Neuntes Kapitel

Eheleben

In unserem kleinen Haus, für das wir 80 Dollar Monatsmiete zu zahlen hatten, lebten wir uns schnell und leicht ein. Es lag jenseits von Georgetown in Burleith, einem angenehmen, bequemen und unprätentiösen Reihenhausviertel. Das kleine Wohnzimmer betrat man direkt vom Eingang aus, dahinter lagen ein Eßzimmer und eine kleine Küche. Im ersten Stock befanden sich ein schönes Schlafzimmer (über dem Wohnzimmer) und zwei weitere kleine Räume, die wir als Arbeitszimmer nutzten. In Phils Arbeitszimmer stand auch noch ein Gästesofa. Hinter dem Haus lagen eine mit Insektengitter bespannte Veranda und ein winziger Garten - in dem auch noch der meiste Platz von einer kleinen Einzelgarage mit Wellblechdach eingenommen wurde.
Dieses Häuschen half uns, unser gemeinsam erstrebtes Ziel zu erreichen: so zu leben wie ganz normale Zeitgenossen. Weil Phil darauf bestanden und ich meine Einwilligung gegeben hatte, daß wir mit unseren beiden Gehältern auskommen müßten, und weil meines so lächerlich gering war, neigte ich zunächst dazu, überhaupt nicht mehr arbeiten zu gehen und als Hausfrau daheim zu bleiben und das Kochen und den Haushalt zu erlernen. Für Phil war dieser Gedanke der reinste Horror: Er fände es schrecklich, wenn er Überstunden machen müsse und ich zu Hause mit einem Kuchen auf ihn warte. Außerdem lag ihm viel an meiner Berufstätigkeit. Also entschied er, daß wir von meinem Verdienst eine Haushälterin bezahlen könnten. Und so trat die großartige Mattie Jeffress die mit der Wäscherin meiner Mutter befreundet war, in unser Leben. Mattie kam jeden Morgen vor dem Frühstück und blieb bis zum Abendessen; zwei halbe Tage hatte sie frei, wenn meine Erinnerung nicht trügt. Sie putzte, kümmerte sich um die Wäsche und kochte. Und für all das bekam sie von uns - ich mag es kaum sagen - 15 Dollar pro Woche.
Phil verdiente als juristischer Assistent 3 600 Dollar im Jahr, ein durchaus anständiges Gehalt, wie er mir erläuterte; zu jener Zeit entsprach es dem Anfangsgehalt in großen Anwaltssozietäten. Mein Jahresgehalt betrug 1 500 Dollar. Eine kleine Reserve in Höhe von 500 Dollar für Extras hatten wir allerdings: das Hochzeitsgeschenk einer Tante. Davon konnten wir Theaterkarten und Reisen bezahlen. In gewisser Weise war Phil allerdings genauso verwöhnt - und über die wahren Kosten des Lebensunterhalts ebensowenig informiert - wie ich, weil er direkt von der Universität in den luxuriösen Haushalt in Hockley gekommen war.
Ich lernte allmählich, bescheidener zu leben. Meine enorme Aussteuer ersparte mir vorerst die Sorge um Kleidung, aber es war klar, daß ich nicht die geringste Ahnung von den Einzelheiten der Haushaltsführung hatte. Weil wir die fleißige Mattie hatten, blieb es mir weiterhin erspart, viele dieser Verrichtungen zu erlernen. Es überstieg beispielsweise schon fast mein Können, an den beiden Abenden, an denen Mattie frei hatte, einen Hamburger zu braten oder Rührei zuzubereiten. Noch heute gibt es in meinen Haushaltskennthssen seltsame Lücken, wie ich gestehen muß; so habe ich zum Beispiel noch nie ein Kleid gebügelt.
Im September 1940 begann ich, ein Ausgabenbuch für den Haushalt zu führen; allerdings wurden die Einträge schon im Oktober spärlicher und hörten im November ganz auf. Trotzdem erreichte ich mit Ausgabendisziplin, daß mein Vermögen mit Ausnahme der genannten 500 Dollar zwei Jahre lang nicht angetastet wurde. Das änderte sich erst, als Phil zur Armee ging. Der Versuch, mit unserem Verdienst auszukommen, hat uns beiden gutgetan, wie überhaupt alles, was Phil in dieser Richtung wünschte und was meine Zustimmung fand, für uns wirklich gut war.
Unsere Freunde waren im ersten Ehejahr weitgehend dieselben wie vorher. Zu den engsten gehörten weiterhin die Hockley-Boys, insbesondere Prich, Bill Sheldon und John Ferguson. Gleichzeitig kamen aber mehrere neue hinzu. Prich machte einer schönen jungen Halbengländerin den Hof: Evangeline Bell, die als Sekretärin/Assistentin für Justizminister Francis Biddle arbeitete. Später, nachdem sie David Bruce geheiratet hatte, wurde meine Freundschaft zu Evangeline sogar noch enger. Joe Rauh, einer der großen kämpferischen Liberalen, und seine Frau wurden damals unsere guten Freunde. Auch lernten wir Joseph Alsop besser kennen, der nicht viel älter war als wir, uns aber in seinem gesellschaftlichen Leben und seiner Erfahrung wenigstens eine Generation voraus zu sein schien.
