Die ersten drei: Frauen, die es geschafft haben

»Die Gesellschaft wandelt sich. Der Gesetzgeber
antwortet: oft zu spät und als Mann.«
Elisabeth Schwarzhaupt

Frauen müssen heute bereits wieder laut »Hier« rufen, damit das Bild der älteren Frau nach Kriegsende und Kapitulation - nicht auf die Perspektive Kriegerwitwe und Trümmerfrau verengt wird. Nichts liegt mir ferner, als die Lebensleistung der Generation meiner Mutter schmälern zu wollen oder gering zu achten: Was diese Frauengeneration nach dem Zweiten Weltkrieg vollbracht hat, wiegt mehr als alle Orden, die die Männer einander seit Bestehen dieser Republik verliehen haben. Gleichwohl: Zu den Verfassern des Grundgesetzes gehören vier Frauen, die immer wieder vergessen werden, und den ersten Nachkriegsparlamenten in den Bundesländern und im Bund gehörten mehr Frauen an als den Parlamenten zu Beginn der sechziger Jahre. Der politische Einfluß dieser Frauen sollte weder unterschätzt noch gar vergessen werden. Die Geringschätzung der politischen Frauen aus den bundesrepublikanischen Anfangsjahren ist nicht zuletzt auch darauf zurückzuführen, daß wir jüngeren Frauen im Zuge unseres Aufbruchs in den sechziger Jahren mit dem Gefühl antraten, mit uns beginne die politische Welt überhaupt erst zu existieren, und die Frauen vor uns hätten ein gänzlich falsches Bewußtsein gehabt. Was in der Männer-Genealogie als Generationenkonflikt zwischen Vätern und Söhnen schon seit Jahrhunderten bekannt ist, war den politisch engagierten Frauen bis dahin unbekannt. Unter den Frauen gab es keine geistigen Traditionen, und so bahnte sich in den sechziger Jahren ein tiefes Mißverständnis zwischen der damaligen Mütter- und Töchter-Generation an. Was diese »Frauen der ersten Stunde« geleistet haben, stärkt auch die Position von uns jüngeren Frauen - selbst in jenen Punkten, wo wir anderer Ansicht sind. Übernehmen etwa Söhne immer alles von ihren Vätern? Und trotzdem wimmelt es von »Söhnen« und »Enkeln« in der politischen Männerwelt!

So bleibt festzuhalten: Frauen waren am Widerstand beteiligt, sie kamen in Konzentrationslagern zu Tode, überlebten in Gefängnissen, demonstrierten in Berlin als Arierinnen für ihre nicht-arischen Männer und holten sie aus dem KZ, brachten die Familien in der Emigration, auf der Flucht und in der Evakuierung durch und erlitten den Nationalsozialismus nicht weniger intensiv wie die Männer - als Übermittlerinnen und Aktive im Widerstand genauso wie im Luftschutzkeller. Der 8. Mai 1945 wurde auch von den Frauen als die Chance zum Neubeginn erlebt. Der wichtigste Erfolg für die Sache der Frauen war die durch Elisabeth Seibert klug eingefädelte, zäh verfolgte und schließlich listig durchgesetzte Formulierung des Artikels 3 unseres Grundgesetzes, in dem die Gleichberechtigung der Geschlechter erklärt wird. Nach dem Zusammenbruch gab es einzelne durch Kompetenz und Engagement ausgewiesene Frauen, die sich den neu entstehenden Parteien anschlossen. Stellten sie die Machtfrage oder riefen den Geschlechterkrieg aus? Beileibe nicht. »Bis wir Frauen in der Politik eine Rolle spielen, ist der Lack meistens ab«, so drückte sich sinngemäß einmal Aenne Brauksiepe, die zweite der drei Ministerinnen aus, die wir in der Bundesrepublik während der sechziger Jahre hatten. Wie schon nach dem Ersten, so räumten die Frauen auch nach dem Zweiten Weltkrieg beruflich einflussreiche Positionen und brachen ihre Karrieren ab, als die Männer aus Krieg und Gefangenschaft zurückkehrten. »Die aus dem Krieg zurückgekommenen Männer - das kenne ich aus meiner weiteren Familie - hatten mit einer Selbstverständlichkeit ihre Position, die sie vor dem Krieg hatten, wieder eingenommen und haben gewissermaßen ignoriert, daß die Frauen sich inzwischen als Familienhäupter ungeheuer bewährt hatten. Es gab in manchen Fällen Konflikte, führte sogar zu Scheidungen. Aber es war vielleicht in der Mehrzahl der Fälle so, daß die Frauen ihren Platz wieder räumten, weil sie der Überanstrengung, die sie hinter sich hatten, entgehen wollten, auch weil sie dem vom Krieg zerschundenen Mann seine Position wiedergeben wollten, aus Menschlichkeit.« So beschreibt die erste unserer bundesrepublikanischen Bundesministerinnen, Elisabeth Schwarzhaupt, dieses Phänomen. Ausführliche Gespräche mit den drei ersten Ministerinnen - Dr. Elisabeth Schwarzhaupt, CDU, Bundesministerin für das Gesundheitswesen, Aenne Brauksiepe, CDU, Bundesministerin für Familien- und Jugendfragen, Käte Strobel, SPD, Bundesministerin für Gesundheitswesen, dann Bundesministerin für Jugend, Familie und Gesundheit - sollen gewissermaßen der Brennspiegel sein, den ich auf die sechziger Jahre richte, jene Jahre, in denen sich das politische Bewußtsein von Frauen meiner Generation festigte und unsere politischen Lebensläufe begannen. Drei Ministerinnen, drei außergewöhnliche Frauen, die auch in ihrem Alter von geistiger Beweglichkeit und Energie strotzen, mit vollen Terminkalendern und einer Fülle fachlicher und persönlicher Kontakte »mitten im Leben stehen« und altersbedingte körperliche Einschränkungen ihrer Tatkraft Lügen strafen. Drei ganz unterschiedliche Lebensläufe, geprägt vor allem auch durch die drei unterschiedlichen Milieus.

Elisabeth Schwarzhaupt, die Juristin, aus bürgerlich evangelischem Hause, die noch direkten Kontakt mit einigen der führenden Frauenrechtlerinnen im bürgerlich-konservativen Lager während der Weimarer Republik hatte.
Durch die Nazis verlor sie ihre Stellung und auch den Lebensgefährten und überstand die schreckliche Zeit durch die innere Emigration im Schutz der Kirche.

Aenne Brauksiepe aus sozial engagiertem, katholischem Milieu, tätig für Frauen und Familien, um Not zu lindern und zu helfen, mit langjähriger kommunalpolitischer Erfahrung.

Käte Strobel schließlich aus einem Nürnberger Arbeiterhaus, in welchem der Vater abends aus August Bebels »Die Frau und der Sozialismus« vorlas, während die Mutter für sechs Kinder stopfte und flickte. Käte Strobel hatte als einzige unter den Geschwistern eine Handelsschule besucht und eine kaufmännische Lehre absolviert. Darauf gründete sich später ihre politische Arbeit.

