Panch Pokhari

Wir verließen Pemsal mit einem wehmütigen Gefühl. Es war ein herrlicher Ort. Am Vorabend hatte Ang Droma es sich in den Kopf gesetzt, Sträuße aus Rhododendron an unseren Zeltstangen zu befestigen, und in der hellen Morgensonne sah das blumengeschmückte Lager richtig festlich aus. Doch nur allzu bald brachen wir die Zelte ab und mussten die Blumen zurücklassen, da wir die lieb gewonnene Hochweide verließen. Wir folgten dem Waldweg, der sich niemals weit vom Bach entfernte, vorbei an den Wegzeichen unseres Aufstiegs: die große Höhle, die moosbewachsenen umgestürzten Bäume mit den Stufen, die in ihre Stämme gehauen waren, und die Yak-Almen, die jetzt verlassen waren, da ihre Benutzer wahrscheinlich mit der Schneeschmelze weiter bergauf zogen. Überall blühten Blumen, insbesondere die wunderschönen malvenfarbigen Baumorchideen. Die Sherpas schälten während des Gehens Bambussprossen ab und sammelten wilden Knoblauch. Bahu pflückte auch Blumen für Evelyn, die ein paar gesammelt hatte, um sie später in ihrem Wildblumenlexikon nachzuschlagen und nun plötzlich in Verlegenheit geriet aufgrund der Mengen, die er anschleppte, nachdem er für diese Idee Feuer gefangen hatte. Er brachte ihr Arme voll von allem, was im Umkreis blühte. Als wir den Zusammenfluss von Pulmutang und Rakhta Khola unterhalb der großen Schlucht erreichten, sahen wir, dass unsere Brücke weggespült worden war, und mussten eine neue bauen. Es dauerte nicht lange, da die Sherpas sich keine großen Gedanken darüber machen, wie viel Unterstützung moralischer oder andererart - ein schwer beladenes menschliches Wesen zur Überquerung eines schnell fliegenden Flusses benötigt. Wir waren bald auf der anderen Seite und gingen weiter in Richtung des Gompa, wo wir auf dem Hinweg gezeltet hatten. Diesmal hielten wir nicht, um bei der von einem parkähnlichen kleinen Wald umgebenen Ansiedlung unser Lager zu errichten, sondern wollten lieber einen Lagerplatz am Bach weiter unten erreichen. Dies stellte sich als Fehler heraus, da die Mücken am Bach sehr unangenehm waren, während es auf der Lichtung bei dem Gompa oben keine zu geben schien.
Als wir den kleinen Ort erreichten, ließen unsere Sherpas ihre Lasten fallen, verschwanden in einem der Häuser und verlangten Chang. Wir setzten uns ins Gras und machten uns auf eine lange Wartezeit gefasst. Nach einiger Zeit brachte Mingma uns zum Trost einen Blechbecher mit Chang nach draußen. Auf diese Art war es uns noch nie serviert worden, normalerweise erhält man es in einem tiefen Gefäß und schlürft es mit einem Bambushalm.
Wir waren der Meinung, es sei nicht unbedingt eine Verbesserung, Chang dem Tageslicht auszusetzen. Es sah in höchstem Maße unappetitlich aus, kleine Hirsestückchen und andere Fremdpartikel schwammen darin herum. Die einzige Möglichkeit bestand darin, die Augen beim Trinken zu schließen und am besten auch die Zähne, um so einen Filter zu bilden.
