Findhorn, Schottland:

Menschen, die mit Pflanzen reden

 Mein Besuch in Findhorn war ein Sprung ins kalte Wasser: Ich wußte vorher praktisch nichts darüber. Doch hatte ich mich in den letzten zwei Jahren immer mehr mit dem Gedanken an eine Gemeinschaft befaßt, in der Menschen, insbesondere Frauen, wachsen und gedeihen konnten. In einer Atmosphäre voller Liebe und Unterstützung zu leben, erscheint mir das einzig Wahre. Außerdem suchte ich eine spirituelle Gemeinschaft, wo Liebe regiert und in allem das Göttliche gesehen wird.
»Weiße Göttin« heißt Findhorn aus dem Gälischen übersetzt. Der Name erscheint passend für diese Gemeinschaft im Nordosten Schottlands, wo weibliche Energien so rein und rasch fließen wie der gleichnamige Fluß. Die Gemeinschaft arbeitet nach den Prinzipien von Liebe, Unterstützung und Vertrauen, was ich ja gesucht hatte. Tief verwurzelt ist der Glaube, daß Gott schon die Mittel zur Befriedigung unserer Bedürfnisse bereitstellt — mit ein wenig Hilfe von Freunden, natürlich. Das geht. Seit zwanzig Jahren schon. Was mit einem winzigen Wohnwagenpark begann, wuchs zu einer energiegeladenen, aktiven, spirituellen Gemeinschaft von rund zweihundert ständigen Mitgliedern, die zusammen wohnen, arbeiten, essen und ihre Gedanken und Gefühle miteinander teilen. Alle Mitglieder betrachten sich selbst als große Familie, und so finden einmal die Woche Familientreffen statt.
Die Findhorn-Gemeinschaft erstreckt sich über mehrere Ortschaften, oft einige Meilen voneinander entfernt. Cluny Hill, wo ich drei Monate weilte, liegt etwas außerhalb der Stadt Forres. Ursprünglich ein Hotel, wird es nun hauptsächlich für die Gastprogramme genutzt, wenngleich auch einige ständige Mitglieder dort leben. Die Hälfte der Kommune besteht aus Familien, die im vier Meilen entfernt liegenden Findhorn Bay Caravan Park leben. Da einige Leute aus Cluny im Park arbeiten und umgekehrt, verbinden zwei Pendelbusse, Daphne und Henry, die beiden Orte. Alle Maschinen, von den Bussen bis zu den Staubsaugern, haben Namen; dahinter steckt der Gedanke, daß wir mit Respekt und Sorgfalt behandeln, was einen Namen hat, es ist dann nicht bloß ein Ding.
Als Peter und Eileen Caddy mit ihren drei Kindern und ihrer Freundin Dorothy McLean 1962 arbeitslos wurden, zogen sie zum Caravan Park von Findhorn Bay. Den Müllhaufen neben ihrem Wohnwagen haben sie abgetragen und mit Gemüseanbau zur Selbstversorgung begonnen. Soweit ist das ja nichts Ungewöhnliches. Was aber dann doch Aufsehen erregte, war die Tatsache, daß sie 40 Pfund schwere Kohlköpfe mitten im Winter auf einem Land ernteten, das nach der Beschreibung der Experten der Vereinten Nationen »trockener, pulverisierter Sand« war. Der Experte kam dann zu dem Schluß, daß es »da andere Faktoren geben muß und zwar ganz vitale«. Diese Faktoren waren der Kontakt, den sie mit der Natur über die Devas, die Engel der Natur, herstellten. »Zusammenschöpfen« nennt es die Findhorn-Gemeinde. Das Wunder wurde weltweit bekannt. Wenn jemand von Findhorn gehört hat, dann meist dies.
Als ich am Samstag morgen in Cluny Hill ankam, grüßte mich als erster ein junger Mann, der den Teppich in der Eingangshalle staubsaugte. Ein gutes Zeichen, dachte ich mir. Vielleicht haben sie Rollenklischees abgeschafft.