Alle drei Ministerinnen sehen sich als Fachfrauen: Juristin und Familienrechtsexpertin, Sozial-, Bau- und Kommunalexpertin, Fachfrau für Landwirtschafts-, Europa- und Verbraucherfragen. Sie wollten ihr ganzes berufliches Leben hindurch »ihre Sache gut machen«. Wurde Käte Strobel etwas nicht zugetraut, so ging sie mit dem Bewußtsein an das Problem heran: »Denen zeige ich es jetzt aber.« Fachlich waren sie alle drei engagiert und ausgewiesen, so daß die jeweiligen Bundeskanzler an ihnen schließlich nicht mehr vorbeigehen konnten. Dabei sagen sie selbst, daß es an den entscheidenden Schnittstellen immer auch noch mindestens eine andere Frau gegeben hätte, die das Amt genauso gut hätte ausfüllen können wie sie selbst, und sie schildern das Arrangement mit diesen Kolleginnen als freundschaftlich und solidarisch.
Diskriminiert haben sie sich nie gefühlt, aber auch nicht von Männern besonders gefördert: Ihre Leistung sprach für sich, sie wurden aufgefordert, mußten sich nicht drängen und bewerben. Der Druck kam von außen: Viele Frauen und die √ñffentlichkeit drängten den damaligen Bundeskanzler Adenauer schließlich dazu, Elisabeth Schwarzhaupt zur Ministerin zu ernennen. Ein Streben nach Macht weisen die drei ehemaligen Ministerinnen weit von sich. Der Wunsch nach Gerechtigkeit hat Elisabeth Schwarzhaupt angetrieben" insbesondere nach Gerechtigkeit für die nach langer Ehe geschiedene Frau. Die »Bereitschaft zu schwerer Verantwortung«, »Spaß an der Arbeit« und die »innere Freiheit«, diese Arbeit auch zu tun, hat Aenne Brauksiepe bewegt, und sie wehrt die Frage nach der Frauenmacht mit besonderer Entschiedenheit ab: »Macht« könne sie nicht mehr ohne »Machtergreifung« denken. Käte Strobel wollte genauso viele Rechte haben wie die jungen und die Männer und wollte Einfluß ausüben; sie billigt einem einzelnen Menschen Macht generell nicht zu, sondern kann sich nur mit demokratisch legitimierter und kontrollierter Macht einverstanden erklären. »Wo das Ich das Wir verdrängt, ist es um die Arbeiterbewegung schlecht bestellt«, zitiert sie aus einem Gespräch ihres Vaters mit einem anderen SPD Mitglied, und sie versteht Machtgebrauch als eine »Ich-Handlung«. Alle drei Ministerinnen äußern sich zu ihrer Situation als Einzelne, Vereinzelte. »Noch jede Frau hat gesagt, da bin ich aber froh, daß noch eine da ist«, sagt Käte Strobel; und Elisabeth Schwarzhaupt meint sogar, daß fünf oder sechs Frauen nötig gewesen wären, damit »wir selbstverständlicher dabei gewesen wären. Ich wollte mich so selbstverständlich wie möglich benehmen. Ich habe mich immer geärgert, wenn einer mich fragte, was sagen Sie als Frau dazu? Ich wollte nicht als Frau gefragt werden, sondern als Mensch wie alle anderen auch; aber das kam sehr selten vor.« Elisabeth Schwarzhaupt erwähnt, daß sie schon vor dreißig J den Standpunkt vertreten habe, Frauen hätten die gleichen Fähigkeiten, Politik zu machen, und sie hätten auch das Recht auf gleichberechtigte Mitsprache in der Politik. Sie habe schon damals empfunden, »die Politik würde besser, wenn Frauen mehr mitzusprechen hätten, obwohl ich das sehr schwer konkretisieren konnte und auch heute kaum kann. Einfach aus dem Grunde, daß Frauen und Männer gemeinsam der Mensch sind. Weniger daß Frauen es besser können, als daß beide Geschlechter gemeinsam es besser können als eines allein.« »Leise, beharrlich und zielbewußt«, meint Aenne Brauksiepe, sollten Frauen ihren, Einfluß geltend machen. Und sie seien viel geeigneter als Oweißembersetzer von Politik, »Männer übersetzen sich nicht - durch ihre blöde konjunktivistische Möchte-, Würde-, Sagen-Wollen-Art. Herr Gott noch mal, eine Frau sagt: Ich meine, ich denke, ich sag dir, mein Kind! Sie kann das.« Den Mißbrauch im Umgang mit der Macht hat Aenne Brauksiepe lange Zeit für gefährlicher bei Männern als bei Frauen gehalten; Frauen sind eine Macht, weiß sie, aber sie erkennen nicht, daß sie eine Macht sind, und dadurch wird diese Macht, wird aber auch möglicher Machtmißbrauch eingeengt. Die Frauen der ersten Stunde im Bundestag imponierten ihr deshalb besonders, denn sie waren nicht käuflich und durch nichts zu überreden. »Ich habe, solange ich tätig bin, im Portemonnaie so ein kleines Medaillon, da steht: Never underestimate the power of women. Das habe ich immer bei mir. Ich wehre mich, wenn einer mich unterschätzt, bloß weil ich leise und anständig bleibe und ihn nicht runter schreie.« Es ist sicher der verallgemeinernde Schluß erlaubt, daß die Frauen dieser Periode und aller späteren, die »es geschafft haben«, aus ihrer beruflichen Qualifizierung und als Fachfrau ihr Selbstbewußtsein, aber auch ihre Legitimation beziehen, entscheidenden Einfluß auszuüben und öffentliche Gestaltungsmöglichkeiten wahrzunehmen. Der Beruf scheint für die politische Orientierung der Frau eine überragende Rolle zu spielen. Aus der Berufserfahrung lassen. sich oft auch unterschiedliche Führungsstile bei Männern und Frauen. herleiten, die im politischen Umgang von Bedeutung sind. Liselotte Funcke merkt in dem jüngst erschienenen Buch »Frauen, die es geschafft haben. Portraits erfolgreicher Karrieren« an: [16] »Wenn Herr Müller sich blamiert, dann hat Herr Müller sich blamiert. Wenn sich aber eine Frau blamiert, dann fällt das auf die Frauen generell zurück, und es heißt: Frauen können das eben nicht.« Diese Beobachtung nimmt vielen Frauen die Courage, so daß sie den beruflichen und politischen Aufstieg nicht wagen. Ich war verblüfft, in dem genannten Buch eine Äußerung Elisabeth Schwarzhaupts zu finden, die eine Frau meiner Generation in den Vereinigten Staaten kürzlich zum Thema eines Buches machte: Carol Gilligan, In a different voice: »Als Frau habe ich oft in einem Kreis von Männern das Gefühl, man spreche eine Fremdsprache, eine Sprache, die ich gelernt habe, die ich verstehe und spreche, aber eben nicht ganz meine eigene. Wenn ich dagegen in einem Kreis von Frauen bin ..., fühle ich mich mehr zu Hause. In einer ganz schwer zu beschreibenden Weise ist man als Frau in einem Gremium von Männern in der Fremde.« Ich hielt zu Beginn des Jahres 1967 in meinem Ortsverein Hamm-Osten einen Vortrag über die erste 1966 erschienene Frauenenquete, der von den Genossinnen und Genossen offenbar als so bemerkenswert empfunden wurde, daE sie, als ich wenige Wochen nach diesem Vortrag nach Bayern zog, mich als besonders aktive Frau der dortigen SPD-Gliederung anempfahlen. Bereits im Mal wurde ich von der Vorstandschaft meines neuen Ortsvereins Eching im Norden von München vorgeschlagen, im neu zu wählenden Kreisvorstand der SPD in Freising zu kandidieren, um im Kreisverband die Frauenarbeit zu betreuen. Mit diesem Amt, das ich meinem ersten Referieren verdanke, begann eigentlich meine politische Karriere. Ich selbst erinnere mich bei diesem Vortrag vor allem daran, daß zwei Genossen eingeschlafen waren und ich mir heftige Vorwürfe machte, wohl zu akademisch und zu trocken geredet zu haben. Die Frauenenquote, die 1966 erschien, entstand dadurch, daß die SPD-Bundestagsfraktion im Dezember 1962 die Bundesregierung aufgefordert hatte, über die Situation der Frauen in Beruf, Familie und Gesellschaft umfassend zu berichten. Im Dezember 1964 wurde der Antrag angenommen, durch Mehrheitsbeschluß der CDU/CSU allerdings verändert und die Bundesregierung ersucht, »dem Deutschen Bundestag über die Situation der Frauen in Beruf, Familie und Gesellschaft umfassend zu berichten. Die Berichte der Bundesregierung sollen Vorschläge zur Verbesserung der Situation der Frauen in Beruf, Familie und Gesellschaft enthalten«. Es sollte ferner »möglichst bald« ein erster Bericht vorgelegt werden, »in dem das vorhandene und in nächster Zeit anfallende Material ausgewertet wird und auch die bisherigen Maßnahmen und Leistungen dargestellt werden, durch die der besonderen Situation der Frauen schon jetzt Rechnung getragen wird«. Dieser Bericht wurde am 14. September 1966 vom damaligen Arbeitsminister Hans Katzer vorgelegt, dessen Vorwort nicht gerade kühne Hoffnungen erweckte. In ihm hieß es: Die Bundesregierung werde »zu gegebener Zeit weitere Maßnahmen vorschlagen, die dazu beitragen sollen, den Frauen den ihnen gemäßen Platz in unserer Gesellschaft zu sichern«. Was die Männer darunter verstehen, wissen wir. Viel erfuhr man aus diesem Enquete-Bericht nicht, wenngleich er vor Materialfülle überquoll. Die alten Normen und Wertvorstellungen. waren noch vorhanden, aber sie wurden von den jüngeren Frauen mit zunehmendem Mißtrauen angesehen. In der Weise, wie Frauen mit ihren Lebensumständen umgingen, wie sie Dinge von der Gesellschaft einforderten, hatte sich bereits etwas verändert; nur wie dieses Neue, das vor allem die jungen und gut ausgebildeten Frauen spürten, die gerade dabei waren, ihr Leben hoffnungsvoll und zuversichtlich in die Hand zu nehmen, einzubauen war in die herrschende Gesellschaftsstruktur - das war den handelnden Politikern nicht klar.

