Fünfzehntes Kapitel

Noch heute ist es schwer zu bewerten, wie gut John F. Kennedy seine Sache als Präsident der Vereinigten Staaten in der relativ kurzen Amtszeit machte, die ihm vergönnt war. Aber es ist überhaupt nicht schwer, sich die Aufbruchstimmung und Hoffnung ins Gedächtnis zurückzurufen, die einen jungen Präsidenten begleiteten, der energiegeladen und eloquent daranging, alte Probleme auf neue Weise zu lösen. Besonders am Anfang waren wir von den Aussichten dieser Regierungszeit regelrecht elektrisiert. Phil und ich hatten zu Johnson ein wesentlich engeres Verhältnis gehabt als zu Kennedy, doch besonders Phil kam Jack Kennedy im Laufe der Zeit immer näher. Die beiden verkehrten ganz entspannt miteinander. Als sich Phil eines Abends beim Dinner bei Joe Alsop wie so oft als politischer Ratgeber betätigte, erwiderte Kennedy spöttisch: »Phil, wenn sie dich zum Hundefänger gewählt haben, werde ich mir deine politischen Ratschläge anhören.«
Viele der von Kennedy Berufenen waren oder wurden und blieben unsere Freunde - darunter Douglas Dillon und Arthur Schlesinger. Schlesinger diente dem Präsidenten als Sonderberater für Lateinamerika und für kulturelle Fragen, vor allem aber als sein »Hofphilosoph« vor Ort. Unser alter Freund Ken Galbraith wurde Botschafter in Indien. Weil er Kennedy in wirtschaftlichen Fragen jedoch näherstand als die meisten anderen, pendelte er zu Konsultationen mit dem Präsidenten häufig zwischen Indien und Washington hin und her. Kennedy sagte einmal zu Galbraith: »Ich will von niemand anders etwas über Landwirtschaft hören als von Ihnen, Ken, und ich will darüber auch von Ihnen nichts hören.« Robert McNamara, den wir zuvor nicht gekannt hatten, wurde Verteidigungsminister. Unser Kontakt entwickelte sich zwar langsam, aber im Laufe der Zeit wurden Phil und ich feste Freunde von Bob und Margy. Die Freundschaft zwischen Bob und mir hält bis heute an. Bill Walton wurde zum Vorsitzenden der Fine Arts Commission in Washington ernannt. Kennedy hatte gedacht, es handele sich dabei um eine hauptamtliche Position mit einem angemessenen Gehalt, mußte aber zu seinem Leidwesen feststellen, daß dem nicht so war. Trotz der auf diese Weise erzwungenen Ehrenamtlichkeit ging es Bill in seinem Amt bestens, denn er konnte auf die Gestaltung der Stadt großen Einfluß nehmen. Das galt zum Beispiel auch für den Lafayette Square. Jackie Kennedy half er bei der Renovierung des Weißen Hauses und bei der Auswahl von Kunstwerken für die umgestaltete Residenz. Was zu unserem Enthusiasmus für die neue Regierung besonders beitrug, war die Tatsache, daß die neuen Männer in der Umgebung des Präsidenten, und vor allem der Präsident selbst, unsere Altersgenossen waren. Wir waren jetzt nicht mehr die jungen Bekannten einer älteren Generation, die das Regierungsgeschehen bestimmte. Seit Phil wenige Tage vor seinem einunddreißigsten Geburtstag Verleger der Post geworden war, waren wir anscheinend immer die jüngsten in der Runde gewesen. Jetzt aber war unsere eigene Generation angetreten, das Land zu regieren. Anfang März 1961 war Phil schon wieder wie früher an allen Fronten mehr als aktiv - in der Politik genauso wie bei der Post - und ich hatte den Eindruck, als bereite ihm alles große Freude. Heute kann ich allerdings erkennen, daß seine Aktivitäten schon wieder zunehmend wild wurden, obwohl sie weitgehend konstruktiv blieben.
Das deutlichste Beispiel war der Kauf des Nachrichtenmagazins Newsweek, das damals nur ein schwacher, weit abgeschlagener Konkurrent der Time war, kaum profitabel und vor allem für Geschäftsleute interessant. Das Magazin News- Week war im Februar 1933 erstmals erschienen und wurde 1937, nach dem Kauf durch Vincent Astor, Averell Harriman und einige andere Investoren, in Newsweek umbenannt. Nach Vincent Astors Tod wurde die Astor Foundation (in der Vincents Witwe Brooke das Sagen hatte) praktisch Eigentümerin des Magazins, und die Treuhänder entschieden, daß das Blatt verkauft werden sollte. Schon im Januar 1961 hatte jemand aus dem kaufmännischen Bereich der Post Phil berichtet, daß das Nachrichtenmagazin zum Verkauf stehe, und Phil hatte gesagt, er sei nicht interessiert. Dann war eine Gruppe aus dem Newsweek-Management unter Führung von Malcolm Muir, dem Chairman, an Phil herangetreten, der die Idee jedoch erneut verwarf. Schließlich wurde Phil von Keri Crawford, dem mit ihm befreundeten Leiter des Washingtoner Newsweek-Büros, und Ben Bradlee, Crawfords Assistent, bearbeitet. Allmählich muß ihm der Gedanke dann doch verlockend erschienen sein, denn als Ben Bradlee Phil eines Abends zu Hause anrief (Ben nannte dieses Telefongespräch später »das beste Telefonat meines Lebens - das glücklichste, produktivste, aufregendste, fruchtbarste«), antwortete Phil, er solle doch gleich einmal vorbeikommen. Phil unterhielt sich bei uns lange mit Ben und bat ihn dann, nach Hause zu gehen und ihm ausführlich schriftlich darzulegen, warum er, Phil, das Magazin kaufen solle. Er ermutigte Ben, offen seine Meinung zu sagen, denn er, Phil, werde als einziger dieses Memo lesen. Ben ging um drei Uhr morgens heim und verbrachte den Rest der Nacht damit, ein langes Memo aufzusetzen, gerade so, wie ihm die Gedanken in den Sinn kamen. Das Memo existiert leider nicht mehr, scheint Phil jedoch überzeugt zu haben. Einige Tage später, Ende Februar, trafen sich Phil und Ben erneut abends in unserem Haus. Ben hatte noch Oz Elliott, den sechsunddreißigjährigen Chefredakteur von Newsweek, mitgebracht. Wie sich Ben erinnert, fanden Phil und Oz sofort zueinander: »Phil hatte die Angewohnheit, sich beim Reden immer selbst zu überholen. Er fing einen Satz an, schaltete um und erwartete dann, daß die anderen wußten, was er meinte und worauf er hinauswollte.
Elliott hatte dieselbe Wellenlänge, und so kamen sie von Anfang an bestens miteinander klar.« Am folgenden Tag flog Phil nach New York, wo er sich mit den Anwälten und Finanzberatern der Verlagsgesellschaft beriet. Er zog von sich aus auch Fritz Beebe hinzu, der uns schon beim Erwerb der Washington Times-Herald geholfen hatte. Nachdem Fritz das vorgelegte Zahlenwerk positiv beurteilt hatte, entschloß sich Phil, das Magazin zu kaufen, und stürzte sich sogleich mit Feuereifer in die Arbeit. Das Tempo der Verhandlungen steigerte sich ständig, und Phil wurde schrecklich hektisch und angespannt. Der ganze Deal erforderte von Anfang bis Ende nur drei Wochen. In dieser Zeit schlief Phil sehr wenig. Seine Euphorie war kaum zu bremsen, und er arbeitete fieberhaft daran, alles so schnell wie möglich hinter sich zu bringen. Mich dagegen machte der Gedanke an den Kauf der Newsweek nervös; zu Phils ohnehin schon übermäßig großem Verantwortungsbereich würde so ja noch ein weiterer hinzukommen. Ich gehörte nicht zu den regelmäßigen Lesern von Newsweek, Phil damals übrigens auch nicht, und die Zeitschrift sagte mir rein gefühlsmäßig überhaupt nicht zu. Ich wußte natürlich, daß Newsweek landesweit gelesen wurde und deshalb einen gewissen Einfluß hatte, aber ich dachte nicht so sehr an die geschäftliche Seite als vielmehr an die höchstwahrscheinlich negativen Auswirkungen auf Phil persönlich. Nachdem ich bei seinen Depressionen schon so viel mitgemacht hatte, machte es mir Sorgen, daß sich Phil nun noch ein weiteres Problem aufhalste, obwohl er sich bereits übernommen hatte.
