Präsidentin und Verlegerin und Emanzipation
Nachdem ich 1969 - neben meiner Rolle als Präsidentin der Washington Post Company - auch Verlegerin der Post geworden war, hatte ich mehr Aufgaben zu bewältigen als je zuvor. Wenigstens teilweise hatte ich mich inzwischen in meinem Job zurechtgefunden, aber daß ich alles sicher im Griff gehabt hätte, ließ sich nur bei den seltensten Gelegenheiten behaupten. Ich hatte mir ein wenig Verständnis für die geschäftlichen Grundlagen angeeignet, mußte mich aber immer noch weit stärker auf andere verlassen als vergleichbare Firmenchefs. In einem Artikel über mich, der immerhin fünf Jahre nach meinem aktiven Eintritt ins Berufsleben erschien, heißt es: »Mrs. Graham findet sich viel öfter mit ihrer Verantwortung ab, als daß sie ihre Autorität durchsetzt.« Das war richtig; ich war in meinem Auftreten gegenüber anderen in der Firma nicht immer so bestimmt, wie es gut gewesen wäre. Meine Erwartungen überstiegen meine Leistungen bei weitem. Ja, die Zeit Mitte der siebziger Jahre war für mich, obwohl es eigentlich erlebnis- und arbeitsreiche Jahre waren, in mancherlei Hinsicht sogar deprimierend.
Was mir bei der Erfüllung meines beruflichen Wunschbildes am meisten im Wege stand, war meine Unsicherheit. Zum Teil erwuchs sie aus meiner speziellen Erfahrung in einer Männerwelt; aber soweit sie aus einer eng gefaßten weiblichen Rollendefinition resultierte, war sie etwas, das ich mit den meisten Frauen meiner Generation teilte. Wir waren in dem Glauben aufgewachsen, unsere Rolle bestehe darin, Ehefrau und Mutter zu sein. Unser Denken sollte sich allein darauf beschränken, daß wir dazu da seien, unsere Männer und Kinder glücklich zu machen und ihnen das Leben zu erleichtern. Wie viele meiner Generation nahm ich stillschweigend an, Frauen seien Männern geistig unterlegen, wir seien nicht fähig, zu regieren, zu führen und etwas anderes zu managen als Haus und Kinder. Nach der Eheschließung waren wir darauf beschränkt, den Haushalt zu führen, ausgleichend zu wirken, uns um die Kinder zu kümmern und unsere Männer zu unterstützen.
Doch bald schon sollte diese Denkweise - und überhaupt diese Rollenverteilung im Leben - ihren Tribut fordern: Die meisten von uns Frauen wurden irgendwie tatsächlich zweitrangig. Wir wurden immer unfähiger, uns über das Geschehen draußen in der Welt auf dem laufenden zu halten. In Gruppen waren wir weitgehend zum Schweigen verurteilt, denn an Gesprächen und Diskussionen konnten wir uns nicht sinnvoll beteiligen. Leider führte diese Unfähigkeit bei Frauen, auch bei mir, zu einer diffusen Art zu reden. Wir konnten Dinge einfach nicht auf den Punkt bringen, neigten zur Weitschweifigkeit oder dazu, das Pferd vom Schwanz her aufzuzäumen. Wir wollten immer alles ganz genau erklären, fanden kein Ende und entschuldigten uns ständig. Traditionell leiden Frauen an einem übermäßigen Wunsch, anderen zu gefallen. Dieses Syndrom ist bei vielen Frauen meiner Generation so tief verankert, daß es mich jahrelang hemmte, in gewisser Weise sogar bis heute. Damals merkte ich zwar nicht, was da eigentlich ablief, aber ich war nicht in der Lage, Entscheidungen zu treffen, die Menschen in meiner Umgebung eventuell unglücklich gemacht hätten. Jahrelang endete jede Anweisung, die ich gab, mit der Floskel »wenn Sie nichts dagegen haben«. Der Gedanke, ich könnte durch mein Tun jemanden unglücklich gemacht haben, bereitete mir regelmäßig Kopfzerbrechen. Letztlich lief all dies aber darauf hinaus, daß die meisten von uns Frauen im mittleren Alter genau jenen Zustand erreichten, den wir um jeden Preis hatten vermeiden wollen: Wir langweilten unsere Männer, die selbst wesentlich dazu beigetragen hatten, daß wir jetzt so waren, wie wir waren, und sie liefen uns davon, um auf jüngeren, grüneren Auen zu weiden. Als ich beruflich aktiv wurde, behinderten mich die traditionellen Vorstellungen über die Rolle der Frau noch sehr, und ich verhielt mich so, als wären sie als eherne Regeln in Stein gehauen.
Ich war den Männern, mit denen ich zusammenarbeitete, unterlegen, und ich fühlte mich »minderwertig«. Ich hatte keine Erfahrungen im Geschäftsleben und im Management, und ich wußte kaum etwas über Wirtschaft und Politik oder all die anderen Angelegenheiten, mit denen wir uns als Zeitung auseinanderzusetzen hatten. Ich fühlte mich als passende Adressatin für Samuel Johnsons Bonmot über Frauen auf der Kanzel: »Eine Frau, die predigt, ist wie ein Hund, der auf den Hinterbeinen geht. Das gelingt nicht so gut, aber alle sind überrascht, daß es überhaupt geht.« Weil ich mich selbst als unterlegen und minderwertig ansah, konnte ich auch nicht zwischen männlicher Herablassung gegenüber mir als Frau und anderen Überlegenheitsgefühlen unterscheiden, die ihren Grund darin hatten, daß ich meinen Job allein dem glücklichen Umstand verdankte, daß ich die Tochter meines Vaters war, sowie dem tragischen Umstand, daß mein Mann plötzlich verstarb.
