Gute Kunst setzt sich nicht von selbst durch

Künstlerinnen, Filmemacherinnen und Designerinnen sind in den achtziger Jahren mit ihren Werken und Arbeitsresultaten mehr und mehr hervorgetreten. In Ausbildung und Wissenschaft, im Kunst- und Ausstellungsbetrieb, in der Wirtschaft, den Medien und der Politik wird ihnen aber allenthalben noch viel zuwenig Aufmerksamkeit zuteil. Wie also könnte eine Bilanz des Erreichten aussehen und worauf sollten sich in den neunziger Jahren ganz besondere Energien richten? Die Arbeitsgruppe Kunst an der Gesamthochschule Kassel erarbeitete im Auftrag des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft von 1988 - 1990 eine Studie zu diesem Thema.[1]
Bei der Untersuchung ging es erstens um eine aktuelle Bestandsaufnahme anhand der Daten der amtlichen Statistik inclusive der von Verbänden und sonstigen Institutionen zur Verfügung gestellten Materialien, ergänzt um eine Auswertung von Katalogen, Jahrbüchem sowie zahlreichen weiteren Veröffentlichungen bis hin zur Durchführung von Leitfadeninterviews mit Expertinnen und Experten.
Zweitens gehörte dazu die Vorbereitung, Durchführung und Auswertung eines Kongresses, auf dem die Ergebnisse der vorangehenden Untersuchungen zusammenfassend dargestellt, erörtert und im Hinblick auf Vorschläge für bildungs- und kulturpolitische Maßnahmen zugespitzt wurden. Der Kongreß fand vom 30. 8. - 1. 9. 1990 in Wiesbaden statt.
Ein drittes Teilprojekt war die Vorbereitung und Durchführung einer Ausstellung mit Werken von internationalen Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts in Kooperation mit dem Museum Wiesbaden. Diese Ausstellung mit dem Titel "Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts" umfaßte 240 Werke von 58 Künstlerinnen aus Europa und Amerika und wurde vom 1. 9. bis 25.11.1990 im Museum Wiesbaden gezeigt.
Zum Zeitpunkt der Antragstellung für die Studie wie auch der Vorbereitungen zu der Ausstellung war nicht zu ahnen, daß die friedliche Revolution in der ehemaligen DDR und die Vereinigung beider deutscher Staaten dem Projekt für den vorgegebenen Bezugsrahmen der alten Bundesländer den Charakter einer abschließenden Bilanz verleihen würde.
Im folgenden werden einige Ergebnisse der Untersuchungen für den Bereich Bildende Kunst zusammenfassend referiert sowie um eine Darstellung der auf dem Wiesbadener Kongreß dazu erarbeiteten Vorschläge und Forderungen ergänzt.[2]
Für die Bereiche Film und Design läßt sich das meiste dessen, was hier aus Platzgründen nur für den Bereich Bildende Kunst ausgeführt werden kann, analog in ähnlicher Form feststellen. Näheres dazu ist in den unter Fußnote 1 erwähnten Veröffentlichungen dargelegt.

