Am Morgen des 9. Mai packten wir unsere Sachen zusammen und verließen Lager III A. Wir stiegen durch den Schneecouloir ab und überquerten den Hauptgletscher in westlicher Richtung bis zum Fuß des Eiswasserfalls. Als wir die Stelle erreichten, an der die Sherpas am Vorabend die Kiste zurückgelassen hatten, hielten wir an, um zu beratschlagen und neu einzuteilen. Es wurde beschlossen, dass Evelyn - da sie am ehesten von der Höhe beeinträchtigt wurde - die erste Seilschaft an diesem Tag anführen sollte, und Betty am nächsten Tag. Ich blieb die Reserve für den dritten Tag, falls die anderen beiden ihre Grenzen erreicht hätten. Auf diese Weise übernahm jede von uns abwechselnd die Verantwortung, und das funktionierte in der Praxis sehr gut. An diesem Tag zog Evelyn mit Betty, Mingma und Chhepala los. Ich führte die zweite Seilschaft an und folgte mit Kusung, Ang Temba und Bahu. Der Gletscher begann genau dort, wo wir weitergingen, er stieg steil in die Höhe und machte einen fast irrsinnigen Eindruck. Die Sonne schien heiß, und der Schnee war recht weich. Kusung, der offensichtlich noch nicht fit war, ermüdete schon nach kurzer Zeit. Alle paar Minuten rief Ang Temba mir zu: »Memsahib, kole, kole«, was in Sherpa-Sprache »halt« bedeutet. Ich drehte mich dann um und sah Kusung auf seinen Eispickel gestützt wie einen gestrandeten Fisch nach Luft ringen. Unter diesen Umständen kamen wir langsam voran, und die Gruppe der ersten Seilschaft war weit voraus. Ich nahm meinen Rucksack herunter und fischte eine Schachtel mit Glukosetabletten heraus. Davon ließ ich Kusung zwei essen, was ihm eine Zeit lang half weiterzugehen.
Unterdessen hatte die vordere Gruppe unterhalb einer großen Erhebung von Seracs und dazwischenliegenden Gletscherspalten Halt gemacht, da nicht sofort eine Route erkennbar war. Eiszinnen ragten in die Höhe, umhüllt und bedeckt mit tauendem Schnee, der in einem Stück in die wartenden Gletscherspalten zu rutschen drohte. Dieser Ort führte einem eindringlich das wohl bekannte Diktum vor Augen, dass die drei wichtigsten Regeln beim Bergsteigen im Himalaya 1. Erkunden, 2. Erkunden und 3. Erkunden sind. Die erste Gruppe hielt an, um auszuruhen, nachzudenken und unsere Gruppe aufholen zu lassen. Als wir ankamen, seilte sich Mingma, der seine Ungeduld nur schwer hatte zügeln können, ruhig ab und brach zu einem Erkundungsgang auf Wir brauchten einen Moment, um zu realisieren, was er vorhatte, als es uns jedoch klar wurde, rief ich ihm nach, er solle anhalten und auf das Seil warten. Es gibt keine Tauberen als diejenigen, die nicht hören wollen, und Mingma ging weiter, jeden Schritt demonstrativ mit seinem Eispickel prüfend.