Andererseits hatten mir einige unserer längeren Gespräche in den vergangenen Jahren klargemacht, daß Phil sich wegen seines Status als »Schwiegersohn« immer noch viele Gedanken machte und schwer daran trug, daß ihm Zeitung und Verlag von meinem Vater praktisch »geschenkt« worden waren. Ständig fragte er sich, ob hier der Grund für seinen Erfolg und seine Prominenz lag. Hätte er das Erreichte auch aus eigener Kraft schaffen können? Ober dieser Frage schien er statt weniger nur noch mehr zu brüten, und sie war inzwischen auch wenigstens so weit zu meinem eigenen Thema geworden, daß ich trotz böser Vorahnungen letztlich für den Kauf der Newsweek war. Denn dieser Kauf wäre dann wenigstens etwas, das Phil ganz allein bewerkstelligt hatte, etwas, das er auch von sich aus getan hätte. Nachdem er sich erst einmal entschlossen hatte, das Nachrichtenmagazin zu erwerben, ließ Phil all seine Beziehungen spielen, um besonders jene Leute zu beeinflussen, die über den letztlich erfolgreichen Bieter zu entscheiden hatten. In der Endauswahl befand sich außer uns noch das wohlhabende Verlagshaus Doubleday. Phil traf Allan Betts, den Vizepräsidenten und Schatzmeister der Astor Foundation, und überreichte ihm eine Zusammenfassung des Kaufvorschlags der Washington Post Company. Während andere potentielle Käufer einfach mitgeteilt hatten, daß sie am Erwerb des Blattes interessiert seien, hatte Phil sich auch noch die Mühe gemacht, seine Ideen und Pläne für die Zukunft des Magazins aufzuschreiben. Dabei wurde deutlich, daß einige seiner Ideen zufällig genau mit dem übereinstimmten, was Vincent Astor an Plänen entwickelt und mit seiner Frau erörtert hatte. Somit war Brooke Astor ganz besonders daran gelegen, daß Phil den Wettstreit der Interessenten gewann. Für sie ging es bei dieser Entscheidung um mehr als nur um Geld. Sie sagte einmal: »Ich will, daß Phil Graham (die Newsweek) bekommt, weil er der einzige ist, der genau das zu Papier gebracht hat, was Vincent sich auch gedacht hatte.« Sie wollte das Blatt in verantwortlichen Händen wissen. Auch Averell Harrimans Unterstützung war für Phil von zentraler Bedeutung, wie wir später erfuhren.
Schließlich machte sich Phil nach einem Wochenende in Glen Welby zusammen mit Al Friendly, John Sweeterman und John Hayes auf den Weg nach New York, um dort Fritz Beebe zu treffen. Eigentlich hatte auch ich gleich mitkommen sollen, aber ich hatte noch einiges zu erledigen und schlug vor, am nächsten Tag nachzukommen. Als sich das Durcheinander der Abreise einigermaßen gelegt hatte, bekam ich einen Telefonanruf von meinem Arzt, ich solle doch bitte am Nachmittag unbedingt bei ihm vorbeischauen. Das war zwar ungewöhnlich, aber ich dachte mir noch nichts Schlimmes dabei. In der Woche zuvor war ich in der Sprechstunde gewesen, weil ich unter chronischem Husten und Erschöpfungszuständen litt, und natürlich war ein Röntgenbild von meinem Brustkorb gemacht worden, denn die Ärzte schauten sich bei solchen Gelegenheiten immer einige verheilte Narben in meiner Lunge an an sich nichts Ungewöhnliches. Doch dieses Mal eröffnete mir Dr. Felts, aller Wahrscheinlichkeit nach sei ich an Tuberkulose erkrankt.
Wenn die Diagnose zutreffe, sei die Krankheit aber noch im Anfangsstadium und somit gut zu behandeln. Ich solle jedoch zur Sicherheit eine Woche ins Krankenhaus gehen, um eine Spezialuntersuchung vornehmen zu lassen. Ich erklärte Dr. Felts, daß Phil in New York mitten in äußerst aufreibenden Verhandlungen stehe und daß er mich dort am folgenden Tag erwartet. Ich könne Phil die Nachricht von meiner Krankheit unmöglich am Telefon überbringen; in einem solchen Augenblick dürfe ich ihn auf keinen Fall mit meinen eigenen Problemen ablenken oder beunruhigen. Und weil ich glaubte, in New York für Phil da sein und seine Bemühungen unterstützen zu müssen, bat ich Dr. Felts, den Krankenhausaufenthalt bis nach meiner Rückkehr aus New York verschieben zu dürfen. Phil sei gesundheitlich und emotional anfällig, und deshalb müsse ich ihm den Rücken stärken. Dr. Felts kannte Phil gut und hatte Verständnis für meine Lage. Er meinte, ich könne es mir wahrscheinlich leisten, nach New York zu fahren. Nur dürfe ich auf keinen Fall abends lange aufbleiben oder mich in verrauchten Räumen aufhalten - und gerade diese beiden Dinge waren unvermeidlich. Es kam wie erwartet: Keiner von uns bekam viel Schlaf, und alle in meiner Umgebung rauchten in einem fort wie die Schlote.
