Über weibliches Begehren

sexuelle Differenz und den Mangel im herrschenden Diskurs

Dieser Titel ist (mit dem Zusatz "Autonome Frauenbildungsarbeit am Beispiel der Frankfurter Frauenschule") der Titel einer Studie, die die Projektmitarbeiterinnen der Frankfurter Frauenschule (deren eine ich bin) 1989 verfaßt haben über die Dynamik in einem Frauenprojekt, über strukturelle Konflikte, über Vermittlung und Aneignung von Wissen unter Frauen, über Perspektiven und Blickwinkel, wie die Beziehungen zwischen Frauen in einem solchen Arbeitszusammenhang gesehen werden können.[1] Diese Studie ist keine Bilanz im soziologisch-empirischen Sinne. Wir haben versucht, eine möglichst offene Perspektive auf unsere Arbeit zu finden und darauf, was die besondere Dynamik dieser Arbeit unter Frauen ausmacht, wie sich also das Weibliche darin zeigt. Die Suche nach einer solchen Perspektive hat uns zu Kategorien/Begriffen von poststrukturalistischen und lacanianischen TheoretikerInnen geführt.
Unser Interesse war, daran weiterzudenken, was es mit Repräsentation und Symbolisierung des Weiblichen (Körpers) auf sich hat, was Symbolisierung und damit den Eingang in die Sprache verhindert bzw. beschränkt, und ob eine gewissermaßen "vollständige" Symbolisierung überhaupt denkbar und möglich sei. Uns schien der Begriff der Differenz, der in jenen Theorien zentral ist, geeignet zu sein, um daran anzusetzen. Wobei allerdings dieser Begriff mit Bedacht verwendet werden muß. Er ist in letzter Zeit schnell sehr modisch geworden und wird häufig extrem verkürzt verwendet, im Sinne einer zu nichts führenden Gleichmacherei eines "Frauen sind anders", was die Frauen auf der einen Seite versammelt und die Männer auf der anderen, was nur zu einer Verflüchtigung und Verleugnung der Dynamik, der existentiellen Aspekte führt, die der Begriff birgt. (Es ist ein großes Verdienst der "affidamento"-Theorie der Frauen um den Mailänder Buchladen und der Philosophinnen-Gruppe Diotima,[2] daß sie gerade auf die Ungleichheit zwischen Frauen hinweisen und mit ihrer Politik daran ansetzen. Möglicherweise geraten sie aber umgekehrt in dieselbe Gefahr, daß ihnen die Konfrontation des männlich-weiblich/Frauen-Männer aus dem Blickfeld gerät).
Vor allem die frühen Texte von Luce Irigaray haben uns zunächst veranlaßt, vom Körper aus zu denken, dem einzigen Ort, der die Differenz faßbar zu machen scheint bzw. darin überhaupt eine Orientierung zu versprechen scheint. Ich sage: es scheint so, denn es zeigt sich ja (später) bei Irigaray, daß dieser Ansatz wohl doch problematischer ist, als es zunächst aussah. Da wir aber keinen anderen Diskurs sehen, der zu der Frage nach dem Weiblichen (geschweige denn zur Frage des Verhältnisses oder der Berührung der Geschlechter) etwas beitragen könnte, versuchen wir es erneut vom selben Ort aus, dem weiblichen Körper, dem Körperinneren und seinem Bezug zur Sprache - wobei es uns vielleicht nicht immer gelingt, die Ebene des Wirklichen und die des Weiblichen als Metapher auseinanderzuhalten.