Nachdem wir unseren Anteil Chang leer getrunken hatten, wurden wir allmählich ungeduldig. Es fing leicht an zu regnen, was in unseren Augen eine gute Entschuldigung dafür war, eine Nachricht in die Bar zu schicken, dass es Zeit zum Gehen sei. Bahu, der bei uns geblieben war, überbrachte die Nachricht. Ang Droma war anscheinend mit den Jungs beim Chang-Trinken gewesen. Bahu kam mit Kusung zurück, der nicht viel vertragen konnte und bei dem schon kleine Mengen genügten, um einen albernen Clown aus ihm zu machen, und mit Chhepala, der nie viel trank, auch wenn das, was ertrank, überhaupt keine Wirkung auf ihn hatte. Es ist interessant, dass Chhepala, der schon am Everest als Träger gearbeitet hatte, anscheinend den Ruf hatte, launisch und schwierig zu sein. Wir haben diesen Charakterzug an ihm nie bemerkt. Er war zwar still und unauffällig, aber wir empfanden ihn immer als sehr intelligent, sensibel und absolut verlässlich. Ich bin sogar der Meinung, unser Rückweg wäre noch viel chaotischer verlaufen, wenn nicht Chhepalas Pflichtbewusstsein gewesen wäre. Wir bemerkten, dass die anderen Sherpas ihn immer »O Chhepala« nannten und die Verehrungsform benutzten, wenn sie ihn ansprachen. Ich denke, er wäre ein guter Sirdar, wenn man ihm die Gelegenheit gäbe. Wir gingen nun zum Bach, eine erschöpfte Gruppe, und stiegen den Abhang mit Hilfe der Baumstammleitern hinunter. Kurz oberhalb seines Zusammenflusses mit dem Balephi überquerten wir den Langtang Khola über die stabile Holzbrücke und marschierten in Richtung der Hochweide, die sich unserer Erinnerung nach auf der anderen Seite befand. Wir waren ganz enttäuscht, als wir statt der sanften grünen Wiese aus unserer Erinnerung ein großes Kartoffelfeld antrafen, von dem nu r eine steinige und verwilderte Ecke nicht bepflanzt war.
Da wir jedoch keine Lust verspürten, denselben Weg wieder zurückzugehen, beschlossen wir, unser Lager an der unkultivierten Stelle aufzuschlagen. Es folgte ein totales Chaos. Die Hälfte der Zelte war noch nicht angekommen, und die, die da waren, wurden von betrunkenen Sherpas getragen, die herumtorkelten und immer wieder stolperten. Tausende von Mücken attackierten uns, was für zusätzliche Verwirrung sorgte. Endlich kam Mingma mit dem Rest der Gruppe, er befand sich allerdings in einem recht heiteren Gemütszustand und übersah geflissentlich die unrationelle Arbeitsweise der anderen. So wurde das Lager äußerst willkürlich und planlos errichtet. Am Abend krochen wir aus unseren Zelten, um zu essen, und wurden von einer Wolke stechwütiger Mücken überfallen. Unsere einzige Chance lag darin, im qualmenden Rauch des Küchenfeuers Schutz zu suchen, das die Sherpas mit Grünzeug schürten. Dort aßen wir eine ausgezeichnete Mahlzeit aus »Unkraut« mit viel Curry, Kartoffeln und Bambussprossen. Wir blieben bis spät in die Nacht am Feuer sitzen und unterhielten uns mit den Sherpas und Murari. Unsere Sherpas waren die Ersten, die schlafen gingen, die Männer aus Tempathang hielten jedoch aus, ihr Kinn in die Hände gestützt, und fragten uns unermüdlich aus. Sie hörten nicht auf, Murari zu bitten: »Stell ihnen noch ein paar Fragen, und sag uns, was sie antworten!« Wir fanden die Unterhaltung, die von Theorie und Praxis der Sprachtherapie bis hin zu den Eigentümlichkeiten des britischen Klimas reichte, äußerst fesselnd und interessant. Die Sherpas waren sehr unterhaltsam, und wir genossen den Abend in höchstem Maße. Am nächsten Tag folgten wir dem Balephi hinunter nach Tempathang. Doch einige Kilometer oberhalb des Dorfes bogen wir ab, gingen einen felsigen Pfad hinauf, der durch ein Dickicht aus Zwergbambus und stacheligem Unterholz steil bergauf führte, und kamen gelegentlich an einem Kartoffelacker vorbei. Es war unglaublich heiß, und an diesem Tag wurde der Marsch wirklich zur Qual. Endlich gelangten wir zu einem verwahrlosten kleinen Lagerplatz an einer abschüssigen Stelle mit staubigem Gras neben einem Kartoffelfeld. Wir mussten hier Halt machen, da es eine Quelle in der Nähe gab, die - obgleich sie am Austrocknen war gerade zur Trinkwasserversorgung ausreichte, wenn auch nicht zum Waschen.
