Siebzehntes Kapitel

Tiefschwarze Depressionsphasen

Ich lebte wohl auf einem anderen Stern. Die schmerzlichsten Augenblicke, jene, die mich am tiefsten beunruhigten, durchlitt ich, wenn andere mir berichteten, sie hätten Phil getroffen und er sei anscheinend bei klarem Verstand und ruhig, ja es scheine ihm richtig gutzugehen. Selbst Fritz Beebe sagte mir einmal, Phil sei offenbar wohlauf. Dr. Cameron, bei dem ich nun selbst in Behandlung war, versicherte mir zwar, Menschen in einem solchen Krankheitszustand könnten eine bestimmte Zeitlang äußerlich ganz normal wirken, wenn sie das wollten; Phil sei jedoch im Grunde nicht bei klarem Verstand, sondern krank. Trotzdem erschütterten mich die äußerlich normalen Begegnungen, zu denen Phil mit anderen fähig war - ich wußte nicht, was das für ihn und vor allem für uns bedeutete. War dies der wahre Phil? Und hatte er nun, was er wirklich wollte? Was bedeutete das für unsere Beziehung, und was sagte es über unsere gemeinsamen zweiundzwanzig Jahre aus? Möglicherweise war aus seiner Sicht alles, was mit ihm nicht stimmte, meine Schuld; hier war jetzt die Frau seiner Träume, und alles, was ihm zu seinem Glück noch fehlte, war, daß er mich los wurde und mit Robin zusammenleben konnte - und obendrein noch die Post besaß. Zu meinen unerschütterlichsten Verbündeten gehörten die Restons. Scotty hatte Phil zwei oder dreimal in kritischen Augenblicken getroffen. Und wie Scotty sagte, meinte Phil,  Scottys Glaube könne ihm eine Hilfe sein. Er dachte - zu Unrecht, wie sich herausstellte -, daß ich denselben tiefen Glauben wie mein Vater und meine Mutter hätte. Den hätte ich zwar gern gehabt, aber damals hatte ich ihn nicht. Das verriet ich ihm allerdings nicht. Ich sagte, meiner Überzeugung nach gebe es Zeiten im Leben, in denen man all diese Dinge durchmachen müsse. Und ich fragte ihn, ob er selbst religiöse Gefühle und einen Glauben habe, die ihm helfen könnten, diese Phase zu überstehen. Er verneinte. Ich weiß nicht mehr, was ich daraufhin sagte, aber es war offensichtlich daneben. Ich konnte nicht zu ihm durchdringen, wahrscheinlich weil ich die Sache selbst nicht überzeugend erklären konnte. Jedenfalls ging er dann einfach weg.

Eines Tages in der Zeit von Phils Abwesenheit suchte ich selbst einmal furchtbar niedergeschlagen Zuflucht bei Scotty und Sally. Scotty erinnert sich noch, daß er damals glaubte, ich sei nun drauf und dran aufzugeben und hätte keine Kraft mehr durchzuhalten. Da habe er zu mir gesagt: »Kay, du mußt für diese Zeitung kämpfen. Sie gehört nicht Phil Graham. Dein Vater hat dieses Blatt geschaffen. Washington ist zu klein für zwei Graham Familien. Du und ich, wir können an Phil nichts ändern, aber wir können anfangen, Donny aufzubauen, und ich würde ihn gern diesen Sommer als Praktikanten zu mir nehmen.« Das tat er dann auch.
Der andere Mensch, der mir den Rücken stärkte, war Luvie Pearson die engste, hilfreichste und stets präsente Freundin in jenen Monaten. Irgendwie konnte sie mir etwas von ihrer außerordentlichen Stärke und Eigenständigkeit vermitteln. Der wichtigste Augenblick, einer, an den ich mich immer erinnern werde, war, als sie mir auf einem gemeinsamen Spaziergang im Montrose Park gegenüber von meinem Haus in einem zentralen Punkt widersprach. Ich hatte gesagt, ich wolle die Zeitung halten, bis die Kinder, besonders die Jungen, alt genug seien, die Leitung zu übernehmen, woraufhin Luvie energisch und unmißverständlich einwandte: »Sei doch nicht verrückt, meine Liebe. Das kannst du doch selbst!« »Ich?« rief ich ungläubig. »Das ist unmöglich. Das kann ich auf gar keinen Fall. Du weißt gar nicht, wie schwer und kompliziert das ist. Völlig unmöglich, daß ich das könnte.« »Natürlich kannst du das«, gab sie nicht nach. »Cissy Patterson hat es gekonnt. Und du kannst es auch.« Und um all meinen Beteuerungen, daß es unmöglich sei, entgegenzutreten, fügte Luvie noch hinzu: »Du hast doch all diese Gene in dir. Da ist es geradezu lächerlich zu glauben, daß du das nicht kannst. Du bist nur so weit geduckt worden, daß du gar nicht mehr siehst, was du alles kannst.«
Es war das erste Mal, daß jemand den Gedanken äußerte, ich könne und solle die Firma übernehmen, und das erste Mal, daß ich diesem Gedanken überhaupt nähertrat. Doch die ganze Idee kam mir verblüffend und lächerlich vor, querköpfig, aber lieb gemeint, eben das Hirngespinst meiner guten, treuen Freundin, die tapfer versuchte, mich aufzurichten, aber offensichtlich keine Ahnung hatte, was es in Wahrheit hieß, ein solches Unternehmen zu führen. Damals machte ich mir kaum weitere Gedanken über einen Einstieg ins Arbeitsleben, aber was Luvie, und vor ihr schon Lorraine, über Phils Einstellung zu mir gesagt hatte, gab mir doch sehr zu denken. Ganz allmählich wurde mir klar, wie Phil mich behandelt hatte, besonders in den letzten Jahren. Jean Friendly erinnerte sich später an entsprechende Situationen in Glen Welby, in denen Phil sich eigenartig verhalten hatte: »Er war bezaubernd zu den Kindern, aber ekelhaft zu dir. Bei dieser einen Gelegenheit war er so gemein zu dir, daß ich mich gar nicht wieder einkriegen konnte.«
Dabei sah sie ganz richtig, daß ich diese Verletzungen immer als Scherze ausgelegt und gar nicht mitbekommen hatte, daß Phils Verhalten nicht nur witzig, sondern auch herabsetzend war. Nachdem Phil aus Puerto Rico nach Washington zurückgekehrt war, erhielt ich einen Anruf, daß er mich in unserem Haus an der R Street treffen, mit mir über die Scheidung sprechen und auch einige Sachen mitnehmen wolle. Ich rief sofort Luvie an und erzählte ihr, was da auf mich zukam. »Hör mal, meine Liebe«, sagte Luvie, »das hast du nicht nötig. Ich komme gleich vorbei und hole dich ab, und dann fahren wir raus auf meine Farm.« Ich hatte regelrecht Angst, Phil persönlich zu begegnen, und war völlig unsicher, wie ich mich verhalten sollte. Darum kam mir Luvies Plan sehr gelegen. Wir fuhren schnell fort, verbrachten den Tag auf dem Lande, und als wir zurückkamen, sahen wir, daß er das meiste schon gepackt und sich über meine Abwesenheit offenbar geärgert hatte. Irgendwann im Frühjahr drängten mich Polly Wisner und eine andere Freundin, mit ihnen nach New York ins Ballett zu fahren. Ich war in dieser Zeit meistens zu Hause geblieben, wo ich mich gut und sicher fühlte. Mit den Kindern in den eigenen vier Wänden zu leben gab mir ein Gefühl der Routine; ich konnte so tun, als sei in Wahrheit nicht alles längst in die Brüche gegangen.
Besonders New York hatte ich gemieden, weil diese Stadt häufig auch Phil und Robin beherbergte. Ich konnte den Gedanken nur schwer ertragen, daß die beiden in unserem Apartment im Carlyle Hotel wohnten und bei Newsweek und anderswo ein und aus gingen, wo Phil früher mit mir gewesen war. Polly jedoch glaubte, dieser Ausflug nach New York werde eine nette Abwechslung bieten. Er erwies sich jedoch als eine jener Aktionen, die von Anfang an unter keinem guten Stern stehen. Als wir vor dem Ballett im »21« zu Abend aßen, kam der Klatschkolumnist Leonard Lyons an unseren Tisch und sagte, er habe gehört, Phil wolle sich von mir scheiden lassen und sei jetzt mit einer anderen Frau liiert. Ob das denn wahr sei. Nach dieser Unterbrechung brachte ich kaum mehr einen Bissen hinunter. Im Theater stellten wir fest, daß unsere Karten erst für den folgenden Abend Gültigkeit hatten. Also kauften wir die allerletzten Karten, um an diesem Abend wenigstens noch etwas zu retten. Niemand hatte sich gegen diesen Ausflug verschworen, das ganze Fiasko war rein zufällig. Und doch löste es in mir ein Gefühl der vollständigen Zurückweisung aus, so als gehörte ich überhaupt nicht mehr dazu und als liefe das ganze Leben an mir vorbei. Alles Gute fiel anscheinend nur noch Phil in den Schoß. Viele unserer Freunde befanden sich jetzt in einer Zwickmühle. Als sie von Phil bedrängt wurden, Robin zu empfangen, weigerten sich die meisten und sagten, das käme erst in Frage, wenn die Lage zwischen Phil und mir geklärt sei. Besonders die Friendlys versicherten Phil immer wieder ihre Freundschaft und Loyalität, betonten jedoch, sie könnten die neue Situation erst akzeptieren, wenn sie legalisiert sei.
Für mich gab es in jenen Monaten nur wenige glückliche Augenblicke, zu denen ein Wochenendbesuch von Pamela Berry bei mir zählte. Pamela, deren Mann den London Daily Telegraph besaß, war eine kluge, starke und eloquente Frau mit Charme und Witz, eine der führenden Gastgeberinnen Londons und auch politisch in England nicht unbedeutend. Da sie sich besonders zu den Männern in ihrem Freundeskreis hingezogen fühlte, hatte ich immer gedacht, daß sie mehr an Phil als an mir interessiert sei. Doch in der Zeit meiner Trennung von Phil pflegte sie fast ausschließlich den Kontakt zu mir. Es tat mir sehr gut, daß sie mich gezielt besuchte und auf diese Weise ihre Solidarität zum Ausdruck brachte. Meine Mutter war mir ebenfalls eine große Stütze, obwohl ich sie immer wieder von gelegentlichen Impulsen abhalten mußte, Phil zu schreiben oder sich persönlich mit ihm in Verbindung zu setzen. Sie meinte, sie habe zu Phil ein ganz besonderes Verhältnis. In gewisser Weise stimmte das ja auch, aber in einer anderen, momentan wichtigeren Hinsicht wäre ein solcher Kontakt von Übel gewesen. Phil schrieb viele Briefe, um seine neue Verbindung mit Robin anzuzeigen. All unseren Freunden in London und Paris teilte er mit, daß er eine einmonatige Europareise plane und daß Robin, die er heiraten wolle, ihn begleiten werde. Evangeline Bruce schrieb mir aus London, unsere dortigen Freunde hätten vor diesem Besuch regelrecht Angst, weil sie fast ausnahmslos beschlossen hätten, Robin nicht zu empfangen.
Phil trauten sie jedoch zu, daß er sie mit allen möglichen Tricks dazu zwingen wollte. Isaiah Berlin legte einen Operationstermin im Krankenhaus extra so, daß er mit Phils Englandaufenthalt zusammenfiel. Pam Berry und Evangeline Bruce schickten mir detaillierte Schilderungen, selbst Isaiah berichtete aus dem Krankenhaus. Schon vor seiner Reise hatte Phil ein großes Treffen aller Überseekorrespondenten von Newsweek in London organisiert. Sie sollten dort unter seiner Leitung mit der Redaktion zusammentreffen. Phil hielt eine Ansprache, die bewies, daß er trotz seiner Krankheit immer noch höchst anspruchsvollen Aufgaben gewachsen war. Aus dieser Rede wird heute noch gern zitiert, besonders die Formulierung, Journalismus sei der erste Rohentwurf der Geschichtsschreibung. Unter anderem sagte Phil:

