Eine Zeitlang folgte der Weg dem Flussbett in Richtung Norden. Durch die Bäume erhaschten wir einen Blick auf das milchiggrüne Gletscherwasser, das zwischen Felsblöcken hervorsprudelte und in langsam wirbelnden Becken neue Kräfte sammelte. Monicas Knie machte ihr zu schaffen, und für den Fall, dass wir zurückbleiben sollten, ernannte sich Nima Lama selbst zu unserem Führer. Eine Laterne schwang symbolisch an seiner Last, und er ging mit uns drei Frauen und Murari. Wir übernahmen seine Gewohnheit, Blätter bei der Gebetsfahne oben auf jedem Steilhang niederzulegen, zum Dank, ihn überwunden zu haben. Tensing Lama ernannte sich seinerseits zum Sirdar, obschon er nicht versuchte, die anderen zu kontrollieren, und sich in keinster Weise anders als sie benahm. Da er auch keine unsinnigen Ansprüche, wie extra entlohnt zu werden oder keine Lasten tragen zu wollen, stellte, hatten wir nichts gegen seine »Ernennung«. Es war offensichtlich, dass die Sherpas diese Reise in die Berge als eine Art Vergnügungstour ansahen. Sie wollten sich die Ferienatmosphäre auf keinen Fall verderben, indem sie die Dinge zu ernst nahmen oder sich zum Beispiel gar beeilten.
Hatten wir eine disziplinierte Gruppe professioneller Träger mit gutem Ruf entlassen, nur um sie durch eine Bande unverantwortlicher, wenn auch liebenswerter »Gauner« zu ersetzen? Sie liefen schneller als die Nepalesen - sie konnten sogar ohne Schwierigkeiten mit ihren Lasten rennen -, dafür hielten sie oft an, um das Leben zu genießen und den nächsten Abschnitt zu begutachten. Bald fanden wir uns an der Spitze des Zuges wieder statt an seinem Ende. Wie Monica uns erklärte, war dieses ungleichmäßige Vorwärtsgehen typisch für Tibeter, und diese unabhängigen Sherpas stammten ohne Zweifel von Tibetern ab. Nörgeln und Ermahnungen hatten keinen Sinn. Ihrer Ansicht nach hatten sie sich verpflichtet, uns in drei Tagen zu einem bestimmten Ort zu bringen, und sie würden diese Abmachung auf ihre eigene Art und Weise einhalten. Hätten wir ihnen angeboten, einen Drei-Tages-Lohn zu bezahlen, wenn sie uns in zwei Tagen hinaufführen würden, so wären sie nicht daran interessiert gewesen und hätten ihr Programm nicht im Mindesten geändert.
Bei einem Halt fragten wir sie nach einem kleinen Dorf namens Mahatan, das auf unserer Karte fälschlicherweise nördlich von Tempathang eingezeichnet war; wir sprachen es jedoch fehlerhaft »Matahan« aus, was eine übermütige Heiterkeit auslöste. Unsere falsche Aussprache wurde nachgeahmt, und andere Varianten wurden erfunden, jedes Wortspiel lustiger als das vorangegangene. Danach war es nicht mehr möglich, das Thema einigermaßen ernsthaft zu erörtern. Um die Mittagszeit verkündete Nima Lama, wir müssten den Hauptfluss überqueren und einem von Osten kommenden Nebenarm folgen. Der Name »Balephi Khola« bedeutet bei den Einheimischen »ein Netzwerk von Flüssen«. Auf der Karte waren drei Hauptarme in ihrem ungefähren Verlauf verzeichnet, die den Abfluss für die drei Gletschertäler bildeten. An unserem jetzigen Standort vereinigte sich der Langtang Khola, der von den an den Langtang Himal angrenzenden Gipfeln und den kleinen Gletschern des westlichsten Tals Richtung Süden floss, mit dem Pulmutang Khola. Dieser kam aus dem östlichsten Tal und diente den Gletschern der Phurbi Chyachu als Abfluss. Zwischen den beiden lag der Rakhta Khola, ungefähr in süd-westlicher Richtung, wo er den vom Hauptgletscher kommenden Pulmutang erreichte.
