»Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die
Schönste im ganzen. Land? Frau Königin, Ihr seid
die Schönste hier, aber Schneewittchen über den
Bergen, beiden sieben Zwergen, ist noch
tausendmal schöner als ihr.«
Schneewittchen
Brüder Grimm
In der Mozartoper »Cosi fan tutte« singt der »böse« Ränkeschmied Don Alfonso geschmeidig und elegant, daß die weibliche Treue einem »arabischen Phönix« gleiche - »daß es ihn gibt, sagt jeder, wo er ist, weiß keiner«. Mit der weiblichen Solidarität scheint es sich grundsätzlich anders zu verhalten: Alle Männer und viele Frauen sagen einem, daß es sie nicht gibt. Jedes Mal, wenn ich Veranstaltungen zu bestreiten habe, in denen es um eine stärkere Mitwirkung von Frauen in den Parteien und an politischen Entscheidungsprozessen geht, wird mir vorgehalten, daß »der stärkste Feind« der Frauen die Frauen selber seien. Ist dieser Vorwurf berechtigt? Auch wenn immer wieder vermeintlich schlagende Beweise in Form konkreter Ereignisse kolportiert werden, wo »die Frau« eben nicht »die Frau« unterstützt hat? Natürlich wünsche ich mir das Solidaritätsbewußtsein stärker, aber ich gebe zu bedenken: Warum eigentlich wird verlangt, daß 23,9 Millionen erwachsener deutscher Frauen immer solidarisch miteinander sind? Überträgt man diesen Anspruch, auf die Männer, wird die Absurdität einer solchen Forderung offensichtlich. Denn Frauen unterscheiden sich in ihren Temperamenten, in ihren Zielen und Meinungen , in der Art, wie sie ausgebildet wurden und wie sie ihren Standpunkt vertreten, natürlich ganz genauso, wie Männer dies tun. Hier herrscht offensichtlich die Perspektive machtvoller Anmaßung, die Erwachsene häufig auf Kinder anwenden: Kinder, auch wenn sie sich bis dato gar nicht kannten, haben sich bei Familien- oder Freundesbesuchen zu vertragen, schlicht weil sie Kinder sind! Die von Männern auf Frauen gerichtete Forderung nach weiblicher Solidarität geht in ähnlicher Weise vom Bild der Unmündigkeit aus. Kein Zweifel: Hilfreich ist Frauensolidarität natürlich, besonders wenn Frauen am Rande des Tanzsaales stehen und hinein wollen in das Treiben. Trotzdem dürfen wir uns den Zwang nicht von außen als Forderung der Männer oktroyieren lassen, schließlich sind die alles andere als solidarisch! Bei ihnen wird als selbstverständlich akzeptiert, wenn Gewerkschafter gegen Arbeitgeber, Angestellte gegen Arbeiter, Postbeamte gegen Staatssekretäre Position beziehen, warum sollte dies bei Frauen anders sein? Auch. bei uns haben Akademikerinnen und Hilfsarbeiterinnen, junge Auszubildende und Rentnerinnen, kinderreiche Mütter und ledige Yuppis völlig unterschiedliche Lebens- und Erfahrungswelten, die ihre Standpunkte prägen. Kürzlich saß ich nach einer Veranstaltung beim Wein in gemütlicher Ratschrunde mit anderen, und diese Frage kam auf. Da erzählte eine, daß der Mann einer Bekannten jüngst mit einer guten Freundin der Ehefrau zusammengezogen sei, und daß sie dieser Frau gesagt habe: jetzt denkst du sicher anders über die Solidarität unter den Frauen, von der du bisher so viel gehalten hast! Die anderen Frauen nahmen dazu Stellung. Klar, wir Frauen sind alle in Konkurrenz zueinander erzogen. Allerdings wirkt sie sich meist nicht direkt aus, sondern ist gewissermaßen ein Spiel »über die Bande«, denn unsere Konkurrenzen laufen über den Mann. Unsere Solidarität sieht sich immer besonders herausgefordert, wenn es um den Mann geht. Wirklich kein Wunder, daß sehr häufig bei dieser Struktur die Solidarität arg strapaziert wird und sogar über Bord geht, etwa dadurch, daß die enge Mitarbeiterin im Beruf der daheim züchtig waltenden Gattin den Mann schlicht ausspannt. Die Gewissensfrage an die weibliche Solidarität lautet: »Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land?