Als Frau die Kontrolle über ein Unternehmen zu haben - und sei es auch ein relativ kleines Familienunternehmen, wie es die Washington Post Company damals noch war - bedeutete in jenen Tagen etwas so Einzigartiges und Überraschendes, daß ich unweigerlich im Blickpunkt stand. 1963 und auch noch in den darauffolgenden ersten Jahren meiner Berufstätigkeit war meine Situation jedenfalls einmalig. Selbst in meiner eigenen Firma gab es kaum Frauen in gehobenen Positionen. Dabei war die Post kein Sonderfall, sondern für die damalige Zeit geradezu typisch. Die Welt der Wirtschaftsbosse war Frauen im wesentlichen verschlossen. Zumindest in den sechziger Jahren lebte ich in einer reinen Männerwelt; außer Sekretärinnen hatte ich den ganzen Tag keine weiblichen Gesprächspartner. Daß ich ein exotisches Wesen war, war mir allerdings fast überhaupt nicht bewußt. Mir fehlte jedes Verständnis für die Probleme, mit denen berufstätige Frauen in unserem Betrieb und auch sonst zu kämpfen hatten. Allzu viele Jahre glaubte ich, meine Schwierigkeiten hätten allein damit zu tun, daß ich so neu und unerfahren war. Meinem Status als Frau ordnete ich keines dieser Probleme zu. Meine altmodischen Ansichten werden noch 1969 deutlich, als ich der Frauenzeitschrift Women's Wear Daily ein Interview gab. Im großen und ganzen klingt, was ich damals sagte, noch heute vernünftig. Nur meine Aussagen über Frauen am Arbeitsplatz bilden mit ihrem schrecklichen Mangel an Sensibilität und Problembewußtsein eine Ausnahme. Auch in der begleitenden Reportage sehe ich mich heute - genauso wie die Redakteure - als im unbewußten Sexismus Befangene: ein Sexismus, der damals noch als selbstverständlich galt.
... Kay Graham spielt bei den Nebenrollen mit, aber sie drängt sich nicht in den Vordergrund. Die Starrollen läßt sie lieber die Männer spielen, die sich viel besser durchsetzen können. Für sie geht es nur um einen kleinen Ausschnitt ihres Lebens, aber um einen, in dem selbstbewußte, willensstarke Männer bedeutende Rollen gespielt haben... »Bei jeder Entscheidung verlasse ich mich auf das Urteil von Fritz und von anderen Männern.«... »Ich glaube, eine Frau zu sein ist für den Job vielleicht ein Nachteil gewesen - es sei denn, man ist eine Karrierefrau, aber das war ich nicht.« ... »Meine Generation von Frauen wollte nicht wirklich ernsthaft arbeiten. Heute verfolgen die Mädchen ihre beruflichen Karrieren wesentlich ernsthafter.« ... »Ob ich mich nachdrücklich dafür einsetze, daß Frauen in Führungspositionen kommen? Damit mußte ich mich in der Praxis noch nicht wirklich auseinandersetzen. Aber ich glaube, es kommt ganz darauf an. Als geschäftsführende Leiterin einer Zeitungsredaktion etwa kann ich mir eine Frau nicht gut vorstellen...« »Ich glaube, das ist eine Männerwelt ... In der Welt von heute sind Männer für Führungspositionen und in bestimmten Situationen einfach besser geeignet als Frauen. In dem Job, den ich habe, wäre ein Mann, glaube ich, besser als eine Frau.«
Am Tag, als dieses Interview erschien, kam Elsie Carper, langjährige Reporterin und Redakteurin bei der Post und meine Freundin, wütend in mein Büro gerannt und sagte unter Verweis auf den letzten eben zitierten Abschnitt des Interviews: »Glaubst du das wirklich? Denn wenn du das wirklich meinst, dann kündige ich auf der Stelle.« Das rüttelte mich wach. Ich verstand, was sie meinte, doch bei mir dauerte die Entwicklung eines fundierten Bewußtseins für die Situation der Frauen noch sehr lange; sie verlief viel zu zögerlich. Beruflich blieb ich als Frau sehr isoliert; in meiner Arbeitswelt hatte ich niemanden, mit dem ich über solche Fragen reden konnte, schon gar nicht in den Chefetagen der Zeitungsbranche. Die Organisation, der ich mich gleich bei meinem Berufseintritt anschloß, die Werbebranchenorganisation Bureau of Advertising, war nur die erste von vielen im Lauf der Jahre, in denen ich das einzige weibliche Wesen war. Sitzungen und Tagungen waren für mich als alleinstehende Frau besonders schlimm, weil sie oft mehrere Tage dauerten und in Kurorten stattfanden. Dann gab es für mich Probleme gesellschaftlicher Art: wem ich mich beim Essen anschließen sollte, was ich unternehmen sollte, wenn Zeit zur freien Verfügung stand, was ich tun sollte, wenn die Männer kleine Gruppen bildeten und zusammen fortgingen. Mit am unangenehmsten wurde es für mich jedesmal, wenn das Bureau of Advertising alljährlich nach Detroit fuhr, um sich dort mit Repräsentanten der amerikanischen Automobilindustrie zu treffen - daß damals auf beiden Seiten nur Männer vertreten waren, versteht sich von selbst. Viele Jahre war ich dort so etwas wie ein Dorn im Fleisch. Ständig fühlten sich alle äußerst unwohl und befangen, weil ich mit im Raum war. Ein Redner nach dem anderen begann seine Ausführungen pflichtschuldigst mit den Worten »Meine Dame und meine Herren« oder »Meine Herren und Mrs. Graham«, was stets ein Anlaß zum Feixen und Kichern war. Mir war das äußerst unangenehm, und ich wünschte mir nichts sehnlicher als übergangen oder wenigstens nicht dauernd herausgehoben zu werden. Während einer bestimmten Sitzung des Bureau of Advertising hatte ein Freund von mir den Vorsitz bei einer Diskussionsrunde, in der ein Thema zur Sprache kam, mit dem ich mich noch nie beschäftigt hatte.
Zu meinem Schrecken beschloß er, reihum alle am Tisch Sitzenden nach ihrer Meinung zu diesem Problem zu befragen. Ich saß ihm zur Rechten, und die Umfrage begann zu seiner Linken, so daß ich zum Glück etwas Zeit hatte, über meine Antwort nachzudenken, während ich mir anhörte, was die anderen zu sagen hatten. Als sich alle außer mir geäußert hatten, brach der Vorsitzende einfach ab und tat so, als säße ich gar nicht mit am Tisch. Vielleicht wollte er mir gegenüber freundlich sein und ging davon aus, daß ich ohnehin nichts Relevantes zu sagen hätte. Danach entstand jedoch eine kurze Pause, ehe wir alle zu lachen anfingen und ich, vor Angst zitternd, schnell etwas sagte. Die peinliche Situation war vorüber. Ich habe oft beobachtet, daß Frauen für Männer manchmal einfach Luft sind. Man sieht durch sie hindurch, als wären sie nicht da. Jedesmal wenn ich die einzige Frau in einem ganzen Saal voller Männer war, litt ich unter der Angst, dumm oder unwissend zu erscheinen. Und doch muß ich zugeben, daß ich diesen Zustand mit der Zeit sogar etwas genoß. Einer Freundin gestand ich damals: »Man wird etwas verwöhnt, und es macht auch Spaß, wenn man andauernd die Tür aufgehalten bekommt.« Ein extremes Beispiel für meine Hinnahme der traditionellen Rollenverteilung von Männern und Frauen mag unwichtig erscheinen, war aber gleichwohl von grundsätzlicher Bedeutung. In Washington und andernorts, wo Dinnerpartys im großen gesellschaftlichen Rahmen gegeben wurden, gingen Männer und Frauen nach dem Essen ganz selbstverständlich getrennte Wege.
