Kritik der rhetorischen Strategien

Die im Rahmen der bürokratisch-effektiven Strategien naturwüchsig entstehende instrumentelle Betrachtung des alltäglichen Lebenszusammenhangs der Frauen wird auch in den oppositionellen Strategien nicht aufgehoben.[48] ob dies nun angesichts der politischen Apathie vieler Frauen eine zwangsläufige Entwicklung ist oder nicht: von den oppositionellen, an Emanzipation der Frau orientierten Strategien wird kaum mehr als Legitimationsproduktion für das jeweils auf einem Sektor des weiblichen Lebenszusammenhangs (Haushalt, Lohnarbeit etc.) sich aufbauende Lager betrieben.

Anmerkung zu 48:

  • Die bürokratisch-effektiven Strategien werden in der Literatur zur Frauenfrage im allgemeinen als »bürgerlich« bezeichnet, weil sie zahlreiche Forderungen der bürgerlichen Frauenbewegung übernehmen, wie sie in der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg von den bürgerlichen Frauenverbänden etwa in Deutschland vertreten wurden. Die Bezeichnung »bürgerliche Strategie« ist richtig, sofern die bürgerlichen Frauenverbände auf Reform im Rahmen der gegebenen gesellschaftlichen Ordnung drängten: Reform des Vermögensrechts, des Ehe- und Scheidungsrechts, des Fürsorgewesens, Zugang zu traditionell männlichen Berufslaufbahnen etc. Irreführend ist diese Bezeichnung jedoch, wenn sie die proletarische Frauenbewegung als diesen Forderungen prinzipiell entgegengesetzt auffaßt. Es genügt dann die verbale Betonung des sozialistischen Fernziels und das Bekenntnis, daß die Unterdrückung der Frau im ökonomischen wurzele, um zu einer entschiedenen Abgrenzung von den »bürgerlichen« Gruppen zu kommen. Vergleicht man aber die inhaltlichen Forderungen beider Gruppen, so erscheint der Unterschied weniger gravierend. - Die inhaltliche Erweiterung besteht zunächst in der Erweiterung der Gleichheit der Lohnarbeiterin mit dem Lohnarbeiter, also ebenfalls in einem bürgerlichen Prinzip. Die weitergehenden Forderungen wie die nach Sozialisierung und Kommerzialisierung der Haushaltproduktion stehen ebenfalls im Rahmen bürgerlicher Vorstellungen. Die Behauptung, eine solche Umorganisation der Haushaltproduktion sei aufgrund der kostenintensiven Arbeit, die damit verbunden sei, nur im Rahmen einer sozialistischen Planung möglich, ist unzureichend. Sie ist abhängig von der Größe des Sozialprodukts einerseits und dem Interesse an der Einbeziehung weiblicher Arbeitskräfte in den Produktionsprozeß andererseits. Eine Auflösung traditioneller Haushaltproduktion wäre auch unter kapitalistischen Bedingungen vorstellbar. Das Lippenbekenntnis zum Sozialismus verträgt sich ausgezeichnet mit bürgerlich-reformistischer Praxis. Diese Unterscheidung von »bürgerlich« und »sozialistisch« ist eine bloß rhetorische.

Verwendet werden wissenschaftliche Modelle und Modelle des Kampfes, die in bestimmten historischen Situationen der Frauenbewegung bedeutsam waren: Ökonomismus, beruhend auf der proletarischen Frauenbewegung als Teil der Arbeiterbewegung (von den 1890er Jahren bis zum Zweiten Weltkrieg); Antipatriarchalismus im Kampf um die Durchsetzung der bürgerlichen Rechte für die Frau seit der Französischen Revolution. Diese wissenschaftlichen Ansätze und praktisch-politischen Interpretationen bleiben jedoch heute - aus ihrem politischen Zusammenhang gelöst - bloße Rhetorik.
Wir haben bereits darauf hingewiesen, daß zwischen den bürokratisch-effektiven Strategien und den verselbständigten rhetorischen ein wesentlicher Unterschied besteht: das an Effektivität orientierte, instrumentelle Handeln und Planen der Bürokratien ist pragmatisch an der Verbesserung der äußeren Umstände im weiblichen Lebenszusammenhang orientiert, während die rhetorischen Strategien im Alltag sich eher als unbrauchbar erweisen:

»Strategien wären Wahnsysteme, wenn sie fingierten, das in die Zukunft projizierte und in allen Details ausgemalte Andere könne in jeder Hinsicht schlagartig in die Welt gesetzt werden. Vieles in den vorgefundenen Umständen wird auch in und nach kollektiver Praxis fortgeschleppt werden oder weiterwirken. Unter dieser Voraussetzung ist das richtige oder falsche Bewußtsein repetitiver Verläufe, sich wiederholender Ereignisse, ein zentrales Thema von [sich nicht verselbständigender, U. P.] Strategie. Dieser steht nicht alles zur praktischen Verfügung, wofür die Abhängigkeit vom Stand der Produktionskräfte nur ein Beispiel ist.[49]

Daß Probleme der Emanzipation trotz weitverbreiteten Unbehagens, trotz verbreiteter Unzufriedenheit der Frauen außer bei einer relativ begrenzten Gruppe der Mittelschicht keinen Anklang finden, liegt auch daran, daß die Strategien, wo sie sich nicht zu bürokratisch-effektiven verselbständigen, sich eben rhetorisch verselbständigen statt die konkreten Probleme, die repetitiven Verläufe, die sich wiederholenden Ereignisse im weiblichen Lebenszusammenhang zu thematisieren. Da der Mensch nur einmal lebt, ist ihm berechtigterweise das Hier und Jetzt seiner realen Lebensqualität wichtig. Dies betrifft die gesamten Strukturbereiche von Arbeit und Freizeit mit ihren näheren Bestimmungen, die von den Parteien und Verbänden mehr oder weniger effektiv verwaltet werden, jedenfalls soweit die Individuen als Objekte (Wähler, Konsumenten) in Betracht kommen. Der Tatsache, daß die Probleme von Produktion und Distribution wenigstens technisch effektiv gelöst werden müssen, daß sie nicht subjektiver Lust und Unlust überlassen bleiben können, haben rhetorische Sprachspiele nichts entgegenzusetzen.[50]