Die nächste Quelle lag einen Halbtagesmarsch entfernt den Berg hinauf. Dieser Platz, oder besser gesagt eine Ansammlung von Hütten etwas weiter oben, war Nima Lamas Yak-Weide, und er kam, um uns willkommen zu heißen, mit seiner gut aussehenden und stolzen Ehefrau und einer großen Flasche mit Rakshi. Mingma setzte sich umgehend hin, um mit ihnen anzustoßen, während wir uns darauf beschränkten, höflich an einer wunderschönen hölzernen Trinkschale, die mit Silber verziert war, zu nippen. In der Zwischenzeit war das Lager aufgebaut worden, und alle Zelte standen eng gedrängt auf dem kleinen verfügbaren Stück Land. Es war äußerst unbequem. Anstatt der Mücken des vorherigen Lagers machten uns hier Fliegen und Staubwolken zu schaffen. Zusätzlich zu diesen Unannehmlichkeiten näherte sich eine Gruppe Sherpas, hauptsächlich Frauen und Kinder, viele unter ihnen Ehefrauen oder Sprösslinge unserer Träger, von den nahe gelegenen Yak-Weiden. Einige Yaks kamen ebenfalls. Den ganzen Nachmittag über wurden wir belagert und bestaunt, unter großem Geschrei und Gespucke. Betty gelang es, sich ein wenig Privatsphäre zu schaffen, indem sie einfach den Reißverschluss ihres Zeltes zuzog, doch Evelyn und ich waren im Palomine-Zelt, das nicht so leicht vollkommen geschlossen werden konnte. Ich hoffe, wir gaben ihnen zumindest, was sie suchten. Evelyn hatte sich ein paar Nüsse aufgehoben, ihre Lieblingsnahrung, und aß sie den ganzen Nachmittag über - sehr zur Bewunderung der Zuschauer, die wahrscheinlich noch nie eine Frau gesehen hatten, die so viele auf einmal verdrückte. Am Abend hielt Evelyn eine Sprechstunde, und alle versammelten sich um die Medizinkiste. Sie dachten sich fieberhaft Symptome aus, als sie die attraktiven Rezepte bemerkten, die diejenigen erhielten, die es wirklich nötig hatten. Aspirin war der Renner, in glänzende Goldfolie verschweigt, was tatsächlich hübsch aussah. Evelyn sagte, es habe nur zwei Personen gegeben, die wirklich ernstlich krank gewesen seien - ein alter Mann und ein Baby. Der Rest sah im Großen und Ganzen recht gesund aus, insbesondere die Frauen, deren rot glänzende Wangen dick mit Butter eingerieben waren und deren eingeflochtenes Haar offensichtlich dieselbe Behandlung erhalten hatte. Tatsächlich roch es an diesem Tag überall im Lager durchdringend nach ranziger Butter.
           Dach der Welt                           Dach der Welt

Wir wurden mit Käse, Eiern, Kartoffeln und großen Mengen Yak-Milch beschenkt, die wir mit sichtbarer Zufriedenheit vor einem Publikum trinken mussten, das darauf brannte mitzuerleben, wie wir das ekelhafte Zeug genossen. Trotzdem waren wir sehr dankbar für ihre Großzügigkeit. Die Sherpas sind so liebenswerte Menschen! Wir waren geschockt, als wir hörten, dass die kleine Quelle die einzige Wasserversorgung im Umkreis darstellte, nicht nur für unsere Gruppe, sondern auch für die übrige Gemeinschaft. Unter diesem Gesichtspunkt war der freundliche Empfang, den man uns bereitet hatte, nur umso erstaunlicher und rührender. Frühmorgens wurden wir durch Babygeschrei geweckt. Unsere Besucher waren in voller Besetzung wieder bei uns, und Betty verglich die Szene beim Zusammenpacken des Lagers mit einem Straßenunfall in Glasgow. Kleine Jungs waren sogar auf Bäume geklettert, um unsere faszinierenden Aktivitäten besser beobachten zu können.