1. Tatsachen

In den Interviews mit Expertinnen wie auch Experten wurde von zahlreichen Befragten die Meinung vertreten, Künstlerinnen seien heute in vielen Bereichen längst in gleichem Maße präsent und akzeptiert wie ihre männlichen Kollegen. Worauf es ankomme, sei die Qualität der Arbeit, die Anerkennung der Leistung komme dann schon von selbst. Zu den zentralen wie zugleich bestürzenden Ergebnissen der Studie gehört die Tatsache, daß diese optimistische Sichtweise in deutlichem Widerspruch zu den Tatsachen steht. Bildende Künstlerinnen sind in vielen und insbesondere den öffendichkeitsrelevanten Bereichen nämlich nach wie vor in weitaus geringerem Maße vertreten, als es den meisten Vermutungen, vor allem aber auch, als es der Qualität ihrer von Fachleuten inzwischen in breitem Umfang anerkannten Arbeit entspricht. Die Skandalchronik der öffentlichen Nichtachtung der künsderischen Leistung von Frauen hat viele Kapitel. Seite um Seite sinkt in diesen Kapiteln der Anteil der Künstlerinnen in Relation zu ihren männlichen Kollegen.
Es beginnt an den Hochschulen, wo in den freien künstlerischen Fächern heute immerhin 46% Studentinnen zu finden sind, in den kunsterzieherischen Studiengängen sogar 74%. Unter denjenigen, die sich nach Abschluß ihres Studiums
imkünstlerischen "Berufsleben" etabliert haben, liegt der Anteil der Frauen nur noch bei rund 34%. Schon in der überregionalen Nachwuchsförderung tauchen im Schnitt nur noch 30% Künstlerinnen auf. Zwischen dem Abschluß des Studiums und den ersten Meriten im künstlerischen Leben ist mithin für Künstlerinnen ein Einschnitt nachweisbar, der wesentlich tiefer reicht als bei Künstlern. Deren Anteil steigt gegenüber 54% im Studium in der Nachwuchsförderung auf 70%.
Stellveruetend für Jahresausstellungen der Künstlerverbände wurden exemplarisch die große Kunstausstellung Düsseldorf, die große Kunstausstellung München und die Jahresausstellungen des Deutschen Künsderbunds untersucht. Künstlerinnen haben in diesen traditionsreichen und um die Jahrhundertwende gegründeten Verbänden für die Vermitdung ihres Werks keine aktive Lobby. Im Durchschnitt der achtziger Jahre liegt ihr Anteil bei den Jahresausstellungen lediglich bei 21,7%.
Wo schon die Künstlerverbände sich zurückhalten, tun die Kunstvereine, die Vermittler zwischen Künstlern und Bürgern, ein übriges: eine Auswertung der
Einzelausstellungen von 84 Kunstvereinen zwischen 1986 und 1988 ergab bundesweit einen Anteil der Künstlerinnen von nur 16,6%. Wieder etwas weniger Künstlerinnen sind es sodann, die zu größeren Gruppenausstellungen in Kunsthallen oder kunsthallenähnlichen Kunstvereinsausstellungen eingeladen werden. Bei 8 solcher Ausstellungen liegt der durchschnittliche Anteil der Künstlerinnen in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre bei 15,9%.
Die Zeitschrift "Kunstforum international" hat unter den 1.155 Besprechungen von Einzelausstellungen in den Jahren 1985 - 1989 insgesamt 160 Ausstellungen von Künstlerinnen gewürdigt, das sind 15,3%. Anteilig wiederum etwas weniger Künstlerinnen tauchen in den Programmen der Galerien auf. Eine Auswertung der in Kunstzeitschriften veröffentlichten Annoncen von 60 Galerien im Jahre 1989 ergibt einen Anteil von durchschnittlich 14% Künstlerinnen, eine Umfrage bei Mitgliedern des Bundesverbands Deutscher Galerien über Künstlerinnen in deren Programmen ebenfalls 14%. Daß in die Galerieszene allerdings Bewegung gekommen ist, wird deutlich an der steigenden Zahl von Künstlerinnen in den Katalogen des Kölner Kunstimarkts ART COLOGNE. Im Durchschnitt der Jahre 1980 - 1984 tauchen dort 7,8% Künstlerinnen mit Namen auf, 1985 - 1989 immerhin 12,5%. Im Katalog der art Frankfurt 1990 sind es 13,3%, viele davon sogar in Einzelkojen präsentiert.
Auf der documenta 7 des Jahres 1982 zeigte Rudi Fuchs 15,1% Künstlerinnen, Manfred Schneckenburger reduzierte 1987 bei der documenta 8 ihren Anteil auf 12,7%.
Anteilig wieder etwas weniger sind es dann im Lexikon "Künstler: Kritisches Lexikon der Gegenwartskunst" mit 10,1% und den Besprechungen von Einzelausstellungen 1985 - 1989 im Kunstmagazin "art" mit 10,0%.
Im Kunstbuchhandel reduziert sich der Anteil der Künstlerinnen bei Monographien auf 8,2%, in DuMont's Künstlerlexikon sind es 7,8%.
Im Verlauf der achtziger Jahre hat es in der Bundesrepublik 12 international bedeutende Großausstellungen gegeben. Dazu gehören die beiden documenta-Ausstellungen 1982 und 1987, die beiden parallelen Skulptur-Ausstellungen in Münster, die beiden Retrospektiven deutscher Kunst in Stuttgart und Berlin sowie die Ausstellungen "Westkunst", "Zeitgeist", "Von hier aus", "Zeitlos", "Bilderstreit" und "Einleuchten". Bei allen Unterschieden in der Konzeption handelte es sich jedesmal um Projekte von hohem kulturpolitischem Stellenwert für die Selbstdarstellung einer Stadt oder einer Region. Untersucht man die Ausstellungen der ersten und der zweiten Hälfte der achtziger Jahre im Hinblick auf den Anteil der daran beteiligten Künstlerinnen, so ergibt sich für die erste Hälfte der Dekade ein Wert von 8,5% und für die zweite Hälfte der Dekade ein Wert von 10,0%.
