Im Juni 1933 kaufte mein Vater die Washington Post. Niemand von uns konnte damals ahnen, welche Umwälzungen dieses Ereignis für unser aller Leben mit sich bringen würde. Die Zeitung war in eine schwere Krise geraten, nicht zuletzt wegen mangelnder Zielstrebigkeit ihres Besitzus Edward Beale McLean, eines adretten Playboys. Ned, wie man ihn alllgemein nannte, hatte mit Präsident Harding Poker und Golf gespielt, doch diese Freundschaft war für Ned übel ausgegangen, als er - zusammen mit seiner Zeitung - mit dem Teapot-Dome-Skandal in Verbindung gebracht wurde[1]
Von 1916 an, als er die Post geerbt hatte, bis zu deren Verlust anderthalb Jahrzehnte später hatte sich Ned nur sporadisch um die redaktionelle oder wirtschaftliche Seite der Arbeit gekümmert. Statt dessen brachte er seine Geliebte mit in die Redaktionssitzungen; jedenfalls behauptete dies später seine Ehefrau Evalyn vor dem Scheidungsrichter. Was Neds journalistschen Riecher anging, so traf Evalyns denkwürdiger Ausspruch den Nagel auf den Kopf: »Er hatte kein Gespür für Nachrichten; er hätte die Story nicht einmal erkannt, wenn der Mann, der den Hund biß, anschließend auch Ned McLean gebissen hätte.« Evalyn ihrerseits lebte in Saus und Braus. Die reiche Tochter eines Bergwerkstycoons bewohnte riesige Villen und gab aufwendige Partys. Sie besaß den berühmten HopeDiamanten, ja sie trug ihn sogar zur Schau. Dabei sollte er seinen Besitzern angeblich Unglück bringen, und in Evalyns Fall traf dies allem Anschein nach auch zu. Sie war lange Zeit fest entschlossen gewesen, die Post für ihre Söhne zu erhalten, und hatte deshalb verschiedene Kaufangebote, darunter wenigstens eines von meinem Vater, zurückgewiesen - genauer gesagt, sie hatte ihren Gatten entsprechend instruiert.
Mein Vater hatte in der Tat sein Interesse an der Post und anderen Blättern mehrfach zum Ausdruck gebracht. Schon 1925, als er mitbekam, daß Hearst in Washington zwei Zeitungen besaß, die beide Verluste machten, hatte er geglaubt, Hearst würde ihm vielleicht eine davon verkaufen, und sich deshalb um den Washington Herald, eine Morgenzeitung, bemüht.
Vier Jahre später 1929, versuchte er, die Post für 5 Millionen Dollar zu kaufen. Er war sicher, daß sich die American Security Trust Company, die das Blatt damals kontrollierte, angesichts der Höhe dieses Angebots eine Ablehnung nicht leisten könne. Doch genau das geschah. Andere Kaufangebote Wr die Post, darunter zwei im Jahre 1931 für jeweils 3 Millionen Dollar, stießen ebenfalls auf taube Ohren. Evalyn McLean wollte einfach durchhalten - trotz ihres Scheidungsprozesses und diverser Schlachten vor GehAL Mo gdg es mit diesem einst gewinnträchtigen Blatt, das Ned von seinem Vater geerbt hatte, weiter bergab. Mit einem Schuldenstand von mindestens einer halben Million Dollar war die Zeitung im März 1932 bankrott. Nicht einmal die laufenden Druckkosten konnten noch bezahlt werden. Und so kam es im Konkursverfahren zur öffentlichen Versteigerung.
Inzwischen, im September 1930, war mein Vater von Präsident Hoover zum Gouverneur des Federal Reserve Board berufen worden. Was er in seinem neuen Aufgabenbereich unternahm, war nichts weniger als der Versuch, die Depression in einen Aufschwung zu verwandeln. Er leitete nun die Banken- und Geldpolitik der Vereinigten Staaten, national wie international. Überdies entwarf er das Konzept für die Reconstruction Finance Corporation (RFC). Er selbst schrieb den Gesetzentwurf für die Gründung der RFC, brachte ihn anschließend durch den Kongreß und übernahm - zusätzlich zu seinem Aufgabenbereich als Zentralbankgouverneur - auch noch den Vorsitz in dieser neuen Kreditagentur. Sein Name als Vorsitzender wurde sogar ausdrücklich in die Gesetzesvorlage aufgenommen, damit diese auf jeden Fall von den Abgeordneten gebilligt wurde. Doch die Belastung, morgens die eine und nachmittags die andere Institution zu leiten - und das auch noch in der schlimmsten Phase der Weltwirtschaftskrise - erwies sich als zu groß. Unter diesem Druck war mein Vater einem Zusammenbruch nahe. Da ging meine Mutter zu Präsident Hoover, um ihm zu sagen, daß es mit dieser untragbaren beruflichen Belastung so nicht weitergehen könne. Der Präsident solle meinen Vater von einigen seiner Aufgaben entbinden, ehe dieser vollkommen zusammenbreche. In ihrem Tagebuch hinterließ meine Mutter eine lebhafte Beschreibung ihres Besuches beim Präsidenten:
- Gestern war ... der Tiefpunkt von Eugenes physischer Erschöpfung. Er wurde vom Weißen Haus so stark behämmert ... daß ich mir heimlich einen Termin bei Hoover geben ließ und ihm einen gründlichen Schrecken einjagte, als ich sagte, E. würde einen physischen Zusammenbruch erleiden, wenn er, H., nicht dazu beitrüge, ihn vor der Gier der Senatoren zu schützen. Der Plan ging auf, und ich bin sicher, daß H. von jetzt an in seiner ganzen Einstellung zu E. vorsichtig und umsichtig sein wird. Ohne H. irgend etwas vorzuwerfen, habe ich ihn wenigstens vorübergehend in die Position eines Verbündeten gezwungen - der er auf Dauer niemals sein kann, da er unglücklicherweise dazu neigt, jeden und alles zu opfern, wenn sich daraus für seine eigene Position und seine Ziele momentane Vorteile ergeben sollten ... Während meines Gesprächs mit dem Präs. war ich, nachdem ich zuvor nur E.s Version vom ewigen Streit zwischen den beiden kannte, überrascht, daß er gleich zu Beginn emphatisch sagte: »Eugene Meyer ist der wertvollste Mann, den ich habe.« Mein wichtigstes Anliegen ist es, für E.s Wohlergehen zu sorgen.
