Jugend ohne Orientierung ?*

  • (*Hauptreferat, gehalten auf den Ostfriesischen Hochschultagen
    der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft im DGB, Bezirksverband Weser-Ems,
    in Aurich am 18.10.1979)

I.

Bei so einem Haupt- und Grundsatzreferat, wie ich es hier halten soll, besteht ja die Gefahr, sich durch das allgemeine Thema verleiten zu lassen, auch sehr allgemein zu reden. Bis zu allgemeinen, wohltönenden Redensarten ist es dann oft nicht mehr weit.
Ich habe mir überlegt, wie ich an das mir gestellte Thema herangehen kann, um diese Gefahr möglichst zu vermeiden.
Ich hatte zunächst vor, den allgemeinen Ansatz des Zusammenhangs zwischen gesellschaftlichen Bedingungen und Persönlichkeitsentwicklung darzustellen und von da aus aufzuweisen, welche Folgen aus Widersprüchen der Familiensituation und des Bildungssystems, der Perspektiv-losigkeit und drohenden Arbeitslosigkeit, für die Persönlichkeitsentwicklung der Jugendlichen entstehen. Dies sollte dann an Beispielen bestimmter Lebensweisen und Bewußtseinsformen von Jugendlichen in unserer gegenwärtigen gesellschaftlichen Situation illustriert werden.
Ich bin von diesem Plan für das Referat abgekommen. Einmal deswegen, weil es mir schwierig schien, dabei im hier gesteckten Rahmen über Naheliegendes und Tausendmal-Gesagtes hinauszukommen. Da war aber noch ein anderer, sozusagen tieferer Grund: Ich hatte ein gewisses Unbehagen an der Formulierung des mir gestellten Themas, das mich daran hinderte, mich so direkt auf die vorgegebene Fragestellung einzulassen. Ich versuchte daher, und das Ergebnis lege ich Ihnen nun hier vor, den Einstieg in das Referat von der Analyse dieses eigenen Unbehagens, also von der Problematisierung des Themas her, zu finden. Das Fragezeichen am Ende der Themenformulierung läßt sich ja vielleicht auch als Ermunterung, das Thema selbst in Frage zu stellen, auffassen.
»Jugend ohne Orientierung?« — Wer redet da eigentlich? Das sind doch offensichtlich Leute, die sich selbst als irgendwie getrennt von der Gruppe »Jugend« sehen, über die hier verhandelt werden soll, die die »Jugend« also quasi zum-Objekt ihrer Analysen machen, ohne sie dabei selbst als Subjekt zu Worte kommen zu lassen. Um sich das zu verdeutlichen, möge man einen Moment bedenken, welchen Eindruck das, was wir hier auf der Tagung vorhaben, auf die zum Thema gewählten Jugendlichen selbst machen muß: Da sind Leute, die reden nicht mit Dir über Deine Probleme, sondern reden mit anderen über die Probleme, die sie mit Dir haben. Wenn Sie darauf antworten, das eine schließt das andere ja nicht aus, so haben Sie natürlich recht. Aber mich machte dieser Punkt trotzdem nachdenklich.
Ich möchte, wie ein Pfarrer, mit der Exegese der Themenstellung noch einen Schritt weitergehen: Hinter dem Thema steht ein Fragezeichen. Diejenigen, die hier über die Jugend reden wollen, wissen demnach offenbar selbst nicht so ganz genau, ob das denn stimmt, daß die Jugend ohne Orientierung ist. Die Gruppe der Jugendlichen ist also offenbar nicht nur von ihnen getrennt, sondern ihnen auch irgendwie fremd und rätselhaft. Man kann, wie es scheint, die betroffenen Jugendlichen nicht einfach fragen, was ist denn mit Dir los? Hast Du nun eine Orientierung oder nicht? Sondern man muß dies indirekt, sogar mit Hilfe der Wissenschaft, herauszufinden versuchen.
Damit will ich aber mit der Themen-Exegese Schluß machen und von da aus zum Frageansatz für die weiteren Überlegungen kommen: Man könnte, das steckt m.E. da drin, das Thema: »Jugend ohne Orientierung« durch die Formulierung ergänzen: »Ohne Orientierung über die Jugend'. Und dahinter dann allerdings kein Fragezeichen, sondern eher ein Ausrufungszeichen setzen. Zu klären wäre dabei, ob die (von mir natürlich nicht rundweg geleugnete) Orientierungslosigkeit der Jugend nicht mit der Orientierungslosigkeit über die Jugend zusammenhängen könnte?
Um dieser Frage näherzutreten, muß also nicht nur von der »Jugend«, sondern auch und sogar primär von »uns« die Rede sein. Mit »uns« meine ich dabei »uns«, die Erwachsenen.
Im Rahmen dieser Fragestellung muß von »uns« als Subjekten gesprochen werden: Worin liegt genau unsere, der Erwachsenen, der Lehrer, Desorientierung über diejugend, die uns zu zwingen scheint, über sie zu reden, da wir mit ihr nicht reden können, woher kommt «diese Desorientierung, was folgt daraus, und was kann man dagegen tun? Ich trete mit dieser Betonung des »subjektiven« Aspektes hier also (was sonst weniger meine Art ist) dezidiert als Psychologe auf — allerdings (wie sich hoffentlich zeigen wird) nicht als einer, der die Psyche der Leute als Erklärung für ihre Lebensverhältnisse heranzieht, sondern umgekehrt.

