Obwohl die ersten sechs Monate des Jahres 1962 sehr vollgepackt waren, wiesen sie mit ihrer tröstlichen Routine eine gewisse Stabilität auf. Phil hatte sein altes Selbstvertrauen noch nicht völlig wiedergewonnen. Doch als der junge Verleger der Los Angeles Times, Otis Chandler, ehrgeizige Pläne entwickelte, um aus einem parteiischen und mittelmäßigen Blatt eine unabhängige, niveauvolle Zeitung zu machen, sah Phil eine gute Gelegenheit, gemeinsam mit Otis einen neuen Nachrichtendienst zu gründen. Die beiden Zeitungen sollten nach Phils Vorschlägen die Zahl ihrer Auslandskorrespondenten vergrößern und die Kosten dieser Expansion wenigstens teilweise dadurch kompensieren, daß die Produkte des gemeinsamen Nachrichtendienstes an ungefähr fünfundzwanzig größere Zeitungen weiterverkauft wurden. Otis reagierte positiv, und Phil und ich fuhren nach Kalifornien, um den Plan voranzutreiben. Der Los Angeles Times/Washington Post News Service wurde noch 1962 aus der Taufe gehoben.
Die Zahl der Abonnenten betrug ursprünglich zweiunddreißig, doch inzwischen nehmen in den USA und weltweit über sechshundert Zeitungen, Rundfunk- und Fernsehstationen sowie Nachrichtenmagazine den Dienst in Anspruch. Am 7. Juli fuhren Phil und ich mit Chip und Avis Bohlen in ein Ferienhaus in Nova Scotia (Kanada), das Bowater Mersey gehörte, der Firma, von der wir unser Zeitungspapier bezogen. Diese Reise mit den Bohlens ist nicht zuletzt deshalb erwähnenswert, weil es Phil anscheinend gutging und er innerlich im Gleichgewicht war. Nur ein einziges Mal in dieser Woche bat er mich, allein mit ihm spazierenzugehen und zu reden, weil er ein wenig niedergeschlagen sei. Er brauchte immer noch Hilfe, aber mein Hauptgedanke war: »Wie wunderbar, es geht ihm wieder gut. Er ist wieder der alte.« Was wir während dieser Reise noch nicht wußten, war, daß Präsident Kennedy Chip bereits die bevorstehende Ernennung zum US-Botschafter in Frankreich angekündigt hatte. Chip und Avis waren außerordentlich diskret und sagten kein Wort. Unmittelbar nach unserer Rückkehr wurde Chips Ernennung bekanntgegeben, und wenige Tage später gab es auf der Jacht des Präsidenten ein Dinner zu Ehren der Bohlens, zu dem auch wir eingeladen waren.
Alle Gäste waren auf dem offenen Heck des Schiffes versammelt, als Kennedys Wagen vorfuhr. Man saß im großen Kreis auf Klappstühlen, und es war nur noch ein einziger Stuhl frei - der direkt neben mir. So mußte sich der Präsident wohl oder übel neben mich setzen. Ich sah zu Phil hinüber und flehte ihn mit Blicken an, herüberzukommen und mir zu helfen, aber er sah mich nur mit einem mitfühlenden Lächeln an, obwohl er genau wußte, daß ich in Gegenwart des Präsidenten im Gespräch immer nervös war - vielleicht auch, weil er es wußte. Verschärft wurde meine Unsicherheit noch durch das Gefühl, daß sich der Präsident nicht freiwillig zu mir gesetzt hatte. Trotzdem begannen wir zu plaudern. JFK wollte von mir mehr über Avis, die älteste Tochter der Bohlens, wissen, eine talentierte junge Frau (die inzwischen zu den Stars im Diplomatischen Dienst zählt und 1997 zur Botschafterin in Bulgarien ernannt wurde).
Ich erzählte dem Präsidenten, sie sei ein ganz außerordentliches Mädchen und gerade dabei, ein Buch über den russischen Zaren Peter den Großen zu schreiben. »Ist sie nicht ein wenig zu lange im Kreis ihrer Familie geblieben?« fragte er in Anspielung auf die lange diplomatische Karriere der Eltern. Doch ich wußte, was eigentlich gemeint war: daß Avis ein wenig schüchtern war und sich gerne zurückzog. Darum wiederholte ich, sie sei ein sehr nettes Mädchen und ich schätzte sie sehr. Da sah er mich spöttisch an und sagte: »Oh, wir mögen nette Mädchen, Kay.« Am Tag nach dieser Bootsparty fuhr ich mit Phil und Steve nach Florida, um an der Einweihung von Miami Lakes teilzunehmen, dem Siedlungsprojekt von Phils Bruder Bill auf dem Gelände der alten Farm der Familie - einer planmäßig angelegten Siedlung, die sich inzwischen zu einer Gemeinde mit fast fünfundzwanzigtausend Einwohnern entwickelt hat. In Florida geschah mir etwas seltsam Bezeichnendes. Nach fünf langen Jahren hatte ich endlich das Gefühl, daß es Phil wieder gutging; seine Depressionen waren anscheinend verschwunden, und seine Arbeit begann ihn wieder mehr zu interessieren. Doch nun machte mir meine eigene Stimmung Sorgen. Meine Gefühle schienen sich von einer Woche zur anderen verändert zu haben: Mit den Bohlens in Kanada war ich glücklich gewesen, doch in Florida war ich die meiste Zeit den Tränen nahe und hatte nicht die geringste Ahnung, warum. Erst später wurde mir klar, daß es Phils plötzlicher Stimmungsumschwung war, der mir so zugesetzt hatte. Der kleine Spaziergang in Kanada zur Überwindung eines momentanen Stimmungstiefs war ein letzter Augenblick der Ruhe vor dem Sturm gewesen. Heute ist mir klar, daß die Phase des fast vollkommenen emotionalen Gleichgewichts damals ganz plötzlich zu Ende gegangen war und daß nun wieder eine Phase der Hyperaktivität begann - mit all den unvermeidlichen Wutausbrüchen und sarkastischen Tiraden, die ich kannte.
Inzwischen habe ich viel über manisch-depressive Zyklen gelernt und weiß, daß sie dazu tendieren, in immer schwererer Form und schnellerer Folge wiederzukehren, wenn man sie nicht behandelt. Was ich damals miterlebte, war eine solche Beschleunigung und Intensivierung der Zyklen. Ein untrügliches Zeichen dafür war, daß Phil wieder auf »Einkaufstour« ging - manche Käufe waren vernünftig, andere nicht unbedingt. Neben einer Beteiligung an der Bowater Papierfabrik - einem Deal, der im wesentlichen während der Rückreise aus Kanada auf dem Schiff abgeschlossen wurde - kaufte er in der ersten Augustwoche die Monatsschrift ARTnews, die älteste ununterbrochen publizierte Kunstzeitschrift der Welt. In Phils Augen war dieser Kauf »keine große Sache«, er bedeutete »keine große Investition an Knete, Zeit und Energie, aber ein beträchtliches Maß an Freude und Prestige und überdies einen vernünftigen Profit. Also alles in allem sehr angenehm.« Im Grunde hatte er diese Zeitschrift für mich gekauft, weil er meinte, hier könne ich mich beteiligen passend zu meinem wachsenden Interesse an moderner Kunst.
Phils zunehmendes Bedürfnis, ständig in Bewegung zu sein, führte zu einer hastig geplanten Sommerreise nach Europa mit den Kindern. Wir kamen gerade noch so rechtzeitig zurück, daß Don sich auf den Weg ins Harvard College machen konnte. Er hatte im Juni seinen High-School-Abschluß an der St. Albans School gemacht.
Obwohl er ein Jahr jünger als die anderen in seiner Klasse war, hatte er zu den Besten gehört. Phils Rat beim Abschied war eindeutig und doch für einen Zeitungsmacher ungewöhnlich: »Laß die Finger von Crimson (der Harvard College-Zeitung). Du bist in einer journalistischen Umgebung aufgewachsen, bei uns genauso wie bei Friendlys. Und du hast schon die St. Albans News herausgegeben. Darum solltest du jetzt lieber etwas anderes machen, um deinen Horizont zu erweitern.« Don hielt drei Monate durch, dann suchte er Kontakt zu Crimson. Fortan füllte diese Zeitung einen großen Teil seines Harvard-Lebens aus, und schließlich wurde er sogar Vorsitzender des Herausgebergremiums. Unsere eigene Routine kam nach der Europareise wieder in Gang, allerdings mit dem Unterschied, daß wir häufiger ausgingen und Phil noch härter arbeitete. Ihm gelang ein bemerkenswerter Coup, als er Walter Lippmann dafür gewinnen konnte, alle vierzehn Tage eine Kolumne für Newsweek und die Post zu schreiben, die von der Post auch an andere Blätter weiterverkauft werden konnte. Das war wirklich eine verblüffende Entwicklung, denn Walters Kolumnen waren seit 1931 in der New York Herald-Tribune erschienen. Lippmann war mit seinen dreiundsiebzig Jahren zwar nicht mehr der jüngste, aber immer noch der bedeutendste Zeitungskommentator, und seine Kolumne war ein prestigeträchtiges Pfund, mit dem man wuchern konnte. Sie wurde häufig zitiert und kam besonders Newsweek zugute.
Phils Arbeitstempo nahm weiter zu. Mit zwei Themen setzte er den Präsidenten unter Druck: Zum einen sollte, wenn es nach Phil gegangen wäre, Dean Rusk als Außenminister abgelöst und durch David Bruce ersetzt werden. Damit hatte Phil keinen Erfolg, doch mit seinem anderen Lieblingsthema stieß er auf offene Ohren: daß zur Belebung der Wirtschaft unbedingt eine Steuersenkung erforderlich sei. Phil trug seine Argumente in einem langen, plausibel und logisch aufgebauten Brief an den Präsidenten vor - ein klares Zeichen dafür, daß er noch immer klar und intelligent denken konnte. Von Oktober an wurde Phil indes zunehmend ungeduldiger und ärgerlichen Er bemühte sich nicht nur, den Los Angeles Times/Washington Post News Service zu verbessern-, er wirkte nicht nur als Trustee bei RAND, im Committee for Economic Development und an der George Washington University aktiv mit; er behielt nicht nur bei Post und Newsweek die Hand am Steuer; nein, er hatte noch etliche weitere Bälle im Spiel. So hatte er sich bereit erklärt, wieder einmal eine größere Rede zu halten - etwas, das er schon lange nicht mehr getan hatte - und zwar beim Festbankett anläßlich des fünfundzwanzigjährigen Jubiläums des Washington Building Congress. Er sprach über die »massive Krise«, der sich die Bundeshauptstadt gegenüber sehe, und sagte, der Jahr-2000-Plan für die Stadt diene nur »als Beruhigungsmittel der Planer und der Gegner jeglicher echter Reform, um uns von den alltäglichen, alljährlichen Problemen der Stadt abzulenken«. Die Rede fand ein positives Echo. Eine interessante Nebensächlichkeit im Zusammenhang mit diesem Dinner will ich nicht verschweigen. Der Geschäftsführer der Organisation hatte vorher an Phil geschrieben und auch mich mit folgenden Worten eingeladen: »Daß der Washington Building Congress in die Jahre kommt, läßt sich auch daran ablesen, daß er beschlossen hat, die ebenfalls eingeladenen Gattinnen am Kopfende der Tafel neben ihren Gatten zu plazieren ... «
Dieses Schreiben übergab Phil seinem Assistenten mit der Notiz: »Rufen Sie an ... und sagen Sie, daß Kay sich sehr darüber freut, und dann machen Sie Kay klar, wie erfreut sie ist.« Diese flüchtige, herablassende Notiz spricht Bände über Phils Seelenzustand, aber auch über unser Verhältnis. Sie wirft ein bezeichnendes Schlaglicht auf die Rolle der Frau in jenen Tagen: Daß ich hinging, wo Phil mich haben wollte, galt als ausgemacht. Ich selbst teilte diese Einstellung. Im Oktober übernahm Phil eine Aufgabe, die das Tempo in unserem Leben noch weiter steigerte. Er nahm eine Einladung Präsident Kennedys an, als Gründungsmitglied der Communications Satellite Corporation, kurz COMSAT, zu fungieren, mit der Erwartung, daß er in der Gründungsphase den Aufsichtsrat leiten würde. In der Tat wurde Phil Mitte Oktober zum Chairman gewählt. COMSAT war ein bahnbrechendes halb staatliches, halb privates Unternehmen, letztlich eine Art Telefongesellschaft. Dieses Unternehmen auf den Weg zu bringen - also aus einer aufregenden Vision eine reibungslos funktionierende, finanziell gesicherte Organisation zu machen - war eine Vollzeitbeschäftigung, die ein Höchstmaß an organisatorischem Geschick, unendlich viel Taktgefühl und Geduld sowie außerordentlich viel Zeit und Energie erforderte. Das war zwar nicht gerade das, was Phil zu diesem Zeitpunkt guttat, aber es war genau das, was er wollte - eine unwiderstehliche Versuchung, an einem aufregenden Abenteuer teilzunehmen, das tatsächlich die Welt verändern sollte.
