Frauen, die malen, drücken sich vor der Arbeit

Geschlechtliche Arbeitsteilung und ästhetische
Produktivität von Frauen

Im Kunstunterricht werden unter anderem die unterschiedlichen ästhetischen Bedürfnisse und Ausdrucksweisen von Mädchen und Jungen faßbar. Sie sind in einem Prozeß kultureller Sozialisation erworben. Gesellschaftliche Vorstellungen über geschlechtliche Arbeitsteilung und die den Geschlechtern zugewiesene Rolle von Kreativität und künstlerischer Produktivität sind für diesen Prozeß konstitutiv.

In meinem Beitrag untersuche ich im ersten Teil einige derzeit präsente Vorstellungen über geschlechtliche Arbeitsteilung und die unterschiedlichen schöpferischen Fähigkeiten von Mädchen und Jungen bzw. Künstlerinnen und Künstlern. Die dabei zutagetretenden Denkmuster sind die Voraussetzung der weitgehenden Ausgrenzung des künstlerischen Schaffens von Frauen in Vergangenheit und Gegenwart. Und diese Ausgrenzung stabilisiert immer wieder neu die herrschenden Vorstellungen geschlechtlicher Arbeitsteilung im ästhetischen Feld.

Im zweiten Teil stelle ich einige Strategien vor, mit denen Künstlerinnen seit Beginn der 70er Jahre auf diese Ausgrenzung und auf die ihr zugrunde liegenden patriarchalen Denkmuster reagiert haben. Dabei lassen sich Unterschiede aufzeigen zwischen der Herangehensweise und den Arbeiten von Künstlerinnen zu Beginn der neuen Frauenbewegung und denen seit ca. 1980.

I Ausgrenzungsmuster

Es gibt dabei wohl kaum eine Ausstellung moderner Kunst des 20. Jahrhunderts, in der nicht auch vereinzelt Arbeiten von Künstlerinnen zu finden sind. Die geringe Anzahl der Werke jedoch sowie die Beliebigkeit der in den Ausstellungen und Sanunlungen vertretenen Künstlerinnen erhöhen die Dignität der von Männern geschaffenen Kunstwerke und bekräftigen immer wieder: Künstler sind eigentlich männlich. In den letzten Jahren sind mehrfach Zahlen erhoben worden über die Beteiligung von Künstlerinnen an Ausstellungen und über ihre Präsenz in öffentlichen Sammlungen (Zentrum für Kulturforschung Bonn 1987; Das Verborgene Museum 1987; Below 1988; Arbeitsgruppe Kunst 1990). Danach gilt noch immer

  • "daß seit 1971 Künstlerinnen im Ausstellungsmarkt kaum zugelegt haben, daß also ihr Anteil bei etwa einem Fünftel aller Ausstellungsteilnehmer liegt."
  • "daß bei "repräsentativen" Großausstellungen ... der Anteil der Künstlerinnen wesentlich niedrig, bei einer Auswahl von entsprechenden Projekten 1985/86 z.B. unter der "Schmerzgrenze" von 10%, gelegentlich auch noch unter 5% liegt" (Zentrum für Kulturforschung, Zusammenfassung der Ergebnisse 1987, S. 9. Weitere Angaben bis 1989 in: Arbeitsgruppe Kunst 1990, S. 95)

Als nur halbwegs aufmerksame Ausstellungsbeobachterin kann man diese Feststellungen ergänzen: auf lokaler und regionaler Ebene findet man relativ viele Ausstellungen von Künstlerinnen, und zwar immer wieder von neuen, deren Namen man noch nie gehört hat, so daß selbst manche Feministinnen etwas ermüdet fragen: "Was nützen uns unendliche Kolonnen wiederentdeckter Künstlerinnen, wenn wir mit ihnen nichts anderes anzufangen wissen, als sie dem arrivierten Geniekult anheimzugeben?" (Werner 1988, S. 77). Bei den großen überregionalen Ausstellungen fehlen die Künstlerinnen dagegen weitgehend.
Bei der Präsenz von Künstlerinnen in öffentlichen Sammlungen zeigt sich ähnliches: "Je höher das Prestige einer Sammlung, desto weniger Künstlerinnen" - so das Ergebnis bei den Recherchen der Arbeitsgruppe "Verborgenes Museum", die in allen Berliner Sammlungen die Arbeiten von Künstlerinnen heraussuchte und eine Auswahl in der vielbesuchten, in Berlin und Oberhausen gezeigten Ausstellung 1987/88 präsentierte.
An diesem Zustand haben offenbar auch die seit dem Entstehen der neuen Frauenbewegung durchgeführten großen Ausstellungen von Arbeiten von Künstlerinnen wie z. B.

  • Woman Artist 1550-1950, Los Angeles 1976
  • Künstlerinnen International, Berlin 1977
  • L'altra metà dell 'avanguardia, Mailand 1980
  • Kunst mit Eigensinn, Wien 1985
  • Das Verborgene Museum, Berlin 1987

bisher nichts ändern können. Dies zeigt nicht nur die unveränderte Praxis bei den großen Ausstellungen zeitgenössischer Kunst, sondern auch die Reaktion in den Medien (vgl. Arbeitsgruppe Kunst 1990, S. 92-97). Die vom Bundesminister für Bildung und Wissenschaft in Auftrag gegebene und 1990 im Rahmen der Ausstellung "Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts" in Wiesbaden der Öffentlichkeit vorgestellte Studie zur Situation von Künstlerinnen, Filmemacherinnen und Designerinnen weist diese eklatante Unterrepräsentation von Frauen in allen Bereichen der Kunstförderung und Kunstvermittlung noch einmal eindrucksvoll nach (vgl. den Beitrag von Renate Petzinger in diesem Band). Bisher haben solche statistischen Erhebungen und der Nachweis, daß es im 20. Jahrhundert zahlreiche bedeutende Künstlerinnen mit einem beeindruckenden und sehenswerten Oeuvre gab und gibt, allerdings wenig in Bewegung gebracht.