« und die Schönste wird jeweils von ihm, dem Prinzen, ausgewählt. Bei Nichtgefallen Umtausch gewährleistet. So sind wir groß geworden, wir: Die Vierzigjährigen. Ist dies heute noch der Maßstab? Eine Freundin berichtet mir, daß sie als geschiedene Frau oft nicht eingeladen wird, weil die Frauen der befreundeten Paare Sorge haben, sie könnte vielleicht einen Ehemann ausspannen wollen. Eine andere Bekannte sagt mir, häufig würden ihr Avancen gemacht von Ehemännern, die zusammen mit der eigenen Person auch das Unverständnis ihrer Ehegattinnen anpreisen. So ist das also wohl noch immer: Glücklich die, die »einen abgekriegt« hat, unglücklich die »einsame«, die allein lebt. Und unbestreitbar auch der durch Augenschein belegbare Tatbestand: Es ist selten die Ballettänzerin, mit der »er« fremd geht, sondern fast immer die Sekretärin, Mitarbeiterin, Kollegin, halt das, was so am Wegrand liegt. Und was für Schlüsse für die weibliche Solidarität wären daraus zu ziehen? Höchst unterschiedliche. Den Männern ist sicherlich daran gelegen, den Quell der Bewunderung für sie nicht versiegen zu lassen. Weibliche Untergebene sind daher oft in ein solidarisches Frauenbündnis nicht einzubinden: Die Solidarität zum Chef hat Vorrang. Darüber hinaus aber sind Männer natürlich herrschafts- und machterfahren und wissen, daß das alte Prinzip »Teile und herrsche!« ein kluges Prinzip war und ist. Insofern ist ihr meist unbewußtes Herrschaftsprinzip darauf ausgerichtet, die Solidarität unter den Frauen zu schwächen und Frauengruppen gegeneinander auszuspielen: die älteren gegen die jungen, die hübschen gegen die nicht hübschen, die Hausfrauen mit Kindern gegen die kinderlosen Erwerbstätigen. So läßt der Mann die Frauen gar nicht erst hochkommen. Schon das kleine Mädchen wird als »Papas Liebling« allmählich zur Orchidee heran gezüchtet, deren einzigartige Bedeutung später als Gattin und Mutter »seiner« Kinder weiter lebt. Um an »seiner« Wertschätzung für »seine« Frau und die Mutter »seiner« Kinder keinerlei Zweifel aufkommen zu lassen, wird »er« immer die Bedeutung der Hausfrau und Mutter höher einstufen als die außerhäuslich erwerbstätige Frau. Und er wird immer den. Wert einer Familie, in der die Frau voll und ganz in ihren Mutter- und Hausfrauenpflichten aufgeht, höher schätzen als Familien, in denen die Eltern beide berufstätig sind und die Hausfrauentätigkeit durch zugekaufte Dienstleistung wahrnehmen lassen, während sie sich die Elternpflichten teilen. Gucken wir uns die Berufswelt an, so erleben wir, daß die Männer weibliche Konkurrenz natürlich nach Möglichkeit ausschalten. Eine Frau »als Chef«? Nein danke, dann doch lieber dazu beitragen, daß der mittelmäßige männliche Kollege den Aufstieg schafft. - Gibt es intelligente Kolleginnen? Na ja, mit weiblicher Logik ..., und außerdem können sie jederzeit schwanger werden oder bringen auf andere Weise Unruhe in den Betrieb. Wenn sich weibliche Konkurrenz gar nicht mehr umgehen läßt, wird die männliche Mehrheit immer wieder versuchen, ein Mitglied der weiblichen Minderheit zu akzeptieren, das als nicht so bedrohlich empfunden wird: Eine Frau, die noch nicht »unangenehm aufgefallen ist«, die sich anpasst, freundlich ist, keine Ansprüche stellt und