Zeitgleich mit Phils Berufung an die Spitze von COMSAT zeichneten sich in der Außenpolitik bedrohliche Entwicklungen ab. Deutliche Krisenzeichen wurden bei einer Dinnerparty offenbar, die Joe und Susan Mary Alsop am Abend des 16. Oktober zum Abschied für die Bohlens gaben, die kurz vor dem Aufbruch nach Paris standen. Um den Franzosen zu demonstrieren, daß dieser Botschafter dem Präsidenten viel bedeutete, hatte Joe Wert darauf gelegt, daß Kennedy an diesem Dinner teilnahm. Außer den Alsops und Bohlens waren nur wenige weitere Gäste anwesend - Jack und Jackie Kennedy, der französische Botschafter und seine Frau, Isaiah Berlin, der im Rahmen eines Austauschprogramms gerade in Harvard lehrte, sowie Phil und ich. Der Präsident hatte just an diesem Morgen die ersten Bilder vom Bau der sowjetischen Raketenabschußrampen auf Kuba gesehen, sich aber entschlossen, seinen normalen Tagesablauf beizubehalten und auch zu Joe Alsops Dinnerparty zu gehen. Doch als er kam, begrüßte er die anderen kaum, nahm Chip beiseite und ging mit ihm zu einem längeren Gespräch ganz hinten in Joes Garten. Einigen von uns schien es beim Hinausschauen, als stritten sie sich. Joe glaubte schon fast nicht mehr, daß die beiden je wieder hereinkämen, und rannte nervös auf und ab. Doch gerade als Susan Mary meinte, das Essen werde wohl verdorben sein, wenn es noch länger warm gehalten werden müßte, kamen die beiden wieder herein, und wir setzten uns alle zu Tisch. Der Präsident war Susan Marys Tischnachbar zur Rechten. Sie erinnerte sich später: »Ich spürte eine außerordentliche Anspannung. Ich habe noch nie etwas Vergleichbares gespürt. Es war regelrecht ein körperliches Gefühl. Ich hatte den Eindruck, neben einem extrem hochtourig laufenden Motor zu sitzen, der bis an die Leistungsgrenze ging.«
Was ihr außerdem noch als ungewöhnlich auffiel, war, daß der Präsident, der sich so selten wiederholte und der die Tischgespräche so selten an sich riß, dieselbe Frage zweimal stellte, nämlich einmal an Chip Bohlen und dann an Isaiah Berlin: »Was haben die Sowjets in der Vergangenheit getan, wenn sie mit dem Rücken zur Wand standen? Wie verhalten sie sich?« Joe erinnerte sich, daß der Präsident »den ganzen Abend über sehr mit sich selbst und seinen Gedanken beschäftigt war«. Als sich, wie normalerweise nach dem Essen üblich, Damen und Herren zu getrennten Gruppen zusammenfanden, soll Kennedy laut Joe gesagt haben: »Natürlich, wenn man nur die Wahrscheinlichkeiten in der Geschichte bedenkt, stehen die Chancen fast fünfzig zu fünfzig, daß wir innerhalb der nächsten zehn Jahre einen Krieg mit Wasserstoffbomben erleben werden.« Es war der Beginn der Kubakrise, und Chip gehörte zu dem Team, das Kennedy zusammengestellt hatte, um ihn in dieser Krise zu beraten. Wie sich später herausstellte, hatte Kennedy an jenem Abend versucht, Chip zum Bleiben zu bewegen, damit er weiter im Krisenstab mitwirken könne. Doch Chip meinte, eine Änderung seiner Reisepläne könnte die Sowjets möglicherweise aufmerksam machen. Er überzeugte den Präsidenten, daß es besser sei, wenn er mit Avis wie geplant am folgenden Tag nach Paris aufbräche. Joe sah hierin später einen Beweis für Chips absolute Professionalität - hatte Chip doch zum Wohle des größeren Ganzen auf seine eigene Mitwirkung bei einem Schlüsselereignis des Jahrzehnts verzichtet.
Der Präsident, immer noch darauf bedacht, den Anschein der Normalität aufrechtzuerhalten, brach wie geplant zu einem Wahlkampfwochenende auf. Er hielt jedoch ständig Kontakt mit seinem Krisenstab im Weißen Haus und schützte dann unterwegs eine Erkältung vor, um vorzeitig in die Hauptstadt zurückkehren und die entscheidende Sitzung des Krisenstabs leiten zu können. Danach war der Kurs klar - lieber eine Blockade als ein Militärschlag, der ebenfalls zur Debatte gestanden hatte. Am Wochenende begannen erste Bruchstücke der die ganze Woche über strikt geheimgehaltenen Story an die Öffentlichkeit zu dringen. Die New York Times hatte Truppenbewegungen und andere Aktivitäten ausgemacht und bereitete einen Bericht von Scotty Reston vor. Als Scotty seine Reportage mit dem Weißen Haus abstimmen wollte, appellierte der Präsident an NY Times-Verleger Orville Dryfoos, die Story nicht zu bringen mit der plausiblen Begründung (so Arthur Schlesinger), daß ihn »eine solche Veröffentlichung möglicherweise mit einem Ultimatum aus Moskau konfrontiert hätte, ehe er eine Chance gehabt hätte, seine eigenen Pläne in die Tat umzusetzen«. Um den 20. Oktober herum begann auch die Washington Post Wind von der Sache zu bekommen. Ein Anruf bei Schlesinger im Weißen Haus ergab, daß die Lage »sehr angespannt« sei. Diese Aussage und die Tatsache, daß der Präsident wegen einer angeblichen Erkältung vorzeitig aus Chicago ins Weiße Haus zurückgekehrt war, war jedoch alles, was wir bei der Post in der Hand hatten. In dieser Situation gelang Murrey Marder ein brillantes Kabinettstückchen politischer Reportage. Damals gab es im Außenministerium noch ein Anmeldebuch für Besucher (das wegen ebendieser Story später abgeschafft wurde).
Marder sah, daß sich kurz zuvor zwei CIA Beamte in dieses Buch eingetragen hatten - was an einem Samstagabend sehr ungewöhnlich war. Murrey war sich nun sicher, daß eine akute Krise im Gange war. Weil er aber noch nicht wußte, wo, ging er einmal um das Gebäude des Außenministeriums herum: Nur in den Abteilungen für Lateinamerika und die internationalen Organisationen (auch für die UNO zuständig) brannte Licht. Als Stellvertretender Außenminister war für die UNO damals Harlan Cleveland zuständig. Als Marder nun Cleveland in die Arme lief, mußte er blitzschnell schalten und sich eine Frage ausdenken, auf die er eine aufschlußreiche Antwort erwarten konnte. Mit einer solchen hätte er kaum rechnen können, wenn er nur ganz allgemein »Was ist los?« gefragt hätte. Also lautete seine Frage: »Wie schlimm erscheint Ihnen die Sache, Harlan?« Und Cleveland erwiderte: »Wirklich ziemlich übel.«
Inzwischen hatte Murrey Berlin und den Nahen Osten als Krisenherde aus seinen Überlegungen ausgeschlossen und war somit bei Kuba als vermutlichem Krisenort angekommen. In der Hoffnung, daß Cleveland seine Vermutung bestätigen werde, ohne direkt gefragt zu sein, fragte Murrey nun: »Läuft es wieder so wie letztes Mal« - eine Anspielung auf die mißglückte Invasion in der Schweinebucht von 1961 -, »daß ihr an der Landeoperation beteiligt seid, aber nicht am Rückzug? Seid ihr denn wenigstens diesmal richtig in die Entscheidungen bei dieser Kuba-Sache einbezogen?« Cleveland sagte: »Das glaube ich schon.« Am Sonntag, den 21. Oktober, erschien daraufhin in der Post eine Story über eine Krise auf Kuba.