II.

Woher kommt es also, daß die »Jugend« in unserer Gesellschaft von den Ewachsenen abgesondert, ausgegrenzt, um nicht zu sagen »ghettoisiert«, ist? (Darüber ist natürlich schon viel geschrieben und geredet worden.) Ein wichtiges Bedingungsmoment liegt sicherlich in der mit der Herausbildung der großen Industrie immer stärkeren »Privatisierung' der Familie, die nicht mehr Produktionsgemeinschaft, sondern nur noch Reproduktionsgemeinschaft, damit von den wesentlichen gesellschaftlichen Lebenszügen isoliert ist. Damit sind auch die Kinder und Jugendlichen in der Familie von der gesellschaftlichen Lebenstätigkeit abgetrennt, auf ihr Kinder- und Jugendlichen-Dasein zurückgeworfen. Für die älteren Kinder und besonders die Jugendlichen, die zwar ihren Fähigkeiten, aber noch nicht ihren Möglichkeiten nach am ernsthaften gesellschaftlichen Leben, also vor allem am Arbeitsprozeß, teilnehmen können, entstand so eine Art von »Niemandsland« des »Herumhängens« zwischen Kinder-und Erwachsenenwelt. Die Widersprüchlichkeit dieser Situation ist dadurch bestimmt, daß die Jugendlichen aus der Sicht der Ewachsenenwelt, also letztlich der Produktton, zwar einerseits Gegenstand der Erziehung für die spätere Produktion, aber gerade dadurch auch kurzfristig unproduktiver Kostenfaktor sind. Da die gesellschaftlichen Institutionen einschließlich der pädagogischen diese Zwischenphase nicht hinreichend, d.h. für die Betroffenen lebensbestimmend, strukturieren und mit Sinn erfüllen konnten, kam es so naturwüchsig zu informellen Sozialgebilden, in denen sich die Jugendlichen zusammenschließen, ihr Dasein zu gestalten versuchen und sich dabei reaktiv wiederum gegen die »Erwachsenenwelt«, aus der sie ausgeschlossen sind, abgrenzen und ein eigenes »Jugendbewußtsein« o.a. entwickeln.
Diese Verselbständigung einer »Jugend« gewann in dem Maße eine neue Qualität, wie in unserer (sagen wir) »marktwirtschaftlichen« Ordnung die »Jugend« als eine besondere Zielgruppe des Marktes, ja besonderer Produktionszweige und ganzer Jugendindustrien herausgehoben wurde. Die naturwüchsige Ausgrenzung der Jugend wurde so durch eine kommerziell intendierte »Einmischung* verstärkt, was wiederum auf das »Jugendbewußtsein« der Jugend wie auf das »Erwachsenenbewußtsein* der Älteren rückwirken mußte. Was dabei herauskam, ist ja bekannt: Die »Jugend« hat ihre eigene Kleidung, ihre eigenen Zeitungen und Bücher, ihre eigenen Kneipen, ihre eigene Musik, ihre eigenen Geschäfte, ihre eigene Sprache usw. Dies schlägt sich in der öffentlichen Meinung nieder, sowohl in periodischen Denunziationen der »Jugend« und der Warnung vor angeblich schädlichen und zerstörerischen Tendenzen bei den Schülern und Studenten wie auch in kommerziell motivierten Bekräftigungen, wie der Ausmünzung des Spruches »Trau keinem über Dreißig« für Werbezwecke.
Mit dem so immer verstärkten Nebeneinander-Herleben der Jugend und der Erwachsenen verbunden ist eine Verarmung der Lebens- und Erlebensmöglichkeiten auf beiden Seiten. Um dies nur schlaglichtartig zu veranschaulichen: Ich mag zum Beispiel Rock-Musik, jedenfalls gute. Außerdem tanzen meine Frau und ich lieber nach Rock- und Disco-Musik als nach den für »reifere Jahrgänge« vorgesehenen Melodien. Wenn wir diese Bedürfnisse realisieren wollen, so geraten wir aber notwendig in Situationen, wo wir »Opas« und »Omas« unter Jugendlichen sind, also störend, oder uns mindestens störend vorkommen. Umgekehrt hört mein
Junge (16) eigentlich ganz gern auch klassische Musik, sieht sich aber außerstande, sich für einen Konzertbesuch eigens zu verkleiden, etc. Solches wechselseitiges Ausgeschlossensein aus dem Lebenskreis der anderen beschränkt generell die Möglichkeiten, sich miteinander zu freuen, voneinander zu lernen, Vertrautheit und Vertrauen zu entwickeln, das Erfahrene und Erlittene zusammenzutun. Die latente Inhumanität der Abgrenzung »der« Jugend und »der« Erwachsenen voneinander wird einem besonders deutlich, wenn man mal in eine Situation gerät, in der sie nicht vollzogen ist: Wer z.B. in Irland in so ein »singing pub« geht, der kann dort etwa ein schickes Mädchen in Stiefeletten zur Geigenbegleitung von drei uralten Männern singen hören, wozu etwa ein 17jähriger und eine schwergewichtige Matrone tanzen, während die Kinder zwanglos in die Situation integriert sind, nicht angebunden und zurechtgewiesen werden, sich also auch nicht kompensatorisch mausig machen und als »Kinder« aufführen müssen. Der Umstand, daß solche gemeinsamen Lebensmöglichkeiten aller Generationen die positive Kehrseite der ökonomischen Unentwickeltheit des Landes sind, ändert nichts an deren humaner Qualität.
