Judy Chicagos neue alte Frauen-Mythen
In ihren Anfängen griff die neue Frauenbewegung auf den Begriff "Identität" zurück; er schien ihr geeignet, die Ausgrenzung von Frauen aus dem öffentlichen Leben und die Hartnäckigkeit traditioneller Frauenbilder anzuprangem. Für die Zukunft eine neue "weibliche Identität" zu finden, schien Voraussetzung für die Aufhebung aller gesellschaftlichen Diskriminierungen zu sein. Ich will zeigen, daß die mit diesem Begriff historisch verknüpften Vorstellungen von Subjektivität, bedingt vor allem durch eine stagnierende bewußte oder unbewußte Hegel-Rezeption, keineswegs emanzipatorische Strategien garantieren. In die Falle solcher Vorstellungen gingen auch feministisch engagierte Künstlerinnen, um - darin gefangen - neue alte Frauen-Mythen zu produzieren. Die künstlerischen Auseinandersetzungen mit dem Begriff "weibliche Identität" führten in einigen Fällen auf Wege, die sich bei genauerem ffinsehen als die ausgetretenen Pfade traditioneller Frauen-Bilder erweisen. Als besonders eklatantes Beispiel für einen solchen Weg möchte ich Judy Chicagos künstlerisches Konzept vorstellen, das sich aus ihrer ästhetischen Produktion sowie ihren Selbst-Zeugnissen erschließen läßt.
Der in der Frauenbewegung inflationär gebrauchte Begriff der "weiblichen Identität", mit dem die wenigsten jedoch eine präzisere Vorstellung verbinden, hat großen Anteil an den Irr-Wegen. Im Folgenden werde ich seine philosophischen und juristischen Wurzeln bezeichnen und eine (psycho)analytische Kritik andeuten, bevor ich zu Judy Chicago zurückkomme.
Valie Export und die Hegelsche Identitäts-Philosophie
Eine Diskussion über "weibliche Identität" war und ist mit der über "weibliche Ästhetik" aufs engste verknüpft. Fixierungen und Erstarrungen finden wir da, wo eine weibliche Identität als Wesensbestimmung angenommen und mit einem Kreativitätskonzept verknüpft wird, das besagt, daß sich ein/e Künstler/in im Bild stets "selbst" ausdrücke. Dieses traditionelle bürgerliche Klischee führt automatisch zu der Vorstellung, der "Selbstausdruck" einer Künstlerin müsse ein authentisch weiblicher sein. Ein Beispiel für eine solche Argumentation finden wir zum Beispiel in Valie Exports Katalog-Vorwort zu der Ausstellung in Wien 1986 "Kunst mit EigenSinn":
- »Fortschritt und Freiheit sind untrennbar miteinander verknüpft, nämlich genau in Hegels Definition der Weltgeschichte als "Fortschritt im Bewußtsein der Freiheit". Wenn wir Freiheit als Sinn der Geschichte und Individuation als Sinn der Kunst verstehen, dann konvergieren Individuation und Freiheit im Begriff Eigen-Sinn, ebenso wie Kunst und Geschichte. Mit fortschreitender Individualisierung, wo das Eigentümliche und Einzige, das einem Wesen zukommt, sich immer mehr aus dem Allgemeinen entwickelt, wo also jedes Wesen immer zu sich selbst findet, was ihm alleine zu eigen ist und keinem anderen zugehört (hörig ist), wird auch die Sinngebung der Geschichte individualisiert: der eigene Sinn als Echo der eigenen Stimme in der Welt.«[1]
