Die Vorstellung einer anderen Sprache

Die Anerkennung des Persönlichen als politisch — eine wesentliche feministische Erkenntnis — lenkte die Aufmerksamkeit auf Alltagserfahrungen, die bis dato selbstverständlich erschienen. Feministinnen enthüllten eine »mikropolitische Struktur« von Herrschaft und Unterwerfung in der Art wie Männer und Frauen reden, gestikulieren, sich bewegen und berühren.[1] Zwischen Sprachgebrauch und nonverbaler Kommunikation besteht eine Verflechtung, die sich gleichzeitig in den größeren politischen und wirtschaftlichen Ungleichheiten spiegelt und diese verstärkt. Wir überprüfen den Sprachgebrauch in Frauengruppen als Interaktion, die einander eher stärken als beherrschen kann.

Asymetrien in Frauen- und Männerrede

Wenn Frauen und Männer sich unterhalten, sei es in privaten oder auch gesellschaftlichen Gesprächen, dann reden die Männer meist mehr, sowohl hinsichtlich des Umfangs als auch der Zeit. Außerdem ergreifen sie öfter das Wort.[2] Die Männer beherrschen das Gespräch nicht nur durch ihr vieles Reden, sondern auch durch ihre Unterbrechungen. In verschiedenen experimentellen, aber auch natürlichen Gesprächsstudien zwischen Männern und Frauen fanden Candace West und Don Zimmer-man, daß Männer die Frauen unverhältnismäßig oft unterbrechen. Unterbrechen hingegen die Frauen; sehen Männer diese Störung als nicht zur Sache gehörend an.[3] Frauen und Männer werden auch in der Öffentlichkeit unterschiedlich behandelt: Wenn Frauen auf der Straße gehen, dürfen die Männer offen hinschauen, ihre Bemerkungen über den Körper der Frau machen, ihr »Süße« nachrufen oder Obszönitäten. Meist erkennen sie nicht einmal die Beleidigung, die ihr Verhalten Frauen gegenüber darstellt.[4] Frauen haben nicht die gleichen Rechte wie Männer: Straßenbelästigungen sind, wie andere Formen männlicher Herrschaft, asymmetrisch verteilt.
Im Geben und Nehmen täglicher Unterhaltungen zwischen Frauen und Männern leisten Frauen die unsichtbare Arbeit: Sie halten das Gespräch in Gang. Pamela Fishman analysierte Tonbänder mit den häuslichen Gesprächen dreier heterosexueller Paare.[5] Die von den Männern angeschnittenen Themen wurden viel häufiger weiterentwickelt als die der Frauen. Das lag zum Großteil daran, daß die Frauen mehr Zwischenfragen stellten, die Unterhaltung durch ihre »aha« - und »hm« -Bemerkungen stützten, während die Männer redeten. Auf Themen der Frauen gaben die Männer meist kaum eine Antwort. Auch geben Männer viel weniger als Frauen ihre Gefühle preis und behalten dadurch weiterhin Herrschaft über die Gespräche.[6]
Mikropolitische Ungleichheiten strukturieren das verbale genauso wie das nonverbale Verhalten. Männer berühren die Frauen öfter als umgekehrt; in Bewegung, Haltung und Gestik dehnen sie sich aus, während die Frauen sich zusammenziehen und weniger Raum einnehmen.[7]
Wenn die Frauen von diesen Untersuchungen erfahren, durchfährt sie oft so etwas wie ein Schock der Erkenntnis. Ein Bewußtsein dieser Formen alltäglicher Unterdrückung macht die Frage dringlich: Wie können die Alltagsmuster von Herrschaft und Unterwerfung so geändert werden, daß Frauen und andere Untergeordnete sich mehr selbst bestimmen und weniger von der Unterhaltung, der Bewegung und dem Raum ausgeschlossen werden? Wie unterschiede sich die Alltagsinteraktion in einer feministischen Utopie davon?

Was tun?