Präsident Kennedy bekam einen fürchterlichen Wutanfall. Die NY Times, die tatsächlich bereits mehr als die Hälfte der gesamten Story recherchiert hatte, hatte er abwehren können und dann kam plötzlich aus heiterem Himmel die Post, mit der niemand ernsthaft gerechnet hatte. Anscheinend rief Kennedy noch am selben Tag bei Phil an und bat ihn, sein Blatt vom Thema Kuba behutsam wieder abzubringen. Doch davon wußten Chal Roberts und Murrey Marder noch nichts, als sie in der ganzen Stadt weiteren Mosaiksteinchen für ihre Story nachjagten. Phil zitierte Marder in Al Friendlys Büro zu sich und fragte ihn, ob er denn wisse, was er da tue. Als Marder ihm berichtete, was sich am Abend zuvor zugetragen hatte, antwortete Phil nur: »Mein Gott, ist das alles, worauf Ihre Story beruht?« Dann ging Murrey wieder an seine Schreibmaschine. Al meinte, die Kuba-Geschichte sei für unsere Verkaufszahlen letztlich nicht so wichtig, und nahm sie von der Titelseite. Noch heute behauptet Murrey, nicht zu wissen, was Präsident Kennedy Phil gesagt oder wozu sich Phil dem Präsidenten gegenüber bereit erklärt habe. Zweifellos aber wollte Phil nicht, daß die Post sich weiter auf das Thema Kuba konzentrierte. Die Story in der nächsten Ausgabe erschien dann unter einer Riesenüberschrift über die ganze Breite der Seite: WICHTIGE ENTSCHEIDUNG DER VEREINIGTEN STAATEN ERWARTET. Ohne Verfasserzeile begann Marder seinen Text:
Gestern hüllte sich das offizielle Washington in ein so dichtes Schweigen, wie es in Friedenszeiten fast ohne Vorbild ist, während die Politiker in Schlüsselpositionen eine bedeutende internationale Entscheidung vorbereiteten, zu der sie keine Stellungnahme abgeben durften. Im Weißen Haus und im Außen- und Verteidigungsministerium weigerte man sich, Berichte offiziell zu bestätigen oder zu dementieren, die gestern in der Washington Post veröffentlicht wurden, daß Kuba im Brennpunkt einer außergewöhnlichen Operation stehe
An jenem Tag, am Montag, den 22. Oktober, unterrichtete Präsident Kennedy die Führer des Kongresses und hielt anschließend am Abend eine Fernsehansprache an die Nation. Jetzt war Kuba als Krisenherd enthüllt. Bill Walton und eine Freundin der Kennedys, Helen Chavchavadze, die zum Essen im Weißen Haus eingeladen waren, sahen sich die Fernsehansprache noch in Bills Haus in Georgetown an und rasten dann ins Weiße Haus, um vor Ort zu sein, wenn der Präsident aus dem Sendestudio im Souterrain nach oben kam. Bill gratulierte Kennedy zu seiner eindrucksvollen Friedensrede, doch der Präsident soll laut Bill nur erwidert haben: »Im Augenblick können wir nur zuhören und beten. Wir wissen nicht, was geschehen wird.« Dann nahm ein Helfer des Weißen Hauses Bill und Helen beiseite und sagte: »Wenn es kritisch wird, werden Sie und Frau Chavchavadze mit den beiden schnell in Sicherheit gebracht. Sie müssen dann aber mitkommen.« Das hieß, sie sollten an einen sicheren Ort auf dem Lande gebracht werden, der eigens für den Präsidenten gebaut worden war. Helen brach in Tränen aus und schluchzte, sie könne nicht mitkommen, weil ihre beiden kleinen Kinder mit dem Kindermädchen allein zu Hause seien. »Ich kann nicht mit, ich will nicht mit«, rief sie. Und der Helfer beruhigte sie mit der Bemerkung: »Schon gut, wir glauben ja auch nicht, daß es soweit kommen wird.« Phil verhielt sich während der Kubakrise vollkommen normal; allenfalls könnte man bemängeln, daß er Kennedys Wünsche allzu genau ausführte. Freilich muß man bedenken, daß damals unheimlich viel auf dem Spiel stand. Ich selbst machte mir große Sorgen um den Weltfrieden, glaubte jedoch nicht, daß es wirklich zum Krieg kommen werde. Ich kann mich jedenfalls nicht erinnern, selbst große Angst gehabt zu haben. Die Aussicht auf einen Atomkrieg erschien uns allen wesentlich unrealistischer, als sie tatsächlich war.
In diese Zeit fielen zwei weitere bedeutsame Einkäufe Phils - ein Zeichen, daß sich seine Kaufsucht nochmals gesteigert hatte, wie es für diese Krankheitsphase typisch ist. Allerdings hatte mir damals immer noch niemand den Namen dieser Krankheit genannt; erst später erfuhr ich, daß Kaufsucht ein bestens bekanntes Symptom manisch-depressiver Erkrankungen ist. Im ersten Fall sah Phil in der Post eine Immobilienanzeige, in der eine etwa acht Kilometer von Glen Welby entfernte Farm in Hume, Virginia, zum Kauf angeboten wurde - ein 146 Hektar großes Anwesen, das einschließlich des Hauses nur 52 000 Dollar kosten sollte. Phil ließ sich ein Luftbild schicken und bat dann, ohne die Farm je persönlich in Augenschein genommen zu haben, seinen Anwalt, alles so weit vorzubereiten, daß nur noch der endgültige Kaufvertrag zu unterschreiben war. Der ganze Kauf wurde in zwei Wochen abgewickelt. Die Baranzahlung belief sich auf 26 500 Dollar. 20 000 davon stammten Ironie des Schicksals, wie sich später herausstellen sollte! - aus meiner Schatulle. Für mich gab es keinen logischen Grund, dem Kauf einer zweiten Farm zuzustimmen. Aber ich sagte wie fast immer - zu allem ja und amen. Phil mußte milde gestimmt werden, und viele seiner Anschaffungen, an denen ich zunächst Zweifel gehabt hatte, hatten sich nachträglich als Gewinn erwiesen. Außerdem entschied sich Phil für den Kauf eines großen, teuren Privatflugzeugs, einer Gulfstream 1. Normalerweise bestellte man sich ein solches Flugzeug Monate im voraus, doch Phil wollte seinen »Vogel« sofort und mußte deshalb mit dem Vorführmodell der Firma Grumman vorlieb nehmen. Diesmal war es meine Mutter, die Bedenken hatte. Wir sollten doch noch einmal in Ruhe über die Konsequenzen nachdenken, wenn uns jetzt ständig ein Flugzeug zur Verfügung stünde, schrieb sie an Phil:
Laß mich bitte noch einen Einwand gegen das Flugzeug zu Papier bringen. Es wird Euer Leben unweigerlich noch weiter beschleunigen, und zwar viel mehr als früher das Automobil. Doch Ihr beide müßt Eure physischen Kräfte noch stärker schützen als andere Menschen mit weniger wachen Nerven. Vor Euch liegt eine große Zukunft, die für Eure wunderschöne Partnerschaft viel Erfreuliches bringen, aber auch für unser Land von großer Bedeutung sein wird. Aber dazu müßt Ihr beide ein Auge auf Euch haben, auf Eure eigene Gesundheit und die des anderen.
Meine Mutter hatte damals von Phils Problemen noch nicht die leiseste Ahnung, doch später, als sie unvermeidlicherweise von seiner Krankheit hörte, stand sie mir tapfer und unverbrüchlich bei.
Gegen Ende Oktober hielten die Gründungsmitglieder der COMSAT ihre erste Sitzung ab. Die erforderliche Eile in der Gründungsphase des Unternehmens verschärfte die Hektik in Phils Leben noch mehr. Sie trug auch dazu bei, daß Phil sich über alles und jeden, der ihm in die Quere kam, furchtbar erregte. Auf der Suche nach einem neuen Aufsichtsratsvorsitzenden wandte er sich an unseren Freund, General Lauris Norstad, der kurz vor seiner Ablösung als Oberkommandierender der Alliierten Streitkräfte in Europa stand. Phil bedrängte ihn, sein Einverständnis mit der neuen Aufgabe bei COMSAT zu erklären, und schaltete bei seinen Bemühungen sogar den Präsidenten und Verteidigungsminister McNamara ein. Nach Phils Vorstellungen sollte auch Frank Stanton - immer noch CBS-Präsident und wie Phil Trustee bei RAND - als Chefmanager im operativen Geschäft für COMSAT gewonnen werden.
Am 2. November flog ich mit Phil zum New Yorker Flughafen Idlewild (heute nach John F. Kennedy benannt), um ihn nach Europa zu verabschieden, wo er mit Larry Norstad über COMSAT sprechen wollte. Am Morgen des folgenden Tages schrieben beide Männer von Paris aus Briefe an Stanton. Phil hielt es für dermaßen dringend, Stanton zu kooptieren, daß er sich entschloß, diese Briefe persönlich überbringen zu lassen, um ganz sicherzugehen, daß sie Stanton so schnell wie möglich in New York erreichten. Am späten Nachmittag des 3. November meldete Stantons Sekretärin telefonisch eine Besucherin mit einer persönlichen Botschaft für ihn an. »Nehmen Sie die Botschaft in Empfang, ich hole sie mir später«, wollte Frank seine Sekretärin abwimmeln, doch diese insistierte: »Die überbringerin will Sie aber persönlich sprechen!« Wie Frank mir später erzählte, kam daraufhin eine junge Frau in sein Büro, nahm Platz und sagte: »Hier ist etwas, das ich Ihnen im Auftrag von Mr. Graham geben soll.« Frank bedankte sich und legte die beiden Briefe auf seinen Schreibtisch offenbar, um sie später zu lesen. Doch die junge Dame ließ nicht locker: »Wollen Sie denn die Briefe gar nicht lesen? Ich bin mit dieser Botschaft den ganzen Weg über den Ozean zu Ihnen gekommen.
Da müssen Sie sich die Sache doch wenigstens anschauen.« Das Auftauchen dieser jungen Frau in New York - ihr Name war Robin Webb - markierte den Anfang von Phils tragischem Ende. Erst viel später konnte ich wenigstens teilweise rekonstruieren, was sich bis zu jenem Zeitpunkt in meiner Abwesenheit ereignet hatte - vor allem aber, was sich dann in den folgenden Monaten ereignete. Larry Collins, der damals Chef des Pariser Büros von Newsweek war und später ein bekannter Autor wurde, hatte von Phil einen Anruf mit der Bitte erhalten, ihm für seinen Parisaufenthalt an jenem Novemberwochenende eine jederzeit abrufbare Sekretärin zur Verfügung zu stellen. Larry spürte, daß es um etwas Wichtiges gehen mußte. Deshalb kam nur eine Person seines Vertrauens in Frage. Er konnte also nicht einfach eine Pariser Sekretärinnenagentur beauftragen, und das Englisch der Sekretärin in seinem Büro genügte den Ansprüchen eines Diktats nicht. Aber Larry wußte, daß Robin, die für Newsweek häufiger Aushilfsjobs übernahm, dafür geeignet war. Deshalb rief er sie an und bat sie einzuspringen. Robin war in der Tat eine fähige Journalistin. »Sie kam aus Australien«, erinnerte sich Larry. »Und sie war beim anderen Geschlecht ziemlich beliebt, vielleicht ein bißchen zu >gesellig<. Sie war lustig und sehr nett und nach guter australischer Sitte dem Alkohol nicht abgeneigt. Ein netter Kerl, wie man so sagen würde. Sie arbeitete recht hart und machte sich bei uns sehr gut.«
Als Larry sie anrief, lautete Robins erste Reaktion: »Ich bin keine Sekretärin, ich bin Journalistin.« Darauf erwiderte Larry: »Hör mal, sei doch nicht so dumm. Schließlich kannst du auf diese Weise den Boß kennenlernen.« Nur zögernd stimmte sie zu und ließ sich zusichern, daß Larry sie nie wieder zum Diktat bitten werde. Phil teilte Larry Collins später mit, er habe sich seine »Sekretärin für 48 Stunden ausgeliehen«, um die Briefe nach New York zu überbringen. Er erwähnte aber auch, daß er Robin gesagt habe, sie könne seine Suite im Carlyle nutzen, sich dort entspannen und es sich einige Tage in New York gutgehen lassen, ehe sie wieder nach Europa zurückkehre. Auf diese Weise war schlagartig die Verbindung zwischen Phil und Robin zustande gekommen. Am 5. November flog Phil selbst aus Paris zurück, und ich holte ihn in New York ab. Wir fuhren nach Washington, aber schon am nächsten Tag flog er wieder nach New York. Er ging zu einer Redaktionskonferenz bei Newsweek, traf Frank Stanton (der an dem angebotenen Job niemals ernsthaft Interesse zeigte) und nahm - was im Rückblick am wichtigsten erscheint - Robin in seinem Flugzeug mit nach Glen Welby. So fing alles an. Ich weiß nicht, wie lange Robin damals in den Vereinigten Staaten blieb. Als sie ins Pariser Newsweek-Büro zurückkehrte, verhielt sie sich in bezug auf ihr Verhältnis mit Phil diskret. Und doch war laut Larry Collins klar, daß sie auf Wolke sieben schwebte. Als Phil am Freitag, den 9. November, aus Glen Welby zurückkam, schwänzte er einige Sitzungen bei RAND, ging jedoch zu einer Sitzung bei der Post. Am Abend waren wir im Weißen Haus zum Essen eingeladen, und am folgenden Tag begleiteten Phil und ich meine Mutter zur Beerdigung von Eleanor Roosevelt. In der Gulfstream flogen wir nach Hyde Park im Staat New York. Nachdem die beiden Frauen in den ersten Jahren mehrfach heftig aneinandergeraten waren, waren meine Mutter und Eleanor später enge Freundinnen geworden - wozu nicht zuletzt viele gemeinsame Interessen beitrugen, persönliche wie politische.