Was letztlich dazu beitrug, ein wenig Druck von den Schultern meines Vaters zu nehmen, war die Verabschiedung des Emergency Relief and Construction Act von 1932 im Kongreß; dadurch wurden die beiden Aufgabenbereiche des Federal Reserve Board und der RFC getrennt, und mein Vater konnte daraufhin den Vorsitz in der Reconstruction Finance Corporation abgeben. Die Wahl von Franklin D. Roosevelt im Herbst 1932 brachte für meinen Vater indes ein anderes Problem mit sich, denn er war ja von Präsident Hoover ernannt worden. Er hatte allerdings das Gefühl, nur zum Wohl der Mgemehheü - und nicht seiner Partei - gearbeitet zu haben, und sah deshalb keinen Grund für einen Rücktritt, auch wenn Hoover dies gern gesehen hätte. Für meinen Vater war das Amt des Zentralbankgouverneurs kein politisches Amt. Und so ermäde er sich, als Roosevelt ihn bat, Chef des Federal Reserve Board zu bleiben, dazu bereit. Ende März 1933 jedoch schickte er FDR trotzdem sein Rücktrittsschreiben. Denn in seinen Augen hatte der neue Präsident ökonomisch bereits mehrfach gesündigt. Die markantesten Sündenfälle waren Experimente mit dem Dollar, die Geringschätzung des Goldstandards und ganz allgemein ein Mangel an Feingefühl hinsichtlich der Wirtschafts- und Finanzpolitik - ein Mangel, der, wie ich leider sagen muß, auch allen anderen Präsidenten vorzuwerfen ist, die ich erlebt habe. Somit kam der Bankrott der Washington Post also zu einem für meinen Vater sehr günstigen Zeitpunkt. Er war gerade dabei, seine Regierungsämter endgültig aufzugeben. Mit meiner Mutter hatte er die Möglichkeit, die Zeitung zu kaufen, auf jeden Fall schon igendv erörtert, weil de in drem Tagebuch unter dem 7. Mai also fast einen Monat vor dem endgültigen Kauf und einen Tag, ehe der Rücktritt meines Vaters von Roosevelt endgültig akzeptiert wurde - vermerkte:
- ... Er (Eugene) hat sich plötzlich entschlossen, T. P (The Post) zu kaufen. Wenn ihm das glückt, wird es eine Sensation sein, und wir werden im Ruf stehen, uns machiavellistisch zu verhalten. Anfangs war ich zögerlich, weil das sofort wieder mit viel harter Arbeit verbunden sein wird, doch schließlich leben wir nicht in einer Zeit, in der man faulenzen darf. Und es bedeutet auch gewaltige Ausgaben, aber wofür ist das Geld schließlich da, wenn man nicht bereit ist, es zu nutzen ...
Trotzdem hatte sich mein Vater auch einige Zeit nach diesem Tagebucheintrag noch nicht definitiv entschieden, das Blatt zu kaufen. Statt dessen zog er sich zunächst nach Mount Kisco zurück. Doch, wie es heißt, fuhr er schon nach der zweiten Woche mit dem Finger auf dem Treppengeländer entlang, um zu demonstrieren, daß dort Staub lag. Als er dann auch noch murmelte, dieser Haushalt werde nicht ordentlich geführt, soll meine Mutter erwidert haben: »Eugene, es wird höchste Zeit daß du die Post kaufst.« Was damals geschah, schilderte er selbst einer Gruppe der American Society of Newspaper Editors im Jahre 1934 folgendermaßen:
Wie die orientalischen Philosophen aus alten Tagen war ich entschlossen, die chaotische Welt hinter mir zu lassen, um den Frieden und die Abgeschiedenheit einer Existenz auf dem Lande zu genießen. Diese milde Laune hielt allerdings nur zwei Wochen an, dann kam ich zu dem Schluß - und ich fürchte, meine Familie ebenfalls - daß ich für das kontemplative Leben nicht taugte.
Ironischerweise wurde er durch einen Mount-Kisco-Besuch von Eleanor Medill (»Cissy«) Patterson, die schon lange mit meinen Eltern befreundet war, erneut auf die Pläne mit der Washington Post gestoßen. Cissy war die Schwester von Joe PaUeNon, dem Gründer der New York Daily News (die damals eine großartige Boulevardzeitung war), und die Cousine von Colonel Robert (»Bertie«) McCormick, dem Eigentümer und Herausgeber der Chicago Tribune.
Die Frauen aus der Familie McCormick waren alle stark und intelligent, und das galt in besonderem Maße auch für Cissy. Sie war, was die Franzosen eine jolie laide nennen - eine Frau, die trotz häßlicher Einzelzüge insgesamt eine Schönheit ist. Sie lebte in einem stattlichen Herrenhaus am Dupont Circle, in dem jetzt der Washington Club residiert, wurde Redakteurin von Hearsts Morgenzeitung Washington Herald, später auch Redakteurin und Herausgeberin der Nachmittagszeitung Washington Times. Beide Zeitungen hatte sie zunächst von Hearst gepachtet, ehe sie sie schließlich kaufte und zu einer einzigen Tageszeitung zusammenlegte. Zum Zeitpunkt ihres Besuches in Mount Kisco im Jahr 1933 wußte sie auf jeden Fall nur eines: daß ihre Zukunft davon abhing, wem die Washington Post gehörte.
Und weil sie von den früheren Versuchen meines Vaters wußte, Washingtoner Zeitungen aufzukaufen, kam sie, um ihn zu fragen, ob er jetzt beabsichtige, die Post zu kaufen. Dadurch weckte sie sein Interesse aufs neue, und diesmal blieb es dabei: Er ging nach Washington, um das Blatt in seinen Besitz zu bringen. Weil jedoch allgemein bekannt war, daß er schon einmal 5 Millionen Dollar für diese Zeitung hatte ausgeben wollen, lag ihm daran, die Gebote auf der Auktion nicht dadurch unnötig in die Höhe zu treiben, daß er seine Identität preisgab. Vielmehr schickte er den Anwalt George E. Hamilton jr. als seinen Vertreter auf die Auktion.