Ang Temba, der sehr an Mingma hing, band schnell ein Seil los, wobei er die Schlingen ohne große Umschweife seinen Kameraden über den Kopf zog, während er besorgt vor sich hin murmelte: »Er darf nicht ohne Seil gehen.« Es war das einzige Mal, dass einer der Sherpas auf dem Seil bestand, und die Memsahibs konnten ihre unpassende Genugtuung nicht verbergen, wäre doch eine ernsthaftere Haltung in Anbetracht der Situation eher angebracht gewesen. Ang Temba jagte hinter Mingma her; ertrug das Seil und befahl ihm mit strengen Worten umzukehren. Sie kamen zusammen zurück, Mingma mit einem Ausdruck gekränkter Unschuld, der sich jedoch schnell in ein spitzbübisches Grinsen verwandelte, als wir die Köpfe über ihn schüttelten. Evelyn band sich fest, um ein wachsames Auge auf sie werfen zu können, und die drei zogen wieder los, um einen Weg über beziehungsweise durch die vor uns liegenden Hindernisse zu finden. Wir anderen ließen uns nieder und beschäftigten uns damit, Filme zu wechseln, die Lippen erneut einzucremen und durch die Ferngläser den Fortschritt unserer Kundschaftertruppe zu verfolgen. Ich bot Kusung einen Schluck aus meiner Wasserflasche an. Er brauchte ihn so nötig, dass die Flasche fast leer war, als er sie mir etwas verlegen zurückgab. Seine Schwäche war ihm äußerst unangenehm, und in einem pathetischen Versuch, seinen verletzten Stolz zu beruhigen, begann er sehnsüchtig von den guten alten Vorkriegstagen zu erzählen. »Ich war damals genauso kräftig wie Ang Temba jetzt«, sagte er in erstaunlich gutem Hindustani. »Und meine Frau, Ang Dromas Mutter, war genauso stark. Sahib Shipton war sehr zufrieden mit uns. In diesen Tagen«, fügte er mit einem vorwurfsvollen Blick auf uns hinzu, »gingen wir durch Tibet zum Everest, und die Sahibs ritten auf Ponys in die Berge und trugen noch nicht ihre eigenen Rucksäcke.« Die Memsahibs schielten befangen auf ihre eigenen Rucksäcke, die sie während des Marsches auf dem Rücken hatten, und fühlten sich äußerst »gewöhnlich«. Kusung seufzte. Die Welt war nicht mehr, was sie einmal war, und er musste sich unters gemeine Volk mischen.
Die Kundschaftertruppe krabbelte nun wie ein Fliegenschwarm die Oberfläche eines mächtigen Séracs hinauf. Es sah extrem unsicher aus, und die Kletterer schienen eine unnötig schwierige Route zu wählen. Betty und ich, die wir etwas im Hintergrund kletterten, riefen: »Was ist mit der anderen Seite?« - »Sie ist lawinengefährdet«, kam Evelyns Antwort mit schwacher Stimme. Die drei kleinen Figuren, die so weit entfernt schienen, aber deren Stimmen immer noch deutlich zu hören waren, verschwanden über den Rand des Seracs. Sie stiegen weiter bergauf und schlugen und trampelten einen Weg für beladene Bergsteiger, bis sie ein leichteres Stück erreichten. Diese Route führte sie immer mehr nach rechts, während sie eine große Gletscherspalte nach der anderen umgingen, bis sie sich in dem Schneekorridor auf der linken Seite des Gletschers befanden. Sie sahen sich argwöhnisch um, konnten jedoch keine Anzeichen großer Lawinen entdecken. Es sah so aus, als wäre der Korridor schließlich doch der Schlüssel. Beim weiteren Aufstieg kreuzten sie plötzlich eine Linie von Spuren, und Mingma schrie aufgeregt: »Ein Yeti, Memsahib. Sieh nur!« Evelyn schaute, konnte aber nicht glauben, dass diese schmalen Spuren einem Schneemenschen gehören sollten. Andererseits entzog es sich auch ihrer Vorstellungskraft, was ein Tier in solch unwirtlichem Terrain verloren hatte. Sie kamen zur Hauptgruppe zurück und erzählten uns von den Yeti-Spuren. »Nur zehn Zentimeter lang? Das konnten doch keine Yeti-Spuren sein, Mingma«, wandte ich skeptisch ein. Mingma zögerte und sah verblüfft aus. Dann erhellte sich sein Gesicht. »Ich glaube, es war ein acht Jahre alter Yeti«, verkündete er überzeugt. Die ganze Gruppe brach in schallendes Gelächter aus, und Mingma schaute etwas verletzt. Wir nahmen unser Gepäck wieder auf und seilten uns an, jeweils vier in einer Seilschaft; dann stiegen wir langsam weiter durch den Eiswasserfall, mal eine grüne Eishöhle mit einem Vorhang aus Eiszapfen umgehend, mal eine Leiter aus Eisstufen hinaufsteigend, mal unsere Eispickel benutzend, um uns gegenseitig über einer Gletscherspalte zu sichern. Als wir zu den angeblichen Yeti-Spuren gelangten, konnten wir nichts mit ihnen anfangen. Irgendein Tier mit länglichen Pfoten hatte eine einzelne Spur quer über dem Gletscher hinterlassen, die die Séracs hoch und wieder herunter verlief. Es schien ohne ersichtlichen Grund von einer trostlosen Felswand direkt zur nächsten gelaufen zu sein.