Bei soviel "Vorarbeit" sehen sich öffendiche Sammlungen kaum noch genötigt, den Auftrag der Überlieferung der Kunst unseres Jahrhunderts an die Nachwelt auch im Hinblick auf das Werk von Künstlerinnen ernstzunehmen. In den Bestands- und Publikumskatalogen von 14 der bedeutendsten Häuser jedenfalls tauchen im Schnitt nur noch 7,3% Künstlerinnen auf Die Bandbreite reicht allerdings vom 1987 herausgegebenen Publikumskatalog der Staatsgalerie Moderner Kunst München mit 0,0% bis zum Katalog des Städtischen Kunstmuseums Bonn mit 16,1%.
Privatsammler "kaufen Namen, nicht Kunst", und es wundert bei dieser Prämisse kaum, daß in 15 Katalogveröffentlichungen über große Privatsammlungen Künstlerinnen im Schnitt nur vertreten sind mit einem Anteil von 7,3%. Populär und weniger populär geschriebene Werke über die Kunst der Gegenwart tragen das ihre dazu bei, Künstlerinnen und ihre Beiträge zur Kunst unseres Jahrhunderts gar nicht erst sichtbar werden zu lassen. In dreien dieser Werke, alle erschienen in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre, werden 586 Künstler, aber nur 41 Künstlerinnen erwähnt, das sind 7,0%. Es nimmt nicht wunder, wenn bei soviel "Vorarbeit" das Werk von Künstlerinnen auf Auktionen im Schnitt des Jahres 1988 nur noch mit 6,2% vertreten ist.
Die FAZ bewegt sich auf einem bereits sehr abgesicherten Felde, wenn sie zwischen 1984 und 1988 neben 688 Einzelausstellungen von Künstlem auch 41 Einzelausstellungen von Künstlerinnen eine Besprechung in ihrem Feuilleton widmet, das sind 5,9%. Ebenso niedrig ist übrigens heute immer noch der Anteil der in den künstlerischen Fächern lehrenden Professorinnen. Auch er liegt bei genau 5,9%.
Wo es an die öffentliche Würdigung großer künstlerischer Leistungen geht, wird die Luft noch ein wenig dünner. 1974 die Stephan-Lochner-Medaille für Sonia Delaunay, 1986 der Arnold-Bode-Preis für Rebecca Horn und 1990 der Jawlensky-Preis für Agnes Martin - aber im übrigen Closed Circuits für 76 männliche Künstler, die zwischen 1949 und 1989 eine der großen deutschen Ehrenauszeichnungen erhielten. Der Anteil der Künstlerinnen liegt mithin bei 3,8%. Bleibt die Popularisierung, die Vermittlung also an ein breites Publikum kunstinteressierter Personen. Das Funkkolleg Moderne Kunst belehrt diesen Personenkreis zunächst einmal mit der Mitteilung: "Man sieht nur, was man weiß", um dann eben dieses Wissen mit Informationen über 173 Künstler und 6 Künstlerinnen aufzufüllen, das entspricht 3,3%. In der Tat: Man sieht nur, was man weiß. Aber was weiß man nach Absolvierung des Funkkollegs Moderne Kunst denn schon über Künstlerinnen?
Da hilft auch die WDR-Serie "100 Meisterwerke aus den großen Museen der Welt" nicht weiter, deren Buchausgabe Meisterwerke von ebenfalls nur 6 Künstlerinnen, aber von 194 Künsdem präsentiert, das sind 3,0%. Und wer sich gar unter Anleitung von "Museumskustos" Fritz J. Raddatz in das "Zeitmuseum der 100 Bilder" begibt, lernt dort: Wenn Autoren und Künstler über ihr liebstes Kunstwerk reden, dann ist es im wahrsten Sinne des Wortes mit hundertprozentiger Sicherheit ein Kunstwerk von der Hand eines Mannes.
Den im Rahmen des Forschungsvorhabens untersuchten Indikatoren zufolge kann man davon ausgehen, daß von jeder öffentlichen Mark, die in die Förderung der bildenden Kunst fließt, mindestens DM 0,85 der Produktion und Präsentation des Werkes von Männern zugute kommen und höchstens DM 0,15 derjenigen des Werkes von Frauen. Und es geht dabei ja um Millionensummen. Wenn man sich vergegenwärtigt, daß jede öffentliche Präsentation und Würdigung künstlerischer und kultureller Leistungen immer auch eine Förderung der beteiligten Künstlerinnen und Künstler beinhaltet und somit immer auch ihrerseits zur Voraussetzung und Förderung neuer Leistungen wird, so bedeutet dies, daß die öffentliche Kunst- und Künstlerförderung in der Bundesrepublik derzeit überwiegend als Männerförderung betrieben wird.
Ob solche extremen Ungleichgewichte sich noch mit dem Verfassungsgebot der Gleichberechtigung in Einklang bringen lassen, gehörte nicht zu den Untersuchungsaufgaben im Rahmen des Forschungsprojekts. Tatsache ist jedoch, daß die öffentliche Kunst- und Kulturförderung sich mehr und mehr der Frage stellen muß, inwieweit es kulturpolitisch auch fürderhin vermittelbar bleibt, daß der größte Teil aller Summen, mit denen auf Bundes-, Landes-, kommunaler- und steuerlich begünstigter Ebene die Kunst und die Kultur gefördert werden, in die Förderung des künstlerischen Werkes von Männern fließt, oder ob sich öffentliche Kunst- und Künstlerförderung nicht dezidierter als bisher auch als Förderung der Kunst von Künstlerinnen zu begreifen hat.

