In den letzten zwölf Monaten befand ich mich auf einer Suche. Ich suchte nach alternativen Wirtschaftsformen von und für Frauen von der Ostküste der Vereinigten Staaten bis zur Westküste. Ich fand auf dieser Reise, was mir schon viele sagten: Ich bin zu utopistisch.
Woraus bestanden meine Träume? Ich wollte einen Frauenhof mit autarker Bewirtschaftung finden, der Frauen so nützen könnte wie die Kibbuzim den Juden. Falls ich nach einem Ort suchte, der Frauen autarkes und autonomes Wirtschaften in eigenen Betrieben und im Handel mit der Außenwelt ermöglichte — so gab es diesen hier und heute nicht. Aufgrund unserer Sozialisation sind wir Frauen nicht daran gewöhnt, geschäftlich zu denken. Auch verfügen nur wenige Frauen über die zum Bewirtschaften eines Hofs notwendigen Fähigkeiten und Finanzen. Wir kommen aus unterschiedlichen Schichten, meist Randgruppen, und sind sehr offen für Enttäuschungen, indem wir einander kritisieren, statt Kritik am Patriarchat zu üben, das Unterschiede geschaffen hat. Das führt dann dazu, daß Frauen mit entsprechenden Kenntnissen und Qualitäten diese eher verbergen.
Die bestehenden Höfe und Landkommunen sind gleichwohl sehr wichtig, dienen sie doch als Zentren kultureller und geistiger Entwicklung, wo Frauen sich von männlichen, negativen und städtischen Energien reinigen können. Sie erfahren dort neue Denkweisen und befassen sich mit psychischen Phänomenen. Aber die Frauen, die solche Ländereien bewirtschaften, fühlen sich ausgebrannt, weil so viele kommen, die nach Frauenland und heilendem Boden suchen. Die Gemeinschaften, die am längsten bestehen, sind jene, die einmal im Jahr ihre Pforten schließen, damit sie sich mit sich selbst befassen können. Zu anderen Zeiten öffnen sie sich dann für politische Aktivitäten, dann wieder bieten sie Rückzugs- oder Arbeitsmöglichkeiten für Frauen an, die auch dafür bezahlen können. Darüber hinaus verdienen Frauen ihr Geld mit Musik, Kleidernähen, Gold- und Silberschmiedearbeiten, der Herstellung von Schals und Tüchern, Grußkartenbemalung. All das verkaufen sie auf den Frauenhandwerksmessen. Andere bauen Kräuter für den Verkauf an. Meist geschah dies jedoch in Privatunternehmungen und nicht in kollektiven Unternehmen.
Ich habe keine Einwände gegen spirituelle Gruppen, weil es sehr lange dauern kann, bis wir uns gänzlich neuen Richtungen zuwenden können. Außerdem war meine Suche auch vielleicht deshalb nicht erfolgreich, weil das Land eher feudalistisch als kapitalistisch genutzt wird, das heißt, es findet eher ein Warenaustausch statt, da die Mitglieder sich vom Geld zurückziehen und lossagen wollen. Die Religionen des New Age (zu denen auch die Frauenspiritualität zählt) propagieren daher auch vielmehr eine Rückkehr aufs Land, ein Zurück zur Natur, und so sind ihre Überlebensversuche feudalistisch inspiriert. Das wiederum erlaubt mehr persönliche Kontrolle über mehr begrenzte Arbeit. So findet beispielsweise ein direkter Austausch zwischen Gebenden und Empfangenden statt. Schmerzt dein Rücken, werde ich ihn dir massieren; im Gegenzug kannst du mir vielleicht Holz hacken oder etwas anderes tun. Die Frauen Spiritualität, die ich auf den Höfen vorfand, bricht mit dem kapitalistischen Patriarchat, aber eine vollständige Abkehr bedeutet doch noch eine ganze Menge Arbeit.