Als Gastmitglied hatte ich mich für die Erfahrungswoche eingeschrieben, um dann an einem neunwöchigen Kernprogramm teilzunehmen. Meine Gruppenleiterinnen Marci und Sally (alle Namen sind erfunden) warteten schon in der Empfangshalle, um meine Fragen zu beantworten. Ein/e Gruppenleiter/in ist Mitglied der Kommune und arbeitet in der Personalabteilung; in Findhorn geht es dabei weniger um die Führung einer Gruppe als um sanfte Einstimmung.
Nachdem ich ausgepackt hatte, ging ich zum Essen. Der Speisesaal in Cluny nimmt fast die ganze Längsseite des Gebäudes ein. Er ist lang, licht und luftig. Am vegetarischen Büffet ist Selbstbedienung. Jeden Samstag verwandelt sich die Küche in Cluny in eine duftende Großbäckerei von Vollkornbroten.
Die Teilnehmenden der Erfahrungswoche trafen sich im Raum Birke um halb drei an diesem Nachmittag. Alle datierten Kapitel sind Auszüge aus meinem Tagebuch:

  • Samstag, 20. Februar 1982:
    In der Erfahrungsgruppe haben wir 24 Teilnehmer/innen uns erzählt, wie wir zuerst von Findhorn hörten und weshalb wir gekommen sind. Jedes Leben ist natürlich anders, und doch sind die Gründe, hierherzukommen, sehr ähnlich: Suche nach einer neuen Richtung, Wechsel im Leben, Gruppenunterstützung, Suche nach dem Sinn des Lebens.
  • Sonntag, 21. Februar: Heute morgen übten wir heilige Tänze. Eigentlich eher Volkstänze. Beim letzten Tanz bildeten wir gemischte Paare. Es blieben aber zwei Männer und auch zwei Frauen übrig, und während die Frauen nichts dagegen hatten, ein Paar zu bilden, bereitete es den Männern große Schwierigkeiten.
    Marie hat dann dieses Thema beim Abendtreffen aufgegriffen. Sie ist, wie die meisten Frauen hier, überzeugte Feministin. Sie hat dieses scharfe Bewußtsein, das vom geistigen Wachsein herrührt. Marci, unsere Gruppenleiterin, gab zu, daß dies für sie ein Problem darstelle: Es sei schon einmal so gewesen, und danach habe sie einfach diesen Tanz weggelassen.
    Ganz offen zeigen sich hier die jüngeren Leute ihre Zuneigung: zwischen Männern und Frauen genauso wie zwischen Gleichgeschlechtlichen.
  • Montag, 22. Februar: Für die Zeit der Einstimmung haben wir uns jetzt die Arbeit für jeweils zwei Tage ausgesucht. Dabei wird eine Liste mit den zu erledigenden Aufgaben vorgetragen. Dann halten wir uns alle bei den Händen, die rechte Handfläche nach oben und die linke nach unten (empfangen und geben), während die Liste noch einmal vorgelesen wird. Indem wir über jede einzelne Tätigkeit meditieren, spüren wir, wie unsere inneren Sinne uns nach dem richtigen Job greifen lassen. Dann heben wir die Hand hoch zum Zeichen, daß wir uns entschieden haben. Manchmal wollen zu viele Leute den gleichen Job, und dann muß jemand zurücktreten. Ich habe mich für die Publikationen im Findhorn Caravan Park gemeldet und diesen Morgen dort im Studio gearbeitet.
    Den Nachmittag verbrachten wir mit Spielen: Loslaß-Spiele, Vertrauensspiele, Spiele, bei denen es um Liebe und Zusammensein ging. Beim Spiel der Planeten schlössen wir unsere Augen und stellten die einsam kreisenden Planeten auf ihren Bahnen dar; dann haben wir uns mit anderen Planeten verbunden. Das war im Ballsaal, und ich habe es sehr genossen, ganz allein durch den großen Raum zu schweifen und mit fast niemand zusammenzustoßen. Ungefähr bei der Hälfte des Spiels wurden wir aufgefordert, uns grüßend anzufassen, wenn wir einem anderen Planeten begegneten. Dann wieder loslassen, auch das hat mir sehr gefallen. Am Schluß hängten wir uns bei einer Gruppe ein, die sich wiederum bei einer anderen unterhakte und so fort, bis wir schließlich alle gemeinsam nur noch ein Planet waren. Dabei zögerte ich: Ich hätte es vorgezogen, allein weiterzuwandern.