2. Hintergründe

Fragt man nach den Gründen für die hier an ausgewählten Beispielen belegte geringe Repräsentanz von Frauen in den künstlerischen und gestalterischen Berufen, so muß etwas weiter ausgeholt werden. Zu unterscheiden ist zwischen

  • - Faktoren, die in den Strukturen und Prioritätensetzungen der Kunst- und Kulturförderung, spezifischen Mechanismen der Lobbybildung wie auch in den Anforderungen des künstlerischen Arbeits- und Berufslebens selber liegen,
  • - Faktoren, durch die sich in den künstlerischen Berufen die Vereinbarkeit von Beruf und Familie schwieriger gestaltet als in anderen Lebensbereichen sowie
  • - Faktoren der Persönlichkeitsprägung durch die Erziehung im Elternhaus, die Ausbildung in der Schule und das Studium an der Hochschule.

Statt "open mind": immer noch "Closed Circuits" gegenüber dem Werk von Künstlerinnen
Die Werbebranche erhält viel Geld dafür und tut sich viel darauf zugute, Produkte und Dienstleistungen, die am Markt noch unbekannt sind, phantasievoll ins Bewußtsein der Verbraucherinnen und Verbraucher zu rücken. Für die Nachwuchsförderung im Breiten- wie im Spitzensport werden jährlich von öffentlicher und privater Seite Millionensummen aufgebracht. Niemand käme
auf die Idee, von "unseren Jungs" oder von "unserer Steffi" zu erwarten, ständige sportliche Hoch- und Höchstleistungen allein kraft ihrer Begabung zu vollbringen. Jeder weiß, daß dazu hartes und regelmäßiges Training sowie vollständige zeitliche und finanzielle Freistellung von anderen Verpflichtungen notwendig sind.
Ähnliches gilt für die Wissenschaft. Der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Professor Dr. Hubert Markl, stellte seinen Festvortrag anläßlich des Colloquiums "40 Jahre Forschung in der Bundesrepublik Deutschland" 1989 unter das Motto "Wer an der Förderung von Talenten spart, spart sich arm" und forderte mehr Expansion und Risikofreude bei der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses.
Nun sind Qualitätskriterien im Sport und in der Wissenschaft meßbar und objektivierbar, in der Kunst ist das wesentlich komplizierter oder stellt sich zumindest für Außenstehende so dar.
Was deshalb für die Bereiche des Marketing, des Sports oder der Wissenschaft längst als selbstverständlich gilt, daß nämlich Qualität sich nicht von allein durchsetzt, sondern der Förderung wie auch der Vermittlung gegenüber der Öffentlichkeit bedarf, das ist in der Kunst noch lange nicht selbstverständlich. Allzu verbreitet ist dagegen nach wie vor die romantische Illusion vom Genie, das sich am besten dadurch entwickele, daß es wie weiland Spitzwegs Poet in der Dachkammer oder wie das bunte Häuflein der Pariser Boheme in Puccinis gleichnamiger Oper zu leben habe. Je brotloser die Kunst, umso hehrer und umso höher ihre Qualität - solche Vorstellungen haben sich im Laufe der siebziger und achtziger Jahre zwar etwas relativiert, gehören aber nach wie vor zu den weitverbreiteten Vorurteilen nicht nur unter Laien. Es beinhaltet, daß im allgemeinen nicht anerkannt wird, in welchem Maße jede Ausstellungsbeteiligung, jede Würdigung durch eine Auszeichnung oder einen Preis, jeder geförderte Film, jeder erfolgreiche Design-Entwurf selber wieder zur Voraussetzung neuer künstlerischer Leistung werden. Und zwar weit über den Zeitrahmen der eigentlichen Nachwuchsförderung hinaus, sozusagen durch das ganze Berufsleben hindurch. Wer sich erst einmal innerhalb der spiralförmigen Bahn dieser Förderung befindet, erfährt dadurch sozusagen eine automatische Beschleunigung. Die draußen sind, haben es dagegen ungleich schwerer, voranzukommen. Die Tatsache, daß der Vermittlung der künstlerischen und kreativen Leistung von Frauen im Vergleich zu derjenigen der Männer nur verschwindend geringe öffentliche und private Summen zufließen, ist demzufolge nicht nur Resultat einer Leistungsselektion sondern gleichzeitig deren ständige Voraussetzung.
Daß dieser Zusanunenhang im allgemeinen nicht erkannt wird, hat im Hinblick auf die Würdigung der künstlerischen Leistung von Frauen erhebliche negative Auswirkungen. Denn der Leistungsvergleich zwischen Männern und Frauen basiert im Felde der Kunst und Gestaltung auf unterschiedlichen Voraussetzungen: dort ein künstlerisches Werk, welches nicht nur aufgrund persönlicher Begabung, sondern zugleich auch aufgrund erheblicher Förderung zustandekommt, hier der
Anspruch, die gleiche oder eine weitaus höhere Leistung ohne die gleiche Förderung zu erbringen. "Es ist", so formulierte es einmal eine der Expertinnen, "als würde man von Steffi Graf die gleichen Erfolge wie von Boris Becker verlangen, nur bei ihr ohne und bei ihm mit Trainer."
Die Auswertung der Indikatoren zur Repräsentanz von Künstlerinnen im Kunst- und Ausstellungsbetrieb macht demgegenüber deutlich, daß den bisher mehr oder minder bekannten Gründen für die geringe Repräsentanz von Künstlerinnen im Kunst- und Ausstellungsbetrieb das Argument der Closed Circuits hinzuzufügen ist, der geschlossenen Kreise, deren Wirkungsmechanismen auf subtilste Weise dazu beitragen, daß ihr Werk auch dann verborgen und unbekannt bleibt, wenn es sich dank seiner Qualitäten eigentlich "von selbst" durchsetzen müßte.

Eine Rolle spielen dabei auch folgende Faktoren:

In der Bildenden Kunst gibt es - wie in anderen Berufen auch - ausgeprägte formelle und informelle Lobbybildungen. Sie reichen von Verbänden über die Presse und die anderen Medien bis in den Kunstbetrieb. Und sie funktionieren bis heute mehr oder minder überwiegend zulasten der Frauen und zugunsten der Männer. Ein Beispiel dafür ist der Deutsche Künstlerbund, der mit 15% weiblichen Mitgliedern eher als Männerbund anzusehen ist. Mit dem selbstformulierten Anspruch, gegenüber der Kulturpolitik der einzig fachkompetente Berater zu sein, wird er seit Jahrzehnten bei zahlreichen Entscheidungen über öffentliche Ankäufe wie auch über Aufträge für Kunst im öffentlichen Raum zu Rate gezogen. Es ist seinen überwiegend männlichen Vertretern nicht einmal vorzuwerfen, daß ihnen im Rahmen dieser Beratung häufiger Künstler als Künstlerinnen auf- und einfallen. Problematisch ist es aber, daß Künstlerinnen ihrerseits keine vergleichbare Lobby haben und ihr Rat in den jeweiligen Auswahlgreniien auch wenig gefragt ist. Bei den Untersuchungen fiel jedenfalls eines auf: Dort, wo Juryzusammensetzungen sich eher an Funktionen denn an Qualifikationen orientiert haben, ging dies eher zulasten der Frauen. Deren Werk wird oft einfach vergessen".
Vergessen werden die Leistungen von Künstlerinnen auch von Seiten derjenigen Disziplin, die sich sonst so viel auf ihre Objektivität zugute hält: von der Kunstwissenschaft. Kunsthistoriker haben, betrachtet man die Geschichte dieser Disziplin, nicht wenige Versuche unternommen, den Frauen künsderische Fähigkeiten abzusprechen, und sie haben durch ihre Auslassungen in erheblichem Maße dazu beigetragen, daß das Werk von Künstlerinnen heute, gemessen an seiner Qualität und Bedeutung, noch weitgehend unbekannt ist. Kunsthistoriker aber schreiben nicht nur Kunstgeschichte, sondern besetzen in Juries, im Ausstellungsbetrieb und in der Kunstberichterstattung auch viele Schaltstellen der Macht. Auch dort haben viele Vertreter dieser Disziplin - glücklicherweise nicht alle! - dazu beigetragen, daß dem Werk von Künstlerinnen bis heute nicht die ihm gebührende Aufmerksamkeit zuteil geworden ist.
Last but not least: Zahlreiche Künstlerinnen hegen ein - berechtigtes oder unberechtigtes - Mißtrauen gegenüber diesen auf persönlichen Kontakten beruhenden und nur schwer verobjektivierbaren Strukturen der Entscheidungsfindung im Kunstbetrieb. Manche Frauen, so wurde in den Interviews kritisch vermerkt, ziehen daraus häufig den Schluß, sich an diesem Geschäft gar nicht erst zu beteiligen und sich ihm zu verweigern, sehen jedoch nicht, welches finanzielle Ausmaß und welche Konsequenzen dieser Verzicht hat. Oder, und auch dies wurde mehrfach kritisch vermerkt, sie verlangen von sich selber auch nicht immer jenes Maß an Professionalität, durch das sich in der Tat nun einmal die Kunst von der Freizeitbeschäftigung unterscheidet.

