Narzißmus und Machtstreben

»Ich unglücksel'ger Atlas! eine Welt,
Die ganze Welt der Schmerzen, muß ich tragen,
Ich trage Unerträgliches, und brechen
Will mir das Herz im Leibe.«
Heinrich Heine
Buch der Lieder

»Roll doch das Ding, du Blödmann.«
Marie Marcks

Alice Miller geht in ihrem Buch Das Drama des begabten Kindes so weit zu sagen, daß alle Wahrnehmung gesellschaftlicher Zusammenhänge, alle Gedanken, die Menschen sich über »die Absurdität der Rüstung, die Ausbeutung des Kapitals, die Verlogenheit der Diplomatie, die Arroganz und Manipulation der Macht, die Anpassung der Schwachen, die Ohnmacht des einzelnen« machen, nur »uneigentliche« Wahrnehmungen seien, solange man sie losgelöst sieht von der Wahrnehmung der »Absurdität ihrer geliebten Mutter zur Zeit, als sie noch ganz kleine Kinder waren«. Die einstige Interaktion zwischen Mutter und Kleinkind ist für sie der Kernpunkt, an dem versucht werden muß, die Wahrheit über sich selbst herauszufinden, um »die innere Notwendigkeit, immer neue Illusionen und Verleugnungen aufzubauen, um die eigene Wahrheit nicht zu erleben«, zu durchbrechen. Ich halte ihre Gedanken, über die Analyse narzisstischer Neurosen an die Problematik gängiger Machtausübung heranzukommen, für plausibel. Dabei fällt es mir insofern nicht leicht, mich auf ihre Gedanken einzulassen, als ich erkennen muß, daß ich mich selbst in die Gruppe jener Menschen einzureihen habe, deren Selbstwertentwicklung aufgrund frühkindlicher »Kränkungen« als gestört anzusehen ist und deren Individuation sich infolgedessen ohne verläßlichen Bezugsrahmen entwickelt hat, so daß ich mir »Krücken« habe suchen müssen, um - zwar beschädigt, aber dennoch leidlich akzeptabel - durch diese schöne Welt zu humpeln. In der politischen Szenerie gilt es als höchst gefährlich, etwas über seine psychische Entwicklung zu verraten oder gar Verletzlichkeit erkennen zu lassen. Wir erleben sogar die Absurdität, daß Männer, die füreinander extreme Konkurrenten darstellen und daher mit Argusaugen darüber wachen müssen, daß die anderen Fehler machen und sich damit selbst aus dem Rennen werfen, unter dem gemeinsamen. Ziel des Machterhalts zusammengebunden sind und sich nie, unter keinerlei denkbaren Umständen, über ihre eigentlichen Motive Rechenschaft ablegen, dadurch in psychologisch total verfahrenen Situationen allerdings auch nicht die geringste psychologische Hilfestellung annehmen können. Horst Eberhard Richter schildert in seinem Buch. Lernziel Solidarität, wie er sich mit einem anderen in Gruppendynamik erfahrenen Kollegen auf dem Höhepunkt der Krise um den früheren Wirtschaftsminister Schiller 1972 ausmalte, »was wohl geschehen würde, wenn. das Kabinett bzw. der Bundeskanzler einen Gruppendynamiker zu Rate ziehen und erklären würde: Wir bemerken, daß wir im Augenblick nicht mehr hinreichend sachlich und besonnen miteinander reden. Wir gehen so gereizt und giftig zumindest was die streitenden Parteien anbetrifft - miteinander um, daß wir fürchten, ohne Herstellung einer besseren Gruppenatmosphäre unvernünftige Entscheidungen zu treffen. Wir sind in einer derartigen Spannung, daß es uns schwer fällt, die Probleme differenziert in ihrer Bedeutung abzuwägen, die wir lösen, wollen. Also bitte, helfen Sie uns, daß wir die Komponente der persönlichen affektiven Konflikte so weit miteinander klären, daß diese uns nicht bei den höchst diffizilen Sachentscheidungen in die Quere kommen und uns etwa zu irgendwelchen voreiligen und rein emotionellen Beschlüssen treiben! - Die Reaktion in der Gruppe, mit der diese Idee besprochen wurde, war typisch: Damit leite man Wasser auf die Mühlen der Opposition, um Himmels willen dürfe ein Kabinett solche Schwächemomente nicht zeigen. Regierung in der Hand von Psychiatern! wäre eine wunderbare Schlagzeile der Bildzeitung ...« [9]
In der Tat, einerseits müssen Politiker -jeder sein eigener jung Siegfried - um des Selbsterhalts willen ein Bild psychischer Unverletzlichkeit von sich bewahren, andererseits würde es auch die Öffentlichkeit vermutlich mit der Angst bekommen, wenn sie erkennen würde, daß ihre Staatsmänner keineswegs psychisch ausbalancierte Idealfiguren sind und aufgrund dieses wunderbaren inneren Gleichgewichts die jeweils angemessene und emotional unbelastete Entscheidung treffen. Zurück zur narzisstisch gestörten Persönlichkeit: Ich bin also auch eine. Ich muß erkennen, daß sich auch in meiner frühkindlichen Entwicklung Störungen ergaben - einerseits durch eine zu stark auf Leistung zielende überfordernde Erziehung, andererseits durch emotionale Grundmuster im Verhalten meiner Eltern, die schließlich auch einiges an mich weitergaben, was an unbearbeitetem Gefühlsschutt bei ihnen herum lag. Ob es überhaupt Erwachsene gibt, die ohne narzisstische Kränkungen haben heranwachsen können? Bleibt nicht die elterliche Zuwendung, so groß sie auch sei, immer hinter den grenzenlosen Ansprüchen eines Kindes zurück? Es ist merkwürdig - und Alice Miller weist darauf hin daß in den Autobiographien großer Männer so oft von einer glücklichen Kindheit die Rede ist. Dabei müßte viel eher das kindliche Leiden thematisiert werden, das nämlich die Grundmelodie für das spätere Leben liefert. Offenbar aber waltet ein sehr wirkungsvoller Abwehrmechanismus gegen das eigene kindliche Leiden: Der Mensch mogelt sich seine Kindheit so zurecht, daß sie ihn als Erwachsenen möglichst nicht mehr quält. Dazu gehört vor allem, daß er die schlimmste Kränkung seiner frühen Kinderzeit - die Entfernung aus der symbiotischen Mutterbindung so tief wie irgend möglich in sich vergräbt und in seinem Erwachsenenleben eifrig darauf bedacht bleibt, psychische Situationen zu vermeiden, die die damals erlebte Urangst wieder wachrufen könnten. Aber es gibt auch andere Abwehrmöglichkeiten: Der Mensch rationalisiert seinen Gefühlshaushalt: »Das Kind muß erzogen werden!«, »Die sollen erst mal Disziplin lernen!«, »Nur durch Leistung wird man was im Leben!