Anmerkung zu 50

  • Das Verhältnis von revolutionärer politischer Organisation und feministischen Vorstellungen von der Veränderung der sozialen Beziehungen war auch vor dem Zweiten Weltkrieg und dem Übergang zum organisierten Kapitalismus Gegenstand von Fraktionskämpfen: innerhalb der bürgerlichen Frauenbewegung ging es vor allem um die Einstellung zur Ehe, zur unehelichen Mutterschaft, d. h. überhaupt zum Bereich der Sexualität; im Rahmen der proletarischen Frauenbewegung um die Frage der Organisation. (Stellen die Frauen eine Gruppe mit besonderen Problemen dar oder gehören sie mit ihren Problemen zu den Lohnabhängigen?) Auch für diese Phase gilt, daß gerade die Gruppen, die sich als organisatorisch lebensfähig und durchsetzungsfähig erwiesen, verkürzte Positionen vertraten. Von beiden Organisationen wurde sowohl die Sexualreform als auch das Problem der Organisationsstruktur ausgeklammert. Vor allem jene Gruppen, die einen radikalen Feminismus vertreten haben, die sich auf die Frage der freien Liebe und der familialen Autorität konzentrierten, wurden sowohl in der bürgerlichen wie in der proletarischen Frauenbewegung ausgeschlossen und bekämpft, weil sie einen romantischen und im Rahmen der bürokratisch-bürgerlichen bzw. kleinbürgerlich-proletarischen Gruppen nicht verwertbaren Standpunkt vertraten. Aber angesichts von Massenelend und institutionalisierter patriarchalischer Struktur sowohl auf der rechtlichen als auf der sozialen Ebene stellten die Forderungen nach Mitarbeit in den Arbeiterorganisationen und nach antipatriarchalischer Strukturierung der Familie für die Probleme der großen Mehrheit der Frauen bis zum Zweiten Weltkrieg einen allgemeinen Nenner dar - ein verallgemeinerbares und verständliches Interpretationsmodell und eine Strategie im alltäglichen Leben. Das gilt bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs, während heute die Umstrukturierung der Familie durch die Berufstätigkeit der Frau wie durch den Machtverlust des Mannes auch in den bürgerlichen und kleinbürgerlichen Schichten praktisch realisiert und die Sexualreform mit Hilfe der Kulturindustrie als »repressive Entsublimierung« ebenfalls vollzogen wird. Zu den Auseinandersetzungen im Deutschland der 20er Jahre vgl. Agnes von Zahn-Harnack, Die Frauenbewegung; Helene Lange, Die Frauenbewegung; Clara Zetkin, Die Arbeiter- und Frauenfrage der Gegenwart; Clara Zetkin, Die Frauen und die Kommunistische Partei; Lily Braun, Die Frauenfrage

2. 1. Verselbständigtes Leitbild 3: »Aufklärung durch Lohnarbeit und Parteiorganisation«. Ökonomismus als Rhetorik

»Auf einem ziemlich niedrigen Niveau, um den kleinen Kadern, den kleinen und mittleren Technikern, den Bürokraten der unteren Stufen einen Köder zuzuwerfen, gibt es den Ökonomismus. Vulgär und vulgarisiert, ist er zählebig, da nützlich: als Ideologie des Wachstums, als Produktivismus, als Organisationsrationalität. Diese in den Vereinigten Staaten schon fallengelassenen Themen werden in einem rückständigen Frankreich noch schöne Tage verleben. Vielleicht wird die Universität sie offiziös oder offiziell adoptieren, oder irgendeine andere vom Staat geschützte Einrichtung. Der Ökonomismus hat ein beachtliches Interesse, den degenerierten Marxismus und den entarteten bürgerlichen Rationalismus zu vereinigen. Außerdem bedeckt er ziemlich gut die Alltäglichkeit, ihre Anordnung, ihre rationalisierte Ausbeutung. Er ist also nicht ohne die Verdienste, die die Effektivität einer Ideologie ausmachen.« Henri Lefebvre [51]

Eine rhetorisch verselbständigte Strategie der Frauenemanzipation stellt der Ökonomismus dar. Die ökonomistische Strategie [52] wird dadurch zur Legitimationsideologie, daß sie die instrumentelle Betrachtung des weiblichen Lebenszusammenhangs, die den ausschließlich berufsorientierten Strategien eigen ist, »theoretisch« überhöht. So zieht sie aus der ökonomischen Tatsache, daß die Arbeit der Frauen in Haushalt und Familie Privatarbeit ist, für den sozialen, politischen und kulturellen Bereich die Folgerung, die nicht im Bereich der industriellen Produktion stattfindenden Tätigkeiten (nahezu die gesamten Interessen der Frauen) seien »traditionelle«, bürokratisch zu reorganisierende Relikte

»Die Auffassung [...], auch Frauen als menschliche Hauptproduktivkraft zu begreifen, verlangt geradezu ihren Beitrag an der gesellschaftlichen Arbeit außerhalb der Familie und gibt ihnen den Auftrag, an der Erschließung des Fortschritts und an der Schaffung des gesellschaftlichen Reichtums gleichwertig mitzuwirken. Auf der anderen Seite verbietet ein solcher Standpunkt - theoretisch - ein Dasein als >Nur<-Hausfrau. Dies wäre nämlich Beharren auf traditioneller Arbeitsteilung, in der der Mann die gesellschaftlichen Werte erschafft und sie der Frau im Austausch für ihre privaten Dienste im Haushalt - Kochen, Putzen, Waschen, Einkaufen, Kinder versorgen, usw. - zukommen läßt.«[53]

Die Prämisse ist, daß aus dem Bereich der »unproduktiven Tätigkeiten« kein Potential für eine qualitative Veränderung der gesellschaftlichen Institutionen hervorgehe:

»Solange die meisten Frauen ihre Lebensperspektive in der BereitStC1lung und Erneuerung der primären Existenzmittel (Nahrung, Kleidung, Wohnung) für die Familie und in der Erziehung der Kinder sehen, können sie diese Beschränkung auf zwar gesellschaftlich notwendige, aber unproduktive Tätigkeiten nicht als historisch bedingte und damit veränderbare erkennen. So ist es nicht erstaunlich, wenn Frauen sich nicht in gleicher Weise organisieren wie die männlichen Lohnabhängigen, wenn ihre gesellschaftspolitischen Projekte nicht über die Ansprüche der bürgerlichen Emanzipationsbewegung hinausgehen. Sie stellen die Institution Ehe nicht in Frage, sondern fordern verbesserte Modalitäten der Scheidungsgesetzgebung; sie wenden sich nicht gegen die Lohnarbeit überhaupt, erheben kaum die Forderung nach >gleichem Lohn für gleiche Arbeit<; daß sie Arbeit leisten, die entlohnt wird, ist ihnen nicht selbstverständlich.«[54]

Diese Argumentation für die Berufstätigkeit der Frau setzt Berufstätigkeit und folgenreiche politische Bewußtwerdung naiv ineins. Vor dem Eintritt in das Berufsleben sei die Frau nur von »gängigen Vorstellungen«, Stereotypen, Vorurteilen, also von dumpfer Irrationalität geleitet, aus der sie dann aber wie Phönix aus der Asche hervorgeht.

»Die unmittelbare Erfahrung des Gegensatzes von Lohnarbeit und Kapital im Betrieb macht sie [die Frauen, U. P.] sensibel für die gesellschaftlichen Probleme, einschließlich der familialen; sie erkennen, daß es wichtig ist, gegen die Ausraubung aller Leistungsreserven im Betrieb und für ein ihren Lebenshaltungskosten angemessenes Lohnniveau zu kämpfen.«[55]

Die Benachteiligung der Frau soll also nicht mehr sein als ein Spezialfall des Widerspruchs von Lohnarbeit und Kapital: »Die untergeordnete Stellung der Frau ist ein Nebenwiderspruch innerhalb des Hauptwiderspruchs zwischen Kapital und Arbeit. Deshalb läßt sich die Frauenfrage nicht geschlechtsspezifisch lösen, sondern letztlich nur durch die Umgestaltung der kapitalistischen Klassengesellschaft in eine sozialistische, klassenlose.«[56] Der Begriff des »Politischen« erfährt hier eine charakteristische Verengung; er folgt der bürgerlichen vereinsrechtlichen Organisation als Modell der emanzipatorischen Organisationsformen der Lohnabhängigen, wie es sich besonders in Deutschland im Aufbau der SPD, KPD, der Trennung von Ökonomie, Politik und Lebenszusammenhang [57] herausgebildet hat. Die Frauenfrage reduziert sich auf die Möglichkeiten, die Frauen im Rahmen der etablierten Organisationen der Arbeiterbewegung optimal zu rekrutieren. Analytisches Interesse und politische Forderungen sind auf das »Bewußtsein der objektiven Lage- und die »Entschlossenheit zu interesseorientiertem Handeln«[58] reduziert, darauf, »die Proletarierin zum Bewußtsein ihrer Klassenlage zu bringen«[59], ohne daß der auf den Alltag bezogene Inhalt dieses Bewußtseins noch benannt werden könnte.
Das ökonomistische Verständnis der Probleme der Frauen führt schließlich zur Idealisierung bürokratischer Effektivität, der gut funktionierenden Technokratie, für die die DDR-Verwaltung als exemplarisch erscheint:

»Da in der DDR jede Frau das Recht hat, nach Geburt eines Kindes bei Weiterzahlung des monatlichen Nettodurchschnittsverdienstes - ein Jahr mit der Arbeit in der Produktion auszusetzen, ohne daß ihr der Arbeitsplatz verlorengeht, kann sie auch nach einer Unterbrechung ohne Nachteile in ihrer Qualifikation fortfahren.
Die Bereitstellung von Kindergärten und -krippen und die Fixierung des gemeinsamen Erziehungsrechts (und damit der gemeinsamen Erziehungspflicht) beider Eltern im Familienrecht (§ 45) sollen den Frauen die Ausbildung ohne >Doppelbelastung< ermöglichen. Hierin zeigt sich ein gesellschaftliches Interesse nicht nur an der Einbeziehung der Frau in den Produktionsprozeß, sondern auch an der Entfaltung der Frau entsprechend den ökonomischen Bedingungen der Gesellschaft. Auch die Konzentration der Frauen auf >weibliche< Berufe soll aufgehoben werden. In Übereinstimmung mit den Versuchen, im polytechnischen Unterricht die technischen Begabungen der Mädchen zu wecken, soll in der DDR der Anteil der Mädchen an den Absolventen der natur-wissenschaftlichen Oberschulen und Disziplinen planmäßig vergrößert werden. Während in der Bundesrepublik die Berufsperspektive der Mädchen immer noch hauptsächlich auf >dienende< und >sorgende< Funktionen festgelegt ist, und den Mangel an Arbeitskräften auf sozialpflegerischem Gebiet zu beheben, und die Nachteile dieser Berufe durch gefühlsbetonte und irrationale Erziehung kaschiert werden, bemüht man sich in der DDR, den Mädchen durch >Sonderkurse<, in denen didaktisch-pädagogische und organisatorische Maßnahmen zugunsten weiblicher Kandidaten eine zentrale Bedeutung haben, bessere Voraussetzungen zur Ausübung technischer Berufe zu schaffen.«[60]

Vom ökonomistischen Ansatz her wird die Entfaltung der Frau - »entsprechend den ökonomischen Bedingungen der Gesellschaft« - primär als Qualifikation der weiblichen Arbeitskraft im Interesse der Produktivitätssteigerung verstanden. Obwohl die Qualifikationsförderung für den Einzelnen zweifellos besser ist als die intensive Ausbeutung der ungelernten Arbeitskraft, richtet sich das auch auf die Frauenfrage angewandte Ideal der ökonomistischen Position ausschließlich und verengt auf den qualifizierten weiblichen Techniker. Das offizielle Pathos kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß alle Konflikte der Frauen hierbei als offenbar unlösbar verschwiegen werden. Auf die Frage - »Was heißt Mitverantwortung der Frauen unter den Bedingungen des entwickelten Sozialismus?« antwortet das Autorenkollektiv »Geschichte des Kampfes der deutschen Arbeiterklasse um die Befreiung der Frau« (DDR):