notfalls auch den Kaffee kocht, wenn es Bürobesprechungen gibt. Im politischen Kräftespiel erleben wir Frauen dies oft: Die politisch Profilierten, die widersprechen, eigene Vorstellungen. haben, Anstoß erregen, aber auch Anstöße geben, werden von den überwiegend männlich besetzten Parteigremien weniger akzeptiert als die Freundlich-Angepassten, Liebenswürdigen und weniger Kämpferischen. Dies stelIt auch meine Frauensolidarität bei Frauenkandidaturen häufig vor eine Belastungsprobe, denn ich darf ja meist nicht einmal den verdeckten Konflikt und die verschleierte Konkurrenzsituation aufdecken, weil mir dies von Männern und Frauen als Unsolidarität vorgehalten würde. So muß ich es hinnehmen, daß inhaltliche Positionen nicht diskutiert werden und daß auch die Frage parteipolitischer Aktivität häufig kein Pluspunkt ist, wenn doch die größere Liebenswürdigkeit bei der Konkurrentin so offen zutage liegt. Wer könnte dagegen angehen! Tritt eine Frau für ihre Sache ein, kämpft sie, ist aggressiv und streitbar, so wird sie sehr häufig mit schlechten Wahlergebnissen »bestraft«. Ihre Eignung wird bestritten, und eine harmlosere Frau wird ihr mitunter vorgezogen. Nicht selten werden von Männern und Frauen in solchen Fällen Gerüchte gestreut und angebliche Sachargumente verbreitet, die nichts anderes sind als persönliche Diffamierung, um eine starke Frau zu verhindern und eine schwächere Frau oder einen Mann an ihrer Stelle wählen und in den Vordergrund spielen zu können. In solchen Zusammenhängen werden Frauen oft instrumentalisiert - und zwar sowohl die, die Kandidatinnen sind, als auch die, die Kandidatinnen stützen oder verhindern sollen. Die mangelnde Solidarität unter Frauen wird also von Männern oft bewußt herbeigeführt, oder die Keime dazu werden sorgsam gehegt und gepflegt - mit dem Ergebnis, daß später gesagt werden kann, die Frauen selbst hätten diese Frau ja nicht gewollt. Oder: Wir haben zwar die eine (die ältere, erfahrenere, tüchtige und durchsetzungsfähige) nicht gewählt, dafür aber zwei andere (nämlich junge, unerfahrene, hübsche, nicht durchsetzungsfähige). Seht, wie gut wir sind! Dieser Männertrick ist auch deshalb verhängnisvoll, weil sich bei den Frauen der Eindruck einstellt, wenn Frauen nur liebenswürdig genug sind, könnten sie ganz leicht etwas werden und hätten dann mitunter sogar bessere Positionen als Männer in einer vergleichbaren Situation. Frauen, die auf diese Weise etwas geworden sind, werden in Parteivorständen nicht dauernd die Forderung nach mehr Frauenbeteiligung stellen, weil sie - eher unbewußt argumentieren, eine »gute Frau setzt sich schon von alleine durch«. Solche Frauen haben gegenüber den Männern, die die Ochsentour gemacht haben, für die Sache der Frauen noch einen weiteren »Haken«. Sie bleiben nämlich auch immer die »Naiven« und Ungefährlichen; sie setzten sich selten durch, versuchen es vielleicht nie. Auf diese Weise kann dann das Bild »Frauen sind für Führungspositionen nicht so geeignet« von den Männern weiter gehätschelt werden. Für diese Situation kann die einzelne Frau aber nicht, und es wäre falsch, sie etwa deshalb zu missachten. Es bleibt die Aufgabe der politisch erfahreneren Frauen, ihr den Lernprozess zu vermitteln. Immer wieder werden nämlich »neue« Frauen kommen, die - im politischen Geschäft - zunächst eigenständige Frauenarbeit höchst überflüssig finden. Fast alle der jetzt Aktiven haben den Prozess durchlitten, daß wir allmählich lernten: eine alleine schafft den Durchbruch nie.