Ich fühlte mich wie die Heldin einer Seifenoper, aber es kam nicht in Frage, Phil von meiner Krankheit zu erzählen. Die Lage war ohnehin schon dramatisch und angespannt genug. Also saß ich mit Fritz und Phil in der Suite des Carlyle Hotels, verfolgte die Verhandlungen aus nächster Nähe als gebannte und aufgeregt anteilnehmende Zuschauerin und sah, wie sich die beiden in ihrer Zusammenarbeit aufs beste ergänzten. In einem bestimmten Verhandlungsstadium kam Betts vorbei und berichtete, die Angebote der Konkurrenten in der Endauswahl seien ungefähr gleichwertig. Wir müßten aber noch mehr flüssige Mittel anbieten, wenn wir das Rennen machen wollten. Doch gerade an Liquidität mangelte es uns. Zunächst waren Phil und Fritz ziemlich verzweifelt. Wieder einmal schaltete sich meine Mutter ein und sagte Phil, er solle nicht zögern, falls erforderlich auch ihr Geld in den Deal einzubeziehen. Statt dessen ging Phil jedoch ans Telefon und verkaufte das alte Gebäude der Times-Herald an einen Bauunternehmer. Danach zog er sich mit Notizblock und Bleistift ungefähr eine Stunde allein in eines der Schlafzimmer zurück, um auszurechnen, wie sich der Kauf am besten finanzieren ließ. Als er wieder zu uns kam, sagte er zu Fritz: »Es gibt drei Möglichkeiten, wie wir die Sache anpacken können.« Fritz warf einen Blick auf Phils Notizblock und erwiderte nach kurzer Zeit: »Die ersten beiden Varianten funktionieren nicht, aber die dritte wird klappen.«
Die ganze Angelegenheit erforderte von Phil und Fritz einigen Mut. Schließlich waren wir immer noch eine relativ kleine Firma ohne Börsennotierung und große Liquiditätsreserven, zumal wir bei allen früheren Übernahmen bereits Schulden gemacht hatten und auch die Neubauten und Erweiterungen in Jacksonville und für die Post zu finanzieren hatten. Dagegen war unser Konkurrent Doubleday überaus liquide. Am Tag der Entscheidung, dem 9. März, saßen wir alle wie auf Kohlen. Im Carlyle hatte Phil vor lauter nervösem Auf-und-ab-Gehen schon fast einen Pfad in den Teppich getreten. Um seine Erregung etwas zu dämpfen, beschloß er, unter die Dusche zu gehen, und natürlich klingelte gerade in diesem Augenblick das Telefon. Allan Betts war am Apparat. Tropfnaß und notdürftig mit einem Handtuch bedeckt, rannte Phil ans Telefon. Er drehte sich zu uns um und sagte: »Wir haben sie.« Die Newsweek gehörte uns. Nachdem wir begriffen hatten, daß wir das Magazin in der Tasche hatten, war es an Phil, die Anzahlung in Höhe von 2 Millionen Dollar beizubringen. Auf die Firmenkonten bezogene Schecks hatte er nicht bei sich, also mußte ein zerknittertes persönliches Scheckformular herhalten, das er für den Fall der Fälle schon über ein Jahr lang in seiner Brieftasche mit sich herumgetragen hatte. Er strich seinen eigenen Namen durch, schrieb »The Washington Post Company« darüber und stellte den Scheck dann über 2 Millionen Dollar aus. Er informierte den Leiter der Finanzabteilung der Post, damit dieser schon einmal die erforderlichen Summen zusammenkratzen konnte.
Dieser Scheck wurde später eingerahmt und in Phils Büro aufgehängt; jetzt hängt er in meinem. Die Anzahlung wurde mit der Gesamtsumme von 8 985 000 Dollar verrechnet, die an die Astor Foundation zu entrichten war (50 Dollar je Aktie). Am Ende hatte Phil ein halbes Dutzend Konkurrenten aus dem Feld geschlagen. Nach diversen Pressegesprächen machte Phil seinen Antrittsbesuch bei der Newsweek. Im Konferenzraum waren etwa zwanzig leitende Mitarbeiter aus Redaktion und Geschäftsführung versammelt, und Malcolm Muir zeigte sich der Situation mehr als gewachsen. Wahrhaft elegant leitete er die Sitzung ein und sagte dabei unter anderem: »Wie Sie wissen, habe ich selbst versucht, das Geld zusammenzubringen, um das Magazin zu erwerben, doch es ist mir nicht geglückt. In dieser Lage kann ich mir aber keinen passenderen Eigentümer vorstellen als Phil.« Am Tag nach unserem Sieg fuhren Phil und ich gemeinsam im Zug zurück nach Washington; wir saßen in einem kleinen Abteil in einem Pullman-Wagen. Ungefähr auf halber Strecke hatte ich das Gefühl, jetzt müsse ich Phil endlich erzählen, was mit mir los war und welchen Verdacht der Arzt hatte. Es war für ihn ein fürchterlicher Schock. Doch er reagierte seltsam, und diese Reaktion hätte mich hinsichtlich seines Geisteszustands eigentlich stutzig machen müssen. Denn er verdrängte die Möglichkeit einer Tbc-Erkrankung total und sagte, das sei doch vollkommen unmöglich, die Diagnose müsse ein Fehler sein, er würde sich um die Sache kümmern, und so weiter, und so weiter. Trotzdem ging ich am nächsten Tag ins Krankenhaus und blieb eine Woche dort. In dieser Zeit bestätigte sich leider der Tuberkuloseverdacht. Heute mache ich mir Gedanken über die Zusammenhänge zwischen Streß und meiner Erkrankung, denn in jenen Tagen kam Tuberkulose unter Wohlhabenden nur äußerst selten vor.
Vielleicht war der mit Phils Erkrankung verbundene Streß für das Entstehen meiner Krankheit doch wesentlich wichtiger, als ich damals dachte. Die Kombination der Ereignisse - Phils gespannte Unsicherheit wegen des Zeitungskaufs und meine ernsthafte Erkrankung - führte dazu, daß Phil wieder schlimm zu trinken anfing und sich auf jede nur denkbare Art in manische Hektik versetzte. Eines Tages erwarteten mein Arzt und ich Phil zur entscheidenden gemeinsamen Besprechung meiner Diagnose im Krankenhaus. Doch als er schließlich eintraf, redete Phil in einem fort und ohne Luft zu holen so witzig und urkomisch daher, daß wir uns vor Lachen nur so bogen. Erst als er den Raum verlassen hatte, bemerkten wir, daß wir in der Tat kein einziges ernstes Wort gesprochen hatten und daß die Probleme so ungeklärt waren wie zuvor. Es klingt unwahrscheinlich, aber es war so. Viele Menschen glaubten, Phil verfüge über schier endlose Energie, doch einige wenige unter den Hunderten von Glückwunschbriefen, die Phil nach dem Kauf der Newsweek erhielt, brachten auch Sorge wegen Phils Gesundheit zum Ausdruck. Einer dieser Briefe kam von Tommy Toms, der jahrelang für Ernie Graham gearbeitet und Phil schon gekannt hatte, als dieser noch ein kleiner Junge war - in Florida und zuvor in Terry, South Dakota:


Zweifellos haben Dir viele große und wichtige Leute zu Deinem letzten Abenteuer gratuliert und Dich hochleben lassen. Keiner tut dies aufrichtiger als jemand, der das Privileg hatte, diese Entwicklung schon seit langer Zeit aus den Kulissen verfolgen zu dürfen, schon seit Terry. Wenn ich jetzt auf die vielen Jahre mit den außerordentlichen Anstrengungen zurückblicke, die Dein Vater unternahm, um sein Reich, seinen Landbesitz aufzubauen und die jetzt ein körperliches Prachtexemplar der Spezies Mensch zugrunde gerichtet haben, dann kann ich solche Bemühungen nur mit einiger Skepsis betrachten. Ich hoffe, Du hast im Laufe der Jahre gelernt (was ich von mir leider immer noch nicht sagen kann), die vielfältigen Verantwortlichkeiten, die mit einem Berufsleben wie dem Deinen verbunden sind, auch einmal abzuwerfen und nicht auch hierin in Deines Vaters Fußstapfen zu treten, daß Du Tag für Tag 24 Stunden arbeitest. Es gibt keinen größeren Reichtum als die Gesundheit.