Beide waren aus ungefähr dem gleichen Holz geschnitzt: sehr starke Frauen, kopfgesteuert und emotional kompliziert, im Grunde einsam. Mrs. Roosevelts Tod machte meine Mutter tieftraurig. Phils Verhalten wurde immer unberechenbarer und schlimmer, zumal sich vieles nun in der Öffentlichkeit abspielte. Doch wir alle entschuldigten seine abwegigen Zornesausbrüche damit, daß sie Zeichen der Erschöpfung seien. Er schaffte ja wirklich unheimlich viel - und sehr vieles von dem, was er tat, war immer noch sehr gut. Gleichzeitig begann er jedoch, jeden in seiner Umgebung mit unglaublichen Wutausbrüchen zu attackieren. Die Ausfälle gegen Russ und Al waren besonders extrem und ereigneten sich immer häufiger. Doch beide Männer deckten Phil, so daß die Regelmäßigkeit und Heftigkeit der Attacken den anderen bei der Post gar nicht recht klar wurden. Max Isenbergh, ein alter Klassenkamerad und Kollege von Phil, den dieser für die gemeinsame Arbeit bei COMSAT gewonnen hatte, erinnerte sich, daß Phil sich eines Tages aus heiterem Himmel auch gegen ihn wandte. Nichts hatte seinen Zorn erregt, Phil wollte einfach nur wütend sein, sagte Max - und das war anscheinend typisch für die Zorneseruptionen, die immer mehr zur Gewohnheit wurden. Max erzählte mir später auch, daß Phil ungefähr zur Zeit des Nachrichtenembargos zu Beginn der Kubakrise in seinem Büro in seiner, Max', Gegenwart einen Telefonanruf des Präsidenten entgegengenommen habe. Als Max höflicherweise aus dem Zimmer gehen wollte, habe Phil ihm Zeichen gegeben zu bleiben. Und dann habe Max gehört, wie Phil »mit dem Präsidenten redete: wie ich noch nie zuvor zwei französische Lastwagenfahrer erlebt habe, wenn sie sich nach einem Unfall anschreien. Und der Präsident hat nicht aufgelegt.«
Phil wurde immer intoleranter und verletzender, und er warf mit unflätigen Ausdrücken um sich. Im Sommer 1962 begann er, seine Wutausbrüche auch gegen mich zu richten. Doch es sollte noch schlimmer kommen. Ein Treffen Mitte November mit den Mitgliedern des Gründungsaufsichtsrats von COMSAT sollte sich zu einem regelrechten Alptraum entwickeln. Irgendwann gegen Ende der Nachmittagssitzung wandte sich Phil, so Max Isenbergh, an ihn und sagte: »Elch« - Max' Spitzname »übernimm bitte die Leitung, ich gehe jetzt in den Metropolitan Club und lasse mich massieren.« Sprach's und ging hinaus. Ziemlich bald danach wurde die Sitzung vertagt, und alle gingen zum Essen in den F Street Club, wo sich Phil wieder zu ihnen gesellte. Dort sagte dann Byrne Litschgi, ein Mitglied des Aufsichtsrates, über eine am Nachmittag erarbeitete Presseerklärung, die sich allein relativ unwichtigen Personalangelegenheiten gewidmet hatte, es sei zwar »sehr wichtig, daß die Öffentlichkeit erfährt, daß Sie tolles Personal einstellen und daß COMSAT dabei gezielt vorgeht, aber ich glaube trotzdem, daß wir in naher Zukunft auch einmal unsere Unternehmenspolitik darlegen sollten«. Daraufhin wurde Phil extrem ausfallend und beugte sich über den Tisch, als wolle er Litschgi schlagen.
Die Leute waren total schockiert, und Phil wurde aus dem Raum geführt. Niemand wußte, was zu tun war. Phil kam nach Hause und erzählte mir die Geschichte im einzelnen. Er sagte, dieser Mann habe ihn über die Grenze des Erträglichen hinaus gereizt, und er habe einfach das Gefühl gehabt, jetzt gehen, sich ausruhen und seine Fassung wiedergewinnen zu müssen. Sofort am nächsten Tag reisten wir überstürzt zu einem Kurzurlaub ab. Doch als wir im kalifornischen Palm Springs ankamen, meinte Phil, es gefalle ihm dort nicht. Also packten wir die Koffer wieder und quartierten uns im Arizona Biltmore Hotel in Phoenix ein. Mit einigen Tagen Abstand schrieb Phil an Litschgi, aber so, daß er nur einen halben Rückzieher machen mußte und seinen Groll in den Entschuldigungsbrief einfließen lassen konnte:
Ich weiß, daß die konventionell angemessene Form nach einem Zornesausbruch wie dem meinen verlangen würde, daß ich Ihnen einen Entschuldigungsbrief schreibe und Sie darin bitte, die ganze Episode zu vergessen ... Doch nach fünf Tagen Ruhe, Sonne und Nachdenken werde ich es nicht so konventionell halten denn das wäre letztlich zu jovial, unmenschlich und unaufrichtig ... Lassen Sie es mich so formulieren: Es ist sehr bedauerlich, wenn jemand so aus der Haut fährt wie ich. Aber ich glaube auch, daß es genauso bedauerlich (wenn nicht gar noch bedauerlicher) ist, wenn jemand sich als Mitglied eines Gründungsaufsichtsrates so hölzern, einfallslos und enttäuschend verhält wie Sie ... Doch Schluß damit. Ich habe mir gesagt, daß Sie vielleicht aus Mangel an Erfahrung in vergleichbaren Positionen sehr angespannt sind. Ich habe mir gesagt, daß Sie vielleicht auch nur einer jener Unglückseligen sind, denen es völlig an Humor oder Phantasie mangelt. Doch es steht mir nicht zu, Ihr Wesen auf derart herablassende Weise zu analysieren ... Kämpfen Sie nicht gegen Ihren Zorn an. Emotionen sind für nutzbringende menschliche Aktionen hilfreicher, als man in der Juristischen Fakultät von Harvard zuzugeben bereit ist. Und Sie haben jedes Recht, über meine gemeinen und übertriebenen Ausfälle wütend zu sein. Ich möchte mich aufrichtig bei Ihnen entschuldigen - und dann auch weiterhin mit Ihnen zusammenarbeiten, im Konsens oder auch im offenen, mannhaften, ausdrücklichen Dissens. Und bei dieser Angelegenheit gibt es weiß Gott mehr als genug Raum für Meinungsverschiedenheiten. Direkt und offen ausgetragene Differenzen können Klarheit bringen und zu vernünftigen Lösungen führen. Ich werde mich bei Ihnen entschuldigen und mit Ihnen zusammenarbeiten - wenn ich Ihre Beschwerden offen von Ihnen gehört habe und wenn Sie Ihrerseits vielleicht mögliche Fehler ebenfalls eingestanden haben
Einige Wochen später schrieb Phil erneut an Litschgi. Und diesmal eröffnete er seinen Brief mit einer ehrlichen Selbstanalyse des Vorfalls:
Ich fürchte, ich bin wie ein Tiefseelebewesen, das einfach ohne entsprechenden Druckausgleich nicht schnell an die Wasseroberfläche steigen kann. Wie dem auch sei, mein Auftauchen ist langsam verlaufen. Mein erster Brief an Sie war nur Teil eines allmählichen Druckausgleichs. Ich möchte Ihnen jetzt mitteilen, daß ich die ganze Situation nochmals überdacht habe. Heute kann - ich mit vollkommener Aufrichtigkeit sagen:
- Ich möchte mich für alles entschuldigen.
- Mein Verhalten war unmenschlich und unverzeihlich.
- Ich kann nicht auf mildernde Umstände plädieren, weil ich selbst nicht glaube, daß es für solch schlimmes Verhalten mildernde Umstände geben kann.
Ich möchte Ihnen auch noch sagen, daß Sie sich wie ein vollkommener Gentleman verhalten haben. Ich hoffe und glaube, daß Ihr Beispiel ansteckend wirkt - jedenfalls, soweit es mich betrifft. Ich freue mich auf die weitere Zusammenarbeit mit Ihnen.
Es läßt sich leider nicht mehr feststellen, ob für diesen Sinneswandel die Zeit oder eine dritte Person als Vermittler verantwortlich war. Außer der Erledigung von Korrespondenz und einigen geschäftlichen Angelegenheiten, die überwiegend mit der COMSAT zu tun hatten, verlebten Phil und ich in Phoenix eine relativ behagliche Zeit. Wir spielten Golf und ruhten uns aus. In der Mitte der ersten Woche bat mich Phil, in unserem Flugzeug zum Lockheed-Firmengelände in Burbank, Kalifornien, mitzufliegen und den Leuten Anweisungen für die Neugestaltung des - unserem Geschmack überhaupt nicht entsprechenden - Innenraums zu geben, die für Anfang Dezember geplant war. Ferner schlug Phil vor, ich solle während meines Aufenthalts in Kalifornien meine Schwester Flo anrufen und mich mit ihr zum Lunch treffen. Wir trafen uns auf halbem Wege im Brown Derby Hotel zu einem langen, bewegenden, denkwürdigen Lunch. Wir unterhielten uns vertrauensvoll über unsere Eltern, und Flo schimpfte unaufhörlich über Mutter, die es geschafft habe, ihre wichtigsten frühen Romanzen zu durchkreuzen - darunter auch die mit Drew Pearson. Besonders bitter vermerkte Flo, daß Drew damals als Schwiegersohn nicht gut genug war, während Mutter selbst später eine enge Freundschaft mit ihm unterhielt. Flo war so offenkundig traurig über all diese Ereignisse aus der ferneren Vergangenheit, die sie immer noch quälten, daß ich schließlich sagte: »Meinst du nicht, daß du glücklicher wärest, wenn du all das mal hinter dir lassen könntest? Schließlich bist du fünfzig und sie fünfundsiebzig. Wäre es nicht an der Zeit?« Doch mit meiner Frage richtete ich nichts aus; Flos Einstellung zu unserer Mutter blieb unbeirrbar negativ.
Unser eigener Austausch jedoch war zum Glück freundschaftlich und liebevoll. Abgesehen von ihrem Unglück aus vergangenen Tagen schien es ihr gutzugehen. Beim Abschied freuten wir uns auf das geplante Wiedersehen in der folgenden Woche, in der Phil und ich in Los Angeles zu tun hatten. Doch vier Tage nach unserem Lunch brachte ein Bote, während ich gerade Golf spielte, die Nachricht von Flos plötzlichem Tod, der offenbar ohne jede Vorwarnung eingetreten war. Sosehr mich die Trauer übermannte, war ich Phil doch dankbar, daß er darauf bestanden hatte, daß ich mich trotz der länger geplanten Begegnung in der Folgewoche mit Flo getroffen hatte. Wir flogen sofort nach Los Angeles, und Phil zeigte sich der Situation mehr als gewachsen. Besonders für Flos Söhne Vincent und Larry war er in jeder Hinsicht eine große Hilfe. Aber auch für mich, die ich Flo sehr geliebt hatte. Sie war so schön, so lustig, so belesen - und doch auch so traurig gewesen. Sie hatte ihre Jungen angebetet und war ihnen eine besorgte und liebevolle Mutter gewesen. Dagegen wird es mir nie gelingen, die seltsame Beziehung richtig einzuschätzen, die Flo zu ihren Freunden, den Halperns, gehabt hatte, die anscheinend einen starken Einfluß auf sie ausübten. Nach Flos Tod legten Otto und Maria Halpern einen eigenhändig unterzeichneten Brief vor, in dem sie verfügt hatte, daß die Halperns für die Kinder sorgen sollten, falls ihr etwas zustieße. Ziemlich bald nach Flos Beerdigung nahmen die Halperns die Jungen auf Dauer mit nach Europa, ohne irgend jemandem von uns Bescheid zu geben. Flo hatte eine schmerzliche Scheidung hinter sich, und die erreichte Vereinbarung hatte vorgesehen, daß der Vater, der Schauspieler Oscar Homolka, im Leben seiner Söhne keine Rolle mehr spielen durfte. Homolka heiratete wieder und interessierte sich, wie ich glaube, danach nicht weiter für die Jungen.