Tiefsitzende patriarchale Urteile über die unterschiedlichen Fähigkeiten von Frau und Mann verhindern offenbar, daß den Arbeiten von Frauen mehr Platz zugebilligt wird. Beispiele für solche Urteile sind auch in den in der BRD angesehenen Blättern - zumindest was das Feuilleton betrifft - immer wieder zu finden; eines möchte ich hier noch einmal stellvertretend zitieren:

In einem Artikel über das neu eröffnete Frauenmuseum in Washington vom 09.06.1987 in der überregionalen Tageszeitung, hinter der immer ein kluger Kopf steckt, polemisiert Jörg von Uthmann zunächst gegen Sondermuseen insgesamt, "wo es auf künstlerische Qualität erst in zweiter Linie ankommt" und fährt dann fort:

  • »Und dann - wer weiß? - gibt es ja vielleicht auch unveränderbare biologische Gesetze. Wäre es nicht denkbar, daß Mutter Natur den Mann als Ausgleich für die ihm versagte Mutterschaft mit einem Plus an schöpferischer Begabung entschädigte? Auch unter den Vögeln sind es im allgemeinen die männlichen, die singen.«

Vermutlich würden nahezu alle Leiter und Leiterinnen bundesrepublikanischer Sanmmlungen der Kunst des 20. Jahrhunderts dem Schreiber dieser Zeilen insofern zustimmen, als in ihren Museen im Unterschied zu solchen Spezialmuseen ausschließlich nach dem Kriterium "Qualität" angekauft werde und wurde - sieht man von den "Verirrungen" der Nazizeit ab, die in den Kunstmuseen aber nicht dokumentiert sind. Der geringe Frauenanteil läßt sich so die gängige Auffassung - also nur durch die mindere Qualität erklären. Die wenigen Arbeiten von "Ausnahmefrauen" bestätigen immer wieder gerade durch ihr spärliches Auftreten, daß der im eigentlichen Sinne künstlerisch tätige Mensch in der Regel ein männlicher Mensch ist.

Die erstaunliche Zählebigkeit der Vorstellung von der geringeren künstlerischen Potenz der Frauen hat ihre Wurzeln in patriarchalen Denk- und Deutungsmustem der Geschlechterdifferenz, zu denen als besonders wichtiges und wirksames die Vorstellung von einer naturgegebenen Arbeitsteilung der Geschlechter gehört. Frauen, die gegen die naturgegebene Arbeitsteilung verstoßen, müssen dafür teuer bezahlen.

Mit zwei Beispielen möchte ich diese These erläutern:

  • eines ist schon älter, allerdings durch die bundesweite Fernsehausstrahlung 1985 wieder in Erinnerung gebracht worden; es kann veranschaulichen, daß wir als Kinder schon früh mit solchen Denkmustem in Berührung kommen;
  • das zweite ist recht aktuell und besonders dadurch interessant, daß es vorgibt, für eine stärkere Beachtung von Künstlerinnen einzutreten.

Vermutlich kennen einige von Ihnen den 3-bändigen Jugendbuchbestseller, die zuerst 1918-1920 erschienenen "Höhlenkinder" von A. Th. Sonnleitner. Das inzwischen in der 60. Auflage im 360.-379. Tausend erschienene und für's ZDF 1985 verfilmte Buch hat mich schon als Kind fasziniert und ebenso meine beiden Söhne, als sie 10 bzw. 12 Jahre alt waren. Das Schicksal der beiden Kinder, der 10jährigen Eva und des 12jährigen Peter, bewegt nicht nur, weil es hier Kindern gelingt, ohne Hilfe von Erwachsenen in der Einsamkeit zu überleben und nach und nach alles Lebenswichtige neu zu erfinden, sondern auch, weil die kindlichen Leser und Leserinnen Geschichte als evolutionären Prozeß erleben, den sie auch hätten meistern können. Erst heute merke ich, daß Evolution hier auch zunehmende Ausdifferenzierung der Geschlechterrollen und -beziehungen bedeutet. Peter ist der Jäger, der Forscher und Tüftler, der Ernährer, auch der Wilde - und derjenige, der sagt, was zu tun ist; Eva die Empfindsame, Häusliche, Gesittete, auch die Kränkliche, sie schmückt sich gern mit allerlei bunten Federn und tut, zumindest am Anfang, was Peter sagt. Obwohl beide ähnlich erfindungsreich sind, finden und erfinden sie jedoch jeweils das, was zu ihrer Geschlechterrolle paßt, Eva z. B. einen Föhrenwedel, der gut als Besen zu gebrauchen ist. Peter ist nicht nur der Wilde und der Forscher, sondern auch der Künstler, er hat das Bedürfnis, "Geschehnisse festzuhalten" auf "Merksteinen." "Unter dem kritzelnden Griffel erschienen nur äußerst vereinfachte Abbilder der Gestalten, die Peter in seiner Seele schaute" (Sonnleitner 1985, S. 37).

Eva wird schnell seine "Muse", denn sie wünscht sich die Verehrung der Ahnen nicht nur an deren Gräbern, sondern vor Bildwerken: "Oft hatte sie sich dabei ertappt, daß es ihr schwer fiel, sich im wachen Zustand das Aussehen der lieben Ahne deutlich vorzustellen, und dies gerade in Augenblicken, wo sie sich nach ihr sehnte. Jetzt ... kam es ihr ganz leicht vor, die Gestalt der Ahnen aus Lehm zu kneten und dann als "Bildstöckl" im Feuer zu härten. Freilich, sich selbst traute sie eine solche Leistung nicht zu. Aber Peter, der schon auf Bildsteinen allerlei Gesehenes festgehalten hatte, mußte das zustande bringen" (S. 92).
Und Peter führt die Gestalten auch aus: "Besonders, wenn er nach längerem Tagesschlaf die Nacht schlummerlos zubrachte, arbeitete seine Einbildungskraft an der künstlerischen Aufgabe, wobei er seine Geschicklichkeit weit überschätzte ..." (S.97).

Diese durch den letzten Halbsatz nicht ganz unkritisch gesehene Rollenaufteilung ist umso bezeichnender, als Eva für alle angewandte Kunst zuständig ist: so z.B. für die Muster auf den gewebten Stoffen, auf den irdenen Geschirren usw. Diese Tätigkeiten Evas und Peters Künstlertum erscheinen als natürliche Folge der Geschlechterdifferenz, ebenso natürlich gegeben wie die mütterlichen Gefühle, die Eva gegenüber Tierjungen empfindet, denen Peters Jagdinstinkt entgegensteht.

Sonnleitners Charakterisierung der geschlechtlichen Arbeitsteilung als naturgegeben und die Feststellung bestimmter Tätigkeiten als Attribute des weiblichen bzw. männlichen Geschlechts stehen in einer langen Tradition und leben bis heute in Schulbüchern und Lexika fort (Duden, Hausen 1979, S. 14 ff.). Die Bilder vom Mann, der hinauszieht ins feindliche Leben, sich schöpferisch die Natur aneignet und potentiell auch Kunst produziert und die von der sorgenden Hausfrau, die drinnen bleibt und durch ihre eher reproduktive Kunstfertigkeit das Heim wohnlich macht, prägen vermittelt über alte und neue Mythen und durch diese strukturierte Erfahrungen seit Penelope und Odysseus bis hin zum Angebot und Besuch der einschlägigen Volkshochschulkurse in der Freizeit - unsere Vorstellungswelt. Die Aktualität dieser Mythen erschwert, daß von diesen Bildern abweichende Erfahrungen in anderen Epochen und Kulturen zugänglich gemacht und wahrgenommen werden.