Eine weitere Schlüsselfigur, die damals in unser Leben trat, war Jean Monnet, der Ende 1940 in die Vereinigten Staaten gekommen war. Er hatte sich in England aufgehalten, als Frankreich vor den Deutschen kapitulierte. In Washington war dieser bedeutende Staatsmann bei seiner Ankunft nicht nur ein Unbekannter, sondern hatte keinen offiziellen Titel oder Aufgabenbereich und mußte sich ganz auf seine persönlichen Fähigkeiten verlassen. Monnet war von Churchill für den British Supply Council in Washington nominiert worden, und seine Mission seitens der französischen Exilregierung und der Briten bestand darin, den Nachschub an kriegswichtigen Gütern aufzubauen und in Gang zu halten.
Monnet war der definitive Beweis dafür, daß ein kluger Kopf, der politisch denkt und sich auf das Wesentliche zu konzentrieren vermag, sich aus dem Nichts eine Machtbasis schaffen kann. Und genauso agierte Monnet sein ganzes Leben lang: Nach seinem Kriegseinsatz verfolgte er tatkräftig die Idee der europäischen Einigung. Er sorgte immer als erstes dafür, daß er die richtigen Leute kennenlernte - also jene, die Wissen und Macht hatten und bereit waren, Dinge in Gang zu bringen; anschließend versuchte er herauszubekommen, mit welchen konkreten Schritten etwas in Bewegung zu bringen war, und schließlich bediente er ohne Unterlaß die Hebel der Macht. Er war sehr wählerisch, wen er kennenlernen und wie er seine Zeit verwenden wollte. Geschwätz und Small talk gab es bei ihm nicht, und in Diskussionen, auf Sitzungen und sogar bei Banketten oder Einladungen achtete er immer auf Zielstrebigkeit und Prägnanz. Phil verehrte ihn wie einen Helden. Als wir viele Jahre später an einem Sonntagmittag auf unserer Terrasse zu dritt mit ihm beim Essen saßen, sangen Phil und ich ein Loblied auf ihn; doch Jean schüttelte nur bescheiden den Kopf und protestierte: »Ich habe bloß eine einzige Idee gehabt, aber die war gut.«
Die einflußreichste, beherrschende Persönlichkeit in unser beider Leben im ersten Ehejahr war indes Supreme Court Justice Felix Frankfurter, als dessen Assistent Phil nunmehr fungierte. Obwohl sich Phil und Felix schon recht gut kennengelernt hatten, als Phil noch Jurastudent war, kamen sie sich nun aufgrund gemeinsamer Interessen und verwandter Wesenszüge noch näher: Beide waren von hoher Intelligenz und schneller Auffassungsgabe. Phils politische Leidenschaften fanden in Felix einen Gleichgesinnten. Das Jahr, in dem Phil Felix' Assistent war, kann man insgesamt nur als übermütig ausgelassene Zeit beschreiben.
Felix nahm alle und alles in Beschlag, und so waren unsere Lebensläufe eng miteinander verflochten. In jenem Jahr telefonierten wir ständig hin und her oder besuchten uns gegenseitig daheim. Klatsch und Witze über Kollegen und die Vorgänge bei Gericht gehörten stets dazu.
Morgens kamen wir immer nur sehr schwer in Gang. Phil konnte sein Leben lang in der Früh nicht aus dem Bett kommen - und nachts nicht hinein. Ich dagegen war ein Morgenmensch, und abends fielen mir die Augen zu. Oft rief Felix morgens an und fragte: »Wo bleibt denn Phil?« - »Schon unterwegs, Richter«, sagte ich dann, während ich gleichzeitig Phil aus dem Bett warf und ihm dabei half, rasch aus dem Haus zu kommen. Die scherzhafte Anrede »Richter« (»Judge«) hatte sich bei uns allgemein eingebürgert.
Felix besaß eine anscheinend grenzenlose Energie und Lebensfreude. Natürlich war er ein Intellektueller, ein Kopfmensch, aber er war auch sehr emotional Sachliche Streitgespräche liebte er über alles. Und er bevorzugte Leute, deren Grundüberzeugungen von Recht und Gerechtigkeit mit den seinen im Einklang standen. Er mochte aber auch Menschen, die mit ihm nicht einer Meinung waren und ihm selbstbewußt widersprachen - allerdings mußten sie klug sein und ihm intellektuell nicht allzu fremd. Bei Felix reichte es nicht, intelligent zu sein, wenn man ihn langweilte. Weil die Frankfurters keine eigenen Kinder hatten, schien Felix junge Jurastudenten in Harvard, die ihn interessierten und amüsierten, wie seine geistigen Söhne zu adoptieren. Daher rührte auch die familiäre Dimension der Beziehung zu seinen Assistenten. Er liebte das Lachen und den Klatsch, und bei seinen Lieblingsstudenten ermutigte er extreme Respektlosigkeit: Er wollte ständig von ihnen herausgefordert werden. Für eine mit konventionellen Benimmregeln aufgewachsene Außenseiterin wie mich waren diese Jungen manchmal atemberaubend frech - aber Felix sah das anders, denn laute Streitgespräche und Beleidigungen waren einfach seine liebste Kommunikationsform. Prich war besonders respektlos. Bei einem Essen der juristischen Assistenten mit Felix soll er unübersehbar einmal gelangweilt am Tisch gesessen haben, während eine hitzige Debatte tobte. Plötzlich wurde Felix auf ihn aufmerksam und fragte: »Prich, was ist los mit dir?« Dieser sah auf und erwiderte gleichgültig: »Ich habe gerade die Abschweifungen in deiner Argumentation gezählt.« Woraufhin Felix in schallendes Gelächter ausbrach.