Der Hauptgletscher befand sich am Dorje Lakpa, den wir unbedingt erreichen wollten. Also folgten wir dem Rakhta Khola. Wir waren noch nicht mehr als sechs Kilometer seit dem Basislager gegangen, und ich dachte deshalb nicht an die Möglichkeit, dass wir den Zusammenfluss von Langtang und Pulmutang Khola schon erreicht hatten, da die Stelle auf der Karte viel weiter von Tempathang entfernt lag. Ich beanstandete, wir seien vom Weg abgekommen und gingen nun einen kleinen Nebenfluss entlang, der uns zu den kleineren Bergen südlich der Hauptkette führen würde. Doch während ich mich immer mehr aufregte, huschte Evelyn davon und fand heraus, dass dieser neue Fluss wahrhaftig von einem Gletscher kam, denn er war voll von weißen Ablagerungen. Also konnte es sich nur um den Pulmutang handeln. Nördlich des Zusammenflusses verlief der Langtang in einer Schlucht, am rechten Ufer völlig von einer Felswand abgeschlossen, links von steilen und bewaldeten Abhängen begrenzt. Nima Lama versicherte, es gäbe keinen Weg durch diese Schlucht, und es sei niemand je dem Langtang Khola hinauf in die Berge gefolgt. Der Langtang war es auch, den Tilman im Jahr 1949 von oben gesehen hatte. Unser Pfad führte die uns gegenüberliegende Bergschulter auf der anderen Seite des Langtang hinauf, bis wir hoch über dem Zusammenfluss der beiden Bäche waren. Nima Lama zufolge gab es etwa 300 Meter oberhalb einen guten Lagerplatz, den wir von unserem Standort aus noch nicht sehen konnten. Wir beschlossen, dort unser Lager zu errichten, am Nachmittag weiter in nördlicher Richtung die Bergschulter zu umrunden und uns einen Weg am Rechtsufer des Langtang Khola entlang zu erkämpfen. Dies stellte sich als glücklicher Zufall heraus, denn unsere Träger hatten ebenfalls entschieden, an diesem Tag nicht weiterzugehen. Wir überquerten den Langtang auf einer soliden, gut erhaltenen Holzbrücke. An den fast senkrechten Abschnitten auf dem Weg nach oben standen Baumstämme als Leitern, in die Einkerbungen als Hand- und Fußtritte eingehauen waren.
Wir kamen auf eine grasbewachsene Hochweide, von wo aus wir die weiße Spitze der Phurbi Chyachu sehen konnten. Sie überragte das ostwärts verlaufende Pulmutang-Tal, das wir am folgenden Tag durchwandern würden. Ein paar Hütten umgaben Kartoffelfelder, darüber thronte ein kleines abgeschlossenes gompa mit ein paar Furcht erregenden buddhistischen Geistern in grellbunten Farben an der Vorderseite, die sich über sich selbst lustig zu machen schienen. Wir fragten, ob wir hineingehen dürften. Doch die Träger erklärten uns, der Lama sei verreist und seine Schwiegermutter habe den Schlüssel was so viel hieß wie: Da ist nichts zu machen. Unterhalb davon lagen schöne rasenartige Wiesen, umgeben von Bruyre- und Rhododendron-Bäumen in voller Blüte. Es sah aus wie auf einem gut gepflegten Landgut. So viel zu den unpassierbaren Schluchten des Jugal Himal. Im Norden sahen die Dinge allerdings anders aus. Wir drei Frauen marschierten los und umrundeten die Bergschulter, bis wir wieder oberhalb des Zusammenflusses waren. Wir blieben auf gleicher Höhe zu unserem Lager und versuchten, einen Zugang zur Schlucht des Langtang Khola zu finden. Hinter den kleinen Feldern gerieten wir zuerst in ein Dickicht und kämpften uns anschließend durch das dichte Unterholz eines Nadelwaldes. Hier und da stießen wir auf große Felsen, die die Bäume überragten. Wir kamen nur langsam und schwer voran und wünschten, wir hätten eine Axt oder ein Kukri-Messer gehabt, um uns besser einen Weg durch das Dornengestrüpp bahnen zu können. Wir bestiegen einen riesigen herausragenden Felsen und sahen soweit das Auge reichte nur unebenes dorniges Gelände vor uns.