Die populärste Strategie für einen Wandel finden wir im Selbstsicherheitstraining, dabei geht es darum, daß Frauen ihre Art zu reden ändern müssen, wenn sie mehr Platz dafür haben wollen. Dieser Ansatz geht davon aus, daß Frauen sich generell schwach und unsicher ausdrücken. Lakoff zum Beispiel beschreibt eine ganze Reihe von Eigenschaften, die nach ihrer Ansicht »Frauensprache« charakterisieren. Sie behauptet ferner, daß Frauen schon durch ihre Sozialisation zur »weiblichen Sprache« den Männern gegenüber benachteiligt sind.[8] Empirische Studien über Geschlechtsunterschiede beim Reden erbrachten jedoch unterschiedliche Ergebnisse. Es ist weder ganz klar, ob es so etwas wie eine »Frauensprache« gibt, noch, ob diese notgedrungen schwach sein muß. Gleichwohl werden Frauen in den Selbstsicherheitskursen ermuntert, lauter zu sprechen, zu unterbrechen und sich mehr Raum zu verschaffen.
Eine veränderte Rede- und Sprechweise mag Frauen in wettbewerbsbetonten, von Männern beherrschten Situationen tatsächlich helfen, doch können dabei auch Probleme auftreten. Das Selbstsicherheitstraining ist ziemlich individualistisch und gibt dem Opfer die Schuld an Problemen, die eigentlich woanders herrühren: Das Problem wird in die Frauensprache projiziert und nicht der männlichen Herrschaft über die Frauensprache zugeordnet. Im allgemeinen sind sich Männer ihrer Sprache und ihres Redens sicherer als Frauen; und jene, die sich mit der weiblichen Sprache befassen, unterliegen dem gleichen Fehler, daß sie nämlich die Sprache der Männer für normal, die der Frauen für problematisch halten.[9]
Statt zu fragen, wie die einzelne Frau ihre Sprache »verbessern« kann, sollten wir die Frauensprache im Zusammenhang untersuchen. Wenn Frauen angeblich unsicherer reden oder in gemischten Gruppen weniger oft das Wort ergreifen, so kann es zum Teil daran liegen, daß sie anders unterbrochen oder gänzlich ignoriert werden. Wie die Männer die Sprache der Frauen einengen und beherrschen, muß genau untersucht werden. Vielleicht sollten eher die Männer als die Frauen ihre Sprache ändern.
Das Selbstsicherheitstraining befaßt sich überhaupt nicht mit der Tatsache, daß Frauen und ihre Art zu sprechen im großen und ganzen durch Männer und mit deren Begriffen bestimmt sind. Bevor nicht diese Voraussetzungen, die in patriarchalen Institutionen verankert sind, geändert werden, bleibt es gleich, wie Frauen reden — sie werden in jedem Fall abgewertet.
Ein mehr feministischer Ansatz will die Welt nach unseren Vorstellungen, nicht nach patriarchalen verändern. Indem wir das Sprechen von Frauen untereinander in den Mittelpunkt rücken, lösen wir uns von der Vorstellung, daß allein die Männersprache erstrebenswert sei.