Diese fand am 1. Juni 1933 auf den Stufen des grauen, im Zuckerbäckerstil mit Ornamenten überladenen Gebäudes der Post an der E Street und Pennsylvania Avenue statt, wenige Wochen nachdem mein Vater sich allem Anschein nach aufs Altenteil zurückgezogen hatte. An jenem Tag waren auf der Treppe unter anderen versammelt: Neds von ihm entfremdete Ehefrau Evalyn McLean, in Schwarz gekleidet und mit dem Hope-Diamanten geschmückt, ihre beiden Söhne und ihre Freundin Alice Roosevelt Longworth sowie Repräsentanten der McLeans, Hearsts und anderer Bieter. Versteigert wurde bei der Auktion alles, was von der füiiftgrößten Zeitung der Stadt noch übriggeblieben war: eine Auflage, die auf fünfzigtausend gesunken war, das kuriose, verkommene alte Gebäude und das Franchise von Associated Press, kurz und gut: ein dahinsiechendes Blatt mit Schulden in Höhe von 600 000 Dollar.
Mrs. McLeans Anwalt und die von Cissy angespornten Anwälte %ans wann die einzigen, die anfangs bei Hamiltons Geboten noch mithielten, doch Mrs. McLean mußte bei 600 000 Dollar die Segel streichen. Bis zum Preis von 800000 Dollar hielten die Hearst-Leute noch mit, und dann erhöhte Hamilton, wie mit meinem Vater vorab vereinbart, auf 825 000 Dollar. Hearst muß seinen Bietern Instruktionen gegeben haben, bei 800 000 Dollar aufzuhören, denn sie stiegen bei diesem Gebot aus. Daraufhin bat Cissy Patterson den Auktionator, mit dem endgültigen Zuschlag noch ein wenig zu warten, damit sie telefonisch Hearsts Zustimmung zu einem höheren Gebot einholen könne. Dreimal gewährte der Auktionator Aufschub, doch dann drohte Hamilton, sein Gebot zurückzuziehen. Hearst, dessen flüssige Mittel 1933 zweifellos begrenzt waren, weigerte sich schließlich, noch weiter mitzuhalten. Hamilton als Vertreter eines anonymen Bieters erhielt somit endgültig den Zuschlag. Und damit hatte mein Vater die Washington Post, für die er fünf Jahre zuvor schon 5 Millionen Dollar geboten hatte, für 825 000 Dollar ersteigert.
Was mich bei diesem Kauf der Post immer noch am meisten verwundert vor allem in Anbetracht der Bedeutung dieses Blattes für mein zukünftiges Leben und das meiner Familie, ist die Tatsache, daß ich gar nichts davon wußte. Niemand aus meiner Familie hatte mir vorher oder unmittelbar danach ein Wort darüber gesagt, und sie waren sich meiner Unwissenheit überhaupt nicht bewußt.
Als die Auktion stattfand, hatte ich gerade mein vorletztes Schuljahr in der Madeira School absolviert, war allerdings noch dort, um mich gemeinsam mit meiner Zimmernachbarin Nancy White auf die schriftliche College-Aufnahmeprüfung vorzubereiten. Nancys Vater, Tom White, war Generalmanager des gesamten Hearst-Imperiums, sozusagen Hearsts rechte Hand und überdies mit Cissy Patterson eng befreundet (manche sahen in ihm sogar Cissys Liebhaber). Nancy und ich waren hinsichtlich der Auktion natürlich neugierig. Wir sprachen darüber und spekulierten über den anonymen Käufer. Als ich die Aufnahmeprüfung dann hinter mir hatte, fuhr ich zu meiner Familie nach Mount Kisco, die sich dort bereits für den Sommer niedergelassen hatte. Abends auf der Veranda ließ meine Mutter, als wir alle beisammensaßen, irgendeine Äußerung gegenüber meinem Vater verlauten, die die Bemerkung enthielt: »wenn du die Post übernimmst«. Doch der Gedanke, mein Vater könne der berühmte anonyme Käufer sein, lag mir so fern, daß ich ganz unschuldig nachfragte, worüber der denn eigentlich rede. »Ach, Liebling«, sagte sie, »hat dir das denn niemand erzählt? Papa hat die Post gekauft.«
Kurz nachdem ich so dem heimlichen Kauf auf die Spur gekommen war, wurde er auch öffentlich bekanntgegeben. Die Verzögerung zwischen Kaufdatum und Datum der Bekanntgabe des neuen Eigentümers war erforderlich, damit die Gerichte dem Verkauf ihre Zustimmung geben konnten. Als der Konkursverwalter zu Protokoll gab, der anonyme Bieter sei bereit, bar zu zahlen, machte das Gericht den Verkauf rechtskräftig, und am 13. Juni 1933 erschien dann eine entsprechende Mitteilung auf der Titelseite der Washington Post.
Zum ersten Mal betrat ich das Gebäude der Washington Post einen oder zwei Tage nach Bekanntgabe des Kaufes, als ich mit meinem Bruder Bill und meinem Vater von Mount Kisco nach Washington kam und wir abends von einigen sicher sehr nervösen Gestalten durch das Haus geführt wurden. Ein rudimentärer Stab war auch in den schweren letzten Tagen der McLean-Ära noch vor Ort geblieben - einige gute Leute, die das Erscheinen der Zeitung weiter sichergestellt hatten, und einige andere, die keine Alternative gehabt hatten.
Ein Großteil der Reaktionen, zumindest der gedruckten Reaktionen, auf die Bekanntgabe des neuen Eigentümers war positiv. Privat jedoch blieben bei vielen noch jahrelang Zweifel sowohl was die Möglichkeit anbetraf, daß die Post eine überparteiliche Zeitung sein könne, als auch hinsichtlich der Überlebenschancen der fünftgrößten Zeitung der Stadt in den Händen eines unerfahrenen Verlegers. Gardner Cowles, einer der fähigsten unabhängigen Verleger im ganzen Land, warnte meinen Vater, Washington sei die Stadt der Nachmittagszeitungen, denn die Regierungsangestellten würden früh mit der Arbeit beynnen und sten dawr nachinhag schon um halb fünf zu Hause. Deshalb, so sagte er, werde keine Morgenzeitung, und schon gar nicht die Post, in Washington eine einflußreiche Position erringen können. Der Star habe diese Stadt fest im Griff. In seiner Erwiderung berief sich mein Vater auf hehre Prinzipien: »Die Hauptstadt dieses großen Landes verdient eine gute Zeitung. Ich glaube an das amerikanische Volk. Man kann sich darauf verlassen, daß die Leute das Richtige tun, wenn sie die Fakten kennen. Und ich werde ihnen vorurteilsfrei die Wahrheit zugänglich machen. Wenn eine Idee stimmig ist, so ist sie durch nichts aufzuhalten.«
Was nun die Frage anbetraf, ob eine Zeitung im Besitz des Republikaners Eugene Meyer überparteilich sein könne, so betonte mein Vater von Anfang an nachdrücklich, die Post werde unabhängig sein. Ihm kam es nur darauf an, die Qualität der Zeitung zu verbessern. Überdies erklärte er immer wieder, er habe beim Kauf der Post vollständig auf eigene Faust gehandelt und »keine Person, Gruppe oder Organisation« habe ihn zu dieser Aktion überredet. Viele glaubten das zwar damals nicht so gang doch es stimmte. Er versuchte, der Öffentlichkeit immer wieder glaubhaft zu versichern, daß die Post für ihn kein Spielzeug sei: Sie werde weder die Stimme der Republikanischen Partei sein, noch dazu dienen, Franklin Roosevelt zu bekämpfen (obwohl letzteres später dann doch geschah, wenigstens bis zu einem gewissen Grad).
