an oder benannten Höchstgrenzen, um das soziale Gefälle unter den Spenderinnen auszugleichen. Wo es um nationale Interessen ging, sollten das Einkommen des Ehemanns oder die Höhe des Haushaltsbudgets keine Rolle spielen. Daher hatten die Stuttgarterinnen den Beitrag auf »30kr bestimmt, damit die Zahl der Theilnehmerinnen um so größer seyn kann« (SK 26.4.48).
Die zahlreichen Zeitungsaufrufe und Appelle fanden in der Frauenwelt ein positives Echo. Während die Frauen im März für die Nationalstaatsidee auf Eleganz und Luxus verzichteten (Kap. V.1), setzten sie jetzt das Ergebnis gelungener bürgerlicher Mädchenerziehung ihre handarbeitlichen Fähigkeiten - ein, um den Wehrmännern, den Turnern oder dem akademischen Freikorps Fahnen anzufertigen.
Daß die Zeit der Frauen nun ebenfalls mit Arbeiten für die Revolution ausgefüllt war, kam - so entsteht der Eindruck - sicherlich manchem Wehrmann gelegen. So konnte sein häufiges Fortbleiben schon nicht zu einer Störung des häuslichen Friedens führen. Ein Tübinger Wehrmann brachte dieses eigennützige Motiv in seinem Aufruf an die Frauen der Stadt unverhohlen zum Ausdruck.
»... benützt die Abendstunden, da Eure Männer oder Brüder sich einüben für den Freiheitskampf oder den müden Leib noch durch einen Labetrunk stärken möchten, nicht dazu, ihr langes Ausbleiben als Etwas Ungehöriges zu beklagen und tadeln. Nein! zeigt, daß ihr deutsche Frauen seid, eines deutschen Wehrmanns würdig, und helft sobald als möglich dem ab, was Noth thut!... X.Y.Z.« (TC 15.6.48)
Indem sie halfen, »was Noth thut«, öffneten sich den Frauen für ein paar Stunden Türen zu Räumen, die lange der bürgerlich-männlichen Öffentlichkeit vorbehalten gewesen waren. Zum Fahnensticken trafen sie sich meistens abends unter der Woche oder sonntags vor bzw. nach der Kirche im Rathaus, der Schule oder dem Saal der Bürgergesellschaft. Während jedoch die bei diesen Tätigkeiten anfallende Handarbeit in den Zuständigkeitsbereich der Frauen fiel, blieb es in aller Regel Spezialisten überlassen, die künstlerische Vorlage zu entwerfen. Die Eßlingerinnen zogen ihrer Commission »sachverständige Männer« hinzu, als es um die Planung des Fahnenstickens ging.[4] Dennoch hatten die Frauen alle Hände voll zu tun: Es galt, den Entwurf zu besprechen, Spendenaufrufe zu formulieren, den weiblichen Mitgliedern über die Ein- und Ausgaben des Comitès Rechenschaft abzulegen und natürlich zu sticken. Dazu waren unterschiedliche Fähigkeiten notwendig und die Fingerfertigkeit und Qualifikation jeder Frau gefragt. Dies war ihr Metier - hier waren sie die Spezialistinnen. Der Kreis der Fahnenstickerinnen stand vom Anspruch her grundsätzlich jeder Frau offen. Sozialer Status - die gesellschaftliche Stellung des Ehemanns oder Vaters - sollte kein Aufnahmekriterium sein. Dennoch führte das Engagement für die deutsche Nation vor allem bürgerliche Frauen zusammen, und die Sprecherinnen kamen in der Regel aus den Häusern des wohlhabenderen Bürgertums oder bekannter Politiker. In diesem neugeschaffenen Kreis lernten sich Frauen außerhalb des traditionellen Familien- und Verwandtschaftsverbandes kennen, und sicherlich knüpften manche Frauen Freundschaften, die fortbestanden, als die Fahne schon längst ihrer - weiteren Bestimmung übergeben war.