»Mitverantwortung heißt, die Frauen sowie auf allen anderen Gebieten des gesellschaftlichen Lebens auch aktiv in die Verwirklichung des ökonomischen Systems des Sozialismus einzubeziehen und in der täglichen Arbeit ein noch engeres Verhältnis zur modernen Technik zu schaffen, besonders in solchen Bereichen wie der Elektrotechnik, Elektronik, des wissenschaftlichen Gerätebaus, der Datenverarbeitung, der Chemie und in der Landwirtschaft. Das entspricht den Anforderungen und der Entwicklung der strukturbestimmenden Zweige unserer Volkswirtschaft (...)« - und in herablassendem Ton fährt das Arbeitskollektiv fort: »Notwendig ist es aber, die Frauen über alle Grundprobleme unserer gesellschaftlichen Entwicklung regelmäßig und gründlich zu informieren, ihre Meinung zu beachten und ihre Fragen zu beantworten.«[61]

Das folgende Zitat zeigt die Vorstellung der DDR-Bürokratie von der Frau im Sozialismus als Kompromißbildung und Addition der Konzepte der einzelnen bürokratischen Abteilungen: von Ökonomie bis Kultur.

»Charakteristisch ist, daß sich bei vielen Frauen schon heute die Wesensmerkmale der Frau der siebziger Jahre herausbilden. Dazu heißt es in der Entschließung des 2. Frauenkongresses der DDR: >Vor unser aller Augen entsteht schon heute das Bild der Frau der 70er Jahre: Sie wird eine Staatsbürgerin mit einem festen sozialistischen Standpunkt sein, deren Gesichtskreis sich ständig vergrößert. Sie wird sich durch eine allseitige Bildung, hohes fachliches Wissen und Können auszeichnen. Sie wird mit vielseitigen Interessen, mit Sachkenntnis und Verantwortungsbewußtsein bedeutende Aufgaben in der Gesellschaft meistern, über Erfahrungen in der Leitungstätigkeit verfügen, Mut und Selbstvertrauen besitzen. Sie wird sich durch hohe geistig-kulturelle Interessen auszeichnen, ihre Freizeit sinnvoll nutzen, ihre Spannkraft und Lebensfreude durch sportliche Betätigung erhöhen und mit Charme und Geist wirkungsvoll das Leben unserer Gesellschaft beeinflussen. Als gleichberechtigte Partnerin und gute Gefährtin des Mannes wird sie auf neue Weise das Zusammenleben in Ehe und Familie bereichern und dazu beitragen, daß sich alle Familienmitglieder gleichermaßen entwickeln, daß sich eine neue harmonische Gemeinschaft herausbildet, die das Leben der Familie glücklicher, inhaltsreicher und schöner denn je werden läßt. So wird sie ihren Kindern als liebevolle Mutter eine noch verständnisvollere Freundin sein, denn sie nimmt aufgeschlossen und klug an ihrem Leben Anteil, ist ihnen Vorbild und gibt ihnen Ansporn für ihren zukunftsreichen Weg in das Jahr 2000<.«[62]

Es ist dies eine von Bürokratien unter Repräsentationsgesichtspunkten zusammengesetzte Monster-Frau; das wirkliche Leben, die wirklichen Interessen und Tätigkeiten der Frauen werden entwertet.
Der Ökonomismus kann nicht erklären, warum die Frauen bleiben, »wo sie sind«: im Haus real oder in ihrem Bewußtsein -, und zwar deshalb nicht, weil ein empirisches »Bedürfnis nach Produktion« unterstellt und dieses zugleich als Bedürfnis nach einer Tätigkeit im vorgegebenen industriellen Bereich interpretiert wird.[63] Es ist gleichsam jedermanns Pflicht, nach kurzen Lehr- und Wanderjahren seine Arbeitskraft der wie auch immer vergesellschafteten Produktion im Interesse von Produktivitätssteigerung, Export, Maschinen und Devisen zur Verfügung zu stellen:

»Als selbstverständlich sollte auch gelten, daß die Frauen, sobald sie von der Gesellschaft von traditionellen Aufgaben entlastet wurden, einen Teil ihrer Arbeitskraft in der vergesellschafteten Produktion zur Verfügung stellen.«[64]

Auch für diese Strategie gilt das Dilemma der Verselbständigung: Abstrahiert man vom Interesse der Produzenten und Konsumenten an ihrer Selbstbestimmung und den praktischen und theoretischen Konflikten, die daraus entstehen, so verwandelt man ein aktives Bedürfnis in ein passives: es bleibt das Bedürfnis nach mehr sozialer Sicherheit, wachsendem disponiblen Einkommen, besseren Sozialleistungen, mehr freier Zeit, zusätzlichem Mutterschutz usw.[65] Diese Interessen sind in Ost und West gleichermaßen von den staatlichen Bürokratien zu ihren eigenen gemacht worden. In beiden Fällen stehen die Bürokratien unter Legitimationsdruck. Maßnahmen zur Verbesserung der sozialen Sicherheit von Frauen können auf staatssozialistischer wie auf kapitalistischer Basis ergriffen werden. Das Argument von Helge Pross, die Daten über die rechtliche Stellung und die Versorgung der Frauen zeigten, daß die Gleichberechtigung der Frauen empirisch nicht zwingend mit Kapitalismus oder Sozialismus zusammenfällt, ist im Rahmen der ökonomistischen Argumentation nicht zu widerlegen:

»In der Förderung weiblicher Bildung und Ausbildung weisen das kapitalistische Frankreich und die sozialistische DDR größere Gemeinsamkeiten auf als etwa Frankreich und die Bundesrepublik. Aufs Ganze gesehen, haben zwar die Sowjetunion und die DDR mehr für die Bildung und Ausbildung von Frauen geleistet als die meisten Staaten der EWG. Das Beispiel Frankreichs zeigt jedoch, daß solche Leistungen auch in einem kapitalistischen System möglich sind. Es können daher nicht universale kapitalistische Strukturtatsachen sein, die die Rückständigkeit der Bundesrepublik auf dem Gebiet der weiblichen Bildung und Ausbildung sowie der Kindergärten und Vorschulen erklären. Sowohl der institutionelle Rahmen des Kapitalismus als auch der des Sozialismus lassen den politisch herrschenden Instanzen Spielräume, innerhalb derer sie sich nach Maßgabe ökonomischer und ideologischer Erfordernisse mehr oder weniger für eine Förderungspolitik zu entscheiden vermögen. Wieder einmal erweisen sich die Begriffe Kapitalismus und Sozialismus als zu global, um konkrete soziale Erscheinungen zu erklären.[66]