Die Männer blieben am Eßtisch sitzen, um bei Brandy und Zigarren über wichtige Themen zu sprechen, während sich die Frauen ins Wohnzimmer oder gar ins Schlafzimmer der Gastgeberin zurückzogen, um sich frisch zu machen und Klatschgeschichten auszutauschen. Meistens ging es um Kinder und Haushalt, die damals wie heute als typische Frauenthemen angesehen werden. Ich erinnere mich noch, einmal eine Anekdote über Cissy Patterson gehört zu haben, die, als sie nach dem Essen mit den anderen Frauen aus dem Raum geleitet wurde, gesagt haben soll: »Machen wir's kurz. Ich habe keine Probleme im Haushalt, und meine Tochter ist schon erwachsen.« Aber auch sie beugte sich der alten Sitte, wie ich. Noch lange nachdem ich aktiv ins Berufsleben eingestiegen war und den ganzen Tag mit Männern über Politik und Wirtschaft diskutierte, ließ ich mich gedankenlos mit den anderen Frauen aus dem Raum führen, wenn dieselben Männer abends über dieselben Themen sprachen - sogar in meinen eigenen vier Wänden. Schließlich aber fiel eines Abends - es war bei Joe Alsop - der Groschen: Mir wurde bewußt, daß ich den ganzen Tag gearbeitet, an einem Lunch in der Redaktion teilgenommen hatte und am Weltgeschehen nicht nur beruflich, sondern auch aus eigenem Antrieb äußerst interessiert war und jetzt trotzdem bis zu einer Stunde im Abseits verbringen sollte, ehe ich bei den Männern wieder willkommen war. An diesem Abend sagte ich Joe, der bislang immer besonders daran interessiert gewesen war, daß die Männer nach dem Essen unter sich blieben, es werde ihm doch sicher nichts ausmachen, wenn ich schon heimlich, still und leise nach Hause ginge, während die anderen Frauen sich zurückzögen. Doch Joe verstand das überhaupt nicht; im Gegenteil, er war entsetzt. In die Defensive gedrängt, behauptete er, die Trennung dauere doch gar keine Stunde, sondern nur so lange, daß alle Männer Gelegenheit hätten, zur Toilette zu gehen. Ich nahm ihm diese Version nicht ab und sagte, eigentlich sei es mir ganz lieb, wenn es einmal nicht so spät werde, ich freute mich schon auf meine Lektüre. Außerdem wolle ich ihm ja keine Vorschriften machen, sondern nur sagen, was ich persönlich lieber täte. Joe konnte sich mit dem Gedanken meines vorzeitigen Gehens jedoch überhaupt nicht anfreunden. Er versprach, wenn ich bliebe, dann sollten nach dem Essen alle Teilnehmer - Männer und Frauen - am Tisch versammelt bleiben. Meine Aktion war nicht das Ergebnis großartiger Überlegungen; mir war einfach nur der Gedanke gekommen, daß ich diese Stunde nach dem Essen besser nutzen könnte, wenn ich nach Hause ginge und die Frühausgabe der Post läse. Trotzdem blieb unverkennbar, daß sich meine beruflichen Erfahrungen jetzt endlich mit dem Einfluß der erstarkenden Frauenbewegung verbunden hatten. Ich hatte nicht den Vorsatz gehabt, eine Revolution zu entfachen, doch meine Aktion wirkte, als sich die Kunde davon verbreitete, gesellschaftlich geradezu umstürzlerisch. Weil ich in solchen Dingen als Konservative galt, war mein neuer Standpunkt besonders wirkungsvoll. Das Unlogische an der Gepflogenheit, Frauen hinauszukomplimentieren, damit Männer ernsthafte Gespräche führen konnten, wurde deutlich, und die alte Praxis verschwand allmählich in der ganzen Stadt.
Es war nicht ein einzelner dramatischer Moment, der meine Ansichten über die Rolle der Frau geändert hätte, vielmehr hatte ich gerade erst begonnen, mich auf die wirklich relevanten Themen im Umfeld der Frauenbewegung zu konzentrieren. So langsam mein Lernprozeß auch verlief - nach dem Geschmack vieler Frauen zweifellos viel zu langsam - so deutlich wurde mir letztlich, worum es ging, und ich engagierte mich immer mehr. Im Rückblick kann ich meine »lange Leitung« allerdings kaum noch verstehen. Die Sache gemeinsam mit Meg Greenfield zu durchdenken half mir sehr. Wir waren aus ganz unterschiedlichen Richtungen zur Frauenfrage gekommen, doch unsere Einstellungen waren einander am Ende überraschend ähnlich. Meg hatte schon vor dem Erfolg der Frauenbewegung (»Women's Liberation«) ihren Weg gemacht - in ihrer Anfangszeit bei der Post hing an ihrer Bürotür ein Schild mit der Aufschrift »Wenn ich befreit bin, werde ich nicht mehr zu Diensten sein« -, und sie hatte beruflich in ihrer Rolle mit ganz ähnlichen Vorurteilen zu kämpfen wie ich in meiner. Gemeinsame Lektüre half uns ebenso weiter wie die Versuche, unsere Gedanken zu formulieren. Meg dachte auch weiterhin viel über diese Dinge nach und unterstützte im August 1969 nachdrücklich den ersten Leitartikel unserer Zeitung zum Thema Gleichberechtigung der Frau. Es ging darin um den Fall der Sportreporterin Elinor Kaine, der in einem Footballstadion der Zutritt zur Pressetribüne verwehrt worden war. Weil sie nicht über das betreffende Spiel hatte berichten können, klagte sie vor Gericht. Im Kommentar der Post - geschrieben von einem »befreiten« Mann - hieß es dazu unter anderem: »Die Frauenbewegung, die vor einigen Jahren als schwächlicher weiblicher Debattierklub begann, breitet sich aus ... Zahllose Frauen, die sich früher in ihre Rollen gefügt haben - oft als Sklavinnen oder Stützen des männlichen Egos - erkennen jetzt, daß Schulen, Firmen, Kirchen und der Staat alle auf irgendeine Weise Frauen ausbeuten und unterdrücken.« Der Leitartikel schlug juristische und soziale Gegenmaßnahmen vor und schloß mit der Bemerkung: »Vielleicht können wir einfach mit der ultraradikalen Vorstellung beginnen, daß auch Frauen menschliche Wesen sind.«