Und die Enquete war kaum dazu geeignet , ihnen in dieser Frage mehr Klarheit zu verschaffen, verstand sie doch unter ihrem Auftrag vornehmlich, die Stellung der Frau in der Familie zu erläutern: »Nach wie vor ist aber die Mutter die <zentrale> Figur, von der die Harmonie des Familienlebens abhängt« ... »Diese Frau übt dann aber in den einzelnen Lebensphasen nur nach Maßgabe ihrer Verpflichtungen gegenüber Familie und Haushalt eine Erwerbstätigkeit aus und geht auch ein Engagement gegenüber der Gesellschaft nur ein, wenn die familiären Anforderungen es zulassen.« Unvermeidlich tauchen alsbald auch die drei Millionen sogenannter »Schlüsselkinder« auf, jene erbarmungswürdigen Geschöpfe, die mittags von der Schule heimkommen und sich ihr Essen selbst wärmen müssen, weil die Mutter außerhäusig erwerbstätig ist. Das Problem jener Kinder, die mit dem Schlüssel um den Hals der sicheren Verwahrlosung preisgegeben sind, werde verharmlost, so heißt es, denn es bedrücke wahre Christenmenschen doch sehr. Wenn die Gefahr tatsächlich so groß gewesen wäre, wie damals behauptet, so müßten wir heute in der Generation der 28- bis 34 jährigen Männer und Frauen mehrere Millionen verwahrloster Menschen finden, deren trauriges Schicksal durch die Erwerbstätigkeit ihrer Mütter verursacht wurde. Wir nennen diese Generation heute aber »Yuppis« und beklagen eher ihre große Angepaßtheit. Dem Enquete-Bericht zufolge wurden die Männer damals offensichtlich nicht als Mitglieder der Familie betrachtet, denn im Abschnitt über die Familie kommen- Väter kaum vor. Andererseits wurde betont, daß zum Schutz der Ehe und Familie der formalen Gleichstellung von Mann und Frau »gewisse Schranken« gesetzt seien. Die Ehe als Zugewinngemeinschaft war bereits eingeführt, aber die Erwerbstätigkeit war immer noch ein kritischer Punkt: »Soweit dies mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar ist, darf die Frau erwerbstätig sein. Verpflichtet ist sie zu einer Erwerbstätigkeit nur, soweit die Einkünfte des Mannes und aus dem Vermögen der Eheleute zum Unterhalt nicht ausreichen.« Das Unehelichenrecht war ungeklärt, und die Zwangsvormundschaft des Jugendamtes bei ledigen Müttern stand außer Frage. Schwangerschaftsabbruch war dem Bericht noch keine Erwähnung wert. Desgleichen waren Familienplanung und Geburtenkontrolle Fremdworte - jene wirklich existentiellen Probleme, unter denen wir Frauen in jenen Jahren litten. Angesichts dieser wahrhaft hinterwäldlerischen ideologischen Tendenz der ersten Frauenenquete nimmt es nicht wunder, daß das umfangreiche Werk so gut wie vergessen ist. Die CDU selbst fühlte sich offenbar kaum daran gebunden, aber die Tage der konservativen Regierungsmehrheit waren in der Zeit auch schon gezählt. 1971 legte die von der sozialliberalen Koalition gestellte Bundesregierung ihrerseits eine äußerst kurz gefaßte Zwischenübersicht über das inzwischen Erreichte vor: »Bericht der Bundesregierung über die Maßnahmen zur Verbesserung der Situation der Frau«. Man kann sich kaum einen größeren Unterschied zwischen diesen beiden Berichten, die zeitlich nur fünf Jahre auseinander lagen, vorstellen! Was der erste Bericht an Weitschweifigkeit und unpräziser, nicht auf den Punkt gebrachter Darstellung enthält, konzentriert der zweite Bericht kurz und knapp auf drei Schwerpunkte: Bildung, Arbeit, Ehe und Familie. Was hier not tut, wurde schon erreicht bzw. angegangen: Berufsbildungsgesetz, Ausweitung von BAF√ñG, Arbeitsförderungsgesetz, das diesen Namen verdient, Hochschulrahmengesetz. Kein Wort mehr von den Schlüsselkindern, und das Faktum, daß Frauen erwerbstätig sein wollen und sind, wird kommentarlos akzeptiert, es gibt zahlreiche gesetzliche Verbesserungen. Auch bei »Ehe und Familie« keinerlei Glaubensbekenntnisse, sondern knappste Zusammenfassungen der Situation. Das Nichtehelichenrecht war novelliert, die Zwangsvormundschaft des Jugendamtes sollte wegfallen. Schwangerschaftsabbruch und die Verhütung von Schwangerschaften wurden in den Zusammenhang einer bewußten Familienplanung gestellt: Verantwortungsbewußte Elternschaft sollte ermöglicht werden durch die Verbreitung von Methoden der Empfängnisregelung und die Erleichterung der Inanspruchnahme ärztlicher Beratung und Hilfe, durch die Vermeidung illegaler Schwangerschaftsabbrüche und wirksame Hilfen für Frauen in Konfliktsituationen, vor allem vor dem Hintergrund eines kinderfreundlichen gesellschaftlichen Klimas. Dieser knappe Bericht überzeugte die Unionsparteien aber offensichtlich nicht, denn sie regten 1973 die Berufung einer Enquete-Kommission zum, Thema »Frau und Gesellschaft« an, deren Zwischenbericht 1977 vorlag; der Schlußbericht erschien 1980, nachdem die Enquete-Kommission ihre Arbeit nach einer Bundestagswahl wieder aufgenommen und weitergeführt hatte.

Dieser Bericht wurde 1981 im Plenum des Deutschen Bundestages debattiert, und die aus dem Bericht zu ziehenden konkreten Folgerungen, die von der Enquete Kommission ausdrücklich angeregt worden waren, werden seit 1983 kontinuierlich vom Arbeitskreis Gleichstellung der SPD-Bundestagsfraktion angemahnt. Die GRÜNEN haben in der Zwischenzeit sogar einen Gesetzentwurf für ein Antidiskriminierungsgesetz vorgelegt, das aber ähnlich wie die konkreten Verbesserungsvorschläge der Sozialdemokraten - von der Regierung hinhaltend und unlustig behandelt wird. Man vergegenwärtige sich noch einmal den geistigen Hintergrund, vor dem die erste Untersuchung zur Stellung der Frau erstellt wurde. So erschien im Jahre 1963 das grundlegende Werk der amerikanischen Frauenbefreiung: »The Feminine Mystique«, von Betty Friedan, das nur wenig später als »Der Weiblichkeitswahn« auch auf dem deutschen Markt vorlag.

Bereits 1949 war in Paris Simone de Beauvoirs grundlegendes Werk über die Geschlechterdiskriminierung, »Das andere Geschlecht«, erschienen, nachgerade die »Bibel« der Frauenbewegung, die sich ebenfalls in den sechziger Jahren bei uns verbreitete. Vor diesem Hintergrund jenes bleischwere Druckwerk der Restauration. Nur zwei Jahre danach, 1968, stellte sich allmählich heraus, daß auch die linken Heroen der Rebellion ihre Gefährtinnen nicht besser behandelten, als die etablierten männlichen Führungspersönlichkeiten dies taten. »Die neue Menschlichkeit? Ich blieb Zuhörerin. Samuel verbrachte die Nacht mit mir und setzte am Morgen darauf mit einem sensibilisierten Marxkenner, der zum Frühstück kam, seine Gespräche fort. Einen Genossen zu lieben - ungeachtet seiner Fraktionszugehörigkeit - änderte nichts an meiner Situation. Er weigerte sich unter Umständen, mit mir zu sprechen. Er äußerte unter Umständen keine Zuneigung. Doch wie klumpten sich seine Gehirnwindungen zusammen, wenn ich von der <Unterdrückung der Frau> sprach - in seinem Kopf ein verschwommener Begriff.« So beschrieb Verena Stefan in ihrem Buch »Häutungen«  ihre Erfahrungen aus dieser Zeit [17] Ulrike Menhof verfaßte ihre gesellschaftskritischen Kolumnen in Konkret, Heike Sander mahnte bei der Konferenz des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes in Frankfurt am 19. September 1968 die Frauenfrage an, der Genosse Krahl ging nicht darauf ein, sondern zur Tagesordnung über: eine Tomate flog, und in der Folge lösten sich etliche Frauen aus dem SDS und begründeten die deutsche Frauenbewegung. Helke Sander organisierte mit anderen Frauen gemeinsam die ersten Demonstrationen zur Abschaffung des § 218. 1971 veröffentlichte Alice Schwarzer 18 Protokolle »Frauen gegen den §218« und ein »Bericht der sozialistischen Arbeitsgruppe zur Befreiung der Frau Aktion 218«, [18] der die Protokolle ergänzt, besang das Ende der Resignation.

Mit Blick auf die Töchter: Die achtziger Jahre

»Wunschgedanken: daß es bald überflüssig sein
wird, von Selbstverstänlichkeiten zu reden ...
daß der Feminismus sich bald selbst abschaffen
kann. daß Frauen endlich über das reden können,
was ihnen wichtig ist, statt darüber reden zu müssen,
wie es ist, als Frau das Wort zu ergreifen.«
Friederike Hassauer
Der Feminismus möge in besseren Verhältnissen aufgehen!

Es ist überhaupt nicht zu bestreiten, daß sich im Laufe der letzten zwanzig Jahre die rechtliche Situation für Frauen und Mädchen entscheidend verbessert und die gesellschaftliche Aufgeschlossenheit für die Frauenfrage zugenommen hat. Wurde damit schon der Durchbruch erzielt? Stehen wir etwa unmittelbar vor dem Erreichen der vollen Gleichberechtigung der Frauen in allen Lebensbereichen? Natürlich nicht. Erstens sind unsere Gesetze nach wie vor unvollkommen, zweitens sind geschriebene Gesetze und gelebte Wirklichkeit immer noch zwei Paar Schuhe. Und drittens schließlich ist durch die 1laushaltskürzungen im Bildungs- und Sozialsektor und durch die verschärfte Arbeitsmarktsituation aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit die berufliche Situation der Mädchen und Frauen so dramatisch ins Negative verkehrt worden, daß für die Zukunft der Mädchen und jungen Frauen, aber auch der älteren Frauen, die einen Wiedereinstieg in ihren Beruf benötigen, das Schlimmste zu befürchten ist. Erneut klaffen Anspruch und Realität weit auseinander, und die jungen Frauen, die im Laufe der letzten zwanzig Jahre herangewachsen sind, treffen mit ihrem Bewußtsein von Freiheit und Gleichberechtigung auf eine Wirklichkeit, die auf sie nicht vorbereitet ist und auf die sie nicht vorbereitet sind. Denn die Realität, männerbestimmt, wie sie ist, ist dem politischen Bewußtsein der in Bonn residierenden Akteure erneut davongelaufen. Welche Kompromisse werden den jungen Frauen wohl diesmal abverlangt werden? Schon bei der Ersten Frauenenquete ließ sich feststellen, daß das dort Zusammengetragene und politisch Bewertete am Bewußtseinsstand derer, die eigentlich gemeint waren, völlig vorbeilief- Während die einen - in der Untersuchung den Fakt »Schwangerschaftsabbruch« durch Nichterwähnung schlicht ableugneten, gab es für die anderen - die real existierenden Frauen - kein bedrängenderes Problem als unerwünschte Schwangerschaften. Diese Beobachtung wiederholt sich angesichts der Brigitte-Studie über »Mädchen, 82« [19]

Radikal verändert hat sich das Bewußtsein der Generation der jungen Frauen, wie diese Untersuchung nachweist; nicht nachgekommen mit der Wahrnehmung der Realität ist erneut die Politik, denn die männlich geprägten Wertkategorien sind nahezu unverändert.

