Tempathang - das Tor zum Jugal Himal

Wir befanden uns nun ganz in der Nähe von Tempathang. Wäre das Feuer nicht dazwischengekommen, hätten wir es schon am vorigen Abend erreicht und nicht am Nosem Khola übernachtet. Am nächsten Morgen überquerten wir den Bach und stiegen etwa 600 Meter steil bergauf, auf einem Pfad, der eher einer Leiter ähnelte. Die Nepalesen ersteigen ihre Berge ohne Umwege, und zwischen ihnen und ihrer Entschlossenheit, nach oben zu kommen, liegen keine sanft ansteigenden Zickzackwege. Die gegenüberliegenden Seiten des Tals waren hier so steil abfallend und nahe beieinander wie die Seiten eines fast geschlossenen Buches. Ab und zu wurden die Abhänge von winzigen Grünflecken unterbrochen: eine Yak-Weide oder ein Kartoffelfeld. Ansonsten gab es keine unbebaute Stelle, wo der allgemeine Neigungswinkel nachließ. Wir sahen einen dicht bewaldeten Bergrücken auf der anderen Seite, von dort abfallend, wo wir die fünf Seen von Panch Pokhari vermuteten.
Entlang dieses Bergrückens musste ein weiterer unerbittlicher Pfad von Panch Pokhari nach Tempathang führen. Ein gebeugter grauhaariger Mann ging vorbei. Er trug keine Last, dafür einen langen gestreiften Schal um den Hals, wie ein Fußballfan. Im Vorbeigehen sprach er uns an, und Murari sagte, er würde uns Träger anbieten für die nächste Phase unseres Marsches, wenn wir wollten. Er konnte nicht wissen, dass wir in die Berge wollten, also vermuteten wir, dass Mingma, der noch ein gutes Stück hinter uns war, ihn gelöchert hatte. Tempathang ist ein Sherpa-Dorf in knapp 2400 Metern Höhe, und unsere Sherpas konnten es kaum erwarten, dort anzukommen und ihresgleichen zu treffen. Mingma wollte neue Männer einstellen, Bergbewohner, die seine Sprache sprachen, und die Träger von Kathmandu, die in seinen Augen nicht besser als Engländer waren, wieder nach Hause schicken. (Wir selbst nannten diese Träger »die Nepalesen« im Unterschied zu den Sherpas, obschon die Sherpas selbstverständlich auch zu Nepal gehören.) Er wollte wohl auch die alleinige Befehlsgewalt haben und sprach zeitweise sogar davon, Yaks mitzunehmen. Doch als die Schlucht immer enger und der Steig immer unwegsamer wurde, hörten wir weniger von diesem Plan. Als wir uns dem Dorf näherten, das auf einem Felsplateau an einem Steilhang über dem Fluss thronte, war Mingma nicht mehr zu halten und schoss mit leuchtenden Augen voraus. Wir erreichten die ersten Häuser noch vor Mittag und fanden den Ort fast verlassen vor. Ein uralter Mann lag wie sterbend in der Sonne, einen mageren Arm über seinem Gesicht; einige Frauen webten lange Bambusmatten, und ein junge kämmte Wolle aus. Wir vermuteten, dass alle kräftigen Männer sich vor Mingma in Sicherheit brachten, der von Tür zu Tür ging, um Leute anzuwerben. Bei seiner Rückkehr wusste er als Einziges mit Bestimmtheit, wo wir einen guten Lagerplatz unten am Fluss hinter Tempathang finden konnten.
An diesem Tag konnten wir nicht mehr weitergehen, da wir von den Einheimischen so viele Informationen wie möglich über den Jugal Himal herausbekommen und bestenfalls mindestens einen von ihnen als Führer engagieren wollten. Außerdem mussten wir Lebensmittel für unsere Rückkehr hier deponieren. Unser Lagerplatz selbst war jedoch schon Grund genug, hier zu verweilen. Am Bachufer gab es raues Gras und Dornenbüsche mit hellen Sandflächen dazwischen, die in der Sonne leuchteten. Ein Rotschwanzpärchen mit weißen Köpfen hopste in unserer Nähe von Stein zu Stein. Wir errichteten unser Lager und saßen dann auf den glatten weißen Felsen, ließen die Füße in den Bach baumeln und wurden von seinen schnellen, gleichmäßigen Bewegungen gefesselt. Es war der 19. April. Der erste Abschnitt unserer Reise - die 80 Kilometer von Kathmandu nach Tempathang - lag hinter uns. Ohne die kurzen Verzögerungen hätten wir die Strecke in fünf anstatt in sechseinhalb Tagen geschafft. Aber jetzt sorgten wir uns nicht länger um die Zeit, sondern genossen die Gegenwart in vollen Zügen. Wir machten uns auch keine großen Gedanken um die Probleme, die noch vor uns lagen.
