Also vorwärts zum Kampf ihr Frauen! Kampf
allen feindlichen Mächten ... in erster Linie
aber, Kampf dem Indifferentismus, der geistigen
Trägheit, der Mutlosigkeit in den eigenen
Reihen!
EMMA IHRER
Schwierigkeiten der gewerkschaftlichen Organisierung der Arbeiterinnen
(1898/1901)
I.
Eine gemeinsame Wurzel ist es, aus welcher die verschiedenen Verhältnisse und Eigenschaften emporsprossen, welche die gewerkschaftliche Organisirung der Arbeiterinnen besonders schwierig gestalten. Es ist das Weibthum der Arbeiterin. Die Rolle, welche die Familie bisher für den Lebensunterhalt und Lebensinhalt der Frau gespielt hat und theilweise noch spielt; die unterbürtige Stellung, welche die Frau in der Familie und isozialen Leben lange Zeitläufe hindurch einnahm und zum Theil noch einnimmt: wirken zusammen, um auf Seiten der Arbeiterinnen bestimmte Eigenschaften und Verhältnisse zu entwickeln, welche als geradezu organisationsfeindlich bezeichnet werden müssen. »Weil die Arbeiterin eine Frau ist«, so lautet wieder und wieder die Antwort auf die Frage nach den Ursachen, welche sich dem gewerkschaftlichen Zusammenschluß der erwerbstätigen Proletarierinnen entgegenstemmen. Manche der organisationsfeindlichen Eigenschaften und Umstände, welche in dem Frausein der Arbeiterin ihre letzte Wurzel haben, wirken in der Richtung, die Arbeiterin organisationsunlustig zu halten; anderen dagegen ist die Tendenz eigen, die Arbeiterin direkt organisationsunfähig zu machen.
Die Rücksicht auf die Familie ist einer der stärksten Anreize, welche den Arbeiter der Organisation zuführen. Auf Seiten der Arbeiterin ist dagegen der Hinblick auf die Familie gerade ein ganz wesentlicher Grund für das Fernbleiben von der Organisation.
Der Arbeiter ist von der Überzeugung durchdrungen, daß es seine Pflicht als Mann ist, für den Unterhalt der Familie aufzukommen oder wenigstens den größten Theil von deren Existenzkosten zu decken. Er empfindet die Nothwendigkeit, durch Arbeit für den Markt der Familie zu geben. In der Arbeiterin lebt dagegen vielfach noch die Auffassung, daß sie als Frau in der Familie ihren Unterhalt oder mindestens einen Theil desselben finden müsse. Sie rechnet mit der Hoffnung, für Leistungen im Hause von der Familie zu empfangen.
Gewiß, daß heutigen Tags in Hunderttausenden von Fällen diese Auffassung sowohl des Arbeiters wie der Arbeiterin nicht mehr der Wirklichkeit entspricht. Die wirthschaftliche Entwicklung setzt mit jedem Tage mehr Männer außer Stand, die Existenz der Familie sichern zu können; sie zwingt mit jedem Tage mehr Frauen, ihren Unterhalt zu erwerben, dafern nicht auch - wenigstens zeitweilig - den der Familie. Allein die Auffassung der breiten Massen humpelt nur langsam hinter den veränderten wirthschaftlichen Verhältnissen drein. Trotz der Predigt der Tathsachen betrachten deshalb zahlreiche Arbeiterinnen, wenn nicht die meisten, die Berufsarbeit als einen Nothbehelf, zu dem sie nur vorübergehend oder nebenbei ihre Zuflucht nehmen. Die ledige Arbeiterin lebt in der Hoffnung, durch die Verheirathung in so günstige Verhältnisse zu kommen, daß sie der industriellen Frohn für einen Unternehmer enthoben wird. Der verheiratheten Proletarierin liegen aber daheim so zahlreiche Aufgaben ob, daß sie in der Regel nur durch das Muß der materiellen Noth dazu getrieben wird, zeitweilig oder nebenbei dem Erwerb nachzugehen und es im Interesse von Mann und Kindern freudig begrüßt, wenn der Verdienst des Mannes es ermöglicht, daß sie sich ganz den häuslichen Pflichten zu widmen vermag.
(...)
Weil den Arbeiterinnen das klare Bewußtsein ihrer dauernden Berufsarbeiterschaft fehlt, so finden sie sich selbst mit den erbärmlichsten Arbeitsbedingungen als mit einem vorübergehenden übel leichter ab, als wie die Arbeiter. In der Folge keimt nur schwer die Erkenntniß empor von der Nothwendigkeit, durch die Macht der Gewerkschaft gegen das ausbeutende Kapital um gute Arbeitsbedingungen zu kämpfen. Und weil diese Erkenntniß so rückständig ist, so schwer einwurzelt, sind die meisten Arbeiterinnen unlustig, die Opfer an Mitteln und Zeit zu bringen, welche das Gewerkschaftsleben fordert, um sie mit Zins und Zinseszins zurückzuerstatten.
Ein anderer Umstand wirkt im weiblichen Proletariat in der gleichen Richtung. Breite Schichten von Proletarierinnen sind nicht als volle Beruf sarbeiterinnen thätig. Der Schwerpunkt ihrer Existenz und ihres Wirkens ruht noch in der Familie und nicht in der Erwerbstäthigkeit, die nur »nebenbei«, »zwischendrein«, »gelegentlich« getrieben wird, um ein gewünschtes Möbel- oder Kleidungsstück anzuschaffen, einen vorübergehenden Nothstand abzuwehren, eine behaglichere Lebensführung zu ermöglichen etc. Die leidige Hausindustrie ist es, welche für diese Art der Erwerbsthätigkeit den breitesten Spielraum bietet und gerade in der Verwendung der Halb-, Viertels- und Gelegenheitsarbeiterinnen ein wirksames Mittel besitzt, die Löhne niedrig zu halten und zu senken. Diesen Halb-, Viertels- und Gelegenheitsarbeiterinnen mangelt aber der großen Mehrzahl nach aus naheliegenden Gründen das Bewußtsein ihrer Lohnarbeiterschaft so gut wie vollständig. Sie fühlen und denken in der Hauptsache lediglich als Frauen, nicht als Proletarierinnen, nicht als Lohnarbeiterinnen. In ihrem rückständigen Empfinden und Erfassen werden sie wesentlich durch eins gestärkt und erhalten: durch die Isolirtheit, in der sie daheim dem Erwerb nachgehen, statt in der Fabrik, wo vielerlei Umstände und Einflüsse das Solidaritätsgefühl wecken, das Klassenbewußtsein klären und damit zur gewerkschaftlichen Organisation drängen. Die gekennzeichneten Verhältnisse züchten förmlich eine tiefe, unausrottbare Organisationsunlust der Frauen und Mädchen. Nirgends fällt deshalb der Einfluß noch anderer Umstände vorausgesetzt, auf die wir später zu sprechen kommen - die Agitation für den gewerkschaftlichen Zusammenschluß auf so unfruchtbaren, steinigen Boden, als unter den betreffenden Arbeiterinnenschichten. In der Beziehung Wandel herbeizuführen, Boden, Luft und Licht für den Organisationsgedanken zu schaffen, dazu bedarf es nicht blos des jähesten, geduldigsten Propagandawerks, da muß vielmehr eine Umgestaltung der Arbeitsverhältnisse vorausgehen. Daß die Segnungen der Organisation von der Masse der Arbeiterinnen nur sehr langsam erkannt werden, daß nur sehr langsam die Unlust zur Organisation schwindet, dazu trägt ein weiterer Thatbestand in hervorragendem Maße bei. Für die meisten verheiratheten Arbeiter werden durch die Familie die bitteren Wirkungen von Lohnsenkungen, Arbeitslosigkeit, Krankheit etc. aufs Schärfste zugespitzt. In Tausenden von Fällen dagegen werden durch die Familie die traurigen Folgen jener Momente für die Arbeiterin gemildert. Die Arbeiterin ist im Allgemeinen zu geringeren materiellen Leistungen an die Familie verpflichtet, als der Mann, sie findet noch vielfach innerhalb gewisser Grenzen eine Stütze an ihr. Ihre häuslichen Leistungen erleichtern und ermöglichen das Letztere ebenso sehr, wie die ihr als »bedürfnißloser Frau« eignende Fähigkeit, »sich krumm zu legen«, die weibliche Genügsamkeit bis zum härtesten Dulden und Entbehren zu steigern.
Die weibliche Bedürfnißlosigkeit steht übrigens bekanntlich nicht blos in den Tagen besonderer Ungunst dem Anschluß der Arbeiterin an die Gewerkschaft hindernd im Wege. Sie ist jederzeit ein ganz wesentliches Hemmniß für die Entwicklung und Befestigung der Erkenntniß, daß die Arbeiterinnen der gewerkschaftlichen Organisation noch dringender bedürfen, als sogar die Arbeiter. Die unterbürdige Stellung der Frau in der Familie und der Gesellschaft hat diese »verdammte Bedürfnißlosigkeit« großgezogen und nährt sie noch heute, und das Kapital beutet sie aus. Der Unternehmer schätzt es als eine kostbare Tugend der Arbeiterinnen, daß sie so kulturwidrig »bescheiden und anspruchslos« sind, mit weit weniger ihren Unterhalt bestreiten, als ihre Brüder der Frohn. Diese Genügsamkeit ist ja die Quelle fetter kapitalistischer Profite. Die Arbeiterinnen rauchen nicht und besuchen kein Wirthshaus; die »Bildungslaster« des Zeitungslesens und Versammlungsbesuches haften ihnen nicht an; sie sind gewöhnt, den Genuß von Fleisch als Luxus und jede Minute der Muße als eine Verletzung der Pflicht des Arbeitsthieres zu betrachten. Sie lassen sich deshalb die schmachvollsten Arbeitsbedingungen bieten; sie verstehen nicht die Sprache ihrer kärglichen Lebensverhältnisse, die mit überzeugender Wucht mahnen: Organisirt Euch, damit Ihr wider den Stachel der kapitalistischen Ausbeutung zu löken, damit Ihr zu einer höheren Lebenshaltung, zu einer höheren Kultur emporzusteigen vermögt.