Meine Wißbegier über den Zustand der Welt ist unersättlich. Aktuelle, bedeutsame Informationen faszinieren mich immer. Ich schwelge im täglichen und wöchentlichen Stoff des Journalismus. Vieles ist natürlich reine Spreu. Viele unserer Diskussionen, wie man es besser machen könnte, bestehen aus Langeweile und Details. Doch ist noch niemand je in der Lage gewesen, Weizen ohne Spreu zu produzieren. Selbst geschwätzige Romantiker wie Fidel Castro oder entrückte Geister wie Abraham Lincoln können Geschichte nicht so gestalten, daß sie nicht zu einem beträchtlichen Teil auf Langeweile und Details basiert - wenn nicht gar auf reiner Plackerei. Und so lassen Sie uns nun im Schweiße unseres Angesichts fortfahren mit unserer leider fast unmöglichen Mission, jede Woche den ersten Rohentwurf einer Geschichtsschreibung zu erstellen, die eigentlich niemals abgeschlossen werden kann und eine Welt zum Thema hat, die wir nie wirklich verstehen können...

Während Phil in London war, versuchte ich, meinen Lebensrhythmus einigermaßen wiederzufinden. Mutter und ich planten für den 7. Mai einen großen Empfang in ihrem Haus, zu dem Hunderte von Leuten eingeladen wurden. Mutter nannte dieses Ereignis eine »Party zum Flaggezeigen«. Das Fest sollte den Leuten auf unsere Weise signalisieren, daß wir immer noch da waren und daß es trotz Phils Übernahmeversuchen weiterging wie bisher. Es erfüllte seinen Zweck. Am 11. Mai flogen Phil und Robin in die Vereinigten Staaten zurück, nachdem sie von London nach Paris und anschließend zur Erholung fünf Tage nach Ravello gereist waren. Sie erledigten einige Dinge in Washington und flogen dann gemeinsam nach Puerto Rico. Ich traf mich weiterhin mit engen Freunden und ging sogar etwas häufiger aus als bisher. Mit David Bruce sprach ich über meine weiteren Pläne und Absichten, vor allem über meinen festen Entschluß, mich nicht von Phil scheiden zu lassen, wenn dieser nicht genug von seinen Stimmrechtsanteilen bei der Washington Post abgäbe, um mir eine klare Mehrheit zu verschaffen. Ich bin nicht sicher, wie ich zu diesem Entschluß gekommen war, aber ich weiß genau, daß ich bereit war, mich unter allen Umständen durchzusetzen. Ich wollte nicht meinen Mann und die Zeitung verlieren. Und wenn mein Mann fest entschlossen war, mich zu verlassen, dann mußte und wollte ich eben um die Zeitung kämpfen. Die hektische Folge von Ereignissen und Aktivitäten beruhigte sich-, aus Puerto Rico kam nur hörbares Schweigen. Das nährte allerdings meinen Verdacht, Phil müsse wieder in Depressionen verfallen sein, und dieser Verdacht bestätigte sich. Der Aufenthalt auf Puerto Rico hatte seine Erschöpfung nicht kuriert, sondern Ruhe und Untätigkeit hatten ihn anscheinend zum Grübeln gebracht und die Depressionen verstärkt. Als Phil und Robin am 12. Juni aus Puerto Rico nach New York zurückkehrten, holte Ed Williams sie am Flughafen ab.
Er sah, daß Phil in so schlechter Verfassung war, wie er ihn noch nie erlebt hatte: »wirklich so deprimiert, daß er fast gelähmt war, physisch gelähmt, und sich kaum noch bewegen konnte«. Es läßt sich kaum mehr feststellen, ob Phil bei seiner Rückkehr beabsichtigte, mit Robin zusammenzubleiben oder Schluß zu machen, aber die beiden kamen nach Washington und zogen in ein großes Haus an der Foxhall Road. Wenige Tage später, am Montag, den 17. Juni, suchte Phil Rat bei Dr. Farber und Ed. Was er sagte, lief darauf hinaus, daß seine Affäre mit Robin beendet sei. Er wollte sich trennen. Farber war in seiner typischen Manier wieder unentschlossen und hinterfragte Phils Entscheidung. Da schritt Ed ein und stellte Phil drei präzise Fragen: Wollte er, daß Robin ging? Wollte er, daß Ed ihr diesen Entschluß mitteilte? Wollte er nach Hause zurückkehren, wenn ich dazu bereit sei? Alle drei Fragen beantwortete Phil - in äußerster Verzweiflung und Depression - mit einem klaren Ja. Die arme Robin wurde in den Zug nach New York gesetzt, und Al Friendly blieb die Nacht über bei Phil im Haus an der Foxhall Road. Am nächsten Tag (Dienstag) kam Phils Bruder Bill erneut aus Florida und blieb bei ihm. Auch Fritz Beebe war da. Noch am Montag rief mich Al Friendly an, um mir mitzuteilen, daß Phil gern nach Hause zurückkehren würde, wenn ich einverstanden sei. Ich stimmt sofort zu, und am Mittwochnachmittag (19. Juni) kehrte Phil ins Haus an der R Street zurück und verbrachte dort auch die Nacht.