In meinem zweiten, aktuelleren Beispiel werden solche Denk- und Deutungsmuster geschlechtlicher Arbeitsteilung speziell unter dem Gesichtspunkt der künstlerischen Produktivität von Frauen und der Folgen, die eine Entscheidung für die Kunst für ein Frauenleben hat, ausdifferenziert. Es handelt sich um den Film von Bruno Nuytten "Camille Claudel", der nach triumphalem Erfolg in Frankreich seit Mai 1989 in der BRD und West-Berlin zu sehen war und auf der Berlinale mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet wurde. "Diese Geschichte einer destruktiven Liebe und eines Versuchs künstlerischer Frauenemanzipation" (DER SPIEGEL), die auf dem viel gelesenen Roman "Der Kuß" von Anne Delbée (deutsche Taschenbuchausgabe 1988) basiert, führt im historischen Gewand eine modernisierte Fassung tradierter Muster über die Unterschiedlichkeit des künstlerischen Schaffens von Frauen und Männern vor Augen. Der Erfolg des Buchs und insbesondere des Films hat weitere Aktivitäten zur Erschließung des Werks wie die Hamburger Claudel-Ausstellung 1990 im Rahmen des Festivals der Frauen mit dem zugehörigen sorgfältigen Katalog (Claudel 1990) möglich gemacht und zeigt, daß die Frage nach der Realisierung weiblicher Kreativität heute offenbar für weite Kreise ein zugkräftiges Thema geworden ist. Es lohnt sich, solche populärwissenschaftliche Trivialkunst, die sich an die Massen wendet und massenhaft rezipiert wird, genauer anzusehen; denn hier finden sich gängige - uns häufig unbewußte - Vorstellungen aktiviert. Interessant ist dabei, daß im Falle des Films über Camille Claudel Frauen maßgeblich an dessen Zustandekommen mitgewirkt haben; anzunehmen ist, daß sie diese Denkmuster mittragen und auch verbreiten wollen - dies gilt insbesondere für die Romanautorin A. Delbée, deren Recherchen überhaupt eine erneute Beschäftigung mit C. Claudel zu danken ist, aber ebenso für Isabelle Adjani, die sich nicht nur als Hauptdarstellerin, sondern auch finanziell stark für das Projekt engagierte.

Da ich annehme, daß viele den Film gesehen haben und mit den dort vorgeführten Mustern vertraut sind, kann ich mich kurz fassen:

1. Muster:

Beim Künstler ist eine lange qualifizierte Ausbildung nötig, der Künstlerin ist die Fähigkeit zu künstlerischer Produktivität angeboren, naturgegeben - sie muß nichts lernen, kann wohl auch gar nichts lernen, der Schaffenstrieb steckt als ein Stück Natur in ihr und will sich ausleben. Dementsprechend reagiert Rodin (im Film) bei der ersten Begegnung mit Camille Claudel; er weigert sich, ihr Unterricht zu geben und nimmt sie statt dessen gleich unter seine Angestellten auf. Camille Claudel kann den zerbrechlichsten Marmor polieren, ohne dies je gelernt zu haben, sie schafft all das aus sich heraus, wozu der Mann lange Studien, Reisen, Ausbildung und - im Falle Rodins - die Begegnung mit den Werken Michelangelos brauchte.
Um dieses Muster zu explizieren, wird eine bildhauerische Ausbildung Camille Claudels im Film nur einmal beiläufig erwähnt (tatsächlich machte sie eine insgesamt viejährige Ausbildung: seit 1881 in der Akademie Colarossi, seit 1882 bei Boucher, von 1883-1885 bei Rodin - vgl. Riviere 1983, S. 11; Flagmeier 1988, S. 38; Claudel 1990, S. 53).

Für eine Frau erscheint - zumindest wenn sie wirklich begabt ist - eine künstlerische Ausbildung eher unnütz und überflüssig. Sie kann das, was sie kann, von Natur aus. Der Film tradiert damit eine in der Kunstgeschichte seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts von Guhl explizit formulierte und bis heute in Künstlerinnenmonographien wirksame Sicht durch die "das Problem der mangelhaften Ausbildungsmöglichkeiten für Künstlerinnen bequem" umgangen werden konnte (Nobs-Greter 1984, S. 63).

2. Muster:

Der männliche Künstler schafft seine Werke in einer langen Tradition, die ihm Orientierung bietet (Michelangelo), er arbeitet in und für die Öffentlichkeit an großen Aufträgen; die Künstlerin dagegen schafft ganz aus sich heraus und nur für sich. Alle ihre Werke sind autobiographisch zu verstehen, sind Ausdruck privater Erfahrungen, nicht aber Auseinandersetzungen mit aktuellen, öffentlichen, künstlerischen Aufgaben und Diskussionen.
Dies gilt im Film nicht nur für die Thematik von C. Claudels Arbeiten (das reife Alter zeige angeblich den Konflikt zwischen Rose Beuret und ihr um Rodin, die kleine Onyxfigurengruppe sei inspiriert durch die tuschelnden bösen Nachbarinnen etc.), sondern auch für die Wahl der Materialien - sie wählte angeblich kostbare Steine wie Onyx, weil ihr Bruder Paul ihr diesen geschenkt habe. Auch durch dieses Muster wird die Künstlerin aus der Kunstgeschichte ausgeschlossen, sie ist ein immer wieder neu sich ereignendes Naturwunder; dies ist ein Topos, der schon bei den wenigen Künstlerinnen auftaucht, die Vasari in seinen Lebensbeschreibungen berücksichtigt. Schwierigkeiten und Behinderungen in der künstlerischen Tätigkeit werden durch dieses Muster verdeckt.

3. Muster:

Im Film ist der Künstler Teil einer männlichen Künstlerschaft und wird von einem riesigen Publikum wahrgenommen. Die Künstlerin ist dagegen eine absolute Ausnahmefrau. Sie wird im wesentlichen von Männern gestützt, gefördert und geschätzt; letztendlich ist sie allein. Die ebenfalls künstlerisch tätige beste Freundin, die am Anfang wichtig scheint, verschwindet rasch im Hafen der Ehe; Mutter und Schwester, die Nebenbuhlerin, die Nachbarin - alle Frauen sind mehr oder weniger bösartig und falsch, die Männer dagegen unterstützend; sie verstehen etwas von der Kunst - vom Vater angefangen über den bewundernden Bruder und Rodin bis hin zum Galeristen Eugene Blot und dem Arzt, der doch an der Einweisung in die Irrenanstalt beteiligt ist.