Von Beginn an war mein Vater mit Begeisterung bei der Sache. Diese Herausforderung schien ihn geradezu verjüngt zu haben. Und die Moral bei der Zeitung wurde ebenfalls schlagartig besser, nachdem er die vom Konkursverwalter verfügte zehnprozentige Lohnkürzung aufgehoben und den Mitarbeitern verkündet hatte, sie würden alle ihre Arbeitsplätze behalten, wenn sie sich »bewährten«. Dann sah er sich genauer um und wurde sehr schnell mit den unangenehmen Realitäten konfrontiert, hatte er doch ein Wrack gekauft: eine Zeitung, die nur noch mit reduziertem Umfang und drastisch geschrumpfter Auflage erschien. Die meisten guten Mitarbeiter hatten ihr den Rücken gekehrt, und das Anzeigenaufkommen war dramatisch gesunken. Zuletzt hatte sich das Blatt nur noch von Tag zu Tag durchgemogelt, immer im ungewissen, ob es am nächsten Tag überhaupt noch gedruckt werden würde. An dem Tag, als mein Vater als neuer Eigentümer bekanntgegeben wurde, bestand die Post nur noch aus achtzehn Seiten, und das Anzeigenaufkommen war auf neunzehn Spalten Annoncen und weniger als zwei Seiten mit Kleinanzeigen geschrumpft.
Anfangs war mein Vater bei seinen Versuchen, das Blatt zu sanieren, ziemlich naiv davon ausgegangen, er könne, was er als erfolgreicher Geschäftsmann und Regierungsbeamter gelernt hatte, auch im Reich des Journalismus ohne weiteres anwenden. Obwohl er von Zeitungen nichts verstand, glaubte er, er könne dieses Blatt einfach durch massive Investitionen und ein besseres Management wieder auf Erfolgskurs bringen. Doch statt dessen folgte ein jahrelanges, oft entmutigendes Ringen. Die Investitionen brachten nur minimalen Erfolg. Er mußte teures Lehrgeld zahlen, denn der Einstandspreis war nur der Anfang eines fast zwei Jahrzehnte anhaltenden finanziellen und mentalen Aderlasses. In diesem jahrelangen Durchsetzungskampf gab es viele Momente, in denen er bezweifelte, ihn je erfolgreich beenden zu können.
Der erste dieser Augenblicke und eine seiner schlimmsten Erfahrungen ließ nicht lange auf Ich warten: Seine frühere Freundin Cissy Patterson, die enttäuscht damber wa4 daß sie ihre große Chance beim Kauf der Post verpaßt hatte, erteilte ihm eine Lektion in Sachen mörderischer Zeitungswettbewerb - eine Lektion, die zwischen den beiden zu einer spektakulären Auseinandersetzung führte. Denn Cissy stibitzte der Post deren Comic-Seiten, indem sie ihren Cousin Robert McCormick dazu brachte, ihr diese Comics zuzuschanzen. McCormick war nicht nur der Eigentümer der Chicago Tribune - an der auch Cissy Anteile besaß - sondern ihm gehöbe auch eines der mächtigsten SynAkam, das landesweit Zttungsbet träge verkaufte. Cissy ließ also meinem Vater durch das Syndikat mitteilen, durch den Verkauf der Washington Post seien auch die Verträge für vier der populärsten Comic-Serien hinfällig geworden: »Andy Gump«, »Dick Tracy«, »Gasoline Alley« und »Winnie Winkle«. Diese Comics würden in Zukunft im Washington Herald abgedruckt werden. Stolz gab Cissy den Wechsel bekannt.
Mein Vater hatte nie Comics gelesen und fragte deshalb den Geschäftsführer der Post, A. D. Marks, ob Comics wichtig seien. Dem verschlug die Frage schier die Sprache. Hatte dieser Amateur denn überhaupt keine Ahnung, was Auflage brachte? Comics waren für die Leser enorm wichtig damals sogar noch mehr als heute - und mithin das beste und wichtigste Pfund, mit dem eine Zeitung wuchern konnte. Als Marks dies meinem Vater klargemacht hatte, zögerte dieser nicht, Cissy zu verklagen.
Cissy rief meinen Vater an und sagte ihm, ihr Bruder Joe Patterson habe diese Comics geschaffen und darum gäben ihre Beziehungen zu McCormick und Patterson ihr ein besonderes Anrecht darauf. Als mein Vater ihr jedoch klarmachte, nunmehr sei er im Besitz der Abdruckrechte für Washington, lautete ihre Antwort: »Dann haben wir Krieg miteinanden«
Und so war es auch. Zwei Jahre tobte die juristische Schlacht um die lustigen Zeitungsseiten, und dabei ging auch die lange, enge Freundschaft zwischen Cissy und meinen Eltern in die Brüche. Zuerst erwirkte mein Vater in New York eine einstweilige Verfügung, die dem Herald verbot, die Comics zu publizieren; doch diese Verfügung wurde später wieder aufgehoben, und dann druckten beide Zeitungen die Comics. In der nächsten Instanz gewann Cissy, und die Post verklagte daraufhin das Syndikat, das die Comics vertrieb. In diesem Prozeß obsiegte mein Vater im Juli 1934 in New York gegen die Chicago Tribune, als der Richter entschied, die Post sei legale Besitzerin der Abdruckrechte. Der Prozeß gegen den Herald wurde schließlich in Washington verhandelt, wo das Berufungsgericht für den District of Columbia im März 1935 zu demselben Ergebnis wie der New Yorker Richter kam. Daraufhin zog Cissy sogar vor den Supreme Court, doch das oberste Bundesgericht lehnte eine Revision ab. Damit hatte mein Vater am 10. April 1935 endgültig gewonnen.