Bald darauf erschien der alte Mann mit seinem langen rotgrünen Schal und wollte mit uns sprechen. Er schien einiges Ansehen im Dorf zu besitzen, und sein Name war Nima Lama, wie wir später erfuhren. Er antwortete auf unsere begierigen Fragen und sagte, es gäbe einen Weg entlang des Balephi Khola zu einigen Yak-Weiden hinauf. Die Höchste läge einen Drei-Tages-Marsch von Tempathang entfernt in der Nähe eines Gletschers. Er selbst sei schon dort gewesen, nahe genug, um das Eis fast mit der Hand zu berühren, und er sei gern bereit, uns dorthin zu führen. Wir waren hellauf begeistert. Dies waren großartige Neuigkeiten. Sie standen in krassem Gegensatz zu Tilmans Erzählungen. Wir erklärten uns diesen Sachverhalt später so, dass die Bewohner Tempathangs nicht etwa seit kurzem ihre Gewohnheiten geändert und diese Hochalmen erneut in Betrieb genommen hatten, sondern dass sie 1949 den Weg so negativ wie möglich beschrieben hatten, um Tilman davon abzubringen, während der Monsunzeit dort hinaufzusteigen. Zu dieser Zeit werden die Wege und Brücken nämlich fortgespült, und die Menschen hier hatten bestimmt keine Lust verspürt, von ihm zum Mitgehen überredet zu werden. Nachdem wir nun wussten, dass es einen Weg hinauf gab, fragten wir uns, wo er entlangführen könnte. Auf unserer Karte waren drei Haupttäler verzeichnet, alle Abflüsse des Jugal Himal, die in Nord-Süd-Richtung mehr oder weniger parallel zueinander verliefen. Das zentrale und am weitesten östlich gelegene Tal umfasste mehrere große Gletscher. Die Karten von Nepal wurden von geschäftstüchtigen indischen Landvermessern erstellt, und trotz des kleinen Maßstabs (0,6 cm :1,6 km) sind sie durchaus genau, was die Gebirgsausläufer betrifft. Aber wir wussten, dass die Gebirgszüge aus respektvoller Entfernung vermessen worden waren.
Einige Gipfel im Jugal waren trianguliert, d.h. in einem »Dreiecksmuster« vermessen worden, wahrscheinlich von einem Höhenzug oberhalb und im Westen von Tempathang aus. Dort gibt es tatsächlich drei Haupttäler, doch darüber hinaus besteht die Karte dieses Gebietes hauptsächlich aus unbestätigten Vermutungen. Da wir einer niedrigen Route in das Tal hinein folgten, konnten wir unsere eigenen Beobachtungen nicht gut nachprüfen. Doch in der Annahme, die drei Haupttäler auf der Karte seien korrekt eingezeichnet, gingen wir davon aus, dass das Haupttal zu dem hohen Gipfel zwischen dem Dorje Lakpa und der Phurbi Chyachu führen musste. Diese beiden hatten es uns angetan. Auf unserem bisherigen Marsch hatten wir nur ihren oberen Teil gesehen, aber dieser hohe Gipfel zwischen ihnen war bis jetzt der Einzige, der uns einigermaßen besteigbar erschien, und deswegen wollten wir ihn gern aus der Nähe untersuchen. Natürlich bestand unser ursprüngliches Ziel darin, die Gegend zu erforschen, nicht Gipfel zu besteigen. Doch nach den Umrissen auf der Karte zu schließen, hatte dieser Hauptgletscher nur eine leichte Steigung. Sollte das zutreffen, stellte er einen bequemen Zugang ins Herz des Jugal Himal dar. Das westlich gelegene Tal umfasste eine Reihe kleinerer und wahrscheinlich voneinander getrennter Gletscher, wohingegen der Gletscher im dritten, östlichsten Tal viel steiler als der Im Haupttal aussah.