Frauengespräche

Zu Beginn unseres Jahrzehnts entdeckten Wissenschaftler/innen plötzlich, wie wenig- eigentlich über die verbale und nonverbale Kommunikation der Frauen untereinander bekannt ist. Dies verdanken wir hauptsächlich der Frauenbewegung. Es gibt weit mehr Informationen über die Interaktionen von Männern untereinander (Forschungen über Kleingruppen und Einheimische beispielsweise wurden ursprünglich nur mit Männern und Jungen angestellt). Die jüngsten Forschungen über Frauengespräche zerstören das Vorurteil über die »gluckenden Hennen«, das Frauengruppen so oft nachgesagt wird. Es gibt phantasievolle und geistreiche Forschungen über Frauenklatsch, ihren Humor und ihre Erzählweisen, die nicht länger für belanglos gehalten werden, sondern als Wortkunst neue Wertschätzung erfahren.[10] Auch befassen sich mehr und mehr Studien mit den verbalen und nonverbalen Kommunikationsstrukturen, die in Frauen-und Mädchengruppen benutzt werden.
Wenn Frauen sich mit Frauen unterhalten, achten sie mehr auf eine gleichmäßige Interaktion. Susan Kalcik beschreibt die Art der Gesprächsführung, die sie in zwei Selbsterfahrungsgruppen weißer Frauen beobachtete.[11] Die Frauen achteten sorgfältig darauf, daß eine jede an die Reihe kam, ermunterten einander zum Sprechen und fragten bei den Stillen besonders nach. Das Gespräch war eher von Zusammenarbeit als von Wettbewerb geprägt. Bei einem Experiment fand Elizabeth Aries in reinen Frauengruppen mehr Symmetrie als in reinen Männer- oder gemischten Gruppen. In den reinen Frauengruppen war die Führung sehr flexibel oder wurde abgewechselt, während in reinen Männergruppen eine relativ rigide Redefolge eingehalten wurde.[12]  Marjorie Goodwin verglich die spontanen Gespräche von Mädchen mit denen einer Gruppe von Jungen beim Spielen in einem schwarzen städtischen Arbeiterwohnbezirk. Dabei stellte sie fest,  daß die Jungen durch ihr Reden ständig Hierarchien aufbauten, indem sie Befehle gaben, den Vorschlägen anderer widersprachen und sich einmischten. Die Mädchen hingegen bemühten sich — selbst wenn sie stritten — eher um eine ebenbürtige Sprache. Ihre Gruppe hatte eine wechselnde Hierarchie, und ihre Befehle kleideten sie in Vorschläge wie »laßt uns« oder »wollen wir«. Dadurch hielten sie auch den Abstand zwischen Sprechenden und Zuhörenden klein.[13]
Über Rede- und Sprechweisen von Frauen und Mädchen muß noch viel geforscht werden; dabei sollten auch die Unterschiede zwischen den einzelnen Alters-, Sozial- sowie rassischen Gruppen Beachtung finden. Schon diese vereinzelten Ergebnisse haben die traditionellen Analysen verändert, die ursprünglich aufgrund reiner Männer- oder gemischter Gruppen erstellt wurden. Untersuchungen über die Frauensprache lieferten alternative Modelle zum Verständnis des Gesprächsablaufs. Carole Edelsky fand heraus, daß Frauen sich an informellen Gesprächen aktiver beteiligen als an formal geführten.[14] Beim Geschichtenerzählen arbeiten Frauen enger zusammen: Eine Person beginnt, und eine andere spinnt den Faden weiter. Dies fand Kaltik [15] bei den Selbsterfahrungsgruppen von Frauen heraus, und sie beschreibt, wie Frauen dabei vom herkömmlichen Erzähl-Modell abweichen, bei dem der Sprecher sich meist von seiner Zuhörerschaft abgrenzt.[16]
Durch Gespräche unter Frauen ergibt sich auch ein neuer Ausgangspunkt zu Veränderungen.  Weibliche  Redestrategien und Stile müssen neu bewertet werden. Die Muster der Zusammenarbeit, die ja weibliche Rede ausmachen — andere zum Reden auffordern, unterstützend zuhören, mit dem Kopf nicken, das Einbeziehen von Gefühlen und persönlicher Erfahrung, Respekt für die andere —, erscheinen ja nur dann »schwach« oder »ohnmächtig«   (wie die Selbstbehauptungsgruppen vorgeben), wenn sie mit ihrem Gegenteil verglichen werden. Ein offenes, auf  Gemeinsamkeiten   achtendes   Verhalten   wirkt  nur  dann schwach, wenn die andere Person nicht darauf eingeht. Auf die Bedürfnisse der anderen zu achten — sie zum Reden auffordern, ihre Themen aufgreifen —, erweist sich erst dann als ineffektiv, wenn diese Sensibilität nicht erwidert wird. Die Äußerung eigener Gefühle wird dann zum Nachteil, wenn die anderen sich zurückhalten und selbst keine Gefühle zeigen. »Ohnmächtig« erscheint die Rede der Frau nur im Vergleich mit der Macht sogenannter männlicher Muster. Wenn einzig die Frauen ihr Verhalten ändern sollen und auch noch »männliche Formen« nachzuahmen haben, werden die Charakteristika der Männerrede außer acht gelassen und der Begriff Macht weiterhin als Herrschaft reproduziert.