Die Organisationsunlust der Arbeiterinnen wird noch durch eine andere »echt weibliche« Eigenschaft gefördert, die aus der nämlichen Wurzel wie die Bedürfnißlosigkeit entspringt und ebenfalls von Kapitalisten und Spießbürgern als tugendsame Zier über den grünen Klee gepriesen wird. Es ist dies die Unterwürfigkeit, die Schmiegsamkeit der Arbeiterinnen, ihre Gewöhnung an das Gebot des Magdthums! »Das Weib diene und sei stille.« Die Arbeiterin unterwirft sich so leicht dem Willen der Unternehmer, sie findet sich mit den von ihnen geübten Kniffen und Pfiffen der Ausbeutung so widerstandslos ab, weil sie als Frau vielfach von frühester Jugend an an Unterwerfung unter den männlichen Willen gewöhnt ist und in der Fabrik in dem Kapitalisten ihren unumschränkten Herrn erblickt, wie daheim in dem Manne. Sie empfindet deshalb keine Neigung, von ihrer Sklavenrast, ihrem Hungerlohn zu nehmen, um der Gewerkschaft anzugehören und durch deren Macht der kapitalistischen Ausbeutung energischen Widerstand entgegenzusetzen.
Allgemein anerkannt ist wie ungemein erschwert die gewerkschaftliche Organisirung der Arbeiterinnen wird in Folge von Eigenschaften, die unter sich in innigem Zusammenhang stehen und ihre Erklärung finden in der unterbürtigen Stellung der Frau, ihrem Abseitsstehen vom öffentlichen Leben, ihrem einseitigen Wirken im Haus und für die Familie. Lange Zeiträume hindurch ist die Familie die einzige Gemeinschaft gewesen, mit welcher die Frau sich unmittelbar in Zusammenhang fühlte, und auf die sie Einfluß ausüben konnte. Die Frau geht deshalb auch in unseren Tagen mit ihrem Interesse, ihrem Empfinden und Denken meist nicht über den Familienkreis hinaus, sie ermangelt des Bürgersinns, um diesen Ausdruck zu gebrauchen.
Als Frau fehlt es der Arbeiterin an jenem regen Interesse für die Allgemeinheit, das unwiderstehlich dazu treibt, nach klarem Einblick in das gesellschaftliche Leben zu streben. Als Frau übersieht die Arbeiterin die hunderterlei groben und feinen Zusammenhänge, welche ihre eigene Existenz mit der Allgemeinheit, ganz besonders aber mit ihrer Klasse verknüpfen; die Wechselbeziehungen, welche zwischen der Gesellschaft und der Familie bestehen. Sie wird sich nicht bewußt, daß für ihr Wohl und Wehe die Lage ihrer Klassenschwestern und Klassenbrüder mit von entscheidender Bedeutung ist, und daß ihr eigenes Sein und Thun die Verhältnisse ihrer Klassengenossen beeinflußt. Das vielfältige Ungemach ihrer Arbeits- und Lebensbedingungen empfindet sie nur als persönliches Mißgeschick, nicht als Ausfluß der proletarischen Klassenlage. Wohl regt sich der Klasseninstinkt in der Masse der Lohnsklavinnen, allein noch ist er nicht zum klaren Klassenbewußtsein entwickelt. In der Folge empfinden die Arbeiterinnen kein kräftiges Solidaritätsgefühl und noch weiter ab liegt ihnen die Bethätigung desselben. Den Wenigsten von ihnen ist deshalb die Nothwendigkeit des gewerkschaftlichen Zusammenschlusses und gewerkschaftlichen Kampfes klar. Die Verpflichtungen, welche die Zugehörigkeit zur Organisation auferlegt - Mitgliedsbeiträge, Unterstützungsgelder, Versammlungsbesuch, Lesen des Fachblatts etc. - erscheinen ihnen als überflüssige Aufwendungen, wenn nicht gar als Verletzung der Pflichten gegen die Familie. Sie rechnen nur die augenblicklichen Opfer nach, welche die Gewerkschaftsbewegung fordert, sie übersehen dagegen die dauernden Vortheile, welche diese Bewegung der Arbeiterklasse und damit jedem einzelnen Gliede derselben mittelbar oder unmittelbar scliafft. Blind für die materiellen Segnungen der Organisation fehlt ihnen für deren große ideelle Bedeutung jedes Verständniß. Blickt die Proletarierin aus den gekennzeichneten Gründen schon scheelen Auges auf die Zugehörigkeit des Mannes zur Gewerkschaft, so erscheint ihr die eigene Betheiligung am Gewerkschaftsleben als etwas ganz Unfaßbares, das ihrem hergebrachten Empfinden und Denken aufs Schroffste widerstreitet. Auch in Folge der rückständigen Entwicklung des weiblichen Geschlechts steht deshalb die Masse der Arbeiterinnen gleichgiltig, widerwillig und unlustig den Bestrebungen gegenüber, die weibliche Lohnarbeiterschaft in die Gewerkschaften einzubeziehen.
Aber trotz alledem: mag die Organisationsunlust der Arbeiterinnen noch so groß, noch so tief gewurzelt sein, sie ist nicht unüberwindlich, sie muß mit der Zeit vor einer unermüdlichen, zielklaren Agitation weichen. Denn im wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben sind Kräfte wirksam, welche jenen Eigenschaften und Umständen entgegenarbeiten, in denen die Organisationsunlust der Arbeiterinnen wurzelt, die darauf hindrängen, daß auch die erwerbsthätige Proletarierin sich von der widerstandslos billig und willig Frohndenden zur organisirten Kämpferin auf wirthschaftlichem Gebiete erhebt. In einem folgenden Artikel werden wir uns mit den Umständen befassen, deren Tendenz ist, die Arbeiterinnen organisationsunfähig zu machen, um zum Schluß zu erörtern, wie sowohl Organisationsunlust, wie Organisationsunfähigkeit zu bekämpfen ist.
II.
Die sehr langsamen und kleinen Fortschritte der gewerkschaftlichen Organisirung der Arbeiterinnen werden schon erklärlich durch die früher erörterten Umstände, welche eine gewisse Organisationsunlust bedingen. Aber noch bei Weitem hemmender als sie wirken dem Anschluß der erwerbsthätigen Proletarierinnen an die Gewerkschaften Verhältnisse entgegen, welchen die Tendenz innewohnt, die Arbeiterinnen geradezu organisationsunfähig zu machen. Es sind dies im Wesentlichen die übermäßige Belastung mit Arbeit und die niedrige Entlohnung. Auch diese Hindernisse wurzeln in letzter Linie in dem Weibthum der Arbeiterinnen, das unter der Herrschaft der kapitalistischen Ordnung zur Vorbedingung wird für den höchstmöglichen Grad der Ausbeutung und damit der Unfreiheit und des Gebundenseins der Persönlichkeit. Ungünstige soziale Verhältnisse, die auf der Arbeiterin als Frau lasten und ungünstige soziale Verhältnisse, welche sie als Proletarierin niederdrücken, wirken zusammen, um für die Massen der industriell thätigen Frauen und Mädchen äußerst wichtige Voraussetzungen der gewerkschaftlichen Organisationsfähigkeit zu zerstören.
Von ausschlaggebendem Einfluß ist da zunächst das Übermaß und die Vielseitigkeit der Pflichtleistungen, welche der Proletarierin obliegen, die dem Erwerb nachzugehen gezwungen ist.
Der Arbeiter - dafern er nicht in der aufs Höchste versklavenden Hausindustrie frohndet hat im Allgemeinen nach Feierabend etliche Stunden frei, in denen er ruhen kann, die er seiner Bildung, dem Vereins- und Versammlungsleben zu widmen vermag. Er hat nur ein wirthschaftliches Tätigkeitsfeld: seinen Beruf.
(...)
Die Dürftigkeit der proletarischen Existenz zwingt die ums Brot arbeitende Proletarierin auf zwei Gebieten wirthschaftlich thätig zu sein: in der Industrie und im Hause. Sie ist die moderne Lohnsklavin geworden, aber gleichzeitig die Haussklavin geblieben. Die Nothwendigkeit, das Einkommen der Familie zu vergrößern, wirthschaftlich auf eigenen Füßen zu stehen, treibt sie in Fabrik und Werkstatt, fesselt sie als Heimarbeiterin an die Erwerbsarbeit. Aber ihr Verdienst bemißt sich nicht nach ihren Wünschen, ja nicht einmal nach ihren Bedürfnissen. Er ist den Gesetzen der kapitalistischen Ordnung unterworfen und sichert ihr, der zwiefach Widerstandslosen gegenüber der Geldsacksgewalt, wenig mehr als die nackte Existenz, während ihr Schaffen kraft der nämlichen Gesetze dem Unternehmer reichen Profit zuwirft. Sie ist deshalb außer Stande, für die dem Hause, der Familie entzogene Kraft Ersatz zu zahlen, sondern muß neben der Erwerbsarbeit noch den häuslichen Verrichtungen obliegen. Der Arbeitstag der erwerbenden Proletarierin hat deshalb thatsächlich keine Grenzen; er beginnt lange vor der Berufsarbeit und endet lange nach ihr, tief in der Nacht.
In vollem Umfange gilt das für die verheirathete Arbeiterin, die noch ehe der Tag graut, Nachts und Sonntags den Haushaltungsgeschäften nachgehen, kochen, sch,euern, waschen, ausbessern muß, womöglich auch die neue Kleidung und Wäsche für sich und die Kinder anzufertigen gezwungen ist. Die hauswirthschaftliche Rührigkeit, Tüchtigkeit der Frau ist ja von allergrößter Bedeutung für die proletarische Familie. Aber auch die ledige Arbeiterin ist nach Feierabend nicht etwa völlig frei. Ist sie für ihre Existenz lediglich auf ihren Verdienst angewiesen, so bedingt dessen Knappheit, daß sie den größten Theil der für ihre Lebenshaltung nöthigen häuslichen und »weiblichen« Arbeiten selbst verrichtet; vielfach muß sie noch bedacht sein, durch Arbeit für die »Logiswirthin«, durch Serviren in Restaurants, durch Heimarbeit ein paar Pfennige zu verdienen. Besitzt sie aber noch einen Rückhalt an der Familie, so fällt ihr in der Regel auch ihr Theil an den Hausgeschäften zu. Wir sehen für den Augenblick davon ab, daß der Proletarierin Zeit und Kraft bleiben muß oder wenigstens bleiben müßte für die Pflege der geistig-sittlichen Seite des Familienlebens. Wir rechnen mit der traurigen Thatsache, daß die kapitalistische Ausbeutung die proletarische Familie mehr und mehr in eine bloße Tisch- und Schlafgenossenschaft verwandelt, oft in eine Schlafgenossenschaft allein. In der Folge muß sich die Frau in der proletarischen Familie mit ihrem Wirken fast ganz auf wirthschaftliche Aufgaben beschränken; sie ist der Hauptsache nach Haushälterin; Mutter und Gattin, Erzieherin und Lebensgefährtin dagegen nur nebenbei, nach der äußeren Seite hin, soweit es die Noth des Lebens zuläßt.