Aus det damit umschriebenen Ghettoisierung und Selbstghettoisierung der Jugend wie der Erwachsenen erklärt sich schon in gewissem Maße, daß die Erwachsenen die Jugendlichen als fremde, im Kern unverständliche Wesen sehen, mit denen man schon deswegen nicht reden kann, wei sie nicht mit einem reden wollen, und über die man deswegen — wie hier — im Bedarfsfalle in Abwesenheit verhandeln muß. Unerklärlich bleiben dabei aber noch die Aggressivität und Angst, mit der häufig von den Erwachsenen die Ausgrenzung der Jugend betrieben wird, und die man ohne große Übertreibung als »Jugendhaß« umschreiben kann, durch welchen die Selbstausgrenzung der Jugend dann ebenfalls eine aggressive Qualität gewinnt. Man mag das damit angesprochene Widerspruchsverhältnis meinetwegen »Generationskonflikt« nennen. Die Frage ist nur, wie man es angemessen zu erklären hat. Bei dem Versuch, diese Frage einer Antwort näherzubringen, muß ich ein klein wenig ausholen.

III.

Der durchschnittliche Lebenslauf von Menschen in unserer Gesellschaft zerfällt in zwei Abschnitte. Einen »Jugend« genannten Abschnitt, in dem man lernt und sich entwickelt, und einen Abschnitt, in dem das Lernen und die Entwicklung im wesentlichen abgeschlossen ist und in dem man als »Erwachsener« seinem Berufsleben nachgeht, heiratet, Kinder kriegt usw. Woher kommt diese Trennung? Wie wir in unseren anthropogenetischen Studien festgestellt haben (die, wie Sie sicherlich wissen, in der Kritischen Psychologie eine wichtige Rolle spielen), liegt eine Beendigung des Lernens und der Entwicklung nach einer abgesonderten Jugendzeit keineswegs in der menschlichen Natur. Im Gegenteil: Es ist einer der zentralen Unterschiede zwischen Mensch und Tier, daß der Mensch sich lebenslang entwickeln kann, während selbst bei den höchsten Tieren, wenn ein bestimmtes »artspezifisch« präformiertes Fähigkeitsniveau erreicht wurde, das Lernen weitgehend abgeschlossen ist. Die Reduzierung des Lernens und der Entwicklung im Erwachsenenalter hat also andere, gesellschaftliche Gründe.
Um Näheres darüber herauszubringen, was das für Gründe sein mögen, fragen wir etwas genauer nach, warum der Mensch in Abhebung vom Tier sich lebenslang entwickeln kann, und was das für eine Art von Entwicklung ist, die er dabei durchmacht. — Der Mensch lebt und überlebt, wie bekannt, nicht in einer natürlichen Umwelt, sondern er kann sein Leben als Gattung und als Individuum nur erhalten, indem er durch geplante Veränderung der Natur seine Lebensbedingungen gesellschaftlich produziert, damit in verallgemeinerter Weise für die Existenzsicherung aller Gesellschaftsmitglieder sorgt und vorsorgt. Dieser Prozeß wird bekanntlich »Arbeit« genannt. Da die gesellschaftliche Lebenserhaltung ja von den einzelnen Menschen getragen werden muß, bedeutet demnach »Entwicklung« auf menschlichem Niveau allgemein »individuelle Vergesellschaftung*, d.h. die Fähigkeit und Motivation, am gesellschaftlichen Arbeitsprozeß, also an der gemeinsamen Verfügung über die allgemeinen, damit auch die je individuellen, Lebensbedingungen, teilzuhaben. Diese Entwicklung als individuelle Vergesellschaftung, in der das Individuum, sozusagen in Überschreitung seiner Individualität, durch Zusammenschluß mit anderen, seine eigenen Lebensumstände unter Kontrolle bringt, ist deswegen prinzipiell lebenslang und unabgeschlossen, weil das gesellschaftlich kumulierte und tradierte Wissen und Können das des einzelnen notwendig überschreitet, und weil außerdem die historische Entwicklung, in die der einzelne sich hineinentwickeln muß, selbst unabgeschlossen ist. — Da der Mensch mithin sozusagen das »sich entwickelndende Wesen« par excellence ist, ist — wie unsere Analysen ergeben haben — auch seine psychische Struktur zentral entwicklungsorien-tiert. Der Mensch erreicht sein Optimum an Angstfreiheit, Wohlbefinden, Lebenserfüllung nur in der langfristigen Perspektive seiner eigenen Entwicklungsmöglichkeit und -fähigkeit.