4. Muster:

Beim männlichen Künstler führt die Liebe zu einer schönen Frau zu einem gewaltigen Schaffensschub, denn sie wird ihm Muse und Modell zugleich (so kommt im Film Rodin durch Claudel aus seiner "midlife"-Krise heraus und schafft mit ihr als Modell ganz neuartige Werke, dies wird im Film durch die Arbeit an der Skulptur der Danaide beglaubigt). Bei der Künstlerin dagegen heißt es offenbar: entweder erfüllte Liebe zu einem Mann oder Kunst. Der Film suggeriert, daß Camille Claudel während ihres Zusammenlebens mit Rodin nicht künstlerisch gearbeitet habe und immer nur zu Zeiten seiner Abwesenheit wieder an die Arbeit ging - so sei das Porträt Rodins aus der Erinnerung in einer Zeit der Abwesenheit entstanden. Zum Modell für ihre männlichen Akte nimmt die Künstlerin den Geliebten schon gar nicht!
Der Film suggeriert weiter, daß Camille Claudel erst nach einer Abtreibung des gemeinsamen Kindes und der Trennung von Rodin wieder künstlerisch tätig wird, und der - bittere - Preis für solch außergewöhnliches Verhalten ist dann offenbar, erst produktiv und schließlich verrückt zu werden, obwohl Männer immer wieder den Versuch machen, die Künstlerin aus ihrer Verzweiflung und ihrem Wahn zu befreien.
Das historische Kostüm relativiert scheinbar die Brisanz dieser Denkmuster, insbesondere des letzten, und legt vielleicht den Schluß nahe, daß wir es in fast 100 Jahren Frauenemanzipation doch herrlich weit gebracht haben und um so gerührter das Schicksal unserer historischen Schwester nachvollziehen können. An einer solchen Distanzierung habe ich Zweifel und vermute eher, daß hier Vorstellungen aktualisiert und ins Historische transportiert werden, die heute aktuell sind und die Wahrnehmung und Würdigung von Arbeiten von Künstlerinnen verhindern.
Um so wichtiger ist es, Person und Werk von Künstlerinnen wie Camille Claudel oder der um ein Jahr jüngeren Suzanne Valadon (1865-1938) jenseits solcher Denkmuster in ihrer historischen Bedingtheit und auch Unterschiedlichkeit wahrzunehmen. Die Beschreibung der realen Probleme bei den Versuchen, sich als eigenständige Künstlerinnen eine Existenz zu schaffen und zu behaupten, führen bei kritischen Beobachterinnen von heute rasch zu einer Auflösung der angeführten patriarchalen Mythen über durch das Geschlecht bedingte unterschiedliche künstlerische Produktionsweisen bei Frau und Mann (vgl. für Camille Claudel Flagmeier 1988; Claudel 1990). Dies bedeutet allerdings nicht, daß Leben und Werk künstlerisch tätiger Frauen und Männer sich nicht unterscheiden - doch nun gilt es, anstelle der Mythen den konkreten Umgang mit diesen und die für die Geschlechter jeweils unterschiedlichen Arbeitsbedingungen und deren Auswirkungen differenzierter aufzuarbeiten (vgl. z. B. Parker, Pollock 1987).

II Reaktionen

Seit Beginn der Neuen Frauenbewegung sind Künsterlinnen - häufig in enger Kooperation mit Kunstvermittlerinnen und Kunstwissenschaftlerinnen - zuerst in den USA, dann auch in Europa auf vielfältige Weise gegen ihre Diskriminierung sowie gegen die öffentlich wirksamen Ausgrenzungsmuster, die den Kunstmarkt, die Ausstellungspolitik und die Medien bestimmen, aktiv geworden (Gouma-Peterson, Mathews 1987; Below 1989). Seit Beginn der 70er Jahre durchgeführte Untersuchungen und die Entdeckung von zahlreichen, zuvor weitgehend unbeachteten Künstlerinnen in unterschiedlichen Epochen sowie deren Präsentation in großen Ausstellungen konnten die Historizität von deren Ausbildungs- und Schaffensbedingungen ebenso zeigen wie die ihrer Werke selbst. Damit konnte auch ein besonders wichtiges Denkmuster zur Ausgrenzung ästhetischer Produktionen von Frauen aus der Geschichte der Kunst - die allein der Natur entstammende schöpferische Potenz der Frau - als Mythos aufgedeckt werden.

Gleichwohl führten gerade in dieser ersten Phase Identifikationsbedürfnisse und -wünsche dazu, daß bei den "Vorgängerinnen" die Probleme und Konstellationen gesucht und wiedergefunden wurden, die offenbar bis in die Gegenwart produktive Arbeit und Erfolg immer wieder verhinderten. An die Stelle der herrschenden Ausgrenzungsmuster traten so Erklärungsmuster für Mißerfolg und Scheitern, die überzeitliche Gültigkeit beanspruchten und damit einen differenzierten Blick auf die unterschiedlichen Möglichkeiten von Frauen in den sich wandelnden Geschlechterkonstellationen der verschiedenen Epochen kaum erlaubten. Germaine Greer hat diesen identifikatorischen Blick, der heute schon wieder einer bestimmten, vergangenen Phase der Frauenbewegung angehört, klar formuliert:

  • »Wenn wir die Werke toter Künstlerinnen unvoreingenommen betrachten, dann werden wir auf dem Weg der Analogie eine Menge unserer eigenen Unterdrückung über die Mechanismen (sic! I.B.) lernen. Wir werden all die Anzeichen von Selbstzensur und heuchlerischer Bescheidenheit erkennen, all die Zeichen von Unsicherheit, Mädchenhaftigkeit, Selbstbetrug, von Feindseligkeit gegen unsere Kampfgenossinnen, von emotionaler wie sexueller Abhängigkeit von den Männern, all ihre Schüchternheit, Armseligkeit und Unwissenheit. Diese Züge einer unterdrückten Persönlichkeit müssen geradezu erwartet werden. Umso erstaunlicher und befriedigender, daß so viele Frauen im Laufe der Zeit all diese Feinde überwunden haben, meist in jungen Jahren, bevor Ehe, Geburten und Desillusion ihren Tribut gefordert hatten. Ihre Niederlagen geben uns Auskunft über die Art des Kampfes, ihre Erfolge zeigen uns, daß auch wir dazu in der Lage sind.« (Greer 1980,S. 11).

In solchen Identifikationswünschen und schwesterlichen Gefühlen bei der Rezeption von Leben und Werk von Künstlerinnen früherer Epochen ist wohl eine der Wurzeln für die Unterstützung von Filmen wie "Camille Claudel" durch engagierte Frauen zu finden.

Die Frage nach der geschlechtlichen Arbeitsteilung spielte in Diskussionen um feministische Kunst und weibliche Ästhetik sowie in Ausstellungen mehrfach eine Rolle, selten allerdings wurde sie meines Wissens so explizit formuliert wie in der Berliner Ausstellung "Unbeachtete Produktionsformen" (1982) und dem zugehörigen Diskurs um "weibliche Produktivität" in der Zeitschrift "Ästhetik und Kommunikation" (1982). Vor der Folie allgemeiner Debatten um einen erweiterten Kunstbegriff, wie sie etwa durch Josef Beuys in diesen Jahren verbreitet waren, wurde erörtert und gezeigt, "was die Frauen "anderes" tun und was sie "anderes" tun mußten" (Ästhetik und Kommunikation 1982, S. 4). Damit wurden einerseits bisher unbeachtete schöpferische Tätigkeiten von Frauen sichtbar gemacht, gleichzeitig waren diese Unternehmungen ein Versuch, tradierte Festlegungen und Werte bewußt zu machen und neu zu beurteilen.