Phil hielt diesen Brief für einen der schönsten, den er bekam, doch Tommys Sorgen wischte er beiseite, indem er schrieb: »Aber bedenke doch bitte, daß ich, anders als mein Vater und Du, morgens ausschlafe.«
Obwohl Phil meiner Mutter in einem begeisterten Brief über den Newsweek-Kauf gelobte, er wolle nun nach der Hektik der letzten Wochen etwas kürzertreten, stürzte er sich sofort in die Arbeit zur Reorganisation des Magazins. Oz Elliott wurde an die Spitze der Redaktion gestellt. Der wichtigste Schachzug, den Phil kurz nach dem Kauf unternahm, betraf jedoch Fritz Beebe. Er überredete ihn, Cravath, der großen New Yorker Anwaltskanzlei, in der er Partner war, den Rücken zu kehren und Phils gleichberechtigter Partner bei der Leitung der Washington Post Company zu werden. Fritz sollte in New York bleiben und die Geschäfte bei Newsweek überwachen, darüber hinaus aber auch bei allen Aktivitäten der Verlagsgesellschaft eine bedeutende Rolle übernehmen. Mein Vater hatte Phil einmal gesagt, wenn man ständig mit Volldampf arbeite und einen großen und vielfältigen Verantwortungsbereich habe, dann brauche man einen Partner - nicht einen leitenden Angestellten als Chefmanager, sondern einen echten Partner. Phil wußte, daß er in Fritz einen solchen Partner gefunden hatte. Er machte ihm ein gutes Angebot, das Fritz schließlich mehr als wettmachen sollte. Und doch benötigte Phil all seine nicht unbeträchtlichen Überredungskünste, um Fritz zu gewinnen (denn auch bei Cravath war er offenkundig zu Höherem berufen gewesen). Daß Fritz die Leitung der Washington Post Company und den stellvertretenden Vorsitz bei Newsweek übernahm, war für die Verlagsgesellschaft in der unmittelbaren Folgezeit wahrscheinlich die Rettung, und in den ersten zehn Jahren nach meiner Übernahme der Firma spielte Fritz ohne Zweifel eine Schlüsselrolle, die das Überleben sicherte. Fritz vereinigte in seiner Person eine Reihe außerordentlicher Eigenschaften. Vor allem war er intelligent, erfahren und vorausschauend und konnte hervorragend in juristischen Zusammenhängen denken. Er widmete sich hingebungsvoll unserer Familie und der Firma, wahrscheinlich in dieser Reihenfolge, aber man kann es nicht genau sagen, weil die Familie und der Verlag so eng miteinander verschränkt waren. Er engagierte sich auch für redaktionelle Belange, und die Redakteure bei der Washington Post und Newsweek wären für ihn durchs Feuer gegangen. Phil seinerseits war so euphorisch, daß er in seiner Antwort auf ein Glückwunschschreiben von Frank Stanton aus Anlaß von Fritz' Wechsel zur Post sagte: »Jetzt bin ich von allen Pflichten völlig frei! Heureka!«
Aber so war es natürlich überhaupt nicht. Während Phil Newsweek von Grund auf neu gestaltete, wuchs auch sein Interesse an der Post aufs neue, und er nahm seine Pflichten dort und in der Verlagsgesellschaft mit großem Schwung wieder auf. Er setzte sich engagiert für redaktionelle Verbesserungen an beiden Orten ein und sah sich auch die Fernsehstationen genauer an. Wenn er bei der Post zugegen war, stand seine Bürotür stets jedem offen: Reporter und alle anderen Mitarbeiter, die etwas mit ihm besprechen wollten, waren jederzeit willkommen. Er liebte Streitgespräche. Seine gepfefferten Bemerkungen waren bekannt, und man mochte seine zwanglose Art. Er gab viele Anregungen für neue Storys und arbeitete oft auch an Reportagen mit. Im Februar 1961 hatte Phil Russ Wiggins vom Chefredakteur zum Herausgeber und John Sweeterman vom Generalmanager zum Verleger befördert; Phil selbst nannte sich jetzt Präsident. Obwohl er immer noch ins Büro ging, wich er den Details der Alltagsarbeit nun immer ungeduldiger aus. Anfang 1961 beschrieb er seine Büroarbeit in einem Brief als »das Übliche: Anrufe und Korrespondenz und jede Menge Leute, die von den gar nicht so dringenden Dringlichkeiten des Alltags bewegt werden; ein Ort, den ich so spät wie möglich betrete und weit früher als schicklich bereits wieder verlasse«. In New York war Phil damit beschäftigt, die letzten Details der Newsweek-Transaktion abzuwickeln, aber er wurde auch der führende Abonnentenwerber des Magazins, wie Gib McCabe, der Newsweek-Verleger, ihn in einem Brief an einen Anzeigenkunden nannte. Vor allem aber beschäftigte ihn die Einarbeitung des neu formierten Redaktionsteams unter Leitung von Oz Elliott und seinen Stellvertretern Kermit Lansner und i Gordon Manning (Oz nannte die beiden allerdings seine gleichberechtigten Partner). Trotz unterschiedlicher Hintergründe und Bildungsgänge arbeiteten diese drei Männer gut zusammen und leisteten einen starken Beitrag zur Neubelebung des Magazins. In der Politik wären sie fast die Idealkombination für ein Team gewesen: ein aus irisch-katholischem Milieu stammender, auf knallharte Nachrichten fixierter forscher Bostoner als Antreiber, ein konservativer Protestant aus dem WASPMilieu und ein intellektueller Jude mit künstlerischen Neigungen aus dem New Yorker Upper-West-Side-Milieu. Der Balanceakt, den diese drei vollbringen mußten, führte dazu, daß sie bei Newsweek - in Anspielung auf eine bekannte Hochseilartistentruppe - »die Wallendas« genannt wurden. (Noch heute wird dieser Name redaktionsintern für die Redaktionsspitze verwandt.)
Im wesentlichen war es dieses New Yorker Triumvirat, das im Verein mit Ben Bradlee in Washington die fundamentale Neugestaltung des Magazins bestritt. Oz erinnerte sich lebhaft an die Aufbruchstimmung jener Zeit - die Kennedy-Ära stand an ihrem Beginn, die Weltkriegsgeneration übernahm das Land. Und Newsweek machte sich endlich daran, Time herauszufordern. Gordon Manning erinnert sich an jene Monate nach dem Kauf als die aufregendsten, die er je erlebte: »Wenn du morgens aufgestanden bist, hast du dir gesagt: >Hey, die Welt liegt dir zu Füßen.<« Geschäftlich war Gib McCabe der führende Mann, der gern und mit großer Kompetenz arbeitete. Gib stellte sich auch schützend vor seine Redakteure, wenn Kunden mit Anzeigenentzug drohten oder sonst Ärger machten. Das war etwa bei einer Titelstory vom Dezember 1961 der Fall, die sich unter dem Titel »Donner von rechts« mit der politischen Rechten in den Vereinigten Staaten beschäftigte. Damals soll McCabe mit Blick auf die Anzeigenkunden gesagt haben: »Ob es stimmt oder nicht, wir handeln so, als wären sie mehr auf uns angewiesen als wir auf sie.« Fritz und Gib waren sich beide bewußt, daß es ohne gute redaktionelle Arbeit auch nichts zu verkaufen gab.
Meine Tuberkulose wies ein aktives Krankheitsbild auf, doch zum Glück war sie so rechtzeitig erkannt worden, daß meine Lunge noch keinerlei Schaden genommen hatte. Außerdem war die Krankheit bei mir nicht ansteckend. Weder mußte ich mir große Sorgen machen, noch war ich ernsthaft krank, doch ich bekam mindestens sechs Wochen Bettruhe verordnet. Außerdem mußte ich ein Jahr lang täglich zwei Tabletten nehmen, und anschließend noch ein weiteres Jahr lang eine. (Ohne diese Tabletten, die es damals noch nicht lange gab, wäre ein Sanatoriumsaufenthalt unvermeidlich gewesen.) Ferner durfte ich keinen Alkohol trinken.
