- * Die Bezeichnung »Frau aller Farben« benutze ich hier in Anlehnung an den englischen Begriff woman of colour. Ich persönlich finde meine Identität in der Bezeichnung »Frau aller Farben« besser und umfassender ausgedrückt als in dem sonst in der BRD gebräuchlichen Begriff »Schwarze Frau«.
Geboren bin ich in Chicago/USA, aufgewachsen bei meiner Großmutter in Indien. Dort lebte ich bis zu meinem elften Lebensjahr. Meine Eltern hatten sich kurz nach meiner Geburt getrennt, sie leben beide in Nordamerika: mein Vater in Chicago, meine Mutter in Kanada. Zu meiner Mutter hatte ich schon damals sehr wenig Kontakt, bei meinem Vater jedoch verbrachte ich regelmäßig die Schulferien, bis meine Großmutter entschied, daß ich nun zu ihm und seiner Familie ziehen sollte.
Für mich war das Gefühl, auf zwei Kontinenten und in zwei so grundverschiedenen Kulturen aufzuwachsen und zu Hause zu sein, verwirrend, erlebte ich doch in Indien die Unterteilung in eine Frauenprivatheit und eine Männeröffentlichkeit als selbstverständlich, als ebenso alltäglich und normal wie die intimen Freundschaften, die zwischen Frauen und Mädchen gepflegt wurden. In den USA dagegen existierten eigentlich keine separaten Frauenwelten, und meine Freundinnen waren ständig damit beschäftigt, Jungen auf sich aufmerksam zu machen. Mädchen untereinander erkannten sich früh als Konkurrenz.
Ich habe schon immer eine starke Anziehung zu Frauen gespürt und mich auch immer wieder in meine Freundinnen verliebt -allerdings habe ich es nur ganz selten gewagt, ihnen meine innersten Gefühle zu offenbaren. Melanie war eine, der ich »es« erzählte und die mir daraufhin auch ihre Liebe zu mir gestand. Wir hatten eine kleine heimliche Liebe, bis sie von unseren Müttern verboten wurde. Eines Tages erzählte ich nämlich meiner
Stiefmutter von meinen Gefühlen zu Melanie, und sie reagierte voller Abscheu, hielt mein Gerede für Unsinn und mich für krank - danach durfte ich Melanie nicht mehr wiedersehen.
Überhaupt war die Beziehung zu meiner Stiefmutter, der zweiten Frau meines Vaters, sehr schwierig. Ich erlebte sie als sehr skeptisch, sehr launisch und sehr ambivalent mir gegenüber. Als ich sechzehn war, hatte ich endlich den Mut, mich von ihr loszusagen. Schließlich sei sie gar nicht meine Mutter, verkündete ich hoch erhobenen Hauptes, und ich gedächte sie auch nicht länger als Autorität zu akzeptieren. Daraufhin brach sie in Tränen aus, versank in Leiden und fand mich undankbar und egoistisch. Doch ich war froh über diesen Schritt der Abgrenzung, nachdem ich soviel Kälte und Gefühllosigkeit von ihr erfahren hatte.
Mein dringendster Wunsch war es dann, von zu Hause wegzugehen. Ich war zu dieser Zeit eigentlich zu jung für ein eigenständiges Leben. Das weiß ich heute. Doch damals war ich besessen von dieser Idee, und die einzige Möglichkeit, diesen Traum zu verwirklichen, schien die Ehe zu sein. Und schließlich wußte ich auch, daß ich mir meinen sehnlichen Wunsch nach einem Kind nur würde erfüllen können, wenn ich heiratete.
Ich lernte Devdas kennen, er war zwanzig Jahre älter als ich, wirkte sanft und etwas schüchtern und doch väterlich auf mich. Diesen Mann, so beschloß ich, wollte ich heiraten, und keinen anderen. Also widersetzte ich mich der standesgemäßen Heirat mit dem von meiner Großmutter ausgesuchten Mann - eine Entscheidung, die mich später meine Erbschaft kosten sollte - und schlitterte 16jährig und frisch von der High-School in die Ehe mit Devdas. Die Hochzeit wurde heimlich in Indien geplant und heimlich vollzogen: eine Märchenhochzeit, wie ich sie mir erträumt hatte.
Doch dieser Traum hielt nicht lange - auch während meiner Ehe habe ich mich weiterhin in Frauen verliebt. Bald entstand in mir der Wunsch, mein Leben neu zu strukturieren: Ich wollte die Ehe mit Devdas und gleichzeitig Beziehungen mit Frauen leben. Als ich feststellte, daß es nicht möglich war, beides zu leben, habe ich mich für ein Leben mit Frauen entschieden - und das, obwohl ich gerade schwanger war.