« - Man kann auch über viele Jahre mit Erfolg das »Schwarze-Peter-Spiel« spielen und die Verantwortung für Konstellationen im Leben auf andere Menschen schieben, statt die Ursachen in sich selbst und in der eigenen frühkindlichen Prägung zu suchen: Manche Männer werden einfach immer von der falschen Frau geliebt und immer auch noch falsch, nicht ihren Bedürfnissen entsprechend; manche Frauen laden sich ihr ganzes Leben lang so viel Sozialgepäck auf die schwachen Schultern, daß sie schier darunter zusammenbrechen, und beklagen sich darüber, statt zu fragen, woran dies liegen könnte. Eine weitere Möglichkeit der Verdrängung der tiefen Verletztheit als Kind ist die Idealisierung: »Mir haben die Schläge meines Vaters überhaupt nicht geschadet, im Gegenteil!«, »Auf saubere Kleidung und anständige Tischmanieren kann man seine Kinder nicht früh genug hinweisen!« Die Barriere vor der kindlichen Seele, die damals verletzt wurde, weil beispielsweise eine elterliche Strafaktion die kindlichen Bedürfnisse am völlig falschen Punkt »nieder knüppelte« oder das kindliche Selbstwertgefühl tief demütigte und verächtlich machte, wo Schwäche und Ungeschick eigentlich Zuwendung gefordert hätten, sind für den erwachsenen Menschen schwer zu überwinden. Dabei ist ein Sachverhalt zumindest den Psychoanalytikern und ihren Patienten - deutlich: Alle Erfolge in der Gegenwart des erwachsenen Menschen können die alte Wunde der narzisstischen Kränkung nicht hellen, denn die Wunde ist größer als jeder mögliche Erfolg. Nur die Trauer über das damals Vermisste läßt die Wunde vernarben. Den Frauen wird meist das Privatleben zugewiesen, innerhalb dessen sie sich mit den erlittenen Kränkungen ihres Selbstwertgefühls auseinandersetzen können. Das führt fast zwangsläufig dazu, daß sie mehr oder minder unreflektiert an die eigenen Kinder weitergeben, was die Vermissenserlebnisse ihrer frühen Jahre bei ihnen ausgelöst haben. So sollte manche Frau sich selbstkritisch fragen, ob der Wunsch nach einem Kinde bei ihr nicht eher der tiefe innere Wunsch nach einer verfügbaren Mutter ist und im Kind eine neue Chance für die unbewußt immer gesuchte und nie gelebte Symbiose gesehen wird. Ein Kind kann auch als Symbol des wahren Selbst eines Menschen gewünscht sein, als Hoffnung, verschüttete Möglichkeiten der eigenen Lebendigkeit zu gebären. Aber in der Geburt eines Kindes liegt auch die Möglichkeit für Frauen, der Konfrontation mit dem eigenen Selbst bis auf weiteres auszuweichen und in einer Art von Wiederholungszwang eine Situation wiederherzustellen, die mit der Geburt eines Geschwisters einst während der Kinderzeit den Selbstwertverlust verstärkt hatte. Zahlreichen Frauen aber gelingt die Identifikation mit ihrem frühkindlichen Selbst in der Rolle als Hausfrau und Mutter nicht. Hier spielen offenbar die Väter für das weibliche Selbstwertgefühl eine bedeutende Rolle: Väter, die Anforderungen stellten, Maßstäbe setzten, Leistung belohnten, aber eher noch: Fehlleistungen herab würdigten, das kleine Mädchen demütigten und seine große Liebe, gespeist aus dem Wunsch nach Identifikation, missachteten. Auch wenn Frauen, nach der Rolle ihrer Väter für die eigene Entwicklung befragt, häufig die Ermutigung und Bestätigung, die sie durch ihre Väter erfahren haben, hervor kehren, ist hier wohl große Skepsis angebracht. Die verletzten kindlichen Grundgefühle sind eher Wut und Haß: Da strenge ich mich nun so an, und du liebst mich trotzdem nicht! Warte nur, dir zeige ich es aber, wenn ich groß bin! Bietet schon die Identifikation mit dem Vater dem kleinen Mädchen Schwierigkeiten, so hören diese Schwierigkeiten ja nicht auf, wenn die herangewachsene Frau den Anspruch erhebt, sich unter Männern in der Männerwelt zu tummeln, eben »um es ihm zu zeigen«. narzisstische Selbstbespiegelung durch machtvolle Positionen in der Männerweise kann Frauen nicht gelingen, denn sie werden damit den Bruch in ihrer Identitätsentwicklung nie überwinden. Ich will von einem Erlebnis berichten., das mich dazu brachte, meine Vergangenheit zu erforschen und mir über mich selbst klarer zu werden. Das Erlebnis liegt viele Jahre zurück, ich war noch nicht im Bundestag, hatte aber den ersten Bundestagswahlkampf bereits geführt und war aus der Schutzzone der privaten Existenz als Ehefrau und Mutter dreier Kinder also bereits herausgetreten. Ich hatte mehrere Monate mit einer äußerst schmerzhaften orthopädischen Behandlung nach einer Art Bandscheibenschaden zugebracht und erinnere die Behandlungen auch deshalb als so quälend, weil ich zu den Massagen, Turnübungen, Elektrobehandlungen, Spritzen häufig meine beiden größeren Kinder mitbringen musste, da ich sie nirgendwo lassen konnte in der Zeit, in der der jüngste sein Mittagsschläfchen hielt, und im ärztlichen Behandlungszimmer sorgten sie immer für Turbulenz. Im Zuge der Aufbauarbeiten an der Volkshochschule, die einige Freunde und ich 1970 gegründet hatten, fing ich an, mich mit Erwachsenenbildung zu beschäftigen. Im August 1971 nahm ich an einem vierzehntägigen Seminar an der Freien Universität in Berlin, Lehrstuhl für Erwachsenenbildung, teil: »Möglichkeiten zum Frieden in gesellschaftlichen Konflikten«. Den jüngsten Sohn ließ ich bei einer Freundin in Bayern, die beiden älteren Kinder brachte ich zu den Großeltern nach Göttingen, wobei überflüssigerweise auf der Fahrt dorthin mein Auto mit Motorschaden zusammenbrach, was den Kindern das unauslöschliche Erlebnis vermittelte, mal in einem Abschleppwagen mitgefahren zu sein, und mir das ebenfalls unauslöschliche Erlebnis bescherte, mit zwei kleinen Kindern und dem Gepäck von drei Personen, einschließlich Gummistiefeln, Spielzeug, Papierwindeln und Bilderbüchern, Eisenbahn fahren und umsteigen zu müssen! Diese Elemente der Vorgeschichte meines eigentlichen Erlebnisses sind deshalb von Bedeutung, weil sie beleuchten, wie unendlich befreit ich mich fühlte, als ich schließlich in Berlin eintraf und 14 Tage lang mit anderen Erwachsenen aus verschiedenen Ländern diskutieren, lernen und leben durfte. Das Seminar konfrontierte mich erstmals mit bewußt