Wir hielten uns nicht länger bei den Spuren auf, da die Wolken hinter uns heraufzogen. Wie wir diese Wolken hassten! Insbesondere auf diesem Gletscher, wo gute Sicht eine absolute Notwendigkeit für das Gelingen unseres Aufstiegs über den Eisfall war. Endlich erreichten wir den Korridor und folgten ihm aufwärts, während wir uns ab und zu ängstlich die Hälse verrenkten, um die Felswand zu unserer Rechten hinaufzuschauen, und angesichts der Schneewechten weit oben zusammenzuckten. Die Schneeoberfläche war gewellt durch die Spuren kleiner Lawinen, deren Schneemassen sich auf dem ganzen Weg türmten, genau dort, wo der Korridor flacher wurde und bevor die Séracs begannen. Doch es gab keine Spuren von großen Lawinen, und wir hielten uns auf einer Linie zwischen dem Rand der Lawinenausläufer und den Séracs, wo der Schnee eben und unberührt war.
Bei einem Halt sagte Evelyn plötzlich: »Ich habe genug getan. Geh du voraus, Monica.« Sie war blass und sah nicht gut aus. Wir sahen sie besorgt an. Sie hatte an diesem Tag und am Tag zuvor wenig gegessen, und die zwei Aufstiege den Eiswasserfall hinauf innerhalb eines Morgens hatten sie erschöpft. Wir befürchteten, sie würde erneut an ihre »Höhengrenzen« kommen. Ich sagte, wir müssten eh bald das Lager aufschlagen. Die Wolken zogen sich über uns zusammen, und einige der Sherpas mussten zurückkehren, um die Lebensmittelkiste, die sich immer noch am Fuß des Eisfalls befand, zu holen. »Wir können hier nicht lagern«, warf Betty kurz angebunden ein. »Zu gefährlich - wenn eine große Lawine abgeht, reißt sie uns geradewegs in eine Gletscherspalte.«
Das stimmte. Wir mussten weiter oben nach einem sichereren Ort suchen. Unter diesen Umständen beschloss Evelyn, an ihrem Platz im Seil zu bleiben, und die erste Seilschaft ging langsam weiter. Gerade als sich die zweite Seilschaft in Bewegung setzen wollte, bat Chhepala Bahu mit seiner ruhigen Stimme, mit ihm zurückzukommen und die Lebensmittelkiste zu holen. Bahu weigerte sich glatt und sagte, er ginge für nichts und niemanden noch einmal dort hinunter. Daraufhin sprang Kusung auf und rief verächtlich: »Also gut, wenn du dich nicht traust, dann werde ich gehen. Ein alter Mann wie ich!« Wir folgten verwirrt der Diskussion, und nun griff ich ein und fragte, was eigentlich los sei. Es war das erste Mal, dass wir die Sherpas streiten hörten. Sie erklärten alles sofort. »Ohne Seil geht überhaupt niemand zurück«, sagte ich fest, »und das dritte Seil ist verpackt. Ihr müsst warten, bis wir unser Lager erreicht haben.« »Aber Memsahib«, protestierte Chhepala in seiner liebenswürdigen, vernünftigen Art, »wenn wir nicht bald lagern, wird der Rückweg, um die Ladung zu holen, sehr lang werden, und es fängt an zu schneien. Mingma will das Lager heute oberhalb des Eisfalls aufschlagen.« Ich seilte mich ab, stellte meinen Rucksack ab und hetzte hinter Evelyns Gruppe her. Als ich sie einholte, erzählte ich dem Sirdar von dem Streit und fügte hinzu, dass der obere Teil des Eisfalls an diesem Tag nicht mehr in Frage käme. »Bahu ist unerfahren, und Kusung geht es nicht gut«, sagte Mingma. »Ang Temba und ich werden wegen der Kiste zurückgehen.« Sehr gut, pflichtete ich ihm bei, das sei in Ordnung. Es würde jedoch ein langer Weg hinunter und hinauf werden, selbst von dieser Stelle aus. Wir wollten nicht, dass unser Sirdar erschöpft sei, noch bevor wir unser höchstes Lager erreicht hatten. Und außerdem: Sah er nicht, dass unsere Doktor-Memsahib höhenkrank war? Diese Argumente leuchteten Mingma ein, und er gestand bedauernd ein, dass er zu ehrgeizig gewesen war. Evelyn wollte zu Betty und den anderen Sherpas zurückgehen, die gerade um die Ecke waren, während ich mit Mingma und Ang Temba weiterging, um nach einem Lagerplatz Ausschau zu halten. Endlich fanden wir einen, der geeignet erschien.