Zu einer anderen Organisationsform des Fahnenstickens kam es hauptsächlich in Städten, in denen die revolutionäre Bewegung schwächer war und die Frauen weniger Anteil am politischen Geschehen nahmen. Hier wurde das der Fahne als Auftragsarbeit an hauptberufliche Näherinnen vergeben. Der Verwaltungsrat der Bürgerwehr bezahlte dann nicht nur die Kaufmannsrechnung und den entstandenen Materialverbrauch, sondern entlohnte auch die Näherin oder Stickerin. Da die Frauenlöhne generell sehr niedrig waren, verdienten die Frauen bei dieser Arbeit nicht sehr viel. Für das Nähen von zwei großen und zwei kleinen Fahnen erhielt Elisabeth Wacker in Schorndorf z.B. lfl 50kr.[5]
Die stickenden bürgerlichen Frauen fragten allerdings nicht nach materieller Entlohnung. Ihre Motive waren anderer Natur. Sie beflügelte patriotische Begeisterung: Der öffentliche Beifall und die Huldigung ihrer Arbeit durch die Männer war ihnen »Lohn« genug. Dieser Ansicht waren auch die Bürgerwehr-Männer. Der Stuttgarter Stadtschultheiß Gutbrod und der Oberbefehlshaber der Bürgerwehr von Alberti fügten im Anschluß an die öffentliche Danksagung des Verwaltungsrates der Bürgerwehr die Bemerkung an,
»daß jene patriotische Stiftung (der Fahne; d.V.) zu einem Bürgerwehrfeste Veranlassung gegeben (hat), das nicht nur für die Zeugen und Theilnehmer desselben und für die neu belebte Austadt (Stuttgart; d.V.) von einer erhebenden Wirkung gewesen, sondern bei den verehrlichen Stifterinnen ein freudiges Gefühl erzeugt haben werde, welches als die schönste Befriedigung für ihre freundliche Leistungen und Bemühungen zu erkennen seyn sollte.« (SK 29.8.48)
In Württemberg fanden zwischen Juli und Oktober fast jeden Sonntag Fahnenweihen für die Bürgerwehren oder die Turner statt. Bei diesen feierlichen Anlässen der Fahnenübergabe wurde nicht nur ein nationaler Festakt inszeniert, sondern zugleich auch das Verhältnis der Geschlechter.[6]
Der Festablauf unterschied sich nur geringfügig von Ort zu Ort. Nach dem Morgengottesdienst holten die Wehrmänner die Frauen und ihr verhülltes Geschenk von einem zentralen Gebäude ab - meist war es das Rathaus. In geschlossener Formation marschierten dann die Bürgerwehren zum Festplatz, ihren Willen zur Nation mit festem Schritt und Tritt bekundend. Kontrastiert wurde dieses militärische Bild durch die Teilnahme der Frauen. Die Frauen in schwarzen, die »Jungfrauen« in weißen Kleidern, drapiert mit schwarz-rotgoldenen Schärpen, wurden selbst zur Zierde des Festzuges.
- »...den schönsten Schmuck aber bildeten die schönen Reihen von Damen im Festgewande, welche als Stifterinnen und Stickerinnen der Bataillonsfahnen, so wie der großen Hauptfahne, im Festzuge mit den Frauen gekommen waren...« (NT 27. 8.48)
Wie von einem schützenden Ring umgeben, geleitete der Zug die Frauen in ihrer Mitte zur Stadt hinaus. Auf dem ebenfalls mit Fahnen und Eichenlaub prächtig geschmückten Festplatz angekommen, nahmen die Frauen Ehrenplätze ein, meist in der vordersten Reihe oder auf der Tribüne.