Die meisten Höfe vertreten auch die Auffassung, daß männliche Energien von zerstörerischen Hormonen bestimmt sind. Zugegebenermaßen hat diese Perspektive meine Augen geöffnet. Aber auf der materialistischen Ebene, vom feministischen Standpunkt aus - das heißt der gesellschaftlich bedingten Verschiedenheit von Mann und Frau — stellt sich die Frage: Was wollen wir an der Sozialstruktur verändern?
Von der marxistischen Analyse ausgehend würden wir Ausschau halten nach einem Aufbrechen der »Doppelbelastung« der Frau — Arbeit für den Kapitalisten im Beruf und für die Familie zu Hause - wie es Engels in seiner Analyse über den Ursprung des Staats schreibt. Wir würden auch nach einer Reorganisation des Verbrauchs suchen, wo Frauen gezwungen sind, Dienstleistungen und Güter für ihre Familie zu erbringen.[1] Sobald diese beiden Probleme gelöst sind (die im Moment Frauen im Kapitalismus und im Sozialismus benachteiligen), würden wir nach einer Neustrukturierung der Arbeit, des Arbeitsplatzes selbst suchen, wo nicht mehr nach Alter und Geschlecht unterschieden wird. Dies bedeutet ja in der Gesamtwirtschaft, daß das Familieneinkommen in der Regel zusammengezogen wird, Frauen in niedrig bezahlten Stellen gehalten werden, so daß Kapital angehäuft werden kann, und bezieht obendrein die unsichtbare, unbezahlte Arbeit der Frauen ein.
Da ich auf Frauenfarmen nicht ans Ziel meiner Wünsche gelangte, untersuche ich hier eine autarke und autonome Gemeinschaft im Süden (der Vereinigten Staaten), wo ich für einen Monat lebte und arbeitete. Obgleich Frauen und Männer hier gemeinsam wirtschaften, wurden Rollenklischees nach Alter und Geschlecht aufgelöst und ein Arbeitspunktekredit statt Geld eingeführt.
Dieses kleinere Sozialgebilde hat auch die unbezahlte, unsichtbare Arbeit der Frau in ihr Arbeitskreditsystem einbezogen. Güter und Dienstleistungen werden für alle Bewohner/innen organisiert. Das System basiert nicht auf der Zusammenfassung von Familieneinkommen. So wurden große Fortschritte bei der Abschaffung von Rollenklischees erzielt.
Twin Oaks heißt diese kleinere Wirtschaftseinheit, in der ich lebte und arbeitete. Wie fand ich es? Beim einwöchigen Camping während des jährlich stattfindenden Frauenmusikfestivals in Michigan, zwischen sechs- bis siebentausend halbnackten Frauen hatte ich die Gelegenheit, in einer Struktur zu arbeiten, die nicht entfremdete, sondern aufheiterte. Ich erlebte mich dort als aktive Teilnehmerin bei der Schaffung einer positiven, alternativen, kooperativen Struktur durch meine Arbeit im Koch- und Sicherheitsdienst. Überall sah ich Beweise dafür, wie andere mit den Elementen, die mein Leben unerträglich machten, schöpferisch umgingen und Alternativen entwickelten. Haben mich die Männer verwirrt, wenn ich meine 72 Runden täglich schwimmen wollte? Hier war ein T-Shirt aus irgendeiner größeren Stadt mit der Aufschrift FRAUENSPORT. Wurde ich von Mechanikern ausgelacht, belästigt und finanziell ausgenommen? Hier gab es ein T-Shirt mit der Aufschrift FRAUENWERKSTATT. Hatte ich Angst vor nächtlichen Spaziergängen durch die Stadt? Da gab es den Slogan EROBERT DIE NACHT. War ich trübsinnig? Da gab es den Anstecker WILDE FRAUEN KRIEGEN KEINE DEPRESSIONEN. Hatte die jüdische Religion mich so beeinflußt, daß ich mich ohne Mann und Kinder erfolglos fühlte? Hier vollzog Z. Budapest ihre Rituale und stoppte den Regen inmitten spiralförmiger Kreise sich selbst segnender Frauen. Nach und nach kamen die einzelnen Teile für ein größeres Gemälde zusammen, die Schwere fiel. Als Sicherheitsposten saß ich eines Nachts am Lagerfeuer und lauschte voller Bewunderung und Ehrfurcht einer banjospielenden Frau, die von Frauenland und Frauenfarmen sang: eine bewußt geschaffene reine Frauenerwerbsgemeinschaft. Später im Herbst bei der Pentagonaktion der Frauen gab mir eine Freundin einen Werbezettel von Twin Oaks. Darauf stand, daß diese Kommune in Virginia autark sei und eigene Autoreparaturwerkstätten habe. Auf dem Zettel war auch ein Hinweis, daß in Twin Oaks eine größere Gruppe Frauen sich einen eigenen Rahmen geschaffen habe. Diese heterosexuellen, lesbischen und bisexuellen Schwestern befaßten sich mit der Schaffung einer spezifisch weiblichen Kultur. Ein Satz lautete: »Wenn du feministische Energien hast, brauchen wir dich.« Ich habe sofort hingeschrieben und gefragt, ob ich sie besuchen könnte.