Zu unserer großen Erleichterung waren wir schließlich startbereit, begleitet von den fröhlichen Abschiedsrufen einer enthusiastischen Menge von Winkenden. Wir befürchteten nur, keineswegs ganz zu Unrecht, dass sie möglicherweise beschließen würden, uns zu begleiten. Das taten sie jedoch nicht, und wir ließen sie schließlich hinter uns, kämpften uns über Hänge weiter, die so steil und zugewachsen waren wie jene am Vortag. Später erreichten wir wieder kühle Nadelwälder, wo wir weit besser vorankamen. Schließlich führte unser Pfad auf einen offenen Berghang, auf dem überall »Geisterbäume« standen - Überbleibsel der Waldbrände. Oberhalb dieser grasbewachsenen Bergschulter ragte ein langer, steiler und schmaler Grat auf. Die Sherpas aus Tempathang erzählten uns, die Route nach Panch Pokhari würde diesem Grat folgen, und die letzte Wasserstelle zwischen unserem Standort und den fünf Seen selbst sei, so hofften sie, eine kleine Quelle zwischen Rhododendronbüschen ungefähr einen Kilometer entfernt. Anscheinend trocknete diese Quelle bei heißem Wetter oft aus, deswegen war es zweifelhaft, ob wir überhaupt Wasser für das Nachtlager finden würden. Die Sherpas, die die Reise nach Kathmandu über Panch Pokhari noch nie zu dieser Jahreszeit gemacht hatten, sprachen von der Möglichkeit, weiter oben Schnee zu finden, den man zu Wasser schmelzen könnte, falls die Quelle versiegt wäre. Wir bezweifelten dies. Panch Pokhari lag nur knapp 4000 Meter hoch, und die Schneefallgrenze war mittlerweile beträchtlich höher. Entfernte Triumphschreie von zwei Männern, die wir vorausgeschickt hatten, informierten uns jedoch darüber, dass sie offensichtlich Wasser gefunden hatten, und so war eine kleinere Katastrophe abgewendet. Wir folgten nun einem Pfad, der den unbewachsenen Berghang verließ und uns durch Rhododendronwälder führte. Er ging zu einer kleinen bewaldeten Niederung hinunter, wo wir eine winzige Pfütze vorfanden, mit einer Schüssel voll zähflüssigem gelbem Wassermatsch, der durch den Lehm eine fast feste Konsistenz hatte. Nachdem sie es untersucht hatte, sagte Evelyn, das Wasser sei genau das Richtige für jemanden, der unter Durchfall leide.
Das veranlasste uns zu weiteren geistigen Höhenflügen; so kamen wir zum Beispiel auf die Möglichkeit, dass der Lehm unsere Gedärme auskleiden und dort härten würde, und wir somit innere Rohrleitungen aus Ton erhielten. in diesem Fall müssten wir wohl das Bergsteigen aufgeben, aus Angst, dass bei einem Sturz unsere inneren Tonwaren zu Bruch gingen ... Ein kurzes Stück nach der Quelle kamen wir an einen herrlichen Lagerplatz, eine grasbewachsene Lichtung mitten im Wald, auf der wilder Rhabarber wuchs. Sobald die Zelte aufgestellt waren, schnitten wir ihn. Wir baten Mingma, uns etwas davon zum Abendessen zu kochen. Dies tat er auch, aber er bereitete auch einen Teil auf Sherpa-Art zu - roh zerhackt und mit Salz, Chilis und Hüttenkäse aus Yak-Milch gemischt. Beides schmeckte vorzüglich. Wenn man es mit Milchpulver mischte, sah das lehmige Wasser schon so nach Milchkaffee aus, dass wir nur noch Zucker und Kaffeepulver hinzufügen mussten, um ein gutes kräftiges Gebräu zu erhalten. An diesem Abend kam es zwischen Kusung und Tensing Lama, einem der Männer aus Tempathang, zu einem heftigen Streit wegen einer Zeltbodenplane, die in Pemsal vergessen worden war. Jeder behauptete, der andere sei für dieses Teil aus dem Expeditionsfundus verantwortlich gewesen. Tensing Lama, ein Mann mit einem impulsiven Temperament, war außer sich vor Wut und schrie Kusung Beschuldigungen und Beschimpfungen ins Gesicht. Der saß nur da, machte Tensing Lama mit seinem Grinsen noch verrückter und warf jedes Mal, wenn dieser Atem holte, provozierende Bemerkungen ein. Der Streit ging immer weiter, Mingma griff gelegentlich besänftigend ein, und der Rest der Gruppe hörte interessiert zu. Tensing Lama war so furchtbar verärgert und begleitete seine zweifellos hemmungslosen Tiraden mit solch vulgären Geräuschen und Gesten, dass wir uns zu fragen begannen, ob wir nicht eingreifen sollten. Gerade als der Krach jedoch seinen Höhepunkt erreichte und Kusung seinen Gegner bis zur Raserei getrieben hatte, so dass es aussah, als ob dieser ihm entweder körperlich Gewalt antun oder selbst platzen würde, explodierte ein unbeaufsichtigter Gaskocher. Dies war so passend, dass wir alle zu lachen begannen. Die Spannung löste sich, die Streithähne schwiegen und sahen eher beschämt drein, und es kehrte wieder Frieden im Lager ein.