Der Höhepunkt jeder Fahnenweihe war dann die feierliche Übergabe der Fahne und ihre anschließende Enthüllung durch den Bataillonskommandanten. Weißgekleidete »Jungfrauen« mit grünen Eichenlaubkränzen im Haar überreichten in einem groß angelegten Festakt das von »zarter Frauenhand geschaffene Panier« (ESP 25.10.48).
Während im Feudalismus dem Monarchen oder Feudalherren der Treueschwur galt, verpflichteten sich jetzt die Männer angesichts ihrer Frauen, den Bürgerinnen des neuen Staates, Vaterland, Nation und Freiheit vor äußeren und inneren Feinden zu schützen. Deswegen bestand die Aufgabe des Wehrmanns nicht nur darin, wie ein »geschlossenes Ganzes« und, »wenn es sein soll, todesmuthig jedem Feinde des Vaterlandes sich (entgegenzustellen), mag dieser Feind von Außen oder von Innen, von oben oder von unten es bedrohen.« Ebenso rasch galt es »zu Hilfe zu eilen« wenn »Heerd und Familie, Ordnung und Gesetz, oder Ehre und Eigenthum« in Gefahr waren, um mit »kräftigem Arme das Zarte (zu) schützen, das Schwache (zu) schirmen, der guten Sitte, der biedern Bürgertugend, der Unschuld rettend und helfend zur Seite« zu stehen. Denn: »Ein Bewaffneter ist ein geborener Beschützer, das ist sein Ruhm, seine Bestimmung, seine Ehre« (ESP 11. 10. 48). Damit symbolisiert die Fahne, die von den Frauen übergeben wurde, die Beschützerfunktion der Männer und drückt gleichzeitig auch den Charakter der Geschlechterbeziehung aus.
Den Männern oblag es, das Schwache - ihre Bräute und die im Werden begriffene deutsche Nation - vor »feindlichen Gelüsten« (ESP 11. 10. 48) zu beschützen. Bei seinen Bemühungen, ein einheitliches Staatsgebilde zu schaffen, griff das Bürgertum auf ein integrierendes und mobilisierendes Sinnbild der deutschen Nation zurück: Das Ideal der reinen Jungfrau. Ihre Reinlichkeit wird dem sexuell korrupten' Adel und dem >kulturlos-triebhaften< Industrieproletariat entgegengestellt - den Feinden »von unten« und »von oben«, wie es oft in den Fahnenweihreden heißt. »Treu und rein« ziemt es den Frauen, »des Heerdes heilge Flamme« zu pflegen, schreibt ein Gedicht die Verhaltensanforderungen an die Frauen fest (ESP 11. 10. 48). Sittlichkeit als bürgerliche Tugend findet in der Unversehrtheit des weiblichen Körpers seinen Ausdruck. Die Philosophie der Aufklärung ebnete diesem neuen Weiblichkeitsideal der sittlichen und reinen Frau den Weg. Sie hatte nämlich Frauen vom Stigma befreit, das >schwache Werkzeug< der Sünde, Symbolfigur des Bösen zu sein, das die christliche Religion ihr zugeschrieben hatte. Damit war den alten Weiblichkeitsbildern der religiösen Offenbarungslehre, nach denen die Frau triebhaft und mehr von Affekten beherrscht sei als der Mann, die Grundlage entzogen. Der ideologisch >gezähmten< Frau kommt im Rahmen einer komplexen, arbeitsteiligen Gesellschaft, in der der Bürger Selbstbeherrschung üben und Trieb und Affekt genau regeln muß, um im Arbeitsprozeß leistungsfähig zu sein, eine besondere Rolle zu: Sie soll für die Kanalisierung und Sublimierung der sexuellen Triebe in der Ehe sorgen.[7] Daher muß sie als Trägerin der Tugend und Unschuld, als völlig immun gegen sexuelles Empfinden erscheinen. Ihre Jungfräulichkeit, die sie mit in die Ehe bringt, stellt so ihren wichtigsten Wert dar. Ihre körperliche Unversehrtheit wird zum Ausdruck ihrer Ehre und gibt Auskunft über ihren Lebenswandel.
