Wir beginnen unser College-Leben symbolisch und buchstäblich auf dem letzten Platz. Aber unsere Fortschritte bringen uns glücklich zum Gipfel. Im letzten Studienjahr sitzen wir direkt an der Fünfzig-Yard-Linie, in der Nähe des Präsidenten und der bedeutendsten Ehemaligen, die mit diesem Ehrenplatz von ihrer Alma mater ausgezeichnet werden.
Ironischerweise werden wir uns im nächsten Herbst als Abgänger noch einmal auf den letzten Plätzen wiederfinden. Deshalb beschlossen ein paar von uns, das diesjährige Footballmatch zwischen Harvard und Yale zu einem gigantischen Abschiedsfest zu machen. Newall und ich nahmen mit einigen unserer früheren Internatsfreunde in New Haven Verbindung auf und sicherten uns allen Sofas und Fußböden für die Übernachtung. Wir fanden sogar für Gilbert etwas, der sich dafür revanchierte, indem seine Schwester Julie uns mit ein paar ihrer begehrenswerten - und wie wir hofften, fügsamen — Freundinnen von Radcliff versorgte.
Julies Cliff ist im Gegensatz zu dem in Cambridge mehr ein pragmatisches College, das die Betonung darauflegt, wo sie hingehört — auf Schönheit und Charme. Ich finde es schon in Ordnung, wenn ein Mädchen mit Maßen Köpfchen hat, aber die Radcliffe-Weiber sind so verdammt intellektuell und ehrgeizig, daß man bei ihnen manchmal vergißt, wozu Gott die Frau erschaffen hat. Nicht, daß ich etwas gegen Radcliffe hätte. Wenn ich jemals eine Tochter hätte, müßte sie dorthin.
Ich glaube nur, wenn es mal ums Heiraten geht, ist man bei einer von Radcliff besser dran.
Julie Gilbert servierte Newall und mir wirkliche Köstlichkeiten. Und wir vermittelten ihr dafür unseren Gastgeber in Yale, Charlie Gushing, ein wirklich lieber Kerl. Womit höflich gesagt sei, daß er perfekte Manieren, aber nicht viel im Kopf hat (im Vergleich zu ihm bin ich ein Einstein).
Unsere Sitzplätze im Stadion von Yale waren wirklich sensationell. Wir saßen an der Fünfzig-Yard-Linie inmitten der Großen der Welt, die uns umgaben wie Konfetti bei einer Geburtstagsparty. Vier Reihen von mir entfernt saßen der Präsident von Harvard, Pusey, und die Dekane, die höflich klatschten, wenn unserer Mannschaft einmal etwas gelang — was nicht sehr oft der Fall war. Zehn Meter entfernt zu meiner Linken saßen unser Senator von Massachusetts, Jack Kennedy, und seine hübsche Frau Jackie. Sie hielten sich weniger zurück als die meisten anderen Ehemaligen in dieser vornehmen Versammlung und schrien sich die Lungen heraus, damit Harvard endlich ein Treffer gelang gegen die wüsten mit Trophäen übersäten und, dem Herrn sei's geklagt, einfach zu guten Typen von Yale.
Aber nicht einmal die Lautstärke eines amerikanischen Senators half an diesem Tag unseren Jungs weiter. Yale überrollte uns mit 54 : 0.
Ach, was soll's, dachte ich, bei den Festivitäten nach dem Spiel dann im ßranford College haben diese Yulies so wenig, worauf sie stolz sein können, dann sollen sie wenigstens das verdammte Spiel gewinnen.
An einem Nachmittag, Anfang Dezember, sah Sara über das Kissen zu Ted hin und lächelte. »Ted, meinst du nicht, es wird langsam Zeit, daß du bei meinen Eltern um meine Hand anhältst?«
»Und wenn sie nein sagen, was dann?«
»Dann decken wir einfach zwei Plätze weniger beim Hochzeitsessen«, erwiderte sie.