Twin Oaks ist nur eine der vielen Kommunen in den USA. Die soziologische Definition zielgerichteter Kommunen lautet: eine Gruppe, in der die Verbindung zwischen den Mitgliedern nicht auf Bluts- oder legalen Rechten beruht. (In einigen dieser Gemeinschaften sind die Mitglieder durch eine gemeinsame Religion verbunden; in anderen entsteht die Verbindung durch eine gemeinsame Philosophie oder bestimmte Erfahrungen.) Gemeinschaften mit solchen Bindungen bündeln die Kraft, entwickeln bestimmte Mechanismen für Gruppenentscheidungen und haben die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung aufgehoben: Sie teilen sich in die Erziehung der Kinder und experimentieren mit der Wechselbeziehung zwischen Individuum und Gruppe. Diese Gruppen entstanden in ganz Amerika meist in Zeiten der Hoffnung und nicht während der Depression; sie scheinen aber Kriegen zu folgen. Die, die am längsten überleben, scheinen auch die konformistischsten. Als in den sechziger und siebziger Jahren Familienbande und traditionelle Werte an Achtung verloren, erlebten die USA die Wiederauferstehung solcher Gemeinden. Meist haben die beständigen Kommunen ein bestimmtes Ziel verfolgt: Im letzten Jahrhundert waren es die Abschaffung der Sklaverei und der Kampf für die Frauenrechte; heute geht es um seelisches Wohlbefinden im Gegensatz zum Streß in der Gesamtgesellschaft.
Die Gemeinschaft von Twin Oaks, ursprünglich weder sozialistisch noch feministisch, ist tatsächlich jedoch beides. Das im folgenden beschriebene Arbeitssystem entstammt einer vor sechzehn Jahren angefertigten Taubenstudie, die die Skinnersche Psychologie philosophisch untermauern sollte — in seinem Ansatz war dieses System also nicht als revolutionärer Angriff auf die gesellschaftliche Arbeitsteilung gedacht. Trotzdem orientiert es sich an den Bedürfnissen der Menschen und dient weder der Profilierung noch dem Profit. Daher sind viele Voraussetzungen für die Befreiung der Frau gegeben. Die Kommune betreibt eine Hängemattenindustrie, die Geld abwirft, sowie eine Farm, auf der ein Teil der Lebensmittel angebaut werden. Sie züchten Tiere und verarbeiten tierische Produkte. Twin Oaks organisiert die Gebrauchsgegenstände für jedes der siebzig Mitglieder. So ist es also ein Kollektiv, das kaum Geld für Güter und Dienstleistungen aufbringen muß. Aufgrund des Zusammenlebens muß auch weniger Geld für Herde, Küchen, Möbel oder Dekoration ausgegeben werden.