Es war eine flache, halbinselförmige Stelle des Schneekorridors, die in den Gletscher hineinragte. Zwischen ihr und den Lawinenspuren klaffte ein breiter Gletscherschrund beziehungsweise der Seitenarm einer Gletscherspalte, die auch die größten Lawinen verschlucken würde. Oberhalb davon waren Felsenkliffs, von Schneerinnen durchzogen, die keine überhängenden Schneewechten zu haben schienen. Es war vielleicht kein idealer Platz, aber er war vergleichsweise sicher. Mingma und Ang Temba setzten die Lasten ab und machten sich daran, Stellplätze für die Zelte zu trampeln. Ich ging inzwischen zu meinem Rucksack zurück, wobei ich unterwegs die anderen traf, die in ihrem eigenen Tempo heraufkamen. Auf dem Rückweg begegnete ich Mingma und Ang Temba, die nach unten eilten, um die Kiste einzusammeln. Sie gingen abwärts und hatten keine Lasten zu tragen, deswegen pfiffen und sangen sie beim Gehen. Bis sie zurückkehrten, ganz mit Schnee bedeckt, hatten wir das Lager errichtet, einen widerspenstigen Primuskocher in Gang gebracht und Tee gekocht. In dieser Nacht schliefen wir alle tief und fest, außer Betty, deren Bergsteiger-Bewusstsein ungewöhnlich aktiv war. Sie spürte, dass unser Lager IV nicht absolut sicher war, auch wenn sie wusste, dass es keine Alternative gegeben hatte. Immer wieder wachte sie auf, hörte die Lawinen den Berg auf der gegenüberliegenden Seite des Gletschers hinunterdonnern und zitterte unwillkürlich in ihrem Schlafsack. Aber es gingen keine Lawinen bei uns ab. Trotz Bettys Ungeduld, den Platz hinter uns zu lassen, war es etwa neun Uhr morgens, bevor wir Lager IV verließen. Unseren Platz schien die Morgensonne als letzten auf dem Gletscher zu erreichen, und unsere Vorbereitungen gingen in der eisigen Kälte nur langsam vonstatten.
Evelyn hatte an diesem Morgen und am Vorabend außer Flüssigkeit nur wenig zu sich nehmen können; sie war mit einem Übelkeitsgefühl und starken Kopfschmerzen aufgewacht. Die Sherpas drängten sich alle in ihren Zelten zusammen und kauerten sich über die Primuskocher. Wir beobachteten zitternd, wie die ersten Sonnenstrahlen fast unmerklich über den Gletscher auf uns zu krochen. Um acht Uhr, als es schon höchste Zeit war, aufzubrechen, erschien Mingma verschmitzt mit einem Kessel und sagte besänftigend: »Lasst uns alle zusammen Tee trinken, Memsahibs, bis die Sonne kommt. Es ist ein sehr kalter Morgen.« Diesem Angebot konnten begeisterte Teetrinkerinnen wie Betty und ich nicht widerstehen, und wir holten schnell und ohne Scham unsere Becher. Die Teeparty dauerte, bis ein Streifen aus Licht und Wärme über den eiskalten Schatten, in dem unsere Schneeplattform lag, fiel und Sherpas und Memsahibs geschlossen aufsprangen und dorthin rannten, um sich in ihm wie an einem Feuer zu wärmen.