Nachdem die letztinstanzliche Entscheidung Cissy den Abdruck der Comics im Herald untersagt hatte, bat sie meinen Vater um Erlaubnis, die für den folgenden Sonntag geplanten Comics noch bringen zu dürfen, weil diese schon im voraus produziert worden seien. Doch die Bitterkeit war auf beiden Sehen inzwischen so übermächtig geworden, daß mein Vater seine Zustimmung nur unter der Bedingung gab, daß die Post als Ouelle ausdrücklich erwähnt und ehe Anmerkung hinzugefügt werde, diese Comics würden in Zukunft nur noch in der Post erscheinen. Natürlich lehnte Cissy ab. Aber sie ging sogar noch weiter. Nicht lange darauf schickte sie meinem Vater zur Vergeltung eine aufwendig verpackte Blumensendung, in der Orchideen ein kleineres Paket umschlossen, worin sich ein Stück rohes Fleisch befand. Damit die undle Anspielung auf Shakespeares Shylock auch ja nicht übersehen werde, hatte Cissy noch eine Begleitkarte dazugelegt: »Damit dir Genüge getan wird ...« Dies zeigt, mit welch harten Bandagen gekämpft wurde. Rachsucht, Gemeinheiten und Sticheleien dauerten noch lange an. Indes, zweiundzwanzig Monate nach Ende des Rechtsstreits lief der Vertrag zwischen dem Syndikat und der Post ohnehin aus, und damit hatte Cissy die Comics in ihrem Besitz.
Auch während dieses intensiven Streits arbeitete mein Vater die ganze Zeit hart daran, die Qualität des Blattes zu verbessern und den Verlag aus den roten Zahlen zu bringen. Schon bald merkte er jedoch, daß das Zeitungsgeschäft mit keiner anderen Branche, die er kannte, zu vergleichen war - man konnte nicht einfach normale betriebswirtschaftliche Techniken einsetzen und erwarten, daß sie die üblichen Resultate erbrachten. Und so hatte er kaum eine Ahnung, was zu tun sei, um die Post finanziell erfolgreich zu machen, zumal es in Washington schon so viele andere Zeitungen gab.
Was er jedoch hatte, war eine ausgeprägte Philosophie, die er schon 1934, in einem relativ frühen Stadium seiner Arbeit, in einem Leitartikel und danach in mehreren Ansprachen im Lauf der folgenden Jahre zum Ausdruck brachte. Eine Zeitung war für ihn eine Treuhänderin der Öffentlichkeit; dieser habe sie in einer Demokratie zu dienen. Mein Vater wollte noch mehr als das, was die Post in vergangenen großen Tagen geleistet hatte; die Zeitung sollte »eine Führungsrolle übernehmen, die nur mit herausragender Qualität zu erreichen« sei. In einer Ansprache am 5. März 1935 redete er über die Prinzipien, auf deren Einhaltung er von Anfang an bestanden hatte, und faßte sie in der folgenden Aufstellung zusammen:
- Die erste und wichtigste Mission einer Zeitung besteht darin, die Wahrheit zu sagen, soweit die Wahrheit überhaupt zu ermitteln ist.
- Bezüglich der wichtigen Angelegenheiten Amerikas und da übtgen Welt muß de Zeitung die ganze Wahrheit sagen, soweit sie lese ermitteln kann.
- Bei der Verbreitung von Nachrichten soll die Zeitung den Schutz der Privatsphäre beachten.
- Was die Zeitung druckt, muß für Junge und Alte gleichermaßen geeigneter Lesestoff sein.
- Die Verpflichtung der Zeitung besteht gegenüber ihren Lesern und der gesamten Öffentlichkeit, nicht gegenüber den Privatinteressen ihres Besitzen.
- Bei der Verfolgung der Wahrheit muß die Zeitung bereit sein, materielle Opfer zu bringen, wenn dies zum Wohl der Allgemeinheit erforderlich ist.
- Die Zeitung darf sich nicht mit irgendwelchen Spezialinteressen verbünden, sondern sie soll in ihren Ansichten über öffentliche Angelegenheiten und öffentliche Personen fair, frei und konstruktiv sein.
Diese Prinzipien waren Herz und Seele seiner Überzeugungen, aber die Herausforderung bestand ja gerade darin, sie in die Tat umzusetzen. Als erstes kümmerte er sich um die richtigen Leute, die benötigt wurden, um die entmutigende Aufgabe, dem Schicksal des Blattes eine Wende zu geben, überhaupt in Angriff nehmen zu können. Doch die erste Schwierigkeit lag schon darin, daß er nicht wußte, wer die guten Leute waren und wie er de finden könnte. Wenn er die guten Leute dann gefunden hatte über einige Zeitungsmacher hatte er Gutes gehört, andere wurden durch »Kopfjäger« aufgespürt - erwies es sich als fast unmöglich, sie zu überreden, für eine allem Anschein nach dem Untergang geweihte Zeitung zu arbeiten.
Hinzu kam, daß die Branchenprofis sich weiterhin über die Motive meines Vaters im unklaren waren. Obwohl er immer wieder das Gegenteil behuedl glaubten viele weiterhin, er habe vor, ein republikanisches Parteiblatt aufzuziehen oder die Post zumindest zu benutzen, der Roosevelt-Administration die Leviten zu lesen. Mein Vater behauptete immer wieder, die Konkurrenzblätter in Washington würden entsprechende Gerüchte in Umlauf halten, um die Unsicherheit zu vergrößern und ihm die Gewinnung erstklassiger Mitarbeiter zu erschweren.
Gesucht wurden Mitarbeiter für den redaktionellen und den geschäftlichen Bereich der Zeitung. Dabei wurden Leute von sehr ungleicher QuaItät eingestellt, andere als Berater und Bewerter engagiert. Von Anfang an bereiteten meinem Vater die Managementprobleme bei der Post Kopfschmerzen. Als Generalmanager für den gesamten Bereich mit Ausnahme der Leitartikel gewann er Eugene MacLean von den San Francisco News, der allerdings nur etwa zwei Jahre durchhielt. Mein Vater erkannte bald, daß MacLean zwar ein erstklassiger Reporter war, aber nichts dafür tat, gute Leute im Haus aufzubauen. Er sah in ihm einen Faulpelz, Trunkenbold und Schürzenjäger.