Es soll mir im Folgenden nun nicht um eine Darstellung der (Studie über die) Arbeit der Frauenschule gehen, sondern um einen bestimmten Aspekt daran. Ein Antrieb der autonomen Frauenbewegung und ihrer institutionalisierten Nachklänge war es, als Gleich(berechtigt)e einen Platz in der Gesellschaft zu finden, der nicht hierarchisch festgeschrieben und begrenzt ist. Die allgemeine Erfahrung der letzten Jahre, daß dieses Ziel auf der Ebene der Realität nicht zu ereichen ist, macht es nötig, gewissermaßen einen Schritt zurückzugehen zu der Frage, auf    welcher, dieser Realität (mit ihren Dimensionen von Macht, Wahrheit, Gerechtigkeit etc.) vorangehenden Ebene die Weichen für die Positionierung der Frauen in diesem Geschehen gestellt worden sind und werden. Es handelt sich hierbei um einen Prozeß der Ausschließung des Weiblichen, nicht um einen einmal vollzogenen Akt mit einem definitiven Ergebnis, sondern um einen permanenten historischen und logischen Prozeß der Verleugnung der sexuellen Differenz - und es stellt sich weiterhin die Frage, in welchem bzw. für welchen Zusammenhang diese Ausschließung so wichtig ist, daß sie zum permanenten treibenden Moment wird.
Ich möchte zwei Beispiele anführen, um diesen Prozeß zu veranschaulichen.
Das erste Beispiel nehme ich aus der griechischen Mythologie, und zwar zum einem deshalb, weil die Mythologie uns vorführt, wie der Prozeß der Bildung von Begriffen, der Konstitution von Wahrheit, der Konturierung der Geschlechter etc. sich vollzieht, und natürlich, weil mit der Mythologie die Logik, die Sprache und die kulturellen Wahrheiten konstituiert werden, die bis heute wirksam sind. In meinem Beispiel, nämlich der Orestie, geht es um die Überwindung des Weiblichen auf mehrfache Weise und in mehrfacher Hinsicht. Es geht um einen Muttermord und die Frage, wie schwer ein solches Vergehen wiegt und welcher höherwertige Grund es rechtfertigen könnte - also: was ist wichtiger als die Achtung vor dem Leben der Mutter.
Die Geschichte geht (zur Erinnerung, ganz kurz und verkürzt) etwa folgendermaßen:
Als das griechische Heer nach Troja in den Krieg zieht, verhindern widrige Winde das Ablegen der Schiffe. Es wird prophezeit, daß der Wind drehen würde, wenn der König Agamemnon seine Tochter Iphigenie opfert. Der lockt also (offensichtlich ist ihm der Krieg wichtiger als das Leben der Tochter) Iphigenie und ihre Mutter Klytämnestra unter einem Vorwand dorthin, opfert sie (daß sie dabei durch das Eingreifen der Göttin Artemis nicht zu Tode kommt, ist unerheblich und Klytämnestra weiß es wohl auch nicht), und diese Tat verzeiht Klytämnestra ihrem Mann nicht. Als Agamemnon Jahre später aus Troja zurückkehrt, ermordet sie ihn, gemeinsam mit ihrem neuen Liebhaber (die Geschichte ist in dem Punkt kompliziert, es spielen alte Flüche, frühere Ereignisse etc. eine Rolle, aber das ist für diesen Aspekt nicht so wichtig).
Orest, der Sohn, kehrt wiederum Jahre später in sein Elternhaus zurück und rächt seinen Vater, bringt also seine Mutter und deren Liebhaber bzw. neuen Ehemann um. Orest wird zu diesem Mord gedrängt von Elektra, seiner Schwester, und vor allem vom Orakel des Apollon, das ihm fürchterliche Dinge androht für den Fall, daß er den Mord am Vater ungesühnt läßt (er wird aufgefordert, "seiner Mutter nicht zu achten und zu rächen seines Vaters Tod"). Nach der Tat aber wird Orest von den Erinnyen verfolgt, den Töchtern der Nacht bzw. der Erde, den Rachegöttinnen mit den Schlangenhaaren und den blutroten Augen (den Hüterinnen des alten Gesetzes), die ihn als Strafe für den Muttermord in den Wahnsinn treiben. Um Hilfe wendet er sich an die Göttin Athene (die Schwester des Apoll), und die trägt letztlich seinen "Fall" einem Gericht zur Entscheidung vor. Aber nicht irgendeinem (göttlichen) Gericht, sondern: Athene schafft/stiftet zu diesem Anlaß angesichts der Schwierigkeit und des Ausmaßes der zur Entscheidung stehenden Frage, der Entscheidung zwischen dem alten und einem neuen Gesetz des Daseins - eine neue Institution, ein menschliches Gericht, den sogenannten Areopag, also den Gerichtshof der "edelsten Athener Bürger", von Männern also, der hier zum ersten Mal zusammentritt (so die Legende) - und zwar auf dem Areshügel über der Stadt, wo in einem früheren Krieg die Amazonen ihr Lager hatten, was ausdrücklich erwähnt wird. Die Richter bekommen für ihre Entscheidung Stimmsteine ausgeteilt: je einen schwarzen (schwarz, wie die Nacht, für die Schuld) und einen weißen (weiß, wie das Licht, für die Unschuld).