Die Morgendämmerung hieß uns mit einem ungewöhnlichen und atemberaubenden Anblick des Jugal Himal willkommen, und wir holten die Kameras hervor. Doch zu unserer Enttäuschung verschwand die einmalige Aussicht schnell wieder im Nebel. Um sieben Uhr war nichts mehr zu sehen, und die unerfreuliche Feuchtigkeit des Wetters gab uns keinen Grund herumzutrödeln. Um halb acht waren wir unterwegs und kletterten steil bergauf, zurück auf den Bergrücken. Als wir oben waren, hatten wir eine herrliche Gratwanderung, die mehrere Stunden dauerte. Das Einzige, was den Marsch an diesem Tag etwas trübte, war der Nebel, der unsere Umgebung verhüllte und uns den seltsamen Eindruck vermittelte, wir gingen hoch über einem Meer aus grauen Wolken über die Planke. Die Männer aus Tempathang, die genau wussten, wie lange wir bis nach Panch Pokhari brauchen würden, blieben immer wieder stehen, um auszuruhen und sich zu unterhalten. Wir drängten ungeduldig weiter, einerseits weil wir genau wussten, dass wir einen weiten Weg vor uns hatten, andererseits weil uns immer kälter wurde, während wir dasaßen und auf die Männer warteten. Einmal beschloss Ang Droma, die Führung zu übernehmen, und sie eilte nach vorn - eine lustige kleine Person mit einer Last, die fast genauso groß wie sie selbst war und die sie nicht im Geringsten zu beeinträchtigen schien. Sie kämpfte sich durch hohes Gras und Unterholz wie ein kleines wildes Tier und kletterte behände über die Felsen. Der Pfad war die meiste Zeit nicht sichtbar, doch wir folgten einfach dem Grat, wobei wir uns manchmal den Weg durch die Büsche mit unseren Kukri-Messern buchstäblich freihacken mussten. Mingma äußerte missbilligend, diese Route sei bahut zungle, sehr wild. »Warte, bis wir in Panch Pokhari sind«, sagte er zu mir. Von da an sei der Weg breit genug für ein Yak. Bei einer unserer Pausen zeigte ich Ang Droma ein altes Spiel aus meiner Kindheit: »Öffne deinen Mund und schließe deine Augen und schau, was der König dir geschickt hat.« Das ließ sich leicht in Nepali übersetzen, und wir spielten es in diesem Fall mit Stücken von Pfefferminzkuchen und Schokolade. Sowohl das Spiel als auch das Essen kamen gut an. Schließlich verließ der Weg den Grat und querte den Berghang darunter. Die Männer aus Tempathang schienen geteilter Meinung über die genaue Route zu sein, und da der Nebel dicker denn je war, fragten wir uns allmählich, ob wir Panch Pokhari wohl noch an diesem Tag erreichen würden. Es beruhigte mich auch nicht unbedingt, als ich Lakpa, der vorauseilte und dem wir folgten, ein Lied vor sich hin singen hörte, das ungefähr folgendermaßen lautete: »Ich habe den Weg verloren. Aber das macht nichts. Ich spreche kein Englisch. Aber das macht nichts ...«
Ich denke, es war gut, dass ich nicht mehr davon verstand. »Hat er den Weg wirklich verloren?«, fragte ich Murari, der die Frage an einen der Tempathang-Männer weitergab. »Sie sagen, er verliert den Weg immer«, antwortete er grinsend. Glücklicherweise verkündete nun ein anderer Junge aus Tempathang, der alles in allem ein ernsthafterer Typ zu sein schien, dass wir auf dem richtigen Weg seien. Er führte uns über eine Bergschulter zum Rand einer Mulde, in der ein Bach und ein kleiner See lagen. Also gab es doch Wasser vor Panch Pokhari, auch wenn es weit entfernt von unserem letzten Lagerplatz war. Wir machten Halt, um am Rand der Talsenke etwas zu essen, und stiegen dann hinunter, um zu trinken. Im Wasser schwammen Pflanzen mit flaumigen Blättern