Zu unseren Füßen fiel der Boden fast senkrecht in die Tiefe, hinunter zum Bach. Wenn wir uns nach vorn beugten, konnten wir das Wasser in den Felsenkesseln unten sprudeln sehen. Die gegenüberliegende Felswand stieg steil in die Höhe. An den Hängen oberhalb würde man vielleicht eine Route flussaufwärts finden, doch die auf unserer Seite sahen leichter begehbar aus - was nicht viel hieß. Wir hörten einen Zweig in der Nähe knacken, und Monica bemerkte trocken, wir würden uns in einem Land mit Bären befinden. Einstimmig beschlossen wir, zum Lager zurückzukehren und den Langtang Khola »ruhen« zu lassen, bis wir die anderen Täler erkundet hatten. Bei unserer Ankunft im Lager wimmelte es überall von Sherpas, und Monica sagte: »Wir haben so viele Sherpas wie andere Leute Mäuse.« Ihre aufgeregten Kommentare und die schrillen ungebrochenen Stimmen der jungen Träger waren ohrenbetäubend. Sie wollten unbedingt alles sehen, was wir taten und aßen, und hatten keine Hemmungen - was uns zu der Auffassung veranlasste, dass es so etwas wie einen schüchternen Sherpa nicht gab. Mit großer Wahrscheinlichkeit hatten sie nie zuvor eine weiße Frau gesehen, jedenfalls bestimmt nicht in ihren eigenen Tälern und noch dazu mit Zelten, Luftmatratzen und Ferngläsern ausgestattet. Wir entschieden, es sei am besten, wenn sie ihre Neugierde ein für allemal befriedigten. Ganz fasziniert waren sie von der Karte, und einer legte sogar seine Wange auf Monicas Schulter, um besser sehen zu können. Als wir ihnen ihre eigenen Berge und Täler zeigten, schienen sie die Darstellungsweise auf der Karte zu begreifen und konnten auch andere Dinge darauf wiedererkennen.
Kompass, Scheren, Taschenlampen alles musste genau untersucht und wenn möglich mitgenommen werden. Bevor wir es verhindern konnten, schnappten sie unsere Messer aus den Schutzhüllen. Trotzdem verloren wir während der ganzen Zeit unseres Zusammenseins nur eine Zeltplane - und die blieb versehentlich auf einem Busch liegen. Am späten Nachmittag brachte uns eine alte Frau aus den Hütten in der Umgebung heiße, in der Schale gebackene Kartoffeln als Geschenk. Sie lachte mit heiserer Stimme, als wir ihr pantomimisch für ihre Wohltat dankten, uns um die größten Kartoffeln stritten und uns begeistert über ihren Geschmack äußerten. Unsere Freude war echt, denn unsere Menüs hatten allmählich ihren Reiz verloren, und wir waren für jede Abwechslung auf dem Speiseplan dankbar. In dieser Nacht wollten wir unser eigenes Feuer haben, denn es wurde mittlerweile viel kühler, wenn die Sonne verschwand. Außerdem sahen wir nicht ein, dass jeder außer uns gesellige Lagerfeuer-Abende verbrachte. Wir mussten nur ein oder zwei Zweige für unser Vorhaben aufsammeln, als auch schon Sherpas und Träger damit begannen, abgestorbene Bäume für uns klein zu hacken. Um ehrlich zu sein, rührte der Enthusiasmus der Träger eher aus dem Verlangen, unbedingt unsere Holzaxt auszuprobieren, die auf sie bis dahin einen recht nutzlosen Eindruck gemacht hatte. Nachdem sie ein wenig damit herumgealbert hatten, holten sie jedoch ihre Kukri-Messer heraus, die für alle Zweige, außer den ganz dicken, besser geeignet waren. Unser Lagerfeuer war eine Fehlentscheidung: Es erlaubte den Sherpas, uns noch bequemer zu beobachten, und wir fanden keine Ruhe. Einmal saßen sie alle um uns herum und wärmten sich den Rücken am Feuer, das wir vor lauter Sherpas nicht mehr richtig sehen konnten.