Das Fernziel der ökonomistischen Strategie - eine bessere Versorgung der Konsumenten macht eben nicht allein den qualitativen Unterschied zwischen Kapitalismus und Sozialismus aus. Diese bessere Versorgung soll ja in der Vorstellung von Marx zugleich »Aneignung der Wirklichkeit« durch die Produzenten sein, d. h. sie ist untrennbar mit dem Begriff der direkten Demokratie, einer Revolutionierung der Lebensverhältnisse (auch unter den Bedingungen der »Übergangsgesellschaft«) gekoppelt. Den bürokratisch-effektiven Strategien (und der ökonomistischen Position, sofern sie deren Forderungen übernimmt) liegt das Bewußtsein zugrunde, daß nur das Nächste erfahrbar, das Ideal des Glücks aber zum Fragmentarischen und Ungewissen verdammt ist. Neben dem beschränkten Nutzeffekt, den kleinen und kleinsten Schritten wird das Gesamtinteresse einer vernünftigen Gesellschaft nur verbal zitiert. So gibt es zweierlei Wahrheit: die der bestehenden und die der zukünftigen, anderen Gesellschaft. Die praktische Auffassung des nächsten Schritts reduziert sich auf Anpassung, auf das Machbare unter dem Primat des Mangels. Der Ökonomist verlangt »Identifikation mit dem Lebensprozeß«. Die Menschen sollen leben wie alle Naturwesen - im Kampf um's Dasein. Den Ausfällen gegen die »Geschützten«, die außerhalb des industriellen Produktionsprozesses stehen, liegt die Vorstellung zugrunde, daß nicht genug Druck auf ihnen laste, nicht genug Druck im Sinne des eigenen, materialistisch verbrämten puritanischen Arbeitsethos. Man mißgönnt ihnen die wie immer verzerrte Chance des Entrinnens. Ignoriert werden daher auch alle Studien, die die Hausarbeit der Frau trotz aller Beschränktheit auch als freiere Tätigkeit denn die Lohnarbeit bezeichnen.[67]
Der Ökonomismus ist staatstragende Ideologie. Auf die Lage der Frauen angewandt, ist die ökonomistische Strategie »Marxismus als Legitimationswissenschaft«: eine Strategie, die gegen die Erkenntnis der Problematik der realen Bedürfnisse und Interessen der Frauen - ihrer Familienorientierung, ihrer Mode- und Freizeitorientierung, ihrer »Bedürfnisorientierung«, ihrer Ichschwäche, ihres Narzißmus und ihrer romantischen Illusionen - zu immunisieren versucht. Die Dialektik der Frauenemanzipation, die historisch stets aus dem Widerspruch von romantisch-illusionären, utopischen und organisatorisch-rationalen Momenten ihre Lebendigkeit erhielt,[68] wird vom Ökonomismus auf der Ebene ökonomisch-organisatorischer Naturgesetze stillgestellt.[69]

2.2. Verselbständigtes Leitbild 4: »Geschlechterkampf«. Antipatriarchalismus als Rhetorik

 

»Die Gesellschaft braucht Frauen, die einen schlechten Charakter haben. Solche, die gar keinen haben, sind ein bedenkliches Element.« - Karl Kraus [70]

Die Frauenbewegung hat sich jeweils im Rahmen der politischen Kräfte artikuliert, die die Forderungen nach sozialer Veränderung revolutionär durchzusetzen suchten; sie begleitet die bürgerliche ebenso wie die proletarische Revolution mit einer eigenen Initiative.[71] Dennoch fielen die Interessen der revolutionär organisierten Frauen niemals mit denen der sich durchsetzenden politischen Gruppierungen zusammen, vielmehr gab es innerhalb der Bewegungen und Bündnisse zwischen der Frauenbewegung und den von Männern dominierten politischen Organisationen ständig Konflikte. Problematisiert wurde die traditionelle Rollentrennung zwischen den Geschlechtern bereits durch die politische Aktivität von Frauen - selbst dann, wenn sich die Frauen mit ihren Forderungen im Rahmen der jeweiligen Bewegung hielten. Politische Aktivität hatte für die Frauen immer auch Konsequenzen für persönliche, »private« Verhältnisse, Beziehungen, als natürlich erachtete Gewohnheiten.[72] Daher wurde die Frauenbewegung auch von politisch radikalen Männern fast immer als Provokation erlebt. Da die Aktivierung der Frauen die Relativierung der traditionellen Arbeitsteilung in der Ehe bedeutete,
hatte die Frauenbewegung immer eine kulturrevolutionäre Tendenz.
Dies darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß auch und gerade im Rahmen des heutigen Strategieangebots zur Frauenbewegung das »Privatleben« in einer für die Masse der Frauen unkonstruktiven Weise problematisiert wird: als Produkt des »Patriarchats«.[73]