Seit dem Jahre 1965 sind sechs Jugendberichte der Bundesregierung erschienen. Mit Ausnahme des 6., der sich ausdrücklich die »Verbesserung der Chancengleichheit von Mädchen« zum Ziel gesetzt hatte und gegen hinhaltenden Widerstand der jetzigen Regierung schließlich doch veröffentlicht wurde, spielen Mädchen in ihnen eine untergeordnete Rolle, über weite Strecken sogar gar keine. Der 1. Jugendbericht von 1965 stellte eine Bestandsaufnahme zur Situation der Jugend dar. Mädchen kommen hier nur als Ausnahme unter der Rubrik »Mädchenbildung« vor. Es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, daß zur Situation der Mädchen auf ergänzende Berichte wie die Frauen-Enquete zurückgegriffen werden müsse. Für Lebensziele, Vorbilder, Berufe, für alle Rubriken, die in diesem Bericht auftauchen, scheinen nur Männer als Adressaten anvisiert worden zu sein, aber schließlich heißt es auch im Vorwort: »Die Bundeswehr ist der Spiegel der Gesellschaft« [20] und da haben Frauen ja nun wirklich nichts zu suchen. Das Thema des 2. Jugendberichts war die Aus- und Weiterbildung der Mitarbeiter der Jugendhilfe und »Jugend und Bundeswehr«; im 3. Jugendbericht, der sich schwerpunktmäßig mit Jugendämtern beschäftigt, tauchen Mädchen unter der Rubrik »Hilfen für Mutter und Kind« auf. Im 4. Jugendbericht, in dem es um Sozialisationsprobleme der arbeitenden Jugend in der Bundesrepublik geht, werden Mädchen gar nicht besonders erwähnt, und im 5., der wiederum eine Bestandsaufnahme gibt, sind Mädchen erneut die Ausnahme von der Regel. Auch die Shell-Studie »Jugend 81« [21] fragte zwar nach schichtspezifischen Lebensentwürfen, nicht aber danach, ob der weibliche Lebensentwurf vielleicht grundsätzlich anders aussieht als der männliche und daher von prinzipiell unterschiedlichen Zukunftserwartungen von Jungen und Mädchen auszugehen ist. Die Brigitte-Studie jedenfalls stellt bei den Mädchen ein »magisches Dreieck« fest: Bessere Ausbildung, Wille zur Erwerbstätigkeit, steuerbare Schwangerschaft.

Auf diesen drei Pfeilern ruht das Selbstbewußtsein einer Generation von Frauen, die schlicht einfordert, was ihnen selbstverständlich erscheint: Berufliche Karriere, Familie und Kinder, und dies zusammen und gleichzeitig. Die Studie spricht von einer »stillen Revolution«. Diese Realität ist von der Gesellschaft nicht eingeplant und von der Politik in keiner Weise avisiert: Niemand ist darauf vorbereitet, daß sich hier möglicherweise ein gesellschaftliches Unruhepotential vorbereitet hat, wie es dies bisher noch nie gab: Mädchen sind doch immer so friedlich! Die Studie »Mädchen 82«  hält Ergebnisse fest, die - anders als die Fußballergebnisse des jeweiligen Sonntags - nicht ad hoc erzielt, sondern langfristig gewachsen sind. Die 13- bis 19-jährigen Mädchen, die hier befragt wurden, haben den wichtigsten Teil der familiären und gesellschaftlichen Sozialisation hinter sich. Die Frage also: Woher ergibt sich das Selbstbewußtsein dieser jungen Frauen? Viele Ursachen liegen auf der Hand: Die Pille, die zunehmende Berufstätigkeit der Mütter, der nachlassende Einfluß der Kirchen, die besseren Bildungsvoraussetzungen, die Erleichterung der Hausarbeit durch Maschinen, käufliche Dienstleistungen infolge des gewachsenen Wohlstands, die weniger geschlechtsorientierte Erziehung durch Elternhaus und Schule, der allgemeine geistige Aufbruch durch die Studentenbewegung. . . . Sicher sind noch andere Argumente zu finden. Angesichts dieses generellen Trends ist es wiederum mißlich, daß die Mädchen und jungen Frauen als Sondergruppe wahrgenommen werden und nicht als eine »Grundgesamtheit« erscheinen wie die Männer eben auch. Der Blick auf die Mädchen und jungen Frauen wird auf sie gerichtet, als ob es sich um Alkoholiker, Schwangere oder Nichtseßhafte handeln würde - Teilgruppen mit besonderen Konstitutionsbedingungen. Dabei handelt es sich aber um die Hälfte der Jugend. Diese im Bewußtsein auf eine minoritäre Kleingruppe schrumpfen zu lassen, zeugt von beachtlichem Realitätsverlust bei den Verantwortlichen. Die jungen Frauen sind außerdem nicht vom Himmel gefallen, sondern in unserer Gesellschaft von meiner Generation als den Müttern und Vätern erzogen worden.

Auch ich habe Einfluß auf junge Frauen ausgeübt und tue dies noch. Insofern frage ich mich, inwieweit die nächste Frauengeneration von den gleichen Problemen beeinflußt ist, die mich seinerzeit quälten. Und ich frage mich auch, ob diese Generation den ungeheuren Sprung der letzten zwanzig Jahre, der für die Sache der Frauen erzielt worden ist, überhaupt wahrgenommen hat, und wenn ja, wie. Ich frage mich außerdem, wie diese Generation uns als Mütter eigentlich erlebt hat und welche Schlüsse sie aus unseren Stärken und Schwächen für den eigenen Lebensweg zieht. Und nicht sehr hoffnungsfroh frage ich mich schließlich, ob die etablierte Politik das aufnehmen kann und wird, was ihnen die Generation der jungen Frauen an Wünschen, Hoffnungen und Idealen entgegen hält. Ich war verblüfft und bewegt durch die Antworten, die mir fünf junge Frauen, für die ich in meinem Leben einmal Verantwortung trug oder noch trage, auf die Fragen gaben, die ich ihnen stellte. Diese jungen Frauen sind nicht repräsentativ für ihre Generation, denn alle entstammen sie bürgerlichen Elternhäusern, wenigstens ein Elternteil hat eine akademische Ausbildung, alle fünf haben eine weiterführende Schule besucht. Die fünf sind zwischen ig62 und ig66 geboren, ihre Mütter waren während ihrer Kleinkinderzeit nicht außerhäuslich erwerbstätig, sind aber später alle einem Gelderwerb nachgegangen, zum Teil gezwungenermaßen, denn vier der fünf Elternhäuser haben seit geraumer Zeit einen weiblichen Haushaltsvorstand, weil die Ehe auseinander brach. Trotzdem sind diese fünf jungen Frauen - es handelt sich dabei um meine Tochter, eine zeitweilige Pflegetochter und drei Patentöchter - für mich die konkreten Adressatinnen für mein gesellschaftspolltisches Engagement im Hinblick auf die Zukunft. Und »meine« fünf Töchter sind mindestens so repräsentativ für das, was ich politisch realisieren möchte, wie die schimärenhaften Vorstellungen, die sich männliche Politiker von der »jungen Generation« und insbesondere von ihrem weiblichen Teil machen. Deren Wahrnehmung scheint mir nämlich noch zusätzlich durch das Faktum getrübt, daß sie sich aus der Erziehung der nächsten Generation weitgehend davongestohlen haben - Erziehung ist Frauensache - und es sie ziemlich wenig zu interessieren schien, zu welchen Persönlichkeiten ihre Töchter sich entwickelten. [22]

Die Antworten, die ich von meinen Töchtern erhielt, sind nicht repräsentativ, aber aussagekräftig und so vielschichtig, wie eben fünf verschiedene Personen antworten; trotzdem lassen sich bestimmte Tendenzen herausfiltern. Alle fünf nehmen wahr, daß durch die Pille, durch bessere Bildungsmöglichkeiten, durch frauenfreundlichere Gesetze größere Freiheiten und ein größeres Selbstbewußtsein für Frauen erreicht wurden. Frauen hätten entdeckt, daß sie »mehr Kraft besitzen, als nur für Kinder und Mann da zu sein«. Das Bewußtsein dafür, daß Frauen benachteiligt sind, hat zugenommen und damit der Wille, diese Benachteiligungen abzubauen. Die Erziehung der nächsten Generation, also ihre eigene, sei weniger geschlechtsspezifisch abgelaufen. Ihren Brüdern gegenüber finden sie sich nicht benachteiligt. Bestenfalls die Oma hat in die Familienerziehung noch alte Rollenstereotype hinein getragen. Die jungen Frauen bemerken, daß sie selbst es sind, die durch ihre Interessen und ihr Engagement darüber entscheiden, was sie tun - abwaschen oder den Freund verwöhnen, Kindergruppen anleiten, japanisch lernen oder Saxophon üben. Drei der fünf erinnern aus ihrer Vorpubertätszeit, daß sie lieber ein Junge gewesen wären, jedenfalls durch jungenhaftes Verhalten mehr Anerkennung »in Gruppen« zu finden versuchten. Ob und wodurch sich die Mütter der jungen Frauen verändert haben - darüber hatten sie noch nie nachgedacht. Durch die Fragen fällt ihnen verschiedenes ein: Vor allem anderen der Beruf und Geldverdienst. Dann die größere Selbstsicherheit der Mütter, nachdem die Väter aus den Familien verschwunden waren. Schließlich die größere emotionale Offenheit für ihre Kinder, das Partnerschaftliche und die Toleranz. Die Mütter »brechen«, so mit Ende Dreißig oder Anfang Vierzig, »aus ihrem Hausmutterwesen heraus«, sie seien »vielleicht nicht radikaler, aber rigoroser, wie sie zur Sache gehen«, sie seien »nicht mehr die nette Dame, die mit netten Sprüchen was Nettes sagen möchte«. Im Vergleich dazu nehmen die Töchter sogar wahr, daß solche tief greifenden Veränderungen, die dem gesamten Leben eine andere Richtung geben, bei den Vätern nicht festzustellen seien: Die treten auf der Stelle. Die erzieherische Prägung durch die Mutter reflektieren alle fünf deutlich: »Sie wollte, daß ich unabhängig werde, indem sie mir eine Ausbildung ermöglichte, die sie nicht genossen hat.« Sie hat mir »Standhaftigkeit gezeigt«, »daß man nicht gleich aufgeben darf, durchhalten muß, Urteilsvermögen, Aktivitäten hat, man muß selber eine Initiative ergreifen«. »Ich bin nun mal das einzige Mädchen, und als solche bin ich etwas Besonderes.« »Geprägt hat mich sicherlich auch die Scheidungsgeschichte. Emotionale Abhängigkeit ist eine Abhängigkeit, die man nicht umgehen kann, aber ich achte darauf, daß ich mir bei Beziehungen, bei Freundschaften so viel Freiraum wie irgend möglich erhalte.« Die Mutter hat auch dadurch geprägt, »daß sie wirklich das getan hat, von dem sie immer sehr überzeugt war«, und daraus zieht die Tochter den Schluß, »daß meine Geschwister und ich das schon übernommen haben, daß wir auch wirklich das äußern können, was wir denken, und nicht irgendwie Mitläufer geworden sind oder Kriecher, sondern daß man seinen Standpunkt ruhig vertreten kann«. Was würden die Töchter anders machen?