erlebten gruppendynamischen Prozessen und Erkenntnissen und stellte ohne Frage eine psychologische Herausforderung dar, die mich in meiner Situation - extrem in Beschlag genommen durch drei Kleinkinder und zu praktisch unbegrenzter Zuwendung an die familiäre Gruppe verpflichtet - in besonderer Weise betraf. An zwei Abenden ging ich ins Theater: In der Schaubühne am Halleschen Ufer wurde lbsens »Peer Gynt« gegeben, breit und lukullisch ausgespielt unter Einbeziehung und Verarbeitung aller psychologischen Erfahrungen, die die Studentenbewegung erbracht hatte. Wie Peter Stein dies im einzelnen erreicht hatte, könnte ich aus der Erinnerung heraus heute nicht mehr wachrufen. Aber die Geschichte dieses Menschen Peer Gynt, der unter Aufbietung aller seiner Kräfte ein falsches Selbstbild durch die verschiedenen Freuden- und Leidensstationen seines Lebens mitschleppt, das ihn schließlich zerbricht, habe ich gewissermaßen existentiell auf mich bezogen. Ich brach völlig zusammen und sehe mich noch tränenüberströmt auf dem U-Bahnhof Hallesches Ufer stehen, das Korsett aus Leistungsstreben und Selbstbeherrschung, Verdrängung und Sublimation war gesprengt worden. Ich stand da, äußerlich ziemlich jämmerlich, innerlich aber befreit von dem Zwang zum falschen Selbst: So verletzlich, schwach, beschädigt und verquer in meinen Leistungsansprüchen ich auch sein mochte, ich hatte meinen Platz auf dieser Erde. Ich musste weder mir noch anderen Menschen meine Außergewöhnlichkeit und Großartigkeit beweisen, die Identität meiner Person speiste sich aus ganz anderen Quellen. Im Zusammenbrechen meines seelischen Gerüstes nahm ich mich selbst als »Ich« wahr und fühlte mich befreit von allen Rollenzwängen der Vergangenheit und Gegenwart: Ich musste mir nichts mehr vormachen, sondern lernte, mich so anzunehmen, wie ich bin. Ein Bandscheibenleiden habe ich seither nie mehr gehabt. Und die Erkenntnis, daß ich das, was ich tue, nicht tun muß, sondern tun darf und tun kann, hat mich nie mehr völlig verlassen. Meine Identität, wie gewöhnlich sie auch sei, -ist unzerstörbar. Zwar war das kindliche Urvertrauen nicht einfach wiederherzustellen - das war aus und vorbei - aber es war ein Lebensgefühl entstanden, das ein Leserbriefschreiber in einem Brief an die Zeit am 16. Januar 1986 in die Worte kleidete: »Insofern ist das Beachtenswerteste an jedem. Glauben der Mut dazu.« An solchen Bruchstellen der menschlichen Existenz treffen sich psychoanalytische Erkenntnis und christliche Lehre. Mir war an jenem denkwürdigen Theaterabend dieser Mut geschenkt worden. - Soweit meine Geschichte. Es ist kein Zufall, daß es sich bei der mythischen Figur des Narcissos um einen Mann handelt. Aber der Mythos ist unendlich viel schöner als die Realität, in der wir den Narzissmus erleben. Man stelle sich doch nur diese Szene vor: Ein schöner junger Mann sitzt an einer klaren spiegelglatten Wasserfläche und ist vernarrt in sein Bild, das das Wasser ihm zurückwirft. Eine Nymphe bestärkt und lockt ihn einerseits im Entzücken über sich selbst, andererseits in der Sehnsucht nach sich selbst. Schließlich stürzt er sich in die Fluten. Die Tragik des Narcissos: Er liebt das falsche Selbst, nämlich nur, was er sieht. Die Rückenseite und der Schatten seines Spiegelantlitzes bleiben ihm verborgen. So kann er sich in Wahrheit gar nicht lieben, sondern muß in ständiger Sehnsucht nach sich verharren. Schlimmer noch: Gibt er der Sehnsucht nach, sind Selbstaufgabe und Tod die Folge. Männlicher Narzissmus ist das Privatleben zur Überwindung oder wenigstens Legitimation erlittener kindlicher Kränkungen weitgehend versperrt, denn Männlichkeit ist das, was man macht, nicht das, was man ist - im Unterschied zu den Frauen. Ehemann und Vater aber ist man, zu tun gibt es dabei nicht viel, jedenfalls nicht in der gängigen Rolleninterpretation. Bleibt also die außerhäusliche Szenerie, das »öffentliche Leben«. Es nimmt nicht wunder, daß - wie statistische Erhebungen über Geschwisterfolge und Führungsfähigkeit zeigen - die Machtpositionen in der Gesellschaft am ehesten von männlichen Einzelkindern besetzt sind. Männliche Erstkinder nehmen den zweiten Rang in dieser Skala ein. Für diese beiden Gruppen ist das Trauma der Kindheit, aus der Liebe der Mutter verdrängt worden zu sein, am schwersten zu ertragen, was sie zu quälendem Selbstbestätigungszwang anhält. Denn ist der narzisstische Mann schon unsicher, ob er geliebt wird als die Person, die er ist, muß er doch wenigstens die Eigenschaften zeigen, die einst die Mutter an ihm bewunderte. Deshalb ist er zur Großartigkeit verpflichtet, Alice Miller spricht von »Grandiosität«. Die anderen sollen bewundern: seine Klugheit, seine Begabungen, seine Erfolge und Leistungen, die er natürlich auch selbst bewundert. Dabei erlebt sich der grandiose Mann nie als wirklich frei, denn er bleibt von der Bewunderung der anderen abhängig, und seine Selbstachtung ist entscheidend davon beeinflußt, ob seine Eigenschaften, Funktionen und Leistungen Anerkennung und Bewunderung hervorrufen. Der »grandiose« Mann hat mit sich selbst im Laufe seines Lebens verschiedentlich die Erfahrung gemacht, daß seine »Grandiosität« in tiefe Depression umschlagen kann, weil eben sein Selbstwertgefühl nicht in der Echtheit der eigenen Gefühle wurzelt. Diese ständig drohende Depression zwingt zusätzlich zur Leistungssteigerung und hält einen verhängnisvollen Kreislauf in Gang, den nur robuste Charaktere durchhalten. Viele Männer werden von physischer Erkrankung heimgesucht; psychosomatische Krankheitsbilder vom Magengeschwür bis zur Schlaflosigkeit - sind an der Tagesordnung. Der »grandiose« Mann braucht die Macht zum Selbstbeweis. Er braucht den Triumph des Erwachsenen und Mächtigen über den Schwachen, weil nur dies ihm die Bestätigung glaubwürdig macht, daß er selbst nicht mehr klein und der Verachtung durch Stärkere ausgesetzt ist. Dabei quält ihn gleichzeitig tiefer Neid auf alle Menschen, die es sich erlauben können, schlicht durchschnittlich zu sein. Sie durchkreuzen nämlich seine unbewußten Pläne, das Heer der Bewundererinnen und Bewunderer ständig zu vergrößern; denn wenn es ihnen doch recht ist, so beschränkt, wie sie leben, kommen sie als Bewunderer ja nicht in Frage. Und noch etwas halten ihm diese Menschen vor: Glück und Zufriedenheit, die er in seinem ständigen Getriebensein kaum je erlebt. Natürlich macht der ununterbrochene Drang des »grandiosen« Mannes, sich seine Außergewöhnlichkeit beweisen zu müssen, vor dem Privatleben nicht halt. Es gibt einen typischen Politikerwitz, der sich aber genauso auch auf Fernsehjournalisten oder Menschen mit ähnlicher öffentlicher Profession beziehen könnte: Durchschnittsmensch A trifft den bedeutenden Politiker B auf einem Empfang und spricht ihn an: »Übrigens, ich habe Sie gestern gesehen.