»Das verstehe ich nicht. Ist es dir denn egal, was sie von mir halten?«
»Nichts wird mich davon abhalten, dir immer so nahe zu sein wie jetzt«, antwortete sie und fügte mit leicht verlegenem Ernst hinzu: »Aber ich wäre sehr froh, wenn mein Vater dich mag. Und ich bin sicher, er wird dich mögen. Mama akzeptiert sowieso niemanden, den ich anbringe.«
Ted war natürlich nervös. Denn er wollte Sara sehr gerne den Gefallen tun, von ihrem Vater akzeptiert zu werden. Deshalb versuchte er in den Tagen vor dem Besuch, soviel wie möglich über den Mann herauszubekommen, den sie so bewunderte.
>Who's Who< belehrte ihn, daß Philip Harrison auf das Saint-Paul-Internat gegangen war, dann nach Harvard, Jahrgang '33, daß er ein hochdekorierter Marineoffizier und einer der erfolgreichsten Handelsbankiers des Landes war.
Außerdem erschien sein Name immer dann auf der ersten Seite der >New York Times<, wenn er wieder einmal den jeweiligen Bewohner des Weißen Hauses aufgesucht und in einer besonders haarigen ökonomischen Frage beraten hatte.Er hatte drei Söhne gezeugt. Aber seine Tochter war sein Augapfel, und wenn man Sara glauben konnte, dann war er die Inkarnation aller nur möglichen Tugenden. Menschenskind, dachte Ted, wenn an dieser Ödipus-Sache etwas dran ist, habe ich nicht die geringste Chance!
»Ich glaube, der blaue Anzug da wäre prima für das Weihnachtsessen, Ted.« »Und wie wäre es mit dem grauen Flanellanzug fürs Essen und dem blauen für den Gottesdienst?« Sie filzten Andrews Garderobe nach passenden Feiertagsroben, damit Ted den bestmöglichen Eindruck machen würde. »Lambros, das ist wirklich egal. Der alte Harrison wird dich nicht nach deiner Kleidung beurteilen.« »Du meinst, nach deiner.« Ted lächelte und fragte dann nervös: »Und was ist mit ihrer Mutter? Habe ich bei der überhaupt eine Chance?«
Andrew fand, als Freund müsse er Ted alle Illusionen nehmen. »Ich glaube nicht, Lambros. Wahrscheinlich sähe sie dich bei der Hochzeit ihrer Tochter gerne als Kellner, aber nicht als den Ehemann. Meinetwegen kannst du alle meine Sachen haben —sogar meinen Club-Schlips. Aber ich fürchte, Daisy Harrison ist nur zu beeindrucken, wenn du eine Krone trägst, und die kann ich dir nicht leihen.«
»Du stärkst mein Selbstvertrauen ja ungeheuer«, murrte Ted. Andrew faßte seinen Freund bei den Schultern: »Sag mal, hast du in den dreieinhalb Jahren hier in Harvard immer noch nicht begriffen, daß es nicht darauf ankommt, wer du bist, sondern was du bist?«
»Du hast leicht reden, Eliot. Bei dir sind wahrscheinlich noch die Aufkleber von der >Mayflower< auf den Koffern.«
»Hör doch auf, Ted. Ich würde gerne jederzeit mit dir tauschen. Was nutzen mir meine ganzen Vorfahren, wenn ich nicht mal ein Mädchen für den Silvesterabend auftreiben kann. Hast du mich jetzt verstanden?«
»Ja, schon . ..«
»Also gut. Pack deine Ausgehuniform da zusammen und bezirze ihre Eltern.«
Sie nahmen den D-Zug am 25. Dezember. Obwohl der überheizte Zug voller Studenten war, die fröhlich plauderten, Weihnachtslieder oder andere geistliche Leckerbissen wie >You ain't Nothing but a Hound Dog< und >Blue SuedeShoes< brüllten, wechselten Ted und Sara kaum ein Wort und lasen.