Tensing Lama war in Höchstform. Sobald wir uns untereinander ansprachen, tat er so, als ob er den Gedanken aufnehmen und an unserem Gespräch teilnehmen würde, oder er erfand Wortspiele in seiner eigenen Sprache dazu. Die anderen fanden das so urkomisch, dass er seine besten Witze alle mehrmals wiederholte. Auf unserem späteren Rückweg nach Kathmandu, als wir ihm besser vertraut waren, zeigte sich Tensing Lama übereifrig in seinem Bemühen, die anderen in ihre Schranken zu weisen. Zur Abendessenszeit erklärten wir, dass wir lieber allein essen würden. Daraufhin - und nach einem oder zwei Anstößen von Mingma - verließen sie uns widerwillig, wohl in der Meinung, unser Verhalten sei sehr unkameradschaftlich. Nach dem Essen sangen wir ein wenig, und einige der jüngeren schlichen sich zurück, um zuzuhören. Bevor ich in meinen Schlafsack kroch, zog ich mich noch kurz in die Büsche zurück. Einen Augenblick später erschienen zwei oder drei Träger mit einer riesigen Bambusfackel. Diskret machte ich einen Schritt nach hinten, aber mein Fuß landete in der Luft. Im selben Moment vernahm ich, leider zu spät, laut und warnend das Rauschen des Baches weit unten. Im Fallen packte ich willkürlich zu und erwischte einen Ast, der unter meinem Gewicht hin und her schaukelte, aber hielt. Ich kraxelte schnell wieder nach oben. Am nächsten Morgen sah ich, dass ich im Dunkeln beinahe Hunderte von Metern zum Pulmutang Khola hinabgestürzt wäre. An diesem Morgen kamen wir nicht sehr früh los. Die meisten Träger hatten in einer Höhle geschlafen, doch einige lagen unter einer Plane, die sie wie eine Bettdecke bis zur Nasenspitze gezogen hatten. Nach unserem Frühstück waren sie darunter immer noch mit ihrer Morgentoilette beschäftigt. Erst um acht Uhr hatte Mingma alle auf den Beinen, aber schon nach der ersten Wegbiegung entdeckten wir sie bei einer »Pause«, mit schlecht verborgenem Grinsen wie ein Haufen ungezogener Kinder. Allmählich näherte sich der Bachlauf der Höhe unseres Pfades, der oberhalb davon auf- und abstieg wie eine Achterbahn. Mal wanderten wir durch hohes Gras, mal durch Moosvorhänge, an denen durchscheinendes Zeug hing, das eher in die Filmkulisse eines Gruselfilms passte als in einen echten Wald. Bei einer Pause hörten wir Murari mit der Sherpa-Sprache kämpfen. Er war ein intelligenter Bursche, sehr lernbegierig, aber die Aussprache bereitete ihm die gleichen Schwierigkeiten wie uns, und seine Bemühungen wurden genauso belächelt. Im Moment waren wir alle mit diesem Thema beschäftigt, und Ang Droma - weit davon entfernt, Analphabetin zu sein, wie wir zunächst vermutet hatten - ließ Murari unsere Zahlen in Nepali-Schrift für sie aufschreiben. Den restlichen Vormittag marschierten wir im Rhythmus unseres Gesanges, »Chik, ni, soong, shi ....«, und die Sherpas echoten »eins, zwei, drei, vier, ...«.
Es erschien uns angebracht, die vorderen Träger mit einer Zigarette zu belohnen, um guten Willen zu zeigen und die hinteren zu motivieren, schneller zu gehen. Doch das einzige Ergebnis war, dass Tensing Lama von da an ständig Zigaretten von mir erbettelte - englische Zigaretten waren ein besonderer Genuss. Sie drehten sich ihre eigenen aus grobem Tabak, eingerollt in ein Blatt, und »sogen« an ihnen aus der geballten Faust. Während einer weiteren Pause erfand Ang Droma, die gern Süßigkeitenpapier in die Luft warf und dann zuschaute, wie es vom Wind weggeblasen wurde, ein neues Spiel. Sie wickelte Steine in das Papier und legte sie auf den Weg, um die anderen auszutricksen. Es gab jedes Mal endloses Gelächter und Spötteleien, wenn jemand sich drauf stürzte. Sherpas gehen sehr sparsam mit ihren Witzen um - und ein guter wie dieser erfreut sie wochenlang. Nach ungefähr einer Stunde erreichten wir ein paar Bambushütten, vor denen eine kleine Familie ihre Tiere - halb Yak, halb Kuh - grasen ließ. Unsere Träger hielten für eine Mahlzeit und einen kleinen Schwatz an, und es gab keine Möglichkeit, sie zum Weitergehen zu bewegen. Wir fühlten uns wie Schulmeisterinnen mit einer aufmüpfigen Klasse. Evelyn machte den größten Eindruck, indem sie in ihrer ruhigen Art jeden Einzelnen zum Weitergehen aufforderte. Nur ein Bursche mit einem dünnen Bart und einer Mundharmonika widersetzte sich ihr offen und versuchte, sich über sie lustig zu machen. Wir beschlossen, ihn bei der nächsten Gelegenheit loszuwerden. Um die Mittagszeit kamen wir an den Zusammenfluss des Pulmutang und eines breiten Baches, der zu unserer Linken in ihn einmündete. Wir entschieden, es müsse der Rakhta Khola sein, der uns zum Dorie-Lakpa-Gletscher führen würde. Doch Nima Lama war der Meinung, wir sollten ihn überqueren und ihm nicht folgen. Besorgt schauten wir nach, ob sein Weg am anderen Ufer entlangführte. Aber wir sahen gleich, dass dies nicht der Fall war. Der Rakhta Khola kam direkt oberhalb seiner Mündung in den Pulmutang aus einer riesigen Spalte im nackten Felsen. Diese Schlucht bildete, wie ein schmaler Durchgang zwischen zwei übergroßen Wohnblöcken, den Zugang zu unserem Gletscher. Wir waren sicher, dass es auch jetzt - beim Tiefststand des Baches unmöglich wäre, sich einen Weg durch diese Schlucht zu erkämpfen.