Weil Phil ständig lange im Gericht zu tun hatte, nahm ich meine Arbeit bei der Post wieder auf und schrieb anspruchsvolle Storys und Reportagen für die »Brains«-Seiten der Sonntagsausgabe. Diese Schreiberfahrung war wesentlich intensiver als alle meine bisherigen, und ich tat mich manchmal wirklich schwer. Einmal fand mich Phil um zwei Uhr morgens über meine Schreibmaschine gekauert, verzweifelt in die Tasten hauend, ich war mitten in einer Story steckengeblieben und wußte nicht mehr weiter. Er stellte mir ein paar Fragen, schrieb selbst ein paar Absätze, bis ich meinen Faden wiedergefunden hatte, und legte sich dann wieder ins Bett.
Die Post residierte immer noch in ihrem Gebäude an der E Street, nicht weit vom National Theater. Das gesamte Gebäude war marode, alles darin war alt, mit Ausnahme einiger Leute. Die kleine dunkle Lobby beherbergte einen Kassierer und einen Schalter, an dem ältere Zeitungsnummern verkauft wurden und Publikumsverkehr herrschte. Der kleine, einem Käfig ähnelnde Aufzug wurde von einem Mann bedient, der mit einer altmodischen Zugangstür zu kämpfen hatte, bevor er zu seiner gefährlichen Fahrt aufbrach.
Der Washingtoner Zeitungskrieg wurde unterdessen immer schärfer. Cissy Pattersons Fusion von Times und Herald ließ die Post bei der Auflagenhöhe an die dritte Stelle zurückfallen, hinter Pattersons neue Zeitung und den Star. Eine Standardklage meines Vaters lautete, daß die Post, während die anderen Washingtoner Zeitungen bei Auflage und Anzeigenaufkommen an erster Stelle lägen, nur erster bei den Kosten sei. Zur Mittagszeit hatte außerdem das Boulevardblatt von Scripps-Howard, die News, noch eine große Leserschaft.
Mein Vater leitete die Post weiterhin mit Energie und Freude. Die Rolle als Herausgeber und Verleger gefiel ihm, und seine Angestellten arbeiteten gern für ihn. Hinter seinem Rücken nannte man ihn freundschaftlich Butch; er empfand dies als Respektsbezeugung und freute sich darüben. Zwar erwirtschaftete die Post 1940 immer noch ein Defizit von 750 000 Dollar, das 1941 sogar noch anstieg, doch arbeitete mein Vater weiterhin eifrig an dessen Abbau. Im Sommer 1941 machte er den Vorschlag, die »Fortschritte« bei der Sanierung der Zeitung (denn Gewinne gab es ja nicht) auch den Beschäftigten zugute kommen zu lassen, und bot ihnen an, zwei Drittel der effektiven Ergebnisverbesserung gegenüber dem jeweiligen Vorjahr unter ihnen aufzuteilen. Das Anzeigenaufkommen der Post betrug immer noch weniger als die Hälfte des Volumens beim Star, doch die Auflage der Post lag inzwischen bei 130 000, verglichen mit 50 000 im Jahre 1933, als mein Vater die Zeitung übernommen hatte.
Im Sommer 1941 erschien im Nachrichtenmagazin Time ein Artikel über die Post, in dem es unter anderem hieß, die Post sei »die einzige Zeitung der Hauptstadt, die im Konzert der Großen mitspielt ... Sie ist zu einer Tageszeitung von nationaler Bedeutung aufgestiegen, gehört zur Pflichtlektüre auf dem Capitol Hill und ist eine Institution von großer Charakterstärke und Unabhängigkeit, auf ihrem Gebiet eine Kraft zum Guten.« Für eine Zeitung, die im Lokalprestige immer noch weit hinter dem dominanten, wohlhabenden Star lag, war dieses Lob mit Sicherheit eine großartige Ermutigung - und ein nicht gering zu schätzender Tribut an die Ausdauer und Zähigkeit meines Vaters angesichts eines zuweilen fast hoffnungslosen Sanierungsfalls. Doch wenn er wieder einmal drauf und dran war, die Zeitung zu verkaufen, stand meine Mutter ihm immer ermutigend bei.
Phil und ich waren beide glühende Roosevelt-Anhänger, obwohl sich unsere Unterstützung auf Worte beschränken mußte, weil der District of Columbia verfassungsgemäß nicht wahlberechtigt war. Meine Eltern dagegen waren, wie viele andere Bewohner Washingtons im Jahre 1940, leidenschaftliche Befürworter des Kandidaten der Republikaner, Wendell Willkie. Meine Mutter freundete sich sogar, wie bei ihr üblich, mit dem Kandidaten und seiner Frau an. Im Rückblick glaube ich, daß Willkie wahrscheinlich ein guter Kandidat war, obwohl wir es damals mit Harold Ickes' herablassender Floskel vom »barfüßigen Jungen von der Wall Street« hielten.