Dieses Verbot wurde schließlich gelockert: Drei Drinks pro Woche waren demnach gestattet. Phil zog zur Konsultation zwei Ärzte von der University of Chicago hinzu, die er in seiner Funktion als Mitglied des Board of Trustees der Universität kennengelernt hatte. Sie bestätigten die Diagnose und hießen die Behandlungsweise meiner Ärzte gut. Die in meinem Schlafzimmer verbrachten Wochen erwiesen sich als zweischneidige Erfahrung. Ich kam mir vor wie eine fehlbesetzte Schwindsüchtige. Zum Müßiggang gezwungen zu sein war trotzdem nicht das reinste Unglück, und die verordneten Wochen im Bett schienen alle anderen nur neidisch zu machen. Ende März schrieb ich einer Freundin: »Wenn irgend jemand entdeckt, wie toll das ist, dann wird es zwischen Georgetown und Kalorama Road eine ganze Reihe aufblühender Lungen geben: Bett und Bücher, angenehmer Besuch, aber nicht zuviel, die Chance, seinen Mann herumzukommandieren, keine guten Taten, keine Verpflichtungen.« Selbst Phil profitierte von meiner Krankheit. »Phil behauptet, er könne sich hinter meiner Lunge verstecken«, schrieb ich, »und für ihn sei noch nie etwas so nützlich gewesen. Er hat unendlich viele Termine absagen können, und ich bin sicher, er hofft, daß ich nur langsam wieder genese, wenn überhaupt.« Nur vier Stunden pro Tag durfte ich das Bett verlassen. Jeden Nachmittag nach der Schule kam Lally in ihrer Madeira-Schuluniform in mein Zimmer. Ziemlich zu Anfang meiner erzwungenen Ruhezeit fand sie mich eines Tages mit einem Krimi im Bett. Prompt nahm sie ihn mir aus der Hand und gab mir statt dessen den ersten Band von Prousts Auf der Suche nach der verlorenen Zeit. Sie hatte recht. Die gewonnene Zeit war zu schade, um sie mit leichter oder amüsanter Lektüre zu verschwenden. Lallys sanfter Anstoß genügte, und ich las alle sieben Bände von Prousts Roman. Diese Wochen bildeten für mich so etwas wie einen Wendepunkt, wie auch der Kauf der Newsweek schon ein solcher Wendepunkt gewesen war. Ich zog mich von all meinen Wohlfahrtsprojekten zurück, überhaupt von allen außerhäuslichen Aktivitäten in Washington. Denn der Besitz der Newsweek bedeutete auch, daß wir nun häufig nach New York fahren mußten; Phil begann damit gleich nach dem Kauf, ich nach meiner Genesung. Wir entwickelten allmählich ein neues Leben in New York, ohne das Washingtoner dafür aufzugeben.
Ich beschloß, einen Teil meiner Zeit in New York in Gemäldegalerien zu verbringen, um mehr über die Malerei zu lernen und am Ende vielleicht auch ein paar Gemälde zu kaufen. Für Phil häuften sich die Belastungen. Während meiner Krankheit schien er sich um hundert Dinge gleichzeitig zu kümmern, nicht zuletzt auch um die Kinder, besonders in den Frühjahrsschulferien. Oft spielte er tagelang Golf mit Don. Er kaufte Bill ein neues Fahrrad und versorgte die am laufenden Band eintrudelnden Schulfreunde von Steve. Mit Lally ging er in New York sogar zum Kleiderkauf für ihre Debütantinnenpartys. Dabei nahm er die Hilfe meiner alten Schulfreundin aus Madeira-Tagen, Nancy White, in Anspruch, die inzwischen als Redakteurin bei Harper's Bazaar tätig war. Zu einer Fahrt nach New York nahm er Lally eigens mit, um Jackie Kennedy im Carlyle zu treffen, was Lally äußerst aufregend fand. Meiner Mutter schrieb er, daß er das friedliche Intermezzo mit den Kindern genieße, doch in Wahrheit betrieb Phil schon wieder Raubbau an seinen Kräften. Und er trank zuviel. So gab es recht häufig auch unschöne Momente. In Ben Bradlees Erinnerung verschwand Phil nach dem Kauf der Newsweek erst einmal aus dem Blickfeld, bis er eines Samstagmorgens im April 1961, direkt nach der mißglückten Kuba-Invasion in der Schweinebucht, wieder aktiv ins Geschehen eingriff. Bei einer Newsweek-Titelstory über den CIA schritt er mäßigend ein. Weil Phil die Akteure besonders gut kannte (unter anderen war sein Freund Frank Wisner betroffen), zeigte er sich bei dieser Story äußerst vorsichtig. Letztlich könnte man aber auch sagen, daß er willkürlich eingriff. Im Hinblick auf das Fiasko in der Schweinebucht führt Chal Roberts in seiner Geschichte der Post die Tatsache, daß die Post keine Reporter nach Florida und Guatemala entsandte, darauf zurück, daß Phil, seine Redakteure und auch Chal selbst in einer solchen CIA-Operation nichts Bedenkliches sahen; vielmehr wünschten sie alle der Invasion Erfolg. Am 22. April erklärte ein Leitartikel in der Post, die Ereignisse in Kuba seien »nur ein Kapitel in der langen Geschichte der Freiheit, die bereits viele noch größere Desaster und noch dunklere Tage erlebt hat, ehe die Menschen ihren Verstand und ihre Entschlußkraft bündelten, um eine freundlichere Fortsetzung zu schreiben«. Erst am 1. Mai war in einem Leitartikel vom »fehlgeschlagenen kubanischen Abenteuer« die Rede, und am folgenden Tag gar von einem »erschreckenden Mangel an Urteilsvermögen«.
Daraufhin nahm Phil einen kritischen Kommentar von Bob Estabrook aus der Zeitung, ohne diesen davon zu unterrichten - ein Warnzeichen, daß seine Grundstimmung sich erneut verschlechterte. Mit Sicherheit muß seine völlige Abwesenheit vom Tagesgeschehen bei der Post über längere Zeiträume hin, ehe er plötzlich wieder intensiv in dieses Geschehen eingriff, für die Mitarbeiter sehr verwirrend und desorientierend gewesen sein. Einer der ersten, mit denen Phil Krach bekam, war wie gesagt Bob Estabrook, der zum verantwortlichen Redakteur für die Kommentarseite ernannt worden war, als Russ Wiggins Herausgeber wurde. Phils und Bobs Persönlichkeiten harmonierten nicht miteinander, und im Lauf der Jahre war es schon zu diversen Meinungsverschiedenheiten gekommen. In diesem Fall hatte Bob argumentiert, daß bei manchen wichtigen Themen die Zeitung deutlich machen müsse, daß sie ihre Meinung geändert habe. Das war anscheinend der letzte Tropfen, der bei Phil das Faß zum Überlaufen brachte - er war so wütend auf Bob, daß er ihn feuern wollte. Russ Wiggins löste das Problem, indem er Bob nach London entsandte, von wo aus er als Kolumnist für die Zeitung schreiben sollte, während er selbst, Russ, wieder die Leitung der Kommentarseite übernahm. Das hatte wiederum zur Folge, daß Al Friendly verantwortlicher Chefredakteur für den gesamten Nachrichtenbereich wurde. Ein weiterer Wechsel, den Phil zu jener Zeit in die Wege leitete, betraf die Rechtsanwaltskanzlei, mit der die Verlagsgesellschaft zusammenarbeitete. Als Bill Rogers aus der Regierung ausschied, versuchte Phil, Covington & Burling dazu zu bringen, Bill als Partner aufzunehmen, damit er für uns arbeiten könne.