Doch wurde es nun praktisch unmöglich, die Homolka-Söhne zu besuchen oder Kontakt zu ihnen zu halten, bis der jüngere, Larry, in die Heimat zurückkehrte und gegen den Willen der Halperns seine Schulfreundin aus High-School-Zeiten heiratete. Vincent lebt weiterhin in England und fühlt sich Mrs. Halpern verbunden. Ich habe ihn seither nur einmal wiedergesehen. Er hat sein Geld weitgehend verschenkt und lebt recht spartanisch. Nach Flos Beerdigung kehrten Phil und ich nach Phoenix zurück und trafen uns am Abend vor unserer Heimkehr nach Washington mit Henry und Clare Luce in deren Haus direkt neben dem Hotelgrundstück zu einem Drink. Trotz der von nur wenig Arbeit unterbrochenen mehrwöchigen Erholungspause war Phil erregt. Beim Essen an jenem Abend nahm er - mit der Erklärung, sie seien ihrer unwürdig - Clares Plastikschuhe weg. Und beim Abschied hob er Clare einfach hoch und trug sie zum Auto. Beides deutete darauf hin, daß in seinem Verhalten etwas grundlegend in Unordnung geraten war. Die Öffentlichkeit bekam nur die oberflächlichen Folgen von Phils Aktivitäten mit: die Ausweitung des Nachrichtendienstes, den Kauf von ARTnews, den Erwerb von Walter Lippmanns - und später auch von Joe Alsops - Kolumne, COMSAT, die redaktionellen und unternehmerischen Entscheidungen bei Newsweek und der Washington Post, den Kauf des Flugzeugs und der zweiten Farm. In der letzten Novemberwoche des Jahres 1962 erschien im Nachrichtenmagazin Time ein Artikel unter der Überschrift »Der Käufer«.
Auf die Frage des Reporters, ob er noch weitere Kolumnisten an Land ziehen werde, hatte Phil geantwortet. »Ich hätte noch einen weiteren großen Kolumnisten bekommen können, aber ich wollte nicht unverschämt erscheinen.« In dem Artikel wird Phil ferner mit dem Ausspruch zitiert: »Ich bin noch auf der Suche nach ein oder zwei weiteren Fernsehstationen und vielleicht noch einer Papierfabrik.« Im Dezember kehrte Phil schnell zu seinem alten, überhöhten Aktivitätsniveau zurück. Er bemühte sich noch immer, für die Leitung von COMSAT ein hochkarätiges Team zusammenzubekommen, und flog deshalb in der folgenden Woche mehrfach zwischen Washington und New York hin und her. Am 10. Dezember fand in New York eine weitere Sitzung des Gründungsaufsichtsrats von COMSAT statt, diesmal ohne Probleme. Zugleich nahm Phil auch an einigen wichtigen RAND-Sitzungen teil, für die er bei der Post den Gastgeber spielte. Was genau Phil bei RAND trieb und erreichte, war mir niemals klar, aber er bekam ein Telegramm vom Vizepräsidenten der Organisation, in dem es heißt, es sei ihm zu Ohren gekommen, daß Phils »herausragender Beitrag« für den weiteren Fortgang entscheidend gewesen sei. »Das Land, die Air Force und die Leute bei RAND, alle haben gewonnen.
Und ich kann Ihnen versichern, daß wenigstens die letztgenannte Gruppe Sie nicht so schnell vergessen wird. Wir werden uns bemühen, uns Ihrer Leistung würdig zu erweisen.« Dieses Telegramm ist letztlich nur ein weiterer Beleg dafür, daß Phil sich auch in der immer düsterer werdenden Szenerie aus Hyperaktivität, Wutausbrüchen und Irrationalität einen großen Teil seiner Fähigkeiten bewahrt hatte. Er konnte immer noch Beträchtliches leisten. Am 13. Dezember traf er sich mit Präsident Kennedy im Weißen Haus, um über die Fortschritte bei den Plänen für Kommunikationssatelliten und einige andere Dinge zu berichten, und am folgenden Tag flog er in Sachen COMSAT erneut nach Europa. Auf dieser Europareise - der zweiten innerhalb von fünf Wochen - nahm er die Verbindung zu Robin Webb wieder auf. Im offiziellen Reiseprogramm wurde sie von Phil als »Newsweek Reporterin und vorübergehende Shopperin, Reiseleiterin und femme de chambre für unsere Gruppe« beschrieben. Ich hatte keine Ahnung, was in Paris ablief, und dachte nur, Phil sei in einer sehr wichtigen Angelegenheit unterwegs. Ziemlich bald nach seiner Rückkehr richteten wir uns in unserem Haus an der R Street gemütlich für die Weihnachtsferien ein. Weil Phil eine wachsende Aversion gegen Weihnachten entwickelt hatte, mußte ich im Lauf der Jahre - und ganz besonders, seit seine Stimmungsschwankungen heftiger geworden waren - allmählich alles, was mit Weihnachten zusammenhing, allein übernehmen: das Schmücken des Hauses, die Planungen, das Besorgen der Geschenke, die Partyorganisation. Am Nachmittag jenes Heiligabends 1962 endete für mich die Welt, die ich gekannt und geliebt hatte: Als das Telefon klingelte, nahm ich den Hörer ab, ohne zu merken, daß Phil sich in sein Ankleidezimmer zurückgezogen hatte und dort hinter verschlossenen Türen ebenfalls abgenommen hatte. Auf diese Weise mußte ich also mit anhören, wie Phil und Robin unzweideutig als Liebespaar miteinander sprachen. Ich wartete noch, bis Phil aufgelegt hatte, ging dann aber sofort in sein Zimmer und stellte ihn zur Rede. Ich fragte ihn, ob meine Schlußfolgerungen zuträfen.
Er bejahte.
Es ist fast unmöglich, meine totale Erschütterung nach der Aufdeckung dieser Affäre zu beschreiben. Dergleichen ist zwar schon unzähligen Menschen beiderlei Geschlechts widerfahren, aber ich hatte niemals auch nur im Traum daran gedacht, daß mir so etwas geschehen könnte. Ich wußte, daß Ehen auch vorübergehende Verletzungen der Loyalität überstehen können, aber dieser Fall lag anders. Selbst im Rückblick ist nur sehr schwer zu verstehen, warum mir die Möglichkeit, Phil könnte eine Affäre haben, überhaupt nie in den Sinn gekommen war. Zu sehr hatte mich die große Nähe in unserer Beziehung geblendet, zumal nach allem, was wir in den letzten Jahren gemeinsam durchgestanden hatten. Mein Gefühl, daß nun etwas Fundamentales zu Bruch gegangen war, hatte auch mit meiner eigenen totalen Hingabe und meiner Überzeugung zu tun, daß diese Einstellung auf Gegenseitigkeit beruhte. Dieses Gefühl war natürlich auch Teil meiner allgemeinen Verblüffung und Erschütterung über Phils Verhalten, das mir immer seltsamer vorkam. Denn der Zusammenhang zwischen der fürchterlichen Depression, die er überwunden hatte, und den entgegengesetzten Stimmungen, die ihn gerade damals zur Weihnachtszeit wieder beherrschten, war mir immer noch nicht klar. Bisher hatte in meiner Gegenwart niemand den Begriff »manisch-depressiv« in den Mund genommen. Ich glaubte von ganzem Herzen, daß Phil und ich fest miteinander verbunden seien durch die Dauer unserer Ehe, die wir ja aus freier Entscheidung eingegangen waren, durch gemeinsame Erlebnisse, durch unsere Familie und durch die Washington Post Company, die uns beiden so unendlich viel bedeutete.
Auch Phil war erkennbar erschüttert. Er sagte mir, daß er unsere Ehe und die Familie nicht aufgeben wolle. Er beteuerte, daß er Robin liebe, ihr aber sagen werde, daß die Affäre beendet sei. Er werde bei seiner Familie bleiben. Es war ein denkwürdiges Weihnachtsfest. Mir zerriß es schier das Herz, weil ich nun die Wahrheit herausgefunden hatte. Phil dagegen war wegen seiner Entscheidung, die Affäre zu beenden, hin- und hergerissen. Er wußte, daß dieser Entschluß Robin hart treffen würde, und schickte sie, damit sie sich von diesem Schlag erholen könne, zu einem Urlaub in die Sonne. Er schickte sogar eine seiner Freundinnen mit, damit Robin Gesellschaft hatte. Wie sich herausstellte, hatte er mit dieser Frau ebenfalls eine Affäre gehabt; auch davon hatte ich natürlich nie etwas mitbekommen. Aus irgendeinem Grund schien Phil in den Tagen unmittelbar nach meiner Entdeckung den Drang zu verspüren, mir über diese Seite seines Lebens viel mehr zu erzählen, als ich wissen wollte. Von seinen - offenbar nicht nur vereinzelten - früheren Verhältnissen mit anderen Frauen hatte ich glücklicherweise nichts geahnt. Ich war am Boden zerstört und vollkommen verblüfft zu hören, daß er sich auch für andere Frauen interessiert hatte, darunter sogar einige meiner eigenen Freundinnen, denen er Avancen gemacht hatte. Mit Robins Begleiterin hatte er - wie er sagte - eine lange, etwas seltsame Beziehung gehabt. Von den Kindern wußte zunächst nur Lally, daß etwas nicht stimmte. Sie hatte geplant, mit Freunden gleich nach Weihnachten einen Skiurlaub in Aspen zu verbringen, doch Phil hatte ihr berichtet, was geschehen war, und sie gebeten, diese Reise aufzugeben und zu Hause zu bleiben, damit wir alle gemeinsam versuchen konnten, neuen Boden unter die Füße zu bekommen. Heroisch verzichtete sie. Damals ereignete sich auch eine traurige kleine, gleichwohl symbolische Begebenheit, die mir als absoluter Tiefpunkt erschien: Als wir bei meiner Mutter am Crescent Place waren, schenkte sie mir aus ihren Beständen schöne lange Straßohrringe. Diese Geste bedeutete mir sehr viel, denn meine Mutter war in solchen Dingen nicht allzu freigebig, und so etwas hatte es nie zuvor gegeben. Doch Phil sagte: »Du trägst doch keine langen Ohrringe, aber Lally. Schenk sie ihr.« Wie kam ich bloß dazu, dieser Anweisung Folge zu leisten?