Unser erstes gemeinsames Weihnachtsfest verbrachten wir beide mit Grippe im Bett. Zunächst mußte ich mich hinlegen, am Heiligabend dann auch noch Phil. Unsere beiden Gäste mußten wir wieder ausladen und verbrachten den Tag mit ein paar Besuchern und mit Telefonaten im Schlafzimmer im ersten Stock, in dem ein nur 20 Zentimeter hoher künstlicher Baum wenigstens für etwas Weihnachtsstimmung sorgen sollte. Der traurigste Anruf kam von meinem Bruder, der sich auf dem Weg nach Boston befand, um dort Mary Adelaide Bradley zu heiraten, eine Doktorandin, die er an der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore kennengelernt hatte und die mir in Vassar ein Jahr voraus gewesen war. Eigentlich hatten wir bei der Hochzeit dabeisein wollen, aber nun lagen wir mit Grippe darnieder. Der kleine Baum indes gehörte als sentimentale Erinnerung noch viele Jahre zu unserer Weihnachtsdekoration.
Um diese Zeit, als der Krieg in Europa eskalierte, strömten englische Kinder auf der Flucht vor den Bomben in die Vereinigten Staaten. Die Frankfurters hatten die Unruhe in ihrem Haus noch wesentlich dadurch vergrößert, daß sie die drei kleinen Kinder des berühmten Oxforder Gräzisten Gilbert Murray bei sich aufnahmen, mit dem Felix befreundet war. Mein Vater nahm einen ganzen Kindergarten mit fünfzehn Kindern und ihren Erzieherinnen auf; er mietete für sie ein großes Landhaus in der Nähe von Warrenton, Virginia, richtete es eilig ein und brachte die Gruppe dort für die gesamte Dauer des Krieges unter.
Als Frankreich kapitulierte, holte mein Vater zwei Familien aus seiner französischen Verwandtschaft herüber, die als Juden in großer Gefahr schwebten. Er unterstützte sie, verhalf den Männern zu Arbeitsplätzen und stellte Geld bereit damit die Kinder eine ordentliche Schulausbildung bekamen. Leider lehnten sein Cousin Léon Zadoc-Kahn und dessen Frau Suzanne das Angebot meines Vaters ab, ihnen zur Flucht aus Europa zu verhelfen- sie kamen schließlich in Auschwitz um. Ihr Sohn Bertrand, der als Arzt das American Hospital in Paris leitete, hatte sich erschossen, als Frankreich den Deutschen in die Hände fiel, und seine Eltern standen noch unter dem Schock über diesen Verlust und wollten Frankreich nicht verlassen. Bertrands Schwester Jacqueline blieb ebenfalls im Lande und wurde von einer sehr tapferen katholischen Familie im ursprünglich noch freien Teil Frankreichs versteckt. Sie und ihr Mann, Jacques Eisenmann, standen meinem Vater sehr nahe, und ich habe immer noch ein enges Verhältnis zu den beiden. Sie sind inzwischen weit über neunzig und überaus galant.
Als sich im späten Frühjahr 1941 die Sitzungsperiode des Gerichts dem Ende näherte, überlegte Phil mehr und mehr, was er als nächstes tun wollte. Er dachte immer noch daran, nach Florida zurückzukehren, als Anwalt zu praktizieren und schließlich in die Politik zu gehen. Wir waren deshalb zu einem Bewerbungsgespräch nach Tallahassee gefahren, woraufhin ihm eine Stelle im Amt des dortigen Justizministers angeboten worden war. Als wir aber zurück in Washington waren, erschien uns die Gefahr einer Verwicklung Amerikas in den Krieg jedoch so groß, daß wir nicht gerade jetzt nach Florida ziehen wollten. Phil war zu dem Schluß gekommen, daß sich die Vereinigten Staaten den Kämpfen letztlich nicht würden entziehen können, und dann wollte er selbst Soldat werden. Vorläufig aber lag ihm daran, sich aktiv um die Bemühungen Amerikas zu kümmern, für den Kriegseintritt gerüstet zu sein. Je intensiver das Reden vom Krieg wurde, desto mehr kümmerte sich Phil nach Feierabend um die Politik; er suchte nach einem Platz, an dem er wirklich von Nutzen sein konnte.
Ende Mai war Phil mit Robert Lovett, dem damaligen stellvertretenden Kriegsminister für die Luftwaffe, zum Essen verabredet und erhielt von ihm den Rat, in Washington zu bleiben, »bis unser Bedarf an Heeres- und Marinesoldaten etwas konkretere Formen angenommen hat«. Weil seine eigene Bürokratie zu sehr von Armeeobersten beherrscht war, kam Lovett zu dem Schluß, Phils Fähigkeiten könnten am besten bei Harry Hopkins zur Geltung kommen. Hopkins, der gesundheitlich etwas angeschlagene engste Berater von Präsident Roosevelt, residierte im Weißen Haus, und Lovett war der Ansicht, Hopkins könne Entlastung dringend gebrauchen.