Alles in allem schien der Hauptgletscher die meisten Möglichkeiten zu bieten und für uns am besten geeignet zu sein. Wir konnten nicht feststellen, zu welchem Gletscher Nima Lamas Weg führte. Er sagte, er würde zwischen der Phurbi Chyachu (die er »Phurawa Chyachm« nannte, was unsere Sherpas sofort übernahmen) und dem Dorje Lakpa liegen. Also konnte es sich sowohl um den Hauptgletscher als auch um den schwierigen im Osten handeln. Das Vernünftigste war wohl, zunächst einmal dem Weg des alten Mannes zu folgen und unterwegs die genaue Lage der Umgebung zu studieren. Nima Lama fügte hinzu, der Pfad sei uneben und steil, und er schaute zweifelnd auf die nepalesischen Träger, wie um abzuschätzen, ob sie den eventuell auftauchenden Gefahren gewachsen waren. Mingma ließ ihn dies zweimal betonen - für den Fall, dass wir nicht verstanden hätten, worum es ging. Während wir noch die Karte studierten, kam es zu einer kleineren Krise. Nachdem die Träger von unseren Versuchen, weitere Sherpas anzustellen, gehört hatten, kam ihr Sirdar und erklärte uns, seine Männer hätten einen Vertrag bis zum Basislager, und wenn wir einige schon jetzt zurückschicken würden, gingen sie alle. Auf jeden Fall sei keiner von ihnen bereit, Lasten zusammen mit einheimischen Amateuren zu tragen. Er wurde sehr aufbrausend und spuckte vor uns auf den Boden, um den Höhepunkt seiner Tirade zu unterstreichen.
Diese Drohung komplizierte die Angelegenheiten. Wir hätten gern einige der jüngeren Nepalesen behalten, da Mingma höchstens ein Dutzend Dorfbewohner zusammengebracht hatte. Obwohl wir Lebensmittel in Tempathang zurückgelassen hatten, brauchten wir noch mindestens 25 Träger, die mit uns zum Basislager kamen. Unter uns gaben wir Mingmas Plan den Vorzug, da die Männer aus Tempathang genug Lebensmittel für sich selbst hatten. Allerdings würden ihre Vorräte nicht auch noch für die Nepalesen ausreichen, deren Essen langsam knapp wurde. Ein weiterer Grund war, dass nur ein oder zwei Sherpas im Basislager bleiben müssten, die dann die anderen von Tempathang wieder heraufholen könnten, anstatt eine ganze Mannschaft Nepalesen zu bezahlen, die nur untätig herumsägen. Wir warnten Mingma jedoch, dass wir die Nepalesen nur dann entlassen könnten, wenn er ein vollzähliges Team aus Sherpas - Männer oder Frauen - zusammenbrächte, die uns auch noch den ganzen Weg bis zurück nach Kathmandu begleiten würden.
Die nepalesischen Träger überließen sämtliche Verhandlungen ihrem Sirdar. Sie selbst saßen an Feuern rund um das Lager, einige der jüngeren spielten ein übermütiges Spiel, wobei sie sich gegenseitig mit Steinen bewarfen. Der Sinn des Spiels bestand darin, den Stein entweder zu fangen oder ihm auszuweichen. Aber gleich ob man ihn erwischte oder von ihm getroffen wurde - unserer Ansicht nach war es in keinem Fall angenehm. Wir fanden heraus, dass sowohl Mingma als auch der Sirdar im kleinen Kreis vernünftiger mit sich reden ließen als in einer offenen Diskussion, und so verging der Nachmittag auf angenehme Weise mit Diplomatie und Intrigen. Zwischendurch brachte Ang Droma uns Tee in einem Pfeifkessel. Dieser Kessel war eine große Beruhigung für uns, besonders für Monica, da sein Pfeifen anzeigte, wann alle einheimischen Keime abgetötet waren. Wenn er meinte, wir hätten es nicht gehört, schüttelte Ang Temba den Kessel, um ihm einen letzten schwachen Schrilllaut zu entlocken, und grinste, wie um zu sagen: »Seht Ihr? Abgekocht!« Ang Droma entdeckte eine militante Brennnesselart, die ihrer Aussage zufolge gut essbar war. Sie schnitt probeweise etwas davon mit einem Kukri-Messer ab, kochte es und wrang die Blätter anschließend von Hand wie ein Spültuch aus. Die in Butter gebratenen Reste schmeckten köstlich. Die Sherpas verbrachten den Nachmittag damit, unseren Lagerplatz zu verbessern. Sie errichteten wunderbare Feuerstellen, die allerdings mit einer großzügigen Dosis Paraffin entzündet wurden, und zogen Entwässerungsgräben um die Zelte herum, auch wenn der Himmel wolkenlos war.