Jede/r Erwachsene arbeitet die vorgeschriebene Stundenzahl — 47 pro Woche — und kann im Austausch dafür leben und essen und erhält elf Dollar Taschengeld pro Monat. 47 Stunden erscheinen lang — andererseits brauchen die Menschen »draußen« zusätzlich zur reinen Arbeitszeit noch Zeit für die Arbeitswege, müssen auf die Bank, einkaufen, saubermachen, suchen kulturelle Anregungen etc. Damit kommen sie auf mindestens 60 Wochenstunden pro Person. Elf Dollar im Monat klingt wenig, aber es gibt kaum Ausgaben: Zum Beispiel werden in Twin Oaks Yogastunden gegeben, die nichts kosten, es wird kein Geld für Autos oder öffentliche Verkehrsmittel gebraucht. Und auch die Kleidung ist billiger, weil alles in einem freien Laden erhältlich ist.
Jegliche Arbeit wird gleich bewertet, obwohl das nicht immer der Fall war. Zu Beginn wurde der Arbeit, die sehr begehrt war, ein Kreditpunkt gegeben; je unbeliebter die Arbeit, desto mehr Punkte konnte man damit bekommen. Dies war als Anreiz gedacht. Zum Beispiel erbrachte das Reinigen der Toilette mehr Punkte als Bauarbeiten, die viele tun wollten. Dieses System schaffte sich aufgrund seiner komplizierten Berechnungen von selbst ab. Mittlerweile gilt eine Stunde Waschen genausoviel wie eine Stunde Auto reparieren oder Planungsarbeiten.
So verschwindet auch die individuelle Hausarbeit, weil frau ja in der Gemeinschaft lebt und nicht länger mit der Doppelbelastung durch Beruf und Familie zu kämpfen hat. Politische Feministinnen hatten ja wegen der Doppelbelastung Lohn für Hausarbeit gefordert. Bei Durchsicht der Haushaltsbücher von 1982 fand ich, daß 30% der Arbeitsstunden die sonst unbezahlte Hausarbeit von Frauen betrafen, 20 % galten Dienstleistungen, und 50% waren direkt gewinnbringend. Auch die unsichtbare Arbeit im Konsumbereich wird sichtbar. Da der Unterricht für die Kinder auf der Farm stattfindet, entfallen lange Schulwege. Familienmitglieder müssen nicht zum Arzt gebracht werden, da die Farm ihr eigenes Gesundheitssystem hat, das durch die Arbeitspunkte geregelt wird. Bei Bedarf werden gemeinsame Zahnarztbesuche von einem (mit Arbeitspunkten) bezahlten Kommunemitglied organisiert usw. Da die Arbeiten gemeinsam verrichtet werden, braucht keine Hausfrau/Mutter sich nur nach den Bedürfnissen ihrer Familie zu richten.
Natürlich profitieren alle Frauen von diesen Umstellungen, nicht nur jene, die durch ihren Beitritt zur Gemeinschaft plötzlich weniger Familienverpflichtungen haben. Jedes einzelne Individuum wird von den Sorgen um Einnahmen und Ausgaben befreit. Außerdem ist die Anerkennung der vormals unbezahlten, unsichtbaren Hausarbeit der Frauen natürlich subversiv und schafft Raum für weitere Veränderungen. Zum Beispiel gibt es auch Arbeitspunkte für individuelle Beratungen und Hilfen — wie jemandem zuhören oder eine Person zu pflegen — all das sind bewertete Arbeiten.
Hinzu kommt, daß die Produktionsarbeit nicht von der unsichtbaren, unbezahlten Hausarbeit abhängt. Außerdem werden Familieneinkommen nicht zusammengezählt, Kapitalanhäufung aufgrund der Arbeitsteilung wird so erschwert — all dies ermöglicht die Auflösung vieler anderer Gesellschaftsrollen. Männer arbeiten in der Kindererziehung, in der Wäscherei, der Küche-, Frauen arbeiten in der Reparaturwerkstatt, im Planungsbüro und auf dem Bau. Eine Frau muß nicht zur Superfrau werden, um die häuslichen Pflichten mit einer Karriere unter einen Hut zu bringen. Weder Männer noch Frauen werden irgendwie benachteiligt; beide müssen 47 Stunden wöchentlich arbeiten und keine/r trägt die Sorge für den Haushalt allein.
