Achtes Kapitel

Mein Mann Phil

Im Frühjahr 1940 war ich vor romantischer Aufregung wie benommen - eine wunderbare Zeit für uns beide. Aber es war auch ein wenig verrückt, nach so kurzer Zeit schon ans Heiraten zu denken. Ich litt unter der in solchen Fällen wohl üblichen Nervosität. Phil und ich kannten uns noch relativ wenig und waren beide noch sehr jung, nicht ganz dreiundzwanzig und fünfundzwanzig Jahre alt. Wir kamen aus so unterschiedlichen Milieus und hatten doch so viel gemeinsam: Humor, Freunde,
Interessen, politische Ansichten. Vieles sprach für uns, obwohl die schwierigeren Facetten unserer Verbindung unerkannt oder jedenfalls unausgesprochen blieben - wie denn auch später nie darüber gesprochen wurde.
Weil Phil in der nächsten Sitzungsperiode des Supreme Court Assistent von Bundesrichter Frankfurter sein sollte, fuhr er diesen eines Abends vom Gericht nach Hause und erzählte ihm von unserer Entscheidung, zu heiraten. Er bat ihn sogar um Erlaubnis, denn es galt als ungeschriebenes Gesetz, daß solche Assistenten ledig sein mußten, um bei Bedarf rund um die Uhr für juristische Hilfsdienste zur Verfügung zu stehen. Etwa um diese Zeit wurde die Sitte zwar abgeschafft, aber Phil verspürte immer noch das Bedürfnis, zu fragen. Über Felix' Reaktion berichtete er seinem Vater später in einem Brief. Frankfurter sei in der Tat der einzige gewesen, der »ernsthafte Einwände hätte erheben können ... Also sprach ich mit ihm zuerst, und anstatt Mißfallen zu äußern, gab er ... von Herzen seine Zustimmung.« Felix Frankfurter war ja auch ein Freund meiner Familie und kannte mich daher schon etliche Jahre. Laut Phil erinnerte ihn Felix daran, daß »der Apfel nie weit vom Stamm« falle. Seinem eigenen Vater über die bevorstehende Hochzeit zu berichten fiel Phil weit schwerer, als mit Felix oder meinem Vater darüber zu sprechen. Am 17. März 1940 schrieb er Ernie Graham nach Florida:

... Ihr Name ist Katherine [sic] Meyer, und ich habe nicht den geringsten Zweifel, daß Du sie mögen wirst. Vielleicht hast Du schon von ihrem Vater gehört, Eugene Meyer, der jetzt Herausgeber der Washington Post ist und früher unter anderem Chef der Federal Reserve war ...
Er ist Jude, Republikaner und stinkreich. Wegen der beiden letzten Faktoren mag ich ihn eigentlich nicht besonders - der erste Punkt scheint mir unwesentlich zu sein, aber ich erwähne ihn Dir gegenüber wenigstens. Ihre Mutter ist Nicht-Jüdin; sie war eine der ersten Journalistinnen in diesem Land, und alle halten sie für ziemlich brillant; aber ich finde sie recht unattraktiv ...
Natürlich gibt es auch ein paar kleine Probleme, aber ich glaube, für die meisten haben wir schon eine Lösung gefunden. Erstens, ich dachte, es gebe vielleicht ein Problem wegen Florida. Ich will natürlich zurück, und hier gibt es - das wirst Du vielleicht nicht verstehen können - jede Menge Mädchen, die so erzogen sind, daß ein solcher Schritt für sie undenkbar wäre. Wie dem auch sei, für uns war dies eigentlich kein Problem, denn sie ist bereit auszuprobieren, ob Florida mich ernähren will.
Zweitens, das schon etwas schwierigere Problem ihrer Knete; aber ich glaube, auch dafür haben wir eine Lösung gefunden... Wir werden in einem solchen Haus wohnen, solche Möbel haben, uns so ernähren und in solche Restaurants gehen, wie es sich junge Leute mit meinem Einkommen normalerweise leisten können... Ihr überschüssiges Geld soll sie hauptsächlich, so hoffen wir, für Dinge und Projekte einsetzen, an die sie glaubt. Darüber hinaus sind die einzigen Probleme, die uns vielleicht zu schaffen machen könnten, FF, Du und ihre Familie. Die Sache mit FF ist ja bereits geklärt; ich hoffe, dieser Brief wird Dich auf unsere Seite bringen; und seitens ihrer Familie erwarten wir keine Schwierigkeiten, mit denen wir nicht umgehen könnten...