Sorgfältig untersuchten wir die Abhänge auf beiden Seiten des Baches. Rechts waren riesige Felswände, spärlich mit Gras bewachsen. Links war ein steiler, bedrohlich wirkender Vorsprung. Durch die wenigen Bäume, die darauf wuchsen, sah man den nackten Fels. Wir vermuteten, dass es eine Route über diesen Vorsprung geben würde, allerdings keine für Menschen mit Traglasten. Später entdeckten wir, dass die Einheimischen tatsächlich einen Weg dort hinauf mit ihren Ziegen gefunden hatten. In der Zwischenzeit war jedoch jeder, der von der Existenz dieses Weges wusste, sorgsam darauf bedacht, nichts zu erwähnen - aus Angst, uns auf abwegige Gedanken zu bringen. Der Bach war sogar zu dieser Zeit schwer zu überqueren, und wir mussten eine Brücke bauen. Wir fanden drei Kiefern, die schon früher als Brücke gedient hatten und danach sorgfältig beiseite geschafft worden waren, und legten sie über den wilden Mittelteil des reißenden Baches. Mit Steinen verkeilten wir sie grob. Die Sherpas gingen völlig unbekümmert über die Brücke, obschon die Kiefern manchmal ein wenig unter den Füßen wegrollten. Es war halb zwei Uhr nachmittags, als Evelyn mit dem letzten Träger das andere Ufer erreichte. Alle verkündeten, wir müssten hier unser Lager aufschlagen, da dies der letzte Lagerplatz auf einer sehr langen Strecke sei. Wir misstrauten dieser Aussage zwar, wussten aber nichts dagegen einzuwenden. Soweit wir sehen konnten, gab es auch am Ufer des Rakhta Khola keinen Lagerplatz, und wären wir trotzdem auf die Idee gekommen, dort zu lagern, hätte dies mit Sicherheit zu einem empörten Aufschrei geführt. Die Sherpas verbreiterten schon einige kleine Lichtungen im Wald oberhalb des Baches, und in erstaunlich kurzer Zeit hatten sie genug Platz für die Zelte geschaffen. Die einzelnen Lichtungen lagen alle nebeneinander und waren mit Stufen und durch die Bäume führenden Gängen verbunden.
Das ganze Lager wirkte wie ein schlecht geplantes, labyrinthartiges Haus, es verströmte jedoch auch die gemütliche, wohlige Atmosphäre einer derartigen Unterkunft. Die Träger fanden heraus, dass man drei seltsam klingende Töne erzeugen kann, indem man einen frisch geschnittenen Stock an einem Wasserkanister reibt. Sie verbrachten den ganzen Nachmittag damit, auf diesem Instrument zu improvisieren. Monica und Evelyn gingen ein Stück flussaufwärts, um sicherzugehen, dass es nicht doch eine gangbare Route entlang des Rakhta Khola gäbe. Ich nahm ein Bad in einem kleinen Waschbecken aus einer Segeltuchplane und setzte alles im Zelt gründlich unter Wasser - außer mir selbst. Unterdessen stolperten die beiden anderen über tiefes Geröll und sprangen von einem Felsbrocken zum nächsten, während ihnen das Wasser an die Fersen schwappte. Direkt unter der Felsspalte der Schlucht verengte sich der Bach, und das Wasser drängte in einem mächtigen Schwall zwischen riesigen, weit auseinanderliegenden Felsen hervor. Während des Monsuns war diese Stelle bestimmt schrecklich. Die Tore der Schlucht erschienen ihnen nun wie die Wanderfelsen der llias, bereit, über jedem zusammenzustürzen, der sich zwischen sie wagte. Sie waren froh darüber, nicht weitergehen zu können. Auf dem Rückweg nahmen sie einen höher gelegenen Weg, machten aber keine neuen Entdeckungen, außer dass Monicas neue Stiefel - speziell für sie angefertigt - an den Fersen zu weit waren. Hätten wir viel im Fels klettern müssen, wäre dies eine ernst zu nehmende Beeinträchtigung gewesen, da sie ihre Füße in diesen Stiefeln an heiklen Stellen nicht genau platzieren konnte. In Schnee und Eis fiel diese Behinderung nicht so sehr ins Gewicht. Wir begannen unter Kurzatmigkeit zu leiden und trafen überall auf bemooste Bäume.