Gleichwohl bedarf es einiger Überzeugungsarbeit, um Frauen für nicht-traditionelle Tätigkeiten zu interessieren. Das zehrt an den Kräften der wenigen Frauen hier. Dann gibt es auch noch das wirtschaftliche Argument, daß es länger dauert, Frauen anzulernen, als mit Ebenbürtigen zu arbeiten; es ermutigt jedoch, von den Mechaniker/inne/n zu hören, daß sie diesen Aspekt abschaffen wollen. Die Mechanik des Autos wird Mädchen erklärt, und Frauen werden ermutigt, sich für einen sechswöchigen Autokurs einzuschreiben. All dies kann geschehen, weil es keine wirtschaftliche Basis gibt, auf der Vorurteile und Einschüchterung gedeihen könnten. Einige Feministinnen haben das erkannt und sich der Situation bedient.
Mutterschaft wurde neu bewertet und damit die Kindheit. Auch darin ist das Arbeitsbewertungssystem subversiv. Die Kommune entscheidet über die Anzahl der möglichen Geburten pro Jahr. Dies geschah zu Beginn der Kommune aus wirtschaftlichen Gründen, da Schwangerschaft als Arbeit gilt und im Arbeitsbewertungssystem mit Punkten honoriert wird. Die Schwangere kann während ihrer Schwangerschaft Punkte sammeln, und sie fällt nicht aus dem Arbeitsbewertungssystem. Falls sie sich nicht wohl fühlt, kann sie zu Hause arbeiten, zum Beispiel etwas nähen, oder das Planungskomitee trifft sich eben bei ihr, wenn sie daran teilzunehmen hat, so daß sie es nicht zu sehr anstrengt. Da die Trennung zwischen Arbeitsplatz und Heim entfällt, braucht die Frau keinen langen Schwangerschaftsurlaub oder lange Rückgewöhnungszeiten.
Die Kommune entscheidet gemeinsam über die Wirtschaftsgrundlagen, somit entsteht ein hohes Maß an Verantwortungsgefühl für die Gruppe. Weil die Kommune auch über die Verantwortung für ein Kind entscheidet, hat sich ein neues Verständnis für Kinder und Kindheit entwickelt. Das geht einher mit der Idee der Veränderung eines Status quo: 15% der Kommuneausgaben gehen in die Kindererziehung, um eine geeignete Umgebung für die Kleinen zu schaffen. Freuds Theorien verlieren hier ihre Gültigkeit: Das Kind erlebt nicht die typischen Mutter-Vater-Bilder der herkömmlichen Gesellschaft. Es muß auch kein Vater anwesend sein, und die Kommune hat künstliche Befruchtungen gezahlt; wenn aber ein Vater da ist, hat er genausoviel Kontakt mit dem Kind wie die Mutter. Das Kind sieht vielerlei Erwachsenenmodelle und kann sich bei allen Zuwendung und Zuneigung holen. Das Sexualleben der Kinder wird anerkannt, und die Kinder entfalten ein starkes Gruppenbewußtsein. Sie hängen nicht nur von einer einzigen Quelle der Liebe/des Hasses/ der Bestrafung und der Zustimmung ab. Wenn, wie einige Theorien (Chodorow, Dinnerstein u. a.[2]) behaupten, das Problem bei der Entwicklung unserer sexuellen Beziehungsfähigkeit im Erwachsenenalter an der alleinigen Verantwortlichkeit der Frau für die Erziehung begründet liegt, kann die gesellschaftliche Basis für Geschlechtsrollen tatsächlich aufgelöst werden.