« - »Ja, wo denn?« - »Als Sie mit Ihrer Frau über den Marktplatz schlenderten.« - »Und, wie war ich?« Der ständig auf Bewunderung erpichte narzisstische Mann braucht die Bewunderung natürlich auch als Geschlechtswesen. Alice Miller nennt ihn den »phallischen Mann«, der unter dem Dauerzwang zur Potenz steht. Ihr Psychogramm der narzisstischen Persönlichkeit beschreibt einen Menschen, der eher männlich als weiblich ist und in der Art und Weise, wie er sich durch Machtstreben Grandiosität beweist, für andere Menschen und für die Gesellschaft nichts Gutes erwarten läßt: Von einem falschen Selbstbild und einer brüchigen Selbstachtung ist auszugehen, die in ein hohes Ich-Ideal und perfektionistische Erwartungen an sich und an die Umwelt aufgehen und die in ihm selbst verachteten Gefühle - also Angst, Verletzlichkeit, Weichheit - permanent verleugnen. Dabei erniedrigt er seine Mitmenschen zu Bewunderern des eigenen Selbst; jedenfalls muß klar sein, daß er »der Größte« ist. Angst vor Liebesverlust führt häufig zu übergroßer Anpassungsbereitschaft; die starken, aber abgespaltenen Aggressionen werden tief ins Unterbewußtsein abgedrängt. Weil dies alles so schwer zu ertragen ist und die Anfälligkeit für Kränkungen so stark erlebt wird, treibt den narzisstischen Mann auch der Neid auf die Gesunden um; Scham- und Schuldgefühle quälen ihn, weil er erkennen muß, daß er so großartig, wie er sein möchte, eben doch nicht ist. Ruhelosigkeit kennzeichnet sein Leben. Es ist nicht zu verkennen, daß zwischen der Charakter-und Wesensstruktur der Politiker, die in mehr oder minder starkem Ausmaß der von Miller beschriebenen narzisstischen Persönlichkeit nahe kommen, und der inhaltlichen Ausgestaltung der Politik wichtige Zusammenhänge vorliegen. Dem narzisstischen Mann und Politiker, der sich in einer machtvollen Position seiner Grandiosität versichert, bleibt übrigens ein wesentliches Element zur Stärkung seines Selbstwertgefühls versagt, nämlich der Halt in einer Gruppe, der er jene Bedeutung, die er in sich selbst nicht zweifelsfrei findet, zuweist. In einem Bild ausgedrückt: Der treue Diener überträgt die Bedeutung seiner Tätigkeit einerseits auf den Herrn, den er als bedeutend erlebt, andererseits auf die Gruppe der »treuen Diener« , ohne die eben auch die Herren nichts wären. Dieser Übertragungsmechanismus steht den Frauen leichter zur Verfügung: Die »liebende Gattin«, deren Mann das Bundesverdienstkreuz erhält oder am abendlichen Fernsehschirm erscheint, ist dadurch fast so herausgehoben wie der bedeutende Gatte: Denn ohne ihre liebende Fürsorge - das weiß sie - würde er dies alles gar nicht erreichen. Dem Gatten selbst ist diese Identifikation versperrt. Im politischen Feld steht den Männern dieser Weg nicht offen: Hier muß jeder dafür sorgen, daß er unangefochten an der Spitze bleibt und möglichst konkurrenzlos bewundert, anerkannt und geliebt wird. Wenn es denn so ist, daß überwiegend narzisstisch geprägte oder gar gestörte Persönlichkeiten in das politische Leben drängen, lohnt natürlich die Frage, welche Auswirkungen die Überwindung narzisstischer Störungen auf den Umgang mit Macht haben könnten. Ich habe an mir beobachtet, daß ich erheblich besser in Gruppen und mit Gruppen habe arbeiten können, seit ich von dem Zwang befreit war, mir selbst und anderen ständig beweisen zu müssen, ein wie bedeutender und alle in den Schatten stellender Mensch ich sei. Natürlich, die »alte Eva« kommt immer wieder durch , ich mache immer wieder den Fehler, mich in den Vordergrund spielen zu wollen oder zu wichtig zu nehmen. Aber wenn ich heute nach meiner eigenen Einschätzung oder der anderer Menschen eine Sache gut mache, dann gelingt es mir, mich selbst zurückzustellen, die anderen anzuspornen und zu gemeinsamem Gruppenhandeln zu motivieren. Durch die Erfahrung meiner eigenen Grenzen kann ich mich in die anderen besser einfühlen, das gemeinsame Tun erhält sehr realitätsnahe Proportionen, die - wenn wir miteinander »richtig gut« sind sowohl kreativ und schöpferisch und damit neu, dazu von jeder Verbissenheit und krampfiger ideologischer Verhärtung frei sind, dafür aber Gelassenheit, Humor und - allmählich kommen wir dafür j»a ins richtige Alter - mitunter einen kleinen Schuß Weisheit erkennen lassen. Schließlich mache ich bei derlei Projekten die Beobachtung, daß den Menschen, die dort zusammenarbeiten, Spaß macht, was sie tun, weil sie sich nicht als Beiwerk erleben, das zur Garnierung eines bedeutenden Geistes erforderlich ist, sondern sich selbst als Menschen erfahren, die in einer Gruppe gemeinsam mehr zustande bringen, als jeder von ihnen allein von sich erwarten kann. So ungefähr sehen auch die Psychologen die Auswirkung überwundener narzisstischer Störungen auf das Individuum: Die schöpferische Arbeit erlebt neuen Auftrieb, die Einfühlungskraft wächst mit der Fähigkeit, die Begrenztheit des eigenen Lebens ins Auge zu fassen, Humor und Weisheit finden einen nährstoffhaltigen Boden.

Das Weibliche ist das Unterdrückte

... »Du bist doch ein Mann!« ... Keine Tränen
also, kein Zaudern, und kräftig zugelangt. Der
Aufbruch hat immer schon stattgefunden, aber
man weiß nie so genau, wann eigentlich und was
da auf den - noch unbekannten - Weg gelangte.