Auch meine Freundschaft mit Gloria Steinem hatte auf mein Denken großen Einfluß. Sie war jünger als ich und von den fünfziger Jahren - und damit von einem ganz anderen Bezugsrahmen - geprägt worden. Zuerst hatte ich das Aufblühen der Frauenbewegung, zu deren wichtigsten Persönlichkeiten Gloria gehörte, aus der Ferne verfolgt. Die Pionierinnen des Feminismus mit ihren, wie ich heute weiß, notwendigerweise übertrieben radikalen Positionen schockierten mich. Aber anders hätte man die entscheidenden Punkte über die Gleichheit der Frau wohl nicht verdeutlichen können. Gleichwohl konnte ich die Militanz nicht verstehen, und symbolische Aktionen wie das Verbrennen von Büstenhaltern stießen mich ab. All das schien nur auf Männerhaß hinauszulaufen. Im Lauf der Zeit aber veränderte Gloria mehr als jede(r) andere mein Bewußtsein und half mir zu verstehen, was die Anführerinnen der Bewegung, aber auch die Extremistinnen eigentlich wollten. Ich erinnere mich noch an ihre ersten Bemühungen, ernsthaft mit mir über diese Thematik zu sprechen. Meine Antwort lautete zunächst: »Nein danke, das ist nichts für mich.« Doch sie ließ nicht locker. Ich weiß noch, daß sie mich ermutigte, einige der Mythen, die mit meinem altmodischen Denken verbunden waren, über Bord zu werfen. Sie sagte: »General Motors, das sich deines Bauches bemächtigt - weißt du, das geht auf diese Weise von unseren Vätern auf unsere Söhne über. Aber es gibt da drinnen auch noch dieses gewisse authentische Selbst, das dich leiten kann, wenn es nicht ganz eingestampft ist - und wenn wir nicht zuviel Angst haben, darauf zu hören.« Ich war ziemlich sicher, daß, was immer ich an »authentischem Selbst« besessen hatte, fast völlig »eingestampft« war. Doch Gloria wurde nicht müde, mir zu versichern, daß ich mich, wenn ich erst einmal verstanden hätte, worum es der Frauenbewegung ging, in meinem Leben gleich viel besser fühlen würde. Irgendwann ging auch mir dann notgedrungen ein Licht auf. Wie recht Gloria doch hatte! Als sie später einmal zu mir kam, um mich um eine Spende für ihr neues Zeitschriftenprojekt Ms. zu bitten, ließ ich ihr bereitwillig 20 000 Dollar für ihr Startkapital zukommen. Noch wirkungsvoller als Glorias Überzeugungsarbeit waren indes meine eigenen Erfahrungen: die Erlebnisse am Arbeitsplatz und der kumulative Effekt der vielen Treffen, Aufsichtsratssitzungen und Tagungen, bei denen ich als einzige Frau zugegen war. Auch in unserer eigenen Firma sah ich mehr als genug Beispiele dafür, was man tatsächlich von Frauen hielt. Sowohl bei der Post als auch bei Newsweek herrschte zweifellos die alte Annahme vor, weiße Männer seien dazu auserwählt, Geschäfte zu führen und Nachrichten zu redigieren. Liz Peer war eine der wenigen Ausnahmen. Sie kam frisch vom College in Connecticut und bewarb sich bei Newsweek - wo man sie jedoch umgehend wissen ließ, sie könne ihre Bewerbung gleich vergessen, wenn sie damit rechne, hier etwas schreiben zu dürfen. Doch sie hielt durch und gab sich zunächst mit der Bearbeitung von Leserbriefen zufrieden. Als eines der sogenannten Elliott Girls las sie am Freitagabend Korrektur für Oz. Liz war die einzige Frau, die zwischen 1961 und 1969 bei Newsweek die Chance erhielt, ihre Schreibkünste unter Beweis zu stellen. (Dagegen wurden zahlreiche andere Talente übersehen und auf traditionell weibliche Dienstleistungsfunktionen in der Recherche festgelegt.) Von 1962 an durfte Liz schreiben, und 1964 wurde sie Korrespondentin im Pariser Büro von Newsweek. Später erzählte sie, auf ihre zögernde Nachfrage, ob mit der Berufung nach Paris auch eine Gehaltserhöhung verbunden sei, habe Oz indigniert geantwortet: »Was wollen Sie denn? Denken Sie doch mal an die Ehre, mit der wir Sie bezahlen.« Wie Liz mir sagte, war für sie der destruktivste Aspekt der Minderheitenpsychologie, »daß man selbst allmählich die Überzeugungen der Mehrheit teilt: nämlich daß man weniger fähig, weniger intelligent, weniger formbar und weniger wert sei, Verantwortung zu tragen«. Und das war genau, was auch ich empfunden hatte.
Zu meiner eigenen Überraschung verinnerlichte ich das neue Denken. Und obwohl ich immer noch zu Vereinfachungen neigte, begann ich allmählich zu verstehen, wie ernst und komplex die ganze Materie war. Natürlich konnte ich in meiner Position mehr tun, als nur über die Probleme der Frauen am Arbeitsplatz nachzudenken: Ich konnte versuchen, etwas dagegen zu unternehmen. Je klarer mir die Zusammenhänge wurden, desto deutlicher erkannte ich auch meine Verantwortung an. Ich versuchte aktiv, mal bei Kleinigkeiten, mal im größeren Kontext, etwas für die Wahrnehmbarkeit von Frauen im Arbeitsleben zu tun. Gleichzeitig bemühte ich mich, mehr Sensibilität für Themen zu wecken, auf die es Frauen besonders ankam. Als Managerin hatte ich nun zwar ein gewisses Problembewußtsein, aber noch keine klare Vorstellung davon, wie ich unter Mitwirkung betont chauvinistischer Manager Änderungen in der Praxis herbeiführen könnte. Ich spürte - wie andere Frauen in Managementpositionen auch - eine besondere Verpflichtung, alte Vorurteile zu begraben: indem ich mich weigerte, sie weiterhin zu akzeptieren, und sie stets aktiv bekämpfte. Schon viel zu lange hatten Frauen zweifelhafte Mythen und Annahmen über das eigene Geschlecht hingenommen. Aber auch die Männer benötigten Hilfe, um die Macht der Vorurteile brechen zu können, unter denen sie gleichfalls zu leiden hatten. Ich bemühte mich sehr, die Männer in meiner Umgebung zu erziehen und ihr Bewußtsein zu verändern, obgleich ich mich selbst noch im Anfangsstadium des Umdenkens befand. So schrieb ich zum Beispiel unserem Personalchef, nachdem ich ein Exemplar seines Rundschreibens erhalten hatte, mit dem er einige neue Mitarbeiter der Post vorstellte. Ich wies ihn auf die darin enthaltenen subtilen Auswirkungen von Vorurteilen hin. Alle Männer waren nämlich mit Nachnamen aufgeführt, alle Frauen mit Vornamen. »Man kann es so oder so halten«, schrieb ich, »aber bitte einheitlich. Ich bin generell für Vornamen. Das mag als oberflächliche Nebensächlichkeit erscheinen, aber die Einstellung, die sich dahinter verbirgt, ist es nicht.