Es stehen sich in der hochdramatischen Verhandlung zwei Mächte gegenüber: die Erinnyen, auf der einen Seite, stehen für die alten Gottheiten/Göttinnen, das alte Gesetz, das Dunkle, die Nacht, Blut (Blutsverwandtschaft), Natur (Naturpflicht), Schicksal - alles Metaphern für das Weibliche (Uterus und Genitale). Auf der anderen Seite die "jungen Götter", für die Erzeugerschaft und Vaterschaft höherwertig sind als Mutterschaft und Blutsverwandtschaft - vor allem eben Apollo (Gott des Lichts), der sich auf Zeus beruft, und sein Orakel (die Sprache) - und, was den Ausschlag gibt: Athene, die männliche Jungfrau. Denn in der Auseinandersetzung darüber, ob Klytämnestras Mord an Agamemnon (der ihr nicht blutsverwandt war) ihre Ermordung (durch einen Blutsverwandten) rechtfertige, sagt Apoll (bei Aischylos) mit dem Verweis auf Athene: "Die Mutter bringt, was uns ihr Kind heißt, nicht hervor. Sie ist nur frisch gesäten Keimes Nährerin, der sie befruchtet, zeugt. Sie, wie der Wirt den Gast, beschützt, sofern kein Gott es schädigt, nur das Gut. Für diese Rede leg ich den Beweis euch vor. Es gibt auch ohne Mutter Vaterschaft. Hier steht als Zeuge da die Tochter des Olympiers Zeus, die, nicht genährt in eines Schoßes Finsternis, doch herrlich ist wie keiner Göttin leiblich Kind".[3] Und Athene selbst sagt: "Für Orestes geb ich meine Stimme ab. Weiß ich von keiner Mutter doch, die mich gebar. Dem Männlichen gehört mein ganzes Wesen an nur nicht der Ehe. Meines Vaters Kind bin ich. So fällt für mich nicht schwerer ins Gewicht der Tod der Frau, die ihren Mann erschlug, des Hauses Haupt. Auch wenn die Zahl der Stimmen gleich ist, siegt Orest" (135). Bei Schwab heißt das dann: "Orest hat nicht die Mutter umgebracht, sondern die Mörderin des Vaters". Die Mutter (als Mutter) gibt es nicht mehr.
Orest wird freigesprochen. Die Abstimmung der Männer geht zwar unentschieden aus, die alte und die neue Ordnung stehen sich noch gleich gewichtig gegenüber. Den Ausschlag gibt, wie vorausgesagt, Athenes weißer Stimmstein. Mit diesem Freispruch ist die neue Ordnung installiert. Die wütenden Erinnyen klagen und drohen ("O Mutter, schwarze Nacht! Siehst Du, was hier geschieht?"), aber, und das ist wichtig, sie werden von Athene besänftigt und versöhnt damit, daß sie gewisse Rechte und einen eigenen Altar in Athen zugestanden bekommen. Sie werden gewissermaßen die Schutzgöttinnen Athens, werden auch statt Erinnyen jetzt die "Eumeniden", die Freundlichen, Wohltätigen genannt. Sie bekommen also einen Platz in der neuen Ordnung und werden darin eingebunden. Das neue Gesetz ist das des Worts, der edlen Männer mit den schwarzen und den weißen Steinen die Frau ist eingebunden in diese Ordnung, ohne eigene Merkmale oder eine eigene Qualität außer: die neue Ordnung zu schützen und zu stabilisieren.