Und doch tat ich es. Ich gab Lally die Ohrringe und ging allein in die Vorratskammer, um zu weinen. Wahrscheinlich fehlte mir einfach die Kraft, mich zu widersetzen, still zu lachen und die Ohrringe zu behalten, wie es jeder normale Mensch wohl getan hätte. Für mich war dieser Verlust gleichbedeutend damit, daß ich alles verloren hatte. Es war die schlimmste Demütigung. In den Wochen unmittelbar nach meiner Entdeckung seines Verhältnisses mit Robin trank Phil sehr viel, und es gab etliche Probleme, die aber durch unsere Versuche überlagert wurden, alles zusammenzuhalten und eine gewisse Normalität in unserem Leben zu bewahren. Eines Abends kurz vor Ende der Semesterferien, also kurz bevor Lally und Don wieder aufs College gingen, war es mit Phil besonders schlimm. Wir waren zu Hause, und er hatte sehr tief ins Glas geschaut. Er redete wirres, bösartiges Zeug, wovon das meist ziemlich unsinnig war. Schließlich konnte ich ihn gegen zwei Uhr morgens bewegen, ins Bett zu gehen. Als ich aus unserem Schlafzimmer kam, um im ganzen Haus das Licht zu löschen, sah ich Don, wie er übernächtigt und gedankenverloren am Schreibtisch in meinem Zimmer direkt neben dem Schlafzimmer saß. »Wie lange geht das denn schon so?« fragte er im Hinblick auf Phils Trinkerei und Streitsucht. Ich gestand, daß es schon eine ganze Weile so gehe. »Und warum hast du mir dann nie etwas gesagt?« fragte er. Hätte ich ihm davon erzählen sollen? Wer weiß? Wir alle versuchen, unsere Kinder zu schützen, und mein natürlicher Impuls war, diese Dinge vor den Kindern zu verbergen. Ich weiß nicht, ob das richtig war. Vielleicht ist es besser, die Kinder, wenn sie älter werden, an den Problemen teilhaben zu lassen.
Anfang Januar fuhr Phil zu einer Sitzung der COMSAT nach New York. Er leitete das in Gründung befindliche Unternehmen immer noch, und er leitete es gut. Er frühstückte mit Larry Collins, der auf dem Weg zurück nach Paris war, und erzählte auch ihm, daß er Robin sehr liebe, jedoch die richtigen Prioritäten setzen und seine Familie zusammenhalten wolle. Wie betäubt bewältigten wir beide unseren Alltag. Phil sandte Lally wegen einer Routineangelegenheit ein Telegramm ins College, schloß dieses aber mit den Worten: »Hier ist alles in bester Ordnung. Mit lieben Grüßen, Pa.« Doch von einem gewissen Zeitpunkt an, gut zwei Wochen nach Weihnachten, begannen die Telefondrähte zwischen Phil und Robin wieder heißzulaufen. Am 12. Januar 1963 gab es nach dem Abendessen zwischen Phil und mir einen heftigen Streit. An den Anlaß kann ich mich nicht mehr erinnern, aber das Ende war, daß Phil mit einer Wolldecke aus dem Haus ging, ins Auto stieg und davonfuhr. Ich hatte keine Ahnung, wohin. Später sagte er mir, daß er wieder nach Hause gekommen wäre, wenn ich ihn zurückgeholt hätte. Worauf ich erwiderte, daß ich doch gar nicht gewußt hätte, wohin er gefahren sei. Und ich wüßte es immer noch nicht. »Na, wo bin ich wohl hingefahren?« antwortete er. »Natürlich ins Büro!« Zu diesem Zeitpunkt war Robin bereits aus Paris zurückgekehrt. Phil hatte sie telefonisch gebeten, so schnell wie möglich nach Amerika zurückzukommen. Offenbar hatte sie zunächst protestiert und gesagt, sie habe sich gerade ein wenig erholt und er habe beim ersten Mal recht damit gehabt, daß sie ihre Beziehung beenden sollten.
Robin Webb verhielt sich während der ganzen Affäre anständig. Genau wie wir anderen war auch sie in dieser Tragödie gefangen - und letztlich auch deren Opfer. Sie war Phil offenkundig verfallen, er hatte sie um den Verstand gebracht. Und den ganzen Hintergrund konnte sie natürlich nicht verstehen. Am Tag, nachdem Phil unser Haus verlassen hatte, flog er nach New York. Ich schickte ihm ein Telegramm nach, in dem meine Verzweiflung zum Ausdruck kam:
Maskottchen sind zum Lieben, Helfen und Zuhören da. Als Maskottchen wirst Du mich nicht los, ich wiederhole: als Maskottchen. Die Augenblicke des Glücks, die Du mir geschenkt hast, sind mir eine größere Hilfe, als sie den meisten Menschen im ganzen Leben zuteil wird. Dafür danke ich Dir. Ich bin da, wenn Du mich brauchst, und ich liebe Dich.
Als Antwort kam von Phil ein recht seltsamer Brief:
Liebste Kay, eines Morgens, als Du am Verzweifeln warst, habe ich versucht, Dir mit Worten zu helfen. Ich erzählte Dir, wie einsam es gewesen war, als ich mein Fernes Land besucht hatte, und daß ich Dir leider nicht nahe genug kommen konnte, um zu helfen, als Du in Deinem Fernen Land weiltest. Aber durch diese Worte kamst Du mir so nahe, daß ich Dir helfen konnte. Ich berührte Dich, wir gingen zusammen spazieren, und das Leben hatte uns wieder. Jetzt bin ich fort. Nicht in meinem Fernen Land, sondern bei meiner Bestimmung. Wie es scheint, ist dies ein schönes Schicksal, und ich werde dort bleiben, solange es schön ist, aber auch, wenn es nicht mehr schön ist. Ich bin nicht gegangen, um Dir zu helfen. Ich bin nicht gegangen, weil ich Dir nicht helfen wollte. Ich bin gegangen, weil dies meine Bestimmung ist. Und dadurch, daß ich Dir nicht »geholfen« habe, hoffe ich und bete darum; Dir wirklich helfen zu können. Ich habe Dich geliebt, und ich werde Dich immer lieben, und ich liebe Dich zu sehr, um bei wesentlichen Dingen zu lügen. Solange Du Hilfe brauchst, wirst Du sie von mir bekommen jetzt und immer, aber auf diese neue, liebende Art. Und Du wirst mir helfen. In Liebe, Phil.
Er fügte noch folgendes Postskriptum hinzu:
»Les wird über meine Pläne Bescheid wissen.«
Also wieder Dr. Farber. Ich frage mich noch heute, welchen Rat Farber Phil wohl gegeben hat. Lally rief Larry Collins in Paris an und erzählte ihm von Phils Abreise nach New York. Larry rief daraufhin in Robins Apartment an und erkundigte sich, als dort niemand abnahm, bei TWA: Robin saß tatsächlich gerade im Flugzeug nach New York. Es ging also wieder von vorne los.
Phil empfing Robin mit einer ganzen Autoladung Blumen, und dann flogen sie gemeinsam nach Sioux Falls in South Dakota. Eigentlich hatte ich Phil dorthin begleiten sollen. In Sioux Falls wollte er eine Rede vor der Industrie- und Handelskammer halten und mit dem Verleger der Lokalzeitung Sioux Falls Argus Leader über einen eventuellen Verkauf des Blattes sprechen. Wie mir George McGovern, damals Senator für South Dakota und Phils Reisebegleiter, später erzählte, saßen Robin und Phil auf dem Flug getrennt.
Phil habe ziemlich viel geweint und beteuert, daß er mich liebe. Als die drei dann vom Verleger der Lokalzeitung empfangen wurden, sagte dieser, er habe von Phil schon große Dinge gehört, doch Phil erwiderte nur: »Und ich habe gehört, daß Sie ein Scheißkerl sind.« Natürlich war vom Verkauf der Zeitung dann keine Rede mehr. Ich hatte niemandem von Phils Auszug erzählt, nicht einmal meiner Mutter. Doch schließlich, ganze zwei Wochen, nachdem er mich verlassen hatte, ließ sich die Sache nicht länger verheimlichen. Auch hatte ich das Bedürfnis, endlich von jemandem getröstet zu werden. Also besuchte ich meine Freundin Lorraine Cooper und erzählte ihr, was geschehen war und daß Phil ausgezogen sei.
Da ich Mitleid und freundschaftliche Teilnahme erwartet hatte, war ich völlig perplex, als sie sagte: »Na prima! « »Was soll das heißen, prima?« erwiderte ich. »Es ist schrecklich.« »Nein«, antwortete Lorraine mit fester Stimme, »du bist ohne ihn besser dran! « »Wie meinst du das?« fragte ich ungläubig. »Merkst du denn gar nicht, was er dir antut? Merkst du gar nicht, daß er dich die ganze Zeit herabsetzt? Daß er sich im Familien- und Freundeskreis immer auf deine Kosten amüsiert?« Sie nannte mir mehrere Beispiele. Ich stimmte ihr zwar nicht in allen Punkten zu, aber allmählich dämmerte mir, was sie meinte. Was Lorraine indes nicht verstand, war, daß er mich auch gefördert und aufgebaut hatte. Ich glaubte, sein ureigenstes Geschöpf und völlig abhängig von ihm zu sein.
Von Sioux Falls flogen Phil und Robin nach Phoenix, wo sich viele der prominentesten Verleger des Landes zu einer Sitzung der Nachrichtenagentur Associated Press versammelt hatten. Otis Chandler und seine Frau holten Phil und Robin vom Flughafen ab. Wie mir Otis allerdings erst viel später - erzählte, war Phil, der von Ideen nur so übersprudelte, sichtlich durcheinander. Einiges fand Olis sehr interessant, anderes vollkommen unverständlich. Jedenfalls war ihm klar, daß Phil nicht auf der Höhe war: Schon beim ersten Anblick habe er sich Sorgen gemacht, wie Phil das Bankett am Abend wohl überstehen werde, und sich gefragt, was er selbst tun könne, um Phil zu helfen. Otis war sich nicht sicher, ob es an Phils Geisteszustand lag oder ob er sich permanent unter Alkohol gesetzt hatte oder an beidem: Auf jeden Fall wirkte Phil irrational. Er hatte sich sogar darüber aufgeregt, daß die Chandlers im Biltmore nicht Tür an Tür mit ihm und Robin untergebracht waren. Inzwischen warf er auch schon eifrig mit obszönen Ausdrücken um sich. Als sich beim Bankett Ben McKelway, Verleger des Washington Star und Präsident von AP, erhob, um einleitende Worte zu sprechen, stürmte Phil direkt ans Rednerpult und fing einfach an zu sprechen. Er begann mit einigen netten Bemerkungen über den Star, doch recht bald geriet seine Rede außer Kontrolle und verwandelte sich in eine unsinnige Mischung aus Geschwafel und Gossenjargon. Niemand, der an jenem Abend dabei war, hat mir je genau erzählt, was sich ereignete oder was Phil sagte.
Damals versuchte man, den Vorfall unter den Teppich zu kehren - wie bei anderen Prominenten, die aus der Rolle gefallen waren. Niemand wußte, was zu tun war. Schließlich ging Ben McKelways Frau zu Phil und schaffte es, ihn wieder auf seinen Platz zu geleiten. Allerdings hatte Phil zuvor schon begonnen, sich zu entkleiden. Otis und einige andere brachten ihn auf sein Zimmer, von wo aus Phil bei Präsident Kennedy anrief und auch durchkam - was kaum zu glauben ist, denn an der Ostküste war es schon mitten in der Nacht. Kurz darauf hörte Otis Phil an seine, Otis', Tür hämmern und sagen: »Komm und sprich mit dem Präsidenten.« Als Otis erwiderte: »Phil, du hast doch nicht etwa den Präsidenten aus dem Schlaf geholt?«, antwortete Phil: »Doch, er ist mein Kumpel, und ich will ihm Robin vorstellen, er soll mit ihr reden! « Da rief Otis John Hayes an, den für den Fernsehbereich der Washington Post Company Verantwortlichen, der zufällig auch gerade dienstlich in Phoenix war, und konnte ihm ausrichten lassen, daß Phil unbedingt sofort aus Phoenix nach Washington zurückgebracht werden müsse. Irgend jemand - wer genau, weiß ich immer noch nicht - wandte sich an Präsident Kennedy, der, weil die Situation als extrem schwierig geschildert wurde, seine Zustimmung gab, daß die Ärzte mit einem Regierungsflugzeug nach Phoenix fliegen konnten, um Phil abzuholen.