Diese Umstände muß man vor allem in Betracht ziehen, wenn man die vollen Schwierigkeiten ermessen will, welche sich der gewerkschaftlichen Organisierung der Arbeiterinnen entgegenstellen. Denn diese Umstände vernichten für breite Massen der erwerbstätigen Frauen und Mädchen unerläßliche Vorbedingungen der Zugehörigkeit zur Gewerkschaft, des dauernden, inneren und innigen Zusammenhangs mit ihr.
Woher soll die für den Erwerb frohndende, im Hause wirthschaftende Proletarierin die Zeit nehmen, eine regelmäßige Besucherin der gewerkschaftlichen Versammlungen zu sein? Woher die nöthige körperliche und geistige Kraft und Frische, die Energie und Stärke des Charakters, über ihre Lage nachzudenken, in Presse und Versammlungen Belehrung über die Bedeutung der Gewerkschaftsbewegung zu suchen? Jede Minute ihrer Zeit, jedes Fünkchen ihrer Kraft wird von unabweisbaren Aufgaben in Anspruch genommen. Von zwei Seiten her mit Pflichten belastet, hetzt sie von Arbeit zu Arbeit; müde, abgerackert, vielleicht von erfahrener Unbill erbittert, von schweren Sorgen geängstet, kehrt sie Abends in das ärmliche Heim zurück, wo ihrer statt der Ruhe ein zweiter Arbeitstag wartet. Der aufs äußerste Abgearbeiteten bleibt im Allgemeinen nicht jener Überschuß von Zeit, geistiger Kraft und Charakterstärke, der für die verständige und treue Betheiligung an der gewerkschaftlichen Bewegung unerläßlich ist.
Dieser Thatbestand ist eine der wesentlichsten Ursachen davon, daß die Arbeiterinnenmassen der Organisation fernbleiben. Er erklärt aber auch mehr als die »weibliche Unbeständigkeit und Rückständigkelt« allein, warum die heute für die Gewerkschaft gewonnenen weiblichen Mitglieder vielfach morgen schon wieder fahnenflüchtig werden, warum die organisirten Arbeiterinnen in den Gewerkschaftsversammlungen nur vereinzelt, ausnahmsweise, seltenen Zugvögeln gleich, anzutreffen sind.
Der Druck der kapitalistischen Ausbeutung läßt die Arbeiterin nach einem Weg ausschauen, der aus ihrem Elend zu lichteren Daseinsbedingungen führt. Sie ermöglicht es daher trotz aller ungünstigen Verhältnisse, hier und da einmal einer Agitationsversammlung beizuwohnen, wo sie die frohe Botschaft von den Segnungen der Organisation hört. Begeistert und überzeugt schließt sie sich der Gewerkschaft an, zumal in Zeiten wirtschaftlicher Kämpfe. Aber die Ueberbürdung mit Arbeiten setzt sie außer Stand, regelmäßig die Gewerkschaftsversammlungen zu besuchen, sie verliert deshalb die Fühlung mit der Organisation. Die entfachte Begeisterung erlischt allmälig wie eine Lampe, der das Oel ausgegangen ist. Denn das eigentliche Leben, die innere und äußere Entwicklung der Gewerkschaft bleibt der Arbeiterin fremd, sie nimmt keinen thätigen Anteil daran, sie verwächst nicht geistig damit. In der Folge ist ihr im Allgemeinen die Neigung eigenthümlich, die Gewerkschaft lediglich unter dem Gesichtswinkel einzelner Ereignisse, einzelner Lohnkämpfe etc. und deren Ausgang zu betrachten. Es mangelt ihr der klare Blick für das, was diese im Laufe der Zeit und dauernd für die wirthschaftliche Hebung der Arbeiterklasse leistet, welch hohe erzieherische Wirkung sie auf ihre Mitglieder ausübt, mit einem Worte, welch hohe kulturelle Bedeutung ihr innewohnt. Das Unterbleiben des Versammlungsbesuchs führt zu einem Ausbleiben der tieferen gewerkschaftlichen Schulung. Und weil dem so ist, so genügt oft ein Zufall, die der Organisation beigetretenen weiblichen Mitglieder zum Austritt zu bestimmen. Und weil dem so ist, so bleiben recht viele der organisierten Arbeiterinnen laue Gewerkschaftlerinnen, die ihre Pflicht der Organisation gegenüber mit Zahlung der Mitgliedsbeiträge erfüllt wähnen, denen aber jene durch Schulung gefestete klare und begeisterte Ueberzeugung von der Bedeutung der Gewerkschaft abgeht, die zum steten Wirken für deren Entwicklung treibt, insbesondere aber zur werbenden Agitation unter den Arbeitsgenossinnen und Genossen.
(...)
Diese Thatsache muß festgehalten werden, nicht etwa zu dem Zwecke, den Eifer für die gewerkschaftliche Agitation zu lähmen, vielmehr um vor Enttäuschungen zu bewahren, wenn die Einbeziehung der Arbeiterinnen in die Gewerkschaften so langsam erfolgt. Sie muß aber auch vor allem festgehalten werden, um Mittel und Wege zu finden, der Organisationsunfähigkeit der Arbeiterinnenmassen entgegenzuwirken. Das vorzüglichste Mittel zu ihrer Bekämpfung ist der gesetzliche Arbeiterinnenschutz, sind soziale Reformen, welche im Interesse der gesammten Arbeiterklasse liegen. Wir werden das noch ausführlich nachweisen. Zum Schlusse nur noch die Bemerkung, daß eine so vorzügliche Kennerin und beredte Vorkämpferin der Gewerkschaftsbewegung wie Beatrice Webb mit uns in dem gesetzlichen Arbeiterinnenschutz die wesentlichste Vorbedingung für die gewerkschaftliche Organisirung der Arbeiterinnenmassen erblickt. Es ist kein Zufall, es ist in den thatsächlichen Verhältnissen begründet, daß die Kategorie der englischen Arbeiterinnen, die sich am längsten des gesetzlichen Schutzes gegen die kapitalistische Ausbeutung erfreut, nämlich die Textilarbeiterinnen, in der gewerkschaftlichen Organisation in einer Stärke vertreten ist, wie keine andere Arbeiterinnenschichte. Von den mehr als 00 000 gewerkschaftlich organisirten englischen Arbeiterinnen sind mehr als 90 000 Textilarbeiterinnen. Angesichts der durch die gekennzeichneten Verhältnisse bedingten Organisationsunfähigkeit der breiten Arbeiterinnenmassen darf die Losung also keineswegs heißen: Verzicht auf die gewerkschaftliche Agitation. Sie muß vielmehr durch die Parole ergänzt werden: Her mit dem gesetzlichen Arbeiterinnenschutz, um eine unerläßliche Vorbedingung für den dauernden Erfolg der gewerkschaftlichen Agitation zu schaffen.
III.
Zu den Hindernissen, welche die Überbürdung der Proletarierin mit Mühen und Pflichten ihrer Betheiligung an der Gewerkschaftsbewegung entgegenstellt, tritt noch der Einfluß des niedrigen Verdienstes.
Man geht gewöhnlich von der Voraussetzung aus, daß die bekannten Hungerlöhne der Arbeiterinnen ein besonders starker Anreiz sein müßten, welcher die in der Industrie frohndenden Frauen und Mädchen in Masse den Organisationen zutreibt. Nun begründet die meist geradezu schmachvolle Entlohnung der Frauenarbeit sicherlich überzeugend die Nothwendigkeit, die Arbeiterinnen gewerkschaftlich zu organisiren, und dies in ihrem eigenen Interesse an einem höheren Verdienst, wie in dem der Arbeiter an einer Bekämpfung der Schmutzkonkurrenz. Aber andererseits erweist sich, daß die niedrigen Löhne weit weniger zur Organisirung anspornen, als vielmehr von der Gewerkschaft fernhalten. Die Geschichte der Gewerkschaftsbewegung bestätigt das durchaus. Im Allgemeinen sind es bekanntlich überall nicht die schlechtest gelohnten Arbeiter, welche die stärksten, leistungsfähigsten Organisationen haben, sondern die verhältnißmäßig gut gelohnten sind es, die »Aristokraten« der Arbeiterklasse. Der Grund dafür liegt auf der Hand. Die leidlich verdienenden Proletarier können eher die paar Groschen aufwenden, welche die Gewerkschaftsbewegung fordert; für die gering entlohnten Arbeitskräfte dagegen bedeutet jede Ausgabe f ür Gewerkschaftszwecke ein Opfer, das zu bringen schwer fällt, ja sehr oft unmöglich ist. Was für die Einen ein Sparen von einem geringen Überschuß ist, das wird für die Anderen ein Entbehren vom Nöthigsten.
(...)
Man macht sich gewiß keiner Übertreibung schuldig, wenn man annimmt, daß die Mehrzahl unserer Arbeiterinnen durch ihre Berufsthätigkeit zu wenig zum Leben und zu viel zum Sterben erwirbt. Das Zu-viel-zum-Sterben unter dem Vorbehalt verstanden, daß damit ein schneller Tod gemeint ist. Denn wer die Ernährungsverhältnisse kennt, zu denen die übergroße Mehrzahl der Arbeiterinnen auf Grund ihres schmalen Verdienstes verurtheilt ist, für den kann es nicht zweifelhaft sein, daß Tausende und Abertausende von ihnen durch chronische Verhungerung, durch stete Unterernährung in täglicher Qual langsam einem vorzeitigen Tode überantwortet werden. Eine stattliche Zahl der Leiden, welche an der Lebenskraft der Proletarierinnen zehren, wurzeln in ungenügender Ernährung, in Überarbeit, ungesunden Wohnungsbedingungen, kurz in den unvermeidlichen Wirkungen der niedrigen Entlohnung. Thatsachen über Thatsachen zeigen, daß im Allgemeinen der Erwerb der Arbeiterinnen kaum die nackten Existenzkosten deckt, ja vielfach nicht einmal zur Bestreitung derselben ausreicht. Wo soll da das Mehr über die Existenzkosten herkommen, das - wie auch Mrs. Webb betont - die Möglichkeit von Aufwendungen zu Gewerkschaftszwecken verbürgt?
Gewiß, die Beiträge der weiblichen Mitglieder der Gewerkschaften sind äußerst niedrig; 20 Pf. im Monat, 0, 5 Pf. die Woche etc. Was die Gewerkschaftlerin vorkommenden Falles an außerordentlichen Beiträgen für Streiks u. A. leisten muß, das macht im Jahre noch nicht die Summe aus, welche der Kapitalistenstaat ihr im Laufe eines einzigen Monats durch besteuerte und vertheuerte Lebensmittel abknöpft. Und die Ausgaben, welche sich die »Begehrliche« beim Besuch von Versammlungen etwa für ein Viertel Bier oder eine Tasse Kaffee gestattet, bleiben um ein Erkleckliches hinter den Rechnungen zurück, welche den nothleidenden Agrariern bei ihren Tagungen im renommirten Moderestaurant überreicht werden. Aber wenn es sich bei den Ausgaben, welche die Gewerkschaftsbewegung mit sich bringt, auch nur um Pfennige und Groschen handelt: die Arbeiterin muß mit Pfennigen und Groschen rechnen. Bei der Dürftigkeit ihres Verdienstes und dem daraus sich ergebenden ärmlichen Zuschnitt ihrer Existenz sind Groschen, selbst Pfennige Summen, welche für andere Zwecke als die der nackten Lebensnothdurft öfters nur um den Preis der härtesten Entbehrungen verausgabt werden können.