Frankfurter und Lovett sprachen beide mit Hopkins, der Phil dann an einem Junimorgen in seiner Kombination aus Büro und Schlafzimmer empfing. Der folgende Bericht über dieses Treffen, zu dem Phil mit einem mulmigen Gefühl hingegangen war, entstammt einem Brief an seinen Vater:

»HH sah auf, grummelte »Guten Morgen« und knurrte dann: »Warum zum Teufel sind Sie eigentlich nicht in der Armee?« ... (Ich) antwortete, daß ich selbst mir nicht sicher sei, Du hingegen sicher seist daß dort mein Platz sei ... daß ich jedoch von einem der bestinformierten Männer, die ich kenne (dem Leiter des Geheimdienstes der Navy), den Rat erhalten hätte, noch ein paar Monate zu warten, und daß ich diesen Rat befolgt hätte. In diesem Punkt hatte ich anscheinend bestanden, und nun schlug er mir noch ein paar weitere Bälle um die Ohren, um zu sehen, ob ich sie ins Feld zurückbringen könne: Was er denn mit mir anfangen solle? Es gebe schließlich »Hunderte von meiner Sorte« usw. usw. Ich begann mich schon zu fragen, was denn da eigentlich gespielt wurde, als er sich beruhigte und sagte, er brauche jemanden, der für ihn Berichte lesen, mit Leuten reden könne usw. Dann sagte er mir, er habe leider Schwierigkeiten, mich im Weißen Haus unterzubringen, weil kein Platz sei, aber wenn ich Oscar Cox von der Lend-Lease-Verwaltung[1] dazu bringen könne, mich einzustellen und mir ein Büro zu geben, dann hätte er nichts dagegen, wenn ich drei Tage pro Woche für ihn arbeitete. Cox ist erst 35, ein feiner junger Kerl aus Maine, der sich in seiner Zeit als Mitglied des Beratungsstabes im Finanzministerium das Lend-Lease-Programin ausgedacht und als Referentenentwurf auf den Weg gebracht hat und für den ich ohnehin arbeiten wollte. Also verließ ich das Weiße Haus, um Cox vom Stand der Dinge zu berichten, und er sagte mir, ich solle bei ihm am Mittwoch, den 11. anfangen. Das habe ich getan, und seitdem bin ich hier. Und bisher habe ich auch nichts mehr von HH gesehen...

Das Jahr, das mit Phils Eintritt in die Lend-Lease-Verwaltung im Juni 1941 begann und mit seinem Eintritt in die Armee im Sommer 1942 endete, war eines der aufregendsten in unserem ganzen Leben. Oscar Cox zog fähige Leute an, und diese paßten ihrerseits gut zueinander und zu jenen Leuten, die Zutritt nach ganz oben hatten. Auf diese Weise konnten sie alle gemeinsam die Hebel der Macht bedienen und dazu beitragen, daß die Regierung effizienter arbeitete, als es sonst der Fall gewesen wäre. Oscar selbst war einer jener Superstars, die selbstbewußt genug sind, sich mit den bestmöglichen Mitarbeitern zu umgeben, diesen Leuten dann großen Handlungsspielraum einzuräumen und sie, wenn erforderlich, zu unterstützen und zu decken.
Einen bedeutenden Einfluß auf alle, die für Lend-Lease arbeiteten, übte Ben Cohen aus, ein guter Freund von uns, der Anfang 1942 als Minister ohne eigenen Geschäftsbereich Mitglied einer selbsternannten Arbeitsgruppe aus Männern war, die sicherstellten, daß die Rüstungsproduktion die Zielvorgaben einhielt. Ben gab niemals zu, daß etwas illegal war, er fand bei Bedarf einfach immer die passenden Begründungen, so oder so.
Damit die Kriegsvorbereitungen der Vereinigten Staaten im Jahre 1941 besser verständlich werden, soll eine Sitzung dieser Gruppe von »Wachhunden« in Sachen Verteidigungs- und Rüstungsanstrengungen von Anfang Juni näher betrachtet werden. Jemand hatte die neueste Ausgabe des Nachrichtenmagazins Time mitgebracht, in der in einer Fußnote die Verluste der Russen an Flugzeugen und anderem Kriegsgut aufgezählt waren. Daraus konnten die Männer schließen, daß diese Verluste sogar noch größer waren als die gesamten damals in der Produktion befindlichen Rüstungsaufträge der USA. Während die Militärs allen anderen, nur nicht sich selbst die Schuld dafür gaben, nicht rechtzeitig erkannt zu haben, welche immensen Dimensionen dieser Krieg annehmen würde, war diese Gruppe von Rechtsanwälten in der Lage, den Verantwortlichen - einschließlich des Präsidenten - zu zeigen, wie schlimm die Lage tatsächlich war und wie wenig die Vereinigten Staaten unternahmen, um für diesen Krieg wirklich vorbereitet zu sein.
Der Wettbewerb um die wenigen Rüstungsgüter, welche die USA produzierten, war mehr als scharf: US-Armee, US Navy und US Air Force, Briten, freie Franzosen und Russen - sie alle konkurrierten um dieselben Güter. Roosevelt hatte im Jahr zuvor, am 29. Dezember 1940, von »Wolken von Flugzeugen« gesprochen und gesagt, Amerika werde das »Zeughaus der Demokratie« sein. Doch als Phil und Joe Rauh eines Tages streng geheime Statistiken des Office of Production Management ansahen, zu denen sie offiziell Zugang hatten, mußten sie lesen, daß im ganzen Monat August 1941 nur ein einziger viermotoriger Bomber an die Armee ausgeliefert worden war. Sofort erkannten sie ihre Chance, nachdrücklich darauf hinzuweisen, wie wichtig es sei, mehr zu tun, und sie schrieben ein Memorandum an den Präsidenten.