Wenn Orest verleugnen will, daß er aus dem Bauch seiner Mutter stammt, stellt er    die Frage nach dem Ursprung, die die beherrschende Frage der Mythologie ist. Die verweist sicher auf die Angst des Menschen vor dem Ausgeliefert-Sein an den Tod und auf den Wunsch, sich abzuleiten/herzuleiten von einem höheren Sein, das unberührt ist von Schicksal und Tod. Denn von einem höheren, von dem Schicksal des Geborenwerdens und Sterbens unabhängigen Ursprung würde sich ja gewisserrnaßen auch dessen Macht und Sicherheit auf die von ihm Hergeleiteten übertragen.
Für die Vermischung, das Nebeneinander der Möglichkeit von Leben und Tod, die Zusammengehörigkeit von Geborenwerden und Sterben steht aber das Weibliche (die das Leben geben, könnten es auch nicht geben, als Realität gedacht und darüber hinaus mit Phantasie ausgestattet). Bei Klaus Heinrich (in einer Vorlesung über Logik, hier über Parmenides[4]) findet sich folgende Passage: "eine weibliche Dämonin beherrscht die Mischwelt, von der sich die Sätze der Logik zu befreien versuchen, gegen die die Offenbarungen der Logik (von dem einen, unveränderlichen, alterslosen Sein, von den Grundsätzen seiner unveränderlichen Identität: dessen, daß es da keinen Gegensatz gibt, dessen, daß eine Mischung nicht zugelassen ist) sich wehren" (70), und etwas später heißt es, daß "Mischung und Mischung, die Geschlechtsmischung und dieses aus Leben und Tod Gemischte, miteinander identifiziert sind; daß an sich das Weibliche als Verschlingendes und Gebärendes erscheint". Daher auch das Bedürfnis nach Trennung (des Diffusen) in schwarz und weiß: denn nur entmischt ergibt sich die Möglichkeit, sich mit dem Einen unvermischten Ursprung zu verbinden. Daher also immer die Ausschließung von Uneindeutigkeit/Zweideutigkeit, von Vielheit, von Widerspruch: "denn der Widerspruch wäre die Vermittlung, daß die Trennung zwischen dem Verschiedenen offenbar werden ließe, daß unterdrückt werden muß, jeweils, das Vermittelnde als das ausgeschlossene Dritte" (69). Was ausgeschlossen werden soll, ist "das Leben, das gemischt ist aus Leben und Tod" (60), und das verweist auf das Weibliche, das hierdurch wesentlich charakterisiert wird, welches ausgeschlossen werden muß, um die Trennung zu leugnen, um eine Identität zu beschwören/zu konstituieren, die geschützt ist durch die Ableitung aus und die Vereinigung mit dem (enntischten) einen Ursprung.
Hélène Cixous nennt die Frage nach dem Ursprung eine männliche Frage, die das weibliche Unbewußte nicht heimsucht.[5]
In der Tat ist die Genealogie über eine endlose Kette von Vätern und Söhnen sicherlich keine weibliche Genealogie, und es bleibt schon die Frage, wie sich das Weibliche in eine solche genealogische Kette einschreiben solle. Ich will die Frage einer eigenen weiblichen Genealogie hier nicht anschneiden - das wird sicher noch heftig diskutiert werden, wenn die beiden letzten Bücher von Luce Irigaray auf deutsch erschienen sind oder im Zusammenhang mit der "affidamento"-Theorie der Mailänderinnen, bei denen wir vor einer vielleicht ebenso endlosen Kette von Schuld und Dankbarkeit zwischen Müttern und Töchtern lesen. Was in meinem Gedankengang wichtig ist, ist der Aspekt, daß das, was in dieser Väter-Söhne-Kette ausgeschlossen ist, eben der weiblichen Körper ist und die weibliche Sexualität.