Damit wird deutlich, daß die Beendigung der Entwicklung in der »Erwachsenenphase« eine Behinderung menschlicher Entfaltungsmöglichkeiten ist. Diese Behinderung resultiert unserer Auffassung nach aus der Klassenspaltung unserer Gesellschaft und der damit verbundenen speziellen Trennung von körperlicher und geistiger Arbeit: Dadurch ist die Masse der Bevölkerung von der bewußten gemeinschaftlichen Verfügung über die gesellschaftlichen Lebensbedingungen, damit ihrer eigenen Selbstbestimmung, ausgeschlossen, demgemäß auch in der Fähigkeitsund Bedürfnisentwicklung wesentlich auf die fremdbestimmte und bloß ausführende Arbeit, also einem Status relativer Entwicklungslosigkeit in Abhängigkeit, reduziert. Für den einzelnen besteht dabei grundsätzlich die Altenative: Der (jedenfalls in unserer Gesellschaft gegenwärtig »normale«) Versuch, individuell zurechtzukommen, sich in der Abhängigkeit einzurichten, mit den Herrschenden zu arrangieren und so »realistisch« noch das Beste daraus zu machen, oder der Versuch, im Zusammenschluß mit anderen Einfluß auf die gesellschaftlichen Lebensumstände zu gewinnen, damit seine eigenen Angelegenheiten in die Hand zu bekommen.
Die Trennung des Lebenslaufs in entwicklungsorientierte »Jugend« und weitgehend entwicklungsloses Erwachsenendasein (für den gesellschaftlich »durchschnittlichen« Fall des Sich-Einrichtens im Status quo) läßt sich aufgrund dieser Überlegungen folgendermaßen näher kennzeichnen: Da das Kind und der Jugendliche die Fähigkeiten des durchschnittlichen Erwachsenendaseins ja erst noch erreichen müssen, können sie zunächst ihre Lebens- und Selbstbestimmungsmöglichkeiten noch echt erweitern, und sind demgemäß prinzipiell entwicklungsorientiert, kommen damit zu einer perspektivischen Zukunftserwartung mit dem Anspruch stetiger Erweiterung ihrer Lebens- und Erlebnismöglichkeiten. Dabei nähern sie sich allmählich dem Erwachsenenstadium an, das — durch die genannten gesellschaftlichen Umstände — im Gegensatz dazu einen Zustand relativer Stagnation bedeutet, in welchem etwa viele Lohnabhängige mit 65 keine entscheidend größeren Entwicklungs- und Entfaltungsmöglichkeiten in der Arbeit haben werden, wie zu der Zeit, wo sie als Jugendliche ins Berufsleben eingetreten sind. Der Lebenslauf hat also mit dem Übergang in das Erwachsenenstadium sozusagen einen Knick, wie ein umgekehrt gehaltener Hockeyschläger, indem das Entwicklungsstadium hier in ein relatives Stagnationsstadium übergeht. Es ist mithin eine der wesentlichen durchschnittlichen Lebensprobleme des Heranwachsens, ob und wie man mit diesem »Bruch* in der Biographie fertig wird. Diese Diskrepanz zwischen entwicklungsorienticrter Jugend und stagnierenden Erwachsenen ist die Grundlage für all das, was in verschiedenen Erscheinungsformen als Generationskonflikt imponiert. Ich will nur einen Aspekt hier verfolgen.
Blicken wir hierzu auf den Übergang von Entwicklungsonentiertheit zu Stagnation von der anderen Seite, vom Standpunkt des »durchschnittlichen« Erwachsenen, der diesen biographischen »Bruch* mit individuellen Lösungen bewältigt hat und nun, wie er es sieht, »realistisch« und damit lebenstüchtig geworden ist. Und beziehen wir dabei gleich seine Sichtweise auf die »Jugend«, damit auf seine eigene Vergangenheit, mit ein. Der hier vollzogene Anpassungsprozeß hat als wesentliches Merkmal die als Realismus vorgetragene Resignation: Man hat sich »die Rosinen aus dem Kopf geschlagen«, sich mit dem »Möglichen« abgefunden, kennt nun die Tricks, um sich durchzuschlagen und zurechtzukommen. Dabei sind natürlich nicht »alle Blütenträume gereift«, aber: es könnte schlechter sein, und im Vergleich zu anderen geht es einem ja noch gold etc. Von da aus wären dann schon in gewissem Maße die Herablassung und der Spott verständlich, mit denen man auf die »Jugend« blickt, die sich noch einbildet, ihr gehört die Welt, auch der Lebensneid auf die der Jugend eigenen Hoffnung und ihre realen Erlebnis- und Entfaltungsmöglichkeiten, deren Attraktivität auch dann für den »Erwachsenen« bestehen bleibt, wenn er sie als »illusionär« einstuft. Unklar bleibt allerdings noch, woher dabei die geschilderte Aggressivität vieler Erwachsener gegen die Jugend kommt, der »Jugendhaß«, die existentielle Betroffenheit, die Provokation, die für manche Erwachsene die Jugend allein schon durch ihre bloße Existenz darstellt.