Anmerkung zu 73

  • Bezeichnet man diejenigen Institutionen als patriarchalisch, in denen eine Hälfte der Bevölkerung, die weibliche, von der anderen Hälfte, der männlichen, beherrscht wird, dann beruht das Patriarchat auf zwei Prinzipien: männlich herrscht über weiblich und der ältere Mann über den jüngeren, Wie in allen menschlichen Institutionen ist jedoch auch hier der Unterschied zwischen Ideal und Wirklichkeit eklatant: es gibt Widersprüche und Ausnahmen. Das Patriarchat ist als Institution eine soziale Konstante, die sich durch alle anderen politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Formen hindurchzieht, sei es in Kasten oder Klassen, Feudalherrschaft oder Bürokratie, oder in den großen Religionsgemeinschaften. In historischer und geographischer Hinsicht aber bestehen Unterschiede. [Aber selbst in den modernen] Demokratien zum Beispiel haben Frauen keine führenden Ämter inne, und wo es der Fall ist, nur in so geringer Zahl, daß man nicht einmal von einer Geste des guten Willens sprechen kann.« Und: »Ein Haupttreffer der Klassenstruktur besteht darin, Frauen gegeneinander auszuspielen. Früher bestand eine Feindseligkeit zwischen Hure und Matrone, heute zwischen der berufstätigen Karrierefrau und der Hausfrau. Die eine beneidet die andere um ihre >Sicherheit< und das Prestige, während diese sich über die Grenzen der Respektabilität hinaus nach dem sehnt, was sie bei der anderen für Freiheit, Abenteuer und Kontakt mit der großen Welt hält. Durch die vielfachen Vorteile des doppelten Maßstabs hat der Mann an beiden Welten teil und ist durch seine überlegenen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Mittel in der Lage, die entfremdeten Frauen als Rivalinnen gegeneinander aufzuhetzen.« (Kate Milien, Sexus und Herrschaft, S. 3 1, 48.) Zwar trifft es zu, daß auch heute in den »modernen Demokratien« die Frauen von allen »Leitungseliten« ausgeschlossen sind - nicht durch formelles Verbot, sondern durch »Leistungsdefizite«, die aus der traditionellen Rollentrennung hervorgehen. Zur Charakterisierung dieser Demokratien ist aber die Frage, ob die führenden Positionen von Männern oder von Frauen besetzt sind, unzureichend. Vgl. auch Phyllis Chesler, Frauen - das verrückte Geschlecht?

Ohne Bezug auf die historischen begrenzten Erscheinungsformen des Patriarchats und ohne Untersuchung der Familienstrukturen, in denen, schichtspezifisch begrenzt, patriarchalische Verhältnisse gegenwärtig bestehen, stellt man sich »das Patriarchat« als allmächtig handelnde Instanz vor. »Die Männer« werden zum Projektionsobjekt, zum übermächtigen und selbstbewußten Gegenstück naturhaften weiblichen Dahinwesens, zur Übermacht, die Geschichte und Gesellschaft beherrscht. So schreibt Simone de Beauvoir mit unverhohlener Faszination selbst durch die destruktivsten Aspekte »männlicher« Produktivität:

»[...] passiv unterzieht die Frau sich ihrem biologischen Geschick. Die häuslichen Tätigkeiten, denen sie sich widmet, da nur diese mit den Lasten der Mutterschaft sich vereinigen lassen, beschränken sie auf Wiederholung und Immanenz: Tag für Tag kehren sie in gleicher Form wieder, die fast unverändert die Jahrhunderte überdauert; es geht nichts Neues aus ihnen hervor. Der Fall des Mannes liegt völlig anders; er ernährt die Gemeinschaft nicht nach Art der Arbeiterbiene durch einen einfachen Lebensprozeß, sondern durch Handlungen, die über sein tierisches Dasein hinausgehen. Der homo faber ist seit Anbeginn der Zeiten ein Erfinder gewesen: schon Stock und Keule, mit denen er seinen Arm bewehrt, um Früchte abzuschlagen oder Tiere zu töten, sind Werkzeuge, durch die er seine Macht über die Welt ausdehnt; er begnügt sich nicht damit, Fische ins Haus zu bringen, die er aus dem Meere holt; er muß zuvor den Bereich der Gewässer erobern, indem er Einbäume aushöhlt; um sich der Schätze der Welt zu bemächtigen, unterwirft er zuvor die Welt. Bei diesem Vorgehen wird er sich seiner Macht bewußt; er setzt Zwecke, plant Wege, die zu ihnen führen: er verwirklicht sich in der Existenz. Um zu erhalten, schafft er; er überschreitet die Gegenwart und eröffnet die Zukunft. Deshalb haben Fischzüge und jagdunternehrmungen einen Charakter der Weihe. Ihr erfolgreicher Ausgang wird mit Festen und Triumph begangen; der Mann erkennt darin sein Menschsein. Diesen Stolz bekundet er heute noch, wenn er ein Stauwehr, einen Wolkenkratzer, eine Atombombe schafft. Er hat nicht nur gearbeitet, um die vorgefundene Welt zu erhalten: er hat ihre Grenzen gewaltsam ausgeweitet und das Fundament für eine neue Zukunft gelegt.«[74]

Die Frau lebt in der Immanenz. Dagegen: »Der Mann ist zur Tätigkeit berufen. Er muß produzieren, kämpfen, schaffen, fort-, über sich hinausschreiten nach der Totalität des Universums und der Unendlichkeit der Zukunft.«[75] Alle Elemente des weiblichen Lebenszusammenhangs erscheinen als »vom Mann vorgeprägt«, »vom Mann vorgegeben«, eine »Erfindung des Mannes«, Produkt »Männlicher Herrschaftsrationalität«.[76]
Der empirische Ansatzpunkt dieser Auffassung ist die Tatsache, daß der Arbeits- und Lebensbereich der meisten Frauen gegenwärtig von der Funktion der Regeneration der Arbeitskraft des Mannes bestimmt ist.[77] Aus dieser sozialen Funktion der Familie - in der sich jedoch das reale Leben der Frauen nicht erschöpft - wird die Familie als patriarchalischer Zusammenhang deduziert:

»Die Hauptinstitution des Patriarchats ist die Familie. sie ist sowohl ein Spiegel als auch die Verbindung mit der Gesellschaft im großen und ganzen; sie ist eine patriarchalische Einheit innerhalb eines patriarchalischen Ganzen, Die Familie stellt die Verbindung zwischen dem einzelnen Menschen und der Sozialstruktur dar und übt Kontrolle und Druck zur Anpassung aus, wo politische und anderweitige Autoritäten sich als zu schwach erweisen. Grundeinheit der patriarchalischen Gesellschaft und als deren fundamentales Instrument ist die Familie und ihre Rolle prototypisch. Die Familie dient als Einzelorgan einer größeren Gesellschaft. Sie bestärkt ihre Mitglieder nicht nur darin, sich anzupassen, sondern handelt als das Exekutivorgan eines patriarchalischen Staates, der seine Bürger durch die Familienoberhäupter regiert. Selbst in patriarchalischen Gesellschaften, die Frauen gesetzliche Bürgerrechte zugestehen, werden die Frauen meist durch die Familie regiert und haben wenig oder gar keine formalen Beziehungen zum Staat.«[78] Und: »Die Ehe ist also eines jener institutionellen Zwangsinstrumente, die es immer wieder möglich machen, daß ohnmächtig angestaute Empörung im Privatleben versickert.«[79]