Phil wieder bei mir zu haben war eine unglaubliche Erleichterung, aber zugleich war es auch unglaublich kompliziert. Für mich stellte sich sofort die Frage, ob ich noch eine weitere tiefschwarze Depressionsphase mit ihm durchstehen könne. Ich wußte nur zu gut, was das hieß - daß ich das Haus nur noch verlassen konnte, wenn er bei seinem Arzt war, daß ich mich stundenlang sehr intensiv mit ihm unterhalten und mir Dinge anhören mußte, die ich eigentlich gar nicht hören oder wissen wollte. All die Jahre, die wir unter schwierigsten Bedingungen gemeinsam durchgestanden hatten, um ihn aus dem Tal der Depressionen herauszuführen, hatten nur dazu geführt, daß er mich am Ende verließ. Keine meiner Anstrengungen hatte zu einem glücklichen Ende geführt, und ich hatte jetzt das Gefühl, diese schwere Bürde und die Verantwortung, seine einzige Stütze zu sein, nicht noch einmal tragen zu können. Jedenfalls benötigten wir dringend Hilfe von außen. Auf fast mitleiderregende Weise bat Phil um die Erlaubnis, zu Hause bleiben zu dürfen und nicht wieder nach Chestnut Lodge zu müssen - was mir die einzige Möglichkeit zu sein schien.
Ich glaube nicht, daß damals irgend jemand von uns der Ansicht war, daß es eine Alternative zu Chestnut Lodge gab. Und was Phils Behandlung anging, nahm ich an, die Psychiater wüßten schon, was zu tun sei. Darum stellte ich Chestnut Lodge als geeigneten Behandlungsort nicht in Frage und dachte auch nicht darüber nach, ob Dr. Farber der richtige Arzt für Phil sei. Der Entscheidungsprozeß, ob Phil nach Chestnut Lodge müsse oder zu Hause bleiben könne, war schrecklich schmerzhaft, wurde aber durch Ed Williams und Bill Graham etwas erleichtert, die beide meinten, Phil solle in die Klinik gehen, und auch durch Phil selbst, der schließlich traurig, aber aus freien Stücken diesen Weg antrat. Unser Fahrer Tony brachte ihn am späten Nachmittag des 20. Juni nach Chestnut Lodge.
Als an diesem Abend mehrere und Freunde in Chestnut Lodge bei Phil versammelt waren, traf ich Ed zum ersten Mal wieder, seit Phils letzter Krankheitsschub begonnen hatte. Instinktiv ging ich auf ihn zu und bedankte mich ganz ruhig für alles, was er getan hatte. Als ich mich später mit ihm traf, um über alles Geschehene und seine Sicht der Dinge zu sprechen, sagte er mir, sein einziger Gedanke sei gewesen, den Kontakt zu Phil nicht zu verlieren. Was Ed getan hatte, war richtig. Mit seiner Fähigkeit, Leute und Situationen richtig einzuschätzen, hatte er Phils Geisteszustand bei fast jeder Wende klar erkannt. Ober Phils Instabilität wußte er genau Bescheid, und doch war er fest entschlossen, für ihn das unter diesen Umständen Bestmögliche zu tun. Eds Hingabe an Phil war, der meinen nicht unähnlich, unverbrüchlich und kompromißlos; sein Verhalten schuf auch zwischen uns ein dauerhaftes Band tiefer Freundschaft. Lally, die in diesem Sommer für das Washingtoner Büro von Newsweek arbeitete, schrieb über die Ereignisse von Mitte Juni folgenden Brief an meine Mutter, die den Sommer wieder auf einer Jacht in Griechenland verbrachte, wo Lally sie bald darauf besuchen sollte:

Gestern abend gingen wir in die Klinik, und Donny und ich sahen beide ziemlich schwarz für die Zukunft. Doch heute morgen habe ich wirklich das sichere Gefühl, daß er es auch diesmal gut übersteht. Mami scheint durch die beiden letzten Tage, die er zu Hause war, sehr erleichtert zu sein. Mich muntert die Tatsache sehr auf, daß er trotz seines Gefühls, momentan gebe es nur sehr wenig, für das zu leben sich lohne, so unglaublich mutig, stark und freundlich gewesen ist. Er hat nicht nur dem Mädchen den Laufpaß gegeben, sondern er hat es auch geschafft, sich von Farber zu trennen, was meiner Meinung nach in gewisser Weise noch schwerer für ihn war; denn Farber war für ihn in den letzten Tagen der einzige Hoffnungsstrahl, weil er Papa gesagt hatte, er wisse, er könne aus seinen Depressionen auch ohne Klinikaufenthalt wieder herauskommen.
Er hat ihm auch gesagt, der Begriff »manisch-depressiv« sei zwar eine ziemlich angemessene Beschreibung für sein Verhalten in der Vergangenheit, aber daraus folge eben nicht zwingend, daß es in Zukunft zu weiteren Zyklen kommen werde. Farber aufzugeben hieß offenkundig auch, die Hoffnung aufzugeben, daß er die Depressionen ohne Klinikaufenthalt überwinden könne, sowie die Hinnahme des Etiketts »manisch-depressiv«.
Ich kann den Gedanken an die inneren Kämpfe gar nicht ertragen, die er durchleiden muß. Es muß so erschreckend sein zu erkennen, daß dein ganzes Leben von Zyklen bestimmt wird, in denen du entweder unerklärlich glücklich oder ebenso unerklärlich deprimiert bist. Genug davon ... Ich hoffe nur inständig, daß all dies irgendwie kuriert oder wenigstens gelindert werden kann