Um dies besser zu verstehen, muß man sich vergegenwärtigen, daß der geschilderte Prozeß »realistischer« Resignation normalerweise keinesfalls Widerspruchs- und konfliktlos vor sich geht. Wie im gesamtgesellschaftlichen Maßstab die Alternative zum Sich-Einrichten in der Abhängigkeit der gemeinsame Kampf um bessere Lebensbedingungen durch Verfügung der Betroffenen über ihre eigenen Angelegenheiten ist, so hat auch der einzelne an verschiedenen Springpunkten und Schaltstellen seines Lebenslaufs Alternativen zum Zurückstecken, Sich-Abfinden und Sich-Einrichten gehabt. Er hat Möglichkeiten zu kämpfen, statt klein beizugeben, seine Angst zu überwinden, sich zu wehren, mit anderen zusammen Bedingungen für ein weniger beschränktes, enges und kleinliches Dasein zu schaffen, gehabt, und er hat diese Möglichkeiten nicht genutzt. Der Anpassungsprozeß, an dessen Ende dann der lebenstüchtige »Realist« steht, ist also nicht nur ein Resignationsprozeß, sondern auch ein Abwehr- und Verdrängungsprozeß, indem die Alternativen, bei deren Nutzung man jetzt ein besseres, erfüllteres, kraftvolleres Leben fuhren könnte, unterdrückt, geleugnet, wegrationalisiert, verschoben werden. Der Erfolge solcher Abwehrprozesse, in denen man sich immer wieder selbst beschwört, das alle,«, so am besten sei, wie es ist, ist die wesentliche Voraussetzung für die Stabilität der eigenen »realistischen« Bewältigungsform individuellen Zurechtkommens, dabei aber durch das eigene bessere Wissen und durch das Beispiel von anderen, die kämpfen, statt zu resignieren, ständig bedroht und muß deswegen gegen die aufkommende Angst immer wieder neu abgesichert werden.
Von da aus wird klarer, warum die Fremdheit der Erwachsenen gegenüber der Jugend so leicht in Aggression umschlägt und so viel Unduldsamkeit, Verachtung, ja manchmal ein Moment von Pogromstimmung enthält: Die Jugend bedroht durch ihre Existenz, durch ihre Hoffnungen, Zukunftserwartungen und Lebensformen das geschilderte Abwehr-System der »durchschnittlich angepaßten« Erwachsenen, damit die ja ohnehin immer gefährdete Stabilität ihrer Persönlichkeit und Funktionsfähigkeit ihrer Bewältigungsweisen. Durch die Begegnung mit der Jugend werden die verschütteten und verdrängten Alternativen des Kampfes um ein erfüllteres Leben, die man selbst hatte und aus Kleinmut und Risikoscheu verschenkt hat, wieder virulent. Eine solche »Wiederkehr des Verdrängten« (wie Freud dies ausdrücken würde) erzeugt aber Angst und macht erneute Anstrengungen zur Stärkung des Abwehrsystems erforderlich. Dabei ist es ein naheliegender Weg, die in derjugend selbst verkörperten Lebensmöglichkeken durch deren Ausgrenzung, Abwertung, Denunzierung, zu leugnen, womit dann auch geleugnet ist, daß man selbst solche Möglichkeiten hatte und vergab. So weiß man einerseits, daß die »Rosinen« im Kopf der Jugend so groß nicht sind, daß es darauf angekommen wäre, die »Utopie« derjugend in Wirklichkeit umzusetzen, statt klein beizugeben, und daß selbst das Scheitern dieses Versuchs noch mehr Lebendigkeit bedeutet hätte als das eigene kümmerliche Dasein hergibt. Daraus gewinnt der Lebensneid auf die Jugend die besonders quälende Komponente des Eingestehenmüssens verpaßter Chancen. Selbst die Drogensucht, die Mitgliedschaft in Jugendsekten, etc. mag dabei als, wenn auch selbstzerstörerische, so doch unbedingtere und »echtere« Lebensäußerung im Sinne menschlicher Möglichkeiten und Hoffnungen gesehen werden als die eigene halbherzige Lebensform. Auch mag man die Verachtung, die die Jugend ihrerseits der kompromißlerischen, gebrochenen und selbstgerechten Erwachsenenexistenz entgegenbringt, insgeheim so unverständlich nicht finden und darin eine Bestärkung der unbewußten Selbstverachtung sehen, etc. Andererseits aber darf dies alles nicht wahr sein. So findet man in der Ablehnung und Verachtung der Jugend, die mit ihrer Zügellosigkeit und Utopie unser System gefährdet, ein Mittel gegen die Gefährdung des eigenen Abwehrsystems.
Gelegentlich hat man dabei sogar den Eindruck, daß diese Abwehr in (unter allerlei Verkleidungen auftretende) reale Behinderung der Entwicklung, der Lebenscntfaltung derjugend umschlagen kann. Dadurch schafft man dann quasi die Bedingungen, unter denen man mit der Auffassung recht behält, daß das mit der zügellosen Jugend, ihren Plänen und Anmaßungen in Richtung auf ein besseres Leben, ein böses Ende nehmen muß. Viele von uns kennen sicher aus der eigenen Kindheit und Jugend dieses permanente Zurückpfeifen, Einengen, Entmutigen durch Eltern oder Lehrer, wobei Ironie und Verächtlichmachen eine große Rolle spielt. Und sie wissen dann auch, welche wirklichen Behinderungen der eigenen Entwicklung daraus resultieren können etc.
Es ist aus dem Gesagten klar, daß diese Haltungen den Erwachsenen nicht als Schuld zugeschrieben werden können, sondern aus ihrer eigenen objektiven Lebenssituation der Stagnation entstehen. Die geschilderte Argumentation ist auch nicht immer so klar und rein anzutreffen. Häufig wird auch versucht — davon ausgehend, daß es die Jugend einmal besser haben soll als man selbst —, die Jugendlichen nach den eigenen Vorstellungen zu modeln, was eine Spezialform der Entwicklungsbehinderung werden kann. Wesentlich ist dabei: Das Aufrühren der alten Kämpfe und Konflikte durch die Jugend stellt ja, wenn sich entsprechende Handlungsimpulse einstellen, nicht nur eine psychische, sondern eine sich darin spiegelnde reale Bedrohung der Erwachsenen dar, weil sie auf diesem Wege unausweichlich mit den herrschenden Mächten und ihren jeweiligen Repräsentanten in Konflikt kommen und ihre Existenz nicht nur psychisch, sondern unmittelbar materiell gefährden.