« In der Firma mußte ich mir oft Beschwerden von Mitarbeiterinnen anhören. Elsie Carper berichtete, sie erhalte ständig nur relativ unwichtige Reportageaufträge, und Meryle Secrest aus der »Style«-Abteilung beschwerte sich, daß sie immer nur Frauen interviewen solle, niemals einen Mann. Nach unserem Gespräch schrieb ich Meryle, sie finde bei mir jederzeit offene Ohren, aber ich könne den zuständigen Redakteuren nicht in den Rücken fallen: »Ich meine, daß die Redakteure entscheiden müssen, wie und wo Reporter eingesetzt werden.« Ich fürchte nur, daß ich die Redakteure nicht genug gedrängt habe, die beanstandeten Verfahrensweisen zu ändern. Als Newsweek einen Redakteur für die Seiten »Back of the Book« suchte, schlug ich die fähige Kunstkritikerin der New York Times, Aline Saarinen, vor, die jedoch bei den Redakteuren von vornherein keine Chance hatte. Herablassend erklärte man mir, es sei völlig undenkbar, eine Frau in Betracht zu ziehen: Der Redaktionsschluß liege zu spät am Abend, der Wochenendstreß sei zu groß, und den physischen Anforderungen des Jobs seien Frauen sicher nicht gewachsen. Heute ist es mir geradezu peinlich, daß ich diese Argumente damals passiv hingenommen habe. Obwohl ich Firmenchefin war, fiel es mir sehr schwer, in einer Zeit, da weiße Männer alles in der Hand hatten, Veränderungen durchzusetzen. Wenigstens ansatzweise gelang es mir jedoch. Ben und ich diskutierten zum Beispiel laufend über die in der Zeitung verwendete Sprache. 1970, im Zeichen des »Jahres der Frau«, war ich unter den ersten fünf Frauen überhaupt, die in den Washingtoner Ortsverein des Journalistenzirkels Sigma Delta Chi aufgenommen wurden. In meiner Festrede beim Dinner am Abend unserer Einführung sprach ich darüber, wie wir Zeitungsleute über Frauen redeten, und nannte als Beispiel eine denkbare Schlagzeile der Washington Post über meine Aufnahme in diese Organisation: »Journalistenverbindung zieht berufstätige Oma an Land« (»Newsmen's Frat Taps Working Grandma«).
Gerade in der Vorwoche hatte Ben endlich auf zahlreiche Bitten eines Komitees besorgter Reporterinnen bei der Post reagiert und ein Rundschreiben zum Thema unbewußt tendenziöser Berichterstattung an alle Redaktionsmitglieder gesandt. Darin warnte er vor der Verwendung von Wörtern wie »Ex-Gattin«, »Großmutter«, »Blondine (oder »Brünette«) und »Hausfrau« in allen Zusammenhängen, in denen man nicht auch die männlichen Äquivalente dieser Begriffe verwenden würde, wenn es um einen Mann ginge. Weiter hieß es in Bens Memo:
Wörter wie »lebhaft« (vivacious), »schnippisch« (pert), »voller Grübchen« (dimpled) oder »niedlich« (cute) sind schon lange zu Klischees erstarrt und allein schon aus diesem Grunde verzichtbar - ohne Beeinträchtigung unserer Bemühungen um anschauliche Beschreibungen in Zeitungsartikeln ... Storys, in denen es um die Leistungen von Frauen geht ... sollten ohne eine Spur von Herablassung verfaßt sein.
Die Gefühle zum Thema Gleichberechtigung der Frau waren langsam, aber sicher immer hitziger geworden, bis es Anfang der siebziger Jahre zu Eruptionen kam. Berufstätige Frauen versuchten ihre Gleichstellung nun auch auf dem Prozeßweg durchzusetzen. Im März 1970 erhoben sechundvierzig Mitarbeiterinnen von Newsweek bei der Equal Employment Opportunity Commission (Kommission für die Sicherstellung gleicher Berufschancen, EEOC) Klage wegen Diskriminierung. [1] Es war kein Zufall, daß am gleichen Tag in Newsweek die erste Titelgeschichte über die Frauenbewegung erschien: »Women in Revolt«. Ich bin sicher, daß die Frustration dieser Mitarbeiterinnen nicht zuletzt daher rührte, daß damals bei Newsweek nur eine einzige Frau schreiben durfte und selbst dieser die Qualifikation abgesprochen wurde, die Titelgeschichte über die Frauenbewegung zu schreiben. Statt ihrer wurde die freie Autorin Helen Dudar, die Frau des Newsweek-Autors Peter Goldman, engagiert. Ich war zu dieser Zeit gerade unterwegs, als mich Fritz Beebe und Oz EIliott gemeinsam anriefen und mir über die Klage der Mitarbeiterinnen berichteten. »Und auf welcher Seite soll ich nun stehen?« fragte ich, woraufhin Fritz schnell erwiderte: »Das ist kein Witz, sondern eine ernste Angelegenheit.« Auf einen solchen Gedanken wäre ich überhaupt nicht gekommen; auch meine Frage war nicht als Witz gemeint gewesen. Nach meiner Rückkehr bekam ich mehr mit dem Streit zu tun und stand als Angehörige des Managements natürlich zwischen den Fronten. Als sich die Lage im Zeichen der Auseinandersetzungen verschärfte, schrieb ich einem Leser eher defensiv: »Ich stimme Ihnen zu, daß die wöchentlichen Nachrichtenmagazine traditionellerweise allem Anschein nach Frauen benachteiligt haben. Wir hatten schon von uns aus geplant, die beruflichen Möglichkeiten für Frauen zu erweitern - und wir werden das auch weiterhin tun. Ich glaube aber, daß uns das besser und leichter möglich gewesen wäre, wenn die Gruppe bei Newsweek ihre Probleme vor der Einleitung juristischer Schritte zunächst mit uns besprochen hätte.« Im Rückblick ist mir natürlich klar, daß die Betroffenen sicher auf einer unteren Ebene ihre Beschwerden wiederholt intern vorgebracht hatten, ohne daß ich etwas davon mitbekommen hatte. Wir konnten die Probleme schließlich bereinigen - aber nicht gründlich genug. Im August 1970 erreichten wir eine Verständigung, doch zwei Jahre später ging das Ganze wieder von vorne los, als die Redaktionsleitung beschuldigt wurde, sich nicht an die Übereinkunft gehalten zu haben. Diesmal war die Lösung erfolgreicher. Ich glaube auch nicht, daß beim ersten Anlauf böser Wille eine bessere Übereinkunft verhinderte. Uns fehlte einfach das nötige Verständnis. Auch die Post geriet unter Beschuß. Nachdem frühere Beschwerden kaum beachtet worden waren - und nachdem vor allem fast nichts geschehen war - unterzeichneten neunundfünfzig mit den Reaktionen des Managements deutlich unzufriedene Frauen einen Beschwerdebrief, den sie mir, Ben, Phil Geyelin und Howard Simons