Derartige Deduktionen abstrahieren von der vielfältigen Realität, in der die Frauen leben, von ihrem Unbehagen und von den für sie spezifischen Konfliktzonen. Es geht hier nicht darum, die gesellschaftlichen Institutionen zu verteidigen, etwa den »Terror der Kleinfamille« zu verharmlosen. Aber die undialektische Denunziation führt zu falschen und abstrakten Vorstellungen von feministischer Praxis. Weder läßt sich die Privatheit in Ehe und Familie allein von der Rolle des Mannes her betrachten, der sich regeneriert, noch lassen sich die unterschiedlichen Familienstrukturen, in die die Frauen eingebunden sind, auf den einen Nenner des »Patriarchats« bringen. Für welche Frauen ist heute »die Ehe die einzig legitime Existenzweise«? Wo und für welche Gruppen ist die Sexualität auf »Fortpflanzung« reduziert? Wie soll man sich das »Abreagieren der männlichen Aggressionen« (die offensichtlich anderswo nutzbringend zu verwenden wären) vorstellen?

Die Unangemessenheit des Antipatriarchalismus bringt ein Element von Wahrheit zum Vorschein: daß die Welt heute einer menschlichen Erfahrung, einer unmittelbar sinnlichen Erfahrung unangemessen geworden ist. Das antipatriarchalische Modell sucht die Schuld dafür bei den Phänomenen. Undurchdringlichkeit und Fremdheit der gesellschaftlichen Verhältnisse sollen der persönlichen, unmittelbaren Erfahrung zugänglich gemacht werden. Sie sollen Schuldzurechnungen erlauben, unmittelbarer, lebendiger Erfahrung entsprechen. Anders als die ökonomistische Strategie sind die Entwürfe zum Geschlechterkampf, die feministischen Vorstellungen von der Befreiung der Frau kein geschlossenes System. Ganz im Gegenteil; die feministische Literatur ist als eine Kritik zu charakterisieren, die die Barbarei in den alltäglichen Beziehungen einfangen will; sie reagiert auf eine Vernachlässigung, die sich aus dem allzu weiten Blick ergibt, den der ökonomistisch perfektionierte »wissenschaftliche Sozialismus« auf die Alltagsbeziehungen zwischen Mann und Frau wirft.
Die männliche Herrschaft als unmittelbare Gewaltherrschaft ist eine Fiktion; die Zurechnung von Schuld trifft mit der Kategorie des unmittelbar gewalttätigen Mannes nicht den Kern gesellschaftlicher Widersprüche, sondern ein »Fassadenproblem«. Damit die Vorstellung von gesellschaftlicher Herrschaft und das Verständnis von Leiden noch persönlich begriffen werden können, wird auf den Wahrheitsanspruch von Erkenntnis verzichtet. Es soll nur noch darauf ankommen, daß Frauen sich überhaupt artikulieren. In der antipatriarchalistischen Argumentation wird eine bestimmte und begrenzte Erfahrung verhärtet, starr festgehalten; der abstrakte Allgemeinbegriff soll vermieden werden, obwohl die Fremdheit des Ganzen sich der unmittelbaren Erfahrung entzieht. Dennoch - die antipatriarchalistische Fixierung möchte das Unverbindliche vermeiden, das aller vermittelten und abgeleiteten Erkenntnis realen Leidens anhängt. Aber das Leiden selbst kann nur abstrakt und vermittelt begriffen werden, weil die gesellschaftliche Entfremdung eben darin besteht, daß der Gegenstand der Erkenntnis über die unmittelbare Erfahrung hinausgeht.

Der unterdrückerische Charakter der starren Geschlechtsrollen, von der die Zwänge zur äußeren Anpassung der Frauen nur ein Teil sind, bildet den Gegenstand: die Bewußtseinsformen und die sozialen Einrichtungen, gegen die man rebelliert. Zugleich verbindet sich diese Rebellion gegen eine unterdrükkerische Kultur mit dem »Praktischen«, mit der Ablehnung des Luxus und der Freude an der Arbeitskleidung, mit der technokratischen Bereinigung der Züge im menschlichen Charakter und in der menschlichen Selbstdarstellung, die zu dem unmittelbar Zweckvollen und Nützlichen in Widerspruch stehen. Verhaltensweisen und Eigenschaften der Frauen, die nicht dem Wunschbild des aufgeklärten, rationalen Menschen entsprechen, werden, als Produkt »des Patriarchats«, Obiekt der großen puritanischen Säuberung, die alles Unanständige, Unlogische und vor allem literarisch »Ausschweifende« bereinigt. Zu Recht denunziert die antipatriarchalistische Position an den kulturellen Erscheinungsformen der Weiblichkeit, daß sie immer schon funktionalisiert, Teil des Kampfs um Vorteile und Überleben, daß Schönheit, Güte und Nachgiebigkeit der Frauen Lebenslügen der Schwachen waren. Dieser Angriff auf die Kultur hat aber eine Affinität zum Technokratischen, die sich in der Vorliebe verrät, sachliche, regelhafte Relationen, wie sie dem industriellen Arbeitsbegriff entsprechen, auf persönliche Beziehungen zu übertragen.[80] Dieses Element der »neuen Sachlichkeit« im Selbstverständnis der Frau, das sich auch in ihrer ästhetischen Selbstdarstellung ausdrückt, ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, daß feministische Positionen zur Zeit offiziell adaptiert werden.
Abstraktes Objekt der ebenso abstrakt gegen »den Mann« gerichteten Strategie, wird die Frau als Manipulierte bedauert und zugleich unter dem Ideal des »natürlichen« Körpers und der ehrlichen, physischen Liebe verfolgt.[81]