Inzwischen hatte Phil im ganzen Land herumtelefoniert und enge Freunde ebenso angerufen wie Leute, die er seit Jahren nicht mehr gesehen hatte. Einer dieser Anrufe galt auch mir. Es war die einzige Gelegenheit, bei der ich je direkt mit Robin sprach - vernünftig und sensibel. »Ich liebe ihn«, sagte sie, »aber Sie waren zuerst da.« Einer der wichtigsten Anrufe Phils galt jedoch Lally, die ihren Vater mehr als jeden anderen Menschen bewunderte. Damals und in all den schrecklichen Monaten, die folgten, war Lally für mich eine unerschütterliche Stütze, und zugleich bemühte sie sich, ihren Vater zu verstehen. Mit beiden Elternteilen ging sie immer liebevoll, aber bestimmt um. Damals rief sie mich aus Cambridge, Massachusetts, an und sagte, Phil brauche sie dringend und sie müsse diesem Ruf ihrer Meinung nach Folge leisten. Weil zu diesem Zeitpunkt schon entschieden war, daß Dr. Farber und Dr. John Cameron, ein von Farber hinzugezogener, guter schottischer Psychiater, Phil nach Hause holen sollten, zögerte ich, Lally fahren zu lassen. Ich verstand ihr Bedürfnis, bei ihrem Vater zu sein, doch wollte ich ihr auf jeden Fall die bevorstehende schlimme Szene ersparen. Sie blieb indes beharrlich: »Ich bin seine Tochter, und er sagt, daß er mich braucht, also muß ich hinfahren.« Dem konnte und wollte ich nicht widersprechen.
Don fuhr sie zum Flughafen nach Boston und entschied sich dann im letzten Augenblick, mit ihr zu fliegen. Die Ärzte hatten beschlossen, zunächst den Versuch zu unternehmen, Phil mit seinem Einverständnis nach Washington zurückzubringen; andernfalls sollte der Rücktransport aber mit Gewalt erfolgen. Ich habe erfahren, daß Farber ihm zuerst Passagen von Martin Buber vorlas. Als dies seine Wirkung verfehlte, verabreichte man Phil gewaltsam ein Beruhigungsmittel und brachte ihn ins Flugzeug. Natürlich ohne Robin, die unter diesen extrem belastenden Umständen zuwenig Aufmerksamkeit und Fürsorge erhielt. Als das Flugzeug in Washington landete, wartete schon ein Krankenwagen. In einem kleinen privaten Terminal des National Airport spielte sich eine weitere Szene ab: Phil lief einfach weg, und die Kinder mußten ihn zur Rückkehr überreden.
Die drei stiegen schließlich in eine Limousine ein, während der Krankenwagen mit den Ärzten, aber ohne den Patienten hinterherfuhr. Zunächst wurde Phil ins George Washington University Hospital gebracht und anschließend in Chestnut Lodge eingeliefert, einer psychiatrischen Privatklinik in einem Vorort von Washington, die Dr. Farber ausgewählt hatte. Nicht ganz zu Unrecht sah Phil in den Ereignissen eine Verletzung seiner Persönlichkeits- und Bürgerrechte. Als Phil in Chestnut Lodge aufgenommen war, wo ich ihn sicher und in guten Händen wußte, schrieb ich dem Präsidenten einen Dankesbrief. Darin bezeichnete ich Kennedy als »wahren Lebensretter« und sagte, daß jene Stunden, die der Regierungsjet die Ärzte schneller ans Ziel gebracht habe, »wirklich entscheidend waren, wie sich zeigte, weil die Situation lawinenartig eskalierte. Alle Beteiligten hätten dies kaum noch viel länger durchstehen können, ohne daß in irgendeiner Form ernsthafter Schaden entstanden wäre.« Ich dankte JFK auch für seine Freundlichkeit Phil gegenüber: »Der Gedanke, er könnte Sie auf irgendeine Weise verletzt haben, würde und wird ihn umbringen. Ich hoffe aber, das war nicht der Fall, jedenfalls nicht im Übermaß, und ich war enorm erleichtert zu hören, daß Sie soviel Verständnis haben.«
Ich schloß mit der Bemerkung, daß ich sicher sei, Phil werde wieder genesen. Für den Präsidenten stand allerdings fest, daß Phil bei COMSAT nicht weitermachen konnte. Er beauftragte Clark Clifford, Phil mit Dr. Farbers Hilfe zum Rücktritt zu drängen. Drei Tage nach seiner Ankunft in Chestnut Lodge unterzeichnete Phil sein Rücktrittsschreiben. Der Präsident schrieb ihm einen routinemäßigen, für die Öffentlichkeit bestimmten und einen sehr persönlichen privaten Dankesbrief. Auch meinen Brief beantwortete Kennedy noch am selben Tag: »Alle Freunde von Phil und Ihnen ... hoffen, daß es nun besser werden wird. Es gibt keine zwei Menschen, die das mehr verdienen als Sie.«
In der Klinik sah Phil Dr. Farber jeden Tag, und als Farber einige Tage abwesend war, weil er zu seinem sterbenden Bruder gerufen wurde, übernahm Dr. Cameron die Betreuung. Als die beiden Psychiater und ich uns mit Post-Managern trafen, die sich alle große Sorgen um Phil machten, verabreichte Dr. Cameron den Versammelten eine kalte Dusche, indem er sagte: »Ich verstehe überhaupt nicht, warum Sie alle so sehr an diesem Mann hängen.« Aber er reagierte einfach als Außenseiter, der Phil nicht kannte, auf alles, was er über Phils Verhalten gehört hatte. Und ich muß schon sagen, diese Bemerkung rüttelte uns auf. Als ich an den folgenden Tagen mit Farber und Cameron zusammentraf, gestanden mir beide, sie seien verwundert, weil ich mich weigere, irgendwann einfach aufzugeben; irritierend wirkte meine Behauptung, ich sei ein »Hund, der auf nur einen Herren fixiert ist«, und mein Widerwillen, anzuerkennen, daß Phil mich vielleicht endgültig wegen einer anderen Frau verlassen habe. Sie konnten meine emotionale Überzeugung nicht verstehen, nie wieder einen anderen Mann lieben zu können. In gewisser Weise waren ihre Fragen vielleicht berechtigt, in anderer Hinsicht nicht. Der Gedanke, man könne keinen anderen Menschen mehr lieben, mag ja ungewöhnlich sein, und den beiden Ärzten kam er sicher suspekt vor, aber damals war er für mich einfach wahr.
Phils jüngerer Bruder Bill kam aus Florida, um ihm beizustehen und zeitweilig als sein Stellvertreter zu fungieren. Er blieb einige Tage, führte ein wichtiges Telefongespräch mit Robin und war sowohl Phil als auch mir eine enorme Hilfe. Phil schrieb ihm am 27. Januar, dankte ihm, daß er sich »vorübergehend zum älteren Bruder« gemacht habe, und fügte hinzu: »Ich bemühe mich ausdauernd und nach Kräften, Dir diese Verantwortung wieder abzunehmen, und zwar so schnell wie möglich (so schnell es mit Vernunft, Geduld, Vorsicht und Umsicht möglich ist).« Nach einigen Tagen in Chestnut Lodge hatte Phil bereits Ausgang, um Les Farber in dessen Praxis aufzusuchen. Fünf Tage nach seiner zwangsweisen Rückkehr aus Arizona sah ich Phil zum ersten Mal in Farbers Praxis und fuhr ihn anschließend nach Chestnut Lodge zurück. Am nächsten Tag besuchte ich ihn wieder. Wir sprachen lange miteinander, und er erzählte mir sehr detailliert, wie schrecklich es ihm im George Washington University Hospital ergangen sei und wie freundlich und verständnisvoll dagegen die Leute in Chestnut Lodge gewesen seien. Sie hätten ihn »mit Worten beruhigt«, bis er seinen gegenwärtig relativ ruhigen Gemütszustand erreicht habe. Phil berichtete auch seinem Bruder Bill von unseren Gesprächen. In seinem Brief vom 27. Januar heißt es dazu: »Kay und ich haben besonders gute Gespräche - seit Jahren die ersten, die meinerseits völlig frei sind von Lügen und Täuschungen. Sie ist, wie Du weißt, immer noch sehr müde. Und tiefer verletzt, als man vermuten würde.« Wir sprachen viel über das Geschehene. Ich fühlte mich durch all diese Ereignisse von Grund auf erschüttert, wußte jedoch, daß ich sie irgendwie überstehen mußte, so schwer das auch sein mochte; und ich hoffte - und glaubte - immer noch, daß wir unsere Beziehung wiederherstellen könnten, daß Phil wieder in seinen Aufgabenbereich zurückkehren und die Familie beisammenbleiben werde. Wahrscheinlich bestärkte mich die wiederholte Erfahrung, daß er nach langen Depressionsphasen sein Leben wieder in den Griff bekommen hatte, in dem Glauben, auch diesmal werde alles wieder in Ordnung kommen.
Nach ungefähr zehn Tagen in Chestnut Lodge ging Phil drei Tage nacheinander zu Dr. Farber. Ich weiß nicht, ob ich mich selbst täuschte oder ob es sich um eine Art Verdrängung handelte, aber ich glaubte wirklich, die Sache sehe recht gut aus und Phil befinde sich erneut auf dem Weg der Besserung und würde bald wieder zu Hause sein. Ohne daß ich davon wußte, muß Phil jedoch ganz andere Pläne für seine Zukunft gehabt haben. Beim letzten seiner Besuche bei Farber entließ ihn dieser aus der Klinik.
Am 1. Februar kam er kurz nach Hause, und am nächsten Tag, einem Samstag, fuhr er mit Don und Al Friendly nach Glen Welby. Am 4. Februar reiste er mit seinem Anwalt Edward Bennett Williams und seinem Sekretär Charlie Paradise nach New York, fuhr schnurstracks zum Flughafen Idlewild weiter, nahm Robin abermals in Empfang und holte sie zu sich.