    Beim Vertrauensspiel stand eine Person mit geschlossenen Augen und den Händen über der Brust gefaltet inmitten einer kleinen Gruppe und ließ sich entweder nach hinten oder zur Seite fallen, während die Mitglieder des Kreises dich auffingen und in die andere Richtung schubsten. Damit hatte ich keine Probleme, obwohl das vielleicht vor zehn, fünfzehn Jahren noch schwierig gewesen wäre. Offensichtlich war mein Vertrauen in andere gewachsen, und möglicherweise hängt es mit meinem Engagement in der Frauenbewegung zusammen.
  • Dienstag, 23. Februar: Heute abend sahen wir ein audiovisuelles Programm über Roc. Roc ist ein Wissenschaftler, der sich mit der Natur und ihren Geschöpfen verbündet. Er hat einmal einen kleinen Faun in einem Park in Edinburgh getroffen und schließlich sogar Pan selbst (nach dem wir unsere Teufelsvorstellungen haben).
    Bei der Diskussion danach sagte Marie, ein Marsbewohner müsse nach einem solchen Film auf die Idee kommen, daß nur Männer die Erde bevölkerten: Alle Geschöpfe, die Roc traf, waren männlich - Faune, Gnomen, Elfen und ihr König Pan.
  • Mittwoch, 24. Februar: Die jüngeren Leute in der Gruppe, besonders die Frauen, sehen sehr klar, was die Leute nach außen zeigen: ihre Verteidigungshaltung, ihre Offenheit oder einen Mangel daran.
    Am Nachmittag ging ich ins Nebold Haus und las aus David Spanglers Buch »Offenbarung«. Spanglers Offenbarung bezieht sich im allgemeinen auf den Mann. Erika sagte, sie habe es so nicht lesen können und das Wort Menschheit oder Leute dafür eingesetzt.
  • Freitag, 26. Februar: In einer Gesprächsrunde erzählten wir uns, was die Erfahrungswoche uns gebracht hat. Das war unser letztes offizielles Treffen. Es war tatsächlich sehr bewegend. Außer Margret (53) und mir (51) sind die meisten Gruppenmitglieder in ihren Zwanzigern oder Dreißigern. Ihnen brachte die Woche sehr viel emotionale Erfahrungen. Wir haben dann zusammen zu Abend gegessen. Unsere Gruppenleiter/innen hatten zwei Tische in der Mitte der Halle zusammengerückt, so daß wir alle Platz fanden. Für 50 Pence habe ich mir ein Glas Wein geleistet.
  • Am gleichen Samstag, an dem die Erfahrungswoche zu Ende ging, begann das Kernprogramm. Sieben aus der Erfahrungsgruppe nahmen auch daran teil. Weitere fünf stießen am Samstag zu uns. Mit unseren Gruppenleitern lan und Julian waren wir also 14. Wir würden die nächsten neun Wochen zusammen sein.
    Beim Kernprogramm können die Teilnehmenden einen Geschmack davon bekommen, was es heißt, Mitglied einer Kommune zu sein. Die Arbeit spielt dabei eine wichtige Rolle. Arbeit wird in Findhorn mit »die Materie vergeistigen« oder »Liebe in Aktion« bezeichnet. Auch das Wort »Dienst« wird oft benutzt. Ich habe nach einer genaueren Definition gefragt, und Julian sagte: »Alles, was zum Wohlbefinden des Planeten beiträgt."
  • Sonntag, 28. Februar: Wir sollen aufschreiben, was wir in Findhorn erreichen wollen. Ich bin daraufhin heute nacht ins Heiligtum gegangen, um meine Ziele herauszufinden. Die Antwort: Vieles, Findhorn ist nur ein Schritt deiner Reise.
  • Montag, 1. März: Wir haben heute unsere Vorstellungen vorgetragen, und sie wurden alle auf einem großen weißen Stück Papier notiert und an die Wand gehängt, damit wir uns in den kommenden Wochen ständig daran erinnern können.