Betty war an der Reihe, die erste Seilschaft anzuführen, gefolgt von Mingma, Chhepala und mir. Evelyn führte die zweite Gruppe mit Ang Temba, Kusung und Bahu. Wir folgten alle zunächst dem Schneekorridor und hielten nach einem Weg zurück zum eigentlichen Gletscher Ausschau. Bettys Seilschaft ging zügig voran, bis sie ganz plötzlich zum Stillstand kam. Eine andere Linie von Spuren, vom Gletscher herunterkommend und in dem gefrorenen Schnee nur schwach zu sehen, verlief diagonal über den Korridor. Jeder der schmalen Fußabdrücke war zwischen 20 und 25 Zentimeter lang, und das Seltsamste war, dass sie mindestens zwei Meter auseinander lagen. Sorgfältig maßen wir den Abstand. »Seht ihr? Das ist zweifellos eine Yeti-Spur«, sagte Mingma triumphierend. Wir waren geneigt, ihm zu glauben. Wir konnten uns die Spuren anders nicht erklären, auch wenn es unser Verständnis überstieg, was selbst ein Yeti in dieser hoch gelegenen Wildnis aus Eis und Schnee zu suchen hatte. »Warum gibt es keine Zehenabdrücke?«, fragten wir nach. Mingma bedachte uns mit einem mitleidigen Blick. »Weil sie ihre Zehen beim Laufen einziehen, so ...« - er demonstrierte es mit den Fingern. »Was essen Yetis?«, fragte ich. Mingma schüttelte den Kopf und sagte, er wisse es nicht. Und weil er fürchtete, seine Position als Autorität auf dem Gebiet der natürlichen Geschichte des legendären Schneemenschen zu verlieren, fügte er noch schnell hinzu: »Vielleicht irgendwelche Dinge, die unter den Steinen liegen.« Er fuhr fort, zu erzählen, es gäbe drei Arten von Yetis, eine so groß wie ein Yak, eine von der Größe eines Menschen und eine kleine wie ein Pygmäe. Wir waren der Ansicht, die vorliegenden Spuren gehörten der mittleren Kategorie an. Wir fotografierten sie auf klassische Art und Weise mit einem danebenliegenden Eispickel, obschon wir vermuteten, sie seien nicht deutlich genug, um gut erkennbar zu sein.
Danach setzten wir unseren Weg zum Gletscher hinauf fort, und Betty führte uns mit Elan die aufsteigenden Wellen und schroffen Zacken im schneebedeckten Eis hinauf und hinunter. Einige der Gletscherspalten waren riesig, ihre Wände waren in verschiedenfarbigen Schichten geschliffen - leichte Violett-, Blau-, Grün- und Cremetöne -, wie Stücke eines exotischen neapolitanischen Kuchens. Wir schafften es, sie alle zu umgehen oder zu überqueren, bis Betty einen letzten steilen Sérac erklomm und plötzlich oben stehen blieb. Zu ihren Füßen lag die größte Gletscherspalte, die wir je gesehen hatten. Sie schien sich von einem Ende des Gletschers zum anderen zu erstrecken, und Bettys Mut sank. Wir aber wurden wütend und wollten uns jetzt auf keinen Fall geschlagen geben. Mingma, der wie ein Hund am Rand der Gletscherspalte hin- und herlief, fand eine Lücke in ihrer Unzugänglichkeit und stürzte sich unerschrocken durch eine Kluft hinunter, um sie auszuprobieren. Wir protestierten nicht, sondern feuerten ihn an und waren bereit, ihm zu folgen. Die Gletscherspalte war an dieser Stelle mit Lawinentrümmern angefüllt. Große Eisund Schneeblöcke waren von ihrem oberen Rand heruntergebrochen. (»Alles klebte zusammen«, so Betty, »wie Süßigkeiten in der Hosentasche eines Jungen.«) Zwar bildeten diese Brocken nur eine zerbrechliche Schicht, unter der eine große Tiefe lag, aber so früh am Tag waren die Blöcke solide genug zusammengefroren. Es war auf jeden Fall einen Versuch wert. Da er schon ganz vorn war, raste Mingma hinüber, mal hier herumstochernd, mal dort eine Stufe schlagend und über Spalten springend. Die anderen in seiner Seilschaft folgten ihm, während die zweite Gruppe auf ein Zeichen zum Überqueren wartete. Selbst so früh war der Übergang, den die Trümmer bildeten, nicht sehr sicher. Er war voller Löcher, in die unsere Beine einbrechen konnten, unter dem Klirren von abgebrochenem Eis, das weit unten zersplitterte. Die Gletscherspalte war so breit, dass die ganze Gruppe gleichzeitig auf der »Brücke« sein musste. Ein großer Überhang an der hinteren Wand, der weggeschlagen werden musste, versperrte unseren Weg, und Mingma stürzte sich mit seinem Eispickel darauf wie ein Besessener.