Das Ziel eines solchen Prozesses sei die Selbst-Realisation jedes einzelnen, also auch der Frauen, jenseits von Macht, Gewalt und Ausbeutung. Die Kunst sei ein Mittel dieses Prozesses. Einer solchen Vorstellung vom Geschichtsprozeß weisen die Theoretiker der Postmoderne allerdings nach, daß sie nicht nur idealistisch ist, sondern gleichsam als Spiegel nachträglicher Sinngebung des eigenen Lebensweges fungiert. Die Infragestellung, ob Geschichte eine sinnvolle Eigendynamik habe (z. B. als Evolution von Freiheit und Fortschritt), die Frage, ob sie nicht eher als Sinngebung, als Zeichensystem aufzufassen sei, nämlich als Geschichtsschreibung, führt nicht, wie Valie Export meint, zu einer Abschaffung des Fortschrittsbegriffs, sondern zur Bestimmung seiner Funktion und seine Ortes in einem Argumentationssystem, das selbst unhistorisch vorgeht.[2]
Unhistorisch ist die Annahme, die Individuen seien vom "Wesen", vom "Kern" her immer die gleichen, die in ihrer Zurichtung nur verschiedenen Machtsystemen unterschiedlicher Gesellschaften gegenüberstehen. Ihre potentiellen Eigenschaften ("eigen", was ihnen "gehört") seien - so das bürgerlich-biologistische Besitzmodell - nur nicht entfaltet. Das heißt für die Bestimmung der sexuellen Differenz, daß naturwüchsig festgelegt - Frauen und Männer ein Wesen hätten, das sie nur zu finden brauchten, falls die Umstände, die Zustände der Gesellschaft es gestatteten. Dieses "Selbst" sei - im Falle der Frauen - "enteignet", das heißt, es wurde ihm im Lauf der patriarchalen Geschichte etwas geraubt, was es schon immer besessen habe und das es nun zurückzuerlangen gelte. Diese Argumentation ist, ohne daß es ihr bewußt wäre, in der Falle der patriarchalen, bürgerlichen Selbstkonstitution gefangen, der sie eigentlich entgehen wollte. Sowohl der Mythos der voranschreitenden Vernunft wie der der voranschreitenden Individuation als Geschichtsziel sind Teil eines Repräsentationssystems, das in der Verkennung seines Status' die Imaginationen des Weiblichen als dem "Anderen des Selbst" und mit ihnen dieses "Selbst" des männlichen Bürgers hervorbringt.[3]
Auf der Suche nach einem weiblichen Selbst - bei der die Kunst helfen soll scheint ein männliches Selbst als sicheres vorausgesetzt. Die Identität, die die Männer angeblich besitzen, müssen wir erst erlangen - so jedenfalls die Aufforderung unzähliger feministischer Selbstfindungs- und Kreativitätsgruppen. Die Suche nach Identitäten verkennt, daß es wohl kaum eine Zuschreibung innerhalb der Geschlechterdifferenz, keine Imagination des Weiblichen gibt, die nicht vom Ort des patriarchalen Diskurses her geschrieben worden wäre, und sie verkennt gleichermaßen, daß einheits- und sinnstiftende Prozesse immer nur imaginäre sein können und eine Spur von Ausgegrenztem, Abgespaltetem, Zerstörtem, Vernichtetem und Verdrängtem, die Spur des Anderen hinter sich herziehen.
Die Identität des Täter-Ichs in der Kritik Ingeborg Bachmanns
Einer der institutionellen Diskurse, innerhalb derer sich die Notwendigkeit von Identitätskonzepten historisch herstellte, war die Straf- und Eigentumsrechtsprechung. Vor allem die strafrechtliche Bedeutung des Begriffes der Identität eines Individuums soll an dieser Stelle deutlich machen, daß es sich um eine Fiktion mit Wahrheitsanspruch handelt. Denn um ein strafrechtlich verantwortliches Individuum zu produzieren, muß die Vorstellung eines kontinuierlichen, mit sich selbst identischen Subjekts vorausgesetzt werden. Die Probleme, die sich die Rechtsprechung mit dem Begriff des "Affekt-Täters" eingehandelt hat, verwiesen auf den Kern der Notwendigkeit der Konzeption eines Subjektes ohne ein Unbewußtes, das von anderen Subjekten unterschieden und von ihnen als unabhängig betrachtet werden kann.