(...)
Wollen wir die Arbeiterinnenmassen gewerkschaftlich organisiren - und wir müssen sie gewerkschaftlich organisiren, im Interesse der Arbeiterinnen selbst, wie dem des gesammten Proletariats - so muß deshalb zu der nimmer rastenden gewerkschaftlichen Agitation der Kampf treten für gründlichen, thatsächlichen Arbeiterinnenschutz und für soziale Reformen, welche geeignet sind, die wirthschaftliche Arbeitslast der Frau im Hause zu erleichtern, mit der Lage des Proletariers auch die der Seinen günstiger zu gestalten. Das aufklärende Wort gegen die Organisationsunlust der Arbeiterinnen, Arbeiterinnenschutz und andere Reformen gegen die Organisationsunfähigkeit der Arbeiterinnen! Klare Erkenntniß von der Nothwendigkeit und der Bedeutung der Gewerkschaftsbewegung unter den Arbeiterinnenmassen; materielle Möglichkeit für die Bethätigung der Erkenntniß für die Arbeiterinnenmassen!
IV.*
(*Dieser Abschnitt erschien 3 Jahre später in der »Gleichheit« (90), Nr. 2
Die Werkstubenagitation, die Werkstubenversammlung müßte unseres Erachtens in den Mittelpunkt der Bemühungen gerückt werden, die Arbeiterinnen der Gewerkschaft zuzuführen und sie zu überzeugten Gewerkschafterinnen zu erziehen. Nicht etwa, als ob durch sie die Agitation größeren Stils und die Gewerkschaftsversammlung überflüssig gemacht werden sollen. Es gilt vielmehr, mit ihrer Hilf e die Eine und die Andere vorzubereiten, zu ergänzen, fortzuführen, kurz der gewerkschaftlichen Organisation voll nutzbar zu machen. Die Werkstubenzusammenkunft kann in mannigfacher Hinsicht der weiblichen Eigenart, der Sonderstellung der Arbeiterin als Frau Rechnung tragen. In der Folge ist sie trefflich geeignet, die Verbindung zwischen der einzelnen Lohnsklavin und ihrer gewerkschaftlichen Berufsorganisation herzustellen und lebendig zu erhalten.
Sie schafft der Arbeiterin - die durch häusliche Verpflichtungen und Lebensgewohnheiten weniger frei ist als ihr Kamerad - die Gelegenheit, sich mit Ihresgleichen zusammenzufinden zum Gedankenaustausch über Arbeitsbedingungen und Interessen,) ene Gelegenheit, die sich dem Mann so reichlich in Vereinen aller Art, )a beim Wirthschaftsgespräch darbietet. Sie löst in Folge ihres intimeren Charakters den Bann der scheuen Zurückhaltung, der die Arbeiterin in großen Versammlungen so oft am Sprechen, an der Vertretung ihrer Interessen und Rechte hindert, und ermöglicht ihnen dadurch, lernend zu lehren. Sie bildet den natürlichen, vorzüglichen, geistigen Mittler zwischen der einzenen Arbeiterin, die in weiblicher Rückständigkeit stark individualistisch, ja egoistisch empfindet und denkt, und der Gewerkschaft, welche vom Geist der Solidarität beseelt und geleitet ist. Sie lehrt der ungeschulten Arbeiterin gleichsam das Abc der wirthschaftlichen Erkenntniß, des Gemeinsamkeitssinnes, des Klassenbewußtseins und wiederholt und befestigt die Lektionen, welche die Gewerkschaftsversammlung, der Gewerkschaftskampf ertheilt.
Ihr Ziel erreicht die Werkstubenagitation um so vollkommener, je persönlicher sie jede einzelne Arbeiterin eines Betriebes erfaßt; je eingehender sie die Arbeits- und Existenzbedingungen der betreffenden Arbeiterinnengruppe von Tag zu Tag verfolgt; je gewissenhafter und schlagfertiger sie jedem Mißstand, jedem Vorkommniß gegenüber den Ausgebeuteten mit aufklärendem Wort und helfender That zur Seite steht; je mehr sie einem verständigen, liebevollen Familienrath gleicht, in der jedes Glied gleichberechtigt Sitz und Stimme hat.
In der That: einem Petrus gleich, der Seelen fischt, sollten die Trägerinnen und Träger der Werkstubenagitation jeder einzelnen Arbeiterin nachgehen, jede einzelne bei ihren persönlichen Bedürfnissen, Interessen, Wünschen packen. Zu diesem Behufe müssen sie die lange Werkeltagsqual der Arbeiterinnen kennen, wie ihre karge Feiertagsfreude. Ihr Ohr und Herz muß dem Schrei der Klage offen stehen, wie dem schüchternen, kaum vernehmbaren Lallen der Sehnsucht nach Bildung und Freiheit. Mit den sozialen Untugenden der weiblichen Lohnsklaven müssen sie rechnen, aber auch mit ihren Vorzügen. Sie haben zu berücksichtigen, daß jeder anscheinende Alltagsvorgang in der Berufsthätigkeit, der Existenz der Arbeiterin für diese zu einer Katastrophe werden kann, welche das dürftige Stückchen Lebensglück verschlingt, das ihr die kapitalistische Ausbeutung gelassen hat. Die Träger und Trägerinnen der Werkstubenagitation müssen vor Allem gründlich Bescheid in den Berufs- und Betriebsverhältnissen der Arbeiterinnengruppe wissen, der sie die Segnungen der Organisation erschließen wollen. Was in Fabrik und Werkstatt vorgeht, was sich hier zum Bessern oder Schlechtern wandelt, haben sie von Tag zu Tag, von Woche zu Woche aufmerksamst zu verfolgen. Ob sie mit den Arbeiterinnen zusammenfrohnden oder nicht, mit ihrem Wissen, Verstehen und Fühlen müssen sie in innerer Gemeinschaft mit ihnen leben.
Folgende Vorbedingungen sind es aber besonders, die unserer Ansicht nach all dies ermöglichen. Die Werkstubenagitation muß von Leuten - in erster Linie von Frauen - getragen werden, welche täglich, stündlich in inniger Fühlung mit den Arbeiterinnen stehen, die organisirt, gewerkschaftlich geschult werden sollen; von Leuten, welche als gewerkschaftlich Geschulte in stetem, engem Zusammenhang mit dem Gewerkschaftsleben des Berufes, des Ortes stehen; von Leuten, welche in der Folge aus jedem Vorkommniß im Betrieb oder Berufszweig die aufklärende Konsequenz ziehen, jede geeignete Gelegenheit sofort für die Organisation ausnützen können. Die Werkstubenagitation kann nicht ruckweise von auswärts betrieben, sie muß dauernd am Orte, im Industriezentrum unterhalten werden. Sie bedarf deshalb ihres eigenen, ständigen Stabes agitatorischer Kräfte, die ihr gleichsam jede Minute gerüstet, arbeitsbereit zur Verfügung stehen.
Die Werkstubenagitation muß ferner in der Hand von Leuten ruhen, die mit klarem Kopfe und warmem Herzen bei ihrer Aufgabe sind, sich ihr mit ganzer Seele widmen. Klarer Kopf und warmes Herz für die Interessen der Arbeiterinnen, klarer Kopf und warmes Herz aber auch für das Wesen, die Ziele der Gewerkschaft! So wenig die Werkstubenagitation der großen rednerischen Talente, der hervorragenden sozialpolitischen Gelehrsamkeit bedarf, so wenig kann sie die wohlmeinende Konfusionsmeierei oder die kühle Geschäfts- und Pflichtmäßigkeit ertragen. Wir glauben deshalb, daß die Frauen zu einer erfolgreichen Werkstubenagitation besonders berufen sind, vorausgesetzt das Selbstverständliche, daß sie geschulte und begeisterte Gewerkschafterinnen sind. Ihr feineres Taktgefühl, die Herzens wärme, die theilnehmende, hilfsbereite Mütterlichkeit ihrer Natur werden wesentlich dazu beitragen, der Werkstubenagitation jenen Charakter einer Familienzusammenkunft aufzuprägen, der die Arbeiterinnen gewinnt und zum gewerkschaftlichen Gemeinsamkeitsleben emporhebt. Ihre »Weiblichkeit« befähigt sie, das Zusammensein und den Gedankenaustausch auf jenen Ton zu stimmen, welcher der Lohnsklavin zuruft: Du bist unter den Deinen! Hier kannst du ohne Furcht und Zittern, ohne Erröthen deine Leiden enthüllen, dein Recht heischen, und wäre es auch nur in stammelnden Lauten. So gewöhnt die Werkstubenagitation nach und nach die Arbeiterin in den Berufsgenossen ihre Schicksals- und Kampfesgenossen zu erblicken, in der Gewerkschaft eine rathende, stützende Gemeinschaft, eine neue, größere, kraftvollere Familie. So gewöhnt sie die Arbeiterin nach und nach, ihre Beschwerden und Forderungen in Worte zu fassen, nach Einsicht in das Warum ihres Looses zu streben, nach Mitteln und Wegen zu seiner Verbesserung zu suchen. So gewöhnt sie die Arbeiterin, von ihrem gestärkten Muth und ihren frohen Hoffnungen Anderen mitzutheilen, mit dem erworbenen Wissen die Freundinnen zu belehren. Die Werkstubenversammlung erzieht die Arbeiterin aus einer Hörenden zu einer Redenden, aus einer von der Agitation Umworbenen zu einer Agitatorin, die zunächst und wenigstens im Kreise ihrer Betriebsgenossinnen thätig ist, mit der Zeit vielleicht auch in der großen Öffentlichkeit. Ob die Werkstubenagitation am ersprießlichsten durch besondere Frauenkommissionen betrieben wird, welchen Vertreterinnen der verschiedenen Gewerkschaftsorganisationen eines Ortes, eines Bezirks angehören, ob von Seiten)eder Gewerkschaft durch besonders tüchtige weibliche und männliche Mitglieder, das läßt sich nicht nach einer Schablone festsetzen. Die thatsächlichen Verhältnisse in Ort und Beruf entscheiden darüber, je nach den vorhandenen Bedürfnissen, den verfügbaren agitatorischen Kräften, der Stärke der Organisationen, dem Entwicklungsgrad der Arbeiterinnen, den Eigenthümlichkeiten der Gewerbe etc. Wesentlich ist dagegen, daß die Arbeit eine planmäßige, ausdauernde und geschickte ist, daß sie in enger Fühlung und Übereinstimmung mit der Gewerkschaftsorganisation erfolgt, daß sie in Fabrik und Werkstatt, bei der Arbeit und im freundschaftlichen Verkehr durch die Agitation von Person zu Person vorbereitet und unterstützt wird.