Ich komme damit zu dem zweiten Beispiel, das ich angekündigt habe. Es geht mir hierbei nicht, wie bei der Orestie, um das Ausschließen des Weiblichen und die Setzung einer Logik, die diese Ausschließung immer wieder neu vollzieht, sondern darum, zu sehen, wie (gewissermaßen in der Folge der vorher beschriebenen Aktion) der weibliche Körper damit um die Sprache gebracht wird, bzw.: wie mit dem Fehlen einer entsprechenden Repräsentation des Weiblichen in der symbolischen Ordnung (in der es nur repräsentiert ist als Negativ, als Abgeleitetes, oder als etwas, das zerstört und überwunden werden muß) auch der Bezug auf sich selbst, die Entstehung eigener "selbst-repräsentativer" Körper-Bilder verhindert/behindert wird, die das weibliche Imaginäre vom alleinigen Bestimmtsein durch die Beschränkungen des herrschenden Diskurses freisetzen könnten.
Daß das Weibliche üblicherweise als das Andere des Mannes konstituiert wird, als Gegenbild oder Negation, brauche ich hier nicht weiter auszuführen. Für den Körper heißt das, daß entsprechend zum männlichen Körper, der "Etwas hat", der weibliche gekennzeichnet wird als der Körper, der eben "nichts" hat, wobei dieses Nichts eigentlich heißt, wie Irgaray das formuliert: "das Nichts einer Penis-Form", "Nichts vom Selben wie der Mann. Also nichts von einem Geschlecht, das sich in einer zur Begründung der Realität und zur Reproduktion der Wahrheit tauglichen Form zeigt. Nichts sehen ist gleichwertig mit nichts haben. Der Pakt, der die Vorherrschaft des Blicks einem Geschlecht zuschreibt, überläßt die Frau also ihrem Nicht-Geschlecht ..."[6] - so daß es, was ja jetzt klar geworden ist, bei dieser Konstruktion eben nur ein Geschlecht gibt, ein Haben oder Nicht-Haben, d. h.: Geschlecht(lich) sein oder es nicht sein. D. h., die sexuelle Differenz oder der Mangel und die Kränkung/Beschränkung, eben nur einem Geschlecht anzugehören und nicht (auch noch) dem anderen, wie sie eigentlich Realität sind, verschwinden vollständig durch diesen Trick, der das eine Geschlecht als das andere des Einen konstituiert.
Nehmen wir jetzt ein kleines Mädchen von zwei oder drei Jahren, die beginnt, ihren Körper und dessen Sexualität zu erforschen.[7] Die Erforschung ihrer Körperoberfläche und ihres Geschlechts vermittelt ihr nicht die Vorstellung einer festen Form, sondern von Weichheit, Feuchte, Unsichtbarkeit. "Sie merken, daß sie in ihrem Innern etwas haben, aber die wogenden Sensationen, die aus dem ungreifbaren Innern kommen und gehen, erlauben nicht, daraus das Vorstellungsbild eines inneren Organs abzuleiten" (Judith Kestenberg). Also Uneindeutigkeit, oder, wie es bei Irigaray heißt, die unendliche Bewegung von Berühren und Auseinanderfallen, und Unsichtbarkeit.
Ein kleines Mädchen erfährt vom erotischen Körpergefühle auf eine ganz andere Weise als ein kleiner Junge: sie sieht nicht, wo ihre Gefühle lokalisiert sind, weil die den gesamten Unterleib erfassen, ihr Körperinneres, und sie bewegt dementsprechend ihren ganzen Körper, um diese Gefühle zu spüren, also: rollt, reibt und drückt ihren Leib, während ein kleiner Junge eine begrenzte Form (optisch und körperlich) wahrnimmt und entsprechend manipuliert.