Dieses Modell des Geschlechterverhältnisses von weiblicher Ehre und männlichem Schutz schreibt die Zuständigkeit der Frauen für innere (sittliche) Grenzen und die der Männer für äußere (politische, öffentliche) Grenzen fest.[8] Damit begründet Frauenehre Männerehre, denn die Ehre des Mannes definiert sich über den erfolgreichen Schutz der weiblichen Ehre.[9] Männliche Ehre hing damit auch vom >Wohlverhalten< der Frauen ab. Aber gleichzeitig sind die Frauen zum Schutz ihrer Ehre auf die männlichen Beschützer angewiesen. Das eine geht ohne das andere nicht. Daher dichtete auch Reallehrer Fischer, Leutnant im 1. Banner bei der Fahnenweihe in Stuttgart:
»Es eilt sogern der liebende Germane
Zum Waffendienste auf der Frauen Ruf;
's ist Eu'r Ruhm, die Männer so zu ehren,
Und Ruhm ist's, freien Männern zu gehören.« (SK 26.8.48)
Um ihre Ehre aufrechtzuerhalten, müssen die Männer aktiv sein. Sie müssen hinaus ins feindliche Leben, denn nur sichere Landesgrenzen schützen »alles, was dem Menschen theuer und werth ist« (ESP 11. 10. 48). Darum müssen die Männer kämpfen, sich behaupten, bewahren oder gar sich »todesmuthig« dem »Feind« entgegenstellen. Seit dem schleswig-holsteinischen Krieg, in dem der Deutsche Bund den dänischen Gebietsansprüchen militärisch entgegentrat, gingen auf den Fahnenweihen die Vokabeln »Kraft«, »Ehre« und »Freiheit« eine eigentümliche Verbindung ein. Indem der fremde Übergriff auf Gebiete mit dem fremden Übergriff auf Frauen gleichgesetzt wurde, konnte eine von außen bedrohte nationale Ehre mit einer auf dem Spiel stehenden Geschlechterehre identisch werden. Diesen inneren Zusammenhang drückte Fräulein Ottilie Keller auf der Reutlinger Fahnenweihe aus, als sie die Verbindung zwischen (männlicher) Ehre und (weiblicher) Freiheit herstellte. Sie sprach:
»Daß auch unsere Herzen höher schlagen bei dem Gedanken an die schöne Zeit, auf die wir hoffen, das möge diese Fahne Euch sagen. Sie soll Euch voranwehen auf dem Wege zur Ehre, und während Ihr begeistert für unsere Freiheit kämpft, wollen wir beten...« (RMC 6.5.48)
In fast religiöser Inbrunst identifizierten sich Frauen mit den nationalen Zielen der Revolution. Dies spornte sie selbst zu eigenen politischen Aktivitäten an. Doch selbst wenn sich Frauen neue Räume schufen und in das politische Geschehen eingriffen, verließen sie den vorgegebenen Rahmen des bipolaren Geschlechtermodells nicht, das sie auf ihre natürliche' Bestimmung, Pendant zum männlich-aktiven Pol zu sein, beschränkte und damit zum ruhenden Mittelpunkt männlichen Schaffensdrangs machte.[10]
Kraft durch Liebe: Die Braut
Die von den Frauen überreichten Banner gaben den Männern die notwendige Kraft, um die geforderten >Heldentaten< ruhmreich vollbringen zu können, denn das »Zeichen der Kraft« (ESP 27.9.48) spornte sie zu immer neuen Leistungen an. Mit Kraft konnten dann auch »Raub und Diebstahl« verhindert und den »Räubern, welche plündern«, die »Faust« ins Gesicht geschlagen werden, wie es in einer Strophe des Ulmer Wehrmannsliedes heißt (ESP 25.10.48).