Soll die Werkstubenagitation durch kurze, sehr leicht faßliche Referate betrieben werden, oder aber durch Frage und Antwort, durch zwanglosen Gedankenaustausch etc.? Auch die Antwort auf diese Frage wird durch Zweckmäßigkeitsgründe diktirt. Alle Formen der Agitation sind auszunutzen, welche sich durch die Erfahrung als werbekräftig erweisen. Nach dem Sprichwort »Der Wechsel ergötzt« ist vielleicht oft die Anwendung verschiedener Formen neben- und nacheinander zu empfehlen. Hauptsache ist, daß der Inhalt der Agitation einen Ausgangspunkt hat: die individuellen Verhältnisse einer Arbeiterin oder einer Arbeiterinnengruppe; daß er ein Ziel weist: den Zusammenschluß in der Gewerkschaft, das Wirken für die Gewerkschaft.
Es versteht sich am Rande, daß auch bei der Werkstubenagitation betreffs Vorbereitung, Bekanntgabe, Ort, Zeit etc. die vielerlei äußeren und inneren Umstände Berücksichtigung finden müssen, welche von Einfluß darauf sind, daß die Arbeiterin in ihren Bannkreis gezogen wird. Wir greifen nur einen dieser Umstände heraus, der hier und da für den Besuch einer Werkstubenversammlung ausschlaggebend ist: die Beschaffung eines Lokals, das nach Feierabend oder während der Mittagspause bequem zu erreichen ist, und in dem kein Trinkzwang herrscht. Wie viele Arbeiterinnen bleiben nicht einer Zusammenkunft fern, wenn sie mit Ausgaben für Tram, Bier etc. verknüpft ist!
Pflicht und Interesse weisen die Gewerkschaften darauf hin, der Werkstubenagitation die nötige Förderung zuzuwenden, durch Vermittlung von Beziehungen zu den Arbeiterinnen, durch Verabfolgung von Material, durch Beschaffung von Lokalitäten, durch Übernahme der unvermeidlichen materiellen Opfer. Was der einzelnen Gewerkschaftsorganisation am Orte nicht möglich ist, das vermag die Gewerkschaftskommission, das Gewerkschaftskartell, der Verband. Und wenn auch hier die Kraft oder der Wille versagt, so wird sicherlich die Generalkommission helfend eingreifen. Die aufgewendeten Opfer machen sich wohl belohnt.
V.
Was kann seitens der Gewerkschaften geschehen, um aus den Reihen der Arbeiterinnen die erforderlichen Kräfte zu gewinnen, welche sich zielklar und ausdauernd vor Allem dem agitatorischen und organisatorischen Wirken unter ihren Schwestern widmen?
Wir erachten zunächst die richtige Pflege und Werthung der gewerkschaftlichen Klein- und Alltagsarbeit als ein treffliches Mittel zum Zwecke. Die richtige Pflege und Ausgestaltung dieser Kleinarbeit, denn sie gewöhnt die Arbeiterin, die proletarische Frau durch Reden und Wirken in einem kleinen Kreise, der aber doch schon über die Familie hinausgeht, an das Reden und Wirken in der Öffentlichkeit. Sie gestattet ihr, das organisatorische Geschick, das Verwaltungstalent, das sie im Haushalt bethätigt, auf ein weiteres Gebiet anzuwenden und größeren Zielen dienstbar zu machen. Sie ruft geistige und sittliche Kräfte zum bewußten Leben, die bis dahin in ihrem Innern schlummerten. Sie rüstet die Arbeiterin mit Kenntnissen und Erfahrungen aus und macht sie mit der Technik der agitatorischen und organisatorischen Thätigkeit vertraut.
Die richtige Werthung der gewerkschaftlichen Kleinarbeit, denn sie weckt und stärkt das Persönlichkeitsbewußtsein, den Muth, die moralische Kraft der Arbeiterin, die sich ihr widmet. Sie giebt Dieser das beseligende Gefühl, daß sie für Viele, für eine Allgemeinheit Nützliches, Bedeutsames leistet. Sie spornt ihren Eifer, immer mehr, immer Besseres zu wirken, die Ziele ihrer Thätigkeit weiter, höher zu stecken. Sie stählt ihren Willen, so daß sie mit Energie und Opferfreudigkeit an der Bildung ihres Geistes und Charakters arbeitet; so daß sie alles, was sie ist und was sie kann, dafür einsetzt, ihre Schwestern durch gewerkschaftlichen Zusammenschluß zu heben.
In der gleichen Richtung wie die Pflege und Würdigung der gewerkschaftlichen Kleinarbeit wirkt ein anderes Mittel: die Heranziehung gewerkschaftlich geschulter Frauen zur Verwaltungsarbeit, zu Kommissionen, zu bestimmten Aufgaben, zu Ämtern und Posten jeder Art. »Es wächst der Mensch mit seinen höheren Zwecken. «Mit dem größeren, bedeutungsreicheren Pflichtkreis steigt das Verantwortlichkeitsgefühl, das Selbstbewußtsein, entfalten sich Gaben des Geistes und Charakters. Je schärfer die Arbeiterin ihre politische Rechtlosigkeit, ihre soziale Unterbürtigkeit empfindet, vielleicht gar eine unterveordnete Stellung in der Familie, um so stärker wird es sie an die Gewerkschaft fesseln, ihre Leistungsfähigkeit befeuern, wenn sie als Gleichgewerthete und Gleichberechtigte auf verantwortungsvollem Posten steht. Dazu ein anderer Vortheil. Das Beispiel ihrer Stellung, ihrer Thätigkeit reizt andere Arbeiterinnen, Gewerkschafterinnen zur Nacheiferung an. Aber freilich und leider: wie manche durchgebildete, pflichtfrohe, rührige Gewerkschafterin wird nie zu einer Aufgabe berufen, für welche Begabung und Neigung sie vorzüglich befähigen, weil sie eine Frau ist! Wie manches hervorragende agitatorische und organisatorische Talent verkümmert ungenützt, weil es in einer Frau wohnt! Unbewußt festgehaltenes Vorurtheil und Gewohnheit sind auch im klassenbewußten Proletariat hier und da stärker, als geschichtliche Einsicht und prinzipielles Bekenntniß. Fort mit diesem Vorurtheil! Bahn frei!
Auch die Gelegenheit zur Betheiligung an der Diskussion in den Versammlungen, zur Mitarbeiterschaft an der Gewerkschaftspresse erhöht die persönliche Tüchtigkeit der Organisirten zur agitatorischen und organisatorischen Arbeit. Diese Art der Bethätigung steht sicherlich jedem weiblichen Mitglied der Gewerkschaft frei. Aber das genügt nicht. Wenn nicht äußere Hindernisse, so ist es recht oft die weibliche Eigenart, die den Mund geschlossen hält, die Feder aus der Hand reißt. Das Eingreifen der Frauen in die Versammlungsdebatten, ihre Mitarbeiterschaft an dem Gewerkschaftsorgan muß daher provoziert, gesucht, gefördert und zumal in den Erstlingsversuchen schonend und aufmunternd behandelt werden.
Will die Gewerkschaftsbewegung über einen zahlreichen Stab geschulter Agitatorinnen und Organisatorinnen verfügen, so darf sie sich aber nicht daran genügen lassen, die allseitige persönliche Leistungsfähigkeit der Gewerkschafterinnen zu wecken und zu steigern. Sie muß mehr thun, indem sie begabten und charaktervollen Gewerkschafterinnen die materielle Möglichkeit sichert, Zeit und Kraft der Agitations- und Organisationsarbeit widmen zu können. Was in dieser Beziehung dem Manne recht ist, das muß der Frau billig sein, die durch ihre häuslichen Auf gaben und ihren niedrigen Verdienst gebundener ist als er. Wer kennt nicht die und jene ungewöhnlich kluge und tüchtige Arbeiterin, die von Herzen gern mit glühendem Eifer unter ihren Kameradinnen agitiren möchte, die aber ihr Wollen zu zügeln gezwungen ist, weil sie vor den Ausgaben zurückschrecken muß - und wären es Groschen, Pfennige-, welche die ersehnte Bethätigung mit sich bringt? Giebt es nicht zahlreiche Arbeiterinnen, Arbeiterfrauen, deren große agitatorische und organisatorische Befähigung brach liegen muß, weil sie nicht um die Nothwendigkeit herumkommen, nach Feierabend und Sonntags am Waschfaß zu stehen, die Wohnung zu scheuern, Wäsche und Kleider in Stand zu halten! Läge es nicht im Interesse der Gewerkschaftsorganisation, sich solche Kräfte nutzbar zu machen, die hier durch die Rücksicht auf die Fristung der Existenz, dort durch hauswirthschaftliche Arbeiten gefesselt sind, welche ebenso gut und ohne Schaden für die Einzelne wie die Familie von Dritten verrichtet werden könnten?
Die Frage aufwerfen, heißt unseres Erachtens sie beantworten. Materielle Sicherstellung und Bewegungsfreiheit talentvoller, charakterfester Gewerkschafterinnen ist eine unerläßliche Bedingung dafür, daß aus den Reihen der Arbeiterinnen, der Proletarierinnen tüchtige Agitatorinnen und Organisatorinnen hervorgehen.
Geeignete weibliche Gewerkschaftsmitglieder müßten deshalb mehr, als es bis jetzt der Fall ist, mit besoldeten Beamtenstellen in der Organisation, an den Arbeitersekretariaten etc. betraut werden - als Hilfskräfte, bis sie erprobt sind, aber auch als Hauptbeamte, wenn sie sich bewährt haben. Sie sollten unter Umständen einen festen, regelmäßigen Zuschuß erhalten, der ihnen erlaubt, die Aufwendungen zu bestreiten, welche die organisatorische und agitatorische Arbeit mit sich bringt. Sie wären für Orte und Industrien, wo die Frauenarbeit eine hervorragende Rolle spielt, als besoldete Organisatorinnen und Agitatorinnen anzustellen, welche nicht im »Nebenbei und Zwischendrin« der Erwerbs- und Hausarbeit für die Aufklärung und den gewerkschaftlichen Zusammenschluß der Arbeiterinnen wirken, vielmehr beruflich und mit all der Konzentration und Selbstbeschränkung auf ein bestimmtes Arbeitsgebiet, welche die Berufsthätigkeit verlangt.