Als Covington diese Idee jedoch ablehnte, entzog Phil der Kanzlei das gesamte Geschäftsvolumen der Washington Post Company mit Ausnahme der Fernsehstationen und wechselte zu einer anderen Kanzlei, in die Bill eingetreten war. Damit sollte nicht zuletzt das Ansehen dieser neuen Kanzlei gehoben werden. Auf diese Weise wurde Bill Rogers Justitiar der Washington Post Company und ein enger Weggefährte von Fritz Beebe, Phil und später auch mir. Wie es für Phil in diesen Jahren typisch war, mischte er weiterhin in der Politik mit; er entwarf und redigierte Reden für Bobby Kennedy, für den Präsidenten und den Vizepräsidenten. Für LBJ entwarf er auch eine außenpolitische Rede, die Johnson vor der Magazine Publishers Association halten sollte - eine Einladung, für die Phil zuvor schon selbst die Initiative ergriffen hatte. Als LBJ die Rede dann hielt, begleitete ihn Phil zu der Tagung. Direkt anschließend begaben sich LBJ und Lady Bird auf eine offizielle Auslandsreise nach Fernost. Als sie abreisten, war ihre Haussuche in Washington wenigstens so weit gediehen, daß nur noch zwei Häuser zur Auswahl standen. Lyndon hinterließ Phil eine Vollmacht; er solle sich mit Abe Fortas abstimmen und dann entscheiden, welches Haus gekauft werden solle. Abe machte sich Sorgen, daß das größere, prächtigere der beiden Häuser, das unter dem Namen »The Elms« bekannt war, LBJs Image Schaden zufügen könnte. Es handelte sich um ein großes, klassizistisches Haus im französischen Stil, das inmitten von Rasenflächen auf einem relativ großen Anwesen lag. Doch Phil, dem die Entscheidung aufgetragen war, entschied sich trotz Fortas' Bedenken für dieses Haus. Viele Jahre später brachte Lady Bird ihre tiefe Befriedigung über Phils Wahl zum Ausdruck, als sie sagte, von sich aus hätte sie niemals gewagt, derart hoch zu greifen. »Das Haus war zu elegant, zu teuer. Aber es ist das schönste Haus, in dem ich je gelebt habe. Ich habe dieses Haus geliebt und jeden einzelnen Tag genossen, den ich dort verbracht habe.«

Mitte Mai durfte ich schon wieder fünf Stunden täglich aufstehen. Ich nutzte diese Zeit weitgehend, um Phil zu begleiten. Und als der Sommer näher rückte, blieb ich allmählich immer länger auf.
Lally machte ihren High-School-Abschluß in Madeira am 3. Juni 1961. Phil beschrieb unsere Tochter damals in einem Brief an einen seiner Jugendfreunde, wobei die natürliche Liebe eines stolzen Vaters zum Ausdruck kam: »Kaum zu glauben, aber sie geht in diesem Herbst aufs Radcliffe College (Teil der Harvard-Universität) und ist mir an Bildung und Klugheit genauso weit überlegen, wie Du und ich einst Onkel George und Ernie überlegen waren.« Für Lallys gesellschaftliches Debüt und zu ihrem Schulabschluß waren verschiedene Partys geplant. Meine damalige Freundin Bunny Mellon, Pauls Frau, hatte sich entschlossen, für ihre Tochter auf dem Anwesen der Familie, Upperville in Oak Spring, einen Tanzabend zu veranstalten. Und wenn Bunny etwas Derartiges vorhatte, wurde es immer eine große Sache. Sie hatte den Vorschlag gemacht, ich solle doch für Lally und Barbara Lawrence, Lallys enge Freundin, vor dem Ball eine Dinnerparty in Glen Welby geben und dann all unsere Gäste nach Oak Spring bringen. Der arme Dr. Felts gab zu diesem Dinner am 16. Juni notgedrungen seine Zustimmung - solange sich alles im ruhigen familiären Rahmen halte. Ich nickte zustimmend. Doch aus dem ruhigen Essen im Familienkreis wurde ein Ereignis für hundertzwanzig Personen - ungefähr achtzig junge Leute, Freunde und Freundinnen von Lally, und vierzig Erwachsene. An diesem Abend ging ich zum ersten Mal wieder richtig aus, und nach all den Wochen im Bett war dies auch mein eigenes Debüt. Wir fuhren nach dem Essen in Glen Welby allesamt nach Upperville zu den Mellons. Bunny hatte eine Tanzfläche aufgebaut und diese so dekoriert, daß sie wie das Zentrum eines kleinen französischen Dorfplatzes aussah. Umrahmt wurde dieser Platz von Jahrmarktsbuden, an denen Lichter funkelten. Eine Zeltstadt, in der Dutzende junger Männer untergebracht waren, lag zwar ein wenig entfernt in den Feldern, sah aber mit ihren wehenden Fahnen sehr hübsch aus. Zwei Tanzorchester spielten im Wechsel die ganze Nacht: Count Basie und eine andere damals berühmte Band. So ging es munter bis zum frühen Morgen, und der französische Champagner floß in Strömen.
Es war die letzte derart extravagante Festlichkeit, die meine Kinder erlebten, und wir hatten alle unseren Spaß. Ich war wirklich froh, daß meine erste Party außer Haus nach so langer Zeit sich zu einem solch denkwürdigen Abend entwickelt hatte.


Das Wochenende von Lallys Abschlußfeier fiel zusammen mit dem Wiener Gipfeltreffen zwischen Präsident Kennedy und Nikita Chruschtschow. Kurz nach der Rückkehr JFKs bat uns Joe Alsop - der kurz zuvor Susan Mary Patten, die Witwe seines engen Freundes Bill Patten, geheiratet hatte, die perfekte Frau für ihn -, wir sollten ihn zu einem Treffen mit dem Präsidenten in das von den Kennedys gemietete Haus in Middleburg, Virginia, fahren. So saßen auch wir dabei, als der Präsident das Drama von Wien und Chruschtschows Härte ihm gegenüber nüchtern analysierte. In seinem Wohnzimmer ließ sich der Präsident-in einem altmodischen Schaukelstuhl sitzend, den er wegen seines Rückenleidens bevorzugte - die Protokolle und Aufzeichnungen der Wiener Gespräche der beiden Führer bringen. Er las uns die Niederschrift eines Wortwechsels gegen Ende des Gipfels vor und schloß, auf eine der Drohungen Chruschtschows Bezug nehmend, mit den Worten: »Das wird ein verdammt kalter Winter werden.« Jackie berichtete mir, daß sie in Paris, wo man ihr einen so überwältigenden Empfang bereitet hatte, neben General de Gaulle gesessen habe, und zitierte de Gaulles Worte über Frau Chruschtschow: »Prenez garde, el le est la plus maligne! « (»Passen Sie auf, sie ist die hinterhältigere der beiden!«) Nachdem Jackie die Frau des Kremlherrschers anschließend in Wien selbst kennengelernt hatte, gab sie de Gaulle recht. Als die beiden Frauen sich den Wienern vom Balkon aus zeigten, habe Frau Chruschtschow (Jackie sprach von »ihren kleinen Schweineaugen«) ihre »Hand ergriffen und in die Höhe gehalten, ehe ich sie daran hindern konnte«. Der »Meinungsaustausch« mit Chruschtschow hatte Kennedy tief erschüttert, wie er Scotty Reston gleich nach dem Wiener Treffen anvertraute. Diese Begegnung sei »das Rauhste und Härteste in meinem ganzen Leben« gewesen. Manche Leute glauben sogar, Kennedy sei zu seinen ersten Schritten im Vietnamkrieg nur getrieben worden, weil Chruschtschow ihm in Wien beim Thema Berlin und bei anderen strittigen Fragen einen solchen Schrecken eingejagt hatte.