Als Feldzeichen symbolisierte die Fahne schon immer eine höhere Macht, der für den siegreichen Ausgang der Schlacht Bedeutung zukam. Und da seit dem 17. Jahrhundert die Heeresorganisation umstrukturiert worden war, fand die Fahne als Orientierungszeichen in den Armeen eine allgemeine Verbreitung. Deshalb schrieben auch Renner und Heßler in ihrem »Neuen künstlich Fahnenbüchlein« (1615) dazu:
- »Dann der Fahnen/oder wie ihn die alten genannt signum belle, den Soldaten so lang er in dem Felde stehetet/Hertz und Muth gibt - daß sie nicht allein dess der dapfferer Streiten/sondern auch in hoffnung oder aber ein kennzeichen dess Sieges haben.«[11]
Nur solange sie im Feld wehte und als Ordnungszeichen die innere Einheit der verschiedenen Bataillone herstellte, waren siegreiche militärische Aktionen möglich. Fiel sie in die Hände der Feinde, zerbrach der Gruppenzusammenhang, die einzelnen Heeresteile waren zersprengt - statt militärischer Ordnung herrschte zügelloses Chaos.
Um ihrer Beschützerrolle ehrenhaft nachkommen zu können, mußten die Männer über bestimmte Eigenschaften verfügen. Die Losungsworte auf den Fahnen wie »Treue«, »Tapferkeit«, »Einigkeit«, »Deutsch«, »Ordnung«, »Heldenmut« oder »Ausdauer« (SK 26.8.48) können als Verhaltensanforderungen an den deutschen Mann verstanden werden. Dabei nahmen die Anhänger einer deutschen Nation die Germanen zum Vorbild, die genau wie sie gegen Fremdherrschaft kämpfen mußten. Der Kult des Germanentums [12] diente ihnen als Schutz- und Abwehrmittel gegen politische und geistige Überfremdung,[13] und die Eigenschaften der Germanen wurden - als Kompensation für die nicht erreichte autonome Bürgerkultur - zu Tugenden des deutschen Mannes erklärt. Und da die Romantik erstmals die Gleichsetzung von >germanisch< und >deutsch< vollzog,[14] konnte es im Rückgriff auf die >ruhmreiche Vergangenheit< im Paradeschritt nach vorn, zum deutschen Nationalstaat gehen. Dabei trug die Popularisierung der mittelalterlichen Vergangenheit und die Rückbesinnung auf eine gemeinsame deutsche Geschichte zur Bildung eines deutschen Nationalbewußteins bei. Gleichzeitig verwischten diese >Gemeinsamkeiten< die bestehenden vielfältigen Standes-, Klassen- und Geschlechtergegensätze. Die Inhalte vieler Fahnenweihgedichte und -reden legen davon ein beredtes Zeugnis ab: in ihnen wurden Symbole >alter< Größe und Macht heraufbeschworen oder germanische Sitten und Verhaltensweisen wieder lebendig.
Während des Krieges in Schleswig-Holstein galten vor allem »Kraft« und »Stärke« als die hervorragendsten männlichen Eigenschaften. Nach dem Waffenstillstand von Malmö und zur Zeit der politischen Kämpfe in Wien stand die Losung: »Einig, treu, deutsch« im Vordergrund. Herr Ebner dichtete bei der Eßlinger Fahnenweihe:
»Der Freiheit Gold
Was wir bis jetzt errungen -
Das zu erkämpfen uns bis jetzt gelungen -
Von wieviel Feinden sehen wir ihm drohen,
Von innen und von außen - niedern - hohen?