Außer den Bereichen subversiver Kraft gibt es auch noch wichtige andere Prozesse.- zunächst die Dominanz weiblicher Werte, beziehungsweise der Werte, die gemeinhin eher Frauen als Männern zugeordnet werden. Zum Beispiel geht es beim Lernen mehr um Förderung als um Einschüchterung. In der modernen kapitalistischen Welt muß oft ein Machogebaren an den Tag gelegt und Angst vor Maschinen oder neuen Tätigkeiten darf nicht gezeigt werden. In Twin Oaks darf man/frau diese Furcht ruhig äußern, und der/die Unterrichtende wird meist von den eigenen Anfangsschwierigkeiten erzählen. Dann arbeiten die Leute hier mit- statt gegeneinander. Individuelle Arbeitsentlohnung — wirtschaftlich oder anders — wird nicht gewünscht. Wenn die Produktion beschleunigt werden muß, wird ein Ziel für die ganze Kommune festgelegt und die Anzahl der herzustellenden Hängematten beziffert. Die erhöhte Produktivität wird durch Gruppenbelohnungen oder Verstärkungen angekurbelt und nicht durch Einschüchterungen. Da werden beispielsweise Plätzchen am Arbeitsplatz gebacken und verteilt, Lesungen gehalten, um die Arbeitenden zu längeren Arbeitszeiten zu bewegen.
Auch das Selbst wird nach weiblichen Werten eingeschätzt: Es betrifft eine runde (in sich ruhende) Person und definiert sich nicht durch seine Tätigkeit. Wegen der Arbeitsrotation (in der Planung wird mit 18 Monaten gerechnet) kannst du praktisch nie nach dem Beruf fragen und deine Beziehung zu dieser Person über die Berufstätigkeit herstellen. In der kapitalistischen Arbeitswelt mit patriarchaler Arbeitsteilung gibt es vier Hauptkategorien. In meinem Buch »Pictures of Patriarchy«[3] habe ich vier in Familienrollen begründete Jobs beschrieben. Die Tochter, die viel herumzieht, findet nie ihren eigenen Platz. Der Vater erzeugt Arbeit, eignet sich Fähigkeiten an und fühlt sich am Arbeitsplatz genauso wohl wie zu Hause. Der Bruder tritt in Konkurrenz zum Vater, dessen Stelle er einmal einnimmt. Die Frau arbeitet allein und isoliert von den anderen und erledigt die Hausarbeiten, verstärkt die Regeln des Vaters und erzieht Tochter und Bruder. Es ist ermutigend, daß keine dieser Kategorien auf Twin Oaks zutrifft. Alle ziehen umher und wechseln ihre Jobs. Der Job, der »draußen« dem Vater zugeschrieben wird und ihm dort größeren Respekt und beste Entlohnung verschafft — der Planer — gilt hier als der unattraktivste, weil er soviel Zeit und Verantwortung braucht. Alle fühlen sich an allen Arbeitsplätzen zu Hause. Jede/r kann sich am Arbeitsplatz nach Lust und Laune anziehen und auch die Musik auswählen. Die Arbeit der Frau ist nicht isoliert und rotiert ständig. Brüder konkurrieren nicht. Es braucht viel Druck von der Kommune, um jemanden für die verantwortlicheren Posten zu gewinnen. Es sieht so aus, als seien alle Töchter: Alle ziehen von Job zu Job und verpflichten sich für relativ kurze Zeitspannen.
Aus den Rollenklischees auszubrechen und nicht traditionelle Fähigkeiten zu erlernen, ist eher die Norm als die Ausnahme in dieser Umgebung. Niemand — Angestellte, Chefs, die Kultur — erwartet von dir, ausbeuterische und unterdrückende Arbeitsbedingungen als »natürlich« zu akzeptieren. Als ich unter traditionellen Bedingungen Automechanik lernen wollte, mußte ich mich mit den Anordnungen des Unterrichtenden herumschlagen und die Reaktionen der Ersatzteilläden aushalten. Für sie war allein schon die Tatsache, daß ich ausgerechnet dies erlernen wollte, sehr verblüffend. In Twin Oaks kannst du dich aufs Lernen konzentrieren und mußt nicht auf Männer reagieren, die sich deinem Eintritt in ihre Domäne widersetzen. Du profitierst von der Vielfalt kultureller Anregungen, die Wandlungsfähigkeit in alle Richtungen anzeigen: Frauenmusik über die Lautsprecher in der Werkstatt, regelmäßige spirituelle Aktivitäten, Namensänderungen zur Bewußtseinserweiterung, Sprachdiskussionen und die Empfehlung des Wörtchens »co« statt »sein« und »ihr« und ähnliches.