  • Dienstag, 2. März: Heute morgen sprachen Nora und zwei andere zur Gruppe. Nora ist für Cluny zuständig und leitet eine Selbsterfahrungsgruppe. Was sie sagte, erschien mir äußerst wichtig: Wir sollten uns unsere Ziele stets vor Augen halten, sonst würden wir in alle Richtungen davonflattern.
    Am Nachmittag haben wir in Drumduan gearbeitet, jenem hübschen Haus hinter den Wäldern. Das Holzschälen war für mich harte Arbeit. Unsere Teepause war um halb vier. Um vier gingen die Leute wieder an die Arbeit, aber Nann, Denise und ich hatten genug. Wir sagten lan, daß wir zurück nach Cluny gehen wollten. Er erinnerte uns an die Arbeitszeit von halb zwei bis fünf. Alle arbeiteten eifrig, als wir gingen. Erstaunlicherweise hat uns niemand nachgerufen. Beim Rückweg durch den Wald haben wir unsere Entscheidung gerechtfertigt und unsere Haltung rationalisiert. Ich fühlte mich teilweise wie eine Drückebergerin. Aber ich konnte mich trotzdem für eine Stunde hinlegen, was ich dringend gebraucht hatte. Heute jedenfalls erscheint mir Findhorn wie ein spirituelles marxistisches Axiom: jede/r nach seinen/ihren Fähigkeiten, jede/r nach ihren/seinen Bedürfnissen.
  • Mittwoch, 3. März: Heute morgen sprach ich mit Marte über die Arbeit. Ich erzählte ihr, was gestern in Drumduan passiert war. Marte unterstützte meine Entscheidung und betonte, daß unsere Körper wüßten, wann wir genug hätten, und wie wichtig es sei, den eigenen Gefühlen zu folgen. Sie meinte auch, ich solle es in meiner Gruppe besprechen.
    So habe ich also das Thema nach der Einstimmung zur Sprache gebracht. Na, das hat vielleicht eingeschlagen. Alle sprachen sie über ihre gestrigen Gefühle, und einige meinten, sie hätten sich mehr aufgeladen, als sie verkraften konnten. Die Arbeitszeit wurde daraufhin auf halb vier statt fünf festgelegt, so daß wir genug Zeit haben, ein Bad zu nehmen, und uns für die Zeremonie um sechs vorbereiten können. Julian setzte sich für die individuellen Bedürfnisse ein, die in diesem Fall hießen: die Arbeit aufhören, wenn es notwendig ist.
  • Freitag, 5. März: Heute haben wir uns auf unsere Arbeit für die nächsten zwei Monate eingestimmt. Wieder wurde die Liste zweimal verlesen. Auf der Liste stand auch Reparaturen, dafür hatte ich mich bereits in den USA interessiert, denn ich wollte endlich eine ordentliche Person werden. Aber bei der Einstimmung sagte mir meine innere Stimme: Küche, so habe ich mich dafür eingetragen. Es wurden aber nur zwei gebraucht, und drei hatten sich gemeldet. Da bin ich zurückgetreten. Dann habe ich mich auf den Speisesaal in Cluny eingestimmt. Auch dafür waren zu viele Leute bereit. Wir haben also wieder meditiert, kurzum: Ich bin in Reparaturen.
  • Montag, 8. März: Wir sind zu einem Treffen der Kerngruppe gegangen. Der Kerngruppe gehören zehn bis zwölf Frauen und Männer an, die die größten Entscheidungen für die Kommune treffen. Über Entscheidungen wird so lange meditiert, bis Einigkeit erzielt ist. Ein Projekt kann durchfallen, wenn nicht genügend Ausdauer und Interesse dafür vorhanden ist.
    Armand scheint der Größte. Ich hoffe, er sucht ein Gleichgewicht zwischen seinem ungeheuer dominierenden männlichen Aspekt und der weichen, empfänglichen Spiritualität, mit der hier eigentlich gearbeitet werden soll. Aber das Treffen war sehr gut.