Phil hatte wirklich eine enge Beziehung zu Dr. Farber - meiner Meinung nach nicht zuletzt deshalb, weil Farber Ideen vertrat, denen Phil zustimmte, und weil Farber den Gedanken an eine ernste psychische Erkrankung immer wieder herunterspielte. Daß Phil sich jetzt trotzdem von ihm getrennt hatte, war wahrscheinlich ein Zeichen dafür, wie schlecht es ihm ging. Phil glaubte Farber einfach nicht mehr und wußte, daß seine Krankheit periodisch wiederkehren würde. Lallys Brief verrät auch, daß diese Krankheit endlich einen Namen bekommen hatte.
Ganz zu Anfang besuchte ich Phil noch nicht in Chestnut Lodge, dann aber praktisch jeden Tag mehrere Stunden. Oft nahm ich einen Picknickkorb mit, und wir setzten uns draußen zum Essen hin. Manchmal spielten wir auch Tennis oder Bridge. Mit der Zeit kamen auch andere Freunde zu Besuch, hauptsächlich allerdings Familien- oder Verlagsangehörige. Billy und Steve waren ins Ferienlager abgereist, und Lally fuhr zunächst nach England, um die Berrys zu besuchen, und anschließend nach Athen, um an Bord der Jacht meiner Mutter zu gehen. Im Haus an der R Street lebte ich allein mit Don, der tagsüber in Scotty Restons Büro arbeitete sehr zu dessen Zufriedenheit, wie Scotty Phil schrieb.
Selbst Bob McNamara kam zu Phil in die Klinik. Er hatte seinen Besuch kurz vorher angekündigt, und ich saß mit Phil auf einer Bank, als der lange schwarze Dienstwagen des Verteidigungsministeriums in die Einfahrt bog. Ich ließ die beiden Männer allein miteinander reden, und Bobs Erinnerung nach war die Quintessenz dessen, was er Phil sagte: »Verdammt noch mal, mach zu, daß du hier wieder rauskommst, und dann komm und hilf uns. Wir brauchen dich!«
Als Phil erwiderte, das gehe nicht, weil niemand dort ihn jetzt noch akzeptieren würde, versicherte ihm Bob, er, Phil, wisse mehr über das Verteidigungsministerium als fast jeder andere; die Bitte um seine Hilfe sei ernst gemeint. Später sagte mir Bob, er habe Phil mit diesen Worten zwar auch aufrichten wollen, aber im Grunde seien sie wahr gewesen. Er war überzeugt, daß Phil das Land außerordentlich gut kenne und wisse, wie die Probleme anzugehen seien. Bob konnte sich auch noch an Phils Antwort auf seine Frage erinnern, was er tun könne, um ihm zu helfen: »Nun, das erste, was ich dir sagen kann, ist, daß du deine Zeit nicht damit verschwenden sollst, hierherzukommen.«
Phil war voller Gewissensbisse und Schuldgefühle. Er hatte begonnen, sich über das zu sorgen, was er sich und uns allen zugefügt hatte. Trotz aller Schwierigkeiten war ich jedoch überglücklich, Phil wieder bei mir zu haben, selbst wenn er jetzt in der Klinik war. Natürlich gab ich fast alle Aktivitäten, einschließlich einer geplanten Europareise, auf, um mich ganz auf Phil zu konzentrieren. Er war zwar weiterhin ernsthaft depressiv, es schien ihm aber - nach nur einer Woche in Chestnut Lodge - schon merklich besserzugehen. Endlich hatte ich das Gefühl, daß er in der Hand von Ärzten war, die eine greifbare und bekannte Krankheit behandelten. Und weil das so war, konnte ich hoffen, daß er, wie ich Freunden schrieb, »die Schwierigkeiten der letzten paar Jahre überwinden« werde. Obwohl ich immer noch in dem naiven Glauben verharrte, Phil könne und werde wieder gesund werden, denke ich, daß irgendwie selbst ich allmählich erkannte, daß dies Wunschdenken war. Endlich war auch bis zu mir durchgedrungen, daß die Diagnose für Phils Erkrankung »manisch-depressiv« lautete, doch die Behandlungsweise - oder auch nur, was sich hinter diesem Begriff verbarg - verstand ich nicht wirklich. Obwohl die Krankheit nun einen Namen hatte, wußte ich nicht, welche Folgen sie hatte, wenn sie nicht ordentlich mit einer Kombination aus Medikamenten und Psychotherapie behandelt wurde. Zweifellos war mir etwas nicht klar, das ich erst später von Dr. Kay Jamison, der Autorin des Buches An Unquiet Mind (Unruhige Gedanken), über ihre eigene manisch-depressive Erkrankung erfuhr: Es handelte sich um »eine tödliche Krankheit, besonders wenn sie gar nicht oder falsch behandelt wird«.
Und damals wußte man natürlich noch weniger als heute. Das heute gebräuchliche Psychopharmakon Lithium befand sich noch in der Erprobungsphase und wurde ohnehin hauptsächlich in Europa eingesetzt-, in den USA hatte es noch keinen Eingang in die klinische Praxis gefunden. Bei Manisch-Depressiven hatte man es seit Jahrzehnten mit Elektroschocktherapie versucht. Trotz beträchtlicher Fortschritte seit den fünfziger Jahren war diese Therapie jedoch immer noch eine Roßkur; in vielen Fällen führten die Konvulsionen zu Brüchen der Rippen oder der Wirbelsäule. Zumindest bei schweren manischen oder schweren depressiven Phasen hätte man diese Behandlungsform jedoch in Erwägung ziehen sollen. In einer Klinik wie Chestnut Lodge aber, in der man sich etwas auf psychodynamische oder psychoanalytische Behandlungsweisen zugute hielt, fanden sie keine Anwendung. Wie dem auch sei, Phil hatte eine tiefsitzende Aversion gegen Medikamente und Schocktherapie - eine Antipathie, die ihm Dr. Farber eingeschärft hatte und die durch die fehlgeschlagene Behandlung unseres Freundes Frank Wisner nur noch verstärkt worden war.
Phil war vielleicht nicht nur ein Opfer von Farbers besonderer Spielart der Psychotherapie, sondern auch des Zeitpunkts, zu dem er erkrankte, und seiner eigenen Einstellung zu medikamentösen Behandlungen. Ich weiß nicht, ob es immer noch einen Zweig der Psychiatrie gibt, der Manisch-Depressive ohne Psychopharmaka behandelt und sich vollständig auf Gesprächstherapie und Diskussionen über Existentialphilosophie verläßt, doch ich will es nicht hoffen. Ich glaube nicht, daß man Menschen allein durch Gespräche erreichen kann, wenn sie sich in den Tiefen der Depression oder auf den Höhen der Manie befinden. Ich leide noch immer darunter, daß ich mich bei der Erkundung der wahren Natur von Phils Krankheit so passiv verhalten und zu lange nichts gegen Dr. Farber unternommen habe. Ich weiß nicht genau, warum ich nicht auf besseren Erklärungen bestand. Vielleicht klammerte ich mich nur an die naive Vorstellung, es werde schon alles wieder gut werden. Allerdings glaube ich kaum, daß ich ein so optimistisches Gefühl gehabt hätte, wenn mir schon damals ein Text zu Gesicht gekommen wäre, den Phil um diese Zeit schrieb und an Scotty Reston adressierte, jedoch niemals abschickte.
Dieser kleine Essay über das innere Gleichgewicht, Mäßigung und den goldenen Mittelweg ist in sorgfältiger Handschrift und ohne Abkürzungen verfaßt. Er tauchte später in Phils Papieren auf, und als ich ihn gefunden hatte, schickte ich ihn Scotty. Es läßt sich nur schwer ergründen, warum dieser Text gerade an Scotty adressiert war und warum Phil ihn nicht abschickte. Doch hier kommen Gedanken zum Ausdruck, die, hätten wir sie damals gekannt, wahrscheinlich zu einer anderen Entscheidung geführt hätten, als zur Debatte stand, ob Phils Genesung schon weit genug fortgeschritten sei, um ihm einen Tag Ausgang aus der Klinik gewähren zu können.
Phil schrieb:

... Ich finde den Glauben unerträglich, daß Begriffe wie »Gleichgewicht« oder »Mäßigung« oder »Mittelweg« für menschenwürdige Ansätze im Leben stehen sollen. Auf ähnliche Weise sagt man uns auch, daß alle wirklich schwierigen Probleme eine Frage von Abstufungen und Übergängen seien, daß es auf Grenzziehungen ankomme und so weiter. Was für ein Unsinn. Wenn es um den Abgrund zwischen Tyrannei und Freiheit geht, ist das nicht nur eine Frage der Übergänge; es handelt sich auch nicht einfach um eine Frage der Grenzziehung. Vielmehr geht es im einen Fall um eine Gesamtkonzeption des Lebens als eines heiligen Projekts, im anderen um eine Zurückweisung aller Dinge, die nicht begrenzt und vorübergehender oder materieller Natur sind. Die Begriffe »Gleichgewicht« oder »Mittelweg« machen nur blind und täuschen. Diese Art Sprache will unweigerlich suggerieren, man könne das Problem auf elegante Weise umgehen, indem man sich auf eine Art vegetabilische Neutralität einläßt.
Für Gemüse mag das angemessen sein, aber nicht für Menschen. Begeben wir uns doch einfach mal ins alltägliche Leben. Wieviel Zeit und Energie sollte man in seine Arbeit investieren? Wieviel für seine Familie aufheben? Wieviel für einsames Nachdenken? Wieviel für den Dienst an seinem Souverän oder seinem Gott? Wie groß ist jemandes Verpflichtung zur Wahrheit?...
Wie sollen wir unseren kleinen Vorrat an Energie, Talenten und Charakter unter all jenen aufteilen, die Ansprüche an uns stellen? Wir wissen, daß es auf diese Fragen keine endgültige Antwort gibt auch nicht geben kann, ohne daß man dem Leben seine wertvollste Bedeutung nimmt. Wir wissen, daß wir uns diesen und Tausenden anderer Fragen immer wieder stellen müssen, manchmal voller Energie, manchmal schwer erschöpft, bald hoffnungsvoll, dann wieder der Verzweiflung nahe, doch immer wieder, solange es überhaupt noch Leben gibt. Wir müssen uns immer wieder neu damit auseinandersetzen. Wie fehlgeleitet ist doch der Versuch, all dies zu unterdrücken und so zu tun, als gäbe es das nicht, indem man einfach »Gleichgewicht« als Lebenseinstellung zur Forderung erhebt. Oder den »goldenen Mittelweg«.
Wer durch den gewalttätigsten Selbstmord seinem Leben ein Ende bereitet, ist immer noch ehrlicher als jene, die den Selbstmord im Leben wählen, indem sie alles, was am menschlichen Leben menschlich ist, hinwegdefinieren ...