Drei Stunden später kam ein ärgerliches Memorandum von Hopkins zurück, in dem es hieß: »Sie sollten den Präsidenten nicht mit solchen Dingen behelligen, und außerdem stimmt die Sache nicht.« Die beiden jungen Männer - Phil war damals sechsundzwanzig und Joe auch nur drei Jahre älter - hatten nun das Gefühl, einen katastrophalen Fehler gemacht zu haben. Das war ihr Weltuntergang! Sie hatten den Präsidenten in die Irre geführt, und nun würden sie Washington wohl verlassen müssen. Sofort eilten sie zu Bob Nathan, dem Forschungsdirektor im Office of Production Management, der die Statistiken veranlaßt hatte, auf denen das Memo von Phil und Joe basierte. Nathan suchte seine Unterlagen heraus, während die beiden anderen dasaßen und auf ihr letztes Stündlein warteten. Nathan sah seine Papiere sehr genau durch und machte sich Bleistiftmarkierungen. Schließlich sagte er: »Ich habe einen Fehler gemacht.« Und während Phil und Joe dem Zusammenbruch nahe waren, fuhr er fort: »Es stimmt nicht, daß im August ein viermotoriger Bomber ausgeliefert wurde. Im August wurden überhaupt keine viermotorigen Bomber ausgeliefert. Der eine, den ich mitgezählt habe, wurde erst nach dem 31. August geliefert.«

Eines Sonntags fuhren wir zum Lunch nach Virginia in eine Blockhütte in den Wäldern der Washingtoner Umgebung. Einer der Anwesenden an jenem Tag war der stellvertretende Kriegsminister Robert Patterson, und die Auseinandersetzungen über den Stand der amerikanischen Kriegsvorbereitungen wurden mit höchster Lautstärke geführt. Natürlich machte ich mir Sorgen, daß der Minister einen solchen Debattenstil nicht gewohnt sei und denken müsse, alle an der Diskussion Beteiligten seien verrückt. Als wir wieder zu Hause waren, sagte ich Phil, die Manieren der Gruppe seien angesichts einer so hochgestellten Persönlichkeit schrecklich gewesen wieder einmal machten sich meine erziehungsbedingten Überempfindlichkeiten bemerkbar. Doch als Phil am nächsten Tag heimkam, sagte er: »Ich glaube, wir haben Patterson nicht über Gebühr zugesetzt. Er hat mich jedenfalls heute angerufen und gefragt, ob ich nicht für ihn arbeiten will.« Phil hat dieses Angebot letztlich abgelehnt.
Bald darauf - es war wiederum ein Sonntag, diesmal Anfang Dezember 1941 - hatten meine Eltern in ihrem eigenen Wochenendhaus in Virginia Gäste zum Lunch. Ich war zugegen, aber Phil und Joe Rauh arbeiteten in ihrem Büro an einem Bericht für den Kongreß, den die Lend-Lease-Verwaltung jedes Quartal zu erstatten hatte. Mitten in jenes Mittagessen platzte ein Anruf von der Post Die Japaner hatten Pearl Harbor bombardiert.
Darauf erfolgte schnell Roosevelts feierliche Kriegserklärung. Als allgemein ins Bewußtsein gedrungen war, was Pearl Harbor bedeutete, und der Kongreß von den verschiedenen Diensten mit unkoordinierten und konkurrierenden Anforderungen überhäuft wurde, erhielt Bob Nathan den Auftrag, sicherzustellen, daß am Ende dabei nicht Flugzeuge ohne Flügel oder Panzer ohne Panzerung herauskamen. Um das Land noch effizienter in die Kriegswirtschaft überführen zu können, begannen einige dieser jungen Männer, die über Lend-Lease und andere Agenturen ohnehin schon zusammenarbeiteten, darunter auch Phil, sich regelmäßig in Bob Nathans Wohnung zu treffen. Diese Männer, die sich selbst »Goon Squad« (Rekrutentruppe) nannten, versuchten in den verschiedenen Regierungsagenturen alle dasselbe: einen engagierten Kampf gegen Bürokratie und Formulare zu führen. Zeitweilig waren sie erstaunlich erfolgreich, wenn es darum ging, das Erforderliche schnell und unbürokratisch zu erledigen. Erst später wurden durch das War Production Board alle Rüstungsanstrengungen der Regierung offiziell und institutionell gebündelt.
Das Chaos endete aber bereits, als mit Jimmy Byrnes ein für den gesamten Bereich Zuständiger ins Weiße Haus einzog. Er hatte einen kleinen Stab, zu dem auch Ben Cohen und Prich gehörten. Wenn die Goon Squad irgendein Problem erkannt hatte, gaben Ben und Prich Jimmy Byrnes Bescheid, und der kümmerte sich dann um die Lösung. Zuvor aber hatte ein Kunstgriff der Gooti Squad, ihre Sorgen deutlich zu machen, darin bestanden, Informationen durchsickern zu lassen - teilweise an Al Friendly, der Anfang 1939 von den Washington Daily News zur Post gestoßen war und dort über die Verteidigungs- und Rüstungsanstrengungen der USA berichtete, und teilweise an Drew Pearson, den Autor einer sehr beliebten und landesweit verbreiteten Zeitungskolumne.
Phil schien mit einem Bein in der Lend-Lease-Verwaltung, mit dem anderen im Office of Emergency Management zu stehen. Doch obwohl er nominell diesen beiden Agenturen angehörte, war er de facto Mädchen für alles. Und wo immer er tätig war, erwarb er sich schnell den Ruf eines Tempomachers. In seinem eigentlichen Büro war er dagegen so häufig abwesend, daß seine Freunde sagten, seine Sekretärin verbringe ihre Zeit weitgehend mit dem Stricken von Pullovern. Im Frühjahr 1942 wurde er auf Bitten des australischen Außenministers Bert Evatt für einige Monate von der Rechtsabteilung von Lend-Lease offiziell freigestellt, um als Verbindungsmann zwischen Australien und Lend-Lease zu fungieren. In dieser Zeit arbeitete er rund um die Uhr für die Australier, insbesondere nachdem die Japaner das zu Australien gehörende Neuguinea besetzt hatten.