Als sie aus Stamford abfuhren, fragte Ted schließlich: »Wer holt uns in Greenwich ab?« »Wahrscheinlich einer meiner Brüder. Vater arbeitet vor den Feiertagen immer etwas länger.« »Was für Chancen habe ich, daß mich von deiner Familie irgend jemand wirklich mag?« »Das ist schwer zu sagen«, antwortete Sara. »Phippie und Evan werden bestimmt etwas eifersüchtig auf dich sein, weil du in Harvard bist und sie beide dort abgeblitzt sind.«
»Mach keine Witze — trotz des großen Einflusses deines Vaters?«
»Vater ist kein Wunderdoktor«, lächelte Sara. »Und ihre Zeugnisse waren eher schwach. Nein, Lambros, du und er werden die einzigen Harvard-Leute am Tisch sein. Geht es dir jetzt etwas besser?«
»Ja«, gab Ted zu, »ja, in der Tat.«
Kurz nach acht Uhr stiegen sie aus dem Zug auf einen schwach erleuchteten Bahnsteig, und Sara suchte in der wartenden Menge nach einem ihrer Brüder. Plötzlich ertönte ein Schrei des Entzückens: »Papa!« Ted blieb bewegungslos stehen, als sie sich in die Arme eines großen Herrn im Schaffellmantel warf, dessen silbernes Haar von den Autolichtern des Parkplatzes dahinter beleuchtet wurde. Und nach einer Ewigkeit, wie es ihm schien, kamen sie Arm in Arm auf ihn zu. Philip Harrison streckte die Hand aus. »Schön, Sie zu sehen, Ted. Sara hat mir viel von Ihnen erzählt.«
»Hoffentlich nur Gutes«, erwiderte Ted und setzte sein schönstes Lächeln auf. »Ich danke Ihnen sehr für die Einladung.«
Sie fuhren den Merrit Parkway entlang, dann durch enge baumbestückte Seitenstraßen und bogen in die Einfahrt eines — verglichen mit Teds Phantasien — bescheidenen weißen Hauses im Kolonialstil mit grünen Fensterläden ein.
Daisy Harrison stand in der Tür, um sie zu begrüßen, und wirkte auf makellose Weise zwanglos. Sie küßte ihre Tochter und wandte sich dann dem Besucher zu.
»Sie sind sicher Theodore«, sagte sie, als sie sich die Hand gaben. »Wir freuen uns sehr, Sie kennenzulernen.« Sie war nicht fähig, den Regeln konventioneller Höflichkeit wirklich überzeugend zu folgen.
Nur wenig später stand Ted, fast wie in einer Witzzeichnung des >New Yorker<, mit einem Glas heißen Toddys vor einem vornehm prasselnden Feuer, umgeben von dem Harrison-Clan. Sie alle trugen ausgesucht modische Freizeitkleidung ländlichen Schnitts, und Ted kam sich in Andrew Eliots dreiteiligem Anzug etwas zu vornehm vor. Die zwei älteren Brüder schienen ganz freundlich zu sein, obwohl Phippies »Tag...« und Evans »Sehr erfreut...« nicht gerade überschwenglich wirkten.
Der vierzehnjährige Ned war sehr viel herzlicher. »Mensch, Ted«, zwitscherte er, »ist doch furchtbar, wie Yale dieses Jahr Harvard im Football abserviert hat.« Das war genau die Art Unterhaltung, die Ted durch die relative Nähe zum Eliot-Haus zu beherrschen gelernt hatte. »Du mußt verstehen, Neddy«, antwortete er, »wir sind sozusagen gesellschaftlich verpflichtet, immer mal gegen Yale zu verlieren. Das hilft ihnen bei ihrem Minderwertigkeitskomplex.«
Dieser schamlose Harvard-Mist faszinierte den jüngsten Harrison. »Mensch«, rief Ned, »aber 54 :0, ist das nicht etwas viel?« »Ganz und gar nicht«, warf Sara ein, »die Jungens in New Haven waren dieses Jahr wirklich verunsichert. Harvard hat sie nämlich bei den Rhodes-Stipendien geschlagen.«
»Und das zählt etwas mehr als Football«, fügte Philip Harrison, Jahrgang '55, amüsiert hinzu.