IV.

Die Ausgrenzung der Jugendlichen durch die Erwachsenen ist damit von mir nur in ihren »durchschnittlichen« psychischen Implikationen umschrieben worden. Sie realisieren sich je nach der gesellschaftlichen Lebenslage und den Entwicklungsbedingungen der Jugendlichen natürlich in unterschiedlicher Art und verschiedenem Grade. Ich will hier aber nicht weiter ins einzelne gehen, sondern statt dessen den Rückbezug zu unserer Ausgangsfrage, damit zu dem mir für diesen Vortrag gegebenen Thema herzustellen versuchen. Ich hatte als Problem formuliert, wieweit die Orientierungslosigkeit über diejugend nicht mit der Orientierungslosigkeit der Jugend zusammenhängen könnte. Nach unseren seitherigen Überlegungen könnte man dies so konkretisieren: Wie hängen die dargestellen Phänomene der aktiven, teilweise militanten Ausgrenzung der Jugend durch die Ewachsenen mit dem Bild der Orientierungslosigkeit der Jugend selbst zusammen?
Wie schon eingangs erwähnt, haben die zugespitzten Lebensprobleme der Jugendlichen zum gegenwärtigen Zeitpunkt primär ihre Ursachen in der objektiven Verschlechterung ihrer Lebensperspektive durch krisenbedingt verschärfte Mängel der Ausbildungs- und Berufsmöglichkeiten, unzureichendes öffentliches Interesse an der Überwindung dieser Mängel, gänzlich unzulängliche soziale Einrichtungen zur Hilfe für die Jugend etc. Die psychische Verfassungt die man als »Orientierungslosigkeit« umschreiben könnte, ist eine Reaktion auf diese objektive Widersprüchlichkeit undPerspektivlosigkeit der Lebenslage. Diese Reaktion ist indessen, dies ist für uns wichtig, durch ihre objektiven Ursachen nicht einfach und sozuzsagen mechanisch determinien. Die psychische Verfassung, die hier resultiert, hängt auch ab von den je besonderen Verarbeitungsmöglichkeiten der vorliegenden objektiven Probleme, insbesondere davon, wieweit man den Schwierigkeiten gegenüber selbst aktiv werden, ihre Meisterung in Angriff nehmen kann. Dies aber ist gleichbedeutend mit den gesehenen Möglichkeiten, gemeinsam die Misere zu überwinden, sich
mit anderen zusammenzuschließen, Bündnispartner zu gewinnen, in einer Weise, aus der die Macht und der Einfluß resultieren, um die eigene Isolation und Hilflosigkeit zu überwinden und tatsächlich eine Verbesserung der eigenen Lage zustandebringen zu können. Gerade solche Verarbeitungsmöglichkeiten sind nun aber objektiv und subjektiv für die jugendlichen, soweit sie der Situation der Ausgegrenztheit und Ghettoisie-rung gegenüber der Erwachsenenwelt ausgegliefert sind, nicht gegeben, und zwar umso weniger, je mehr der aggressiv-militante Aspekt der Ausgrenzung dabei durchschlägt. Es muß so für solche Jugendlichen unmöglich und aussichtslos erscheinen, Bündnispartner zur Verbesserung der eigenen Situation außerhalb der Gruppe der Jugendlichen selbst zu suchen. Zusammenschlüsse kommen so immer nur unter den Jugendlichen zustande. Solche Zusammenschlüsse müssen aber — da den Jugendlichen, wenn sie alleine stehen, weitgehend die Möglichkeiten einer wirklichen Einflußnahme auf den gesellschaftlichen Prozeß, von dem ihre Lebensbedingungen abhängen, fehlen — mehr den Charakter einer kollektiven Isolation und Hilflosigkeit haben. Die »Lösungen«, die man hier gemeinsam sucht, liegen dann eben leicht abseits von einer aktiven Veränderung der Ursachen für die eigene Misere, bestehen in verschiedenen Formen innerer Emigration, im Ausweg ins Irrationale, in Erscheinungen kollektiver Wirklichkeitsflucht, wie wir sie kennen. (Dabei frage ich mich allerdings manchmal, ob das scheinbar Unrealistische dieser Auswege und Seitenwege angesichts der harten Wirklichkeit der faktischen Isolation und Hilflosigkeit der Jugend für viele Jugendliche nicht letztlich doch wieder realistisch ist, eine Art von ultima ratio, zu der es keine Alternative gibt.)