Vom Anzeigengeschäft verstand mein Vater überhaupt nichts, doch nach einem Fehlstart stellte er einen erstklassigen Manager für den geschäftlichen Bereich ein: Don Bernard, den er beim Knoxville Banner entdeckt hatte und der ihm schließlich dabei helfen konnte, von Grund auf Ordnung in diesen zuvor chaotischen Bereich zu bringen. Auch auf redaktionellem Gebiet folgte auf Dunkelheit Licht, denn mein Vater konnte schon bald Mexander E (»Casey«) Jones gewinnen, der im November 1935 als neuer Chefredakteur die Szene betrat und die inhaltliche Führung des Blattes übernahm. Casey war genau der Mann, den die Post damals brauchte. Er war im Sensationsjournalismus groß geworden und ein guter, solider, knallharter Redakteur, der nur harte Fakten und keine unnötigen Schnörkel wollte - der perfekte Zeitungsmann für eine Übergangszeit. Er war Profi durch und durch und brachte neben dieser Haltung auch einen hohen journalistischen Standard mit, außerdem viel technisches Wissen und Erfahrung im Zeitungsmanagement und in der Produktion. Gemeinsam gingen Casey Jones und mein Wer auf »Einkaufstour«, wobei sie in manchen Fällen für die damalige Zeit außerordentlich hohe Gehälter zu zahlen bereit waren. Auf diese Weise holten sie viele Leute zusammen, die für die weitere Zukunft des Blattes von ganz entscheidender Bedeutung waren. Und weil die beiden dem Status einer Hauptstadtzeitung hohe Priorität einräumten, begannen sie mit dem Aufbau einer eigenen nationalen Redaktion und eines eigenen Korrespondentennetzes, um über politische Vorgänge aus dem gesamten Land umfassend berichten zu können. Ein besonderer Schwerpunkt sollte dabei auf den Aktivitäten der Bundesregierung liegen. Von Beginn an war meinem Vater aber auch die Bedeutung der Post als Lokalblatt klar, besonders im Hinblick auf die seltsame Art und Weise, wie Washington regiert wurde.
In der Sportredaktion konnte mein Vater vom Verbleiben Shirley Povichs profitieren, eines brillanten Sportreporters und Redakteurs, den Ned McLean schon 1921 engagiert hatte, nachdem Povich zuvor beim Golfspielen in Maine als Caddy für ihn gearbeitet hatte. Nach einer sensationellen, mehr als sieben Jahrzehnte dauernden Karriere geht Povich noch heute häufig in die Redaktion, ja gelegentlich schreibt er sogar noch für die Post. Povich hat uns später erzählt, daß der Sport - wie die Comics - ein Gebiet wa4 von denen Bedeutung mein Vater zunächst überhaupt keine Ahnung hatte. Als die Senators, das Washingtoner Baseballteam, 1934 in der American League nur einen katastrophalen siebten Platz belegten, hatte mein Vater, der davon ausging, daß das Team jedes Jahr - wie 1933 - Meister werden müsse, Povich gefragt, was denn mit dem Baseballclub los sei. »Die Pitcher, Mr. Meyer, keine guten Werfer!« Daraufhin fragte ihn mein Vater ganz naiv: »Sagen Sie mal, vielleicht wäre es ja gut für die Washington Post, wenn wir einen Pitcher kaufen würden. Wieviel würde so einer denn kosten?« Die Bedeutung der Spodmüen für die Leser war ihm damals bereits klargeworden.
Weil ihm die Grenzen vorgefertigter Artikel und Materialien bewußt waren - dadurch verloren die Zeitungen schließlich einen Großteil ihrer Individualität - stand für meinen Vater fest, daß die Post versuchen sollte, so eigenständig wie möglich zu sein. Ein Gebiet, dem sein besonderes Augenmerk galt, waren die Frauenseiten. Für deren Aufbau zeichnete eine hochintelligente Redakteurin, Malvina Lindsay, verantwortlich, die auch Verfasserin der Kolumne »The Gentler Sex« (Das zarte Geschlecht) war. Mein Vater glaubte, daß das ursprünghche Angebot der Post hr Leserinneu demäch öde gewesen sei, und schuf deshalb einen Stab von Mitarbeiterinnen, die - wie er sagte - »für Washingtoner Frauen und für die Interessen von Washingtoner Frauen« schreiben sollten. Schon ein Jahr nach dem Kauf der Zeitung hielt er die Auffrischung der Frauenseiten für einen der größten Erfolge der neuen Post.
Und was vor allem damals noch sehr ungewöhnlich war: Für diese Seiten engagierte mein Vater Frauen und gab ihnen in der Zeitung auch eine prominente Stellung. Sein Interesse an Psychiatrie und seelischer Gesundheit ließ ihn nach einem Mitarbeiter suchen, der für Leute mit psychischen Problemen eine Ratgeberspalte schreiben sollte. Als er für diese Aufgabe jedoch keinen Psychiater gewinnen konnte, wählte er Elizabeth Young, eine junge Reporterin aus der Frauenredaktion, für diese Kolumne aus. Während der ersten paar Monate mußte ihr noch ein Psychiater über die Schulter sehen, doch dann war Young, die unter dem Pseudonym Mary Haworth schrieb, so gut, daß ihre Kolumne einer der beliebtesten Teile der ganzen Zeitung wurde. Mehr als zwanzigtausend Briefe von Ratsuchenden erhielt die Redakteurin jedes Jahr. Wie bahnbrechend und erfolgreich diese Kolumne damals war, läßt sich heute kaum noch ermessen; doch wurde sie schließlich auch von anderen Zeitungen übernommen und von zwanzig Millionen Menschen gelesen.
Eine andere erfolgreiche Initiative meines Vaters war die Veröffentlichung der Ergebnisse von Meinungsumfragen unter den Lesern. Dr. George Gallup hatte daman gemde s6n American Institute of Public Opinion gegründet, und seine Erhebungen wurden noch Icht recht ernst genommen. Doch mein Vater, der ein logischer Denker und von der Wichtigkeit von Wissenschaft und Forschung immer zutiefst überzeugt war, schloß mit Gallup den ersten Vertrag und druckte dessen Umfrageergebnisse auf der Titelseite ab.