Kinder gehören nicht zum Image ... oder über die (Un)vereinbarkeit von
künstlerischer Arbeit und Familie

Wie wenig andere bieten die kreativen Berufe ihren Mitgliedern ein hohes Maß an Selbstverwirklichung und Entfaltung gestalterischer Fähigkeiten. Der Preis dafür ist hoch: ob eine Gesellschaft bereit ist, die kreative Leistung ihrer Künstlerinnen und Künstler anzuerkennen und zu honorieren, ist von Fall zu Fall höchst ungewiß, in den Biographien wechseln Phasen der ideellen und materiellen Anerkennung und Phasen der Nichtbeachtung und des wirtschaftlichen Abstiegs einander häufig ab. Für Frauen, so wurde immer wieder hervorgehoben, steht das Leben in diesem Wechselbad von Anerkennung und Mißachtung zumindest bislang im Widerspruch zu den kontinuierlichen Verantwortungen, die sich aus familiären Bindungen und aus der Kindererziehung ergeben. Kunst und Kinder - für viele der Befragten schließt sich das nach wie vor aus, zumindest für eine gewisse Zeit.
Hinzu kommt ein weiterer Aspekt. Künstlerische Arbeit vollzieht sich "in Totalzeiten", läßt sich nicht in die Regularien eines Siebeneinhalb-Stundentags pressen. Sie beansprucht nicht temporär, sondern ganzheitlich, erfordert sozusagen die völlige Freistellung von anderen Verpflichtungen, innerlich wie äußerlich. Und da entsteht ein Widerspruch zum ihrerseits ganzheitlichen Anspruch von Kindern und Familie. Künstlerische Arbeit macht es darüberhinaus häufig notwendig zu reisen: zur Ideenfindung, zur Erarbeitung eines Projekts, zum Ort einer Ausstellungsvorbereitung, zu den Dreharbeiten eines Films, zu potentiellen Auftraggebern. Diese Reisen sind - neben allen ihren Kosten - nur möglich, wenn zu Hause keine Pflichten bestehen oder wenn diese Pflichten zumindest temporär abgegeben werden können.
Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, so die nahezu einhellige Aussage zahlreicher Expertinnen und Experten, gestaltet sich schon allein aus diesen drei Gründen in der Kunst für Frauen schwieriger als in vielen anderen Berufen.
Hinzu kommt die mangelnde gesellschaftliche und berufliche Akzeptanz, die den Frauen mit Kindern in diesen Berufen entgegengebracht wird: viele von ihnen verheimlichen den Interviews zufolge ihren Auftraggebern, Galeristen, Sammlern
oder auch der Öffentlichkeit gegenüber, daß sie Kinder haben, denn dies, so glauben sie, würde sich möglicherweise imageschädigend auswirken.
Aber, und auch das zeigen die Ergebnisse, in den achtziger Jahren geben sich viele Frauen der jüngeren Generation nicht mehr damit zufrieden, sich zwischen Kunst und Kind entscheiden zu müssen. Die jungen Frauen wollen beides. Sie wollen Kinder, und sie wollen Kunst.
In der wichtigen und für den späteren künstlerischen Erfolg so entscheidenden Phase nach Abschluß des Studiums ergibt sich daraus für Frauen nicht nur eine Doppel-, sondem eine Dreifachbelastung: sie müssen ihre künstlerische Arbeit entwickeln, sie müssen sich um deren Vermittlung kümmem, und sie sind just in dem Alter, in dem sich für sie die Frage nach einem oder mehreren Kindern stellt. Insofern nimmt es nicht wunder, daß in den ersten Jahren nach dem Abschluß des Studiums in den künstlerischen Berufen die "Schwundquote" unter den Frauen höher ist als unter den Männern. Die bessere Vereinbarkeit von Kunst und Kindern zu ermöglichen, ist nicht nur eine Aufgabe der Familien und der Generation der "neuen Männer" unseres Landes, sondern auch eine Aufgabe der Künstlerinnenförderung und der Familienpolitik.
Dafür ein Beispiel: die meisten Stipendien der Künstlerförderung orientieren sich unausgesprochen an der männlichen Norrnalbiographie, der zufolge Berufsentscheidungen früh getroffen werden und der vollen Konzentration auf die Arbeit keine familiären Verpflichtungen wie Haushaltsführung und Kindererziehung entgegenstehen. Um begabten Künstlerinnen eine vergleichbare Förderung zuteil werden zu lassen, bedarf es neuer und besonderer Stipendienformen inclusive der Heraufsetzung der Altersgrenzen bei den bereits bestehenden Stipendien. Bis hin zu denkbaren Erweiterungen der Künstlersozialgesetzgebung sind weitere Maßnahmen denkbar, die dazu beitragen könnten, mehr Frauen als bislang wie natürlich auch der Generation der "neuen Männer" - die Vereinbarkeit von Kunst und Familie zu erleichtern. Daß diese Maßnahmen nicht zum Nulltarif zu haben sind, sollte allerdings von vornherein klar sein. Wie sehr im übrigen die Vereinbarkeit von Kunst und Kindern ein Problem auch der gesellschaftlichen Anerkennung und Unterstützung ist, wird am Vergleich der Generationen deutlich:
Die noch im 19. Jahrhundert geborenen Avantgarde-Künstlerinnen der zwanziger Jahre verstanden sich meist bewußt als Außenseiterinnen der Gesellschaft. Es war eine kleine Gruppe und ihr wurde, wenn überhaupt, erst späte Anerkennung zuteil. Kinder hatten die wenigsten dieser Pionierinnen. Künstlerinnen der Geburtsjahrgänge 1910 bis 1940 hatten es wegen der beiden Weltkriege und der verheerenden Auswirkungen der nationalsozialistischen Diktatur im Hinblick auf die Vereinbarkeit von Kunst und Kindern eher noch schwerer als ihre Vorgängerinnen. künsderischen Entfaltungsmöglichkeiten, die wir heute als selbstverständlich ansehen, erneut zu erkämpfen. Auch unter den Künstlerinnen dieser Altersjahrgänge sind nur sehr wenige, denen es gelang, Kunst und Kinder in einer für sie selber befriedigenden Weise miteinander zu vereinbaren. Erst für die ganz junge Generation der nach 1960 Geborenen sind diese Möglichkeiten bereits eine so selbstverständliche Lebens- und Arbeitsbedingung geworden, daß viele von ihnen gar nicht mehr sehen, unter welch schwierigen Bedingungen die Generation vor ihnen ihre Lebensentscheidungen für die Kunst und mit der Kunst zu treffen hatten. Sie wollen beides: Kunst und Kinder, Kinder und Kunst.