Alle sind sich einig: Früher anfangen als ihre Mütter, etwas für sich selbst zu tun, sich nicht so stark in emotionale Abhängigkeiten vom Ehemann begeben, sich nicht so ausschließlich für Mann und Kinder abarbeiten. »Mir ein Lebensziel setzen außer Heiraten, ich möchte keine Ehe eingehen, bevor ich nicht selbst fertig bin.« »Ich hätte schon wesentlich früher damit angefangen, meine Interessen zu verfolgen, nicht nur zurückzustecken wegen der Kinder.« »Ich möchte eigentlich unabhängig von einem Mann bleiben. Mein Ziel ist es, mein Kind allein durchzubringen.« »Ich würde früher anfangen zu versuchen, einfach zu leben, genug Zeit haben für die Sachen, die mir unheimlich wichtig sind.« Alle fünf »Töchter« möchten Kinder haben, nach Möglichkeit mehr als eines. Sie finden es wichtig, ein Jahr, vielleicht auch länger, ganz für das Kind da sein zu können; allerdings wollen sie auch nicht den beruflichen Anschluß verpassen und nach Möglichkeit sogar ihren Beruf kontinuierlich weiter betreiben. Deshalb schwebt dreien von den fünf jungen Frauen vor, die eine entsprechende Berufsausbildung durchlaufen bzw. durchlaufen haben, sich selbständig zu machen und in den entsprechenden Phasen zu Hause zu arbeiten. Auch alternative Modelle wie Wohngemeinschaften können die jungen Frauen sich vorstellen, um die Erziehung von Kleinkindern und den Beruf zu vereinbaren. Eine zu starke Mutterfixierung soll vermieden werden. Auf jeden Fall soll der Staat ihrer Meinung nach mehr helfen, insbesondere was den Wiedereinstieg in den Beruf und was die finanzielle Grundlage junger Familien angeht. Ob und wie Männer und Frauen unabhängig vorn Geschlecht sich auch sonst unterscheiden, scheint eine Frage, die die jungen Frauen nachhaltig beschäftigt. Gelesen haben sie darüber nichts, sie beurteilen die Frage aufgrund ihrer Anschauung und Erfahrung: Also ja, sie unterscheiden sich.

Frauen werden für anpassungsfähiger, zäher, vom Manne ziemlich unabhängig und intelligenter gehalten. Ursächlich für die Unterschiede sind sowohl angeborene wie auch durch Erziehung vermittelte oder verstärkte Anlagen. »Spontan, auf Anhieb, fällt mir zum Beispiel ein, daß Frauen in meinem Alter anpassungsfähiger sind. . . . Und später, bei den älteren Frauen und Männern, ist mir jetzt oft aufgefallen, daß ich mehr Frauen kenne, die sich zwischen dreißig und vierzig sehr verändert haben, eine andere Richtung eingeschlagen haben, offener geworden sind oder werden als Männer - da stagnieren sehr viele, da passiert nichts ... Die Frauen krempeln sich um, werden offen, kritikfähiger, sind lernfähiger als die Männer. Vielleicht auch wegen ihrer größeren Angepasstheit oder wegen ihrer Erziehung, vielleicht auch, weil sie mehr zuhören.« »Die Frau ist eigentlich eher in der Lage, Dinge für sich zu tun als der Mann. Denn der Mann benötigt die Frau im Grunde für Dienstleistungen. Das heißt, das sind meine Erfahrungen, die ich größtenteils gemacht habe. Und die Frau benötigt den Mann aber nicht für Dienstleistungen, sondern alles das, was sie kann, kann sie auch allein. Das kann der Mann nicht. Wenn man es mal kraß sieht: die Frau muß ganz viele Berufe ausüben, um eine richtige Frau in unserer Gesellschaft zu sein, der Mann braucht nur einen Beruf.« »Ich glaube, daß Frauen viel, viel zäher sind, daß Frauen viel mehr durchsetzen könnten, weil sie viel mehr Power aufbringen, um etwas durchzusetzen. Ich glaube, daß Frauen intelligenter sind, viel eher in der Lage, Wissen aufzunehmen, sich mit Sachen konkret zu beschäftigen. Und ich glaube, daß Frauen, das mag an der momentanen Rolle liegen, sehr viel eher anfangen, mit Wissen zu argumentieren als mit Geschwafel. Das halte ich für ein Zeichen von Intelligenz.« Im Nachteil gegenüber Jungen und Männern empfinden die jungen Frauen sich nicht, höchstens wenn es um das Erreichen einer beruflichen Position geht; da, so fürchten sie, werden sie Schwierigkeiten haben. Ob sie als junge Frauen Begabungen oder Stärken haben, die Männer üblicherweise nicht haben, verneinen sie strikt: Vor Verallgemeinerungen solle man sich hüten, es gebe genauso viele ungeduldige Frauen wie geduldige Männer, und sie hätten auch schon unsensible Frauen und sehr sensible Männer erlebt. Nicht nur an den Stammtischen hält sich hartnäckig die Meinung, Frauen schätzten die Art, wie sie von Männern als Geschlechtswesen wahrgenommen werden. daß schon sehr junge Frauen dies deutlich anders sehen, wird an meinen Töchtern deutlich. »Wenn ich auf der Straße rumgehe, bin ich im Nachteil, weil ich angegriffen werde, wenn ich mich anders verhalte, zum Beispiel wenn. ich mich anders anziehe oder wenn ich trampe. Für viele Männer ist es von vornherein klar, wenn zwei Mädchen miteinander fortgehen, dann suchen sie einen Mann, das ist so.« Eine von ihnen konnte noch im nachhinein richtig wütend werden, wenn sie an die Zeit zurück dachte, als sie »eine Beziehung hatte, wo ich nur der Repräsentation diente, als niedliches attraktives Mädchen, das nicht so viel sagen soll. Aber vielleicht nett und charmant ist. Wo ich auf andere Art und Weise nicht akzeptiert worden bin.« - »Wenn ich in die Kneipe gehe, das ist eine Sache, die mich nervt. Wenn ich als Frau, als Aufreißobjekt für Bettgeschichten gesehen. werde, das empfinde ich als diskriminierend. Und das ist teilweise ganz gezielt so . . . Allein dieses Anmaßende, daß es Männer gibt, die glauben, daß sie einfach, weil sie Typen sind, praktisch ein Recht darauf haben, dich ins Bett zu kriegen, und auch noch persönlich gekränkt sind, wenn sie's nicht packen. Das ist diskriminierend. Das empfinden viele so.« - Rita, die mit Krücken läuft: »Für mich ist das schwierig, weil ich keine Beine habe wie eine andere Frau, kann ich teilweise Erfahrungen machen, daß die Frau nicht als Person, als Lebewesen, als Frau gesehen wird, sondern eher als ein Schönheitsideal, die und die Figur, die und die Beine und die Größe, und erst dann ist sie eine Frau. Das empfinde ich so, und darüber bin ich enttäuscht. daß du nicht als Lebewesen, sondern materiell eingestuft wirst.« Ihre Stellung in der Gesellschaft beschreiben die jungen Frauen ambivalent: Mitunter sei es vorteilhaft, eine Frau zu sein, beispielsweise wenn man einen Platten hat und ein Mann sich freut, einem helfen zu dürfen, andererseits werde man an der Tankstelle belächelt, weil man sich eben technisch mit dem Auto nicht so gut auskenne wie junge Männer.