Drum gilt es muthig sich zum Kampf zu rüsten,
Und widerstehen den feindlichen Gelüsten
mit MANNESKRAFT!« (ESP 11.10.48)
Auch in Ulm wurde auf die nationale Politik der Paulskirche reagiert. »Ohne Einheit ist keine Kraft und Größe«, sprach Fräulein Marie Palm bei der Übergabe des ersten Banners mit der Inschrift »Einigkeit« an den Oberbefehlshaber. Und Fräulein Rosalie Kiderlin, die das zweite Banner mit der Aufschrift »Treue« überreichte, deklamierte: »Treu sei der Sinn, treu und fest die Kraft, und groß und stark wird und muß werden unser schönes deutsches Vaterland« (ESP 25.10.48). Doch nicht nur »die Symbole des Sieges und der Kraft, als des Banners Merkmale«, d.h. der schwarze Reichsadler im gelben Feld mit roten Fransen (ESP 25.10.48), machten den Männern Mut in Minuten des Zauderns und Zagens. Ihre Kraft wurde zusätzlich von der Liebe der stickenden Frauen genährt, die dadurch zum emotionalen Fundament der revolutionären und nationalen Bewegung wurde. Hier wird die Arbeit, für die der Feudalherr früher den professionellen Bortenmacher zu entlohnen hatte, zur >Liebesarbeit< der Frauen.[15] Die Fahne stellte zwischen den Empfängern, den Kriegern, und den zumeist unverheirateten Stickerinnen eine besondere symbolische Beziehung her. Wenn Hauptleute und Kommandanten der Bürgerwehr von weißgekleideten »Jungfrauen« die verhüllte Fahne in Empfang nahmen, weckte dieses Ritual Assoziationen an Verlöbnis und Hochzeit.[16] Die Brautsymbolik geht schon in den Produktionsprozeß mit ein, denn im Volksglauben besitzen Sticken und Nähen eine deutliche sexuelle Konnotation.[17] Immerhin fielen die meisten Stickarbeiten an, wenn es darum ging, die Aussteuer einer Braut anzufertigen. Im Hinblick auf ihren künftigen Status als verheiratete Frau versinnbildlichen Nadel und Faden auch die Geschlechterbeziehung. je nachdem, wie genäht wird, begleiten Segen oder Fluch die Ehe. Selbstverständlich wird jede Braut bedacht sein, ihrem Liebsten nur das Beste >anzustikken<, um eventuelles Unglück abzuwenden. Dies schwingt auch in den Reden bei der Fahnenübergabe mit. Mathilde Gutekunst rezitierte bei der Stuttgarter Fahnenweihe der Turner: »So nehmt denn hin das buntgeschmückte Zeichen, in Liebe ist's, in Freundschaft euch geweiht.« (NT 16.5.48) Die Frau verwaltete und veredelte mit Liebe den Innenraum und stärkte den Mann, so daß dieser den alltäglichen Kampf in der feindlichen Außenwelt bestehen konnte. Diese Liebe der Frauen fand in den Fahnen ihren Ausdruck. Derart ausgerüstet konnten sie sich dann an die große Aufgabe machen, die deutsche Nation zu schaffen.
»Dies Banner aber, das vereint wir schufen,
Fest knüpfen soll's das neue Bruderband. -
Von allen ward - o glaubt es uns - gewunden
In Liebe Euch der deutungsreiche Kranz,
Die Freude dran, sie kürzte uns die Stunden,
Doch Eure Freude, sie erst lohnt uns ganz.« (NT 16.5.48)
Auf dem militärischen Weg zum deutschen Nationalstaat verbanden sich die Liebe der Frauen und die kriegerische Bereitschaft der Männer zu einer arbeitsteiligen, aber kampffähigen Einheit. Die »Paniere, von zarter Frauenhand geschaffen«, leuchteten den Männer voran. An ihnen hafteten »mit gerechtem Stolz« die Blicke der Kämpfenden, unter ihnen hob sich »das Herz des deutschen Mannes hoch« und sie begeisterten ihn »zur unbedingten Hingebung für die Sache des Vaterlandes« (ESP 25.10.48). Dem Wehrmann blieb unter diesen Umständen nur die Alternative: »sterben oder siegen, wie sein Bruder, der Soldat« (ESP 25.10.48).