"Cézanne - she was a good painter" oder die Rolle der Leitbilder in der Ausbildung

Zahlreichen Expertengesprächen wie auch früheren Untersuchungen der Arbeitsgruppe Kunst zufolge stellen sich in den künstlerischen Berufen Erfolge nicht allein aufgrund der Qualität der künstlerischen Arbeit ein, sondem es geht jedesmal auch darum, diese Arbeit auch zu vermitteln.
Zu den Voraussetzungen, um dies zu können, gehören Selbstvertrauen und die Bereitschaft und Fähigkeit, eigene Arbeitsresultate nach außen hin überzeugend darzustellen.
In zahlreichen soziologischen und psychologischen Untersuchungen wurde nachgewiesen, daß die Sozialisation im Elternhaus und in der Schule Mädchen im lünblick auf den Erwerb dieser Eigenschaften und Fähigkeiten jahrhundertelang benachteiligt hat und dies teilweise auch heute noch tut. Die Frage lautet, welches Ausmaß an Konsequenzen diese ungleiche Erziehung in den künsderischen und gestalterischen Berufen hat. Aufgrund der Expertengespräche läßt sich ermessen, daß den beiden Eigenschaften des Selbstbewußtseins und der Darstellungs- und Überzeugungskraft große Bedeutung für die Vermittlung der künsderischen Arbeit zugesprochen wird. Wo diese beiden Eigenschaften unentwickelt bleiben, kann dies nicht ohne Auswirkungen auf den Erfolg der Arbeit sein. Eine Erziehung im Kindes- und Jugendalter, die den Frauen zu wenig Selbstbewußtsein und Darstellungsverinögen vermittelt, wirkt sich mithin in künstlerischen Berufen in besonderem Maße erfolgshemmend aus.
Eine weitere Frage hat dahin zu gehen, wie sich die beschriebenen Eigenschaften in der Erziehung und Ausbildung vermitteln. Auch dazu gibt es Studien, in denen neben anderen Faktoren immer wieder auf die Bedeutung persönlicher Vorbilder oder Leitbilder hingewiesen wird. Daß solche persönlichen Vorbilder gerade in den künsderischen Berufen große Bedeutung haben müssen, weil hier das visuell, emotional und persönlich vermittelte Lernen eine noch größere Rolle spielt als beispielsweise schon beim Vokabeln lernen oder in der Mathematik, nimmt nicht wunder. Das Ausmaß, in dem auf die Bedeutung dieser Vorbilder und Leitbilder in den Expertengesprächen immer wieder hingewiesen wurde, war gleichwohl überraschend. Ebenso überrraschend war, in welchem Maße das Fehlen weiblicher Vorbilder an den Hochschulen, also im Studium, immer wieder als besonderer Mangel hervorgehoben wurde.
Welche Bedeutung solche Vorbilder haben, kann also anscheinend gar nicht genug betont werden.
Der große Stellenwert der Vorbildfunktion scheint damit zusammenzuhängen, daß all jene Faktoren, die zusätzlich zur künstlerischen Begabung erforderlich sind, um später als Künstlerin oder Künstler eine Existenz aufzubauen, hochkomplexe Habitusqualitäten sind. Sie reichen von einer allgemeinen »künstlerischen Haltung« über Fähigkeiten zur Selbstdarstellung bis hin zu den verschiedensten organisatorischen und Managementqualitäten , aber sie lassen sich nur schwer analytisch zerlegen oder gar in »Lernziele« fassen, sondern vermitteln sich am ehesten durch das beispielhafte Verhalten der Lehrenden. Es handelt sich dabei also nicht um "Lehrstoff" im traditionellen Sinne, sondern um etwas, was Kunstprofessoren ihren Studentinnen und Studenten selber vorleben und was sie durch Beispiele und Einblicke in ihr eigenes persönliches Leben preisgeben. Ein großer Teil der Professoren scheint sich bei der Weitergabe dieser speziellen Art von "Herrschaftswissen" bewußt oder unbewußt eher auf Studenten denn auf Studentinnen zu konzentrieren.
Nun sollen keineswegs die Verdienste all jener Kunstprofessoren geschmälert werden, die sich seit Jahrzehnten intensiv um die Förderung von Kunststudentinnen bemüht haben und bei denen die bedeutenden Künstlerinnen und Professorinnen von heute ausgebildet worden sind. Zu den bedeutendsten von ihnen gehörte ohne Zweifel Joseph Beuys, der, wie immer wieder zu hören ist, "den Männern das Machogehabe abgewöhnt hat" und bei dem viele Künstlerinnen von Rang studiert haben. Unbeschadet dieser Verdienste ist die Bedeutung weiblicher Leitbilder in den künstlerischen Berufen sicherlich ein zentraleres Thema als beispielsweise in den naturwissenschaftlichen Fächern.
Dazu drei Beispiele aus den Interviews:

  • Künstlerinnen, die erfolgreich sind, hatten den Gesprächen, Interviews und Biographien zufolge oftmals starke Frauen als Vorbild, wenn nicht als Professorin, so doch im Familien- und Freundeskreis. Frauen zum Kraft schöpfen, zum Mut machen. Frauen, die einen außergewöhnlichen und Energien fordernden Lebenswandel vorgelebt haben.
  • Carolee Schneemann, Fluxuskünstlerin, traute sich zu, Malerin zu werden, weil sie ein großes und - vermeintlich - weibliches Vorbild hatte: Cézanne, von dem sie als Kind wegen der Namensendung "anne" glaubte, er sei eine Frau. Was die konnte, wollte sie auch können
  • Professorinnen und Gastprofessorinnen berichten, daß ihre Studentinnen ganz "ausgedürstet" danach seien, am konkreten Beispiel zu sehen, wie man als Künstlerin lebt und das schafft, wie man Kunst also nicht nur studiert, sondern in einen Lebensplan umsetzt und gegen alle Widerstände durchhält.

Für das Studium künstlerischer und gestalterischer Fächer ergeben sich daraus erhebliche Konsequenzen. Denn im Verlauf der achtziger Jahre ist der Anteil der Studentinnen in der freien bildenden Kunst von 40% auf 46% und in der Kunsterziehung von 65% auf 74% gestiegen.
Je mehr Frauen sich für ein Studium in einer künstlerischen oder gestalterischen Fachrichtung entscheiden, desto deutlicher wird jedoch die Diskrepanz zwischen dem Frauenanteil im Studium und dem Frauenanteil in der Lehre.
Im Wintersemester 1989/89 waren von 220 Professuren im Fach freie bildende Kunst 13 mit einer Frau besetzt, das sind 5,9%.
An einigen Hochschulen und Fachbereichen gibt es bislang keine einzige Professorin in den künstlerischen und gestalterischen Fächern, andernorts ruht der ganze hohe Erwartungsdruck auf einer einzigen Frau. Um unter den Professorinnen auf den gleichen Frauenanteil wie unter den Studentinnen zu kommen, müßten im Fach Bildende Kunst bei 88 Neubesetzungen von Professuren ausschließlich Frauen berufen werden.
Für die Bildungspolitik ergibt sich daraus die Aufforderung, über Möglichkeiten nachzudenken, den Frauenanteil bei Professuren in den künsderischen und gestalterischen Fächern beschleunigt zu erhöhen.

3. Forderungen

Aus den Interviews mit Künstlerinnen und Expertinnen ergaben sich eine Reihe von Vorschlägen für bildungs- und kulturpolitisch sinnvoll erscheinende Maßnahmen zur Verbesserung der Situation und der Resonanz auf das künstlerische und gestalterische Werk von Frauen. Auf dem Wiesbadener Kongreß bot sich die Möglichkeit, diese Vorschläge zu erörtern und um zahlreiche weitere Aspekte zu ergänzen. Wegen der Vielfalt der Probleme und Problemhintergründe handelt es sich auch um vielfältige Vorschläge und Forderungen, die sich an Adressaten auf Bundes-, Länder- und kommunaler Ebene ebenso wenden wie an öffentlichrechtliche und private Institutionen und Personen. Im folgenden werden die wichtigsten dieser Vorschläge und Forderungen - erneut konzentriert auf den Bereich Bildende Kunst - zusammengefaßt wiedergegeben.[3]
Gefordert wurden mehr Mittel für das künstlerische Werk von Frauen:

  • Für Künstlerinnen aller Sparten müssen perspektivisch ebensoviel öffentliche Mittel zur Verfügung gestellt werden wie für Künstler.
  • Es muß mehr Ankäufe von Werken zeitgenössischer Künstlerinnen geben, die öffentliche Hand muß sich verpflichten , das Werk von Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts in geeigneter Form der Nachwelt zu überliefern (diese Forderung richtet sich auch an Museen und Ankaufskommissionen).
  • Es müssen mehr öffentliche Aufträge an Künstlerinnen vergeben werden.
  • Künstlerinnen müssen verstärkt zu Gruppenausstellungen von Kunstvereinen, Kunsthallen, Museen und zu kulturpolitischen Großprojekten eingeladen werden (Die Forderung geht an die Adresse aller für solche Ausstellungen Verantwordichen in Kunst und Kulturpolitik).
  • Kunstvereine, Kunsthallen und Museen müssen mehr Einzelausstellungen für Künstlerinnen veranstalten.
  • Einzelkataloge für Künstlerinnen müssen besonders gefördert werden, wenn ein Ausstellungsinstitut eine Einzelausstellung vorbereitet.
  • Der Ankauf von Werken von Künstlerinnen durch private Sammler muß steuerlich gefördert werden.