Daher vermuteten wir, nun auf einer Höhe von etwa 3500 Metern zu sein. Um diese Schätzung zu überprüfen, holten wir unsere geliehenen Höhenmesser heraus. Aus verschiedenen Gründen hatten wir keine Zeit mehr gehabt, sie vor unserer Abreise aus England näher zu begutachten. Jetzt stellten wir fest, dass beide keine Höhen über 2500 Meter anzeigten. Auch wenn wir ihre Summen zusammenzählten, waren wir nicht in der Lage, den Himalaya zu vermessen. Da Mingma unseren Ärger wegen der Kürze des heutigen Marsches spürte, schlug er einen frühen Aufbruch für den nächsten Morgen vor. Wir gingen um sechs Uhr früh los und kamen nach kurzer Zeit zu einer großen Höhle, die laut Überlieferung einst tausend Lamas während einer tibetischen Invasion Schutz bot. Die Eindringlinge mussten über einen Pass am Ursprung des Nosem Khola oder noch weiter von Süden gekommen sein und drängten die einheimischen Stämme in ihre Bergtäler. Einen Moment lang spielten wir jedoch mit dem Gedanken, sie seien über einen Pass des hufeisenförmigen Jugal-Gebirgszuges gegangen, den wir nun wiederentdecken würden. Die Träger entzündeten ein Feuer aus Bambusstöcken in der Höhle, um uns die verborgenen Rauchabzüge zu zeigen. Unser Pfad führte nun durch einen Wald, dessen Boden mit modrigen Blättern und leuchtenden Primeln bedeckt war. Es war noch zu früh im Jahr für die meisten Blumen, und es gab immer noch vereinzelte Schneeflecken, wie Abfall, der bei einem Picknick zurückgelassen wurde. Nach dem Wald kamen wir auf eine breite offene Hochweide, durch die ein klares Bächlein floss, das augenscheinlich nicht von einem Gletscher kam. Diese Hochweide wäre ein perfekter Lagerplatz für die vorangegangene Nacht gewesen, und wir waren ärgerlich, dass man uns nichts davon gesagt hatte. Die Männer von Tempathang sahen das Ganze nicht als Enttäuschung an, sondern lediglich als eine Methode, ungeduldigen Fremden, die nicht erkennen konnten, dass am Ende doch alles auf dasselbe hinausläuft, mit Humor zu begegnen. Sie erklärten uns nun, der klare Bach sei das einzige saubere Wasser für die nächsten Kilometer - die Ablagerungen in Gletscherwasser können gesundheitsschädliche Reizungen hervorrufen - und schlugen vor, hier zu frühstücken. Der anschließende Wegabschnitt sei sehr steil, sagten sie, und deshalb müssten sie sich dementsprechend stärken. Wir hatten solche Geschichten schon früher von ihnen gehört und herausgefunden, dass es sich immer nur um eine leichte Steigerung des Gefälles handelte.