Doch nicht nur für solche großen, meist gemeinschaftlich durchgeführten Projekte spielt die Auseinandersetzung mit den verbreiteten Denk- und Deutungsmustern über das künstlerische Schaffen von Frauen eine Rolle, sondern auch für zahlreiche einzelne Werke. Die Reflexion über den eigenen Arbeitsprozeß, über die herrschenden Vorstellungen zu unterschiedlichen Arbeitsbereichen und Fähigkeiten von Frau und Mann und über die realen Behinderungen der künstlerischen Arbeit ist in den letzten zwanzig Jahren immer wieder Thema von Künstlerinnen geworden. Im Folgenden möchte ich einige Beispiele aus einer Fülle von höchst einfallsreichen, vielfältige Erkenntnisprozesse in Gang setzenden Arbeiten vorstellen. Auffallend sind dabei die beträchtlichen Unterschiede zwischen den Arbeiten aus den 70er und aus den 80er Jahren.

In der ersten Phase der Neuen Frauenbewegung thematisieren Künstlerinnen häufig die aus der gesellschaftlichen Arbeitsteilung erwachsenen äußeren Bedingungen, unter denen Frauen generell und Künstlerinnen im besonderen arbeiten. In der zweiten Phase beschäftigen sie sich mit dem Aufdecken "innerer" Bedingungen, der bis heute virulenten patriarchalen Denkmuster und Mythen, die wir alle - häufig unbewußt - in uns haben.

Zunächst einige Arbeiten aus den 70er Jahren, in denen Frauenarbeit und ein spezifischer, aus dieser Arbeit erwachsener "weiblicher" Blick auf die Welt artikuliert und postuliert werden:
Meine ersten Beispiele stammen aus dem Multimedia-Environment "Womenhouse" in Los Angeles, einem frühen kollektiven Frauenkunstprojekt in den USA, das 1971 im Rahmen des von Judy Chicago und Miriam Shapiro geleiteten Feminist Art Program des California Institute of Arts geschaffen wurde und vom 30. Januar bis 28. Februar 1972 zu sehen war (Künstlerinnen International 1977, S. 337). J. Chicago beschreibt in ihrer Autobiographie die Entstehung der Idee für das "Womenhouse":

  • »Mimi und ich dachten daran, mit einem groß angelegten Kunstprojekt zu beginnen. Wir überlegten, ob es möglich wäre, die Probleme, die künstlerisch arbeitende Frauen haben, im Arbeitskontext zu bewältigen. ... Unsere Kunsthistorikerin Paula Harper schlug ein Projekt vor, das uns begeisterte: die Gestaltung eines Hauses. Seit Jahrhunderten wirken Frauen in häuslicher Umgebung. Sie nähen, backen, kochen, richten Wohnungen ein und ihre kreativen Energien bleiben im Verborgenen. Was würde geschehen, fragten wir uns, wenn Frauen diese häuslichen Aktivitäten in den Bereich der Phantasie hoben? ... Konnten die Tätigkeiten des Alltags der Frauen zum Vehikel werden, Kunst zu machen?« (Chicago 1984, S. 117).

Die inzwischen nur noch fotografisch überlieferten Arbeiten, etwa die von Vickie Hodgetts, Robin Weltsch und Susan Frazier gestaltete "Nurturant kitchen" ("Nahrhafte Küche" (Abb. 1» und "Sheet Closet" ("Wäschesehrank") von Sandra Orgel  zeigen aus diesen Überlegungen hervorgegangene Ergebnisse. Die Kiiche war sowohl für die beteiligten Frauen als auch filr die Besucherlnnen des "Womenhouse" ein besonders wichtiger Ort:

        

  • »Es stellte sich heraus, daß die Küche in vielen Fällen der Kampfplatz der Familie war. Das Zubereiten und Essen der Mahlzeiten, die Entscheidung, was gegessen wurde, wer das Essen kochte, wann man essen durfte und wann nicht, boten Mutter und Vater, Mutter und Kindern den nötigen Anlaß für Machtkämpfe. Die Assoziation von Frauen mit der Küche und dem Zubereiten von Essen führte zur Idee einer nahrhaften Küche. Wände, Fußboden und Einrichtung wurden mit einer fleischartigen Haut überzogen. Plastikeier, die an Brüste erinnerten, bedeckten die Decken und Wände... " (Chicago 1984, S. 126). In der Abbildung kommt die vereinheitlichende Funktion der alles bedeckenden Fleischfarbe nur mit einiger Phantasie zur Geltung. In dem gewählten Ausschnitt dominiert die zwanghafte Ordnung der vielfältigen Gerätschaften und des Geschirrs, die im Zusammenspiel mit den Brüsten/Spiegeleiern an Wand und Decke, die gleichfalls wohlgeordnet angebracht sind, die wahrhaft "aufzehrende" Funktion dieser Ordnungs- und Sauberkeitsdienste an der Familie veranschaulichen. Die Reduktion der Frau auf ihre Aktivitäten als "Mutter/ Nahrungsspenderin/Küche" (Chicago 1984, S. 144) und die damit verbundenen Ordnungs- und Sauberkeitsnormen töten jegliche Individualität und Spontaneität, die erst als Teil der Ausstellung sichtbar gemacht werden. In Sandra Orgels Wäscheschrank wird die Festlegung der Frau auf ein schaufensterpuppenhaftes, jeglicher Eigenart beraubtes Geschlechtswesen noch offenkundiger. Hier geht es um einen zweiten wichtigen Arbeitsbereich der Hausfrau: die Sorge um die Wäsche. Die Frau ist eingesperrt durch ihre Fixierung auf diese Sorge - erst um die Aussteuer, dann um die Wäsche. Sie wird in verschiedene Sektoren zerteilt, in ihren Bewegungsmöglichkeiten eingeschränkt und erscheint so als Opfer, als Märtyrerin fast. Diese Assoziation wird durch die Flügel der Schranktüren, die an einen Altar erinnern, nahegelegt.