Dies bedeutete, mich nicht nur von meinem Mann, sondern von der gesamten Familie zu trennen. Diese Trennung, das Wissen, nicht akzeptiert zu werden, ist noch immer sehr schmerzhaft. Bis heute ist es nicht möglich, mit meiner Familie über mein Lesbischsein zu sprechen - außer in vagen Andeutungen und Bemerkungen. Ich vermute, daß zumindest meine Großmutter es ahnt... und ein Stück weit vielleicht sogar toleriert.
Seit 1981 lebe ich in der Bundesrepublik, zuerst in Hamburg und jetzt in Berlin. Ich finde es verdammt schwer, lesbische Mutter und gleichzeitig eine Frau aller Farben zu sein - auch in Berlin. Als Frau aller Farben in dieser Stadt zu leben, heißt, als Exotikum betrachtet und mit Klischees konfrontiert zu werden, die nichts mit mir zu tun haben: Die Augen der weißen deutschen Männer krallen sich an mir fest, sie sehen in mir die Exotin, betrachten mich als sexuelle Ware und erwarten, daß ich jederzeit für sie verfügbar bin. Wenn ich mich als Lesbe zu erkennen gebe, weigern sie sich, dies zu glauben; zu tief verwurzelt scheint in ihren Köpfen das Bild der unterwürfigen farbigen Frau, die nur darauf wartet, verführt zu werden. (Aber aufgrund dieser »sexuellen Freizügigkeit« - und das ist ein weiteres Klischee - ist selbstverständlich Vorsicht geboten: Sie könnte ja AIDS-infiziert sein!)
Als Inderin gelte ich ansonsten als »interessante« Ausländerin, der etwas Mystisches anhaftet, zugleich bin ich eine, der mißtrauisch begegnet wird, wenn sie sich für eine Wohnung bewirbt und gehöre letztendlich auch zu denen, die »den Deutschen« Arbeitsplätze und Wohnungen wegnehmen.
Meine Identität als Lesbe und Mutter wird von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen, werde ich doch als Frau aller Farben vorwiegend als exotische, heterosexuell verfügbare Frau angesehen, und zwar auch dann, wenn ich mit einer Frau Hand in Hand die Straße entlanggehe. In der Lesbenszene ist es anders, dort stelle ich als Frau aller Farben und Mutter die doppelte Ausnahme dar.
Zum Beispiel habe ich es oft erlebt, daß ich - naiv wie ich manchmal bin - mich in eine Frau verliebte, wir eine wunderschöne Zeit hatten, in der wir Träume spannen und auf rosaroten Wolken schwebten, bis ihr allmählich bewußt wurde, was es bedeutet, den Alltag mit einem Kind zu teilen, und die Beziehung schließlich daran gescheitert ist. Natürlich habe ich auch erlebt, daß es möglich war, diesen Alltag gemeinsam zu bewältigen und die Verantwortung ein Stück weit zusammen zu tragen - doch die negativen Erfahrungen sind mir stärker im Bewußtsein, vielleicht, weil sie so verletzend waren und mich geprägt haben.
Eine Beziehung mit einer Frau zu haben, die sich auf ein Leben mit einem Kind, das heißt, mit meiner Tochter Mina, nicht einlassen kann oder will, bedeutet für mich, daß ich mich zerrissen fühle zwischen der Beziehung zu meiner Geliebten, meinem Lesbisch-Sein, und der Beziehung zu meiner Tochter, meinem Mutter-Sein.
Eine sehr schöne und positive Erfahrung war die Beziehung zu Ute. Ute, Mina und ich haben fünf Jahre zusammengelebt; als wir uns kennenlernten, war meine Tochter vier Jahre alt. In der Beziehung zu Ute spürte ich keine Zerrissenheit zwischen meinem Mutter-Sein und meiner Rolle als Geliebte, von Anfang an haben wir ein Leben zu dritt geführt, und für Ute war es eine Selbstverständlichkeit, auch für Mina Verantwortung zu übernehmen - ohne lange und quälende Diskussionen.
Ganz wichtig ist auch, daß Mina sich für die Beziehung, die ich lebe, öffnet, daß sie diese Beziehung akzeptiert. Mina hat Ute ohne Probleme als Co-Mutter akzeptiert. Sie hatten ein sehr enges und liebevolles Verhältnis zueinander und waren ein Herz und eine Seele - vielleicht weil sie beide Sternzeichen Waage sind.