Der frühe Aufbruch erschien uns als Farce, und wir schauten niedergeschlagen zur Phurbi Chyachu, der wir uns nun, ganz gegen unseren Willen, näherten. Sie überragte uns, und wir erkannten einen steilen Gletscher, schwieriger als alle, denen wir je begegnet waren. Es handelte sich nicht um den Hauptgletscher der Phurbi Chyachu, den Phurbi Chyachumbu, der noch außer Sichtweite war, doch wir waren überzeugt, dass wir auf den Phurbi Chyachumbu zusteuerten und dass er mit Sicherheit genauso steil und schwierig sein würde wie dieser niedriger gelegene. Unsere Sherpas entdeckten wieder ein Gemüse, dieses Mal eine Art Kresse, die in Butter gekocht einen angenehmen nussigen Geschmack hatte. Wir halfen Ang Droma, davon in ihrer Schürze zu sammeln. Der Weg bog nun plötzlich nach Norden ab und führte steil bergauf. Diesmal hatten unsere Träger also die Wahrheit gesagt. Wir kletterten etwa 900 Meter hinauf, und die Steigung blieb die ganze Zeit über konstant. Wir atmeten geräuschvoll und keuchend und stützten uns beim Gehen auf unsere Pickel. Unseren Trägern schien das jedoch wenig auszumachen. Sie stiegen unverdrossen und ruhig mit ihren Lasten bergauf und beobachteten unsere Bemühungen mit verstecktem Vergnügen. Diesmal bekamen sie nicht von uns zu hören, dass sie schneller gehen sollten. Wir waren viel zu sehr damit beschäftigt, selbst mitzuhalten. Jetzt hatten wir einen vollständigen Blick auf die Phurbi Chyachu, von ihrer massiven Felsenspitze bis an den Rand ihrer Eisflächen, die in schmutzigen, übereinandergeschobenen Moränen endeten. Wir fragten die Träger nach der Bedeutung ihres Namens und erwarteten eine bedeutungsschwere Antwort. »Oh! Er bedeutet, der Berg sieht einem Hühnchen ähnlich«, erwiderten sie unbestimmt. Endlich wurde es weniger steil, und die Träger hielten eine Pause für angebracht. Wir ließen uns neben einem hohen Felsen fallen, der den Sherpas als »Elefantenkopf« bekannt war. Er hatte so wenig Ähnlichkeit mit einem Elefantenkopf oder irgendeinem anderen Teil eines Elefanten, dass wir uns fragten, ob die Einheimischen ihre Berge und Wahrzeichen wohl genauso freizügig benannten wie Wirte ihre Kneipen.
»Ihr musstet euch ganz schön anstrengen, nicht wahr?« fragte einer der Träger grinsend. Es gab keinen Zweifel, dass dieser Anstieg am Ende des letzten Tages zu viel für eine beladene Gruppe gewesen wäre.
Der Platz, den Nima Lama für unser Basislager ausgewählt hatte, sei nun sehr nahe, erklärte er uns. Wir erreichten ihn kurze Zeit später: ein breiter Vorsprung auf etwa 4400 Meter Höhe, der den Boden eines Kars, einer Mulde, bildete. Der Ort hieß Pomba Serebu, und entgegen unseren Erwartungen lag kein Schnee mehr dort. Oberhalb war eine Wand aus Felsnadeln, unterbrochen durch weitgefächerte Schneerinnen, die uns nun vom Dorje-Lakpa-Gletscher trennten. Das Kar senkte sich jenseits des Randes, an dem wir standen, und dort lag ein kleiner Teich, umgeben von dachlosen Stein-Schutzhütten. Die Hirten aus Tempathang bedeckten diese Unterstände mit Bambusmatten und verwendeten sie als Schutz, wenn sie mit ihren Yaks vor der Monsunzeit heraufkamen. Wir konnten uns nicht vorstellen, wie sie mit ihren Tieren über den Rakhta Khola und dann hinauf zu dieser Stelle gelangten, aber wenn sie es einmal geschafft hatten, mussten sie oben bleiben, bis die Regenzeit vorbei war und der Wasserstand sich gesenkt hatte. Die Schutzhütten erinnerten uns an Hochland-Katen, und um sie herum herrschte die unheimliche Atmosphäre einsamer Landstriche in Nord- und Westschottland. Wir zogen es vor, in die Senkung hinunterzugehen, wo wir eine flache Wiese zwischen schützenden Felsen entdeckten. Ein klarer Bach aus dem Teich floss hindurch, und auf einer Seite ragte ein einzelner Felsvorsprung hervor - ein idealer Biwakplatz für unsere Träger. Es gab genug Wacholderbüsche und andere Zwergkoniferen als Feuerholz. Abgesehen davon, dass Pomba Serebu möglicherweise eine Sackgasse war, schien es der ideale Standort für ein Basislager zu sein. Wir wollten die Männer aus Tempathang möglichst schon am nächsten Tag ausbezahlen, daher durften wir keine Zeit verlieren, sondern mussten herausfinden, ob wir hier in einer strategisch guten Lage waren oder nicht.