Phil sehnte sich sehr nach einer Unterbrechung des Klinikalltags und wollte nach Glen Welby, weshalb er begann, die Ärzte entsprechend zu bearbeiten, um ihre Zustimmung zu erlangen. Unter den Ärzten in Chestnut Lodge gab es in dieser Frage erhebliche Meinungsverschiedenheiten, doch niemand fragte mich je, ob es auf unserer Farm Alkohol oder Schlaftabletten gab. Ich selbst dachte freilich auch nicht daran, auf Phils Jagdgewehre in Glen Welby hinzuweisen, die er zu sportlichen Zwecken nutzte. Natürlich wußte ich von diesen Waffen, aber ich ließ mich von Phils scheinbaren Fortschritten völlig täuschen. Es fehlten sichtbare Zeichen der Depression, und er war anscheinend fest entschlossen, wieder gesund zu werden. Ich war einfach hoffnungsfroh, daß ihm dies gelingen werde. Einer der Klinikärzte erzählte später einem Freund: »Phil hatte den festen Willen, hier rauszukommen, und er besaß wirklich eine unglaubliche Meisterschaft darin, Leute zu manipulieren.« Er brachte die Patienten sogar dazu, intern über seinen Freigang abzustimmen - er stellte sich vor sie hin, trug seine Argumente vor und zog sie auf seine Seite. Natürlich stimmten sie dann dafür. Während eines Klinikaufenthalts hatte Phil seinem Freund und Kollegen Jim Truitt im Vertrauen gesagt, als Kranker bringe er die Leute dazu, den »Teufelstanz« zu tanzen.
Auch Dr. Cameron sagte mir einmal, jemand wie Phil könne, besonders in Phasen manischer Euphorie, die Leute dazu bringen, genauso verrückt zu werden wie er selbst und sich mitreißen zu lassen. »Wenn ich jetzt so zurückblicke«, sagte Anne Truitt, »dann sehe ich in Phil einen Derwisch ... Er dreht sich ständig im Kreis - tanzt selbst den Teufelstanz - und zieht jeden, den er berührt, fast magnetisch in seinen Bann.« Heute sehe ich, daß wir alle dazu beigetragen haben, daß er seinen Teufelstanz tanzen konnte. Geholfen haben wir ihm dadurch letztlich überhaupt nicht. Sogar ich begann, andere zu fragen, ob Phil ihrer Meinung nach Ausgang nach Glen Welby bekommen sollte oder nicht. Ich fragte unter anderen Ed Williams, der sich später große Vorwürfe machte, weil er ja gesagt hatte. Mein eigener Arzt, Dr. Cameron, der auch Belegarzt in Chestnut Lodge war, hielt die Idee, Phil Anfang August für ein Wochenende aus der Klinik zu entlassen, für eindeutig verfrüht. Wie dem auch sei, Phil setzte sich durch. Und ich muß sagen, daß ich froh darüber war.
Er sehnte sich doch so sehr nach der Farm, und ich konnte an nichts anderes mehr denken als daran, wie gut ihm das tun würde - er liebte Glen Welby und war immer so glücklich dort. Am Samstag, den 3. August, wurde Phil von seinem Fahrer in Chestnut Lodge abgeholt, und dann kamen sie in der R Street vorbei, um mich mitzunehmen. Unter den Plänen, die Phil mir für das Wochenende genannt hatte, war auch der Wunsch gewesen, sich genauer mit der Farm zu befassen, weshalb ich schon im voraus Buck Nalls gebeten hatte, nachmittags ins Haus zu kommen. Ich kann mich noch erinnern, daß Phil darüber sehr verwundert war; zweifellos hatte er schon wieder vergessen, daß er dieses Vorhaben als einen der Gründe genannt hatte, warum er unbedingt seine Farm besuchen müsse. Wir aßen auf der rückwärtigen Terrasse zu Mittag, plauderten und hörten klassische Musik. Danach gingen wir hinauf in unser Schlafzimmer, um uns ein wenig hinzulegen.
Kurz darauf stand Phil auf und sagte, er wolle sich lieber in dem anderen Schlafzimmer, das er manchmal benutzte, etwas ausruhen. Nur wenige Minuten später war der ohrenbetäubende Knall eines im Hause abgeschossenen Gewehrs zu hören. Ich stürzte aus dem Zimmer, rannte hektisch umher und suchte Phil. Als ich die Tür zu einem Badezimmer im Erdgeschoß öffnete, fand ich ihn.
Der Anblick war derartig schockierend und erschütternd - Phil war so offensichtlich tot, und seine Wunden sahen so schrecklich aus - daß ich nur noch ins Nachbarzimmer laufen und mein Gesicht in den Händen vergraben konnte. Ich mühte mich zu begreifen, daß all dies wirklich geschehen war - die schreckliche Tat, die seit sechs Jahren wie ein Damoklesschwert über uns gehangen und die er mit mir und den Ärzten erörtert hatte. In den letzten Wochen hatte er zwar nicht mehr darüber gesprochen, aber offenbar ganz ernsthaft über die Ausführung nachgedacht. Phils Anblick war so entsetzlich gewesen, daß ich das Badezimmer nicht nochmals betreten konnte und losrannte, um Buck und unseren Hausmeister zu Hilfe zu rufen. Beide hatten den Schuß ebenfalls gehört und kamen sofort. Schließlich ging ich wieder hinauf in mein Schlafzimmer und benutzte die direkte Telefonleitung zur Zeitung.
Zum Glück war Molly Parker am Apparat, die beliebte Telefonistin, die schon seit fast fünfzig Jahren bei der Post war. Ich erzählte ihr, was geschehen war und daß ich Hilfe bräuchte. Auch bei Dr. Cameron rief ich an, und dann setzte ich mich einfach hin und wartete. Das nächste, woran ich mich erinnern kann, ist die Ankunft der - wahrscheinlich von Buck gerufenen - Polizisten aus dem Ort. Schließlich kamen auch Alfred und Jean Friendly. Sie brachten Don mit, und mit ihm ging ich erst einmal spazieren. Wir trösteten und stützten uns gegenseitig. Was mir keine Ruhe ließ, war der Gedanke, daß ich Phil allein aus dem Schlafzimmer hatte gehen lassen. Ich kann dazu nur sagen, daß es ihm wesentlich besser zu gehen schien, so daß ich mir dummerweise nicht genug Sorgen um ihn machte. Es war mir nie in den Sinn gekommen, daß er den Aufenthalt in Glen Welby nur geplant haben könnte, um an seine Gewehre heranzukommen und für immer den wachsamen Augen der Ärzte - und der Welt - zu entfliehen. Einen Abschiedsbrief hinterließ er nicht. Ich glaube, daß Phil zu dem traurigen Schluß gekommen war, er werde nie wieder ein normales Leben führen können. Ihm war wohl klargeworden, daß die Krankheit zyklisch wiederkehren würde. Wie Kay Jamison schreibt, geht »mit dieser Art Verrücktheit eine besondere Art von Schmerzen, Euphorie, Einsamkeit und Schrecken einher«. Wie auch immer Phil selbst seine Krankheit definiert haben mag, er war sich des Schadens wohl bewußt, den er unter ihrem Einfluß bei anderen und bei sich selbst anrichtete. Ich glaube, er hielt das bei seinem letzten Krankheitsschub angerichtete Unheil für so groß, daß er mit diesem Gedanken einfach nicht weiterleben konnte. Es ließ sich eben nicht mehr alles wiedergutmachen.
Unerträglich war für Phil auch der Gedanke, daß er beim nächsten Krankheitsausbruch wahrscheinlich noch mehr Schaden anrichten würde. Zu solchen Schlußfolgerungen gelangte ich erst wesentlich später. Am Tag des Geschehens kam ich aber mit der Realität dessen, was sich zugetragen hatte, überhaupt nicht zu Rande. Wir standen alle unter Schock und wußten nicht, wie es weitergehen sollte. Im Grunde hatte ich Phil nun schon zum zweiten Mal verloren. Beim ersten Mal war er ausgezogen, und darauf folgten dann all die bitter und betrübt stimmenden Kämpfe der Monate seit Weihnachten. Daß dieser Horror auf einmal zu Ende war und ich ihn wiederhatte, war fast zu schön, um wahr zu sein. Doch auch dieses Intermezzo war nun vorüber, und ein ganz anderer Schmerz verzehrte uns alle. Fast der ganze Nachmittag verging, ehe wir Glen Welby verlassen konnten.
Al nahm die Sache in die Hand - er informierte die zuständigen Stellen, kümmerte sich um die praktischen Notwendigkeiten und darum, daß alle Familienangehörigen und engen Freunde die Nachricht erhielten. Irgend jemand, wahrscheinlich der amtliche Leichenbeschauer, brachte Phils Leiche fort. Eine kleine Episode, die sich noch deutlich aus meiner Erinnerung heraushebt, hat einen Fremden zum Gegenstand, der auf einmal in die Bibliothek kam, in der Don, die Friendlys und ich saßen. Wir schauten ihn verwirrt an, und er sagte: »Ich komme vom Evening Star und wurde geschickt, um die Nachricht bestätigen zu lassen, daß Mr. Graham gestorben ist.«
Ich nickte nur, und Al führte ihn aus dem Raum. Schließlich fuhren wir mit den Friendlys im Auto zurück in die R Street; Don und ich saßen im Fond. Als wir ungefähr die Hälfte des Weges in die Stadt zurückgelegt hatten, stellte ich die rhetorische Frage: »Was wird nun aus uns allen werden?« Wortlos drehte Al sich um und zeigte auf mich. Es war klar, daß er damit meinte, daß nun ich die Sache in die Hand nehmen müsse. Doch der Gedanke an meine Zukunft als Verlegerin zog wie fast alles an jenem Tag - an mir nur vorbei. Als wir in unser Haus kamen, hatten sich schon einige Freunde versammelt, und es kamen noch weitere hinzu. Schließlich war fast eine ganze Trauergemeinde beisammen, doch ich kann mich an keinen einzelnen mehr erinnern außer an Lorraine Coopen Nachdem alle gegangen waren, begab ich mich spätabends zu Bett. Viele Jahre später erzählte mir Ed Williams, er sei an jenem Abend sogar noch später gekommen - eine genaue Zeit konnte er nicht sagen - und durch die offene Hintertür direkt ins Haus gelangt. Aufgewühlt und mit alkoholbenebeltem Kopf habe er mich gesucht, sei durch alle Räume im dunklen ersten Stock geirrt und wieder gegangen, nachdem er niemanden angetroffen habe.
Am nächsten Tag begann der Alptraum der Realität. Phils Tod war ein unfaßbarer, schrecklicher Schock für alle vier Kinder, besonders für die beiden jüngeren. Lally und Don waren sich der Krankheit und ihrer Folgen wenigstens stärker bewußt gewesen, während Bill und Steve von der Plötzlichkeit des Verlustes vollkommen unvorbereitet getroffen wurden. Ganz unvermittelt waren die schmerzhaften Monate der Trennung von ihrem Vater zu Ende gegangen. Bill war fünfzehn und flog aus seinem Ferienlager allein zurück nach Hause. Lou Eckstrand, unsere Haushälterin, die sich auch ein wenig um die Kinder kümmerte, holte Stevie aus seinem Camp ab. Don flog mit Charlie Paradise im Firmenflugzeug nach Idlewild, um Lally und Luvie Pearson abzuholen, die ebenfalls bei meiner Mutter auf der Jacht im Mittelmeer gewesen war und nun Lally nach Hause begleitete. Meine Mutter fühlte sich mit ihren sechsundsiebzig Jahren von der Reise überfordert und blieb auf der Jacht. Sie schickte mir ein tiefempfundenes Trauertelegramm, in dem sie zum Ausdruck brachte, daß sie dringend unsere Gesellschaft brauche; ich solle doch mit Lally und Luvie auf die Jacht zurückkehren:

Ich bin verwirrt und empfinde grenzenlosen Schmerz. Was diese Tragödie für Dich bedeuten muß, kann ich mir gar nicht vorstellen. Ich wünschte mir nur, ich könnte in Deiner Nähe sein ... Hier kannst Du Gesellschaft haben, aber nur, wenn Dir danach ist. Und ich brauche Dich, damit ich mit Deiner Hilfe dem Leben ins Auge sehen kann. Es ist traurig, daß ich Dir nur meine eigene Schwäche anbieten kann. Doch diese ist das Resultat meines Mitgefühls für Dich und meiner Zuneigung zu unserem verstorbenen Liebling. Ich kann nur sagen: Komm doch - hier wird Dich eine ganz andere Welt vielleicht ein wenig ablenken ...