Am bedeutsamsten aber war für ihn von Beginn an die Schaffung einer Seite mit exzellenten Leitartikeln und Kommentaren. Er glaubte, diese Sehe der Post habe für das amerikanische Leben eine wichtige Rolle zu spielen. Da sie an Kraft und Prestige jedoch erheblich verloren hatte, war seiner Ansicht nach frischer Wind an dieser Stelle für den Erfolg der ganzen Zeitung von zentraler Bedeutung, zumal gute Leitartikel in der Hauptstadt des Landes noch viel wichtiger waren als an anderen Orten. Also versuchte er ständig, den Redakteuren vor Augen zu führen, wie wichtig es sei, rein emotionale, vergehungssüchüge oder parteiische Ansichten von dieser Seite fernzuhalten. Und er gelobte, niemals blind irgendeine Politik der Regierung zu unterstützen, nur weil sie Regierungspolitik war, sich der Macht der Bürokratie nicht zu beugen und auch dem »subtilen Einfluß der Massenpsychologie« zu widerstehen. Ober diese seine Philosophie war er selbst sich jederzeit im klaren, aber die Herausforderung bestand darin, einen wirklich hochkarätigen Redakteur für die Leitartikel zu finden - einen, der die Ideale und Ziele meines Vaters teilte.
Nach mehreren fehlgeschlagenen Versuchen, profilierte Journalisten von anderen Zeitungen abzuwerben, begann er, nach einem »kraftvollen, noch nicht abgestempelten jungen Mann« zu suchen. Die Wahl fiel auf Felix Morley, der im Dezember 1933 bei der Post anfing. Morley war Rhodes Schola[2] und dann Forschungsstipendiat an der London School of Economics gewesen, hatte als Leitartikler und Auslandskorrespondent für die Baltimore Sun gearbeitet und überdies ein Buch über den Völkerbund geschrieben. Felix war der Bruder des Romanschriftstellers Christopher Morley und hoch gebildet. Außerdem war er Quäker. Auch hier begründete mein Vater eine Tradition, die bei der Washington Post bis auf den heutigen Tag gilt: Als Herausgeber vereinbarte er mit Morley, man werde von ihm als Redakteur niemals verlangen, etwas gegen seine eigene Überzeugung zu schreiben. Festgelegt war, daß nur im äußersten Konfliktfall die Meinung des Herausgebers Vorrang haben sollte. Auf dieser Grundlage entwickelte sich eine kollegiale Beziehung zwischen den beiden, und das blieb auch so, bis es 1941, am Vorabend des amerikanischen Eintritts in den Zweiten Weltkrieg, zu ernsten Meinungsverschiedenheiten kam. Damals vertrat Morley eine stärker pazifistische und isolationistische Position als mein Vater.
Entscheidend war die Schaffung einer unabhängigen Stimme innerhalb der Redaktion, und dies wurde bald deutlich. Morley begann den Leitartikeln und der ganzen Zeitung schnell seinen Stempel aufzuprägen. In einem rückblickenden Artikel der Fortune aus dem Jahr 1944 über die Post heißt es dazu: »Mit seinem Eintritt in die Redaktion gewannen die Leitartikel der Post sofort an Tiefenschärfe, Energie und Prestige.« Morley selbst begründete eine weitere Tradition, die Ns heute GWÜgket betet: daß die Leitartikler selbst recherchieren, mit anderen Reportern, die an eigenen Storys arbeiten, und mit weiteren Informanten sprechen, ehe sie schreiben, und daß de sogfältig beide Seiten eines Problems ausloten, ehe sie sich eine Meinung bilden und diese dann veröffentlichen.
Wie es mein Vater zusammen mit Casey schon für die Nachrichtenredaktion getan hatte, so bauten er und Morley nach und nach auch einen hervorragenden Stab von Leitartiklern und Kommentatoren auf. Sie stellten eine brillante Wirtschafts- und Finanzjournalistin ein, Anna Youngman, die zuvor Professorin am Wellesley College in Massachusetts gewesen war und in der Forschungsabteilung der Federal Reserve Bank in New York gearbeitet hatte. Anna trug ihr graues Haar kurzgeschnitten wie ein Mann und war dickköpfig, aber aufrichtig und geradlinig. Morley hielt auch an Merlo J. Pusey fest, einem außerordentlich wertvollen altgedienten Journalisten aus der McLean-Ära, der 1928 in die Redaktion eingetreten war und 38 Jahre blieb Bis zu seiner Pensionierung hatte er mit seiner klugen, leicht konservativen Art einen stabilisierenden Einfluß in der Redaktion. 1936 bekam er den Pulitzerpreis für seine Leitartikel - den ersten, der je an die Post ging (Und schließlich schrieb er auch noch die Biogaphie meines Vaters.)
Selbst meine Mutter versuchte sich im Schreiben von Leitartikeln. Im Oktober 1935 schickte sie Morley einen mit der Bemerkung: »Wenn meine ersten Gehversuche zu unerfahren sind, dann legen Sie sie bitte beiseite, bis ich so gut schreiben kann, daß Sie meine Sachen ohne allzu viele Änderungen brauchen können. Dieses Medium ist neu für mich, und ich bin deshalb recht unsicher« - aber nicht unsicher genug, um nicht doch wenigstens einen Versuch zu wagen.
Trotz des Wunsches meines Vaters, die Post möge unabhängig und objektiv sein, bemerkte einmal jemand, die Titelseite habe in der ersten Zeit manchmal wie ein Bulletin des Federal Reserve Board gewirkt. Anscheinend trachteten viele Redakteure und Reporter anfangs danach, meinem Vater zu gefallen, indem sie schrieben, was er ihrer Meinung nach lesen wollte. In der Tat konzentrierte sich die Redaktion in der allerersten Zeit unter der Ägide meines Vaters auf die Berichterstattung über Finanzen, Banken und Steuern. Bald entdeckten de Redakteure jedoch, daß es ihm mit der Unabhängigkeit der Zeitung und der Autonomie ihrer Reporter und Redakteure ernst war - natürlich immer im Rahmen seiner Grundsätze. Er arbeitete ein System aus, das sich als dauerhaft erweisen sollte: Die Manager genossen auf beiden Seiten, der redaktionellen wie der wirtschaftlichen, weitgehende Autonomie vorausgesetzt, sie agierten im Einklang mit den Prinzipien und Ambitionen des Herausgebers. Weil drei der letzten fünf Verleger der Washington Post - mein Vater, Phil Graham und ich selbst - diese Aufgabe ohne Erfahrung, wenn auch auf unterschiedliche Weise unerfahren, übernahmen, war dieses Modell ohnehin der einzig praktikable Weg, um die Zeitung zu führen. Doch bin ich auch generell der Überzeugung, daß dies das beste Modell ist, um eine Zeitungsredaktion zu leiten.