Wir sind überzeugt, daß alle praktischen Maßregeln, welche in der Richtung der vorstehenden Gedankengänge und Forderungen liegen, zum Erfolg der gewerkschaftlichen Agitation unter den Arbeiterinnen beitragen. Die Entwicklung des wirthschaftlichen und sozialen Lebens mit ihrem Um und Auf drängt das Proletariat mehr als je zur gewerkschaftlichen Organisirung und Schulung der Arbeiterinnenmassen. Diese den Gewerkschaften einzugliedern, sie in der Organisation und durch sie zu besseren Existenzbedingungen und höherem Sein emporzuheben, dem proletarischen Klassenkampf zuzuführen, ist eine der wichtigsten Aufgaben der modernen Arbeiterbewegung, ist eine unerläßliche Vorbedingung für siegreiche Schlachten des Proletariats und seine Befreiung.
Arbeiterinnenorganisation und Frauenbewegung (1902)
I.
Wie stellen sich die verschiedenen Gruppen zur
Organisation der weiblichen Arbeiterschaft?
Einer der ergreifendsten Abschnitte in dem Buch von Lily Braun: »Die Frauenfrage«[1] ist das Kapitel, in welchem der ohnmächtige, verzweifelte Widerstand der englischen Arbeiter gegen die Einführung der Maschinen und das damit verbundene Eindringen der Frauenarbeit in die Industrie geschildert wird. Das ist tatsächlich eine Menschheitstragödie, die man nicht ohne Erschütterung lesen kann. Der Siegeslauf der Maschine war jedoch nicht aufzuhalten und damit hat auch die Frauenarbeit in der Industrie einen immer breiteren Platz erobert. Aus wirtschaftlichen und ethischen Gründen ist diese Arbeit nicht mehr auszuschalten, es ist jedoch Aufgabe der Sozialpolitik, die Frauenarbeit zu regeln und in gesunde Bahnen zu lenken.[2]
Wie oben bereits gesagt wurde, müssen Staatshilfe und Selbsthilfe ineinander greifen zur Hebung der Lage der Arbeiterschaft. Gerade die Frauen, als meist ungelernte, wirtschaftlich schwächste Arbeiterschaft, bedürfen dieser beiden Mittel am dringendsten. Nun ist es eine feststehende Tatsache, daß gerade die wirtschaftlich schwächsten, die der Organisation am meisten bedürften, (Heimarbeiter, Frauen) am schwersten dafür zu gewinnen sind. Diese schwachen Kräfte müssen erst durch das staatliche Eingreifen vor allzu großer Bedrückung geschützt werden, dann erst werden sie allmählich reif zur Organisation. Es ist eine der wichtigsten Fragen, wie sich die verschiedenen Gruppen zur Frage der Organisation ihrer weiblichen Kollegen stellen.
Die freien Gewerkschaften* (*Sozialdemokratiache Gewerkschaften) haben das Verdienst, daß sie sich zuerst bemüht haben, die Frauen für ihre Einzelverbände zu gewinnen; sie haben zuerst erkannt, daß die gemeinsame Organisation das beste Mittel ist, um zu verhindern, daß die Frauen nicht zu lohndrückenden Konkurrentinnen, sondern durch die gemeinsame Organisation zu gleichberechtigten Kameraden und Mitkämpferinnen werden. Die Gewerkschaften halten fest an dem Prinzip der gemeinsamen Organisation, weil die Interessen der männlichen und weiblichen Arbeiterschaft die gleichen sind: die Erzielung der denkbar besten Lohn- und Arbeitsbedingungen. Die Arbeitskraft ist meistens das einzige Besitztum des arbeitenden Menschen. Es ist selbstverständlich, daß der Arbeiter, ganz gleich ob Mann oder Frau, seine Kraft möglichst teuer verkaufen will, es ist selbstverständlich, daß er unter Bedingungen arbeiten möchte, die ihm seine Arbeitskraft nicht vorzeitig zerrütten, sondern verkürzte Arbeitszeit, geregelte Pausen, gesunde Räume, Schutzvorrichtungen vor Unfall usw. anstrebt.
Auf dem letzten Kongreß der freien Gewerkschaften im Juni 902 in Stuttgart stand wiederum die Arbeiterinnenfrage an hervorragender Stelle auf der Tagesordnung. Es wurden Resolutionen angenommen, welche eine rege, planvolle Agitation unter den Arbeiterinnen empfehlen sowie den Ausbau des Unterstützungswesens befürworten, mit besonderer Berücksichtigung der speziell weiblichen Interessen.
Anders verhalten sich die Hirsch-Dunckerschen Gewerkvereine. Auf ihrem 2. Verbandstage im Juni 895 wurde zwar eine Resolution zu Gunsten der Organisation der Frauen angenommen, aber die einzelnen Gewerkvereine beeilten sich durchaus nicht, diese Resolution in die Tat umzusetzen. Die meisten nehmen überhaupt keine Frauen auf und von einer lebhaften Agitation für die Organisation der Frauen war bis vor kurzem vollends keine Rede. Der beste Beweis dafür ist die geringe Anzahl der weiblichen Mitglieder (nach Angabe von Dr. Max Hirsch auf dem Verbandstage fortschrittlicher Frauenvereine im Oktober 90 waren es 4000, während die Gewerkschaften damals 22 844 weibliche Mitglieder zählten). Die Hirsch-Dunckerschen Gewerkvereine sind nach dem Muster der englischen Trade-Unions gebildet, aber mit diesen haben viele der Gewerkvereine auch das eine gemein, die ablehnende Haltung der weiblichen Arbeiterschaft gegenüber. Von 282 englischen Gewerkvereinen nehmen nur weibliche Mitglieder auf, außerdem gibt es 28 Vereine mit nur weiblichen Mitgliedern. (Vergl. Braun, Frauenfrage S. 439.) Der Not gehorchend, nicht dem eigenen Trieb, schritt man Anfang der siebziger Jahre in England zur Gründung von »Nur Frauen-Gewerkvereinen«. Führerin dieser Bewegung war Emma Paterson-Smith, später Lady Dilke, Miß Tuckwell, Miß Marland u.a.[3] Aber gerade Lady Dilke spricht es in ihrer Abhandlung über die Frauengewerkvereine (Fortnightly Review, june , 889) offen aus, daß die Nur-Frauenorganisationen ein Surrogat sind, und die Führerinnen, wo es nur angeht, die Arbeiterinnen ermahnen, in die gemeinsamen Organisationen einzutreten.
Das Surrogat der Nur-Frauen-Organisationen führen jetzt auch die Hirsch-Dunckerschen Gewerkvereine ein. Die Bewegung, sich energischer als bisher um die Organisation der weiblichen Arbeiterschaft zu bekümmern, ist ausgegangen von den »Düsseldorfern«, d.i. der Oppositionspartei innerhalb der Gewerkvereine, und dann vom Zentralrat in Berlin aufgenommen worden. Die Frauen aller Berufe sollen in Frauen-Organisationen vereinigt werden.
Die Rheinländer stehen allerdings mehr auf unserm Standpunkt, sie sehen die Nur-Frauen-Gewerkvereine gewissermaßen als Vorstufe an, die Arbeiterinnen aufzuklären und reif zu machen für die eigentliche Berufsorganisation. [4] Ferner sollen für die Frauengewerkvereine hauptsächlich die Ehefrauen und Mütter gewonnen werden, für die, falls sie keinen gewerblichen Beruf haben, keine Berufsorganisationen existieren. Demnach wären die Frauengewerkvereine, so wie die Düsseldorfer Richtung sie plant, mehr als eine Art Arbeiterinnenbildungsverein anzusehen, die Berliner Richtung)edoch betrachtet sie bereits als »Berufsorganisation«. Am 29. Juni 902. wurde der erste Hirsch-Dunckersche Frauengewerkverein mit dem Sitz in Berlin konstituiert, dem z. Z. ca. 20 verschiedene Ortsvereine angehören. Wie stark die verschiedenen Ortsvereine sind, darüber besteht bis jetzt noch keine Statistik.
Es liegt uns fern, den guten Willen der leitenden Persönlichkeiten zu verkennen, wir müssen aber trotzdem unser Bedauern aussprechen, daß man zu dieser nach unserer Überzeugung halben Maßregel gegriffen hat. Das Ideal, die gemeinsame Organisation von männlichen und weiblichen Arbeitern nach Berufen, wird durch die Nur-Frauen-Organisation in weite Fernen geschoben. Die weiblichen Mitglieder, die bereits in den Gewerkvereinen organisiert waren, werden künftig in den gemischten Organisationen noch mehr ein Aschenbrödeldasein führen, als bis jetzt. Wozu sich noch um sie kümmern? Dazu sind ja die Frauengewerkvereine da! So wird man argumentieren. Gegen diese Frauengewerkvereine erheben wir ferner das Bedenken, daß sie Arbeiterinnen aller Berufe vereinigen wollen. Wie kann dann von einer kräftigen Vertretung der speziellen Berufsinteressen die Rede sein! Sie werden im besten Falle ihren Mitgliedern manche Anregung, Unterhaltung und Belehrung bieten, aber zu durchgreifenderen Agitationen: Lohnkämpfen, Beeinflussung der Sozialpolitik etc. wird ihnen voraussichtlich stets die Macht fehlen.
Von den Verteidigern der »Nur-Frauen-Organisationen« wird geltend gemacht, daß in den gemischten Organisationen die Frauen wenig zu Worte kommen, weil sie noch zu »schüchtern und ungewohnt des öffentlichen Lebens« sind; sie kämen besser aus sich heraus in kleinen »Nur-Frauen-Versammlungen« . In dieser Beziehung haben einzelne der »freien Gewerkschaften« ein vorzügliches Auskunftsmittel. Neben den großen gemischten Versammlungen veranstalten sie kleine Sitzungen nur für die weiblichen Mitglieder. Diese sind eine gute Vorschule, und in den großen Versammlungen wird dann doch immer wieder der Gedanke der Einheitlichkeit, der gemeinsamen Interessen hergestellt.