Für Phil hatte unser Besuch bei Kennedy unmittelbare und lang anhaltende Folgen. Kurz danach rief er, als Reaktion auf Kennedys düstere Lagebeurteilung, besonders bezüglich Berlins, all seine Redakteure und Reporter zusammen - und zwar sowohl die von der Post als auch die von Newsweek - und machte ihnen klar, wie besorgt der Präsident sei. Auch mit Ben Bradlee saß Phil an einem Nachmittag ausführlich zusammen. Überdies unterhielt er sich stundenlang, bis spät in die Nacht, mit Tommy Thompson und Chip Bohlen, den beiden Sowjetexperten und Diplomaten, in Chips Haus. Phil schlug sogar Themen für einige Artikel vor: die Bedrohung Berlins und die Möglichkeit, daß ein Atomkrieg Millionen Leben fordern könnte. »Wir wußten, daß er bei Kennedy gewesen war und alles von ihm selbst hatte«, sagte Chal Roberts, der selbst über das Gipfeltreffen in Wien berichtet hatte. »Wir wußten, daß er uns in der Tat animieren wollte, etwas zur Förderung von Kennedys Politik zu schreiben. Natürlich waren das einwandfreie Nachrichtenstorys, aber wir hatten ein ungutes Gefühl dabei ... Ich habe nie mit Phil in aller Form Streit gehabt, aber ich war der Meinung, daß er sich zu sehr in die Politik einmischte und daß er zuviel mit den Kennedys zu tun hatte.«


Weil ich nicht wußte, was ich mit dem Sommer anfangen sollte - Phil brauchte Ruhe und ich Tapetenwechsel - ließ ich mich von Freunden zu einer Rückkehr nach Cape Cod überreden.
Wir mieteten zwei Ferienhäuser in Bailey Apollonic House, einer Familienenklave in Cotuit, wo es jenseits einer kleinen Straße einen Pier gab sowie eine Leiter, die an einem Felsen zum Strand hinunterführte. Dieser Sommer gestaltete sich schwierig. Als wir nach Cotuit aufbrachen, befand sich Phil schon wieder deutlich in einer depressiven Phase, auch litt er sehr unter Rückenschmerzen. Vor allem wegen Phils Gefühlslage führten wir in Cape Cod ein relativ ruhiges Leben. Er zog sich von allen Arbeitsverpflichtungen und größtenteils auch aus dem sozialen Leben zurück. Allerdings verbrachte er einige Zeit mit unseren Kindern. Lally etwa zog er mit ihrem jungen Freund auf, den er »Pistols« nannte, weil seine Familie ihr Geld in der Waffenbranche verdiente. Bunny Mellon, die ganz in der Nähe auf Cape Cod ein Haus hatte, rief mich eines Tages an und sagte: »Weißt du, die Kennedys fahren doch mit diesem Boot herum und essen zum Lunch meistens diese schrecklichen dicken Sandwiches und Muschelsuppe aus der Dose. Da habe ich mir gedacht, es wäre doch eigentlich ganz nett, sie zu einem Picknick einzuladen, und ich fänd's schön, wenn ihr, du und Phil, auch dabei wärt.« Ich bin sicher, daß sie auf unsere Gegenwart nicht angewiesen war, aber ich war begeistert und bedrängte Phil, der nach einigem Zögern zustimmte. Während wir am Strand der Mellons in Osterville warteten, sahen wir die Jacht des Präsidenten mit einem Schiff voller Presseleute im Schlepptau herannahen. Jack und Jackie sprangen aus ihrer Jacht, kamen an Land und verbargen sich vor dem Presseboot. Als die Journalisten den Präsidenten aus den Augen verloren hatten, drehten sie mit ihrem Boot ab. Bunny hatte frische Muscheln und Sekt zu bieten, um den kargen Lunch zu übertreffen, mit dem die Kennedys auf ihrem Boot angeblich immer vorliebnehmen mußten.
Als der Präsident mit Phil und mir über Mitglieder des Pressecorps im Weißen Haus plauderte, nahm er kein Blatt vor den Mund. Seine Bemerkungen über die beiden Reporter der Post Eddie Folliard und Carroll Kilpatrick waren jedoch sehr schmeichelhaft. Zum Lunch saßen wir alle an kleinen Tischen. Der Präsident und Bunny hatten einen Tisch ganz für sich, und bei dieser Gelegenheit bat JFK Bunny, deren Talent zur Landschaftsgärtnerin legendär war, ob sie nicht den Garten vor dem Fenster seines Büros im Weißen Haus neu gestalten könne. Dieser Teil des Parks werde zwar Rosengarten genannt, aber von Rosen sei leider weit und breit nichts zu sehen, überall gebe es nur Fingergras. Nach einigen Verzögerungen machte sich Bunny ans Werk. Der Garten ist noch heute so schön wie damals, als Bunny ihn schuf. Eines indes gestattete sich Phil in jenem Sommer trotz seines schlechten Allgemeinzustands: Er trat in den Vorstand der RAND Corporation ein, einer unabhängigen Forschungsinstitution, die nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet worden war, um die Air Force in politischen Fragen zu beraten, speziell bei solchen der nationalen Sicherheit. Dieser Schritt brachte Phil allerdings erneut mit einer regierungsnahen Organisation in Verbindung. Meiner Ansicht nach war diese Tätigkeit gerade noch akzeptabel, weil die Kriterien für das, was Zeitungsverleger tun oder lassen sollten, damals noch laxer waren als heute. Als RAND einige Jahre später auch mir die Mitgliedschaft anbot, war ich allerdings zu dem Schluß gekommen, daß Derartiges nicht zu vertreten sei: Für mich war eine solche Verbindung mit der Regierung ein zu starker Interessenkonflikt. Den größten Teil des Herbstes fühlte Phil sich immer noch ziemlich elend und wollte mich unbedingt in seiner Nähe haben. Wie immer, wenn er unter Depressionen litt, wollte er auf keinen Fall allein gelassen werden. Oft ging er in diesen Monaten nur ein paar Stunden ins Büro und kam dann nach Hause. Da ich mich inzwischen von meiner Tuberkulose vollständig erholt hatte, begleitete ich ihn meistens auch nach New York. Dort mieteten wir im Carlyle Hotel ein schönes Apartment.
Gelegentlich ging ich in New York auch allein aus, etwa zum Lunch mit Babe Paley oder ihrer Schwestern Minnie und Betsey. Ich kam mir sehr geschmeichelt vor, daß ich zu ihren - für mich - glamourösen New Yorker Kreisen gehören durfte.[1] Trotz meiner eigenen Herkunft und obwohl ich selbst dort geboren bin, habe ich mich in New York immer wie ein Mädchen vom Lande gefühlt. Babe wurde eine gute Freundin von mir. Eines Tages fragte sie mich, ob ich den Schriftsteller Truman Capote kenne. Meine Schwester Flo kannte ihn, aber ich war ihm noch nie begegnet. Babe sagte, er sei ein sehr enger Freund von ihr und sie wolle uns miteinander bekannt machen. Zu diesem Zweck arrangierte sie einen Lunch für uns. Es ist schwer, Truman zu beschreiben, als ich ihn zum ersten Mal sah. Er hatte tatsächlich jene berühmte seltsame Falsettstimme, war sehr klein, perfekt gekleidet und äußerst gepflegt. Und er war ein wunderbarer Unterhalter - seine Sätze im Gespräch waren wie Storys. Wir schlossen schnell Freundschaft.

Als die Kennedy-Administration an Schwung gewann, waren Phil und ich zur ersten von mehreren Dinnerpartys mit anschließendem Tanz im Weißen Haus eingeladen. Bei diesen Partys waren exquisite weibliche Gäste aus New York und Europa zugegen, aber natürlich auch alte Freunde wie die Johnsons. Wir tanzten Twist - oder versuchten es wenigstens. Ich fand diesen Modetanz sehr schwer und beherrschte ihn niemals vollkommen, obwohl meine Kinder versuchten, mir Twist beizubringen, indem ich das Austreten von Zigaretten und das Abrubbeln mit einem Badetuch imitieren mußte.