Die Unterwerfung der Frau und das Verschwinden ihrer Arbeit im Privaten als Folge geschlechtlicher Arbeitsteilung und patriarchaler Machtausübung bzw. die Entdeckung einer bisher unbeachteten "weiblichen" Kultur und damit der Differenz zwischen den Geschlechtern und Kulturen - das sind die Leitmotive für alle im "womenhouse" gezeigten Arbeiten, von den Rauminszenierungen bis zu Quilts, die "bis dahin nicht einmal als Kunst angesehen worden waren. Womenhouse wurde zum Environment, in dem Arbeiten von Künstlerinnen einen Platz fanden, die ihre 1£benserfahrungen umsetzten, und zum Haus weiblicher Realität, das man betrat, um die wahren Probleme, Fakten und Gefühle im Leben von Frauen zu erleben (Chicago 1984, S. 126).
Diese Arbeit erscheint damit aus heutiger Sicht fast wie ein Pilotprojekt für viele Aktivitäten in den 70er Jahren, mit denen bisher Unsichtbares und Unterdrücktes (z. B. die (Kunst)geschichte von Frauen) ans Licht geholt, Abgewertetes oder Entwertetes aufgewertet und umgewertet wird (z. B. Techniken wie Sticken, Porzellanmalen, Tätigkeiten wie Räume einrichten, Hausarbeit usw.). Auch in der Kunst werden damit neue Vorgehensweisen, Techniken, Methoden und Inhalte entwickelt, die - wie in der gleichzeitig sich artikulierenden feministischen Wissenschaft - Erkenntnisse "über das Entwertete, Unterdrückte, Fremde und Unbewußte" ermöglichen sollen (Nadig 1988, S. 58). Darüberhinaus spiegelt die Arbeit an diesem Projekt das ungebrochene Selbstbewußtsein dieser ersten Generation der neuen Frauenbewegung, wonach Frauen die moralisch Überlegenen und vielleicht gar die besseren Menschen und aus dieser Position heraus dazu berufen sind, Männer in einen "Erziehungsprozeß" zu verwickeln und "sie zu lehren, Frauen "zu sehen", mit uns zu fühlen und unseren Standpunkt zu begreifen ... Um das zu erreichen, müssen die Schädigungen der Männer offengelegt werden ... Wir müssen den Männern helfen, wieder zu fühlen (Chicago 1984, S. 141).

Die Künstlerin Trina Robbins hat 1976 in Comicform die Hoffnung auf eine solche Aufklärung der Männer ironisiert und dabei auch darauf aufmerksam gemacht, daß Kunst von Frauen zum Partygerede von kulturell interessierten Intellektuellen herunterzukommen drohte, dem alles Explosive, Sprengende fehlt. Gleichzeitig gibt sie sich selbst darüber Rechenschaft, was sie als Künstlerin aus der Beschäftigung mit Leben und Werk ihrer Vorgängerinnen lernen kann. Man sieht im ersten Bild des Comic eine Party der 70er Jahre mit dem Gastgeber einem smarten Prinz Eisenherz-Typ - im Zentrum. Er vertritt unter Berufung auf die Kunstgeschichte die These von der künstlerischen Unfähigkeit der Frau. Eine junge Frau mit Brille reagiert darauf entsetzt und will ihn durch einen engagierten Bericht über Suzanne Valadons Leistungen widerlegen und zugleich überzeugen. Ab Bild 3 wird der Weg Suzanne Valadons vom Modell zur Malerin geschildert, sowie ihre Behinderung durch den alkoholkranken Sohn Maurice Utrillo. Im letzten Bild schließlich sieht man die Erzählerin rechts am Rand angespannt argumentieren, daß Suzanne Valadon ohne diese Belastungen sicher ein ähnlich bedeutendes Werk geschaffen hätte wie ihre männlichen Zeitgenossen. Der Gastgeber ist so interessiert an der Geschichte und der Erzählerin, daß er seine Ehefrau anschnauzt, sie solle die herumspringenden und lärmenden Kinder endlich zum Schweigen bringen. Ignorant praktiziert der Gastgeber die überkommene geschlechtliche Arbeitsteilung, um sich in Muße ihre bedauerlichen Folgen anhören zu können. In einer Nachschrift unter dem Comic heißt es kämpferisch "Suzanne Valadon dies in 1938, the year I was born. I sometimes feel that in my body she has been given another chance, and THIS time we won't blow it."
Die Kenntnis des Geschicks der Künstlerinnen der Vergangenheit und das Wissen um die Folgen der Festlegung der Frauen auf die Sorge um Haus und Kinder bieten so eine wichtige Voraussetzung, um selbstbewußt und entschieden das eigene künstlerische Schaffen in den Mittelpunkt zu stellen.
Auch in der Bundesrepublik findet man noch vor der oben erwähnten Ausstellung "Unbeachtete Produktionsformen" (1982) im Werk einzelner Künstlerinnen eine Auseinandersetzung mit den Bedingungen künstlerischer Produktion vor dem Hintergrund geschlechtlicher Arbeitsteilung. Ein besonders prägnantes Beispiel ist Ilse Aments nur 28 x 33 cm großes Ölbild "Die Chefin macht alles" von 1979.

         

Im Unterschied zu den von den Amerikanerinnen verwendeten modernen Medien Environment und Comic benutzt die Künstlerin die traditionelle Technik der Ölmalerei. Und auch motivisch setzt sie sich mit der Tradition, insbesondere mit den Fensterbildern und Atelierdarstellungen der Romantiker auseinander. Vor allem das ähnlich kleindimensionierte Bildchen "Die Malerstube im Mondschein" aus dem Jahr 1826 von Carl Gustav Carus, dem Freund Caspar David Friedrichs, der die Malerei neben seinem eigentlichen Beruf in seiner Freizeit ausübte, scheint hier fast ironisch paraphrasiert. Carus' Bild, in dem programmatisch der durch die Malerei und den Rückzug in den privaten Intimbereich zu findende Trost angesichts entfremdeter Arbeit und anderer Widrigkeiten im öffentlichen Leben formuliert ist (Nowald 1973), setzt Ilse Ament die gleichfalls programmatische Sicht der künstlerisch tätigen Frau, die nun Hausfrau ist, entgegen.[1] Man blickt in ein karges Atelier, das vom mittäglichen Sonnenlicht hell ausgeleuchtet wird. Die sparsame Farbigkeit, gelbbraun und verschiedene Grautöne, ruft den Eindruck von Leere hervor. Links an der Rückwand steht eine Staffelei, darauf eine grundierte, aber nicht begonnene Leinwand, eine ebensolche steht auf dem Fußboden neben der Staffelei. Rechts an der Rückwand ein weiteres Bild, umgedreht, vermutlich fertiggestellt.
Farben, Pinsel oder sonstige Arbeitsmaterialien sind keine zu sehen; man hat nicht den Eindruck, als sei eben noch in dem Raum gemalt worden. Der Schrubber an der rechten Wand, mit einem Putztuch umwickelt, zeugt eher von gerade vorangegangener Arbeit - die Dielen wurden wohl gerade gesäubert; Staffelei und Leinwände erscheinen wie Relikte in einem einstmals als Atelier benutzten, jetzt einer neuen Verwendung harrenden Raum. Schräg dem Schrubber gegenüber an der linken Wand sieht man angeschnitten einen Hocker, über den die "Chefin" offenbar zum Fensterbrett gestiegen ist, um das mehrteilige Fenster zu putzen. Sichtbar sind Frau und Fenster nur als Schatten, an die Wand geworfen von der hellen Sonne zwischen den nicht begonnenen Bildern und dem vermutlich vollendeten. Die, die den Raum vermutlich früher als Atelier genutzt hat, hat am Tag offenbar Wichtigeres zu tun, als Bilder zu schaffen, und es scheint kein Zufall, daß der querlaufende Balken des Fensterkreuzes vor den Augen verläuft.
Die Frau wird in ihrer Tätigkeit als Hausfrau nun selbst zum Bild, zu einem schattenhaften allerdings, bei dem ihre Besonderheit ebenso verlorengeht wie ihre Produkte und der Atelierraum. Anders als dem Romantiker Carus, dem das Atelier ein Zufluchtsort und die Möglichkeit zur Regeneration nach getaner Arbeit ist, stellen sich der modernen Frau künstlerische Tätigkeit und Hausarbeit als nicht vereinbare Alternativen dar. Diese Interpretation des Bildes wird gestützt durch eine andere Fassung derselben Szene, die Ilse Ament ebenfalls 1979 im Rahmen einer fünfteiligen Serie geschaffen hat (Umrisse 1979, S. 107 ff.). In fünf Episoden wird gezeigt, wie "ungemütlich" (so der Titel des ersten Bildes) der Atelierraum einer Künstlerin ist, die offenbar gerade eine Ausstellung vorbereitet, wie der männliche Partner daraus entflieht und wie erst die völlige Entfernung der Bilder und die Umnutzung des Raumes zu einem Kinderzimmer eine Lösung bringt. Die Variante zu dem hier besprochenen Bild zeigt - in größerem Format - als dritte Episode den Schatten der fensterputzenden Frau unter dem Titel "Die Bilder können warten" (Umrisse 1979, S. 109).