Doch Ernie bereitete Phil wirklich Kummer, indem er sich zunächst seiner Absicht, mich zu heiraten, widersetzte. Ein Thema war dabei meine jüdische Herkunft, und Ernie sagte, er habe mal einen Mann in Miami Beach getroffen, der es vorgezogen hätte, dort unten lieber kein Jude zu sein. Doch Phil stellte sich indigniert vor mich. Das andere Thema, das Ernie zu schaffen machte, war der Reichtum meiner Familie. Ob es zwischen Phil’s zitiertem Brief und Ernies Brief an ihn von Mitte April 1940 noch weitere gab, weiß ich nicht sicher, doch in letzterem Brief schrieb er Phil:

»Mein Junge, ich wünsche Dir alles Glück und allen Erfolg der Welt. Ich freue mich schon sehr, Katharine kennenzulernen, und das gilt für uns alle... Sag [ihr], ich hätte gesagt, sie solle dafür sorgen, daß Du nicht auf Abwege gerätst...

Auch mir schrieb Ernie schließlich einen lieben Brief, in dem es heißt, Phil habe durch diese Wahl

»das allerbeste Urteilsvermögen bewiesen. Ich hoffe, Du kannst ihn auf dem rechten Weg halten, dann übergebe ich ihn Dir und will mir auch weiter keine Sorgen mehr um ihn machen. Du weißt ja, wie das ist, wenn ein Junge vom Land in die Stadt geht. Dann machen sich Papa und Mama ständig Sorgen, daß ihn irgendeine dieser wilden Frauen und so weiter zu fassen kriegen könnte.«

Am Ende lud Phil seinen Vater nicht zur Hochzeit ein, sondern sagte, wir würden anschließend in Florida vorbeikommen. Zum Teil war er sicher über Ernies ursprüngliche Einwände gegen die Heirat verärgert. Ich glaube aber, daß er sich auch Sorgen machte, was geschehen würde, wenn sein Vater das Riesenhaus meiner Eltern samt Dienstpersonal und den Lebensstil meiner Familie sähe. All dies hätte ihn mit Sicherheit schockiert. Dennoch glaube ich, daß er und mein Vater sich gefunden hätten, denn sie hatten vieles gemeinsam. Ich selbst lernte Ernie Graham, Phil’s zupackenden, urwüchsigen und aufrechten Vater, bald kennen, bewundern und schließlich auch lieben.
Als wir unsere Verlobung öffentlich bekannt machten, von der zu diesem Zeitpunkt natürlich schon viele Leute wußten, konnten wir uns dem Rummel nicht entziehen und mußten uns feiern lassen. Allerdings gab es in dieser Zeit auch eine schlimme Woche, in der unsere Verlobung fast zerbrochen wäre. Wir waren mit meinem Bruder Bill zu einem Essen mit anschließendem Tanz gegangen. Phil hatte viel zu viel getrunken, und zum ersten Mal entdeckte ich an ihm eine ziemlich erschreckende Seite. Es war mehr als nur normale Trunkenheit - er war irgendwie völlig außer Kontrolle geraten und agierte in panischer Hektik. Dieser Abend bereitete mir große Sorgen. Bill fragte mich, ob ich Phil schon jemals so erlebt hätte, und sagte, als ich verneinte: »Dann solltest du am besten jetzt gründlich darüber nachdenken.«
Ich wollte mich in der Tat eine Weile zum Nachdenken zurückziehen oder gar die Verlobung lösen. Am folgenden Abend hatte ich mich mit Phil verabredet und mir fest vorgenommen, über dieses Problem zu sprechen, doch als er kam, um mich abzuholen, hatte er Prich mitgebracht - wie immer war er mir einen Schritt voraus. Natürlich konnte das geplante Gespräch unter diesen Umständen nicht stattfinden; es wurde auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben. Ich beruhigte mich, die Ängste verschwanden, Phil’s Charme siegte, und dabei blieb es dann erst einmal.
Phil und meine Familie lernten sich kennen und schätzen, doch er machte sich weiterhin Sorgen wegen meines Geldes. Ich arbeitete immer noch, sogar bis kurz vor der Hochzeit. Außerdem war ich gemeinsam mit meiner Mutter damit beschäftigt, eine enorme Aussteuer mit allen Dingen, die ich zu brauchen meinte, zusammenzukaufen. Weil ich Phil versprochen hatte, nur von unser beider Einkommen zu leben, lag mir daran, später so wenig größere Anschaffungen wie möglich zu haben, sondern diese lieber vor der Hochzeit zu tätigen. Und diese Aussteuer hielt dann auch wirklich lange Zeit vor.
Darüber, wie wir heiraten wollten, gab es zunächst einiges Hin und Her. Wir waren beide entsetzlich unsicher - Phil sogar so sehr, daß er die Trauung am liebsten im Rathaus von New York durch den berühmten Bürgermeister Fiorello La Guardia vornehmen lassen wollte, den wir beide bewunderten. Dabei sollte ich ein graues Flanellkleid tragen. Ich meinerseits konterte jedoch mit zwei Forderungen, über die ich nicht mit mir reden ließ: Ich wünschte eine leicht religiös geprägte Zeremonie und wollte ein langes Kleid tragen, das zumindest ein wenig nach Hochzeitskleid aussah. Danach wollte ich eine kleine, ungezwungene und freundschaftliche Feier bei mir daheim. Unser Kompromiß sah dann so aus, daß alles im Garten der Farm in Mount Kisco stattfinden sollte, die mir ohnehin mehr ein Zuhause war als unsere Residenz in Washington. Keiner von uns beiden war
im herkömmlichen Sinn religiös, aber ich wünschte mir doch etwas Religiöseres als nur einen Friedensrichter. Durch meine Mutter fanden wir schließlich einen sehr netten, legeren lutherischen Geistlichen.