und langen knolligen Wurzeln. Die Sherpas gruben diese aus, schälten die Wurzeln und aßen sie. Sie gaben uns auch welche. Die Wurzel besaß die Konsistenz roher Rüben und schmeckte nach fader Kokosnuss. Schon ein wenig davon genügte für lange Zeit, was auch die Sherpas zugaben. Sie gruben auch die Wurzeln einer anderen Pflanze aus, die einer Orchideenart ähnelte. Diese trockneten und zerkleinerten sie, um daraus ein Mittel gegen Fieber zu machen. In dieser Talsenke fanden wir auch das Nest und die Jungvögel eines kleinen Zaunkönigs. Wir versteckten uns und warteten auf die Rückkehr der Mutter. Sie war sehr vorsichtig, umkreiste das Nest zunächst und kroch dann unter dem Gras wie eine kleine Maus darauf zu. Natürlich ließ Ang Temba es sich nicht entgehen, hinter einem nahe gelegenen Felsen unsere Vogelbeobachtung pantomimisch darzustellen. Sobald die Vogelmutter sich im Nest niederließ, bestätigte er ihren Verdacht, indem er hervorsprang, mit seiner Hand den Ausgang versperrte und sie so einfing. Wir schickten ihn ärgerlich fort, und er ging, pfeifend und mit den Händen in den Hosentaschen wie ein unartiger Junge. Als wir wieder aus der Mulde herauskletterten, fanden wir uns peitschendem Hagel und Schneeregen ausgesetzt. Das Wetter war stürmisch und ekelhaft. Die Verhältnisse und die Umgebung erinnerten uns unwiderstehlich an die schottischen Berge.
Die Landschaft um uns herum (so weit wir sie sehen konnten) sah wie Moorgebiet aus, das bei gutem Wetter zweifellos reizvoll gewesen wäre, unter diesen Umständen allerdings trostlos und unwirtlich wirkte. Nachdem wir uns eine Stunde gegen den Sturm nach oben gekämpft hatten, standen wir auf dem Höhepunkt des Panch-Pokhari-Höhenzuges. So weit wir sehen konnten - und wir sahen nicht besonders weit -, befanden wir uns auf einem welligen Hochmoor, einem Plateau, übersät mit Felsnasen, über die kaum erkennbar ein Pfad verlief. Es fehlten nur noch Heidekraut und Moorhexen. Beim Aufstieg waren wir drei zusammengeblieben, und zeitweise hatten sich Kusung, Ang Droma, Murari und Lakpa zu uns gesellt, auch wenn es nicht klar war, wer wen führte. Im Nebel wurden wir nun vom Rest der Gruppe getrennt, und als der Pfad zu enden schien, riefen wir nach Lakpa, in dem Bedürfnis nach einem zuverlässigeren Anführer, damit er uns wieder in die richtige Richtung führen sollte. Nach kurzem Umhersuchen, währenddessen wir fast Kusung verloren, brachte er uns auf etwas Pfadähnliches zurück. Wir sagten, wir wollten Im Schutz eines Felsens auf die restliche Gruppe warten. »Unsinn, Unsinn«, meinte Lakpa. Er könnte uns direkt nach Panch Pokhari führen. »Folgt mir«, fügte er hinzu und verschwand im Nebel. Wir blieben, wo wir waren, und schrieen ihm nach, er solle warten. Kurz darauf hörten wir ihn in beschwörendem Tonfall rufen, er könnte wirklich einen pokhara sehen. »Ist er schön?«, schrie Murari scherzhaft zurück. Tief verletzt kam Lakpa wieder zu uns. Der Rest der Gruppe tauchte kurz darauf aus dem Nebel auf, und wir gingen alle zusammen weiter. Lakpa hatte uns zwar auf den richtigen Weg zurückgebracht, aber er hatte mit Sicherheit keinen Pokhara entdeckt. Der Pfad führte auf einen Bergsattel mit einem Steinhügel als Wegzeichen hinauf, und vor dem Abstieg auf der anderen Seite konnte niemand auch nur einen Hauch von Wasser gesehen haben. Endlich erreichten wir das Becken, in dem die panch pokhari lagen, die fünf Seen, die nach dem Glauben der nepalesischen Hindus dem Gott shiva geweiht sind.