Zunehmend wachsen die Erfahrungen jener Frauen, die ihren Weg mit Hilfe der Solidarität von Frauen machen. Zwar sind wir Frauen noch weit davon entfernt, das »old boys network« in ein »new girls network« umzufunktionieren. Aber viele Frauen haben erkannt, daß sie nicht nur für ihren eigenen Weg, sondern für den Weg ihres Geschlechtes solidarische Zusammenarbeit brauchen. Aus dieser Erkenntnis heraus entstehen mehr und mehr weibliche Netzwerke, die - häufig schon ziemlich erfolgreich selbst in unserem patriarchalisch strukturierten System - feministische Inhalte und persönliche Karrieren befördern. Auf die »Spieglein-Spieglein-an-der-Wand«-Frage ertönt dann keine »ja, aber«-Antwort mehr, sondern ein entschiedenes »hier! - aber dort auch«! Ich bin besonders froh darüber, daß die Berührungsängste von Feministinnen, Frauenhaus-Frauen, Fachfrauen an den Universitäten gegenüber uns Frauen in der Politik nachgelassen haben. Denn jede von uns exponierten Frauen in gehobener Position ist allein, isoliert. Nur gemeinsam und solidarisch werden wir die Stellung der Frau verbessern können, und wir müssen erkennen - und danach handeln - daß wir uns Männermaßstäbe nicht oktroyieren lassen dürfen. Bei allen Auswahlverfahren kommt den Männern übrigens ein Tatbestand zur Hilfe, den Frauen sich oft nicht klarmachen: Kriterium für die Anerkennung von Frauen ist weniger die Anerkennung durch bestimmte Gremien als generell die Anerkennung durch Männer. Selbst ich, die ich dies im Grunde lange weiß und nach Kräften dagegen angehe, ertappe mich immer wieder selbst dabei, daß ich auf Frauen gewissermaßen mit Männerblicken schaue und mir die von den Männern vorgeführten Kriterien der Beurteilung vorschnell zu eigen, mache. Das gilt für das äußere Erscheinungsbild von Frauen, gilt aber auch für ihre charakterlichen Eigenschaften. In dieser Hinsicht müssen wir Frauen einander besonders beistehen lernen. Schluß mit der »Meßlatte Mann«! Wir stehen auf eigenen Beinen, selbstbewußt und fest.
Die Kultur einer gespaltenen Menschlickeit
»Abziehbilder von der Welt. Das ist unser Teil.
Meiner. Soviel ist gewiß, wenn ich sage: ich. Wenn
ich sage: ich bin eine Frau.«
Irmtraud Morgner
Leben und Abenteuer der Trobadora Beatriz
Inzwischen hat es sich wohl bis zum letzten Mann herumgesprochen: Unsere Kulturgeschichte folgt einer männlichen Genealogie. Frauen schauen mit einem Blick der Entfremdung auf ihre eigene Kultur, die gleichwohl mit ihren, den weiblichen, Interessen nicht verknüpft ist. Nur erfundene Troubadoure können sich vorstellen, wie reich und neu das Leben für sie werden könnte, wenn die Frauen in der Kultur auch heimisch wären: »Uns steht kein langweiliges Leben bevor, wenn die Damen erst tun wollen, was sie tun wollen, nicht was sie tun sollen. Was würden sie als Menschen sagen über die Männer, nicht als Bilder, die sich die Männer von ihnen gemacht haben? Was wird geschehen, wenn sie äußern, was sie fühlen, nicht was zu fühlen wir von ihnen erwarten? Neulich sagte die Gattin eines Dichters, von Frauen wären keine Liebesgedichte zu lesen. Die Gattin hat recht. Nur wenige Damen möchten ihren Ruf dem Geruch der Abnormität preisgeben. Frauen ohne unterdrücktes Liebesleben gelten als krank (nymphoman). Männer solcher Art gelten als gesund (kerngesund). Kann sein, wir werden eines Sommertages nicht mehr unsere Nacktheit im Pferdestall verschleudern, kann sein, wir werden eines Wintertages nicht mehr in die Influenza flüchten müssen, um mal schwach sein zu dürfen. kann sein, wir gestatten uns eines Tages nicht nur beim Meerrettichessen eine Träne, ach, einmal ernstlich den Hof gemacht kriegen, öffentlich ...