Es machte ihnen großen Spaß, selbst neue Vorrichtungen zu erfinden und jeden Tag etwas anderes herzustellen. Mal schnitten sie einen Ast ab, entfernten seine Zweige und stellten ihn als Ständer für die Trinkbecher auf. Ein anderes Mal erfanden sie eine Wäscheleine, die zwischen zwei aufrecht stehenden Ästen und einem hohen jungen Baum aufgespannt war. Unsere Lebensmittelkisten wurden, sobald sie leer waren, in Küchenmöbel verwandelt, und Chhepala verwendete einen Deckel als Backbrett. Wenn unsere Sherpas chapatis (eine Art Fladenbrot aus grobem Kartoffelmehl) buken, warfen sie sie nicht in traditioneller Art und Weise von Hand zu Hand, sondern rollten sie professionell auf diesem Brett aus, mit einem Wellholz aus einem dicken Ast, der mit der Kukri-Klinge sorgfältig geglättet worden war. Das Einzige, was sie nicht besonders gut konnten, war das Aufstellen der Zelte. Sie steckten die Heringe zu weit nach außen und ruinierten so die Schlaufen an den Zeltbahnen. Da sie von Natur aus gesellig waren, hatte es den Anschein, als ob sie dadurch in jedem Zelt Platz für so viele Leute wie möglich schaffen wollten. Beim Aufbau eines guten Biwaks hingegen waren sie unschlagbar. Am nächsten Morgen stellte uns Mingma stolz sein neues Trägerteam vor. Es bestand aus mindestens 25 Männern, einer wilden und zerlumpten Truppe mit ungekämmten Haaren und piratenähnlichem Ausdruck. Ihre Kukri-Messer steckten herausfordernd an ihren Gürteln, und sie sahen zu allem entschlossen aus; aber einige von ihnen waren erst Jungen, und einer war schwachsinnig. Mingma erklärte uns, die meisten Männer aus dem Dorf seien hoch oben in den Wäldern beim Holzschlagen, aber unsere Ankunft hätte sich herumgesprochen, und so seien diese Leute hier heruntergekommen, um an dem Vergnügen teilzuhaben und einen Nutzen daraus zu ziehen. Sie schienen unterschiedlicher Abstammung zu sein, da nicht alle die mongolischen Züge der Sola-Khombu-Sherpas aufwiesen. Sie waren barfuß wie die nepalesischen Träger und trugen Lendenschurze und Hemden, die über ihre schmalen Hüften fielen. Manche hatten auch kurze selbst gewebte Wollumhänge, andere Pullover Im Westernstil aus Kathmandu, einer davon in einem erstaunlichen Violett. Fast alle trugen bunte Perlenketten oder Ohrringe und die typischen schwarzen Hüte. Einer hatte eine uralte Zahnbürste als Anhänger, ein anderer einen Air-Force-Service-Button, der sicher eine bemerkenswerte Geschichte hinter sich hatte.
Wir merkten bald, dass sie zwar einfach, aber nicht völlig naiv waren. Drei- bis viermal im Jahr gingen sie nach Kathmandu, um ghee gegen Reis und die Kleidung einzutauschen, die sie nicht selbst herstellen konnten. Als wir später mit ihnen nach Kathmandu zurückkehrten, reagierten sie auf ein vorbeifahrendes Auto nur mit verächtlichem Gejohle und drückten damit auch unsere eigenen Gefühle aus. Mingma sagte uns, die Männer würden sieben mor pro Tag verlangen. Da wir dachten, mor sei das Sherpa-Wort für Rupie, waren wir entgeistert und hätten sie fast auf der Stelle wieder entlassen. Doch es stellte sich heraus, dass ein Mor einer halben Rupie entspricht und sie nicht mehr haben wollten, als die nepalesischen Träger auch bekamen. Wir willigten also mit gespieltem Widerwillen ein. Bald waren wir gute Freunde. Unsere Sherpa-Träger begegneten uns von Anfang an offen, da sie von Natur aus gastfreundlich waren und uns zweifellos sehr unterhaltsam fanden. Die Freundschaft wurde durch die Medizinkiste und leere Dosen besiegelt. Dosen sind gewissermaßen ein Tauschmittel in Nepal. Sobald wir eine wegwarfen, wurde sie sofort aufgehoben und tauchte wenig später, oft noch in schmutzigem Zustand, als Würfelbecher oder Chang-Trinkgefäß wieder auf. Manchmal strich einer der jüngeren verloren um unsere Zelte herum, sobald er vermutete, dass wir zum Beispiel die letzte Marmelade aus einer Büchse kratzten und sie somit leer wurde. Normalerweise waren wir gerührt und sein Vorgehen hatte Erfolg. Sogar Pappkartons wurden auf ihre Verwendbarkeit überprüft, und die Kinder kämpften mit Händen und Füßen um farbige Papierschnipsel. Alle liebten die Medizinkiste, standen stundenlang ehrfürchtig flüsternd vor ihrem farbenfrohen Inhalt und erfanden immer neue Symptome, um die Behandlungszeit zu verlängern.