Bildungsmässig und in der Schule haben die jungen Frauen keine Nachteile erfahren, aber beruflich fürchten sie sich vor Behinderungen: »Ich glaube schon, daß man als Frau stärker sein muß, aber irgendwie traue ich mir das zu.« »Und durch Medien wirst du auch damit konfrontiert, durch Gespräche mit Leuten, die im Berufsleben stehen, wo es eben doch klar wird, daß Frauen zurückgesetzt werden. Aber ich glaube, je älter meine Generation wird, desto mehr kann man verändern.« Von der Politik, wie sie ihnen durch die Medien begegnet, fühlen sich die jungen Frauen generell überhaupt nicht betroffen, und zwar von den Frauen in der Politik genauso wenig wie von den Männern. Allerdings sind sie überzeugt davon, daß Verbesserungen für die Situation der Frauen eher durch Frauen, als durch Männer erzielt werden. Die Schlagworte »Feministin« und »Emanze« empfinden sie als negativ besetzt und möchten sich damit nicht identifizieren. jedoch: »Feministinnen sind eigentlich alle Frauen, die sich Gedanken über Frauen machen ... Ich glaube, daß ohne die Frauen und ohne die Kinder nichts besser wird. Was nützen mir die GRONEN, was nützen mir die Kommunisten, die Anarchisten, wenn die nicht an die Frauen und an die Kinder denken?« - »Obwohl ich wirklich etwas von der Frauenbewegung halte, aber gerade diese Begriffe sind für mich absolut negativ besetzt.« - »Ich finde Aspekte der Frauenbewegung extrem, aber indem sie extrem sind, sind sie gut, finde ich ... Und Emanze finde ich nicht als Beleidigung, durchaus als Kompliment.« - »Ich finde, Feministin und Emanze haben einen unheimlich negativen Beigeschmack, weil das so überspitzt dargestellt wird und es auch ein paar echt überspitzte Weiber gibt. Also meine Theorien mache ich mir eigentlich selber . . . Im Grunde ist es ja nichts Negatives. Wenn ich den Begriff mal auf mich gemünzt gesehen hätte, dann wäre ich stolz drauf... Emanze ist ganz einfach nur die Frau, die was verändert. Und im Zusammenhang ist es dann in Ordnung.« Der Sponti-Spruch »Die Zukunft ist weiblich oder gar nicht« findet bei meinen »Töchtern« nur geteilte Zustimmung. »Ziemlich dämlicher Sponti muß das gewesen sein. Die Zukunft wird genauso wenig weiblich sein, wie die Gegenwart männlich ist.« - »Ja, damit kann ich schon etwas anfangen. Ich glaube auch, die ganzen Revolutionen haben alle nichts genützt. Es sind immer wieder Machthaber entstanden und solche, die keine Macht haben, Unterdrücker und Unterdrückte. Natürlich haben sich gewisse Dinge verbessert, aber es sind immer noch die alten Verhältnisse, und die Unterdrückten werden belogen.

Und die Frauen haben immer sehr viel mit gemischt bei diesen ganzen Sachen, auch in der Hoffnung, daß sich ihre Situation verändert. Und dabei hat sich ihre Situation immer am wenigsten verändert. Vielleicht ist das im letzten Jahrhundert besser geworden, als die Frauen angefangen haben, nur für sich zu kämpfen. Ich glaube, daß ohne die Frauen und ohne die Kinder nichts besser wird.« Im Vergleich zu anderen Ländern und anderen politischen. Kulturen reflektieren diese fünf ihre Situation in Deutschland sehr kritisch. Rita lebte ein Jahr lang in Australien und bemerkte damals, als Fünfzehnjährige, um wieviel patriarchalischer die australische Gesellschaft organisiert ist, wie sehr die Frauenrechte dort missachtet wurden. Susanne war als Austauschschülerin ein Jahr in Japan und hat dieses Land in der Zwischenzeit mehrfach besucht: Niemals würde sie für eine japanische Firma arbeiten, denn dort hat man als Frau überhaupt keine Möglichkeiten. Iris ist mit einem Palästinenser befreundet und verfolgt die fundamentalistische Wendung im Islam mit großer Aufmerksamkeit; trotzdem beschäftigen sie die Unterschiede zwischen den Frauen der verschiedenen Schichten in der deutschen Gesellschaft stärker als die zwischen deutschen Frauen und Orientalinnen. Kirsten und Katja vergleichen sich mit Frauen aus südeuropäischen Ländern und finden ihre Situation besser. Katja gibt allerdings zu bedenken, daß traditionell geprägte, gefestigte Gesellschaftsstrukturen, wie beispielsweise bei afrikanischen Stämmen oder im indischen Kastenwesen, für die Situation der Frauen auch ein Halt sein könnten: Es gibt wenigstens fest umrissene Felder, die den Frauen zustehen. Zur Friedensbewegung stehen die fünf jungen Frauen positiv, beklagen allerdings, daß diese Bewegung angesichts des erstarrten Parteiapparates so wenig ausrichten kann. Das Thema »Frauen und Bundeswehr« beschäftigt sie nicht sonderlich, sie sind eher dagegen,; eine von ihnen. argumentiert, sie werde sich dafür aussprechen, weil sie ja nur dann die Möglichkeit hätte, den Wehrdienst zu verweigern und Zivildienst zu leisten; gar nicht gefragt zu werden, sieht sie als Entmündigung. Nur eine meiner fünf Töchter bestreitet rundheraus, vor irgend etwas Angst zu haben. Eine andere fürchtet sich vor dem individuellen Versagen: daß sie vielleicht nicht das erreichen könnte, was sie sich vorgenommen hat. Die dritte fürchtet sich vor Einsamkeit im Alter und vor endloser Krankheit, aber auch vor »Krieg, der was übrig läßt«. »Krieg, der nichts übrig lässt, ist mir egal. Fände ich zwar schade um die Welt, aber würde mich dann nicht weiter berühren.« Und die beiden anderen jungen Frauen werden gleichfalls von der Angst vor einem dritten Weltkrieg, vor dem Atomkrieg umgetrieben und sehen das politische Verhängnis drohend vor sich. Wenn sie Politikerinnen wären, was würden sie ändern?

Angebote zur Abrüstung machen, die Raketen verschrotten, selbst einseitig abrüsten, um auszuloten, ob die Gegenseite mitzieht. Die ungerechte Verteilung in unserer Gesellschaft und die schichtenmäßige Gliederung würden sie ändern wollen. Ferner mehr für die Familien tun. »Die Väter aufklären über ihre Töchter, daß sie nicht alle Sekretärin werden müssen.« »Für militärische Zwecke würde ich weit weniger ausgeben und für soziale Zwecke würde ich weit mehr ausgeben ... Das wäre mir, glaube ich, das Wichtigste, Finanzen zu verteilen.« Ich habe mich nach den Gesprächen nach meinem eigenen Lebensgefühl gefragt, als ich so alt war, wie meine Töchter jetzt sind. Ich weiß nicht mehr, wie ich mit 19 oder Anfang 20 gewesen bin. Vermutlich sehr optimistisch, was die Realisierung meiner Zukunftsträume anging: ein interessanter Beruf, berufliche Interessen und Kindererziehung miteinander verbinden, ein Leben mit Kindern, Ehemann und vielen Freunden, nicht langweilig und mit gestalterischen Freiräumen.

Die Angst vor Krieg und Katastrophe hatten wir damals weniger. Und als behütete »Tochter aus gutem Haus« machte ich die Erfahrungen mit jener anmaßenden männlichen »Anmache« nur eingeschränkt oder gar nicht. Welch ein Glück, unsere Töchter sind eigenständiger und selbstbewußter, als wir es damals waren. Sie wissen genauer, was sie als Person wollen. Vor allem auch, was sie nicht wollen. Sie erkennen politische Zusammenhänge und können sich schon dadurch besser wehren, daß sie sagen können, »was ihnen stinkt«. Das Rüstzeug, die Gesellschaft weiter zu ihren Gunsten zu verändern und die Defizite der Politik auszugleichen, haben wir Mütter ihnen offenbar mitgegeben. Die Machtbastionen der Männerpolitik konnten wir allerdings nicht erstürmen, nicht einmal nachhaltig erschüttern bisher. Da bleibt für sie noch viel zu tun.

Zwischenstationen zur Macht

»Hier kommt mir der einzige optimistische Satz
des alten Marx in den Sinn: Die Menschheit stellt
sich immer nur die Probleme, die sie lösen kann.
Wie also, wenn heute der Widerspruch Frau in seiner
Radikalität nichts anderes wäre als das Auftauchen
des Problems Nr. 1, die plötzliche Verhärtung der
Politik angesichts des Hervorbrechens neuer
Subjekte und gesellschaftlicher Figuren,
Massen, Bedürfnisse, auch eben (und deswegen gerade heute)
der Frauen? Wie, wenn das Aufbegehren der Frauen nicht
nur das Symptom einer allgemeinen Krise der Politik wäre,
sondern vor allem der noch unklare Impuls einer praktischen
Kritik der Art und Weise, wie wir Politik betreiben -
so wie die revolutionäre Arbeiterklasse einst die
Kritik der Ökonomie verkörperte?«
Rossana Rossanda
Einmischung