schickten. Darin ließen sie firmeninterne Statistiken für sich selbst sprechen und verglichen sie mit unserem erklärten Ziel, »der Gleichheit und Würde von Frauen vollständig zu ihrem naturgemäßen Recht zu verhelfen«. Die Beschwerdeführerinnen vermerkten, daß die Post gegenüber der zwei Jahre zuvor offiziell verkündeten Verlagslinie sogar Rückschritte gemacht habe. Seither habe »Style« die früheren Frauenseiten ersetzt, und diese Änderung habe vier Frauen den Job gekostet. Neben mir sei allein Meg Greenfield im oberen Management der Zeitung vertreten. An einem bestimmten Punkt der Auseinandersetzungen ernannte Ben in der Nachrichtenredaktion ein Komitee, das ihm Vorschläge unterbreiten sollte, was für die Chancengleichheit der Frauen getan werden könne. Den Bericht dieses Ausschusses leitete Ben befürwortend weiter und empfahl die Schaffung mehrerer neuer Stellen für Frauen - und für Farbige, die unter vergleichbarer Diskriminierung litten. Ich mahnte daraufhin jedoch zu mehr Umsicht: Ein allzu unvermittelter Ausgleich durch zusätzliches Personal sei möglicherweise der falsche Weg. »Zeit, nachhaltige Bemühung und ein Wandel der Einstellungen« seien noch wichtiger, um das Problem richtig zu lösen.
Vor allem aber glaubte ich, auch im geschäftlichen und nicht nur im redaktionellen Bereich der Zeitung müßten vergleichbare Anstrengungen unternommen werden. Denn dort war meines Erachtens der Nachholbedarf für Ausgleichsmaßnahmen sogar noch größer. Elsie Carper, die sich Anfang des Jahres dafür eingesetzt hatte, lieber mittels einer Petition an die Chefetage als auf dem Prozeßweg Abhilfe zu suchen, wurde schließlich zur Personalchefin ernannt - mit dem Auftrag, mehr Frauen und mehr Schwarze einzustellen. Dank ihrer Arbeit veränderte sich die Lage bei unserer Zeitung nachhaltig. Wie alle großen Firmen und Zeitungsverlage, die allesamt von weißen Männern beherrscht wurden, mußten wir in dieser Zeit viel lernen. Sowohl bei der Post als auch bei Newsweek machten wir vieles richtig, aber auch vieles falsch, als wir uns um neue Verfahrensweisen bemühten und auf Probleme reagierten. Schon vor dem Ende der sechziger Jahre waren wir guten Willens gewesen, doch unsere Erfolgsbilanz blieb recht durchwachsen. Phil hatte sich für die Einstellung von Schwarzen eingesetzt, und er hatte sogar einen schwarzen Reporter engagiert, aber dem Ganzen fehlte letztlich die Zielstrebigkeit. Als dann in den siebziger Jahren Schwarze und Frauen in größerer Zahl eingestellt wurden, behandelte man die neuen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zunächst weder bei der Post noch bei Newsweek mit genügend Sensibilität, Verständnis und Sorgfalt. Doch galt das damals für fast jede durchschnittliche Firma in Amerika. Vor allem wurde zunächst nicht ausreichend auf die Qualifikation geachtet, und dann wurde es zum großen Problem, ungeeignete Mitarbeiter umzuschulen, weiterzubilden oder wieder loszuwerden. Letztlich aber verbesserte sich die Lage sowohl bei der Post als auch bei Newsweek dramatisch. Ohne die Klagen und Prozesse der Mitarbeiter und ohne die Gesetzesinitiativen der Regierung wäre der Wandel wesentlich langsamer vonstatten gegangen. Meine eigenen Reaktionen auf die Klagen der Mitarbeiterinnen waren gemischt: Einige Verfahren hielt ich für unfair, andere nicht. Allerdings ist es für den Fortschritt fast immer gut, wenn es zu Konfrontationen kommt. Eine gewisse Ironie liegt darin, daß wir schon zuvor überdurchschnittlich viel für Frauen und Schwarze getan hatten. Bei den meisten anderen Zeitungen und Magazinen gab es dagegen gar nicht genug Frauen oder Minoritäten, die eine Konfrontation mit dem Management hätten suchen können. Während des ganzen Durcheinanders im Zeichen der Frauen- und Minderheitenproblematik war Meg meine hochgeschätzte Beraterin. Damals, als ständig Klagen, Beschwerden bei der EEOC und andere Kämpfe ausgefochten wurden, schrieb sie mir ein verblüffendes Memo, in dem sie sich klar gegen Quotenregelungen aussprach:
- Ich greife zu dem eher prätentiösen Mittel, Dir ein Memo zu schicken, weil ich fest davon überzeugt bin, daß (eine Quotenregelung) ein Fehler wäre - und zwar kein kleiner. Alle hier ... sind der Meinung, daß wir viel mehr als bisher tun müssen, um Schwarzen und Frauen bei der Post Chancengleichheit zu verschaffen, und daß wir dann nicht nur ein gerechterer Arbeitgeber sein, sondern auch als Zeitung davon profitieren werden. Soweit ich weiß, ist hier niemand von der Einführung eines sogenannten Quotensystems begeistert oder gar glücklich darüber - auch jene nicht, die Prozentzahlen etwas abgewinnen können. Wenn ich eines der wichtigsten Argumente, die für eine solche Regelung angeführt werden, richtig verstehe, dann soll das Quotensystem jetzt bindend eingeführt werden, weil es offenbar keinen anderen Weg gibt, konkrete Handlungsfortschritte zu erzielen oder Bedenkenträgern den Wind aus den Segeln zu nehmen. ... Wollen wir uns wirklich das Armutszeugnis ausstellen, daß wir unfähig sind, das, was nach unser aller Ansicht wünschenswert und fair ist, in die Tat umzusetzen, ohne uns einer Prozedur zu bedienen, die uns keine Wahlfreiheit mehr läßt, unseren besten Instinkten zu folgen? Einer Prozedur also, die uns automatischen, in irgendwelchen Verträgen oder Abmachungen festgehaltenen Anforderungen unterwirft?... Dies sind natürlich praktische Bedenken. Aber ich hege auch prinzipielle Bedenken, die mir mindestens so wichtig sind, wenn nicht gar noch wichtiger ... Denn damit bewegen wir uns fast unmerklich weg von dem Anliegen, die Auswirkungen früherer Diskriminierungen zu beseitigen und auszugleichen. Natürlich kann man dabei nicht ganz »farbenblind« vorgehen, aber der naheliegende nächste Schritt ist dann, daß wir uns erneut damit abfinden, daß Rasse (und Geschlecht) legitime Kriterien für die Behandlung von Menschen sein sollen...