Später, als Phil zur Washington Post ging, schrieben acht seiner Freunde einen Lobesbrief an den Herausgeber der Post, und diese Ehrung beschreibt am besten einige von Phils Leistungen in jenem Jahr zwischen seiner Assistenzzeit bei Felix Frankfurter und seiner Militärzeit:

Mindestens ebensosehr, wenn nicht gar mehr als jede andere Einzelperson war Graham für den rechtzeitigen Produktionszuwachs an hochwertigem Benzin verantwortlich, was die strategischen Bombardements und Luftoperationen der Jahre 1944 und 1945 überhaupt erst ermöglichte. Er war es, der bei der Einleitung und Durchführung der Vorbereitungsmaßnahmen für Kriegsanleihen (V-Loans), mit deren Hilfe große Teile unserer Kriegsproduktion energisch vorangetrieben werden konnten, eine bedeutende Rolle spielte. Subkontrakte und die Verpflichtung kleiner Firmen für die Rüstungsproduktion nahmen durch seine Bemühungen wesentlich zu.

Die V-Loan-Gesetzgebung, die kleineren Firmen Kredite sicherte, damit sie ihre Produktion auf die Kriegserfordernisse umstellen und Rüstungsgüter herstellen konnten, war ein gutes Beispiel für Phils Fähigkeiten, unter Umgehung der Bürokratie den direkten Weg zum Erfolg zu gehen. An dem Gesetzentwurf arbeitete er monatelang, ehe alles vollständig und stimmig war; doch nun mußte er noch von bestimmten Spitzenbeamten unterzeichnet werden, ehe er im Kongreß eingebracht werden konnte. Um die von der Bürokratie benötigte Zeit zur Einholung aller Unterschriften abzukürzen, nahm sich Phil ein Taxi und fuhr von einem zum anderen, ließ sich den Gesetzentwurf unterzeichnen und gab ihn dann höchstpersönlich im Capitol ab. Im Rahmen dieses Gesetzes wurden schließlich Hunderte Millionen Dollar an staatlichen Krediten vergeben.
Ende 1941 war ich - nachdem ich einige Monate zuvor eine Fehlgeburt erlitten hatte erneut schwanger. Der errechnete Geburtstermin lag im Mai. Die Fehlgeburt hatte mich total schockiert, so als habe sich mein gesamtes körperliches Dasein allmählich auf ein Ziel ausgerichtet, das mir dann plötzlich genommen wurde. Dieser Verlust war sehr schmerzlich gewesen, und so war ich nun über die erneute Schwangerschaft überglücklich. Phil hatte sich, nachdem ihn die Armee ursprünglich wegen Augenproblemen, und weil er verheiratet war, zurückgestellt hatte, nunmehr entschieden, trotz seiner Entschlossenheit, ins Feld zu ziehen, erst die Geburt unseres Kindes abzuwarten, ehe er beim Militär erneut vorstellig wurde.
In der Endphase der Schwangerschaft wechselten sich bei mir lethargische Phasen mit solchen fast hektischer Aktivität ab. Ich hatte alles eingekauft, was wir für das Baby benötigten - darunter auch drei Gummitücher für die Wiege, obwohl Phil protestierte und sagte, ein Kind von ihm werde so etwas auf keinen Fall brauchen. Ich hatte enorm zugenommen und fühlte mich schon längst nicht mehr wohl, zumal es in Washington jetzt ziemlich heiß wurde.
Wir vermuteten schon, daß unser Baby längst überfällig sei, und ich bat meinen Arzt, die Wehen einzuleiten. Er folgte meinem Wunsch, aber es war noch zu früh und das Kind noch nicht reif für die Geburt. Als nach drei Tagen die Geburtswehen endlich einsetzten, lag die Nabelschnur um den Hals des Babys. Nun hätte man mit dieser Situation unter normalen Umständen durchaus fertig werden können, doch in jener Nacht mußte der Arzt - aufgrund des kriegsbedingten Personalmangels - bei mehreren Geburten gleichzeitig Hilfestellung leisten. Als er sich schließlich mir und meinem Problem zuwenden konnte, war es schon zu spät. Wir verloren unseren kleinen Jungen bei der Geburt.
Ich konnte mein Schicksal überhaupt nicht fassen und war total am Boden zerstört. Ich werde nie vergessen, wie ich wieder nach Hause kam und Phil alle Babysachen beiseite geräumt hatte, damit alles nicht noch schmerzlicher würde. Doch allmählich dämmerte mir, daß ich nicht nur mein Kind verloren hatte, sondern daß Phil nun auch noch zur Armee gehen und ich völlig allein zurückbleiben würde. Ich hatte schreckliche Angst, daß wir kinderlos bleiben würden und daß Phil etwas zustoßen könnte die schlimmsten Ängste waren zusammengekommen. Doch Phil verhielt sich wunderbar, und auch mein Vater war uns beiden eine große Hilfe. Meine Mutter hingegen war so schockiert, daß ich sie erst viele Wochen später wieder zu Gesicht bekam.