    Wir gingen dann in eine Diskussion über die finanziellen Probleme wegen Universal Hall. Nachdem wir kurz meditiert hatten, um wieder unsere Mitte zu finden, wurde weiter darüber diskutiert, wie der Informationsfluß innerhalb der Gruppe verbessert werden könnte. Und dann gab es eine Unterbrechung: zum Rücken rubbeln. Alle standen auf und massierten den Rük-ken der vor ihnen stehenden Person. Dann drehte sich der Kreis und wieder massierten wir die vor uns stehende Person. Diese Technik löste die Spannungen und Berührungsängste. Für einen Moment genossen wir dann die Stille. Welch wundervolle Art, ein Treffen zu gestalten.
  • Dienstag, 9. März: Heute begann ich mit den Reparaturen. Ich bin herumgerannt und suchte Verschlüsse, um lecke Waschbek-ken zu reparieren. Dirk und Peter, die Leiter der Reparaturen sind sehr nett.
    Einmal in der Woche treffen sich die Mitglieder einer Abteilung zur Einstimmung und zum Gedankenaustausch. Wir teilen uns gegenseitig unsere Gedanken und Gefühle während der Woche mit.
    Heute nachmittag habe ich mit Mai über die »Unsichtbarkeit« der älteren Frauen gesprochen. Sie fühlt das sehr stark hier. Ich vermute, der Grund für ihr Gefühl liegt darin, daß sie für die Männer hier sexuell nicht mehr in Frage kommt, während Männer unseres Alters durchaus noch als attraktiv gelten.
  • Mittwoch, 10. März: Heute morgen habe ich am Toilettenkasten gearbeitet. Ganz schön kompliziert. Es gibt keine Ersatzteile, so muß ständig etwas erfunden werden. Meine erste Reaktion war, den Kasten rauszuschmeißen und einen neuen zu besorgen. Arbeit ist jedoch billig, das heißt sogar frei, so spielt es also keine Rolle, ob der Job in zwei Tagen statt in zwei Stunden erledigt ist. Heute nachmittag begannen wir mit dem Seminar über Gruppenbewußtsein. Wir sollen sowohl persönliche als auch Gruppenangelegenheiten ansprechen. Dahinter steckt die Theorie, daß wir erst durch die persönlichen Dinge hindurch müssen, um überhaupt ein Gruppenbewußtsein entwickeln zu können. Sonst würden wir die Gruppe nur hinabziehen.
    Heute ging ich zum Abendessen aus. Wir waren vier ältere Frauen: Mai, Nann, Margret und ich. Wir sprachen über unser Alleinleben, Einzeldasein als »mittelalterliche« Frauen hier in Findhorn, aber auch in der Welt im allgemeinen. Mai möchte so wie die jungen Frauen hier gesehen werden: sexuell attraktiv. Die Bevölkerung in Cluny Hill ist relativ jung mit nur wenigen Älteren wie uns. Das traditionelle Bedürfnis nach Dazugehörigkeit haben wir immer noch drauf. Auch ich fühle es hier — erstaunlicherweise. Selbst wenn ich weiß, wieviel glücklicher ich allein bin und daß ich mir das so ausgesucht habe, bin ich mir doch klar darüber, daß ich nicht mehr so gesehen werde, wie ich einst war: jung.
  • Donnerstag, 11. März: Dieses Seminar über Gruppenbewußtsein ist sehr wertvoll für mich. Teil des Gruppenprozesses ist es, herauszufinden, wie stark du dich fühlst und wie wir mit der Macht umgehen. Ich glaube, Macht ist die Fähigkeit, anderer Leute Leben zu beeinflussen. Doch im Grunde ist es die Fähigkeit, etwas zu tun. Die Definition von Findhorn: Jegliche Macht ist Gottes Energie.
  • Freitag, 12. März: Heute war die Gruppenrunde sehr stark. Mai fühlte sich abgetrennt und allein. Ich hatte ziemliche Widerstände und fühlte schon den ganzen Tag lang Druck. So habe ich einfach diese wachsende Ärgerlichkeit mitgeteilt. Ich wollte so lange aussetzen, bis ich wirklich etwas zu sagen hätte.
    George brach schließlich zusammen und fing an zu weinen. Er sprach darüber, wie seine Frau ihn verlassen habe, wie er sie immer noch liebe und daß er aus dem Bauch, nicht aus dem Kopf reden wollte. Wir waren alle sehr gerührt und glücklich, daß dies geschah, für ihn geschah. Er hat alle um Umarmungen gebeten, und so haben wir alle einander die nächsten zwanzig Minuten umarmt.