« - Das protokolliert Laura in Irmtraud Morgners Roman von einem nicht der Wirklichkeit entsprechenden Troubadour. Unvorstellbar, wenn er der Wirklichkeit entspräche! Denn in der Wirklichkeit versuchen die Troubadoure und alle anderen Männer wie die kleinen Jungen, den Ball ein für allemal zu behalten, den sie schwächeren Spielgefährten weggenommen haben. Wie die Spaltung des Menschen in Mann und Frau in ihrer kulturellen Auswirkung unser Leben zwei teilt, machen wir uns meist gar nicht bewußt. Ich. kann hierzu auch kaum mehr als Gedankensplitter beitragen: das ist ein weites Feld. Haben wir es mit »Mutter Natur« oder »Mutter Kultur« oder mit »Vater Kultur« zu tun? Wo steckt überhaupt der Vater heutzutage in Gesellschaft und Kultur? Wo steckt er in der Familie? Es ist schon sehr merkwürdig, daß allen Menschen, die von der Krankheit unserer Gesellschaft sprechen, als eine der ersten und vordringlichen Ursachen die Erwerbstätigkeit der Mütter einfällt, kaum jemand aber auch nur den Funken eines Gedankens daran verschwendet, wo eigentlich diese verflixten Väter abgeblieben sind. »Liebe und Arbeit« war die weise Antwort Freuds auf die Frage, was einen gesunden Menschen ausmacht. Wir erleben hinsichtlich dieses Gegensatzpaares in unserer Kultur, daß die Liebe in all ihren irdischen Facetten dem weiblichen Element zugeordnet wird, die Arbeit hingegen dem männlichen. Liebe, das ist Familie, Haushalt, Privatheit, Körper, Gefühl; Arbeit, das ist Beruf, Öffentlichkeit, Politik, Geist, Verstand. Wenig Vermittelndes zwischen diesen beiden Teilkulturen. Der »Kampf um die Hosen« als kulturgeschichtlicher Kampf um Arbeit, um Teilhabe, um die Befreiung von einem Teil der Liebespflichten. Ein kulturelles Phänomen der gespaltenen Sehweise amüsiert mich übrigens zunehmend, je mehr ich darüber nachdenke. Wir stellen in dieser phallokratischen, von männlichen Potenz-und Omnipotenzphantasien gestalteten Kultur nämlich fest, daß die Herren zwar äußerst freizügig mit der Vermarktung weiblicher Reize verfahren - aus der Kurtisane von einst (oho, Donnerwetter!) wurden Pin-up-Girl und Playboy-Häschen (lecker, lecker!) - aber äußerst gschamig geht die Männerwelt mit ihrer eigenen Nacktheit um. Da wird gesagt, Männer, Künstler zumal, fänden das männliche Genital nicht schön und deshalb nicht darstellenswert. Das mag so sein, aber warum finden sie es nicht schön? Körperhaare, Glatzen, Muskelpakete sind ästhetisch doch vielleicht genauso fragwürdig, werden aber dargestellt. Die mangelnde Beziehung zum eigenen Körper und die Verdrängung der eigenen Körperlichkeit sind sicher eine wesentliche Ursache. Aber es gibt Deutungen, die sagen, da auf dem Besitz des Penis nun einmal die ganze Machtstruktur unserer Gesellschaft aufgebaut ist, könnte sich die Darstellung, um was für einen vergleichsweise kleinen Körperteil es sich dabei handelt, nur störend auswirken. Also besser, kräftig mit dem Penis protzen - vor sich selbst, vor anderen Männern, vor den Frauen -, ihn aber verbergen: verborgene Götter lassen keine Zweifel aufkommen! daß etwas dran sein könnte an dieser Theorie, erhält aus der Tatsache Nahrung, daß der Aphrodite Amor als hübsches Bürschchen mit Pfeil und Bogen beigegeben ward: ein ganzer kleiner Mann als Symbol für den Körperteil. Das muß der Göttin und allen Frauen doch gefallen! (»Nimm mich bitte ernst«, lautet ein mir vertrauter männlicher Standardspruch, wenn ich mir milde Zweifel an bestimmten Theorien des Umganges von Männern mit sich selbst gestatte. Diese Theorie muß man vielleicht nicht zu ernst nehmen: Humor ist ein Zeichen der Erkenntnis. Er befreit.) Das zweite Gegensatzpaar, das unsere Kultur