Abschließend schrieb Meg: »Verzeih den melodramatischen Tonfall, aber ich sähe in der Washington Post lieber eine jener seltenen Institutionen, die den enormen Preis einer Wiedereinführung von Geschlecht und Rasse als Vertragsgrundlagen rechtzeitig erkannt und sich der Versuchung modischer und bequemer Lösungen widersetzt haben - eine Institution, die in weiser Voraussicht die Kraft hatte, nein zu sagen.«
Auch jenseits des Arbeitsplatzes gab es in den frühen siebziger Jahren viele Bollwerke männlicher Überlegenheitsgefühle, deren Mitglieder verständnislos reagierten, in Washington zum Beispiel den National Press Club, den Gridiron Club und den Federal City Council. Der Gridiron Club (»Netzwerk Club«) hielt jedes Jahr ein Dinner ab, bei dem die Mitglieder, allesamt Journalisten und Redakteure, für ein Publikum, das aus Politikern, Firmenbossen und anderen Prominenten sowie Zeitungsleuten aus dem ganzen Land bestand, politische Sketche und Songs zum besten gaben. Natürlich war das eine rein männliche Angelegenheit. Hier wie auch an einigen anderen Stellen war es sogar für schwarze Männer leichter, aufgenommen zu werden, als für weiße Frauen. Damals hatten Reporterinnen schon begonnen, vor dem Ort des Geschehens Posten zu beziehen, Gegenpartys zu geben sowie Regierungsbeamte zur Absage zu drängen. Weil der Club den Druck spürte und wußte, daß Änderungen erforderlich wurden, beschlossen die Vorstandsmitglieder 1972, einige Frauen als Gäste hinzuzubitten. Insgesamt waren es neunzehn, und ich gehörte dazu. Nach all den Jahren unfreiwilliger Abstinenz war ich zunächst von dieser Einladung ganz begeistert und zur Teilnahme schon fest entschlossen, als ich einen Brief erhielt, der von zahlreichen Frauen aus der Post-Redaktion und aus den Redaktionen anderer Zeitungen unterzeichnet war und in dem ich gebeten wurde, die Einladung so lange nicht anzunehmen, bis der Gridiron Club Frauen als reguläre Mitglieder akzeptiere. Der Club hatte allerdings eine festgelegte Mitgliederzahl und war zu diesem Zeitpunkt voll besetzt. Mir erschien jedoch bereits die Geste der Einladung als vielversprechender Beginn, und außerdem wollte ich einfach gern dabeisein. Ich lud einige der Briefschreiberinnen zum Essen zu mir nach Hause ein, um mit ihnen über die Angelegenheit zu sprechen, darunter auch Meg Greenfield, Liz Peer und Elsie Carper. Sie trugen viele stichhaltige Argumente vor, doch den Ausschlag gab schließlich Sally Quinn mit ihrer Frage: »Wenn dich ein Country Club ausschlösse, weil du Jüdin bist, und wenn er dich dann trotzdem als Gast zu einem Essen einladen würde, würdest du dann hingehen?« Ich lehnte die Einladung dankend ab.
Am Abend des großen Ereignisses wollten Meg und ich zusammen essen. Meg hatte Überstunden gemacht, und als sie das Gebäude der Post verließ, formierte sich gegenüber dem Statler Hotel auf der anderen Straßenseite schon eine kleine Protestkundgebung. Auf Plakaten war zu lesen: »Schreibt nur weiter, Schwestern«, »Ich bin Mitglied im No-Iron Club - Unterstützt eine dauerhaft freie Presse« und »Dies ist das letzte Abendmahl«. Meg sah, daß Judith Martin - inzwischen als »Miss Manners« bekannt - mit einem Kinderwagen vor den Demonstrantinnen auf und ab marschierte. Meg beschrieb mir die Szene, und da wir uns nicht trauten, uns unter die Protestierenden zu mischen, beschlossen wir, uns wenigstens das Spießrutenlaufen anzusehen: die Männer im Frack und die wenigen Frauen, die die Einladung angenommen hatten. Weil wir glaubten, in Megs zerbeultem Ford Mustang weniger auffällig zu sein als in meinem leichter zu identifizierenden Auto, sprangen wir in Megs Wagen und begannen unsere Fahrt um den Block, indem wir uns so lässig wie möglich gaben. Wir fuhren am Hotel vorbei, um zu sehen, was uns entging. Angesichts des massiven Presse- und Medienaufgebots fürchteten wir allerdings, irgendeine Kamera könne uns erwischen und ein schreckliches Foto schießen, zu dem wir uns schon lebhaft die passenden Unterschriften vorstellten. Aber wir konnten der Versuchung einfach nicht widerstehen. Also setzte sich Meg ans Steuer, und ich duckte mich, so gut ich konnte. Meg ihrerseits versuchte, nicht aufzufallen, indem sie direkt hinter einem Bus herfuhr, der uns teilweise verdeckte. Was wir sahen, belustigte uns sehr: vorfahrende Limousinen und Männer im Frack neben dem Kinderwagen und den Plakaten der Demonstrantinnen. Nach einigen Runden um den Block fuhren wir zu mir nach Hause und nahmen dort unser Abendessen ein. Wir lachten herzhaft und freuten uns, beide Seiten der Medaille kennengelernt zu haben. Erst 1975 revidierte der Gridiron Club seine Aufnahmebestimmungen und ließ Frauen als Mitglieder zu. In jenem Jahr nahm ich auch erstmals am Dinner teil.