Helga Dierichs, Werner L., Dozent
Ein Mannsbild wird besichtigt

Während meiner Schul- und frühen Studienzeit wurde das absurde Theater modern. Meine Eltern und ihre Kollegen und Freunde konnten damit größtenteils nichts anfangen, mich hat das Absurde immer fasziniert, wohl weil es die Assoziationen scheinbar so frei hervorrufen kann. Zu den absurden Vorstellungen meiner Kindertage, die mich nie losgelassen haben, gehört jene Katze in Alice im Wunderland, von der zuerst ihr Lächeln und dann ihre Barthaare erscheinen, ehe sie selbst sichtbar wird. Das Lächeln ohne Drumherum - eine so totale, ermutigende, humane Geste und eine der zauberhaftesten Erfindungen in diesem verzaubernden Buch, das nur scheinbar ein Kinderbuch ist. Ein zweites absurdes Bild, das mich nie mehr losgelassen hat: Im Kleinen Prinzen von Antoine de Saint-Exup√©ry gibt es auf einem der Sterne, auf denen der kleine Prinz Station macht, einen König mit Krone und Hermelin, aber ohne Volk. Darüber wundert sich der kleine Prinz, denn. - wenn einer schon die Insignien der Macht besitzt, braucht er doch auch Leute, über die er herrscht: Was ist ein Herrscher ohne Volk? Bildhafter läßt sich kaum ausdrücken, daß Macht aus ihrem Gegensatz zur Ohnmacht und zum Beherrschten lebt: Der Mächtige ist ohne den Ohnmächtigen nicht denkbar, und wenn man genau hinschaut, lebt die Macht wohl immer auf Kosten der Ohnmacht, saugt sie aus, reichert sich durch sie an, vernichtet sie oft. Der König im Kleinen Prinzen hätte eigentlich eine Königin und eine Mutter über viele, viele kleine Prinzessinnen und Prinzen sein müssen, denn er gibt nur »vernünftige Befehle«. Er befiehlt der Sonne nämlich erst dann aufzugehen, wenn dazu ohnehin die Zeit ist, und ebenso hält er es mit dem Sonnenuntergang. Ich habe mich als Mutter kleiner Kinder an die königliche Regel nach Möglichkeit gehalten, denn »der Macht gehorchen, nicht dem innern Triebe« tut niemand gern - auch kleine Kinder nicht. Das Verhältnis von Macht und Ohnmacht, von Mächtigen und Regierten, spielt sich auf unserem Planeten allerdings anders ab als auf jenem winzigen Stern im Kleinen Prinzen. Hier bei uns hat das Kräftespiel selten den Reiz des Absurden, eher schon den Zwang des Neurotischen. In jedem Fall aber hat der Dualismus zwischen Macht und Ohnmacht mythische Dimensionen. In der griechischen Mythologie herrschte ursprünglich das weibliche Prinzip: Gaia war vor Zeus. Apollo, der Sonnengott, der starke Frauengestalten verfolgen muß, seine schwache Mutter Leto aber mehrfach ritterlich verteidigt, versucht vergeblich, seinen Status als Sonnengott gegen die Erdgöttinnen als die dunklen Herrscherinnen der Welt und Repräsentantinnen des Todes zu festigen. Denn er schleppt bereits eine mythische Geschichte auf seinem Buckel mit sich: Gaia, seine Großmutter, tötete ihren Ehemann Kronos, um das Leben ihres Sohnes Zeus zu retten. Sie ist also gleichzeitig Zerstörerin und Retterin des Menschen. Diese Hypothek kann Apollo nicht tilgen. Seine Geschichte läßt es nur zu einem Waffenstillstand zwischen Erde und Himmel kommen. Der Sieg über die Erde erfolgt nur äußerlich. Auf der psychischen Ebene, das heißt der Innenwelt des Menschen, wurde der Sieg über Frau und Dunkelheit nicht errungen. In den Mythos von Apoll scheint die Erfahrung eingewoben, daß Männer in ihren Beziehungen nur auf den ersten Blick die Mächtigen sind. Unbewußt erleben sie oft die Frauen als mächtiger, weil durch sie immer die Wiederholung des frühen Dramas droht: jede Frau besitzt die Fähigkeit, den Mann wieder zum verlassenen Kind von einst zu machen und ihn damit in eine Abhängigkeit zurückzuversetzen, die mit seinem Bild von Männlichkeit nicht übereinstimmt. jedenfalls haben Männer unbewußt Angst davor. Unbestreitbar ist die griechische Kultur dem Matriarchat näher als die unsere. So darf Odysseus ungehemmt weinen und klagen, seine Kriegshelden tun es mit ihm. Und die weiblichen Götter sind durchaus nicht machtlos, sondern ein machtvolles Gegenprinzip. C. G. Jung hat in seiner Theorie vom kollektiven Unbewußten dargelegt, daß das männliche und das weibliche Prinzip »Animus« und »Anima« Archetypen sind, die in jedem Menschen leben, daß der männliche Mensch aber geneigt ist, seine Anima-Elemente zu negieren und zu unterdrücken, während umgekehrt die Frauen mit den in ihnen angelegten Animus Elementen ihre Schwierigkeiten haben, diese aber offenbar doch leichter integrieren. Als Hilfskonstruktion ist die Jungsche These sicher von beträchtlichem Wert, mir sagt ein anderer Erklärungsversuch eher zu: Dadurch, daß er erste Mensch, den kleine Mädchen und kleine Jungen grenzenlos lieben, eine Frau ist, wird das Muster vorgegeben, unter dem sich das weitere Leben des Jungen und des Mädchens vollzieht - vor der Kulisse der Geschichte und mit Akteuren, die das Ergebnis von jahrtausendealten Sozialisationsmustern sind. Die psychoanalytische Forschung hat übrigens in Jesus den einzigen Mann entdeckt, der gewissermaßen ein »integrierter Mensch« war, das heißt, der die in jedem Menschen angelegten männlichen und weiblichen Eigenschaften und Verhaltensweisen integriert und zur Reife gebracht hat. Sagt die Theorie. Spiegelt die Geschichte des Christentums dies wirklich wider? Immerhin haben sich feministische Theologinnen inzwischen zu der Forderung aufgeschwungen, eine »Her-Story« des Neuen Testaments erstellen zu wollen. Das Weibliche ist das Unterdrückte. Im Zuge von Industrialisierung, evolutionärem Denken, Rationalismus und einer mechanistischen Weltsicht hat sich die Leistungsgesellschaft und mit ihr das »männliche« Prinzip erst in vollem Umfang entwickelt. Gleichzeitig braucht der »männliche« den »weiblichen« Gegenpol, und die Gründe für diese Notwendigkeit liegen überwiegend im tiefenpsychologischen Bereich. Dort, tief unten vergraben, liegen auch die Motivationen für die Unterdrückung des Weiblichen. Für das Tummelfeld Politik, das uns hier besonders interessiert und an dem ich die Frauen gern gleichberechtigt beteiligt sähe, stellen sich Auswirkungen vor allem in drei Feldern ein, die ich negativ bewerte: Erstens: Unter der übersteigerten Leistungsbezogenheit nimmt das Konkurrenz- und Rivalitätsprinzip so stark zu, daß die Solidarität Schaden nimmt. Unter den drei Grundwerten der Französischen Revolution »Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit« (wobei die Gleichheit oft durch Gerechtigkeit und die Brüderlichkeit oft durch Solidarität »übersetzt« wird) ist die Solidarität durch die historischen Zeitläufte ohnehin der