Durch ihren Rückgriff auf Traditionen der europäischen Ölmalerei verweist Ilse Ament darauf, daß das Schattendasein als Hausfrau und die Unmöglichkeit, eine künstlerische Tätigkeit mit diesem Dasein zu vereinbaren, nicht nur ein Produkt der eingeschliffenen Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern ist. Vielmehr stützen auch die tradierte Bildsprache und die überlieferten Vorstellungen von Kunst und vom Künstler diese Arbeitsteilung auf subtile Weise und führen dazu, daß eine künstlerisch dilettierende Hausfrau heute entwertet wird, während Carus gerade als Dilettant den Trost der Kunst erfahren und damit bis heute ernst genommen werden konnte.

Der Bezug zur Romantik könnte weiter darauf hindeuten, daß die Konstituierung der bürgerlichen Familie um 1800 ebenso wie die damals entstandene Vorstellung vom autonom schaffenden Künstler, der seine inneren Bilder gestaltet, für den Prozeß der Festlegung der heute noch gültigen Geschlechtsrollen eine wichtige Rolle gespielt hat. Diese Tradition, so scheint die Künstlerin Ilse Ament uns mit ihrer Arbeit mitzuteilen, bestimmt unser aller Denk- und Wahrnehmungsmuster. Wenn Künstlerinnen einen eigenständigen Handlungsraum und eine eigenständige Bildsprache entwickeln wollen, müssen diese Voraussetzungen sichtbar gemacht, kommentiert, umfunktioniert oder dekonstruiert werden. Damit führt die Arbeit von Ilse Ament an Positionen und Verfahrensweisen von Künstlerinnen heran, die in den 80er Jahren das Problem künstlerischer Produktivität von Frauen vor dem Hintergrund stereotyper Rollenzuweisungen an die Geschlechter und tradierter Formen der Arbeitsteilung anders thematisieren als feministisch engagierte Künstlerinnen der ersten Generation der Neuen Frauenbewegung in den 70er Jahren.
Charakeristisch scheint mir für diese zweite Phase, daß Künstlerinnen das Dilemma entdeckten, daß sie einerseits die herrschenden Denkmuster, Verhaltensweisen, Bilder und Traditionen über Bord werfen und durch neue ersetzen wollen, daß sie aber andererseits durch diese Denkmuster geprägt sind. Es genügt offenbar nicht, die historischen und gegenwärtigen Bedingungen zu erforschen, unter denen Frauen im allgemeinen und Künstlerinnen im besonderen arbeiten bzw. gearbeitet haben, es genügt auch nicht, die tradierten Formen gesellschaftlicher Arbeitsteilung zu attackieren, sondern es geht darüber hinaus darum, aufzuspüren und sichtbar zu machen, inwiefern Künstlerinnen, Wissenschaftlerinnen, ja alle Frauen in diese herrschenden Muster selbst verstrickt sind, ihnen - wie gesagt häufig unbewußt - unterliegen. Es geht auch darum, die der herrschenden Arbeitsteilung zugrundeliegenden partriarchalen Mythen aufzuzeigen und so gründlich zu stören, daß Filme wie der über Camille Claudel sie nicht mehr aktivieren können. "Bleibt Frau in einer einseitigen Sicht der Anklage und der Gegenposition stecken, so umgeht sie die Wahrnehmung ihrer Involviertheit und damit die unangenehme Erkenntnis, daß sie selber Teil des angeklagten Systems ist" (Nadig 1988, S. 58).

Dazu einige Beispiele:

Mein erstes Beispiel ist die Graphik der Kölner Malerin Christa Näher, der ich den Titel meines Beitrags entlehnt habe. Es handelt sich um eine 1984 entstandene Postkarte der Edition Staeck, eine Arbeit, die darauf angelegt ist, weit verbreitet zu werden. Da diese Karte, die seit längerer Zeit schon zwischen mehr oder weniger langlebigen Zetteln und Bildern an der Pinwand neben meinem Schreibtisch hängt, bei mir die nicht sehr angenehme Erkenntnis meiner eigenen Verstrickung in solche patriarchalen Denkmuster in Gang gebracht hat, möchte ich sie und den durch sie ausgelösten Prozeß hier persönlich gefärbt beschreiben.
Man sieht eine knieende, junge, ernste Frau im knappen schwarzen Unterrock mit langem Haar, mit üppigem Busen und rundem Gesäß hinter einer Emailleschlüssel ganz konzentriert bei der Arbeit. Ohne Putztuch macht sie mit der rechten Faust auf dem Boden Wischbewegungen, in einem Innenraum mit einem Kachelofen. Durch eine Tür sieht man Zeitungen, die offenbar nicht mehr zur Lektüre bestimmt sind. In das Foto unten eingedruckt in weißer Schrift der Satz: FRAUEN DIE MALEN, DRÜCKEN SICH VOR DER ARBEIT.

Die Karte ist für mich die Materialisierung eines geistigen Bildes geworden, das vor mir auftaucht, und eines Satzes, den ich zu mir spreche, wenn ich frei am Schreibtisch arbeite. Ich müßte das Wort "malen" nur durch das Wort "nachdenken" oder "forschen" ersetzen. Sie hilft mir, deutlicher das Gefühl zu empfinden, ich täte etwas Unerlaubtes, arbeitete nicht "richtig", wenn ich versuche, Neues zu denken. Durch Christa Nähers Arbeit bemerke ich dies Unbehagen nicht nur, sondern komme ihm auf die Schliche. Offenbar sitzt tief in mir die Überzeugung, daß ich als Frau, als Geschlechtswesen wie die Frau auf der Karte ganz bestimmte Aufgaben habe, vor denen ich mich nicht drücken darf - Hausarbeit, "Beziehungsarbeit", Lehrtätigkeit paßt für mich auch noch dazu, nicht aber freischweifendes Denken, Lust an Erkenntnisprozessen.