»Es ist nämlich so« sagte Mrs. Harrison mit einer Süße, die einen Diabetiker hätte kollabieren lassen, »in meiner Familie ist alles Yale. Und bei Ihnen? Alles Harvard.
»Ganz richtig« antwortete der wohlvorbereitete Ted Lambros.
Sara lächelte in sich hinein und dachte, Griechenland führt gegen das amerikanische Establishment mit eins zu null.
Der erste Abend gab das Modell ab für die darauffolgende Woche. Mr. Harrison schien interessiert und freundlich. Die beiden älteren Brüder Saras waren ungezwungen herzlich, wenn sie nicht gerade hinter örtlichen Damen her waren. Der kleine Ned, der davon träumte, in Harvard angenommen zu werden, war hingerissen vom Gast seiner Schwester. Und als Ted ihm dann sogar eine ganze Stunde lang beim Übersetzen Vergils half, hätte er ohne weiteres seine zwei älteren Brüder dafür gegeben, Ted in der Familie zu haben.
Aber dann war da ja noch Daisy Harrison ...
Eines Nachts wurde Ted von den Stimmen von Mr. und Mrs. Harrison im nebenliegenden Zimmer wach. Die Unterhaltung war erregt und einige Dezibel lauter als normal. Zu seinem Unbehagen war er Gegenstand dieser Auseinandersetzung— obwohl er nie beim Namen genannt wurde.
»Aber Philip, seine Familie besitzt ein Restaurant« »Daisy, dein Großvater fuhr auf einem Milchwagen.« »Aber er brachte meinen Vater durch Yale.«
»Und er bringt sich selbst durch Harvard. Ich weiß nicht was du hast. Der junge Mann ist völlig...« »Er ist gewöhnlich, Philip. Gewöhnlich, gewöhnlich
gewöhnlich. Ist dir denn die Zukunft deiner Tochter völlig gleichgültig?«
»Nein, Daisy«, sagte Mr. Harrison und senkte die Stimme »sie ist mir ganz und gar nicht gleichgültig.«
Ihre Unterhaltung wurde dann unverständlich und ließ Ted bestürzt in der Dunkelheit des Schlafzimmers zurück.
Am Neujahrsmorgen, ihrem letzten Morgen vor der Rückkehr nach Cambridge, wurde Ted von Philip Harrison gebeten, ihn bei einem Spaziergang durch den Wald zu begleiten »Ich finde, wir sollten offen miteinander reden«, begann er »Ja, Mr. Harrison«, antwortete Ted ängstlich. »Ich weiß durchaus, was meine Tochter für Sie empfindet. Aber bestimmt haben Sie gespürt, daß Mrs. Harrison ...« »... ganz und gar dagegen ist«, sagte Ted ruhig. »Na ja, das ist vielleicht etwas übertrieben. Vielleicht kann man sagen, daß Daisy es nicht sehr gerne sieht, wenn Sara sich schon so früh festlegt.« »Ja, das ist verständlich«, erwiderte Ted und war vorsichtig um sich nicht zu verraten. Sie gingen schweigend weiter bis Ted den Mut aufbrachte zu fragen: »Und was meinen Sie dazu?«
»Ich halte Sie persönlich für einen gescheiten, anständigen jungen Mann. Aber meine eigene Meinung sollte keinen Einfluß auf die Sache selbst haben. Sara hat mir gesagt, daß sie Sie liebt und Sie heiraten möchte. Und das genügt mir.«
Er hielt inne, dann fuhr er langsam fort, und seine Stimme bebte ein wenig: »Meine Tochter ist das Kostbarste, das ich auf der Welt besitze. Als einziges im Leben wünsche ich mir daß sie glücklich ist...«
»Ich werde mein Bestes tun ...« »Ted«, bestand Mr. Harrison, »Sie müssen mir schwören mein kleines Mädchen nie zu verletzen.« Ted nickte und war fast nicht in der Lage zu sprechen. »Ja« sagte er, »ich verspreche es.«
Die zwei standen sich gegenüber. Und obwohl sich keiner von beiden rührte, umarmten sie sich im Geiste.