schillerndste Begriff, denn an ihm offenbart sich die »Gebrochenheit« des Menschengeschlechts in Männer und Frauen jeweils am folgenreichsten. Da unsere Staatswesen - und zwar diejenigen westlicher Prägung genauso wie diejenigen des Ostens und die vom Kolonialismus befreiten Staaten genauso wie die, in denen Völker unterdrückt werden - unter dem Solidaritätsanspruch stehen, wirkt sich der Mechanismus, alles Weibliche, Schwache, Kranke, alles Leiden, die Emotionalität und die Meditation zu unterdrücken. und zu verdrängen, auf die demokratische Qualität unserer Staaten verhängnisvoll aus. Horst Eberhard Richter hat recht mit seinen Darlegungen, daß das Lernziel Solidarität vor allem gebietet, die abgespaltene und unterdrückte Weiblichkeit in das Menschenleben zu integrieren, und zwar auf der Ebene des organisierten Zusammenlebens ebenso wie innerhalb des individuellen Charakters. Zweitens: Die sozio-kulturelle Unterdrückung der Emotionalität führt zu einer Ideologie von männlichem Sachdenken. Sehr häufig ist aber nur scheinbar rational und sachlich geboten, was da - in Männerlogik verpackt - daherkommt. Weil Fragen nach der eigenen Angst, nach Haß oder Neid, nach Verletztheit, quälenden Konkurrenzgefühlen, auch nach den Konstitutionsbedingungen der eigenen moralischen Kategorien nie gestellt werden, bildet sich ein politischer »Dialog« heraus, bei dem innerstaatlich sowohl als auch zwischen den Staaten - scheinrationale Antworten erfolgen auf Sachverhalte, die »das Eigentliche« meistens nicht bezeichnen, sondern »haarscharf danebenliegen«. Deswegen ist der politische Dialog, jedenfalls was wir von ihm zu hören bekommen, meist so entsetzlich langweilig. Deswegen ist er aber angesichts der minimalen »Vorwarnzeiten« für die Katastrophe auch so schrecklich gefährlich. Drittens: Schließlich erleben wir durch die Unterdrückung des weiblichen Elementes eine Politik, aus der das reale Leben mehr oder minder ausgeblendet ist. Da herrschen Staatsmänner, die den »Dienst am Staat« männlich-sachlich, logisch, überlegen und gleichzeitig mit der notwendigen Distanz versehen, während sie den »Dienst am Nächsten«, der Intimität, Nähe, emotionale Beteiligung, Einfühlung und Zuwendung bedeuten würde, völlig wegblenden oder an ihre Frauen delegieren. Wir erleben also eine Politik, in der die Macht über Menschen und soziale Zusammenhänge in einer Weise und durch Personen mit bestimmter Wesensstruktur ausgeübt wird, die von realen Lebensbezügen weitgehend entfernt sind. Da wird Bildungspolitik, Wohnungs- und Städtebau-, Familien- und Gesundheitspolitik, Wirtschaftspolitik, Steuerpolitik von Männern verantwortet, die entscheidende Erfahrungsfelder gar nicht kennen: die Familie, das alltägliche Leben in einem sozialen Umfeld, die täglichen Schularbeiten, den Privathaushalt, Kranken- und Altenpflege . . . Umgekehrt haben die, die über diese alltäglichen Erfahrungen verfügen und Entscheidendes einzubringen hätten, um diese Welt und unser tägliches Leben humaner, freundlicher, wärmer und solidarischer zu gestalten, fast überhaupt keine Macht, dies zu tun. Da erleben wir eine Bildungspolitik, die in allen elf Bundesländern von vielen tausend Männern gestaltet und verantwortet wird (seit geraumer Zeit wird dies auf Bundes- und Länderebene aber auch für ein Feld erachtet, auf dem sich Frauen als Ministerinnen tummeln dürfen), während das Heer der Mütter zu Hilfslehrerinnen der Nation geworden ist, ohne deren aktiven Einsatz kein normal begabtes Kind eine weiterführende Schule bei uns durchlaufen würde. Keine politische Versammlung vergeht, auf der nicht Mütter über diesen Missstand klagten. Folgenlos. - Da gibt es ein Steuersystem, das es zwar möglich macht, den medizinischen Kongress in St. Moritz, der eigentlich nur dafür da ist, den Herren Chefärzten auch ein paar Tage geruhsamen Skilaufens zu ermöglichen, als Sonderausgabe beim Finanzamt geltend zu machen, die Anschaffung einer Waschmaschine nach der Geburt eines Säuglings oder die Investition in eine Einbauküche, um der erwerbstätigen Frau ihren »Doppelberuf« überhaupt erst zu ermöglichen, wird steuerlich hingegen überhaupt nicht anerkannt. Da erleben wir schließlich eine Wirtschaftspolitik, in der es ganz offenkundig fast ausschließlich um Investitionen, Anlagekapital, Kapitalrendite, internationale Währungsströme, Auslastung der Betriebsanlagen ... zu gehen scheint; daß die ganze Veranstaltung aber im Grunde dazu da ist, den Menschen zu einem zufriedenen, auskömmlichen, gesunden, glücklichen Leben zu verhelfen, und daß der Konsum mehr als fünfzig Prozent des Bruttosozialprodukts bestimmt und lenkt, der doch vor allem von den Frauen in Gang gehalten wird, davon kein Wort. Seit geraumer Zeit allerdings läßt sich ein grundlegender Wandel beobachten: Vom grenzenlosen Expansionismus zu »small is beautifuI«, vom monokausalen zum vernetzten Denken, vom mechanistischen Funktionsmodell zu »Alles-hängt-mit-allem-irgendwie-zusammen«. Dieses neue, ganzheitliche, »holistische« Weltmodell bezieht vom denkerischen Ansatz her die Frauen durchaus mit ein: Neben dem Sonnengott Apollo kriegt auch die Mondgöttin Artemis ihre Chance, und der Animus ohne die Anima ist plötzlich nur noch die Hälfte wert. Diese neuen Wertkategorien mit Substanz anzureichern, würde allerdings vor allem bedeuten, daß dem Denken Taten folgen. Das heißt, daß weibliche Einflüsse in der Realität des Umgangs mit der Macht nicht länger ausgesperrt bleiben dürften. Das »Gruppenbild mit Dame«, die Frau als »Abweichung von der Norm« im öffentlichen Leben müssen abgeschafft werden.

Männerängste - Frauenängste

»Immer schlucken«, sagte Tenner, paffend,
»immer fressen, immer eine Angst nach der anderen in
dich rein fressen, und wenn du dir dann eines schönen
Tages deine Angstneurose zusammengefressen hast
oder deine Angstpsychose, mußt du auch diese
Krankheit noch verschweigen, solange irgend möglich.
Denn sie kann sich nicht sehen lassen neben einem.
Magengeschwür oder einer Säuferleber oder einer
ähnlichen ordentlichen Krankheit. In diesem Land,
wo jeder jeden Schnupfen kostenlos beim Arzt
begutachten und behandeln lassen kann und Hämorrhoiden und
Prostatitis unverfängliche Gesprächsstoffe hergeben,
spricht sich ein Mensch, der sein geistiges, seelisches
Leiden nicht mehr verheimlicht oder verheimlichen kann,
das letzte Urteil. Und nicht etwa nur unter sogenannten
einfachen Leuten. Auch die sogenannten Gebildeten,
die ständig die Worte Fortschritt und Wissenschaft
im Munde führen, verhalten sich derart mittelalterlich.