Vom theologischen Konzept des zur Straftat vom Teufel verführten Sünders über die lutherische Einführung der Selbst-Verantwortung bis zu der dem römischen Recht nachfolgenden bürgerlichen Rechtsprechung seit dem 16. Jahrhundert laufen die historischen Stationen der Identifizierung des Täters. Verbrecherfotografie, Fingerabdruck (inzwischen sogar der "genetische Finderabdruck"), das Paßfoto und der computerlesbare, fälschungssichere Personalausweis zeugen von der technischen Präzisierung der Produktion von Identität.
Eine Geschichte von Ingeborg Bachmann aus ihren Frankfurter Vorlesungen kann diese juristische "Herkunft" des Ich anschaulich illustrieren:
- »Einmal habe ich ein kleines Kind gesehen, das von seiner Mutter gedrängt wurde, zuzugeben, daß es etwas getan habe; es war verstockt im Anfang und wußte vielleicht gar nicht, was man von ihm wollte. "Sag, daß du es getan hast", forderte die Frau immer wieder. "Sag, ich habe es getan!" Und plötzlich, als wäre ihm ein Licht aufgegangen oder als wäre es zu müde um zu schweigen und sich zu wehren, sagte das Kind: "Ich habe es getan", und dann gleich wieder und ganz vergnügt über den Satz oder vielmehr (das) entscheidende Wort: "Ich habe es getan, ich ich ich!" Es wollte gar nicht mehr aufhören und schrie und kreischte immerzu, bis es sich vor Lachen in den Armen der Frau wand wie ein Epileptiker. "Ich, ich, habe es getan, ich!" Diese Szene war seltsam, weil da ein Ich entdeckt und zugleich bloßgestellt wurde, seine Bedeutung und Nichtbedeutung, und ein irres Vergnügen über die Entdeckung des Ich überhaupt, zum Verrücktwerden, wie man später nie wieder verrückt darüber wird, wenn man gezwungen ist, Ich zu sagen, wenn das Wort längst eine Selbstverständlichkeit geworden ist, abgenutzt dazu, ein Gebrauchswort, das alles, was es bezeichnen soll, von Fall zu Fall degradiert. Wenn wir aber eines Tages wieder in einer ungewöhnlichen Situation Ich sagen, kommt uns, mehr als in dem frühen Zustand, an: Beklommenheit, Staunen, Grauen, Unsicherheit."[4]
Diese Geschichte zeigt nicht nur, wie die Idendfizierung des Individuums mit der als Täter verknüpft ist, sie zeigt auch da es sich um ein Kind handelt, dem das Ich eingebleut wird - daß es individualgeschichtlich ein Erziehungsprozeß ist, eine Unterwerfung unter die symbolische Ordnung, durch die gesellschaftliche Individuen entstehen.