Wählt man an einem beliebigen Tag ein beliebiges Informationsmedium, kann man fast 100 prozentig sicher sein, im bunten Strauß der angebotenen Themen auch sogenannte »Frauenthemen« zu finden. Das könnte einen fast zu der Meinung veranlassen, die Frauenfrage stünde im Zentrum des politischen Interesses. Ist das so? Ohne Frage ist die politische Aufgeschlossenheit der Frauen in unserer Gesellschaft gewachsen, desgleichen ihre Kenntnisse und ihr Engagement in politischen Fragen. Statistisch nachweisbar steigen die Zahlen weiblicher Mitglieder in Parteien, die Frauen werden politischer und haben sich unabhängig gemacht von männlichen Vorbildern, auch vom Vorbild des Ehemannes. In den Gewerkschaften trifft dies nur teilweise zu, und zum Verdruß der Gewerkschaftsbosse oft gerade dort nicht, wo besonders viele Frauen beschäftigt sind: im Handel, im öffentlichen Dienst, teilweise in der Textilindustrie. Eine der Ursachen für die Nichtbeteiligung von Frauen am Gewerkschaftsleben liegt sicher in Teilzeitbeschäftigungsverhältnissen begründet: Diese Frauen können aufgrund ihrer familiären Inanspruchnahme weniger Zeit und Kraft in Fragen stecken, die mit dem Gelderwerb nur am Rande zu tun haben; Interessenvertretung erscheint da schon als Luxus. Daran hat sich seit der Frühzeit der Sozialdemokratie nichts geändert. Vermutlich stimmt aber auch die besonders strikte hierarchische Gliederung innerhalb der Gewerkschaften die Frauen skeptisch, ob sich ihr Einsatz dort wirklich lohnt. Doch auch hier ändern sich die Zeiten. Nach dem DGB-Kongreß 1986 verlautete, daß die Zahl weiblicher Gewerkschaftsmitglieder zunimmt. Die weiblichen Delegierten hatten außerdem für eine Debatte über Anträge gesorgt, in denen Frauenförderpläne, quotenmäßige Beteiligungen und bessere Chancen für Frauen im Arbeitsleben gefordert wurden. Wie man lesen konnte, paßte diese Diskussion den Männern gar nicht. Sie fügten sich widerwillig. Die über Jahrzehnte etablierten Frauenorganisationen, der Akademikerinnenbund etwa, der Staatsbürgerinnenbund oder der Hausfrauenbund, haben Sorgen mit dem Nachwuchs; ihre Basis verbreitert sich nicht, trotz großer Anstrengungen, sich selbst ein moderneres Image zu geben. Anders verhält es sich mit konkreter Interessenvertretung der Frauen auf dem akademischen Niveau, etwa beim Juristinnenbund. Hier läßt sich feststellen, daß die Frauen in der Wahrnehmung politischer Konfliktthemen den Männern meist um Jahre voraus sind. Eine relativ neue Entwicklung ist die Abspaltung von gesonderten Frauenorganisationen aus den traditionellen Verbänden. So haben sich die Psychologinnen und die Soziologinnen gesondert organisiert, und in Nordrhein-Westfalen gibt es eine Organisation der Wissenschaftlerinnen an nordrhein-westfälischen Hochschulen. Es gibt die ortsübergreifende »Aktion Klartext«, zu der sich viele lokale Zusammenschlüsse von Journalistinnen gesellen. Auch Frauen Presseagenturen gibt es inzwischen, z. B. die IFPA, die Nachrichten sammelt und verbreitet, auf die man andernorts nicht stößt. Solche Abspaltungen haben ihre Ursache vor allem darin, daß die Frauen erkennen, wie wenig ihre spezifischen Interessen durch Organisationen berücksichtigt werden, in. denen die Männer zahlenmäßig übermächtig vertreten sind. Kräftig zugenommen hat die Beteiligung der Frauen an den Elternbeiräten für Kindergärten und Schulen. Das hat aber nicht im geringsten dazu geführt, daß etwa die Lehrerorganisationen oder die Schulverwaltungen oder etwa gar die Kultusbürokratie verstärkt zur Kenntnis genommen und etwa gar berücksichtigt hätten, was ihnen die Mütter als die »Hilfslehrerinnen der Nation« mit der Bitte um Berücksichtigung mitteilen. Eher läßt sich fast das Umgekehrte sagen:je »flächendeckender« die Mitverantwortung der Eltern in Kindergärten und Schulen ausgebaut ist, um so bürokratischer mauert das gesamte Bildungswesen sich ein. Der Schwung der Kinderladen- und Schülerladenbewegung von vor 15 Jahren ist längst dahin. Zum Teil wurde dieses Engagement aber in andere »alternative« Projekte eingebracht.

Trotz der Zunahme der weiblichen Parteimitgliedschaft kann man sicher sagen., daß die Frauenorganisationen der Parteien ihr Ziel, die Frauen in angemessener Zahl an die Politik heranzuführen und die weiblichen Parteimitglieder voll in die Parteien zu integrieren, bisher nicht erreicht haben. Vermutlich wegen des zu geringen Einflusses innerhalb der Gesamtpartei ist es den Frauenorganisationen nicht gelungen, der Frau in der politischen Sphäre die Rolle eines gleichberechtigten Partners zu erringen oder gar zu sichern. Nach wie vor sind die Frauen in den Parteien in den einzelnen Führungsorganen der Parteien längst nicht angemessen vertreten, nicht einmal gemessen an ihrem Mitgliederanteil. Den Vorwurf an die Männermajorität in den Parteien, die politische Frauenarbeit nicht ernst genug zu nehmen, kann ich dem Parteiestablishment nicht ersparen.

Aber hier zeigt sich erneut, daß die Parteien natürlich nur Spiegelbilder der Gesamtgesellschaft darstellen, in der die politische Arbeit, die Frauen leisten - ob innerhalb von Parteien, Gewerkschaften oder anderen Organisationen - nicht wichtig genug genommen wird, oder besser: nicht wichtig genommen wurde. Denn mit dem Entstehen von Bürgerinitiativen und anderen Organisationsformen sind die etablierten Parteien und Organisationen auf das heftigste verunsichert worden. Es ist hier nicht der Ort, eine systematische Darstellung über das Entstehen und über die weibliche Beteiligung bei Bürgerinitiativen zu geben. Ich beschränke mich auf den Hinweis, daß offensichtlich die Unbeweglichkeit verkrusteter Gesellschaftsstrukturen, repräsentiert durch männlich majorisierte Organisationen, und die persönliche Betroffenheit von Frauen nicht deckungsgleich waren. Dieses asynchrone Aufeinanderprallen machte sich an Themen fest, die für Frauen besonders hohen emotionalen Rang haben, da sie unmittelbar mit dem Leben zusammenhängen: Lebensbedrohung durch Rüstung, Lebens- und Naturzerstörung durch Kernkraft und Zerstörung der Umwelt durch Schadstoffbelastung und durch überdimensionierte Verkehrsprojekte, Angst vor Krieg. Das Sensorium der Frauen hinsichtlich dieser Fragen ist feiner und wacher als das der Parteiapparate, die sich dem durch. die Bürgerinitiativen entfachten politischen Sturm schließlich nicht verschließen konnten. Inzwischen reden alle Parteien von Ökologie und Naturschutz, von Frieden und Abrüstung und erwecken den Anschein, als seien diese Themen schon immer ein mehrheitlich vertretenes Anliegen ihrer Organisationen gewesen. Und flugs werben alle Parteien um die weibliche Wählerschaft, weil sie bei dieser die Entfremdung von den organisierten Apparaten erkennen. Und natürlich werden auch werbemäßig die Absatzmärkte für das neue Ideengut erschlossen: Kernseife, phosphatfreie Waschmittel, Bio-Lebensmittel machen den sensibilisierten Frauen weis: Die Männerwelt denkt um. Wo Frauen mit ihrem Engagement ansetzen und wie dieses dann in die sie umgebende Gesellschaft hineinwirkt, zeigt das Beispiel der »Ellwanger Frauenliste«, über die das Zweite Deutsche Fernsehen am 13. April 1986 einen anschaulichen Bericht brachte, bezeichnenderweise auch von einer Frau: der Journalistin Edith Schmidt.

In Ellwangen an der Jagst, einer Benediktinergründung und Garnisonsstadt von jetzt 21 500 Einwohnern, herrschte bis zum Jahr 1980 eine überwältigende CDU-Mehrheit, die mit einer überdimensionierten Straßenplanung »(Westtangente«) den Widerstand einer Bürgerinitiative hervorrief. Aus dieser Bürgerinitiative entwickelte sich der Wunsch, kommunalpolitisch stärker Einfluß zu nehmen, eine gemischte Liste unabhängiger Bürger sollte gebildet werden. Als es darum ging, Männer für diese Liste zu gewinnen, zogen sich die Anwärter rasch zurück, da sie als Geschäftsleute nicht an einem Minderheitenstatus im Stadtrat interessiert waren. Übrig blieben die Frauen, die nun die »EFL« »(Ellwanger Frauenliste«) ins Leben riefen, alsbald als »Hühnerliste« und »Krampfadergeschwader« öffentlich diffamiert. Auch durch die Presse wurde Druck auf die Frauenliste ausgeübt, die dennoch - weil es ihr durch Flugblätter und einen eigenen Schaukasten gelang, »Gegenöffentlichkeit« zu erzeugen - auf Anhieb 9,4 Prozent der Stimmen erhielt: Zwei Sitze im Rat. Gisela Mayer, die treibende Kraft der Frauenliste, ist Büroleiterin und hat fünf Kinder. Sie sagte vor der Fernsehkamera, trotz aller Diffamierungen habe sie »durchgehalten, weil's mir um die Sache ging«. 1984 sei die EFL noch einmal angetreten, habe weitere zwei Prozent gewonnen und halte jetzt drei Sitze im Stadtrat. Die meisten Frauen, die auf der Liste mitmachen, haben Kinder - oft mehrere - außerdem haben sie einen Beruf Politische Anliegen der Ellwanger Frauen? Bessere Kinderbetreuung, Verkehrsberuhigung, keine Tiefflieger mehr. Darüber hinaus begreifen sie sich als Keimzelle für kommunalpolitische Frauenaktivitäten: Im April 1985 trafen sich 100 Frauen, die Erfahrungen mit Frauenlisten gesammelt haben, im April 1986 waren es noch mehr, die sich zum Erfahrungsaustausch in Sindelfingen zusammenfanden.