Die Säuferleber, meist das Sekundärleiden einer Neurose
oder dergleichen, ist salonfähig, die Primärerkrankung
stempelt zum Idioten. Also schlucken, schlucken...«
Irmtraud Morgner
Amanda. Ein Hexenroman

Es ist eine Binsenwahrheit: Alle Menschen haben Angst. Dem Urvertrauen, das wir alle mehr oder weniger besitzen und das uns überhaupt erlaubt zu leben, steht die Urangst gegenüber, die uns immer wieder bedroht. Die Quelle für beides ist uns verborgen. Wir fürchten uns vor Tod, vor Krankheit und vor Liebesverlust. Wir fürchten uns vor Krieg und Katastrophen. Und zu all diesem haben wir ebenso viel Grund wie keinen, denn die Ursachen solcher Ängste liegen außerhalb unserer Person, und wir können sie nicht beeinflussen. Andere Ursachen unserer Ängste liegen in unserem Wesen begründet: Wir haben Angst zu versagen, in bestimmten Situationen den Anforderungen nicht zu genügen, Menschen nicht gerecht zu werden, »in Sünde zu fallen«, wie die Christen sich ausdrücken. jeder von uns fürchtet sich auch, in die Isolation zu geraten, und zögert deshalb, die Bezugsgruppe zu verlassen. Und schließlich fürchten wir uns alle davor, daß sich irgendwann, spätestens unmittelbar vor unserem Tode, die Frage quälend aufdrängt: »War das alles?« Wir haben Angst davor, mit leeren Händen dazustehen, unserem idealen Selbstbild und der Idealvorstellung eines erfüllten Lebens nicht gerecht geworden zu sein und vielleicht zusammenzubrechen vor dem Eindruck, auf der ganzen Linie in Selbsttäuschung befangene Versager gewesen zu sein. Vor dieser Angst laufen wir am liebsten davon. Aber das hilft uns nicht, denn die Ängste, die uns bewußt sind, bilden nur die Spitze von Eisbergen unbewußter Ängste, mit denen sehr viel schwerer umzugehen ist. »Manche Leute nennen das, was sie ihr Leben lang falsch gemacht haben, ihre Erfahrungen«, las ich neulich. Der Spruch markiert genau, was unbewußte Ängste anrichten: Sie rufen aus Selbstschutz falsches Handeln hervor, dies hat seine Konsequenzen, und das falsche Handeln wird fortgesetzt. Solche Selbsttrugbilder zu zerstören, gelingt nur durch Schocks oder durch eine Psychoanalyse. Nur dadurch kommt man dem angstvoll gebildeten Block aus Realität, Rollenzuschreibung, Rollenerwartung, Idealvorstellung und Verdrängung bei und kann ihn vielleicht spalten. Aufgrund ihrer individuellen und ihrer gesellschaftlichen Erfahrungen sind die unbewußten Ängste bei Männern und Frauen sehr unterschiedlich. Ich bin kein Mann und scheue mich daher, mich allzu forsch ins Zeug zu legen in der Beschreibung von Männerängsten. Allerdings sind sich die Psychologen ziemlich einig, was da üblicherweise vorliegt und warum. So rührt ein Teil der Ängste aus dem in der Gesellschaft formulierten männlichen Idealbild: Überlegenheit, Stärke, Leistungsfähigkeit, Potenz, geistige Bedeutung und Unabhängigkeit. »Bevor ich überhaupt angefangen hatte, mich als Mann zu kennen, sollte ich mich bereits als Mann beweisen. Du bist doch ein Mann: Übermächtig wird die Angst, diesem Anspruch, der überall lauert, nicht zu genügen ... <Es> zu schaffen, lockt von frühester Jugend an. In diesem Wunsch liegt eine ganze Welt«, so schreibt der Dozent Werner L. in seinem Selbstporträt »Ein Mannsbild wird besichtigt«. [10]
Wehe aber, wenn er »es« nicht schafft! Alle Gebiete des männlichen Lebens werden diesem Leistungszwang unterworfen, deshalb auch die enge Verknüpfung von Macht und Potenz, die sich in Angstvorstellungen in ihr Gegenteil verkehrt: Ohnmacht und Impotenz! Unter keinen Umständen möchte der Mann zulassen, daß andere vielleicht entdecken, daß er ängstlich ist und sich oft klein vorkommt, daß er sich abhängig erlebt und gar kein so großes Selbstvertrauen hat. Deshalb sind Männer Meister im Fassadenbau. Fassaden der Angst, wie der Psychotherapeut Jörg F. schreibt. Die Teilnehmerin eines Seminars hatte dort über ihn als Seminarleiter folgendes geäußert: »Sie sind wie der Sarkophag eines ägyptischen Pharao. Staunend bleibt man davor stehen und bewundert die kunstvollen Gravuren und Bilder. Dann, wenn man etwas näher tritt, entdeckt man, daß in dem Sarkophag noch ein zweiter ist, noch kunstvoller, kostbarer und beeindruckender als der erste, so sehr, daß man es schon gar nicht mehr in Gelassenheit betrachten kann. Wenn man nun ungeduldig nachfragt, wo denn der Pharao selber ist, dann kommt erst noch ein dritter Schrein . . . Wo bleibt denn der Inhalt, um dessentwillen all der kunstvolle Aufwand betrieben wurde, wie großartig muß der erst sein? Und dann - der Pharao selbst ist eine Mumie. Schwarz, verschrumpelt, unansehnlich, von der Größe eines Kindes.« -Jörg F. scheute vor diesem Bild erstmals nicht mehr zurück, sondern begann aus der enormen Diskrepanz zwischen seiner Fassade und sich selbst zu lernen. [11]
Ein zweiter Strang unbewußter Ängste von Männern knüpft sich an die Urerfahrung des kleinen Jungen, aus der symbiotisch erlebten Intimität der Mutter-Kind-Beziehung verstoßen worden zu sein. Aus dieser Urerfahrung leiten sich alle Unterdrückungen des weiblichen Elements im Manne ab, und alle Ängste, die Verdrängung könnte nicht halten und das, was da verdrängt wurde, könnte hervorbrechen, haben hierin ihren Kern. So entsteht Angst vor Körperlichkeit und Kreatürlichkeit, vor der eigenen wie auch vor der der Frau. Die Innigkeit der Mutter-Kind-Beziehung, an der die Väter keinen Anteil haben, erweckt Angst, weil sie ausgesperrt bleiben und erkennen müssen, daß sie als Männer der Stärke dieser Beziehung nichts Gleichwertiges entgegenzustellen haben. Männer ängstigen sich vor Triebdurchbrüchen und Hingabe, weil sie Zustände fürchten, in denen die Kontrolle des Kopfes ausgeschaltet ist und Gefahren aus zu großer Nähe entstehen könnten, durch die sie in das Verschlungenwerden und die totale Selbstaufgabe der Kleinkindzeit zurückfallen könnten. So sind auch intime Beziehungen bei Männern möglichst so angelegt, daß das emotionale Risiko kalkulierbar bleibt. daß eine Frau Macht über sie erlangen könnte, so wie ehemals die Mutter des Mannes sie über ihn als kleinen Jungen besaß, gehört in den Kanon der Urängste. Deshalb geht der Mann so massiv gegen diese Furcht an und zimmert sich eine Welt, in der diese Frauenmacht nicht anzutreffen ist. Wenn ich Gelesenes und Gespräche richtig deute, so sind Männer heute zusätzlich von der Angst gequält, mit der Zukunft ihres eigenen Geschlechtes könnte es nicht zum besten bestellt sein, weil der Augenschein ergibt, daß die Männerleistungsgesellschaft mit ihrem Latein am Ende ist. Nach gängigem Muster sind die existenzbedrohenden Widersprüche zwischen Hochrüstung und Nahrungsmangel, Naturzerstörung und Überflußgesellschaft, Machtzusammenballung