prägt, ist der Gegensatz zwischen Leben und Macht. Man kann das »Leben« fast synonym der weiblichen Hälfte zuordnen, ebenso wie sich die »Macht« der männlichen Hälfte zuschlägt. Freuds Theorie vom Penisneid ist - wie neuere Forscher mehr und mehr erkennen - eher als der Neid des Lebens auf die Macht zu verstehen. Umgekehrt ist der von Bruno Bettelheim und anderen Psychologen erkannte Neid der Männer auf die Gebärfähigkeit und die Brust der Frauen wahrscheinlich gut mit dem Neid der Macht auf das Leben beschrieben. Unversöhnt und unverbunden im Kulturbewußtsein unserer Gesellschaft stehen sich die beiden Sphären gegenüber und blockieren einander. Da die Teilung der Menschlichkeit für die Männer oberflächliche Vorteile bringt - welcher Mann wäre schon gern Hausfrau - besteht von seiten der Mächtigen nur geringer Antrieb, Schritte »ins Leben hinein« zu unternehmen. Betrachten wir den Politikbereich als Zentrum von Macht, so trifft Horst Eberhard Richter das Problem im Kern: »Politik erschöpft sich demnach in der Regulierung von Finanzströmen und in der Produktion von Texten, die unser soziales Zusammenleben normieren. Die Art und Weise, wie in der repräsentativen Demokratie diejenigen, die Politik machen, mit denen verkehren, für die diese Politik gemacht werden soll, erscheint von sekundärer Bedeutung und nicht mehr als Bestandteil von Politik selbst. Aber dies ist unter allen Fehleinschätzungen gewiss die fatalste. .. . Wir müssen mit dem dialektischen Problem fertig werden, daß gerade wegen der laufenden Komplizierung und der globalen Verflechtung politischer Lenkungsaufgaben die andere Seite von Politik nicht vernachlässigt werden darf, sondern umgekehrt mit Vorrang gepflegt werden muß: Das ist Politik als das Kommunizieren von Menschen miteinander. Das ist die Gestaltung von Solidarität, deren Voraussetzungen nur dann technisch machbar sind, wenn zuvor bzw. gleichzeitig der Sinn für die Notwendigkeit dieses Machens lebendig ist.« [12]
Fragen von Liebe und Leben sind keine Ghettothemen, sondern zentrale Themen der menschlichen Kultur. Einen Aspekt möchte ich an dieser Stelle wenigstens erwähnen, der mit dem, Gegensatz »Leben und Macht« zu tun hat. Leben geben, bedeutet Raum geben; Leben haben, bedeutet Lebensraum. haben - Macht geben, bedeutet Raum gewähren; Macht haben, bedeutet über Raum verfügen. Der Umgang mit dem Raum ist in der Kultur einer gespaltenen Menschlichkeit für Männer und Frauen höchst unterschiedlich: Die Frau gehört ins Haus, »zum Haus« sagt sogar ein bayerisches Sprichwort. Das Haus gehört ihr aber nicht, denn die Männersprache beschwört: »My home is my castle«, das heißt: Das Haus gehört dem Mann, die Frau gehört dazu, und niemand hat hineinzureden. Der Kampf um »ein Zimmer für sich allein« ist der Kampf um eigenen Lebensraum für Frauen, der in der technokratischen Welt der »Funktionsentmischung«, des »deutschen Normenwerkes« und des »Individualverkehrs in verkehrsberuhigten Zonen« zäh und subversiv geführt werden muß. Unsere gespaltene Kultur erneuert ihre Spaltung permanent, indem Frauen in ihr als Mütter und Männer als Söhne agieren - mit allem psychologischen Ballast, den diese Rollenidentifikation ausdrückt. Die soziale Identität von Männern und Frauen mit der klaren Rollenzuweisung in der Kultur hemmt entscheidend die Entwicklung der persönlichen Identität bei den Frauen, nämlich ihren Anspruch an sich und an die Umwelt, mit sich selbst identisch und so zu werden wie kein anderer Mensch einen Anspruch, den Männer für sich ganz selbstverständlich an die Umwelt stellen. Aber um das Mütter-Söhne-Dilemma zu überwinden und zu einem Solidaritätsmodell von