Nach einem ungefähr halbstündigen harten und haarsträubenden Kampf gab die Gletscherspalte plötzlich nach, und die Mitglieder der ersten Seilschaft kletterten mit Erleichterung wieder auf festes Eis. Trotzdem mussten sie eine schwierige Klettertechnik anwenden, um aus dem Kamin herauszukommen, was bedeutete, dass alle Lasten abgenommen und getrennt heraufgezogen werden mussten. Nun konnte die zweite Gruppe mit dem Übergang beginnen, während Bettys Seilschaft weiterging, immer in der Angst, ein weiteres größeres Hindernis anzutreffen. Doch obwohl wir noch zu einer letzten auseinander klaffenden Gletscherspalte kamen, entdeckten wir eine wunderbare Eisschneide, idealerweise mit Schnee bedeckt, die genau darüber verlief und eine schmale Brücke bildete. Wir kehrten mit den guten Neuigkeiten zur großen Gletscherspalte zurück, und unsere beiden Gruppen trafen sich genau auf dem Schneefeld darüber. Wir gratulierten uns gegenseitig und aßen mit Schnee gemischte Marmelade - eine Lieblingsspeise der Sherpas. Abgesehen von ihrer Größe war das Bemerkenswerteste an der großen Gletscherspalte das traumhafte tiefe Blau des Eises an einigen Stellen. Es sah fast überirdisch aus. Der schmale Eissteg war das letzte Hindernis auf dem Eiswasserfall, und wir waren so glücklich, das vorhergehende überwunden zu haben, dass wir seine Schwierigkeit außer Acht ließen und einer nach dem anderen völlig gelassen hinüberbalancierten, obwohl die Brücke nur ein paar Zentimeter breit und der Abgrund auf beiden Seiten tief und dunkel war. Als wir drüben waren, sahen wir den Gletscher vor uns liegen, eben und makellos.
Wir hatten es geschafft! Doch nun begann die eigentlich harte Arbeit, als wir stundenlang immer weiter in Richtung der Y-Gabelung hinaufstiegen. Nachdem Betty eine Zeitlang geführt hatte, brauchte sie allmählich eine Pause, und die anderen übernahmen abwechselnd die Führung. Da der Schnee jetzt weich war, stellte dies eine sehr anstrengende Aufgabe dar, der Führer sank bei jedem Schritt ein. Natürlich zogen wie immer die Wolken herauf, allerdings nicht, bevor wir eine mögliche Route zu unserem Berg hinauf ausfindig gemacht hatten. Sie war sehr lang und würde endloses Tritte-Schlagen erfordern und wahrscheinlich auch ein ungeschütztes Lager auf dem Eisgrat. Deswegen hofften wir, es gäbe tatsächlich einen Pass am oberen Ende des Gletscherarms, der in nordwestlicher Richtung des Berges verlief, und von dort aus möglicherweise eine kürzere und genauso machbare Route auf den Gipfel. Betty war immer noch vorn, als der Nebel uns einhüllte, und es fiel ihr schwer zu erkennen, wo sie festen Halt finden würde. In dem weißen Schnee und dem weißen Nebel benötigte sie irgendeinen dunklen Gegenstand, um ihren Blick zu fixieren, und sie taumelte wie betrunken herum, wenn dies nicht möglich war, bis die nachfolgenden Bergsteiger sie zur Ordnung riefen. Weiter oben lichteten sich die Wolken jedoch wieder, und als wir uns dem Punkt näherten, wo der Gletscher sich gabelte, blies sie ein heulender Wind vom westlichen Pass her vollständig davon.