Ingeborg Bachmann erzählt diese Geschichte als Teil ihrer Überlegungen zum künstlerisch tätigen Ich, zum "schreibenden Ich":
- »Ich ohne Gewähr! Denn was ist das Ich, was könnte es sein? - ein Gestirn, dessen Standort und dessen Bahnen nie ganz ausgemacht worden sind und dessen Kern in seiner Zusammensetzung nicht erkannt worden ist. Das könnte sein: Myriaden von Partikeln, die "Ich" ausmachen, und zugleich scheint es, als wäre Ich ein Nichts, die Hypostasierung einer reinen Form, irgendetwas wie eine geträumte Substanz, etwas, das eine geträumte Identität bezeichnet, eine Chiffre für etwas, das zu dechiffrieren mehr Mühe macht als die geheimste Order. Aber es gibt ja die Forscher und die Dichter, die nicht locker lassen, die es aufsuchen, untersuchen, ergründen und begründen wollen, und die es immer wieder um den Verstand bringt. Sie haben das Ich zu ihrem Versuchsfeld gemacht oder sich selber zum Versuchsfeld für das Ich, und gedacht haben sie an alle diese Ich der Lebendigen und der Toten und der Geistfiguren, an das Ich der Leute von nebenan und an das Ich des Caesar und das Ich des Hamlet, und all dies ist noch gar nichts, weil noch nicht allgemein. Darum ist auch noch zu denken an das Ich der Psychologen, der Analytiker, an das Ich der Philosophen, als Monade oder im Bezug, als empirische Kontrollstation oder als metaphysische Größe ...«[5]
Das Ich als geträumte Identität ist seit Freud Thema der Psychoanalyse gewesen. Seit seiner Entdeckung des Ich als einer Funktion, die sich zwischen unbewußten Wünschen und gesellschaftlichen Ansprüchen ansiedelt, zwischen Ich-Ideal und Ideal-Ich in ständig prekärer und instabiler Balance sich haltend, seit der Entdeckung des unbewußten Handelns ist die bloße Fortsetzung der philosophischen Tradition der Vorstellung vom autonomen, mit sich selbst identischen Subjekt ein Zurückfallen hinter den Erkenntnisstand um 1900 und eine Kapitulation vor der Alltags-Herrschaft des fiktiven Ich. Auch Künstlerinnen haben gezeigt, daß es möglich ist, die traditionellen Zuschreibungen von "Weiblichkeit" infragezustellen, ohne neue Weiblichkeitsmythen zu produzieren.[6]
Wenn wir an die vorangegangenen Überlegungen anschließen, daß Identität, auch die Geschlechtsidentität, Ergebnis historisch verortbarer Identifikationsvorlagen und Ergebnis von Identifizierungswünschen ist, so muß die Analyse, die Dekonstraktion traditioneller Weiblichkeits-Bilder zu neuen künstlerischen Strategien führen, die die Muster aufzeigen und den Horizont des Werdens öffnen und nicht schließen.[7]
Als ein geschlossenes System allerdings erweist sich das künstlerische Konzept Judy Chicagos.
»Weibliche Identität und Ästhetik« bei Judy Chicago
Judy Chicagos Werdegang ist für eine Künstlerin ihrer Generation bezeichnend, für die eine ferninistische Orientierung noch bevorstand. Laut eigener Beschreibung in ihrem autobiographischen Buch "Durch die Blume. Meine Kämpfe als Künstlerin"[8] beginnt sie gegen Ende ihrer Studienzeit Anfang der 60er Jahre den Ausschluß von Frauen aus dem öffentlichen Leben und aus der professionellen Kunst-Szene zu spüren, zu dem Zeitpunkt also, als sie an der Schwelle zu diesem Leben und dieser Szene steht. Sie erfährt diese Zurückweisung zunächst als persönliche Kränkung, die angedienten Frauen-Rollen interpretiert sie zurecht als Reduktion ihrer Lebensperspektiven. Mit ihren Bildern hat sie anfangs wenig Erfolg. Sie sind allerdings ein wichtiges Mittel für sie, um den Tod ihres Mannes und den ihres Vaters zu bewältigen. Die Formen, die sie dafür findet, scheinen ihre "tiefsten Gefühle" auszudrücken:
- »Es waren biomorphe Formen, und sie erinnerten an Phallus, Vagina, Hoden, an Bäuche, Herzen, Eierstöcke und andere Körperteile. Das erste Bild mit dem Titel "Bigamie" zeigte eine Vagina-Herzform über einem gebrochenem Herzen und unter einem Phallus. Das Thema war der Tod meines Vaters und der meines Mannes; ... Die anderen Bilder hatten ähnliche Motive - alle zwar abstrakt, aber in der Aussage sehr deutlich. Ich legte dabei keinen besonderen Wert auf Technik, obwohl ich zu dieser Zeit bereits handwerkliches Können besaß. Ich konzentrierte meine ganze Energie auf die Formen, die direkt aus meinen Gefühlen aufstiegen und ihre Weiblichkeit unverhüllt zeigten."[9]
Mit dem Begriff "abstrakt" verbindet sie also nicht Ungegenständliches, sondern formelhafte Symbolisierungen, die an biomorphe Formen erinnern. Sie berichtet über die allgemeine Ablehnung und Abwehr ihrer Bilder, die sie als eine Abwehr von "weiblichen Formen" erlebt. Den gleichzeitigen allgemeinen Trend in der Kunst-Szene empfindet sie zwar ebenfalls als abstrakt, aber als eine Abstraktion, mit der sie keine Bedeutung verbindet. Die eigene Abstraktion sieht sie als Tarnung ihrer Weiblichkeits-Vorstellungen, die geradezu "naturwüchsig" aus ihr hervorströmen. So kommt es auch zum ersten Kurzschluß in ihren Argumentationsstrategien: abstrakte Bilder repräsentieren Männliches, biomorphe Weibliches. Diese Aufspaltung ist keineswegs neu und auch keineswegs von Frauen zum erstenmal formuliert worden. Die Wahrheit der Repräsentation des Weiblichen ist für Judy Chicago garantiert durch die Wahrheit (Authentizität) ihrer Gefühle. In diesen Gefühlswelten offenbar durch eine Therapeutin ständig unkritisch bestätigt, die eine naive, typisch amerikanische Vorstellung von Psychologie vertritt (Gefühle haben immer Recht; die Therapie versteht sich ausschließlich als Tröstung für erlittene Kränkungen), setzt Judy Chicago die Diskriminierung von Frauen mit der Ablehnung der künstlerischen Formen, die sie selbst als weiblich postuliert, identisch:
- »Ich glaubte, wenn es mir gelang, mein wahres sexuelles Wesen darzustellen, könnte ich durch diese symbolische Aussage das Thema der wahren Identität einer Frau aufwerfen.«[10]
Nach dem Bau einer wiederum abstrakt "getarnten" Plastik aus drei Kuppelformen, die Brüste und Fruchtbarkeit repräsentieren sollten, stellt sie fest:
- »Obwohl ich das Thema neutralisierte, blieb nicht unbemerkt, daß ich auf diese Weise meine Weiblichkeit enthüllte. Eine New Yorker Künstlerin bemerkte verächtlich: Aha - die Venus von Willendorf. Ich war am Boden zerstört. Es war eine Sache, mich mit Themen zu versuchen, die mit meiner Weiblichkeit in Zusammenhang standen - gleichgültig, wie indirekt. Aber es war etwas ganz anderes, dabei ertappt zu werden. Wieder schlich sich die Weiblichkeit in meine Arbeit ein ... und wieder wurde sie kritisiert - diesmal von einer Frau. Es dauerte eine Weile, bis ich über diesen Kummer hinweg kam und mir klar wurde, daß ich diese Themen in meiner Arbeit aufgreifen mußte - gleichgültig, ob meine Werke akzeptiert wurden oder nicht. Schließlich war ich auf einer Ebene die Venus von Willendorf und alles, was sie symbolisierte.«[11]
Auf diese Erkenntnis hin produzierte sie "Mösenbilder:"
- »Ich wählte diese Form, um damit auszudrücken, was es heißt, um eine Mitte, meine Vagina zu leben, die mich zur Frau macht.«[12]