Wir heirateten in Mount Kisco am 5. Juni 1940. Zu den Gästen gehörten die beiden Bundesrichter, für die Phil tätig war, samt ihren Frauen, einige unserer Hockley-Freunde, meine Familie und ein paar andere enge Freunde, darunter - zum Glück für uns - auch Edward Steichen. Phil und ich hätten sicher keinen Fotografen engagiert, doch Steichen hatte seine Kamera dabei
und ließ sich nicht zweimal bitten. Wir freuten uns über seine Bilder, und ich halte sie immer noch in Ehren. Mein Kleid hatte ich selbst entworfen, und es wurde dann bei Bergdorf Goodman maßgeschneidert. Es war lang, wie ich es mir gewünscht hatte, von strenger, aber schöner Einfachheit, aus schwerer, leicht glänzender Seide. Dazu eine Stola, die mit Spitzen eingefaßt war, die meine Großmutter angefertigt hatte. Mein Brautstrauß bestand aus Orchideen, und ich trug Orangenblüten im Haar, aber keinen Schleier. Trauzeugen waren meine Schwester Ruth und Prich - laut Phil der gewaltigste Trauzeuge, den je jemand zu einer Hochzeit mitgebracht habe. Beim Mittagessen, das der Trauung vorausging, begannen Phil, Prich und Butch Fisher ein hitziges Streitgespräch mit Felix Frankfurter. Diesem war zwei Tage zuvor vom Supreme Court ein Rechtsfall zur Entscheidung übergeben worden, den Joe Lash später als »ersten Fall, in dem es während des Krieges um bürgerliche Freiheiten ging«, beschrieb. Zur Verhandlung stand die Frage, ob ein Zeuge Jehovas gezwungen werden könne, den in amerikanischen Schulen üblichen Fahneneid abzulegen. Felix Frankfurter war dafür, aber seine jungen Mitarbeiter - und mehrere andere Hochzeitsgäste - widersprachen ihm heftig. Der Streit drohte schon vollends außer Kontrolle zu geraten, als der Butler zum Glück daran erinnerte, daß der Pfarrer schon seit einer Stunde warte. Felix brach die Debatte ab, nahm mich am Arm und sagte: »Komm mit, Kay, wir gehen jetzt im Wald spazieren und beruhigen uns.« Und so geschah es.
Schließlich ging es mit der Trauungszeremonie weiter, auf die ein etwas größerer Empfang folgte, zu dem auch meine Onkel, Tanten, Cousins und Cousinen eingeladen waren. Und dann fuhr Al Philipps, der geliebte Familienchauffeur, Phil und mich ins Carlyle Hotel in New York City.
Meine Mutter hatte unser Hotelzimmer mit frischen Blumen aus Mount Kisco geschmückt. In New York blieben wir allerdings nur ein paar Nächte und besuchten ein paar Freunde. Meine Schwester Flo, die den Charakterschauspieler Oscar Homolka geheiratet hatte, kam ins Carlyle zu Besuch. Als der Page sie mit den Worten ankündigte »Mrs. Homolka möchte Mrs. Graham besuchen«, war dies das erste Mal, daß ich in der Öffentlichkeit mit meinem neuen Familiennamen angesprochen wurde, worüber ich mich sehr freute.
Nach einer entspannten Hochzeitsreise auf die Bermudas, bei der Tennis, Radfahren, Schwimmen und Lesen im Vordergrund standen, und nach einem kurzen Zwischenaufenthalt in Mount Kisco fuhren wir nach Washington, um nach unserem neuen Haus zu sehen, das wir für das kommende Jahr gemietet hatten. Dann brachen wir in dem Buick-Cabrio, das ich von meinem Bruder geerbt hatte, nach Florida auf.
Ich hatte nicht die blasseste Ahnung von Phil’s Familie, denn ich war keinem von ihnen zuvor begegnet. Auch war ich, die ich bisher in Washington, Chicago, San Francisco und im Sommer in Mount Kisco gelebt hatte, nicht darauf gefaßt, was mich im Süden, insbesondere im ländlichen Süden der USA, erwartete. Als wir nach Florida kamen, sah ich vor einem Wohnblock ein Schild, auf dem zu lesen war: »Betreten für Hunde und Juden verboten«. Ich war tief erschüttert; etwas so Häßliches hatte ich noch nie gesehen oder erlebt.