Dieses kleine Mädchen wird nun unentwegt und auf vielfältige Weise teils explizit, teils sehr subtil damit konfrontiert, daß ihr Genitale bzw. ihr Geschlecht sich durch ein Nicht-Sein auszeichnet, durch das Nicht-Sein/Nicht-Haben eines anderen bezeichnet wird (übrigens eine beliebte Probe aufs Exempel unter Frauen: die meisten Mütter jedenfalls von Frauen meiner Generation hatten überhaupt kein Wort für das weibliche Genitale. Da hieß es: wasch dich auch zwischen den Beinen). Worin kann sie sich also spiegeln, wie könnte sie - wenn sie überhaupt noch den Versuch macht - diese Körper-Sensationen, die ja doch nur Ausdruck eines "Nichts" sein sollen, symbolisieren? Ohne einen Spiegel, in den hinein sie sich entwerfen könnte, fällt das Mädchen aus der Sprache heraus, in der sie keinen Ort hat, in der es sie nicht gibt (und insofern ist Lacans vielgeschmähtes 'La femme n'existe pas' gar nicht so falsch). Sie braucht die Sprache, um sich verständlich zu machen und einzutreten in den allgemeinen Diskurs, aber in dem, wie sie in der Sprache und in diesem Diskurs vorkommt, geht ihr ein Teil verloren, eben der, der vom (phallischen) Diskurs nicht erfaßt wird. Es ist auch sicherlich kein Zufall (oder zumindest auffallend), daß die Spielsachen für Kinder dieser Altersstufe ganz überwiegend der Einübung der Ordnung und der Logik dienen: also Domino, Puzzle etc., in denen ein eindeutig definiertes Teil einem dafür bestimmten Platz zugeordnet werden muß und an jedem anderen eben falsch und unpassend ist. Jede Uneindeutigkeit und Abweichung verhindert, daß das Spiel aufgeht und zu seinem vorgezeichneten Ende oder Ergebnis führt.
Es kommen hier noch zwei wesentliche Aspekte dazu. Zum einen richtet das kleine Mädchen zunächst, wie auch der Junge, ihr Begehren auf die Mutter, in deren Körperinneren sie den Phallus (der die Aufhebung allen Mangels verspricht) vermutet sei es aufgefressen oder sonstwie verborgen. Auch die Puppen sind zuerst phallische Fetisch-Puppen, und alles, was in den Körper hinein- und aus ihm herauskommt, muß unter diesem Zeichen gesehen werden. So auch die vielen bildreichen und teilweise dramatischen Inszenierungen kleiner Mädchen, die um Essen/Verschlucken/Verschlungen-Werden bzw. Ausscheiden/Festhalten kreisen, teils als direkte körperliche hysterische Inszenierung, mit Angst und Lust besetzt, oder auch als wiederkehrender Spielinhalt (das erklärt z. B., warum "Der Wolf und die 7 Geißlein" und "Rotkäppchen" so besetzte und wichtige Märchen sind, in denen es ja genau um das Verschlucken und Hervorbringen und um die imaginare Ausstattung des Körperinneren geht).
Der zweite Aspekt betrifft das Körperinnere in seinem Bezug zur Sprache. Auf der Ebene der Realität gibt es wohl kaum etwas, wovon weniger geprochen wird als vom weiblichen Körperinneren. Die Scham sämtlicher betreuender Frauen, für die ihr Körper und ihre Sexualität ungleich stärker tabuisiert sind als für Männer, ist schon das erste gravierende Hindernis. Der Anblick des kleinen Mädchens, das onaniert, wird als unmittelbare körperliche Assoziation von den Frauen gespürt und sofort abgewehrt, noch bevor die Assoziation überhaupt gedacht werden kann (das Mädchen wird abgelenkt etc.). Auf der logischen Ebene ist es etwa so: Um ins Symbolische zu gelangen, muß vom Körper gesprochen werden. Nicht einmal als konkrete Rede über den konkreten Körper, sondern indem die Bilder und Imaginationen in das Sprechen beim Spiel gelangen. Das, wovon gesprochen wird, wird aber (dadurch, daß es gesprochen wird) durch die Sprache phallisch strukturiert. Es muß also zwar über den Körper und seine Symbolisierungen gesprochen werden (um den Mädchen zu verhelfen, ins Symbolische zu gelangen), und es muß gleichzeitig nicht gesprochen werden, muß dem, was nicht gesprochen werden kann und will, ein so großer Wert beigemessen werden, daß ein Wissen darüber entstehen kann, daß dies der Ort des (nicht-phallischen) Genießens ist und der Ort der Verbindung unter Frauen.