  • Montag, 15. März: Ich richte ein Zimmer neu her: ziehe die Tapete ab, kratze den alten Verputz runter — ganz schön langweilig.
  • Dienstag, 16. März: Heute sprach Eileen Caddy zu unserer Gruppe. Eine schöne Frau mit funkelnden Augen. Sie erzählte ein bißchen aus ihrem Leben und von den Anfängen Findhorns. Wegen Peter verließ sie ihren Mann und fünf Kinder. Von Peter ist sie jetzt getrennt. Ich kann mir vorstellen, wie das war.
  • Donnerstag, 1. April: Hörte, wie Armand heute morgen über Führung sprach. Ich glaube immer noch, daß er sich nicht auf Menschen einläßt. Abstraktes Denken, abstraktes Reden.
  • Mittwoch, 7. April: Fühlte mich heute verwirrt. Fing am Nachmittag an und dauerte bis zum Schlafengehen. Graham hat heute abend wieder eine seiner »Die Gruppe« - und »Wir« -Reden geführt. Ich hätte ihm den Hals umdrehen können. Habe ihm gesagt, daß er wahrscheinlich eigene Apathiegefühle oder sonst etwas auf die Gruppe projiziert. Er soll lieber auf sich selbst schauen. Ich habe ihm auch gesagt, er solle aufhören, von »Wir« zu sprechen, und lieber »Ich« sagen.
  • Freitag, 9. April. Heute habe ich in der Gärtnerei einen Komposthaufen angelegt. Wir hatten eine besondere Vollmond-Meditation (im Widder) in der Universal Hall am Nachmittag.
  • Samstag, 10. April: Mit Margaret und Mai ging ich zum Tee für die über 60jährigen in Cullerne. Wir fragten, ob wir eingeladen würden. Wir sind neugierig auf die älteren Mitglieder, hier in Cluny sehen wir so wenige.
    Ich hatte mir eine Liste mit Fragen gemacht. Von den Frauen erhielt ich besonders gute Antworten auf meine Fragen über Frauen in der Gemeinschaft. Meine Güte — sie sind Feministinnen. Meine Fragen lauteten folgendermaßen (die Antworten setze ich in Klammern):
  1. Wie hoch ist der Anteil der über Sechzigjährigen in der Kommune? (8 %)
  2. Wie viele von den Gästen, die länger bleiben — Kerngruppe, Gästeabteilung, Langzeitgäste — sind über 60? (Wurde nicht untersucht, scheinen wenige zu sein.)
  3. Gibt es außer dem Tee noch einen Treffpunkt für die Älteren? (Gab es mal. Aber wir haben alle Regeln und Regelmäßigkeiten abgeschafft. Einmal im Monat haben wir jetzt den Tee, weil es ja auch immer einen Geburtstag zu feiern gibt. Das ist dann der Anlaß unseres Zusammenkommens. Der Tee wird vom Geburtstagskind geleitet, und alle bringen Kuchen und Gebäck mit.)
  4. Sind ältere Frauen meist traditionellen Arbeiten zugeneigt? (Falls dies Kochen und Saubermachen bedeutet, nein. Alle kochen und machen sauber, nicht nur Frauen. Einige Frauen sind in der Verwaltung, sie leiten Gruppen, stehen einer Abteilung vor.)
  5. Wie hoch ist der Anteil weiblicher Mitglieder? (Über 50 %.)
  6. Wenn die Mehrheit Frauen sind, wie zeigt sich das in der Führungsspitze? (Ja, sie sind beteiligt, lediglich in der Finanzverwaltung hapert es — weil es keine Frau gibt, die über die notwendigen Sachkenntnisse verfügt.)
  • Dienstag, 15. April: Frauen und Männer sind recht freundlich und liebevoll hier — doch scheinen sich keine Beziehungen zu entwickeln, außer zwischen den ständigen Mitgliedern der Kommune und den Jüngeren. Meinem Gefühl nach scheinen die Frauen zu wollen, die Männer aber zögern.