Schwestern und Brüdern zu kommen, stellt sich, eine entscheidende Frage: Wo steckt in dieser Gesellschaft eigentlich der Vater? In der Familie spielt er die Rolle des Feierabend und Wochenendpapas, entweder regenerations- und pflegebedürftig oder mit eigenen Angelegenheiten beschäftigt, wichtigen, versteht sich: Sportschau, Autopflege, Zeitunglesen, berufliche Arbeiten. Ein Einkaufsbummel, Spaziergang mit der Familie, ausgiebiges Sonntagsfrühstück und kleine Geselligkeiten sind natürlich »drin«. Eine Autorität ist so ein Vater nur, weil das Männliche halt das Normgebende in der Gesellschaft und ihrer Kultur ist, fürs tägliche Leben »bringt« er nichts: Er vermittelt weder Sprache noch Nahrung, noch Geborgenheit, ist für Kinder keine verlässliche Instanz, sondern »schleicht sich« meistens, wenn es persönlich für ihn brenzlig wird. - Und außerhalb der Familien, wo steckt da das wichtige Moment der Vaterautorität? Wo ist der strenge, aber gerechte Patriarch, dessen Verantwortungsgefühl für andere grösser ist als der persönliche Ehrgeiz? Wo sind die Führerpersönlichkeiten in Wirtschaft und Politik, die in der Summe dem Staatswesen eine Vaterautorität geben könnten? Der Staat wird wahrgenommen als Bürokratie, er wird als eine riesige Maschine in Gang gehalten und von menschlichen Kreaturen versorgt und verwaltet, die häufig zu Recht den Beinamen »gehorsame Staatsdiener« tragen. Ein Schuß Ungehorsam, so wie ihn Eva durch die Verführung der Schlange nahe gelegt bekam - vom Baume der Erkenntnis zu essen, weil dies klug macht, selbst wenn man dann die eigene Nacktheit wahrnimmt - täte der Kultur der gespaltenen Menschlichkeit äußerst wohl. Damit aus Männern und Frauen Brüder und Schwestern werden, muß die Gesellschaft wohl vor allem Väter zustande bringen. Der liebe Gott allein tut es sicher nicht. Was wäre eine Kultur ohne Subkultur! Es läßt sich vermuten, daß die Kultur einer gespaltenen Menschlichkeit natürlich auch gespaltene Subkulturen aufweist. Die männlichen Elemente sind bekannt; sie reichen von Kneipe und Bar über Clubs, Seminare, Schulungen, Kongresse bis zu äußerst wirkungsvollen Strukturen, die die Amerikaner als »old boys network« charakterisieren. All diese Bestandteile der männlichen Subkultur sind übrigens der wunderbare Nährboden für Weibergeschichten, Geschichten über Weibergeschichten und für Witze. Auf der weiblichen Seite sieht es mit der Subkultur äußerst mager aus. Das, was früher durch die Spinnstuben, Jät- und Erntekolonnen, durch Hausgeburten, Klageweiber, Kaffeekränzchen an Möglichkeiten für Frauen bestand, gemeinsame Erfahrungen auszutauschen, ist durch die Isolierung sowohl der Hausfrau wie der erwerbstätigen Frau fast ausgestorben. Weibliche Subkulturen stehen unter einem ungeheuren Rechtfertigungszwang. Man denke nur an die gekränkten bis bösartigen Männerkommentare zu Frauenbuchhandlungen, Frauenfesten, Frauenhäusern, wo Männer bewußt ausgesperrt werden und Jungen nur bis zu einem gewissen Alter zugelassen sind. Solcher Rechtfertigungszwang gilt für die männlichen Subkulturen natürlich nicht: Sie sind gewissermaßen naturgegeben, weibliche Abgrenzung aber ist unnatürlich. Nachgerade komisch wirkt manchmal das männliche Verhalten, wenn den Frauen bedeutet wird, so ginge das nun aber nicht: Wenn schon Feminismus, dann sollten sie männliche Ratschläge zur Durchsetzung ihrer Ziele annehmen, das könne ihrem Anliegen nur guttun. Das Patriarchat nun als Beratervertrag: So wie ein Lehrer verdutzt schaut, wenn seine Klasse nicht zum Unterricht erscheint, empfinden Männer es als beleidigend, wenn Frauen den Beratervertrag ablehnen. Sie werden sich daran gewöhnen müssen.