Ist so die Ausgrenzung eine Bedingung für das, was dann als Orientierungslosigkeit der Jugend in Erscheinung tritt, so wird andererseits die Ausgrenzung selbst durch die verschiedenen genannten Erscheinungsweisen des Orientierungsverlustes gerade in ihren psychischen Aspekten noch verstärkt: Von der »durchschnittlichen« Erwachsenenwelt aus werden nämlich die durch die Isolation der Jugend entstandenen irrationalen Lebensformen, Tendenzen zur Wirklichkeitsflucht, zur Wahl des scheinbar leichtesten und kürzesten Weges, damit Mißachtung eigener und fremder Lebensinteressen, nicht in ihren Bedingungen erkannt, womit auch der geschilderte eigene Anteil an ihrem Zustandekommen ausgeblendet bleibt. Statt dessen werden solche Erscheinungen als destruktive und asoziale Eigenschaften der Jugend selbst verdinglicht, womit die Ablehnung, Diskriminierung, Ausgrenzung derJugend'einen neuen Rechtfertigungsgrund erhält und sich weiter verstärkt. Äußerungen in der »erwachsenen« Öffentlichkeit über die als Orientierungslosigkeit umschreibbaren kollektiven Lebensschwierigkeiten und ohnmächtigen Bewältig gungsversuche der Jugend klingen dann auch häufig weniger wie auf Abhilfe gerichtete Diagnosen und mehr wie Beschimpfungen der Jugendlichen.
Man kann sich den damit angedeuteten Zusammenhang sehr gut an der gegenwärtigen Diskussion um den »Narzißmus« als neuen Sozialisationstyp veranschaulichen, wobei ja Erscheinungen angesprochen sind, die an der Universität als »Spontitum« der Studenten imponieren, unter den Schülern aber Varianten desselben Typs zu finden sein sollen, wie ja besonders aus der bekannten Diskussion in päd-extra (1978, H.l, 7 u. 8) hervorgeht. Die Eigenschaften, die man dem Narziß bzw. Sponti zuschreibt, Selbstbezogenheit, Unfähigkeit, Bedürfnisse aufzuschieben, demnach Alles-gleich-haben-Wollen, mangelnde Anstrengungsbereitschaft, keine Zukunftsorientiertheit, etc. sind zunächst unschwer als Reaktionen auf objektive Entwicklungsbeschränkungen durch verschlechterte Lebens- und Ausbildungsbedingungen, mangelnde reale Zukunftschancen usw. zu erkennen. Zu fragen bleibt dann allerdings, ob man auf diese objektiven Widersprüche gerade so und nicht anders reagieren muß. Und wenn man dieser Frage nachgeht, wird sichtbar, daß die Reaktionsweise des »Narzißtem bzw. »Spontist nicht nur eine Verschlechterung der Lebenslage widerspiegelt, sondern diese Verschlechterung im erfahrenen Zustand eigener Isolation von den wesentlichen den gesellschaftlichen Prozeß bestimmenden Kräften, damit quasi einem »Apriori« der Machtlosigkeit. Die Alternative, angesichts der Misere verstärkte Anstrengungen zur gemeinsamen Bestimmung der eigenen Lebensbedingungen zu machen, wird so als von vornherein aussichtslos ignoriert. Die Auffassungen und Daseinsformen der Spontis-Narzißten sind also quasi der Versuch, obwohl man eigentlich nichts machen kann, dennoch etwas vom Leben zu haben. Es handelt sich hier mithin in den Ursachen um ein Resultat objektiver Widersprüche, aber in der Erscheinungsform auch um ein Resultat der Ausgrenzung der Jugendlichen durch die Erwachsenenwelt. Diese Ausgrenzung wiederum wirkt nicht nur auf die Lebenshaltung der Jugendlichen, sondern wird durch deren Reaktion darauf wiederum verstärkt. In den Aussagen über die Spontis-Narzißten spiegelt sich nicht nur die Verfassung der Jugendlichen, sondern ebenso oder noch mehr die Verfassung derer, von denen die Aussagen gemacht werden, also der Erwachsenen, Lehrer, Erzieher, Wissenschaftler etc. Dies zeigt sich schon darin, daß hier die Eigenschaften des Narzißten-Spontis nicht als Ergebnis der Interaktion zwischen Jugendlichen und Erwachsenen, sondern als »Eigenschaften« der heutigen Jugend* verdinglicht werden.
Besonders deutlich wird dabei die hier involvierte Erwachsenen-Problematik, wenn man die vorliegenden wissenschaftlichen Erklärungsversuche des Narzißmus betrachtet. Der Grundtenor solcher theoretischen Ansätze ist: Die Jugendlichen haben nicht in »normaler« Weise verzichten und sich bescheiden gelernt. Hier scheint m.E. deutlich fei früher geschilderte Zusammenhang zwischen dem eigenen resignativ-opportunistischen »Realismus« und der militanten Ablehnung der Lebensansprüche der Jugend zur Sicherung des Abwehrsystems und der Stabilität der Erwachsenen durch. Diese Betroffenheit führt dann zu dem gereizten Ton, in dem man den Jugendlichen Infantilität, Säuglingshaftigkeit, ihr »schwaches Ich', ihre mangelnde »Frustrationstoleranz« etc. vorhält, immer mit dem Unterton, daß sie gefälligst, wie man selbst, zurückstecken und sich anpassen sollen. Darin kommt eine bemerkenswerte Konvergenz der Haltungen der Erwachsenen und der angegriffenen Jugendlichen zum Ausdruck: Wie die Jugendlichen die Möglichkeit einer kollektiven Verbesserung ihrer Lebenslage ausklammern, so schließen auch die hier angesprochenen »durchschnittlichen« Erwachsenen von vornherein aus, daß die Jugendlichen ihre Lebensansprüche nicht zurückschrauben müssen, sondern im Bündnis mit den relevanten gesellschaftlichen Kräften auch durchsetzen und realisieren könnten. Die Ausgrenzung der Jugendlichen aus dem gesellschaftlichen Leben wird durch all dies befestigt und versrärkt, womit man durch die »Beschreibung« der Jugendlichen als Narzißten und Spontis die Bedingungen selbst mit schafft, unter denen diese Beschreibung zutreffen könnte.