und massivster Unterdrückung nicht aufzulösen, und kann man im individuellen Einzelfall noch sagen, die Mutter ist dran schuld, wenn der Sohn seine Frau und Kinder knechtet, so kann man für die eklatanten weltpolitischen Widersprüche die Mütter wirklich nicht verantwortlich machen: Das haben die Männer sich selbst eingebrockt. Und wie wollen sie nun heraus? Das wissen sie eben nicht genau, und das macht ihnen Angst. Den jungen Männern zumal, die ohnehin sehen müssen, daß jene Posten, die sie selbst vielleicht gern in fünf bis zehn Jahren einnehmen würden, dann immer noch besetzt sind von Männern, die noch weit von der Pensionierung entfernt sind. Angst vor der viel zitierten »Einsamkeit des Politikers« haben die Männer wohl eher nicht, denn sonst würden sie nicht herdenweise und überwiegend aus Ellenbogen bestehend nach Bonn drängen. Da läßt sich eben offenbar doch durch »Männerbündelei« ausgleichen, was an Basisentfernung und Entfremdung von der Familie und den Freunden dem männlichen Politiker zugemutet wird. Dies verhält sich bei den Frauen anders. Die Ängste der Frauen sind anders. Ich habe schon beschrieben, daß Frauen aufgrund ihrer frühkindlichen Erfahrungen als kleine Mädchen die Angst vor Liebesentzug und Separation nie völlig loswerden, eine Angst, die sie in ihrer frühen Kindheit in bezug auf die Mutter haben mußten. Im Verlaufe ihres Lebens lernen Frauen zudem, daß die Gesellschaft sie »bestraft«, wenn sie etwa die Schutzzone von Abhängigkeit und Schwäche verlassen, die man ihrem Geschlecht zuweist. Allzu aggressiv vorgetragene eigene Wünsche, Streben nach Erfolg und Anerkennung, der Wunsch nach Macht gar werden mit Sanktionen versehen: Eine solche Frau ist eigentlich keine Frau, das läßt die Männerwelt sie spüren. Davor haben Frauen Angst. Sie fürchten die Einsamkeit, den Verlust ihrer Bezugsgruppe, in der »sie so sein können, wie sie sein wollen«. Auch aus Angst lautet die Machtfrage der Frauen: Lohnt sich das? Lohnt sich die Strampelei, der Kampf, der offene Konflikt mit Männern, um dann vielleicht ganz allein dazustehen? Natürlich ängstigen sich Frauen aufgrund ihrer körperlichen Unterlegenheit und Schwäche, sie haben Angst vor Gewalt und Vergewaltigung. Dies auch im übertragenen Sinn: Das männliche Geschlecht, das körperlich stärker ist, leitet seine vermeintliche Überlegenheit ja auch aus der Körperkraft ab und kann daher Druck ausüben, auch ohne gewalttätig zu sein. So ängstigen sich Frauen auch vor der Verletzung und Entwertung ihrer Menschenwürde, sie haben Angst vor psychischer Wehrlosigkeit und vor der Ausnutzung ihrer Person als Geschlechtswesen, dessen Sexualität unter Leistungs- und Fortpflanzungszwang gesetzt wird. Die Angst -vor Ausnutzung sitzt bei vielen Frauen tief. Denn die meisten haben in den verschiedenen Phasen ihres Lebens immer wieder die Erfahrung gemacht, daß sich in Liebesbeziehungen ein Muster einschleicht, das über kurz oder lang das alte Rollenspiel wiederherstellt: Die Frau ver- und umsorgt den Mann, hält ihm Kopf und Rücken frei für seine wichtigen Tätigkeiten, ist bemüht, einen emotionalen Boden zu bereiten, in dem er sich je nach seinen Bedürfnissen hungrig und satt, unternehmungslustig und gemütlich, offen nach außen und privat abgesichert fühlen kann. Ach, wenn doch, das Umgekehrte hin und wieder auch einträte! daß Frauen- nicht aggressiv und angstvoll zugleich so darauf pochen müßten, mit freiem Kopf und Rücken in einem wohligen emotionalen Bett zu liegen, das »er« ihnen bereitet hat! - Seit meiner Hausfrauenzeit gebrauche ich für mich ein Bild für diese Angst: Ich möchte nicht so leben müssen, daß ich mir »meinen Geburtstagskuchen selbst backen muß« Die meisten Frauen, wo sie auch stehen und wie sie auch leben, müssen dies. Sicher muß man sich vor Generalisierungen hüten, aber es ist medizinisch und psychologisch wohl nachweisbar, daß Männer und Frauen mit ihren Ängsten unterschiedlich umgehen. Männer neigen eher dazu, die Ängste immer tiefer zu vergraben und mit immer grösserer Energie zwanghaft zu bekämpfen und durch Aktivität und Überkompensation. zu verwandeln.. Alles Leiden wird soweit wie möglich weggedrückt, Zustände, die Angst bewußt machen könnten, werden möglichst vermieden, so daß - da der Mensch ja eine Einheit ist der Körper mit Krankheiten reagiert, wenn die Psyche sich aus ihrer Angstblockierung nicht mehr befreien kann. Natürlich verdrängen auch Frauen ihre Ängste. Das Ergebnis ist jedoch ein geschlechtsspezifisch anderes: Regression, Resignation, Mutlosigkeit sind die Folge, und daraus wiederum rekrutiert sich eine noch größere Anpassungsbereitschaft und ein erheblich mangelndes Selbstvertrauen. Wenn selbst dieses Verhalten die Mechanismen der Angst aber nicht außer Kraft setzt, reagieren auch Frauen mit körperlicher Krankheit. Im Unterschied zu den Männern ist es ihnen durch die Gesellschaft aber gestattet, krank zu sein. Selbst seelische Erkrankungen sind notfalls erlaubt. Deshalb haben Frauen sehr viel eher als Männer die Möglichkeit, die Krankheit als Symptom zu begreifen und ihr Leben zu ändern. Dabei erweisen sie sich häufig als außerordentlich mutig, zäh und unabhängig, während Männer sich eher feige, schwach und auch viel abhängiger geben. So ist es nicht verwunderlich, daß die Scheidungsstatistiken schon seit Jahren ausweisen, daß die größere Zahl der Scheidungen von den Frauen herbei geführt wird. Sie verschlechtern dadurch zwar meistens ihre finanziellen Lebensbedingungen, gewinnen für sich und ihre Kinder aber Gestaltungsfreiraum hinzu, den sie häufig mit bemerkenswerter Aktivität nutzen. Umgekehrt kann man bei den Männern beobachten, daß sie nach einer Trennung ziemlich unmittelbar unter den nächsten warmen Rock kriechen, wenn sie nicht schon vorher so vorgesorgt haben, daß eine Alternative bereitstand. Das Fatale an der Art und Weise, wie Männer und Frauen mit ihren Ängsten umgehen, ist nun, daß sich ihre Verhaltensweisen ergänzen: Der Mann, der sich fürchtet, andere könnten seine faktische Bedeutungslosigkeit erkennen, von der er selbst im tiefsten Herzensgrund überzeugt ist, rudert mit sämtlichen Ellenbogen, um durch eine herausgehobene Stellung zu beweisen, daß seine Angst unbegründet ist. In diesem nach außen gerichteten Aktivitätsdrang steht ihm seine liebende Gattin bei, die ihr eigenes mangelndes Selbstvertrauen dadurch stützt, daß sie von seiner Bedeutung zutiefst überzeugt ist und ihn darin stabilisiert. So blockieren sie sich gegenseitig in ihren Ängsten. Männer können erst dann unsere Brüder werden, wenn die Frauen aufhören, ihre Mütter zu sein. Schwesterlichkeit verlangt andere Tugenden als Mütterlichkeit.