Auch Scotty und Sally Reston kamen mit Don, Lally und Luvie im Firmenjet aus New York zurück. Auf die Nachricht von Phils Tod hin waren sie umgehend aus Europa zurückgekehrt. Ich hatte sie zwar am Telefon gedrängt, ihre Reise nicht abzubrechen, weil ich sie später vielleicht noch dringender bräuchte, doch sie antworteten nur: »Wir kommen.«
Die folgenden Tage brachten all das, was jeder bei einem Todesfall mitmacht - zumal beim Selbstmord eines Prominenten. Wir wurden mit Briefen, Telegrammen und Blumen überschüttet. In jenen Tagen las ich, glaube ich, nur sehr wenige Briefe, doch später las ich jeden genau. Betriebsamkeit und der Zwang, vieles regeln zu müssen, wirken auf seltsame Weise wie ein Betäubungsmittel, das einem hilft, über die nackten Tatsachen und den Verlust hinwegzukommen. Viele Menschen haben mir sehr geholfen, besonders die beiden älteren Kinder. Phils Vater hatte schon mehrere Schlaganfälle hinter sich und war sehr krank - ich bin nicht sicher, ob man ihm von Phils Selbstmord überhaupt berichtet hat. Er starb einige Monate darauf. Bill Graham war wie immer eine Seele von Mensch und half mir auf jede nur erdenkliche Weise. So schwierig und traurig all dies für uns, Phils Familie, auch war - für seine Freunde und für viele Menschen im Verlag und in der Stadt war der Gedanke an den Verlust ebenso grausam. Auch in Chestnut Lodge war man zutiefst betroffen, wovon ich damals allerdings nichts wußte. Viele wunderbare Dinge wurden in den Tagen nach seinem Tod über Phil geschrieben und gesagt. Die Post veröffentlichte eine Sammlung seiner Aussprüche und Schriften. In einem Leitartikel der Zeitung hieß es:

Mr. Graham setzte Kopf und Herz rückhaltlos für alles ein, was ihn lief bewegte und interessierte. Er war kein Mensch, der sich seinem Land, seinem Unternehmen oder seinen Freunden nur mit Einschränkungen widmen konnte. Und es war genau diese Eigenschaft, die die Krankheit förderte, welche schließlich zu seinem Tode führte . .. Der Verlust bewegt uns aufs äußerste. Er war ein Mann, den man nicht leicht vergißt und auch nicht leicht wiederfindet.

Herb Block schrieb ein besonders bewegendes Lebewohl. Al Friendly sagte, daß Phil »selbst die Starreporter der Zeitung mit seiner Spürnase überbieten und noch die extravagantesten oder phantasievollsten - Stilisten des Blattes in den Schatten stellen konnte«. Russ Wiggins schrieb eine persönliche Mitteilung an alle Mitarbeiter:

Philip L. Graham hat uns eine seriöse Zeitung zur täglichen Pflege und Aufsicht hinterlassen, und ich bin sicher, daß Sie alle die Verpflichtung spüren, diese Zeitung jeden Tag aufs neue im Gedanken an sein Genie und seine Integrität weiterzuführen. Wir müssen uns jetzt den Aufgaben widmen, die er uns auferlegt hat - mit schwerem Herzen zwar, aber mit der großen Hoffnung, daß wir erfolgreich tun können, was er von uns erwartet hat.

Besonders heroisch verhielt sich in den Tagen unmittelbar nach Phils Tod Fritz Beebe. Ich hatte nur eine vage Vorstellung davon, mit welch riesigen Problemen er sich auseinanderzusetzen hatte. Er gewährleistete Stabilität, Kontinuität und auch eine gewisse Ruhe innerhalb der Washington Post Company. Mir stand er als Freund und Ratgeber bei. Gleichzeitig setzte er sich mit der schwierigen Situation auseinander, die sich aus der Tatsache ergab, daß von Phil nicht nur ein Testament vorhanden war. Auf dem Höhepunkt seiner letzten manischen Phase hatte Phil nämlich ein neues Testament verfaßt. Wie mir Ed Williams später sagte, »hätte sich jeder Testamentsnotar mit Grausen abgewandt, hätte er gewußt, wie ich diese Sache behandelt habe; aber wenn man einfach instinktiv vorgeht, ist das manchmal sogar besser«.
Was Ed getan hatte, war in der Tat außergewöhnlich. Phil hatte ihn gedrängt, ein neues Testament aufzusetzen, dem zufolge ein Drittel von Phils Vermögen an Robin gefallen wäre - wobei Ed sicher war, daß dieser Änderungswunsch nicht auf Robin zurückging, die wahrscheinlich nicht einmal wußte, wieviel sie erben sollte. Demnach wären für die Kinder zwei Drittel als Treuhandvermögen übriggeblieben. In dieser Situation hatte es Ed für den größtmöglichen Fehler gehalten, Phil die Mitwirkung beim Aufsetzen eines solchen Testaments zu verweigern - mit der naheliegenden Begründung, Phil sei nicht im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte. Das hätte mit Sicherheit das Ende ihrer Beziehung bedeutet. Im Bemühen, den Kontakt zu Phil nicht zu verlieren, verfaßte Ed also Phils neues Testament, zugleich aber ein Memorandum für das Protokoll, in dem es hieß, Phil sei seiner, Eds, Meinung nach nicht in der erforderlichen Verfassung gewesen, um ein neues Testament zu machen.
Ihm, Ed, gehe es allein darum, »die Beziehung zu ihm aufrechtzuerhalten und ihn, soweit möglich, zu beeinflussen, wieder in seine alten Lebensumstände zurückzukehren«. Kaum war dieses Testament unterzeichnet, als Phil schon wieder zu Ed kam und die Erbanteile genau umkehren wollte; nunmehr sollte Robin zwei Drittel des Vermögens erben, die vier Kinder zusammen nur ein Drittel. Diese Änderung wurde jedoch niemals unterzeichnet. Als Phil sich schließlich zur Trennung von Robin entschlossen hatte, um nach Hause zurückzukehren, bat er Ed, das revidierte Testament aus dem Verkehr zu ziehen; es wurde vor Zeugen offiziell zerrissen. Somit war zwar die Testamentsänderung zugunsten von Robin Webb ungültig, aber es blieb noch ein technisches Problem: War Phils vorangehendes Testament aus dem Jahre 1957 gesetzlich noch gültig, oder hatte Phil nun überhaupt kein gültiges Testament hinterlassen?
Dieses Problem wurde durch einen Kompromiß gelöst, der mir sehr zusagte: Ich trat einen Teil von Phils Erbe an meine Kinder ab. Dafür brauchten die Kinder ihren eigenen Anwalt, und nach der Beerdigung mußten wir alle gemeinsam zum Gericht, um die letzten noch offenen juristischen Fragen zu klären.
Ich werde nie vergessen, wie der damals erst elfjährige Steve, in Anzug und Krawatte, sagte: »Ich habe jetzt einen Termin bei meinem Anwalt.« Selbst in diesen düsteren Stunden hatte er noch witzige Einfälle. Soweit ich weiß, bekam Robin am Ende überhaupt nichts; aber sie meldete auch niemals Ansprüche an. Sie war von Phil einfach nur hingerissen gewesen, und erst allmählich war ihr klargeworden, wie krank er war. Ich glaube, daß sie sich erkundigte, ob Phil eine Nachricht für sie hinterlassen habe, doch im Leben unserer Familie tauchte sie nie wieder auf. Auch gab sie nie ein Interview über ihre Beziehung zu Phil. Sie muß eine sehr anständige Frau sein. Wie ich hörte, heiratete sie einen australischen Diplomaten und scheint ein ruhiges Leben zu führen. Ich hoffe jedenfalls, daß auch sie letztlich darüber hinweggekommen ist.
Am Tag vor Phils Beerdigung traf sich der Aufsichtsrat der Washington Post Company. Fritz Beebe machte den Vorschlag, ich solle doch, wenn ich mich dem gewachsen fühle, vorbeikommen und einige Worte an das Gremium richten. Vor allem solle ich den Aufsichtsräten versichern, daß die Firma bestehenbleibe und an einen Verkauf nicht gedacht sei. Ich sagte zu, hatte jedoch entsetzliche Angst. Ich dachte darüber nach, was ich sagen wollte, schrieb es auf und probte sogar den Vortrag. Als der Wagen vorfuhr, um mich in die Innenstadt zu bringen, sprang Lally in Nachthemd und Morgenmantel mit ins Auto-, sie wollte mir Gesellschaft leisten und den Rücken stärken. Ich besitze noch immer ihre anrührenden handschriftlichen Notizen über das, was ich ihrer Meinung nach an jenem Morgen sagen sollte - einen Spickzettel, den sie mir in die Hand drückte und auf den ich mich bei meinem Auftritt verließ:

  1. Dank ihnen - alle sehr engagiert - das gibt dir Vertrauen in die Zukunft.
  2. Es gab eine Krise, und sie dauert immer noch an, aber du weißt, daß alle wie schon in den letzten Monaten ihre Pflicht tun werden.
  3. Du hast nie damit gerechnet, mal in eine solche Situation zu kommen.
  4. Du ziehst dich vorübergehend zurück, um einen klaren Kopf zu bekommen und über die Zukunft nachzudenken.
  5. im Augenblick keine Veränderungen oder Entscheidungen. Die Zeitung wird in Familienbesitz bleiben, nächste Generation.
  6. und sie wird in der so gut begründeten Tradition fortgeführt.
  7. weitere Gedanken.