Zugleich bedarf es einer größeren Öffentlichkeit für das Werk von Frauen in der Kunst:

  • Ausstellungsprojekte und Festivals der neunziger Jahre müssen mehr Werke von Künstlerinnen präsentieren und dadurch eine stärkere Öffentlichkeit für das schöpferische Werk von Frauen herstellen.
  • Es sollten Preise gestiftet werden, die in ihrem Namen großen Künstlerinnen verpflichtet sind (Vorbild: der Judith-Leyster-Preis in den Niederlanden
  • Die Debatte um Qualitätsbegriffe in der Kunst und um die Kunstkritik muß intensiviert werden mit dem Ziel, zu einer stärkeren öffentlichen Würdigung der künstlerischen Leistungen von Frauen zu gelangen.
  • Es müssen mehr Mittel bereitgestellt werden, um die Öffendichkeitsarbeit für das künstlerische und gestalterische Werk von Frauen zu verstärken.

Frauen müssen auch in den Beratungsgremien stärker berücksichtigt werden.

  • In Juries, Beratungsgrernien, bei Wettbewerbsnormierungen, Stipendienvergaben etc. ist die Beratungskompetenz von mehr Frauen heranzuziehen.
  • Die meisten Vergabegremien besitzen ein strukturell bedingtes männliches Übergewicht und müssen daher auch strukturell zugunsten von mehr Frauen reformiert werden.

Forschung und Weiterbildung ist zu intensivieren:

  • Die Forschung über Künstlerinnen und ihre Werke und die Veröffentlichung der Ergebnisse dieser Forschung muß intensiviert werden.
  • Der wissenschaftliche und philosophische Diskurs um den Beitrag von Künstlerinnen aller Sparten zur zeitgenössischen Kunst und um Qualitätsbegriffe in der Kunst muss verstärkt werden.
  • Die Zeit ist reif für eine Bestandsaufnahme und Erneuerung der Diskussion um den Feminismus in der Kunst.
  • An Schulen, Hochschulen und Institutionen der Weiterbildung verwendete Lehnmterialien müssen im Hinblick auf die Sichtbarmachung des Beitrags von Künstlerinnen aller Sparten ergänzt werden.
  • Das gleiche gilt für die Erwachsenenbildung und die Museumspädagogik, für Fernstudiengänge und Funkkollegs.
  • Projekte der kulturellen Bildung müssen sich verstärkt um die Vermittlung des Werkes von Künstlerinnen kümmern.
  • Öffentliche und öffentlich geförderte Institutionen müssen zu regelmäßiger Berichterstattung über die Berücksichtigung der künstlerischen und gestalterischen Leistungen von Frauen verpflichtet werden.
  • Die Hochschul- und Berufsstatistik muß umstrukturiert werden mit dem Ziel, zu praxisgerechteren Daten zu kommen, bisherige Bezugsgrößen statistischer Berichterstattung sind ggfs. zu revidieren.

Die Ausbildung ist zu verbessern und die akademische Qualifikationspyramide ist abzubauen:

  • Das vom Bundesminister für Bildung und Wissenschaft vorgeschlagene 700-Millionen-DM-Sonderprogramm für die Förderung von Nachwuchswissenschaftlerinnen an Universitäten darf nicht an den Kunsthochschulen vorbei gehen (hier sind die Länder gefragt).
  • In den künstlerischen und gestalterischen Fächern müssen dringend mehr Professorinnen berufen werden.
  • In den künstlerischen und gestalterischen Fächern muß der Mittelbau verstärkt werden.
  • Es müssen mehr Gastprofessuren an Künstlerinnen vergeben werden.
  • Es müssen Ringvorlesungen von Dozentinnen eingerichtet werden.
  • Es müssen flexible Stipendien eingerichtet werden, die der weiblichen Biographie gemäßer sind als die meisten der bestehenden Fonds (z.B. Graduiertenstipendien).
  • Die Hochschulen müssen für den Übergang zwischen Studium und Beruf Beratungsangebote machen und die Kontakte zur Praxis verstärken.
  • Es müssen Netzwerke und Kontaktmöglichkeiten für die Zeit nach dem Ende des Studiums aufgebaut werden.

Familienfreundliche Fördermodelle sind zu entwickeln, und die soziale Absicherung ist zu verbessern:

  • Es müssen Modelle für einen familienfreundlichen und flexiblen Übergang zwischen Studium und Beruf entwickelt werden.
  • Alle Institutionen der Künstlerförderung müssen ihre Satzungen im Hinblick auf familienfeindliche Altersgrenzen überprüfen und ggfs. familienfreundlicher gestalten.
  • Das Leistungsbild der Künstlersozialversicherung muß im Hinblick auf die Bereiche Kindererziehung, Krankentagegeld und Rente deutlich erweitert werden.

Umgehend wurde auch eine Bestandsaufnahme der Situation von Künstlerinnen, Filmemacherinnen, Designerinnen und der Künstlerinnen weiterer Sparten in der ehemaligen DDR und der besonderen Bedingungen ihrer Arbeit im Übergang zur deutschen Einheit für erforderlich gehalten.

Indikatoren für die Repräsentanz von Künstlerinnen im Kunst- und usstellungsbetrieb der Bundesrepublik (Auswahl)

           

           

                                                         

 

Autor(en)

Texttyp

Kulturpolitische Studien