Hier liegt also ein sicherlich zentraler Punkt: in der Möglichkeit, den herrschenden Diskurs zu zerrütten und zu zernagen, und zwar aus dem Wunsch, den eigenen Körper als weiblichen Körper sichtbar werden zu lassen und sich selbst als explizit weiblich (also nicht: nicht-männlich) anders als kastriert und zerstört wahrnehmen und spüren zu können. Also nicht als die "Frau ohne", aber innerhalb der Logik, sondern gewissermaßen die Frau nicht ganz in der Sprache, oder nur in deren Brüchen, dem Versprechen, den Abweichungen und den Affitationen zu spüren. Es war also nicht ganz korrekt bzw. vollständig, zu sagen. das Weibliche sei in dem herrschenden Diskurs enthalten als Zerstörtes, denn zugleich ist es ja enthalten mit diesem Begehren, dieser Dynamik, eben den(selben) Diskurs zu verunsichern, zu entkräften, indem es ihn sexuiert und damit kenntlich macht. Von daher wird auch noch einmal klar, daß und warum es der stete Inhalt des Diskurses ist, das Weibliche (als Metapher) zu überwinden.
Das schließt nun bereits ein, daß es nicht darum gehen kann, jetzt eine Theorie oder einen Begriff des Weiblichen neu und irgendwie anders zu definieren. Erstens würde jeder solche Entwurf doch immer nur auf das Eine hinweisen können, von dem er (ob als Negation, Opposition oder sonstwie) abgeleitet ist, und erweist sich doch jeder Ort, an dem das Weibliche sich einzuschreiben versucht, als schon besetzt vom männlichen Entwurf.
Und zweitens würde eine Sprache, die der Morphologie des weiblichen Körpers folgen will, sowieso nicht nach Eindeutigkeit und Abgegrenztheit als obersten Orientierungen streben. Für Irigaray z. B., oder auch für Cixous, ist es gerade das Berühren, das Unabgeschlossene, das Flüssige etc., was die Eigenschaften oder den Ort des Weiblichen kennzeichnet, eine "andere Ökonomie, die von der Linearität eines Vorhabens abbiegt, die das Ziel-Objekt eines Wunsches unterminiert, die die Polarisierung auf ein einziges Lustempfinden explodieren läßt, die die Treue zu einem einzigen Diskurs verwirft."[8]
Es würde also vielleicht eher darum gehen, in ein "ästhetisches Spiel" mit der Weiblichkeit einzutreten, das verschiebt, verdichtet, wiederholt und nichts an seinem Platz läßt und dabei eine Auflösung der Ontologisierung von Weiblichkeit betreibt. Ein Handeln, das in der Lage wäre, das Verdrängte, Negative zum Sprechen zu bringen. "Frauen, das sind vor allen diejenigen, die die Differenz markieren, als das Dazwischen des Begehrens nach Ausdehnung und seiner ständig stattfindenden Beschränkung."[9]
"Es wird sich darum handeln, Denkweisen und Praktiken zu erfinden, die so etwas wie das Heterogene, das Negative zulassen, ohne es, fasziniert vom noch nicht Bestimmbaren, in Metaphem zu ersäufen, die davon etwas Diffusität über die Leere und eine Pfütze der Flüssigkeit übrig lassen."[10] Es wird darum gehen, an der Sprache zu arbeiten, an den Bildern der Sprache, daran, herauszufinden, wo und wie das Weibliche daraus verschwindet, und zu verstehen, was hinter dem Gesprochenen mitgesprochen wird: wer spricht zu wem in wessen Namen? Die Frauenschule ist ein öffentlicher Ort, und es ist durchaus nicht unser Anliegen, diesen Ort zu einer Insel zu machen, wo sich ein anderes weibliches Symbolisches konstituieren könnte (abgesehen davon, daß ein solches Unterfangen ja, wie beschrieben, sowieso scheitern müßte). Das Weibliche als Eigenständiges gedacht das kann erst entstehen aus der Reibung, indem es versucht, sich zu sprechen, indem es den herrschenden Diskurs mit sich konfrontiert. Das heißt für ein Frauenprojekt als Ganzes entsprechend, daß es darum geht, die Institutionen der Gesellschaft mit sich zu konfrontieren, sie zu irritieren, sich aus dieser Konfrontation und Irritation selber zu konstituieren und gleichzeitig bei alledem doch auf Anerkennung in eben dem herrschenden Diskurs angewiesen zu sein.