Für die Nur-Frauen-Organisationen könnte sprechen das rasche Anwachsen des christlichen Gewerkvereins der Heimarbeiterinnen«* (*Die christlichen Gewerkvereine später als die freien Gewerkaftenn und Hirsch-Dunckerschen Gewerkvereine. Die erste Gründung war 1894 der Gewerkverein christlicher Bergleute)Trotzdem es am allerschwierigsten ist, die Heimarbeiter zu organisieren, ist der christliche Gewerkverein der Heimarbeiterinnen in der kurzen Zeit seines Bestehens auf 200 Mitglieder (in Ortsgruppen Berlin, Breslau, Stettin, Düsseldorf) gewachsen. Dies rasche Wachstum ist aber darauf zurückzuführen, daß der Heimarbeiterinnen-Verein keine reine Berufsorganisation, sondern zugleich eine Art Wohlfahrtsverein darstellt, und die Heimarbeiterinnen, die Ärmsten der Armen, sind ja leider nur allzu oft auf Unterstützung durch die kommunale oder private Armenpflege angewiesen. Es muß aber auch anerkannt werden, daß sich dem Heimarbeiterinnenverein sehr tüchtige Kräfte aus den christlich-sozialen Kreisen zur Verfügung gestellt haben, was sicherlich zum Gedeihen eines Vereins viel beiträgt.
Der Gewerkverein der Heimarbeiterinnen hat sich dem Gesamtverband der christlichen Gewerkschaften angeschlossen. Wir kommen damit zur Frage, wie sich diese Gruppe zur Frage der Arbeiterinnenorganisation stellt. Außer dieser Sonderorganisation nehmen einzelne der christlichen Gewerkschaften auch weibliche Mitglieder auf, es besteht aber keine Statistik darüber, in welchem Maße dies geschieht. Auch auf dem letzten Kongreß der christlichen Gewerkschaften in München im Juni 902 wurde neben dem Ausbau des gesetzlichen Arbeiterinnenschutzes die Förderung der Organisation der Arbeiterinnen empfohlen. Nach welchem Prinzip dies geschehen soll, darüber gibt die schon einmal zitierte Schrift: »Christliche Gewerkvereine, ihre Aufgabe und Tätigkeit«** (** Arbeiter-Bibliothek 1 und 2, Mönchen-Gladbach) Auskunft:
»Man schaffe weibliche Organisationen mit weiblichen Vertrauenspersonen, aber schließe diese der männlichen Organisation an, unterstelle sie besonders dem Vorstande derselben ganz und gar(!!) ... Namentlich wird die Leitung der Versammlungen, die Vertretung der Interessen des Verbandes gegenüber den Arbeitgebern und der Gesetzgebung dem männlichen Verbande zufallen ...«
Man plant also die Errichtung von »Arbeiterinnenschutzverbänden«, jedoch unter männlicher Oberhoheit. Diesen Standpunkt müssen die Vertreterinnen der Frauenbewegung grundsätzlich ablehnen, denn sie verlangen die Gleichberechtigung der Frau mit dem Manne. Sie verlangen, daß die Frauen ihre eigensten Interessen selbst vertreten lernen, von Oberhoheit darf dabei nicht die Rede sein.
Berufsorganisation und Frauenbewegung (1907)
Else Eberhardt
In der richtigen Erkenntnis der Tatsache, daß es heutzutage dem Einzelnen nicht mehr möglich ist, seinen Wünschen und Forderungen in der Öffentlichkeit Geltung und Berücksichtigung zu verschaffen, haben auch die Frauen in sämtlichen Berufen, in denen sie bis jetzt tätig sind, dem Beispiel der Männer folgend, Organisationen gegründet, zum Zweck wirkungsvoller Vertretung ihrer Interessen. Diese Organisationen haben sich alle unabhängig von den bereits bestehenden Männervereinigungen gebildet. Eigentlich wäre es unendlich einfacher und vielleicht auch praktischer gewesen, wenn sich die Frauen, nachdem sie doch einmal den oder jenen Beruf ergriffen haben, den vorhandenen Männerorganisationen eingegliedert hätten. Dem widersprechen edoch zwei gewichtige Gründe. Einmal wäre es mehr als fraglich gewesen, ob die »Herren Kollegen« die neuen Standesgenossinnen überhaupt in ihre Mitte aufgenommen hätten, - man denke an die Lehrerin oder Handlungsgehilfin - andererseits aber sind die Interessen der weiblichen Angehörigen eines Berufs heute noch vielfach andere als die der Männer und könnten sicher in einer vorwiegend aus letzteren bestehenden Vereinigung nicht in dem Maße Berücksichtigung finden, wie dies in den Frauenorganisationen der Fall ist. Denn die Frau muß, besonders in den beiden oben angeführten Berufen, neben der Förderung der allgemeinen Standesinteressen noch um das Recht der Gleichstellung mit dem Mann, sowohl hinsichtlich ihrer Vorbildung als ihrer nachherigen Position, kämpfen und für diese beiden Punkte wäre, wenigstens im jetzigen Zeitpunkt, auf die Mitwirkung der männlichen Kollegen nur in sehr beschränktem Maße, wenn überhaupt, zu rechnen. Es ist dabei jedoch nicht ausgeschlossen, daß die Frauen, als korporatives Element, trotzdem in vielen Punkten mit den Organisationen der Männer des gleichen Berufs zusammenarbeiten, wie dies z. B. in dem »Deutschen Verband kaufm. Vereine« und den Vereinigungen für Pensionsversicherung der Privatbeamten der Fall ist.
Wie oben schon angeführt, ist der Zweck der Berufsorganisation lediglich die Wahrung und Förderung der jeweiligen Standesinteressen und es ist allerdings auch in den Frauenvereinigungen hierin noch viel zu tun übrig. Aber über dem nächstliegenden sollte man das höhere Interesse der Frau nicht vergessen. Neben bezw. mit der Erstrebung der beruflichen Gleichstellung der Frau mit dem Manne muß notwendigerweise auch die der bürgerlichen Gleichberechtigung erfolgen und bei objektiver Prüfung der Verhältnisse ist sicher die letztere das ausschlaggebende Moment. Ist ihr einmal diese geworden, so müssen ihr notgedrungen alle anderen Rechte auch zu teil werden. Ohne die Gleichberechtigung der Frau in politischer Beziehung ist eine berufliche nahezu ausgeschlossen. Hätten die Frauen heute schon Einfluß auf die Gesetzgebung, wie anders sähe es wohl in manchen Berufen aus und wieviel Frauenenergie und Intelligenz, die heute noch im aufreibenden Kampf um die Verleihung der bürgerlichen Rechte verbraucht wird, könnte andern Gebieten zugewendet werden. Aber auch wieviel freudiger könnten die Frauen ihrem Berufe nachgehen, wenn ihnen dann nicht mehr auf Schritt und Tritt künstliche Hindernisse in den Weg gelegt würden, wenn sie als freie Persönlichkeiten den ohnehin schweren Kampf ums Dasein aufnehmen könnten. Allein, die Frau in ihrer Mehrzahl hat diesen Gedankengang noch nicht erfaßt und selbst die, denen er am nächsten liegen müßte, beweisen durch die Tat, daß sie dessen Tragweite noch nicht kennen. Es ist verwunderlich, daß Frauen, die in den Berufsorganisationen fortschrittlich und weitblickend sind, vor der letzten Konsequenz ihrer Bestrebungen Halt machen und sich der fortschrittlichen Frauenbewegung wenn nicht ablehnend, so doch passiv gegenüber verhalten. Sie verkennen dadurch ganz, wie sehr ihre Sonderbestrebungen von der Entwicklung der sogen. »Frauenemanzipation« abhängig sind. Ein Erfolg auf diesem Gebiet wird zweifellos auch seine Reflexe auf das berufliche Leben der Frau werfen.
Die fortschrittliche Frauenbewegung, die als nächstes Ziel die Erlangung der vollständigen politischen Gleichstellung der Frau mit dem Manne aufstellt, stößt in den Reihen der Frauen selbst noch auf viel Unverständnis und Indolenz, von direkter Gegnerschaft gar nicht zu reden. Hier sollten nun die beruflich tätigen Frauen zeigen, daß ihr Beruf sie nicht nur befähigt, ihren Lebensunterhalt selbständig zu erwerben, sondern daß sie auch in der Lage sind, die Not ihres Geschlechts zeitig zu erfassen und die gegebenen Mittel zu deren Linderung zu benutzen. Die im Beruf stehenden Frauen müssen die Bestrebungen der fortschrittlichen Frauenvereine zu ihren eigenen machen.
Zu diesem Zweck ist vor allem nötig, daß sich die weiblichen Berufsorganisationen, einerlei welche Standesinteressen sie im speziellen vertreten, ihrer Bedeutung für die fortschrittliche Frauenbewegung bewußt werden. In unserem heutigen Industriestaat fallen die von wirtschaftlichen Interessengruppen gestellten Forderungen bekanntermaßen weit schwerer in die Wagschale, als irgend andere. Man ist heute schon in gewissen parteipolitischen Kreisen so weit, den beruflich tätigen Frauen das Recht auf Gleichstellung mit dem Manne nicht mehr abzusprechen und man sollte meinen, schon die einfache wirtschaftliche Notwendigkeit, in der Erringung einer gesicherten Lebensstellung nicht schon von vornherein dem Manne gegenüber ungünstiger dazustehen, müsse die beruflich organisierten Frauen zwingen, Schulter an Schulter mit den »Fortschrittlichen« für die vollständige bürgerliche Gleichberechtigung zu kämpfen. Dadurch würden die einzelnen Sonderinteressen der verschiedenen Berufszweige noch lange nicht, wie befürchtet werden könnte, in den Hintergrund gedrängt. Im Gegenteil, durch die Hereinbeziehung dieser für alle so unendlich wichtigen Frage auch in die Tätigkeit der Berufsvereine würde diese eine wertvolle Bereicherung erfahren und die vitalsten Interessen der Mitglieder sicher auf diese Weise noch weit mehr gefördert, als dies jetzt schon der Fall ist.
Wenn wir die Arten vergleichen, wie die drei verschiedenen Gruppen die Organisation der Arbeiterinnen betreiben, so müssen wir zu dem Schluß kommen, daß in dieser Hinsicht am meisten die freien Gewerkschaften den Forderungen entsprechen, die wir im Interesse der Arbeiterinnen und vom Standpunkt der Frauenbewegung aus aufstellen müssen, indem sie Männer und Frauen gemeinsam organisieren und den Frauen im Prinzip die volle Gleichberechtigung in diesen gemischten Organisationen einräumen. Wir wissen sehr wohl, daß die Praxis in diesem Punkte noch weit hinter der Theorie zurückbleibt. Das klang deutlich auf dem Gewerkschaftskongreß zu Stuttgart im Juni 902 aus dem Referat zur Arbeiterinnenfrage heraus (vergl. Protokoll). Um so mehr ist es nötig, daß die in der Gewerkschaftsbewegung stehenden Frauen sich bemühen, den Ideen der Frauenbewegung innerhalb der Organisationen zum Durchbruch zu verhelfen.
II.
Die Aufgabe der Frauenbewegung gegenüber der Arbeiterinnenfrage
(...)