Nach dem Mittagessen trennten wir uns und machten zwei Erkundungsgänge. Monica und ich begannen die unkomplizierteste der steilen Schneerinnen in der Felswand über dem Lager hinaufzuklettern. Wir hofften, einen Weg über diese Wand hinaus zu finden oder zumindest zu sehen, was für Möglichkeiten auf der anderen Seite lagen. Evelyn und Mingma überquerten den grasbewachsenen Vorsprung, der das Kar Im Osten begrenzte, um einen Blick auf den Hauptgletscher der Phurbi Chyachu zu werfen und herauszufinden, ob es eine gangbare Route durch das Eis und den Gletscher hinauf gäbe. Wenn unsere Erkundungen fehlschlugen, blieb uns nichts anderes übrig, als umzukehren und zu versuchen, einen Weg durch eine der anderen Schluchten, an denen wir weiter unten vorbeigegangen waren, zu suchen. Monica und ich hatten wenig Erfolg. Der Schnee in der Rinne war weich und matschig, seine Oberfläche hatte durch Wind und Wetter eine seltsame, bienenwabenähnliche Struktur. Zwei Lawinenspuren verliefen an beiden Seiten. Wir sahen immer wieder nach unten und dachten, im schlimmsten Fall würde uns eine Lawine »nur« auf das Geröll werfen. Andererseits ist es auch nicht besonders angenehm, sich an Steinen aufzuschrammen, und wahrscheinlich würden wir genug Blessuren abbekommen, um uns für den Rest der Expedition im Basislager aufhalten zu müssen. Ungefähr auf halber Höhe der Rinne ruhten wir uns auf einer Felsplatte aus. Es begann zu schneien, und lange Nebelschwaden zogen um die Gipfelkette. Wir konnten nun in einen nach links führenden Seitenarm der Rinne sehen, der in einer Gruppe steiler bewachsener Felsen endete, die obendrein noch locker zu sein schienen. Unserer Ansicht nach bot die Hauptrinne die bessere Route, aber es lohnte sich nicht, noch mehr zu riskieren. Es stand jetzt fest, dass wir auch von oben nichts sehen würden.
Der Nebel wurde immer dichter, und die verbleibende Aussicht schien wenig reizvoll. Wir schlitterten wieder abwärts, immer mit einem Fuß steckenbleibend, und kämpften uns rutschend den Abhang hinunter. Unsere erste Begegnung mit dem Schnee des Himalaya war nicht besonders ermutigend. Evelyn hingegen war aufgrund ihrer Neuigkeiten so freudig erregt, dass sie uns entgegenkam. »Wir haben wirklich etwas gefunden«, rief sie uns entgegen. Mingma und sie hatten von oben auf den Phurbi-Chyachumbu-Gletscher hinabschauen können, der in einer überdimensionalen gefrorenen Kaskade ins Pulmutang-Tal abfiel. Evelyn hatte einen Weg hinunter zur Moräne entdecken können. Er erreichte die Moräne ungefähr auf halber Höhe dieses Eiswasserfalles, den wir ihrer Meinung nach durch eine große offene Bergschrund, die auf der linken Seite einen Korridor bildete, umgehen konnten. Durch den Nebel hatte sie einen Blick auf eine glatte, fast ebene Gletscherfläche oberhalb erhaschen können, eine Art Straße ins Herz des Jugal Himal und an die tibetische Grenze, versicherte sie uns. Das war mehr, als wir je zu hoffen gewagt hatten.
Bei unserer Rückkehr ins Lager wurden wir von den Sherpas mit »Salem« begrüßt, sie lächelten und waren offensichtlich erfreut darüber, dass wir in ihren Augen unseren Ruf als Bergsteigerinnen nun vollständig wiederhergestellt hatten. Alle Sherpas - Bergsteiger und Träger - feierten in dieser Nacht lustig und vergnügt im Lager, und es dauerte lange, bevor der Letzte mitten im Satz einschlief Wir erkannten, dass die Einheimischen unseren Plänen, ihre Bergweit zu erforschen, sehr unbekümmert gegenüberstanden. Sie betrachteten die Gipfel anscheinend nicht als sakrosankt, und es schien sie nicht sonderlich zu kümmern, ob wir sie erreichten oder nicht, solange wir nur für interessante neue Abwechslung und Gelegenheit zum Feiern sorgten.
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