Allein im Jahr 1935 schrieb mein Vater einen Verlust von mehr als 1,3 Millionen Dollar. In jenem Jahr machte er auch meine Mutter zur Teilhaberin der Post. Alle Gewinne und Verluste wurden zwischen beiden Partnern geteilt, wobei auf meine Mutter ein Anteil von 7 Prozent entfiel.
Doch trotz der Verluste, die nun teilweise von der Steuer abgesetzt werden konnten, hatte die Zeitung tatsächlich Fortschritte gemacht - allerdings eher im Bereich der Nachrichten als bei Anzeigen und Auflage.
Das unbedingte Streben meines Vaters nach Integrität bezog sich eindeutig auch auf die geschäftliche Seite. Er wollte sichergehen, daß die Anzeigenverkäufer sich auch wirklich um die Bedürfnisse der Inserenten kümmerten und sich ernsthaft Mühe gaben, deren Wünschen gerecht zu werden. Die Leitlinien der redaktionellen Umgestaltungen bei der Post mußten auch bis zu den Anzeigenverkäufern und Anzeigenkunden durchdringen, und bei diesen Verkaufsanstrengungen legte sich mein Vater mit großer Hingabe selbst ins Zeug. Doch ein nachhaltiger Erfolg bei der Auflagensteigerung ließ noch mehr als ein Jahrzehnt - bis nach dem Krieg auf sich warten.
Schon 1935 war das Verständnis meines Vaters für alle Aspekte des Zeitungsgeschäfts enorm gewachsen. Schritt für Schritt wurde eine für die damalige Zeit bemerkenswert schlagkräftige Organisation aufgebaut. Änderungen in Typographie und Layout sorgten für eine bessere Lesbarkeit der Zeitung. Das Gebäude in der E Street wurde um einen Flügel erweitert, im benachbarten Munsey Building weiterer Büroraum angemietet. Für einzelne Storys trat mein Vater sogar selbst als Reporter auf oder gab zumindest seinen Reportern Hinweise. (So war er es zum Beispiel, der der Post den Knüller lieferte, der englische König Edwud VIII. plane, die geschiedene Amerikanerin Wallis Simpson zu heiraten.)
In kleinen Schritten machte sich der Fortschritt der Post bemerkbar, obwohl intern in den ersten Jahren fast ausschließlich von Problemen die Rede war. Man hatte mit dem ständigen finanziellen Aderlaß genauso zu kämpfen wie mit der ununterbrochenen Personalfluktuation: Manche gingen, weil sie gescheitert waren, andere, weil sie einen besseren Job gefunden hatten. Und doch war der Fortschritt so unverkennbar, daß Senator Arthur H. Vandenberg über die Post sagen konnte, hier habe »in den vergangenen zwölf Monaten die erstaunlichste Verbesserung einer Zeitung stattgefunden, die ich je bemerkt habe«.
Seit meinem ersten Besuch im Zeitungshaus im Juni 1933 war die Washington Post ohne Unterbrechung ein Teil meines Lebens, denn meine Familie besaß dieses Blatt, identifizierte sich damit und war auch in die alltäglichen Vorgänge und Kleinigkeiten sehr stark eingebunden. Mein Vater, Besitzer und Verleger der Zeitung und zugleich Präsident der neuen Verlagsgesellschaft, der Washington Post Company, war zugleich auch ihr bester Verkäufer. Er ließ keine Gelegenheit aus, eine Anzeige an den Mann zu bringen, bot Taxifahrern Abonnements an und rief häufig in der Nachrichtenredaktion an, ob es etwas Neues gebe. Spätabends kam er, oft noch im Frack, nach einer Abendeinladung persönlich in der Redaktion vorbei, um nach dem Rechten zu sehen.
An Engagement und Enthusiasmus stand meine Mutter meinem Vater in nichts nach. Besonders in den Anfangsjahren standen häufig namentlich gezeichnete Artikel von ihr in der Zeitung, und das Ausmaß ihres Engagements wird auch in einer Notiz deutlich, die sie meinem Vater einmal schickte. Darin beschwert sie sich, daß in der ländlichen Umgebung Washingtons nur sehr wenige Zeitungsröhren der Post (für Abonnenten) zu sehen seien. Im Vergleich zu den Behältern aller anderen Washingtoner Zeitungen hatte sie bei einer ihrer Fahrten über Land kaum solche der Post entdeckt. Unterwegs hatte sie häufig angehalten, um die Leute zu interviewen, wo denn die Gründe dafür lägen, und berichtete, die Washington Post habe »eine sehr große Zahl von Abonnenten verloren, weil sie lange Zeit einen unzuverlässigen Zeitungsausträger beschäftigt hatte. Der Eindruck der Bewohner vor Ort ist, daß diese Abonnenten durch ein weiiig gezielte Aufmerksamkeit und einen guten Zeitungsjungen leicht zurückgewonnen werden könnten.«
Ich selbst arbeitete schon im Sommer 1934 für die Post - in der Zeit zwischen High-School und College. Ich war hauptsächlich mit Hilfs- und Botendiensten in der Frauenredaktion beschäftigt, doch schloß ich auch Freundschaft mit den beiden großartigen Redakteurinnen Malvina Lindsay und Mary Haworth. Fortan hatte ich in den Sommerferien gelegentlich Jobs bei der Post.
Als ich - ein Jahr nach dem Kauf der Zeitung - aufs College wechselte, korrespondierten meine Eltern und ich ständig über das, was bei der Zeitung geschah. Täglich las ich die Post, kommentierte, ermutigte und kritisierte auch, was mir auffiel, während meine Eltern, speziell mein Vater, mir sehr detailliert über die hausinternen Vorgänge berichteten. So empfand ich mich als weitgehend einbezogen in den Kampf zur Verbesserung des Blattes. Ein wenig zu meiner eigenen Überraschung - angesichts der Tatsache, daß ich mich damals selbst als ungebildet, weltfremd und ziemlich meinungslos empfand - war ich anscheinend doch zu eigenständigen Bewertungen und zu Verbesserungsvorschlägen für die Zeitung und das Gedruckte in der Lage.
Wesentlich später wurde mir dann die Intensität meines Engagements durch Phils Psychiater verdeutlicht, der zu mir sagte, Phil und ich, wir hätten beide dasselbe Problem: Wir identifizierten uns zu sehr mit der Post. Ich erwiderte ihm - und das war eine der großen Untertreibungen in meinem Leben - es tue mir leid, aber daran werde er wohl nicht viel ändern können.