Mit Entsetzen wird im Kursivdruck registriert: »Dem Aussehen und der Erscheinung der Leserin widmen alle Zeitschriften beträchtlichen Raum, und zwar in fast allen Fällen den meisten vor allen anderen Themengruppen [...] im Jahr 1967 liegt der Raumanteil, den die Mode und Kosmetik beansprucht, in keiner der untersuchten Zeitschriften unter 30%!«[82] Und mit Verachtung heißt es über Lippenrot und frei fallendes Haar: »Heute noch beschreibt der Thrillerautor die eleganten Kostüme seiner Superdamen, die gewagten Hüte, ausgesuchten Accessoires und Schuhe; die Metaphorik verweilt nicht mehr bei Juwelen und Blumen, aber die Betonung des Konsums ist die gleiche. Ein Mäuschen von Sekretärin erblüht zur weiblichen Stereotype, wenn sie die Lippen rot schminkt, ihr Haar fallen läßt und etwas Schnuckeliges anzieht.«[83]

Zugleich mit dem Angriff auf den unterdrückenden Zwang zu Jugendlichkeit und adrettem Aussehen, auf den die kosmetische Schönheit reduziert ist, verfällt jede Stilisierung, jede Künstlichkeit, jeder Luxus der Kritik. Untrennbar ist das Argument gegen Mode und Schminke als verwerflichen Mitteln der anbiedernden Lockung der Männer mit dem Widerwillen verbunden, daß Frauen Zeit für »Unsinniges« verwenden.[84]
Die künstlichen Bilder, die die Frauen von sich selbst zu entwerfen suchen, ihre Vorliebe für Dekor und Kitsch, sind Lebenslügen, Vergeudung von Ressourcen. Der Hang zu Luxus und Luxurieren ist Vergeudung von Kräften und Mitteln, die beruhigende Illusion, das Integrationsinstrument, das Herrschaftsverhältnisse aufrechterhält. Und doch sind diese »Lebenslügen« mehr als Momente der Wiederherstellung verausgabter Arbeitskraft: Wiederherstellung von Menschen, soweit sie vom Prinzip des Nutzens noch nicht völlig erfaßt sind. Diese beiden Momente werden theoretisch nicht unterschieden. Die Sehnsucht nach der Ehrlichkeit ohne Masken und ohne andere denn tugendhafte Interessen sucht falsche Trennungen. Mit der kulturindustriellen Stilisierung körperlicher Merkmale und menschlicher Beziehungen denunziert man zugleich alles Lebendige, Überschüssige.
Die Welt der Bilder, die die Frauen zu entwerfen suchen, scheitert notwendig und wird doch mit gleicher Notwendigkeit immer aufs neue hervorgebracht: als Versuch, durch »selbstgemachte Konkretion«[85] sich das konkrete Besondere vorzuspiegeln; auf die Hoffnung, die daran haftet, kann nicht verzichtet werden. Die Rollenattribute sind Fetische des Überschüssigen.
Zur problematischen Seite der gegenwärtigen Frauenbewegung gehört also die Frage, ob die energische Verweigerung der Ausbeutung durch »den Mann« und auch die Aversion gegen »Liebesverhältnisse« prinzipiell nicht eine Tendenz reflektieren, die allgemeiner als Element der spätkapitalistischen Gesellschaft untersucht werden müßte: die zunehmende Unfähigkeit zu Liebe und Leidenschaft, zu Spontaneität und »Sich-Verlieren«.[86]
Der Haß eines so sensiblen Schriftstellers wie Karl Kraus gegen den Feminismus dürfte seine Wurzel in dem Gefühl für diese Tendenz zur Anpassung haben: im Beharren auf Qualitäten - die durch Konservativismus allerdings auch nicht zu retten waren. Die Gefahr besteht jedenfalls, daß die Frauenbewegung nicht in der Lage sein könnte, an qualitativen Forderungen festzuhalten, Forderungen, die vor allem Entfaltung auf der Ebene von Kommunikation zum Inhalt hätten (wozu als Voraussetzung dann materielle Forderungen gehören).
Auf der Ebene der verselbständigten Strategien dominiert instrumentelles Denken. Die Verselbständigung politischer und wissenschaftlicher Strategien läßt sich geradezu durch das Ausmaß definieren, in welchem sie ihre Objekte als bloßes Material der Organisation bzw. der Forschung verstehen. Instrumentelles Denken betrachtet die Frauen als Objekt der Realisierung einer prinzipiell feststehenden Zielvorstellung. Dieses Ziel erhält durch die Abstraktion von den wirklichen, lebendigen Menschen und deren Denken und Wollen eine falsche, entfremdete Komponente, selbst dann, wenn es »prinzipiell« richtig erscheint: im Falle der hier behandelten Strategien die - ahistorische, gegenüber der realen Reichhaltigkeit der Verhaltensweisen und auch gegenüber dem realen »Widerstand« der Frauen indifferente - Anwendung eines quantitativen Maßstabs formaler Gleichheit im Beruf ebenso wie in den Geschlechterbeziehungen.
Die Frauen sind Objekt der Strategien. Die Ebene der Strategien hat sich gegenüber der Ebene des Alltagslebens der meisten Frauen weitgehend verselbständigt: Gegenwärtig Jedenfalls gibt es keine politische und wissenschaftliche Strategie, die die Frauen, ihr empirisches Denken und Handeln, nicht instrumentell auffassen würde. Die verselbständigten Strategien betrachten die Frauen mehr oder weniger als den sich sperrenden Rohstoff der Realisierung starrer und formalisierter (wenn auch egalitärer) Zielvorstellungen. Die verselbständigten Strategien sind nicht bereit, die realen historischen Konstellationen, empirischen Strukturen, empirischen Möglichkeiten und Interessen, vor allem aber die »Widerstände« (»Traditionalismus«, Familienorientierung, Apathie, Mode- und Konsumorientierung, romantische Ideale, Narzißmus etc.), die die alltägliche Wirklichkeit der Subjekte den Strategien entgegensetzt, zu verarbeiten.
Die Antwort hierauf kann nur eine Untersuchung des alltäglichen Lebens der Frauen sein. »Frauenemanzipation« ist ja nur vorstellbar als auf Bedürfnissen beruhend. Ihr eigentliches Kennzeichen ist das veränderte Verhältnis der Individuen zu den gesellschaftlichen Institutionen. Diese können als zur Lösung der erkannten Probleme des Zusammenlebens notwendige Einrichtungen begriffen werden, also als Produkt geschichtlicher und eigener Praxis.