      

Ich vermute, der Künstlerin geht es ebenso. Auch sie erlebt es als Drückebergerei, wenn sie sich Aufgaben entzieht, die sie als "Geschlechtswesen" eigentlich zu tun hätte - seien diese auch sinnlos wie das konzentrierte Wischen ohne Putztuch. Indem ich am Schreibtisch sitzend die Karte betrachte, entdecke ich nicht nur, daß ich Auffassungen vom Wesen der Frau und den ihr (mir) zugewiesenen Aufgaben internalisiert habe, die mir gegenüber offen niemand mehr vertritt, nicht nur, daß ich damit patriarchale Denkmuster weitertrage, ja, in mir ständig neu wieder produziere, sondern ich merke auch, daß ich nie davon loskommen werde, daß ich mich als Frau in dieser Weise festgelegt fühle, und ich kann dies als einen Teil meiner Sicht akzeptieren. Auch und gerade, wenn ich frei zu denken versuche, tue ich dies im Schatten patriarchaler Traditionen, die mein Denken und Verhalten bestimmen. Diesen Schatten gilt es mitzureflektieren und in die Arbeit einzubeziehen. In diesem Sinne werde ich von meiner durch die Vergangenheit geprägten "weiblichen" Sicht wohl nie loskommen.
Ähnliches gilt, so meine ich, auch für Künstlerinnen. Auch ihr Schaffen ist durch patriarchale Denk- und Wahrnehmungsmuster, durch daraus resultierende Bildtraditionen geprägt. Sie können dies reflektieren und wie Christa Näher in der Postkarte und in einer weiteren Fotoinszenierung (Näher 1983, S. 19) thematisieren, daß weibliche Kreativität und künstlerische Tätigkeit von Frauen sich gegen eigene und fremde Bilder von geschlechtsspezifisch bestimmter Arbeit behaupten müssen. Sichtermanns These, daß künstlerische Arbeit für Frauen die Eroberung eines Reichs der Freiheit bedeute, in dem das Geschlecht keine Rolle mehr spielt, negiert diesen eigenen Schatten (Sichtermann 1986). In zahlreichen neueren Arbeiten von Künstlerinnen ist diese selbstreflexive, die eigenen Prägungen, Grenzen und Tabus aufspürende "weibliche" Sicht zu finden. Zwei Beispiele, die unterschiedliche Strategien bei dem Ungang mit vorgegebenen Mustern veranschaulichen, möchte ich hier noch vorstellen:

Anna Blumes Arbeit "Können Frauen denken?", ein Polaroid aus der Sequenz "Monogamie mit B. J. Blume", die auch als Farbpostkarte erhältlich ist, und Rosemarie Trockels Strickbild "cogito, ergo sum" von 1988. Anna Blume maskiert sich ähnlich wie Cindy Sherman (Schade 1986) immer wieder neu und schlüpft in verschiedene Rollen - meist in die der biederen Hausfrau in einem entsprechenden Umfeld. So auch hier. Man sieht frontal auf einen Frauenkopf mit bieder frisiertem Haar, aufgerissenen Augen, zum Lachen geöffnetem Mund in der Rolle einer etwas irren, gleichzeitig naiven Mutti, die eine 50er-Jahre-Obstschale mit verschiedenen roten Früchten auf dem Kopf balanciert und alles mögliche verkörpern mag, nur keine Frau, die eigenständig denkt. Ein Bild, das durch Widersprüche reizt - Rätsel aufgibt und die BetrachterInnen mit ihren eigenen Vorurteilen konfrontiert. Eine Mutti mit so roten Lippen und dicken Ohrklunkern? Was soll die Frage unter dem Foto? Die Arbeit regt an, spielerisch die eigenen Projektionen zu untersuchen.
Rosemarie Trockel hat in verschiedenen Arbeiten mit Motiven, Techniken und Symbolen experimentiert, die in spezifischer Weise mit Frau und Weiblichkeit und den ihr zugewiesenen Tätigkeiten und Orten einerseits und Mann und Männlichkeit andererseits konnotiert sind. Eine wichtige Strategie, durch die sie schon mit der gewählten Technik auf geschlechtsspezifische kulturelle Festlegungen und Machtverhältnisse hinweist, ist die Verwendung von Wolle in gestrickten Bildern. Damit macht sie eine als reproduktiv angesehene, typisch "weibliche" Handarbeit bildwürdig, und Peter Weibel hat richtig gesehen, welchen Einbruch in festgelegte Strukturen dieser Akt bedeutet:

  • »Indem Rosemarie Trockel dieses künstlerisch minderwertige Material und diese minderwertige ästhetische Prozedur einführt, werden wir gewahr, wie sehr das Weibliche aus der Kultur ausgeschlossen ist. Denn das Material Wolle, die Methode Stricken und das Motiv Strickmuster sind Signifikanten des Weiblichen. Gelten die Signifikanten als künstlerisch minderwertig, so auch eo ipso das Weibliche selbst. Diese erste Demontage der Bedingungen des Kunstwerks zeigt uns, daß die Kultur nicht der Ort der Frau ist. Da aber alle Gesten der Zerschlagung der Kultur wieder akkulturiert worden sind, kann die Kultur nur mehr transformiert, aber nicht zerstört werden. Indem sich Trockel dem öffnet, was bisher aus der Kunst als minderwertig ausgeschlossen war, transformiert sie durch ihr genuin weibliches Material und ihre genuin weibliche Aktivität die Kultur« (Weibel 1988, S. 44).

In der hier vorgestellten Arbeit strickt die Künstlerin nun nicht in Handarbeitsbüchern oder -zeitschriften vorgegebene Muster nach, sondern Markenzeichen männlicher kultureller Produktion: Descartes' Satz "cogito, ergo sum" und Malevichs schwarzes Quadrat - beides im (Allgemeingut gewordenen) Bildungskanon sicher bewahrte Artikulationen des sich selbst als Subjekt setzenden männlichen Geistes und Schöpfertums. Durch den Akt des Verstrickens in einem von einer Frau hergestellten Objekt werden diese kulturellen Meilensteine als männliche entziffert, entwertet und als das weibliche Geschlecht ausgrenzende Akte in einen neuen Zusammenhang gestellt.
Solange die Geschlechterbeziehungen und die kulturellen Aktivitäten durch die herrschenden Machtverhältnisse geprägt und strukturiert sind, wird es nötig sein, die patriarchalen Muster und deren Folgen in unseren Köpfen und außerhalb aufzudecken, zu demaskieren und der Lächerlichkeit preiszugeben. Eine »weibliche Ästhetik« in diesem Sinne brauchen wir.

Texttyp

Kulturkritik