Die Frauenschule funktioniert also einerseits in einer in gewissem Sinne auch traditionellen Weise, sofern sie im dominanten System/Diskurs sich bewegt (ihm verhaftet und Bestandteil davon ist), und sie torpediert dieses (ihr eigenes) Funktionieren beständig, sofern sie Frauenprojekt ist - in doppelter Weise: weil nur Frauen dort arbeiten und weil es der Inhalt ihrer Arbeit ist, die Artikulation (aber nicht: den "Platz"!) des Weiblichen in der Kultur zu denken und zu sprechen, ganz gegen jenen Diskurs (der sich heftig dagegen sperrt) und auch ohne dabei ihm oder seinen Regeln (auch wenn sie in der Umkehrung auftreten) wieder zu verfallen.
In dieser Spannung zweier gegeneinander arbeitender Strebungen befinden sich alle Frauenprojekte. Und je unsicherer ihre Existenz ist (gemessen auch an ihren Wünschen nach der Art ihrer existenziellen Absicherung, also z. B. durch öffentliche Förderung oder nicht), und je mehr diese Existenz an die Anerkennung durch das dominante System gebunden ist, desto stärker wird die Herrschaft des Diskurses sein bzw. desto weniger angefochten.
Das klingt alles nicht gerade wie eine verlockende Proklamation, sondern eher ein bißchen beunruhigend. Die Situation hat durchaus zwei Seiten - die Seite des intellektuellen Abenteuers, auch der Befreiung angesichts der Aussicht, eben doch nicht aufzugehen in dem Eingebunden-Sein, der Einordnung in den dominanten Diskurs und entsprechend in den Entwürfen, die dieser Diskurs bereithält - und auch die der Beunruhigung und des Erschreckens darüber, daß mit der Repression, die diese Einordnung bedeutet, doch auch die Sicherheit, die sie verspricht (das Sich-Auskennen), verschwindet, daß alle Wahrheiten unter den Fingern zerrinnen und, um wieder einmal zu einem Begriff von Irigaray zurückzukehren, sich verflüssigen. Für Projekte wie die Frauenschule ist in diesem Zusammenhang der Aspekt der Gleichgeschlechtlichkeit in der Arbeit sehr wichtig, entbindet doch die Abwesenheit des männlichen Blicks und die mögliche Spiegelung in der anderen das Imaginäre eher und schafft Raum und Perspektive für die Frage, was eigentlich heute der Sinngehalt/die Angelegenheit eines feministischen Projekts überhaupt sein kann/soll - worum kann oder soll es für ein solches Projekt heute gehen? Um welche Fragen? Oder um Antworten? Um welche Antworten (gibt es überhaupt Antworten)? Um welche Wahrheit, welche Vernunft, welchen Sinn?
Für Luisa Muraro bzw. die Mailänderinnen ist die Antwort die Politik des affidamento, und sie halten autonome Frauenräume für obsolet und sogar hinderlich für eine Politik der sexuellen Differenz.
Ich bin mir da nicht so sicher, und wir in der Frauenschule gehen doch davon aus, daß das Denken unter Frauen, in einer Gruppe, in der die Frauen sich spiegeln können, ein anderes Denken ist oder sein könnte und das Handeln ein anderes Handeln werden könnte. Die Frage, wie dieses Denken und Handeln in eine wechselseitige Beziehung gerät mit jenem "herrschenden Diskurs", in der Auseinandersetzung und Reibung mit der umgebenden Realität auch auf diese einwirkt, das müßte die entscheidende Frage und das "Anliegen" feministischer Projekte sein. Denn von einem wechselseitigen Sich-Aussetzen kann ja beileibe nicht die Rede sein, und gegen die oder außerhalb der eigenen Sprache zu sprechen oder zu denken, erfordert, wollten wir nicht allzubald tatsächlich verrückt werden, ein sehr großes Maß an Sicherheit und Stütze - und dieses kann wiederum nur aus der Gruppe selbst, aus den Projekten und einer gemeinsamen Arbeit unter Frauen  erwachsen.

Autor(en)