Die Natur der Arbeiterinnensache bringt eine Fülle von Schwierigkeiten mit sich. Von allen Seiten wird zugegeben, wie mühevoll es sei, an die Arbeiterinnen überhaupt heran zu kommen, ihnen die Notwendigkeit der Organisation klar zu machen und sie - wenn sie gewonnen - dauernd festzuhalten.[5]
Daraus erhellt, daß Arbeitskräfte dafür dringend notwendig sind und dazu herangebildet werden müssen. Vorzüglich geeignet für die Agitation unter den Arbeiterinnen sind die bereits organisierten Arbeiterinnen selbst; da aber diese Frauen oft durch die doppelte Last der Berufsarbeit und der Sorge für die Familie gehindert sind, so müssen sie durch Mitarbeiterinnen aus anderen Kreisen unterstützt werden.
Wir dürfen uns nicht verhehlen, daß für die Frauen und Frauenvereine, welche diese Arbeit in Angriff nehmen, eine große Erschwerung durch die im ersten Abschnitt dieser Abhandlung dargestellte Zersplitterung innerhalb der deutschen Gewerkschaftsbewegung liegt. Das darf jedoch nicht entmutigen. Wir müssen hier vertrauensvoll auf eine Entwicklung hoffen, welche durch die Arbeiterschaft selbst herbeigeführt werden wird, wenn innerhalb derselben der Gedanke immer mehr an Boden gewinnt, daß einheitliches Vorgehen ein Haupterfordernis ist, um die gewerkschaftlichen Aufgaben zu erfüllen.
Noch schwieriger liegt die Sachlage auf einem andern Gebiet, nämlich in der Stellung der politischen sozialdemokratischen Führerinnen zu den bürgerlichen Frauen und deren Vereinen. Grundsätzlich hat in den Augen der politischen sozialdemokratischen Führerinnen nur diejenige Leistung Wert, die auf dem Boden des Klassenkampfes erfolgt. Wohl kann man den Klassenkampf in seinen Ursachen und unter den jetzigen sozialen Verhältnissen begreiflich finden, aber die von einzelnen Führerinnen dafür angewandten Mittel und Waffen müssen nicht allein als unwürdig gekennzeichnet werden, sondern sie schädigen auch die Sache der Arbeiterinnen. Sie schädigen die Sache der Arbeiterinnen, weil durch den Ton, den einzelne Führerinnen (durchaus das sei besonders betont) in Versammlungen und nicht alle, Artikeln gegen alles, was nicht sozialdemokratisch ist, anschlagen, Hilfskräfte, die gern für die Sache der Arbeiterinnen eintreten würden, zurückgestoßen und von den Arbeiterinnen fern gehalten werden. Und denen, die trotz aller Anfeindungen sich der Arbeiterinnensache und speziell der Arbeiterinnenorganisation widmen, wird die Arbeit durch diese gehässige Art erschwert, ja geradezu unterbunden, besonders durch das Mißtrauen, das unter den Arbeiterinnen gegen die bürgerlichen Frauen hervorgerufen wird. Es scheint, als sei dies auch der Zweck der betreffenden Führerinnen, sie wollen die Arbeiterinnensache gewissermaßen monopolisieren. Aber gerade damit begehen sie ein schweres Unrecht gegen die Arbeiterinnen. Die Arbeiterinnenfrage ist eins der schwierigsten sozialen Probleme. Eine Partei und eine kleine Schar auf das Parteiprogramm eingeschworener Frauen ist gar nicht imstande, sie zu lösen. Aus allen Kreisen, aus allen Schichten unseres Volkes müssen sich Kräfte dafür finden, und gerade die Frauenbewegung als solche ist dazu in erster Linie berufen. Wir sprechen den dringenden Wunsch und die feste Hoffnung aus, daß ungeachtet aller Schwierigkeiten die Vertreterinnen der Frauenbewegung sich nicht von der Arbeiterinnensache abwenden lassen werden. (...)
Berufsorganisation und Frauenbewegung
(1907)
In der richtigen Erkenntnis der Tatsache, daß es heutzutage dem Einzelnen nicht mehr möglich ist, seinen Wünschen und Forderungen in der Öffentlichkeit Geltung und Berücksichtigung zu verschaffen, haben auch die Frauen in sämtlichen Berufen, in denen sie bis jetzt tätig sind, dem Beispiel der Männer folgend, Organisationen gegründet, zum Zweck wirkungsvoller Vertretung ihrer Interessen. Diese Organisationen haben sich alle unabhängig von den bereits bestehenden Männervereinigungen gebildet. Eigentlich wäre es unendlich einfacher und vielleicht auch praktischer gewesen, wenn sich die Frauen, nachdem sie doch einmal den oder jenen Beruf ergriffen haben, den vorhandenen Männerorganisationen eingegliedert hätten. Dem widersprechen edoch zwei gewichtige Gründe. Einmal wäre es mehr als fraglich gewesen, ob die »Herren Kollegen« die neuen Standesgenossinnen überhaupt in ihre Mitte aufgenommen hätten, - man denke an die Lehrerin oder Handlungsgehilfin - andererseits aber sind die Interessen der weiblichen Angehörigen eines Berufs heute noch vielfach andere als die der Männer und könnten sicher in einer vorwiegend aus letzteren bestehenden Vereinigung nicht in dem Maße Berücksichtigung finden, wie dies in den Frauenorganisationen der Fall ist. Denn die Frau muß, besonders in den beiden oben angeführten Berufen, neben der Förderung der allgemeinen Standesinteressen noch um das Recht der Gleichstellung mit dem Mann, sowohl hinsichtlich ihrer Vorbildung als ihrer nachherigen Position, kämpfen und für diese beiden Punkte wäre, wenigstens im jetzigen Zeitpunkt, auf die Mitwirkung der männlichen Kollegen nur in sehr beschränktem Maße, wenn überhaupt, zu rechnen. Es ist dabei jedoch nicht ausgeschlossen, daß die Frauen, als korporatives Element, trotzdem in vielen Punkten mit den Organisationen der Männer des gleichen Berufs zusammenarbeiten, wie dies z. B. in dem »Deutschen Verband kaufm. Vereine« und den Vereinigungen für Pensionsversicherung der Privatbeamten der Fall ist.
Wie oben schon angeführt, ist der Zweck der Berufsorganisation lediglich die Wahrung und Förderung der jeweiligen Standesinteressen und es ist allerdings auch in den Frauenvereinigungen hierin noch viel zu tun übrig. Aber über dem nächstliegenden sollte man das höhere Interesse der Frau nicht vergessen. Neben bezw. mit der Erstrebung der beruflichen Gleichstellung der Frau mit dem Manne muß notwendigerweise auch die der bürgerlichen Gleichberechtigung erfolgen und bei objektiver Prüfung der Verhältnisse ist sicher die letztere das ausschlaggebende Moment. Ist ihr einmal diese geworden, so müssen ihr notgedrungen alle anderen Rechte auch zu teil werden. Ohne die Gleichberechtigung der Frau in politischer Beziehung ist eine berufliche nahezu ausgeschlossen. Hätten die Frauen heute schon Einfluß auf die Gesetzgebung, wie anders sähe es wohl in manchen Berufen aus und wieviel Frauenenergie und Intelligenz, die heute noch im aufreibenden Kampf um die Verleihung der bürgerlichen Rechte verbraucht wird, könnte andern Gebieten zugewendet werden. Aber auch wieviel freudiger könnten die Frauen ihrem Berufe nachgehen, wenn ihnen dann nicht mehr auf Schritt und Tritt künstliche Hindernisse in den Weg gelegt würden, wenn sie als freie Persönlichkeiten den ohnehin schweren Kampf ums Dasein aufnehmen könnten. Allein, die Frau in ihrer Mehrzahl hat diesen Gedankengang noch nicht erfaßt und selbst die, denen er am nächsten liegen müßte, beweisen durch die Tat, daß sie dessen Tragweite noch nicht kennen. Es ist verwunderlich, daß Frauen, die in den Berufsorganisationen fortschrittlich und weitblickend sind, vor der letzten Konsequenz ihrer Bestrebungen Halt machen und sich der fortschrittlichen Frauenbewegung wenn nicht ablehnend, so doch passiv gegenüber verhalten. Sie verkennen dadurch ganz, wie sehr ihre Sonderbestrebungen von der Entwicklung der sogen. »Frauenemanzipation« abhängig sind. Ein Erfolg auf diesem Gebiet wird zweifellos auch seine Reflexe auf das berufliche Leben der Frau werfen.
Die fortschrittliche Frauenbewegung, die als nächstes Ziel die Erlangung der vollständigen politischen Gleichstellung der Frau mit dem Manne aufstellt, stößt in den Reihen der Frauen selbst noch auf viel Unverständnis und Indolenz, von direkter Gegnerschaft gar nicht zu reden. Hier sollten nun die beruflich tätigen Frauen zeigen, daß ihr Beruf sie nicht nur befähigt, ihren Lebensunterhalt selbständig zu erwerben, sondern daß sie auch in der Lage sind, die Not ihres Geschlechts zeitig zu erfassen und die gegebenen Mittel zu deren Linderung zu benutzen. Die im Beruf stehenden Frauen müssen die Bestrebungen der fortschrittlichen Frauenvereine zu ihren eigenen machen.
Zu diesem Zweck ist vor allem nötig, daß sich die weiblichen Berufsorganisationen, einerlei welche Standesinteressen sie im speziellen vertreten, ihrer Bedeutung für die fortschrittliche Frauenbewegung bewußt werden. In unserem heutigen Industriestaat fallen die von wirtschaftlichen Interessengruppen gestellten Forderungen bekanntermaßen weit schwerer in die Wagschale, als irgend andere. Man ist heute schon in gewissen parteipolitischen Kreisen so weit, den beruflich tätigen Frauen das Recht auf Gleichstellung mit dem Manne nicht mehr abzusprechen und man sollte meinen, schon die einfache wirtschaftliche Notwendigkeit, in der Erringung einer gesicherten Lebensstellung nicht schon von vornherein dem Manne gegenüber ungünstiger dazustehen, müsse die beruflich organisierten Frauen zwingen, Schulter an Schulter mit den »Fortschrittlichen« für die vollständige bürgerliche Gleichberechtigung zu kämpfen. Dadurch würden die einzelnen Sonderinteressen der verschiedenen Berufszweige noch lange nicht, wie befürchtet werden könnte, in den Hintergrund gedrängt. Im Gegenteil, durch die Hereinbeziehung dieser für alle so unendlich wichtigen Frage auch in die Tätigkeit der Berufsvereine würde diese eine wertvolle Bereicherung erfahren und die vitalsten Interessen der Mitglieder sicher auf diese Weise noch weit mehr gefördert, als dies jetzt schon der Fall ist.