Ein letzter Schritt bei der Herausforderung des Patriarchats ist etwas, das ich »Auflösung der Effizienz« nennen möchte. Einige glauben, daß Arbeitsrotation und Handlungsunterstützung wirtschaftlich ineffizient seien. Arbeitszeit beispielsweise in die Unterrichtung der Frauen zu investieren, lenke von anderen Produktions- und Investitionszielen ab. Dazu dann das Gegenargument: Das Ziel liege in der Verbesserung des Lebensstandards und der könne sich durchaus von materiellen Verbesserungen unterscheiden. Ebenso ließe sich anführen, daß die Auflösung der Rollenklischees schon die Lebensqualität verbessere. Wenn Androgynie als bessere Lebensform denn rigide Rollenklischees erkannt wird, können Gewinne für die Frauen erzielt werden. Noch kühner wäre die Behauptung, daß eine weniger unterdrückende und freiere Umgebung langfristig auch zu größerer Effizienz führe.
Trotz der Fortschritte finden sich auch Hindernisse. Eine tiefe Kluft besteht zwischen den befreienden Strukturen und dem niedrigen feministischen Bewußtsein. Die Kluft entsteht durch die Diskrepanz zwischen Nicht-Sexismus, der gleiche Möglichkeiten einschließt, und Feminismus, der das Anerkennen einer unterschiedlichen Geschichte und die Entwicklung verschiedener Normen beinhaltet. So können Besucherinnen oder Mitglie-derinnen immer noch sexistische Erfahrungen machen, obgleich die objektive Struktur zur Befreiung gegeben ist. So bittet ein Mann lieber einen Geschlechtsgenossen, ihm beim Heben von Kisten zu helfen. Beim Interview kam heraus, daß Bewerberinnen meist weniger Fähigkeiten aufzuweisen haben als Bewerber. Nur wenige Themen werden auch feministisch diskutiert, und zu offen gezeigter Feminismus läßt andere, selbst Frauen, befürchten, daß »das ganze Projekt gefährdet wird«. Die Probleme könnten gelöst werden, wenn eine politische Kraft dahinter stünde, aber die bestehende Frauengruppe spielt keine allzu große Rolle. Sie hat auch keine einheitliche Haltung zu etablierten Prinzipien oder greift zu konzertierten Aktionen. Sie wird auch nicht als Sprecherin der Frauen in der Kommune herangezogen. Ganz sicher kann das Leben in Twin Oaks nicht als Schritt zu weiblichem Nationalismus gesehen werden, sondern eher als Trainingsstätte, wo Frauen bestimmte Fähigkeiten erlernen und gemeinsame Erfahrungen der Zusammenarbeit sammeln können. Es ist auch kein feministisches Utopia, in dem Androgynie erreicht werden kann. Es stellt jedoch den Versuch zur Strukturierung einer humaneren Gesellschaft dar, in der automatisch viele Unterdrückungsstrukturen wegfallen, die auf Arbeitsteilung und der Doppelbelastung der Frau beruhen.
Zusammenfassend kann ich sagen, daß ich von Twin Oaks mit einem starken Gefühl für die Bedeutung der Arbeit an unseren feministischen Utopien wegging. Wir sollten sie bis ins Detail durchdenken, so wie es Skinner mit seinem »Waiden II« getan hat, das ja zum Vorbild für Twin Oaks wurde. Meine Vision bestand darin, alle wesentlichen Komponenten feministischer Theorie und feministischer Utopien zu einer Analyse zusammenzufassen. Daraus könnte gemeinsam mit den Frauen, die bereits internationale Kommunen geschaffen haben, etwas entstehen. Twin Oaks ist nur ein Beispiel von vielen.