Wir fuhren auf Route 1 nach Süden und kamen bei dem Steinhaus an, das Phil’s Eltern gebaut hatten, nachdem sein Bruder Bill zur Welt gekommen war. Das Farmgelände sah weitläufig und wohlhabend aus, dort aber, wo die Sümpfe der Everglades kultiviert und entwässert worden waren, war der Boden flach und sandig. Zusammen mit Phil’s Vater, seiner Stiefmutter Hilda (Ernie hatte sie 1936 geheiratet) und seinem dreijährigen Halbbruder Bob, einem etwas verwöhnten Einzelkind, wohnten wir im
Haupthaus der Farm.
Die Begegnung war für die Familie nicht einfach und fiel auch mir nicht leicht. Hilda war charmant, warmherzig und gastfreundlich; Ernie musterte mich zunächst über seine Zeitung hinweg. Er war schüchtern, bemühte sich aber nach Kräften, jovial und herzlich zu sein. Ich gab mir Mühe, und auch Phil’s Familie und Freunde gaben sich Mühe, aber es war einfach so, daß ich weder von Landwirtschaft noch von der Lokalpolitik in Florida etwas verstand; genau diese Themen aber waren es, die Phil und seinen Vater verbanden. Trotzdem versuchte ich, Interesse zu zeigen, als wir auf der Farm herumfuhren, um Kühe und Feldfrüchte zu besichtigen.
Mit Miami konnte ich mich aus verschiedenen Gründen nicht recht anfreunden. Hier waren wir wirklich im tiefsten Süden, und niemand hatte mich darauf vorbereitet, wie verschieden der Süden vom Rest des Landes in vielerlei Hinsicht immer noch war. Phil’s Freunde vom College waren ganz anders als alle meine Bekannten, und ich wußte mit ihnen nichts Rechtes anzufangen. Ein geradezu traumatischer Abend war jener, den wir mit einigen dieser alten Freunde bei einer Bootsfahrt der Handelskammer
von Miami verbrachten. Wir spielten alberne Spiele, bei denen ich nicht wußte, ob ich darüber lachen oder lieber mitmachen sollte. Heute sehe ich natürlich, daß ich damals auf geradezu lächerliche Weise angespannt und schüchtern war, aber damals drängte sich mir ernsthaft die Frage auf, ob derlei Umgang nun typisch für den Rest meines Lebens werden sollte. Auf dem Nachhauseweg weinte ich, weil ich befürchtete, mit diesen Dingen nicht richtig umgehen zu können. Doch Phil hielt am Straßenrand an und nahm mich erst mal in den Arm. Und dann gestand er mir, auch er sei inzwischen über diese Freunde und ihre Spielchen hinausgewachsen; ich solle mir nur keine Sorgen machen. Später wurden einige dieser Freunde aus
Miami dann auch meine guten Freunde.
Phil’s Schwester Mary hatte es - zum Teil unnötig - nicht leicht im Leben, und sie tat sich auch mit ihrer Stiefmutter, die nur wenig älter war als sie selbst, sehr schwer. Phil war - trotz eigener Vorbehalte gegen Hilda - wieder einmal der Ausgleichende. Er stand Hilda bei, die dafür sehr dankbar war. Ernie brauchte sie einfach, und auch ich kam mit ihr gut aus.
Nach dreiwöchigem Aufenthalt in Florida brachen wir am 1. August wieder auf und kamen einige Tage später in Washington an. Bis die Möbel, die ich mit meiner Mutter so sorgfältig ausgewählt hatte, in unserem neuen Haus (Nr. 1814 in der 37. Straße) angekommen waren, wohnten wir noch am Crescent Place, und dann war es im Spätsommer 1940 endlich soweit:
Unser gemeinsames Eheleben in unserem ersten Haus konnte beginnen.