Die Sherpas schrieen triumphierend und begannen den Berg hinunterzurennen. Sie stoppten nur, um gelegentlich Stöcke und Unterholz aufzusammeln. Der Nebel war so dicht, dass wir das Ufer des ersten Sees ganz unerwartet erreichten. Es war ein erhebender Moment. Wir errichteten unser Lager auf einem grasbewachsenen Hügel zwischen zwei Pokharis und teilten uns dann auf, um Feuerholz zu sammeln. Im Laufe des Nachmittags lichtete sich der Nebel, und die Sonne kam heraus. Wir erkannten, dass es sich wirklich lohnte, auf Panch Pokhari zu warten. In einem Becken, das von einem Ring kleiner Felsen umgeben ist, liegen fünf einzelne und bezaubernde Seen, getrennt durch grüne Grashügel. Die Landschaft erinnerte mich ein wenig an das schottische Hochland. Betty meinte, sie hätte bei diesem Anblick im ersten Moment Dudelsäcke gehört.
Evelyn und ich gingen Mingma nach, der mit dem Feldstecher losgezogen war, um die Route für den nächsten Tag zu erkunden. Wir befanden uns oberhalb des Indrawati-Flusses, der den fünf Seen entspringt, und schauten aus Nordwesten zum Nauling Lekh. Unser Pfad verlief in Richtung Süden den Höhenzug entlang, der zum Nauling-Lekh-Massiv führte. Von unserem Standort aus konnten wir den ganzen Weg bis zu unserem nächsten Lagerplatz überblicken, einem weit entfernten grünen Fleck. Die Tempathang-Männer behaupteten, es gäbe dort Wasser. Als wir dies festgestellt hatten, besichtigten wir den kleinen Shiva-»Tempel«. Es war nur ein kleiner Steinaltar, umgeben von einem Haufen eiserner Dreizacke, dem Symbol des Gottes, die von gläubigen Pilgern anlässlich des jährlichen Festes dorthin gebracht worden waren. Dieses Fest findet im Juli statt, zu einer Zeit also, in der im Nauling Lekh mit Sicherheit Wasser zu finden ist. Murari, ein gläubiger Hindu, und einer der Sherpas, der eigentlich ein gläubiger Buddhist sein sollte, es aber anscheinend sicherer fand, »alle möglichen Gottheiten« zu besänftigen, begannen im Uhrzeigersinn um den Altar zu tanzen. Evelyn tat es ihnen gleich, während ich ihr amüsiert zuschaute.
Als sie zur Hälfte herum war, sagte ich: »Shiva ist der Gott der Erneuerung, weißt du. Frauen, die schwanger werden wollen, umrunden den Tempel wie du gerade.« Evelyn hielt sofort ganz beunruhigt an und ging schnell in ihren eigenen Fußstapfen wieder zurück. »Ach was«, erwiderte sie. »Ich werde den Zauber lösen. Wir werden alle fünf Seen gegen den Uhrzeigersinn umwandern, um sicherzugehen!« Sie ging in raschem Tempo davon. Ich begleitete sie als Zeugin - für den Fall, dass es zu einer Auseinandersetzung mit Shiva kommen sollte. Er muss jedoch von unserer sofortigen Gegenaktion überzeugt gewesen sein. Es war ein langer Marsch um die Seen herum, und bis wir die Tour hinter uns hatten, waren wir wieder einmal vom Nebel umhüllt. An diesem Abend redeten wir noch lange im Palomine-Zelt. Je höher wir gekommen waren, desto mehr hatte sich unsere Stimmung wieder verbessert, und dies war unser glücklichster Abend, seit wir Pomba Serebu verlassen hatten.