Ein weiterer Fall war der Federal City Council. Phil hatte wesentlich zur Entstehung dieses Gremiums beigetragen, das sich mit Hauptstadtproblemen befaßte, und viele Post-Manager waren oder sind dort noch Mitglied. Daß ich selbst nicht dazugehörte, wurde mir erst klar, als ich eines Tages eingeladen wurde, zusammen mit den Mitgliedern die damals noch im Bau befindlichen U-Bahn-Strecken der Hauptstadt zu besichtigen. Ich war ganz sicher, daß auch Frauen Mitglieder im Council gewesen waren, als Phil ihn gegründet hatte, während nun auf einmal keine Frau mehr zugegen war. Etwas indigniert erkundigte ich mich, wie es so weit kommen konnte, und drohte mit entsprechenden Berichten der Post, wenn nicht ganz schnell Abhilfe geschaffen und Frauen die Mitgliedschaft angeboten würde. Schon sehr bald wurde ich daraufhin mit einigen anderen Frauen eingeladen, Mitglied des Council zu werden.
Frauenfragen beschäftigten mich in jenen Jahren ständig. Ich brauchte zwar lange, bis ich einige früh in mir verankerte Ansichten zur Rolle der Frau losgeworden war, aber schließlich hatte ich die grundlegende Bedeutung der Probleme verstanden, um die es hier ging: Chancengleichheit am Arbeitsplatz, Aufstiegschancen, gleiches Geld für gleiche Arbeit, Möglichkeiten der Kinderbetreuung, damit Frauen berufstätig sein konnten. Bei mir persönlich bewirkte die Frauenbewegung vor allem eine Klärung meines Denkens. Nicht die zentrale Botschaft der Bewegung - Gleichheit der Frau und weibliche Gleichberechtigung war mir die wichtigste, sondern daß es auch Frauen zusteht, den ihnen gemäßen Lebensstil zu wählen. Wir Frauen haben alle das Recht, auch andere Rollen zu spielen als die uns traditionell zugedachte: einen Mann zu kriegen, ihn zu halten und ihm gefällig zu sein. Ich kam schließlich zu der Einsicht, daß, wenn Frauen dieses Recht beanspruchten und danach handelten, sich nicht nur ihre Situation, sondern auch die der Männer verbessern würde. Ironischerweise wurde gerade in den späten sechziger und frühen siebziger Jahren, als ich mich mit so vielen persönlichen und beruflichen Problemen auseinanderzusetzen hatte, mein Profil in der Öffentlichkeit deutlicher und schärfer. Zu meiner Überraschung wurde plötzlich viel über mich geschrieben. Den Anfang hatte im wesentlichen Arthur Schlesingers Vogue Beitrag von 1967 gemacht. Ebenfalls 1967 erschien ich auf den Titelseiten von Business Week und Washingtonian. Für mich war das eine völlig neue, fremdartige Erfahrung. Sogar meine Mutter war beeindruckt und bat um ein Dutzend Exemplare des Washingtonian mit seiner schmeichelhaften Titelgeschichte über mich. Ich war es nicht gewohnt, interviewt zu werden, und die Artikel über mich machten mich eher befangen. Normalerweise lehnte ich Interviewwünsche ab und war nur dann entgegenkommend, wenn ich glaubte, das würde der Washington Post Company nützen. Fernsehinterviews dagegen lehnte ich kategorisch ab, weil ich meine Privatsphäre unbedingt schützen wollte. An dieser Art Medienpräsenz lag mir überhaupt nichts. Hinzu kam aber auch, daß ich mich vor Fernsehkameras unwohl und gehemmt fühlte. Mit dieser Nervosität hätte ich niemals ein gutes Bild abgegeben, selbst wenn ich es gewollt hätte. Trotz meiner Selbstzweifel war ich jedoch glücklich, daß die Beiträge über mich so positiv ausfielen. Und es gab ja auch Dinge, die mir wirklich gelangen und die ich von Anfang an richtig machte. Beispielsweise habe ich es mir früh angewöhnt - und diese Gewohnheit bis heute beibehalten -, Leserbriefe zu beantworten, ganz gleich, ob sie Lob oder Tadel enthielten. Die Menschen brauchen das Gefühl, daß sie auf Gedrucktes oder Gesendetes reagieren können, daß ihnen irgend jemand wirklich zuhört und sie ernst nimmt. So spiegeln sich auch in meiner Leserbriefkorrespondenz die zeitgeschichtlichen Spannungen und Auseinandersetzungen. Meistens nahm ich dabei meine Redakteure in Schutz, besonders gegen Beschwerden von Regierungsstellen. Aber ich versuchte auch, dem Verlag unnötige Aufregungen zu ersparen. Manchmal war es genauso schwer, mich mit einem Reporter oder Redakteur meines Blattes auseinanderzusetzen, wie mit außenstehenden Beschwerdeführern. Denn Redakteure neigen zu einer defensiven Grundeinstellung. Sie wollen sich, wie Ben sagt, immer »ducken«, um Angriffen zu entgehen - eine natürliche Reaktion, die auch ihre guten Seiten hat, weil sie oft dem Schutz der beteiligten Reporter dient. Redakteure erhalten so viele unberechtigte Beschwerden, daß sie sich verhärten - so sehr, daß sie sich oft sogar gegen absolut überzeugende Argumente wehren. Letztlich müssen sich Redakteure ihrer Sache schon sehr sicher sein, damit sie nicht rigide werden, sondern sorgfältig auf berechtigte Kritik und Gegenargumente hören und sich konstruktiv damit auseinandersetzen können. Es dürfte kaum überraschen, daß wir Verleger und Redakteure genauso heftig auf gezielte Grausamkeiten reagieren wie umgekehrt die Öffentlichkeit. Ich weiß, daß Reportern, über die noch nie öffentlich geschrieben wurde, oft ein ausreichendes Gespür für die Gefühle jener fehlt, über die sie schreiben. Oft wünsche ich mir, daß jene Journalisten, die ihren Opfern in Artikeln übermäßig zusetzen und denen dies offenkundig Freude bereitet, selbst einmal Ziel ähnlicher Angriffe würden. Weil ich selbst mehr als genug solcher Grausamkeiten erdulden mußte, gebe ich mir alle Mühe, das Augenmerk auf Fairneß zu lenken. Und darum reagiere ich grundsätzlich mit Sympathie auf vernünftige Beschwerden unserer Lesen
1970 richtete die Post - als zweite amerikanische Zeitung überhaupt die Stelle eines Ombudsmanns ein. Seine Aufgabe besteht darin, Beschwerden über alles, was in der Zeitung geschrieben wurde, entgegenzunehmen und ihnen nachzugehen. Doch selbst Berichtigungen können Probleme bereiten, besonders wenn der Versuch, einen offenkundigen Irrtum zu korrigieren, das ursprüngliche Problem nur noch verschärft. In gewissem Sinne sind wir in den Medien alle Ombudsmänner, weil wir uns bemühen, etwas gegen das Gefühl zu tun, das manche Leute quält: daß sie ohnmächtig seien und niemand ihnen Gehör schenke.