Einer war besonders originell und wollte Evelyns Zuwendung wegen der Einschnitte in seinen lederartigen Fußsohlen. Die schwarze Teersalbe, die sie ihm gab, faszinierte die Zuschauer so, dass wunde Füße ausgesprochen populär wurden. Manche waren auch wirklich krank, wie der arme alte Mann, den wir am Vortag gesehen hatten. Er bestand nur noch aus Haut und Knochen und war sehr geschwächt von der Ruhr. Sein »Fall« war für Evelyn am befriedigendsten. Sie behandelte ihn mit Sulfonamiden, und später erzählte man, er sei völlig geheilt worden und wolle noch mehr »Wunderpillen«. Sulfonamide können jedoch bei falscher Einnahme gefährlich sein, also schickte Evelyn ihm stattdessen Vitamintabletten. Sie waren leuchtend orange und wurden noch enthusiastischer in Empfang genommen.
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Einige hatten verschiedene Formen von Tuberkulose, hauptsächlich durch Rinder verursacht. Augenprobleme waren weit verbreitet, und viele litten aufgrund von altem Narbengewebe auf der Hornhaut unter teilweiser Blindheit. Wir wollten so viel Münzgeld wie möglich als Lohn an die Nepalesen loswerden, da sich herausgestellt hatte, dass Papiergeld in kleinen Beträgen auch in Tempathang akzeptiert wurde. Wir verhandelten über die zu zahlenden Tage für den Rückmarsch der Träger. Doch den Nepalesen war es relativ egal, wie sehr wir mit ihnen handelten, solange sie nur ihr Bakschisch erhielten - auch wenn es am Ende auf dasselbe herauskommen sollte. Wir gaben dem Sirdar das gewünschte Referenzschreiben, in dem stand, wie zufrieden wir mit ihm und seinen Männern gewesen seien, und die letzten Briefe in die Heimat. Sie zogen singend davon, froh darüber, dem unwirtlichen Gelände den Rücken kehren zu können. Bei der Einstellung der Männer aus Tempathang drängten sich alle um uns herum, begierig, ihre Namen zu sagen und mit Daumenabdruck zu unterschreiben.
Ihr Anführer und Sprecher war ein buckliger kleiner Mann in einem alten grünen Jackett, dessen gerade Haare rund um seinen Hut abstanden wie eine Schornsteinfegerbürste. Wir nannten ihn daher den »einfältigen Simon«, eine Bezeichnung, die jedoch ganz und gar nicht zutraf, lernten wir ihn doch als ein richtiges »Schlitzohr« kennen. Sein wirklicher Name war Tensing Lama.
Einen Jungen, der bestimmt noch keine zwölf Jahre alt war, wiesen wir ab, er kam jedoch immer wieder zurück, in der Hoffnung, wir würden ihn nicht erkennen. Er mochte nicht mit dem »Frauenvolk« zurückgelassen werden. Wir wollten noch einen anderen, der auch nicht viel älter war, ausmustern, aber sein Vater sagte, er würde am nächsten Tag heraufkommen und den Jungen ablösen. Er selbst konnte nicht sofort kommen, da eines seiner Yaks gestorben war und das Fleisch zur späteren Verwendung geräuchert werden musste. In buddhistischen Ländern gilt es als falsch, ein Tier zu töten. Strenge Buddhisten essen nicht einmal das Fleisch von natürlich gestorbenen Tieren. Doch diese Sherpas waren nicht so orthodox, eine Tatsache, die uns in den folgenden Wochen bewusst wurde: Das erwähnte Yak-Fleisch stank beim Schmoren derart, dass wir uns leider von dem wunderschönen Lagerfeuer zurückziehen mussten. Schließlich zogen wir mit Mingma, der jetzt, da er seine Sherpa-Träger hatte, übers ganze Gesicht strahlte, flussaufwärts weiter. Der Pfad war streckenweise kaum zu erkennen, und wir marschierten in eine Gegend, die vor uns noch kein Weißer betreten hatte.