Diesmal sah Phil seinen Auszug daheim als endgültig an - und darauf waren seine Planungen möglicherweise schon die ganze Zeit hinausgelaufen, denn später schrieb er Clark Clifford und dankte ihm ausdrücklich für seine »Güte gegen Robin in den zwei Wochen unseres Belagerungszustands. Nur Sie und Frank Stanton (und der Oberkommandierende) haben sich anscheinend daran erinnert, daß Gentlemen nett zu den Damen sein sollten - selbst zu jungen und hübschen Damen.« Ferner schrieb er, er habe sich seinen »Weg aus dem Gefängnissanatorium über eine ärztliche Entlassung« erstritten, »obwohl ich die Versuchung spürte, mir einen Anwalt zu nehmen und meine Freilassung vor Gericht zu erkämpfen; doch dann dachte ich an die Kinder und den öffentlichen Skandal. Ich hörte allerdings, man plane, mich wieder zurückzuverfrachten, weil ich Robin erneut gebeten hatte, in die USA zurückzukehren. Zu diesem Zeitpunkt rief ich Ed Williams an. Eigentlich wollte ich ja Sie anrufen - doch Sie werden verstehen, daß ich Sie wegen einiger anderer Freunde und Klienten, die Sie vertreten, da nicht hineinziehen konnte« - womit er natürlich den Präsidenten meinte. Phil nahm sich Ed Williams als Anwalt und äußerte die feste Absicht, sich von mir scheiden zu lassen und Robin zu heiraten. Diese Absicht teilte er auch seinen Freunden brieflich mit. Gegenüber Jean Monnet etwa erklärte Phil seine Abwesenheit bei einem Dinner in New York mit folgenden Worten:
Ich wäre gern zu diesem Dinner gekommen, aber ich saß vorübergehend »im Gefängnis«. Jetzt bin ich wieder draußen, und Du kannst Sylvia ausrichten, daß ich äußerst glücklich bin und wieder ohne Abstriche arbeite. Neben meinen journalistischen Pflichten gilt ein großer Teil meiner Aufmerksamkeit einer jungen Newsweek-Reporterin - Miss Robin Webb. Ich erhoffe mir in absehbarer Zukunft die Scheidung, damit ich Robin heiraten kann. Und bald darauf hoffen wir, das Essen mit Dir und Sylvia nachholen zu können, wenn wir eingeladen werden
Phil wußte, daß er die Kontrolle über die Post hatte, weil mein Vater ihm die Mehrheit der Stimmrechtsanteile übergeben hatte. Und er hatte das Gefühl, die Zeitung gehöre ihm, weil er siebzehn Jahre an ihrem Erfolg gearbeitet hatte. So entwarf er den Plan - der mir schnellstens hintertragen wurde: mich auszuzahlen, indem er mit dem Geld der Post meine Anteile aufkaufte. Dann hätten Robin und er das alleinige Sagen gehabt.
In mancherlei Hinsicht war dies für mich der absolute Tiefpunkt - sehr verwirrend, sehr schwierig und sehr schmerzlich. Denn jetzt hatte ich nicht nur meinen Mann verloren, sondern sollte auch noch die Post verlieren. Ich sah diesen Plan in einem logischen Zusammenhang mit Phils Krankheit - und ich wußte, daß er ernstlich krank war -, doch die Auswirkungen waren nun sehr real geworden, und ich bekam es mit der Angst zu tun. Auch Ed Williams' neue Rolle als Phils Anwalt jagte mir einen Schrecken ein. Denn damals kannte ich Ed noch nicht so gut, wußte jedoch, daß er im Ruf stand, ein erfolgreicher Strafverteidiger und Interessenvertreter zu sein, und ich sah vor meinem inneren Auge bereits schreckliche Gerichtsszenen und erbitterte Kämpfe. Ich mußte mich den Tatsachen stellen - Phil war endgültig gegangen. Er hatte mich für immer verlassen, und ich mußte mich nun mit dieser niederschmetternden Realität auseinandersetzen. Das war fast mehr, als ich aushalten konnte. Doch meine Gefühle hinsichtlich der Post waren vollkommen klar. Mein Vater hatte Phil in der Tat die Mehrheit der Anteile übergeben, und Phil hatte die Geschäfte der Verlagsgesellschaft bestens geführt, aber nur die finanzielle Unterstützung meines Vaters hatte den Neubau des Verlagsgebäudes und später den Erwerb der Times-Herald und damit die Sicherung der Zukunft des Blattes ermöglicht. Erst die vielen Millionen, die mein Vater laufend in die Zeitung investierte, hatten der Post in den vielen Verlustjahren überhaupt eine Überlebenschance eröffnet.
Erst die komplette Übernahme aller gemeinsamen Lebenshaltungskosten durch mich hatte es Phil ermöglicht, die Stimmrechtsanteile meines Vaters mit seinem Gehalt bei der Post zu bezahlen. Deshalb war ich über Phils jetzige Pläne außerordentlich verbittert und aufs äußerste entschlossen, mich ihnen zu widersetzen. Ich war nicht bereit, die Zeitung kampflos herzugeben. Auch ich brauchte nun einen Anwalt. Fritz Beebe, Phils Freund, aber auch meiner, mußte bei all diesen Querelen als Chef der Verlagsgesellschaft neutral bleiben. Deshalb schickte mir die Kanzlei Cravath, die unsere Firma in Rechtsfragen beriet, den respektablen und fähigen Whitney North Seymour aus der Kanzlei Simpson, Thatcher & Bartlett. Seymour riet mir, zunächst einfach stillzuhalten und die Lage aufmerksam zu beobachten. Obwohl ich damit rechnete, daß in Kürze alles über mir zusammenbrechen werde, geschah tatsächlich in den nächsten Monaten überhaupt nichts von Belang.
Phil redete zwar ständig von Scheidung, aber ein Scheidungsprozeß wurde nicht eingeleitet. Ed Williams erzählte mir später, er habe Phil geraten, nicht sofort mit Robin zusammenzuziehen, sondern abzuwarten. Eine Scheidung sei eben nicht von einem Tag zum anderen möglich. Es gab zwar keinen direkten Gesprächskontakt mit Phil, aber ich wußte immer, wo er und Robin sich aufhielten - entweder durch Berichte anderer oder durch seine Anrufe bei den Kindern, die bald nach seinem Auszug begannen. Er nahm Robin mit nach Florida, um sie seinem Vater vorzustellen. Dieser habe, wie Phil Clark Clifford schrieb, »Robin versprochen, er werde lange genug am Leben bleiben, um bei unserer Hochzeit dabeizusein, selbst wenn die Scheidung zwei Jahre dauern sollte «. Aus Florida kehrten Phil und Robin zurück, um sich auf der Pearson Farm häuslich niederzulassen, jenem Anwesen, das er im Herbst 1962 mit meiner Hilfe erworben hatte. Dort begann er Seen anzulegen und im wesentlichen jenes Leben zu nachzuahmen, das er mit uns in Glen Welby geführt hatte. Phils Wunsch, aus dieser Farm, die er in heruntergekommenem Zustand gekauft hatte, ein schönes Anwesen zu machen, war nur allzu verständlich, aber ich fand es beängstigend, daß das neue Leben, das er aufzubauen versuchte, allem, was wir beide gemeinsam erlebt hatten, aufs Haar gleichen sollte: die Farm, das Haus in der Nähe von Georgetown, das er bald darauf mietete, und selbst seine Reisen nach Sioux Falls, Phoenix und Puerto Rico (alles Orte, die wir zusammen besucht hatten).
Ich fuhr zu meinem Schwager Bill Graham nach Florida, um ihn um Rat zu fragen.
In diesen Monaten war Bill für uns alle eine wertvolle Stütze. Nach unseren Gesprächen flog mich Bill nach Hobe Sound zu unseren treuen Freunden Douglas und Phyllis Dillon. Von dort rief ich bei der Telefonzentrale der Post an, um mich mit meinem Haus verbinden zu lassen. Die Telefonistin machte jedoch einen Fehler, und ehe ich mich's versah, war ich mit der Farm verbunden. Robin war am Apparat. Ich legte sofort auf, aber durch diesen Fehler erfuhr Phil, daß ich nicht in Washington war. Daraufhin telegrafierte er mir und bat darum, die Kinder ohne meine Anwesenheit in unserem Haus besuchen zu dürfen. Ich war so angespannt, daß ich die Dillons sofort verließ und umgehend heimflog, um zu verhindern, daß Phil in unser Haus kam. Heute meine ich allerdings, daß ich zunächst vielleicht etwas zu hart war, als ich ihn nicht mit Bill und Steve allein lassen wollte. Die Jungen vermißten ihn nämlich sehr und wollten ihn sehen. Doch mir hatte die Unberechenbarkeit seines Verhaltens einfach einen Schrecken eingejagt. Ich traute und glaubte ihm nicht. Ich hatte kein klares Bild von seinem Zustand und reagierte einfach emotional.
Das Leben wurde für uns alle nun angespannt und unendlich schmerzlich. Ich arbeitete weiter am Sanierungsprogramm für den Stadtteil Junior Village mit und bemühte mich zudem mit anderen Gleichgesinnten um die Gründung eines Museums für moderne Kunst in Washington. Phil beherrschte unser Leben noch immer: Er wollte die Kinder sehen und bestand darauf, daß sie Robin kennenlernten. Für Lally war die Lage besonders schwierig, aber sie schlug sich bravourös. Sie zeigte Phil ihre große Liebe, machte jedoch zugleich deutlich, daß sie nicht billigte, was er tat, und daß sie mit den Leuten aus seiner neuen Umgebung keinen Kontakt wünschte. Don war ebenfalls sehr verletzlich und stand loyal zu beiden Elternteilen. Wir arbeiteten schließlich sogar einen Zeitplan aus, wann Phil Bill und Steve zu sich holen durfte, ohne mir zu begegnen. Von gemeinsamen Freunden erfuhr ich weiterhin, was Phil tat und plante. Er und Robin schienen sich für ein gemeinsames Leben auf Phils neuer Farm häuslich einzurichten. Phil hatte die - auch finanziellen Zuständigkeiten einseitig so geregelt, daß Glen Welby mir gehörte, die Pearson Farm ihm.
Er ließ sogar seinen Sekretär bei mir anrufen und fragen, ob ich im Telefonbuch künftig als »Mrs. Katharine Graham« oder als »Mrs. Philip Graham« verzeichnet sein wolle - eine weitere kleine, aber ernste Verletzung, die er mir zufügte. Natürlich wollte ich weiter Mrs. Philip Graham sein. Am 1. März fuhren Phil und Robin schließlich für zwei Wochen nach Puerto Rico. Hier brach Phils Kauflust wieder aus. Er mietete zwei Apartments mit Kaufoption - offiziell für die Washington Post Company, aber de facto wollte natürlich er mit Robin darin wohnen. Irgend jemandem schrieb er sogar, er plane, statt auf die Pearson Farm endgültig nach Puerto Rico zu ziehen. Einige Wochen zuvor hatte Phil wegen eines Leitartikels über de Gaulle (sein Lieblingsthema) Streit mit Russ Wiggins gehabt. Er hatte diesen Beitrag aus seiner Feder unbedingt gegen Russ' Widerstand unterbringen wollen. Als dies scheiterte, wollte er Russ feuern, doch Al Friendly sagte: »Wenn er geht, gehe ich auch.« Nun sah sich Phil mit dem drohenden Verlust beider Chefredakteure konfrontiert und mußte einlenken.
Dann wollte Phil unbedingt den New Yorker Zeitungsstreik vom Februar 1963, um dessen Schlichtung er sich selbst - ungebeten und vergeblich - bemüht hatte, in einem Leitartikel der Post kommentieren. Damit einher ging harte Kritik an einem früheren Kommentar in der Post zum gleichen Thema. Russ verweigerte nicht nur den Abdruck von Phils Kommentar, sondern drohte mit seiner Kündigung, wenn dieser Text in der Post erscheinen würde. Erneut mußte Phil nachgeben. Allerdings eskalierte seine Fehde mit Russ auf diese Weise nur noch mehr. Al Friendly indes ließ sich weiterhin nicht gegen Russ ausspielen. Ständig gab es Schwierigkeiten - für mich, für Phil und für die Zeitung sowie für alle, die sich bemühten, den Laden zusammenzuhalten. Die ganze Geschichte war, wie David Bruce einmal in sein Tagebuch schrieb, »unsäglich traurig«.