Die Männer in Ellwangen reagieren verstört: Ein Gastwirt sagt, mehr Frauen müßten nun wirklich nicht in den Stadtrat. Und die CDU-Gemeinderäte wollten sich zur Mitarbeit der Frauenliste nicht äußern: dem Fernsehen war untersagt, bei der Ratssitzung Aufnahmen zu machen. An dieser Stelle erscheint es mir angebracht, einige Bemerkungen zum Thema »Medien und Frauen« zu machen. Trotz der unverkennbaren Zunahme weiblicher Journalisten in allen Medien bleibt nämlich unverändert festzustellen, daß die Medien von Männern beherrscht sind. Dies gilt nicht nur hinsichtlich der Kapitaleigner und der Gremien bei Funk und Fernsehen, sondern auch bezüglich der Journalisten. Daraus ergibt sich die gängige Perspektive: Frauenfragen werden als Sonderfragen gesehen und behandelt, das gewissermaßen »Exotische« reizt die journalistische Neugier. Das war schon immer so. Als Fixierung aufs Exotische - wirklich drollig, wie so ein Frauenparteitag abläuft - läßt sich auch heute oftmals bezeichnen, was männliche Berichterstatter über Frauenkonferenzen oder Frauenthemen (falls es letztere überhaupt gibt) berichten. Da schrumpfen manchmal stundenlange Sachdebatten über wichtige Themen mit eindrucksvollem Ergebnis zu Halbsätzen zusammen, während der Kleidung oder angeblichen atmosphärischen Besonderheiten in dem Frauengremium weit mehr und nach Meinung des Journalisten »angemessener« Raum gegönnt wird. Auch Wertungen schleichen sich ein, die der journalistischen Sorgfaltspflicht nicht entsprechen. Im Minderheitskabinett der norwegischen Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland sind von 18 Ministern 8 Frauen, das heißt, Frau Brundtland hat den Beschluß ihrer Partei ausgeführt, wenigstens 40 Prozent der zu vergebenden öffentlichen Ömter den Frauen offenzuhalten. Der Nachrichtensprecher fügte hinzu: »Mit Ausnahme des Justizressorts sind den Frauen aber keine klassischen Ressorts anvertraut.« Mit diesem Zusatz wird die Assoziation nahegelegt, daß diese Entwicklung bei den norwegischen Sozialdemokraten zwar schon schlimm genug sei, aber Gott sei Dank vor dem Allerheiligsten doch noch halt gemacht hätte.

Ein weiteres journalistisches Antriebsmoment für die Berichterstattung über Frauenthemen ist das mehr oder minder spielerische Interesse, das Parteiestablishment zu irritieren, es ein bißchen zu ärgern und in Unruhe zu versetzen. Dazu eignen sich Vor-Wahljahre natürlich besonders gut, und die gegenwärtige politische Lage bietet sich dafür geradezu an: Die wirtschaftspolitischen Glaubensbekenntnisse der Parteien kann der Laie schwer auseinander halten, außenpolitisch können wir eh nicht viel machen, was gibt es also Schöneres als den Gegensatz der Geschlechter! Da kann jeder Mensch sich angesprochen fühlen, versteht ein bißchen was davon und hat vor allem eine Meinung. Die militante Frauenbewegung sei ohnehin tot, wie man aus Amerika hört. Ernsthafte Gefahr für die Männermacht besteht also nicht, denn auch bei uns gehört Alice Schwarzer inzwischen zum Establishment. So hat man - gewissermaßen kostenlos - ein ergiebiges Thema, ist beschäftigt, aber nicht bedroht. Und doch hat sich die Diskussion in einem wesentlichen Punkt qualitativ verändert: Seit einiger Zeit ist, wenn von Frauengleichstellung gesprochen wird, nicht mehr nur von Bemühungen und vom guten Willen die Rede, sondern von Quoten. Eine Quotierungsdiskussion hat es in der Sozialdemokratie schon igo8 gegeben. Sie war ergebnislos oder gar kontraproduktiv. jetzt erleben wir diese Diskussion mit breitem Medienecho ein zweites Mal, dazu noch unter dem Druck der wahrlich radikalen Praxis bei den GRÜNEN. Diese Partei hat durch ihr »Feminat« - den ersten rein weiblichen Fraktionsvorstand, den es jemals in Deutschland gab, gezeigt, daß Frauen ihre Chance zur Führung zu nutzen verstehen und damit sogar Erfolg haben. Durch das Feminat wurde eine Bresche im Bewußtsein nicht nur der Frauen geschlagen. Zur Entstehung: Die GRÜNEN-Fraktion war in heillose Richtungskämpfe zerstritten, und von den Männern hatte niemand ein Konzept, diese Richtungskämpfe zu überwinden. Die Stimmung war schlecht und kulminierte in den nachgerade klassischen Worten von Milan Horacek: Die jetzige Riege muß weg! Die »berstenden Egos« der GRÜNEN-Stars waren allen Fraktionsmitgliedern ein Dorn im Auge, aber keiner wußte, wie es nun weitergehen sollte.

Da nun sowieso alles schief lief, ließen »die Männer die Frauen ran« - mit dem sicherlich insgeheim vorhandenen Gedanken: Sollen sie sich ruhig blamieren, Frauen können das sowieso nicht! Entsprechend war der Erwartungsdruck, unter dem Antje Vollmer, Waltraud Schoppe und Christa Nickels standen. »Nur Frauen sind in der Lage, ein Lösungsmodell zu entwickeln, das auf Kooperation ausgerichtet ist«, hatte Antje Vollmer damals gemeint. »Heute muß sich die kleine Pastorin mit der leisen Stimme von Otto Schily das Prädikat einer <eiskalten Machtpolitikerin> anheften lassen«, schreiben die Nürnberger Nachrichten am 26.3.1985 im Fazit über »Ein Jahr Feminat«. Den einzigen Kommentar, der die wirkliche Dimension erkannte - abseits alles Spektakulären -, schrieb Rüdiger Altmann am 26. April 1984 ausgerechnet in der Illustrierten »Bunte«: »Es geht also den GRONEN um mehr als um die Gleichberechtigung der Frau, nämlich um ein anderes Kulturprinzip. Man könnte es in einem umfassenden Sinn als <weiblich> bezeichnen. . . denn mit unserer männlichen Kultur allein ist, so scheint es, nicht mehr allzu viel Staat zu machen.« Die Frauen des Feminats reflektierten gründlich, daß sich durch sie auf gänzlich neue Weise die Machtfrage stellte: »Was ist Macht? Das ist die Frage, die jetzt sehr heiß diskutiert wird. Sind wir ein stärkerer Machtfaktor, wenn wir uns in diesen alten verknöcherten Apparat möglichst stark hinein begeben, oder sind wir eine stärkere Macht, wenn wir versuchen, diesen alten Apparat nicht kaputtzumachen, aber umzubauen. Da gibt es wirklich knallharte Auseinandersetzungen«, so Christa Nickels in einem Interview mit der taz am 4.3.1986. Die schiere Forderung nach einer gerechten Quote an den zu vergebenden Funktionen, Mandaten und Ämtern ist aus der Ungerechtigkeit der Zustände allein nicht hinreichend begründet. Denn schließlich gibt es diese Ungerechtigkeit seit Jahrtausenden, und es besteht keine zwingende Notwendigkeit, ausgerechnet jetzt damit aufzuhören. jedenfalls könnten Männer so argumentieren. Und sie könnten sich ein weiteres Mal auf das Argument zurückziehen, daß Qualität sich in dieser Leistungsgesellschaft schließlich durchsetze und daß der Mangel an Frauen in Spitzenpositionen dann offenbar doch darauf zurückgeführt werden müsse, daß es eben an der Qualität immer noch mangele.

Auf diese Argumentation will ich mich gar nicht einlassen, denn ich halte sie für töricht: Soviel Mittelmaß, wie wir es männlichen Geschlechtes in Führungspositionen vorfinden, brächten wir Frauen leicht zusammen. Das Gegenteil ist richtig: Eine hochindustrialisierte Leistungsgesellschaft verhält sich sträflich nachlässig, wenn sie 50 Prozent ihres Begabungsreservoirs so achtlos ungenutzt läßt, wie unsere Gesellschaft dies mit den Frauen tut. Deshalb soll die Forderung nach einer Quotierung nicht nur in Parteistatuten, sondern auch in gesetzlich verbindlichen Verordnungen festgeschrieben werden, in welchem Zeitraum und wie die Beteiligung der Frauen an führenden Positionen in Staat und Gesellschaft sichergestellt werden kann. Dies ist weniger eine Frage der Gerechtigkeit - das ist es allerdings auch - sondern eher eine Frage der politischen Klugheit. Dass die Frauen des GRÜNEN-Feminats die ihnen in einer anarchischen Situation zugefallene Macht als eine »Macht auf Zeit« verstanden, wird daraus deutlich, daß sie die Macht zurück gaben und nicht wieder kandidierten. Der einzige mir bekannte Fall übrigens, wo Macht freiwillig wieder aufgegeben wurde. Sind Frauen gegen die »Droge Macht« eher immun?

Dies vielleicht nicht, aber ganz gewiß bietet das Feminat weitere Ansatzpunkte für die Überlegung, ob nicht der Zeitpunkt gekommen ist, daß die Frauen sich ernsthaft für die Probleme der Macht interessieren und sich unter den gegebenen Umständen als ein besonderes historisches Subjekt begreifen, das sich um der Zukunft unserer Gesellschaft und unserer Welt willen den Zugang zur Macht erobern muß. Freilich meine ich eine andere Macht als die, die heute am Werke ist. Hierarchische Gliederung, Konkurrenz, »Leaderismus«, Bürokratismus, praxisfernes Gerede und dürre Papiere sind nicht die Art von Macht, auf die Frauen sich einlassen werden. Deshalb muß das Hauptbestreben der Frauen darauf gerichtet bleiben, Politik wieder zum Mittel zu machen und als Selbstzweck zu entthronen. Rossana Rossanda spricht in diesem Zusammenhang über »die Erkenntnis der bedeutungsvollen Komplexität der menschlichen Beziehungen. Diese Erkenntnis rüttelt an dem traditionellen Politikverständnis. Sie widerspricht der Verselbständigung der Politik von der Lebenswelt der Menschen, bindet die Politik wieder an die Interessen. und die Köpfe der gesellschaftlichen Subjekte zurück. Sie setzt den Begriffen wieder Augen ein.« Rossanda erinnert daran, daß die wichtigsten Erfahrungen der Frauenbewegung und des Feminismus den Erfahrungen der Arbeiter im Verlauf der Arbeiterbewegung ähneln. Deshalb müssen jetzt die Frauen in die politischen und zivilen Institutionen eindringen, was bedeutet: Sie müssen das Haus verlassen.