Das Problem, das Judy Chicago hat, ist, daß sie es nicht schafft, die Erfahrung der Diskriminierung, das heißt, der gesellschaftlichen Rollen-Festlegung, die sie ja zunächst zurückzuweisen versucht, so radikal zu analysieren, daß sie ihr endgültig entgeht. Im Gegenteil, es kommt zu zwanghaften Identifizierungen gerade mit dem traditionellen Weiblichkeits-Muster. Dem Prozeß der Bewußtwerdung einer Kluft zwischen den männlichen und weiblichen Feldern und ihren einseitigen Zuschreibungen folgt keine subversive Strategie. Sie beugt sich dem Identitätszwang und ordnet sich selbst dem allgemeinen Weiblichen zu, wie es die patriarchale Kultur auf der Basis biologistischer Modelle schon längst definiert hat. Die narzißtische Kränkung, die allerdings mit der Identifizierung mit dem vorgegebenen Weiblichen einhergeht, wird auf immanente Weise kompensiert: indem das in der Gesellschaft so verachtete Weibliche zum göttlichen Prinzip umgewertet wird, das nach einem Verehrungs-Kult verlangt: "Frau zu sein bedeutet, ein Objekt der Verachtung zu sein; und die Vagina, das Merkmal der Weiblichkeit wird abgewertet. Die Künstlerin sieht sich verachtet und wählt dieses Symbol ihres Andersseins als Kennzeichen ihrer Bildsprache. Dadurch schafft sie sich ein Vehikel, mit dem sie sich der Wahrheit und Schönheit ihrer Identität versichern kann."[13]
Es ist nur folgerichtig, daß auf der Basis der Fiktion von einem authentisch Weiblichen, einer wahren Identität der Frau, die scheinbar unabhängig von Zeit, Geschichte und patriarchaler Tradition existieren, die Selbstvergöttlichung einsetzt. Judy Chicago wird selbst zu einer Venus von Willendorf, oder wenigstens zur rechtmäßigen Stellvertreterin.
In dem Moment, wo eine allgemeingültige weibliche Geschlechtsidentität angenommen wird, kann jede Frau jede andere repräsentativ ersetzen, denn dann ist jede Frau ausschließlich Repräsentantin ihrer Gattung. In diesem System bleibt folgerichtig, daß schließlich alle historischen Frauen durch florale Vulvaformen repräsentiert werden können, wie es in Judy Chicagos auch bei uns berühmt gewordenen Projekt der "Dinner-Party" geschieht. Unter dem Vorsitz einer Super-Frau, in deren Namen dann auch die anonymen 400 Frauen aufgehen, die an dem Projekt mitgearbeitet haben, stellt sich ein totalitäres System der Negierung aller Unterschiede mit dem Ziel der Vereinheitlichung her.
So wird Kunst zwangsläufig zum Kult, zum Gottesdienst. Judy Chicago betont selbst das sakramentale Wesen der "Dinner-Party", die vom Konzept her mit religiöser Symbolik unendlich aufgeladen ist. Weitere Schritte innerhalb der künstlerischen Entwicklung sind dann ebenfalls schon "vorprogmmiert", die Super-Frau inszeniert sich und ihr Geschlecht in immer neuen megalomanen Formen. Auf die "Dinner-Party" folgt das Projekt "Creation of the Universe" und darauf das "Birth-Project".
Am Beispiel Judy Chicagos läßt sich nachvollziehen, wie gesellschaftliche Erfahrungen, die ausschließlich narzißtisch verarbeitet werden, verbunden mit einer bloßen Umwertung schon existierender Weiblichkeits-Muster, in ein ästhetisches Konzept eingehen, das weder neu ist, noch patriarchalen Zuschreibungen irgendetwas entgegensetzt.[14] Das ästhetische Konzept Judy Chicagos bleibt auf einer symbolistischen Ebene, die gezwungen ist, die traditionellen Symbolisierungen zu wiederholen, während ästhetische Strategien von Künstlerinnen und Künstlern des 20. Jahrhunderts sich gerade mit der Zwanghaftigkeit von Wiederholungen auseinandersetzen und die totalitäre Struktur narrativer Systeme zu sprengen versuchen.[15]
Ein solches geschlossenes System wie das Judy Chicagos eröffnet künstlerischen Bewegungen von Frauen keine neuen Wege, sondern hält sie in Sackgassen gefangen.