  • Mittwoch, 21. April: Mai hat mir etwas über ihre Arbeit in der Küche und die damit verbundenen Probleme erzählt. Sie entschloß sich heute, diesen Job aufzugeben. Das fühlte sich gut für sie an. Mai sagt, sie habe alles getan, um das Bewußtsein Rudis für das Nichtvorhandensein der älteren Frauen als sexuelle Wesen zu öffnen.
    Sprach über Beziehungen beim Abendessen. Dan interessierte sich sehr dafür. Er sagte, alles seien Beziehungen. Er sagte auch, Findhorn sei wie ein Aquarium, jede/r kenne alles. So würde man sich doch sehr kümmern. Und die sonst sexuell ausgelebte Energie würde hier durch Umarmungen gelebt. (Eine Gruppenleiterin sagte ihrer Gruppe, daß eine Person mindestens vierzehn Umarmungen pro Tag brauche.) Man würde, so sagte er, hier doch eine Menge Leute lieben. Ausschließlichkeit sei sehr schwierig und auch nicht jedermanns/jederfrau Sache.
    Wir haben aber nicht darüber gesprochen, daß die Umarmungen hauptsächlich jüngeren Frauen gelten, weil die Männer hier ja auch jung sind. Wie Ruby sagt: »Altersdiskriminierung ist verhüllter Sexismus."
  • Mittwoch, 28. April: Dirk hat meine letzte Reparatureinstimmung auf heute nachmittag verschoben, so daß ich teilnehmen konnte. Seine Meditation im Heiligtum richtete sich hauptsächlich an mich, er stellte mich im übertragenen Sinn ins Licht und dankte mir, daß ich Liebe und Freude in die Abteilung gebracht hätte. Ich war sehr gerührt. Er hatte auch Pastetchen gekauft.
  • Donnerstag, 29. April: Wir, die Langzeitgruppe, haben uns selbst ein wunderbares Abendessen gegeben (Hühnchen, Gemüse, Salate, Dessert und Kaffee). Wir haben unten im Familienraum gegessen. Wir waren ganz für uns. Später sangen wir zur Gitarre. So ein schöner Abend.
  • Freitag, 30. April: Morgens mit einer Meditation angefangen. Gut und stark — sehr stark für mich. Wir fuhren fort mit den Wertschätzungen, dabei erzählten wir uns schöne und besondere Dinge über uns selbst. Dann haben wir uns zu einem stillen Kreis zusammengeschlossen, lauschten der Musik, hielten uns an den Händen und schauten einander in die Augen. Cläre war für mich die zweite oder dritte. Ich fing an zu weinen. Ich empfand soviel Liebe für sie, für alle.
  • Samstag, 1. Mai: Habe allen in der Gruppe auf Wiedersehen gesagt. Ganz viele Umarmungen. Hat lange gedauert. Auf Wiedersehen, Findhorn — jedenfalls fürs erste.

Die meisten Leute, die nach Findhorn kommen, sei es, um hier zu leben oder an einem der zahlreichen Programme teilzunehmen, entstammen der Mittelschicht, haben eine gute Bildung und sind finanziell abgesichert. Einige stehen in guten Karrieren. Sie kommen aus allen Teilen der Welt.
Wie jeder lebende Organismus wächst und wandelt sich auch Findhorn ständig. Als Lichtzentrum des New Age nimmt es seine Verantwortung für den Planeten sehr ernst. Es wurde ein ökodorf geplant und 1983 eine internationale Konferenz für Wildgebiete einberufen. Im Publikationsstudio im Park drucken sie alle ihre Papiere und benutzen dabei die McGraw-Hill-Richt-linien zur Ausmerzung sexistischer Sprache.
Im Ressourcen-Zentrum in Drumduan wird am Ausbau von Netzwerken gearbeitet, die ausführlichen Dateien der Kommune werden auf dem laufenden gehalten und Kontakte mit anderen Lichtzentren auf der Erde hergestellt.
Auf der ganzen Welt schießen Kommunen wie Pilze aus dem Boden, viele wurden von Ex-Findhorner/inne/n gegründet. Und obwohl ich oft daran denke, nach Findhorn zurückzukehren, bin ich doch auch neugierig auf nähergelegene Kommunen. Ich hoffe, sie bald kennenzulernen.

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