Phil konnte es auch nicht viel besser als ich, aber er widmete sich dieser Aufgabe wenigstens mit mehr Enthusiasmus und seiner natürlichen Energie - so sehr, daß bei einer dieser Partys seine Hose auf der Rückseite in horizontaler Richtung aufplatzte. Anfang 1962 berichtete Drew Pearson in seiner Kolumne unter der Überschrift »Twist-Verrenkungen im Weißen Haus« über diese Partys. Twist galt damals als ziemlich gewagt, und manche Leute waren schockiert darüber, daß solche Tänze im Weißen Haus gepflegt wurden. In der Tat paßte der Twist nicht in die historischen, eleganten Räume des Weißen Hauses. Als Phil einmal mit Kennedys Schwägerin Ethel (Bobbys Frau) twistete, nutzte diese die Gelegenheit, Phil zu fragen: »Jetzt haben Sie doch einen Präsidenten, mit dem Sie hundertprozentig zufrieden sein können; warum sind Sie's denn immer noch nicht?« »Nun, Ethel, das will ich Ihnen sagen«, erwiderte Phil, »Sie dürfen hundertprozentig für ihn sein, ich nicht.« Präsident Kennedy besaß außerordentlichen Charme.
Seine Fähigkeit zur intensiven Konzentration und sein sanft spöttischer Humor waren unwiderstehlich, ebenso seine Angewohnheit, das Gehirn seines Gegenübers wie mit einem Staubsauger zu leeren, um zu sehen, was der oder die Betreffende wußte und dachte. Im übrigen waren die männlichen Kennedys schamlose Machos - wie die große Mehrheit der Männer zur damaligen Zeit, auch Phil. Sie mochten andere intelligente Männer, und sie mochten junge Frauen. Mit Frauen mittleren Alters aber, an denen sie nicht allzu interessiert waren, konnten sie nicht umgehen, was besonders verheirateten Frauen im mittleren Alter das Leben schwermachte.
Viele von uns fühlten sich verunsichert. Die Männer waren zwar höflich, aber trotzdem spürten wir irgendwie, daß für uns in ihrer Welt kein rechter Platz war. Meine allgegenwärtige Angst, andere zu langweilen, machte mir bei gesellschaftlichen Anlässen in Gegenwart des Präsidenten und im Weißen Haus oft schwer zu schaffen - besonders wenn ich dem Präsidenten oder einem seiner wichtigsten Mitarbeiter von Angesicht zu Angesicht gegenüberstand. Diese Angst war natürlich die sicherste Garantie dafür, daß ich tatsächlich langweilig war, denn sie lähmte und machte mich schweigsam. Sicher fühlte ich mich nur, wenn Phil, dem der Präsident mit offener Sympathie begegnete, bei mir war und das Reden übernehmen konnte. Douglas Dillons Gattin Phyllis, meiner Meinung nach eine überaus gebildete und gewandte Frau, vertraute mir an, daß sie dasselbe empfand wie ich. Sie beschwerte sich, daß sie sich bei Partys in Palm Beach immer am Rande des Geschehens befinde, weil sie sich um Rose Kennedy (die Mutter des Präsidenten) kümmern müsse. Eine große Ausnahme von der Machotradition bildete allerdings Adlai Stevenson. Ihn mochten die Frauen. Am Ende waren meine Mutter, meine Tochter und ich alle mit Adlai eng befreundet. Clayton Fritchey hat mir eine Geschichte erzählt, die Adlais Anziehungskraft zu erklären hilft eine Anziehungskraft, die in starkem Kontrast zu dem steht, was die meisten von uns über die anderen Männer in der Kennedy-Administration dachten, auch über den Präsidenten selbst. Ungefähr drei Wochen vor dessen Ermordung traf Fritchey Präsident Kennedy und Adlai Stevenson auf einer Party in New York. (Damals war Stevenson US-Botschafter bei den Vereinten Nationen, Fritchey sein Stellvertreter.)
Als Clayton mit einem Drink auf den Balkon gegangen war, um die Aussicht auf den Central Park zu genießen, gesellte sich der Präsident zu ihm und sagte: »Wir haben heute abend noch nicht viel miteinander reden können, aber wir haben ein gutes Thema, das uns beide interessiert.« Damit meinte er Adlai. Und dann sagte er, er könne Adlais Macht über die Frauen einfach nicht verstehen. Jackie zum Beispiel möge Adlai sehr gern und bewundere ihn außerordentlich. Er selbst habe nicht dieselbe Leichtigkeit im Umgang mit Frauen wie Adlai, gestand Kennedy. »Woran könnte das Ihrer Meinung nach liegen?« fragte er Clayton und fügte hinzu: »Sehen Sie mal, ich bin vielleicht nicht der schönste Mann der Welt, aber verdammt noch mal, Adlai hat schon eine Halbglatze und einen Bauch, und seine Anzüge sitzen auch nicht gerade gut. Was hat er bloß, das ich nicht habe?« Claytons Antwort traf den Nagel auf den Kopf. Sie brachte zum Ausdruck, was die Frauen meiner Meinung nach in Adlai sahen und was sie an anderen Männern dieser Zeit abstieß. »Herr Präsident, ich bin froh, endlich einmal sagen zu können, daß Sie mir eine Frage gestellt haben, die ich wahrheitsgemäß und genau beantworten kann. Sie und Adlai lieben beide die Frauen, Adlai aber schätzt sie auch, und Frauen erkennen diesen Unterschied. Sie reagieren alle auf eine Art versteckter Botschaft, die er herüberbringt, wenn er mit ihnen redet. Er vermittelt ihnen nämlich den Eindruck, daß sie intelligent sind und daß es lohnt, ihnen zuzuhören. Er ist wirklich an dem interessiert, was sie sagen und was sie geleistet haben, und das nimmt sie für ihn ein.« Darauf erwiderte der Präsident: »Nun, da haben Sie vielleicht recht, aber ich bin nicht sicher, daß ich mich in einem solchen Ausmaß darum bemühen kann.«

Damals, im Herbst 1961, verbrachte ich ziemlich viel Zeit damit, Lallys Debütparty vorzubereiten, die zu Weihnachten im Haus meiner Mutter am Crescent Place stattfinden sollte, wenn Lally vom College daheim war. Am Balltermin 26. Dezember hielt ich vor allem deshalb fest, weil meine Mutter jedesmal, wenn eine ihrer vier Töchter volljährig geworden war und ihr Debüt gab, die Galaparty auf diesen Tag gelegt hatte. Meine Mutter, die anderen gegenüber so sehr zu barscher Kritik neigte, machte mir in dieser Zeit das erste große Kompliment, an das ich mich von ihr erinnern kann. Eines Tages sah sie mich bei den Partyvorbereitungen an und sagte: »Liebling, das mit den Listen machst du wirklich sehr gut.« Die Mischung der Partygäste war sehr gelungen: unsere Freunde, einige Freunde meiner Mutter und natürlich vor allem Freunde von Lally.
Die Erwachsenen trugen festliche Abendgarderobe mit Frack und weißer Fliege, die Jugend kam mit Smoking und schwarzer Fliege. Don, Bill und Steve trugen ihre besten Anzüge, und der damals neunjährige Steve reihte sich mehrmals in die Begrüßungsschlange ein.  Susan Mary Alsop erinnerte sich, wie schön Phil und Lally aussahen, als »wir alle zurücktraten und er mit Lally vom einen Ende des Ballsaals zum anderen Walzer tanzte. Sie waren das schönste, reizendste Paar, das ich je gesehen habe. Und das aufregendste - Lally mit ihrem wehenden schwarzen Haar, und er so elegant.« Es war in der Tat ein bezaubernder Abend - und eine der letzten Gelegenheiten, bei denen wir wirklich glücklich waren.