Es berührt mich noch immer, daß dieses junge Mädchen, das doch wahrscheinlich noch mehr am Boden zerstört war als ich, diese einfache, aber korrekte Gedankenfolge hinkritzeln und im Nachthemd zu mir ins Auto springen konnte, um mir den Zettel in die Hand zu drücken. Ich erinnere mich noch, wie ich den Raum betrat, in dem sich der nur aus Männern bestehende Aufsichtsrat versammelt hatte. Alle sahen genauso mitgenommen aus wie ich und schienen an meinem Gesicht ablesen zu wollen, was passieren würde. Später hat Oz Elliott an seiner Erinnerung meine damaligen Worte besser zusammengefaßt, als ich selbst es könnte:

Sie sagten, Sie seien sehr dankbar dafür, wie jeder an seinem Platz diese schwierige Situation professionell bewältigt habe. Und daß Sie nur sagen wollten, Ihnen sei bewußt, daß es bereits Gerüchte gebe und wohl auch weiterhin geben werde, daß die Verlagsgesellschaft ganz oder teilweise zum Verkauf stehe. Und Sie sagten, Sie wollten nur klarstellen, daß die Firma nicht verkauft werde, auch nicht teilweise. Es handele sich um ein Familienunternehmen, und die nächste Generation bereite sich schon auf die Übernahme vor.

Das Wissen um diese »neue Generation« - meine Kinder - ließ mich, wenn auch sehr zögerlich, damals eine Entscheidung treffen: Ich wollte tatkräftig versuchen, die Firma im Griff zu behalten. Die Trauerfeier für Phil fand am Dienstag, den 6. August, in der Washington National Cathedral statt; sie war so groß und öffentlich, daß sie mich in gewisser Weise wiederum von dem abschirmte, was tatsächlich geschah. Gemeinsam mit den Kindern hatte ich über den Charakter des Gottesdienstes und die Liedauswahl mit entschieden. Auch Präsident Kennedy nahm an der Trauerfeier teil. Nachdem alle Platz genommen hatten, kam er allein durch ein Seitenschiff herein. Die Sonne schien durch die bunten Glasfenster und warf ein ganz besonderes Licht auf ihn, als er zu seinem Platz ging. Als wir anschließend zur Beerdigung im engsten Kreis aufbrachen, erlebte ich etwas Bestürzendes. Die Gespräche mit dem Beerdigungsinstitut hatten andere geführt, so daß ich nicht über alle Details informiert war. Aus Phils ständigen Scherzen wußte ich jedoch, daß er eine Grabstelle in Oak Hill gekauft hatte, dem direkt gegenüber von unserem Haus an der R Street gelegenen Friedhof. Dort eine Grabstätte zu bekommen war ,äußerst schwierig. Dean Acheson, David Bruce und John Walker mit ihren Frauen wünschten sich, dort ihre letzte Ruhestätte zu finden, und auch Phil hatte einen seltsamen Enthusiasmus entwickelt, dort begraben zu werden. Er machte andauernd Witze darüber und sagte, dann bräuchte ich ihn am Ende nur noch über die Straße zu karren. Jetzt aber war ich fassungslos, als ich merkte, daß dies keine witzige Übertreibung, sondern die reine Wahrheit war: Sein Grab lag direkt vor der kleinen Kapelle, praktisch an der gegenüberliegenden Straßenseite. Von meinem Haus aus kann ich es täglich sehen. Jetzt sagt mir dieser Gedanke sehr zu, doch anfangs hat er mich tief beunruhigt. Im Anschluß an die Beisetzung traf man sich in unserem Haus - tröstlicherweise von überallher. Komisch, wie sehr man doch darauf achtet, wer gekommen ist, und daß man selbst in einem solchen Augenblick die Häupter seiner Lieben zählt. Wenn Freunde kommen und Anteil nehmen, bedeutet das eben eine Menge. Präsident Kennedy schickte mir zwei Botschaften. Die eine, die ich noch am Tag der Beerdigung bekam, zitierte den britischen Premierminister Macmillan: Als Phil ihn im Sommer kurz vor seinem Tod besucht habe, habe er ihn besonders fesselnd und interessant gefunden. Kennedy fuhr fort: »Mir erschien der heutige Gedenkgottesdienst angemessen und bewegend - besonders das zuletzt gesungene Lied. Phil hat mir auf vielerlei Weise so sehr geholfen, seit ich nach Washington kam. Wir alle werden ihn sehr vermissen, und ich sende Dir und den Kindern mein aufrichtig empfundenes Beileid.«
Jackie Kennedy schrieb mir einen acht Seiten langen Brief, der zu den verständnisvollsten und tröstlichsten zählte, die ich erhielt. Nur wenige Tage nach Phils Beerdigung brachte Jackie einen Jungen zur Welt, der kurz nach der Geburt starb. Die Tage zwischen Phils Tod und seiner Beisetzung erscheinen mir heute noch so verschwommen wie damals. Eines bedaure ich allerdings als enormes Versäumnis: daß ich von allem so überwältigt war, daß ich mich nicht genug um die Kinder kümmerte, die unter noch tieferem seelischen Schock standen als ich selbst. Phil war das helle Licht in ihrem Leben gewesen. Jedes der vier Kinder hatte seine monatelange Abwesenheit durchlitten, und nach Phils Rückkehr hatten sie ihn gleich wieder, und diesmal endgültig, verloren.
Lally und Luvie begannen irgendwann zu insistieren, ich müsse jetzt von allem Abstand gewinnen. Sie drängten mich, zusammen mit ihnen nach Europa zu fahren - wie es schon meine Mutter in ihrem Telegramm gewünscht hatte. Ich hatte jedoch das Gefühl, daß dies ganz unmöglich sei - abgesehen von den Kindern gab es viel zuviel zu tun bei der Klärung der Erbangelegenheiten und der Verhältnisse in der Washington Post Company. Doch die Erwiderung lautete nur, man habe meine Sachen bereits gepackt und meinen Paß eingesteckt. Ich werde jetzt mit ihnen reisen. Schließlich stimmte ich dem Plan zu.
Bill und Steve kehrten tapfer in ihre Ferienlager zurück, Don an die Arbeit bei Scotty Reston. Er wohnte zu Hause und verbrachte einen großen Teil seiner Zeit bei den Friendlys. Ich selbst flog am Tag nach der Beerdigung mit Lally und Luvie ab und ging in Istanbul an Bord der von meiner Mutter gecharterten Jacht. Diese Entscheidung mag für mich richtig gewesen sein, doch für Bill und Steve und sogar für Don war sie verkehrt - sogar so verkehrt, daß ich mich heute wundere, wie ich das tun konnte. Hätte es meinen jüngeren Söhnen nicht auch gutgetan, mit auf die Jacht zu kommen? Wäre es nicht besser gewesen, wenn ich bei ihnen zu Hause geblieben wäre? Für mich ist dies der schmerzlichste Punkt meines Rückblicks. Solche Entscheidungen kann man leider nicht wieder rückgängig machen, und noch schwerer ist es, nicht getroffene Entscheidungen neu zu durchdenken. Manchmal entscheidet man nicht wirklich, sondern läßt sich einfach treiben - und das tat ich damals. Blind und unbedacht stolperte ich in einen neuen, unbekannten Lebensabschnitt.