Vermeintlich »wissenschaftliche« Erklärungen, in denen die Beschränkung von Entwicklungsmöglichkeiten und individuelle Notwendigkeit des Sich-Einrichtens in der Abhängigkeit unter den gegenwärtigen Verhältnissen als allgemein-menschliche Situation verkehrt wird und manifeste Beschimpfungen der Jugendlichen, die dies nicht einsehen wollen, dennoch ihre Lebensansprüche stellen und, wenn nicht mit den Erwachsenen, dann ohne sie, zu verwirklichen suchen, liegen hier dicht beieinander. So ist etwa in der genannten päd-extra-Diskussion davon die Rede, daß der Narziß durch ein »permanentes In-sich-hineinstopfen und Herausblubbern« gekennzeichnet sei, durch ein Sich-Abwechseln von blinder Wut und lähmender Apathie, durch Motivationsverlust und Identitätszerstörung, Sprunghaftigkeit, Oberflächlichkeit etc. In solchen Tönen kann man ganz offensichtlich nur über Menschen reden, mit denen zu reden man längst aufgegeben (oder nie versucht) hat. — An der Problematik der hier angesprochenen »wissenschaftlich« gemeinten Erklärungsversuche ändert sich auch dann nichts, wenn man die Maßlosigkeit und unverschämte Anspruchshaltung der Jugendlichen auf unsere sogenannte »Wohlstands« und »Konsumgesellschaft« zurückführen will. Einmal ist die generelle Rede von der »Wohlstandsgesellschaft« schon für sich genommen ein Witz, angesichts der materiellen Beschränkungen, unter denen große Teile der Bevölkerung hier leben müssen. Man kann dabei als Vergleichsmaßstab ja nicht die ärmsten Länder der dritten Welt heranziehen, denen gegenüber es uns wieder einmal »gold« geht, sondern muß die Möglichkeiten der entwickelten kapitalistischen Länder, die Grundbedürfnisse aller zu befriedigen, mit deren Lebtnswirklichkeit vergleichen. Zum anderen wird ja die These von der überhöhten Anspruchshaltung und Notwendigkeit des Zurücksteckens nicht dadurch wissenschaftlicher und weniger ideologisch, daß man sie statt nur auf die Jugendlichen nunmehr auf die Gesamtgesellschaft bezieht, durchweiche die Jugendlichen verdorben worden sind.
Ich habe mit diesen Überlegungen die hier bestehende Problematik natürlich nur angerissen und bin dabei zugegebenermaßen gelegentlich zu recht holzschnittartigen Vereinfachungen gekommen. Den ganzen Problemkreis, wie das geschilderte Zusammenspiel zwischen Orientierungslosigkeit der Jugend und Orientierungslosigkeit der Erwachsenen über die Jugend durchbrochen werden kann, habe ich dabei ganz beiseite gelassen. Hier gäbe es noch wesentliche Fragen zu diskutieren. Besonders den Versuch mancher Erwachsener, gerade auch Lehrer und Erzieher, die Ausgrenzung der Jugend in ihren objektiven Gründen einfach zu ignorieren und individuell-psychisch überspringen zu wollen, also sich bedingungslos den Wünschen und Forderungen derjugendlichen anzupassen, quasi wie sie zu werden, nicht mehr aufzufallen etc. Was dann hier herauskommt, ist keine Bewältigung des Problems, sondern sozusagen ein Ausgeflippter mehr, in Gestalt des Erziehers. Auch das Problem der Konsequenzen des Versuchs von Lehrern und Erziehern, dadurch glaubwürdig zu wirken, daß man glaubwürdig ist, also die Fragen derjugendlichen als Fragen ernst zu nehmen und sich dabei selbst in Frage zu stellen, für deren eigenes Leben wäre zu diskutieren. Solche Konsequenzen gehen ja von privaten Problemen des engagierten Lehrers mit seiner Familie über Sanktionen der vorgesetzten Stellen bis zu Berufsverboten. Schließlich wäre zil verdeutlichen, daß es sich mit den geschilderten Schwierigkeiten zwar um psychische Probleme der Betroffenen handelt, daß aber die Bewältigung der Probleme nicht ebenfalls bloß im psychischen Bereich liegen kann, sondern nur in der gemeinsamen organisierten Anstrengung von Erwachsenin und Jugendlichen, gesellschaftliche Verhältnisse zu schaffen, die sich gerade dadurch in ihrer Menschlichkeit ausweisen, daß auch Kinder und Jugendliche darin einen wirklichen Platz haben.
Aber — wie gesagt — ich gehe hier darauf jetzt nicht ein. Ich wollte hier nur, wo nötig, ein bestimmtes Bewußtsein für die subjektive Seite des Problems schärfen, und Fragen aufwerfen, die vielleicht in anderen Zusammenhängen auch auf dieser Tagung weiterdiskutiert werden können.