Als sehr befreiend habe ich es auch empfunden, daß Ute und ich versucht haben - und es ist uns, denke ich, auch gelungen -, jenseits der butch-femme-Rollen zu leben. Denn mir ist es sehr wichtig, mit Frauen neue Beziehungsformen zu entwickeln, anstatt die althergebrachten zu kopieren.
Problematisch allerdings war die Verständigung über mein Mich-fremd-fühlen in der BRD als Frau aller Farben indischer Herkunft. Auch wenn wir darüber sprachen, wußte ich, daß Ute als weiße Frau mich nie ganz würde verstehen können, daß unsere Erfahrungen uns immer trennen würden. Ich fragte mich, ob eine weiße Frau jemals nachvollziehen könne, wie ich mich fühle, wenn wir zum Beispiel in einem Restaurant sitzen und der Kellner mich behandelt als sei ich Luft, während meine weiße Freundin höflichst bedient wird...
Doch noch schwieriger war es für mich, wenn Ute versuchte, meine Diskriminierungserfahrungen als ihre eigenen auszugeben, das heißt, meine Geschichte zu ihrer zu machen, und damit die Unterschiede zwischen uns verwischte und uns die Möglichkeit verstellte, sie produktiv zu nutzen. Es scheint für weiße Frauen einfacher zu sein, sich in die Position der Unterdrückten einzufühlen, als zu überprüfen, inwieweit sie selbst Rassismus verinnerlicht haben und damit auch Täterinnen sind.
Gleichzeitig erlebte ich damals, daß viele meiner lesbischen Freundinnen in den USA, den Niederlanden und Frankreich aus diesem Grund ihre Beziehungen zu weißen Frauen beendeten und immer mehr davon überzeugt waren, daß es grundsätzlich falsch sei, als Frau aller Farben eine weiße Frau zu lieben. Sie waren der Meinung, daß farbige Frauen mehr Gemeinsamkeiten teilten und deshalb ein tieferes Verständnis für einander entwickeln könnten, als es zwischen farbigen und weißen Frauen je möglich sei.
Ich habe sehr viel darüber nachgedacht. Und ich habe festgestellt, daß ich mich in der Beziehung zu Ute, wie zu allen weißen Frauen, zerrissen und nicht ganz fühlte und fühle, daß ich immer einen Teil von mir verleugne. Vielleicht habe ich mich aus diesem Grund während der Beziehung zu Ute immer wieder in andere Frauen, in Frauen aller Farben, verliebt. Und möglicherweise drückte sich darin meine Suche nach Heimat, nach Geborgenheit und Mich-ganz-fühlen aus.
Doch trotz meiner Trauer angesichts der Abgründe, die sich zwischen weißen Frauen und Frauen aller Farben oft als unüberbrückbar erweisen, habe ich die Hoffnung auf eine Verständigung nicht aufgegeben.
Was meine Tochter Mina anbetrifft, überlege ich manchmal, ob sie nicht vielleicht meine uneingeschränkte und ungeteilte Aufmerksamkeit und Zuwendung braucht, zumindest bis sie größer und unabhängiger von mir ist. Jetzt ist sie vierzehn, mitten in der Pupertät und in einer ausgeprägt homophoben Phase. In einem Anflug wilder Entschlossenheit, mit mir in einer »normalen« und »heilen« Familie zu leben, um die sie ihre Freundinnen momentan glühend beneidet, hat sie eines Tages sogar eine Heiratsannonce für mich aufgegeben...
Doch trotz dieser Schwierigkeiten bin ich glücklich, Mina als Tochter zu haben, mit ihr zu leben. Ich lerne viel von ihr - auch aus unseren Auseinandersetzungen -, und ich bin stolz darauf, sagen zu können, daß sie meine beste Freundin ist.
Ich bin eine Frau aller Farben, Lesbe und Mutter. Und ich versuche, trotz aller Schwierigkeiten, dies in meinem Leben hier in der BRD - und in mir - miteinander zu verbinden; ich versuche zu leben, ohne einen Teil meiner Identität von mir abzuspalten. Ich liebe Frauen, Frauen mit oder ohne Kinder, Frauen verschiedenen Aussehens, Frauen aller Farben, Frauen verschiedener Kulturen, butches ebenso wie femmes und alle Frauen, die nicht in irgendwelche Schubladen einzuordnen sind. In jeder Frau erlebe ich meine eigene Widerspiegelung.