Kurz bevor Phil endgültig zur Armee ging, gab es noch ein großes Familientreffen in Mount Kisco, bei dem ich allerdings, von meiner Mutter provoziert, mit ihr über Politik fürchterlich aneinandergeriet. Es ging um unseren ganz persönlichen Beitrag zu den Kriegsanstrengungen unseres Landes. Phil und mein Bruder Bill trennten uns schließlich und lenkten den Streit in vernünftige Bahnen. Meine Mutter unterbrach daraufhin - das muß zu ihrer Ehre gesagt werden - die Arbeit an ihrem Buch über Dostojewski, Tolstoi und Thomas Mann und begann, sich ernsthaft als Kriegsberichterstatterin und Reporterin von der Heimatfront zu engagieren.

In jenen ersten Ehejahren, ehe der Krieg einen Einschnitt in unser aller Leben brachte, waren Phil und ich sehr glücklich. Ich wurde wesentlich erwachsener und reifer, größtenteils dank Phil. Was er für mich tat, war mehr als hilfreich, es war von grundlegender Bedeutung. Er begann mich von meiner Familie und den dort propagierten Mythen zu befreien, und er führte mich schließlich auf ganz andere Wegen als jene, die ich zuvor gekannt hatte. Er bildete ein Gegengewicht zu meinem tief verwurzehen Widerstand gegen neue und andersartige Ideen, gegen Personen, mit denen ich politisch nicht übereinstimmte, und förderte die innere Unabhängigkeit, die erforderlich war, um mein Leben nach eigenen Maßstäben führen zu können. Er brachte in mein Leben auch mehr Lachen, Frohsinn, Respektlosigkeit gegenüber Konventionen und mehr Originalität.
Während er mich in vielerlei Hinsicht von meiner Familie befreite, entwickelte Phil zugleich schnell ein außerordentlich positives Verhältnis zu meinen Eltern. Er kam mit ihnen besser zurecht als die meisten ihrer eigenen Kinder. Obgleich Phil anfangs Vorbehalte gegen Reichtum, politische Ansichten und mögliche Kontrollversuche meines Vaters hegte, entwickelte sich allmählich ein sehr enges Verhältnis zwischen den beiden. Am Ende gehörte Phil zu den zwei oder drei engsten Freunden im Leben meines Vaters.
Auch Phil und meine Mutter kamen gut miteinander aus. Von Anfang an bewunderte sie ihn, und sie stand ihm in mancherlei Hinsicht näher als mir. Gegenüber dem Rest unserer Familie betonte sie immer wieder, daß Phil und sie - und nur sie beide - wüßten, was es heiße, in Armut aufzuwachsen. Phil bewunderte sie, blieb aber in seinen Gefühlen ihr gegenüber wesentlich ambivalenter als gegenüber meinem Vater. In der Tat machte sich Phil ihretwegen keinerlei Illusionen; zeitweilig sah er sie sogar mit äußerst kritischen Augen.
Obwohl Phil für meine Eltern eine große Stütze war, bestand er doch immer darauf, daß wir unser eigenes Leben führten. Er half ihnen stets, wenn sie einsam, krank oder in Schwierigkeiten waren, doch er wehrte sich dagegen, sich - speziell von meiner Mutter benutzen oder beherrschen zu lassen. Wenn Mutter darauf bestand, wir müßten zum Essen kommen, weil Phil diesen oder jenen unbedingt kennenlernen müsse, dann lautete seine Antwort, er komme gern, wenn wirklich unsere Gesellschaft erwünscht sei, aber wir wollten nicht nur Staffage bei einer großen Dinnerpany sein. Obwohl ich allein niemals gewagt hätte, Mutters Einladungen abzulehnen, dämmerte mir allmählich, daß Phil recht hatte.
Obwohl Phil von uns beiden deutlich der Stärkere war, lernte er manches auch von mir: zum Beispiel ein breiteres Wissen darüber, wie es in der Welt zugeht, und eine größere Wertschätzung von Kunst, Musik und Schönheit. Vor allem aber lernte er durch mich die Welt meiner Eltern die Post und Washington - kennen und schätzen. Durch mich gewann er auch insgesamt an Stabilität.
Trotzdem war immer er es, der entschied, während ich diejenige war, die reagierte. Von den ersten Tagen unserer Beziehung an glaubte ich zum Beispiel, daß wir nur seinetwegen Freunde hätten und eingeladen würden. Erst viele Jahre später wurde ich auf die Kehrseite aufmerksam und bemerkte, daß ich auf geradezu perverse Weise anscheinend die Rolle der unterwürfigen Ehefrau liebgewonnen hatte. Aus welchen Gründen auch immer, ich liebte es, beherrscht zu werden und die Wünsche des Partners auszuführen. Ich war zwar von Phil durch und durch fasziniert und bezaubert, aber ein wenig Ärger war auch im Spiel, wenn ich darüber nachdachte, daß ich mich so vollkommen von einem anderen Menschen abhängig fühlte.
Als der Krieg unser Leben immer mehr beherrschte, war ich erstaunt, daß wir trotz des Zustands der Welt weiterhin so glücklich sein konnten. Woran ich mich aus unseren ersten Ehejahren noch am lebhaftesten erinnere, ist der Spaß, den wir miteinander hatten, unser ständiges inneres Wachstum, unser Dazulernen - und bei allem stets ein Lachen.