Die feministische Vision von Macht

Eine feministische Definition von Macht — Macht als Energie, bewirkende Handlung und Machtnahme — steht im Gegensatz zur herkömmlichen Vorstellung von Macht als Herrschaft oder Kontrolle. Dieser Gegensatz bedeutet gleichzeitig eine Kritik. Die feministische Herausforderung besteht nun nach den Beobachtungen von Nancy Hartsock [17] in der Entwicklung neuer Formen, die eine alternative Vision zur Umwandlung von Herrschaftsinstitutionen liefern. In dieser Perspektive sind alternative Strategien zur Transformation enthalten, die die Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern in ihren Interaktionen abbauen. Die sogenannten weiblichen Kommunikationsstrukturen weisen neue Wege zur Veränderung der Gesamtsprache, verteilen die Macht auf alle Teilnehmenden und stellen die Kommunikationsstrukturen der Machthabenden in Frage.
Mischa Adams gibt ein gutes Beispiel für diesen Prozeß mit einer Diskussion, in der Frauen und Männer die Verhaltensmuster umwandelten.[18] Sie beschreibt ein Graduierten-Seminar, in dem die Frauen schwiegen, während der Professor und die meisten Studenten die Diskussion an sich rissen und durch Augenkontakt, Unterbrechen und gegenseitige Worterteilung monopolisierten. Die derart an den Rand Gedrängten analysierten danach die Muster und veränderten sie, ohne die dominierende Art und Weise zu übernehmen. Sie kamen früher und setzten sich so, daß der Augenkontakt nach allen Seiten hin möglich war, sie spielten einander die (Diskussions-)Bälle zu, bauten ihre Reden auf dem Kommentar der andern auf, unterstützten sich gegenseitig und ermunterten die Stillen zum Sprechen. Statt den herrschenden Stil überzubewerten und nachzuahmen (Monopolisierung, Redefolge und Zeit, Unterbrechungen, Themenkontrolle) benutzten sie kollaborative Muster, um die Aufmerksamkeit zu fesseln und mehr Teilnehmerinnen Macht zu geben.
Ein zweites Beispiel feministischer Transformation der Sprache — wiederum aus den Erfahrungen der Frauen stammend — kommt aus der Literatur: So bemühte sich Adrienne Rieh um die Schaffung einer neuen Sprache, die die patriarchale Tradition überkommener Formen transzendiert. Joanne Fiet Diehl bezeichnet dies als kühnes, ja heroisches Unterfangen. Rieh begibt sich dabei nicht auf die aggressiven Pfade patriarchaler Diskurse. Sie benutzt eine »sanfte Poesie«, die sich an Erfahrungen und Gesprächen von Frauen orientiert. Dies ist eine machtvolle, doch nicht beherrschende Sprache.[19]
Untersuchen wir die Gespräche unter Frauen genauer und bewerten sie neu, so sehen wir, daß Alltag kooperativ strukturiert werden kann. Es gibt Formen, die gegenseitig Macht verleihen und Beziehungen herstellen, in denen Menschen »einander helfen, sich selbst zu gehören«.[20]
Bei der Betrachtung heutiger Erfahrungen zur Entwicklung einer anderen Zukunft haben wir einige Probleme außer acht gelassen. Die meisten Untersuchungen über Geschlecht und Sprache beziehen sich auf die weiße Mittel- und Oberschicht.[21] Unterschiede und Ungleichheiten zwischen Frauen und Männern verschiedener Rassen, Klassen, Altersstufen und Sexualpräferenzen zeichnen ein viel komplexeres Bild als das hier entworfene. Die Spannungen und Konflikte unter Frauen haben wir geglättet, und die Tatsache, daß die Sprache der Frauen — selbst wenn sie sich von der der Männer unterscheidet — aus dem Patriarchat hervorging, ließen wir außer acht. So ist sie ja durch Unterwerfung und Unterdrückung genauso bestimmt wie durch den Widerstand und die Erfindungsgabe der Frauen. Feministischer Kampf bedeutet herauszufinden, was wir zurücklassen und was wir behalten wollen, um darauf aufzubauen. Die Beobachtung von Frauengesprächen kann uns bei der Vorstellung einer wünschenswerten Zukunft helfen. Solche Bilder brauchen wir, damit wir wissen, wofür wir kämpfen.