Wir fanden uns einer ebenen Schneefläche mit einer vom Wind geglätteten verharschten Oberfläche gegenüber, unterhalb eines weiteren monumentalen Eiswasserfalls. Die Sichtverhältnisse waren immer noch nicht gut, da der Wind Wolken aus Pulverschnee vor sich her trieb, der uns wie mit Nadeln ins Gesicht stach und in unsere Augen geriet. Wir konnten jedoch links gerade noch einen Arm des Gletschers erkennen, der sanft zu dem Bergrücken im Westen hin anstieg, der so sehr nach einem Pass zum oberen Ende des Dorje-Lakpa-Gletschers aussah. Direkt vor uns ragte eine Bergschulter aus Eis und Schnee in die Höhe, die ein Pfeiler des großen weißen Gipfels selbst war - des höchsten Berges im Jugal Himal. Etwas rechts davon befand sich der Eiswasserfall, über dem es, wie wir nun erkannten, tatsächlich einen hohen Pass Im Grenzgebirge gab. Am nächsten Tag würden wir versuchen, ihn zu erreichen und unseren Gipfel von dort zu besteigen.
Mittlerweile war es drei Uhr, und alle waren müde. Ich war gerade mit dem Führen an der Reihe und stampfte Tritte in den unangenehm verkrusteten Schnee, als Mingma lustlos sagte: »Lass uns hier lagern, Memsahib.« Einen Moment lang war ich versucht, ihm zuzustimmen, aber der Schnee wies immer noch eine Steigung auf, und es gibt nichts Unangenehmeres, als in einem Zelt auf abschüssigem Gelände zu schlafen. »Nur ein bisschen weiter«, sagte ich und stapfte voran, während ich von ganzem Herzen wünschte, der Hang würde bald ebener. Dieses Lager musste jedoch schwer erkämpft werden, und es dauerte noch einige Zeit, bevor wir schließlich ebenen Schnee erreichten. Es war ein wunderschöner Platz für ein Lager, allerdings kein komfortabler, da er ständig dem Sturm ausgesetzt war. Wir hatten jedoch keine andere Wahl. Für den einen Tag hatten wir alle genug getan.
Evelyn hatte sich im Laufe des Tages erholt und sogar einige anstrengende Stufen ins Eis der großen Gletscherspalte geschlagen, aber nun waren ihre Kraftreserven erschöpft, und Kusung war regelrecht grau vor Müdigkeit. Wir schlugen die Zelte mit ihrer Rückseite zum Wind auf und begaben uns so schnell wie möglich hinein. Evelyn konnte wieder mal nichts essen, und wir machten uns Sorgen um sie, obwohl sie uns fröhlich versicherte, sie wäre nach einer Nacht Ruhe wieder in Ordnung. In dieser Nacht tobte ein heftiges Gewitter. Der Wind heulte über den Bergrücken im Südwesten, Blitze zuckten überall um uns herum, und der Donner hallte von den Gipfeln wider. Der Sturm verzog sich über unseren Gletscher hinunter, und wir konnten das sich entfernende Donnergrollen unten noch lange Zeit hören. Ein komisches Gefühl, den Donner unter anstatt über sich zu hören. Doch wir genossen es nicht lange, sondern schliefen trotz des draußen wütenden Sturms bald wieder ein. Als wir später in Abständen wieder erwachten, war das Wetter klar, und der Mond schien hell durch die Zeltwände.
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