Bedingungen und Bewertung der Frauenerwerbsarbeit

Männerlöhne sind Familienlöhne, Frauenlöhne
persönliche. Wirkung: die proletarische
Ehefrau wird die Sklavin eines Sklaven; und
Entstehung der Annahme, daß der Mann der
Brotverdiener, daß die Hausarbeit der Frau,
offenbar unentgeltlich, überhaupt keine Arbeit
sei; daß Frauen, wenn sie für ihre Arbeit unmittelbar
bezahlt werden, schlechter bezahlt
werden sollen als Männer.
BERNARD SHAW

Gesetzlicher Arbeiterinnenschutz

Antrag zum Parteitag der sozialdemokratischen
Partei 1899 in Hannover

Genossinnen Zetkin und Braun: Der Parteitag fordert die Genossinnen und Genossen auf, in thatkräftiger Weise eine in nächster Zeit zu entfaltende allgemeine Agitation der Genossinnen für den weiteren Ausbau des gesetzlichen Arbeiterinnenschutzes zu unterstützen und für folgende Forderungen einzutreten:

  1. Absolutes Verbot der Nachtarbeit für Frauen.
  2. Verbot der Verwendung von Frauen bei allen Beschäftigungsarten, welche dem weiblichen Organismus besonders schädlich sind.
  3. Einführung des gesetzlichen Achtstundentages für die Arbeiterinnen.
  4. Freigabe des Sonnabend-Nachmittag für die Arbeiterinnen.
  5. Ausdehnung der Schutzbestimmungen für Schwangere und Wöchnerinnen auf mindestens 1 Monat vor und 2 Monate nach der Entbindung; Beseitigung der Ausnahmebewilligungen von diesen Bestimmungen auf Grund eines ärztlichen Zeugnisses.
  6. Ausdehnung der gesetzlichen Schutzbestimmungen auf die Hausindustrie.
  7. Anstellung weiblicher Fabrikinspektoren.
  8. Sicherung völliger Koalitionsfreiheit für die Arbeiterinnen.
  9. Aktives und passives Wahlrecht der Arbeiterinnen zu den Gewerbegerichten.

Die deutschen Arbeiterinnenschutzgesetze
(1906)

 

Wenn man die Frage ins Auge fasst, weshalb besondere Schutzbestimmungen für Frauen erlassen worden sind, insbesondere warum die Arbeitszeit der Frauen so eingehend geregelt ist, während für Männer nur der hygienische Maximalarbeitstag eingeführt worden ist (d. h. die Regelung in besonders gesundheitsschädlichen Gewerben), so ergibt sich aus einer Prüfung der Arbeiterinnenschutzbestimmungen, daß der Gesetzgeber vor allem die Frauen in ihrer Eigenschaft als »Frauen«" als Mütter des kommenden Geschlechts schützen und gesund erhalten wollte, und daß ihre häuslichen und Familienpflichten beider Berufsarbeit wenigstens in etwas berücksichtigt werden sollten. Teils zielen die Bestimmungen darauf ab, eine Gefährdung der Gesundheit durch überlange Arbeitszeit, die frühe Wiederaufnahme der Arbeit nach der Geburt eines Kindes zu verhindern, wodurch häufig schwere Frauenleiden entstehen, die die Frauen dauernd unfähig machen, gesunde Kinder zur Welt zu bringen.
Auch soll dem Kind in den ersten Lebenswochen die Pflege der Mutter erhalten bleiben, damit es in dieser Zeit, die für seine Entwicklung besonders wichtig ist, keinen außergewöhnlichen Gefahren ausgesetzt wird. Auf der andern Seite lässt die verlängerte Mittagspause für Frauen, die ein Hauswesen zu besorgen haben, und die Freigabe des Sonnabend Nachmittag darauf schließen, daß die Frauen für ihre häuslichen Aufgaben Rücksichtnahme finden sollen.
Es ist nun namentlich in den letzten Jahren wiederholt darauf hingewiesen worden, daß diese Bestimmungen nicht annähernd ausreichen, wenn ihr Zweck, der Schutz der Frau und des Familienlebens, wirklich erreicht werden soll. Und so ist denn eine lebhafte Bewegung entstanden, die auf eine Erweiterung der bestehenden Schutzgesetze abzielt. Vielfach, namentlich aus Zentrumskreisen, hat man den Ausschluss der verheirateten Frauen aus der Fabrik angestrebt und die Gesetzgebung zu einem Verbot der Fabrikarbeit verheirateter Frauen veranlassen wollen. Dem steht aber entgegen, daß eine solche Maßregel nicht Schutz, sondern Beschränkung, nicht Segen, sondern Unheil für die arbeitenden Klassen bedeuten würde. Denn die verheiratete Frau geht in der Regel nicht aus Übermut in die Fabrik; sie vernachlässigt nicht ihre Kinder, weil ihr das Leben in der Fabrik besser zusagt, oder weil sie mit ihrem Verdienst Luxusbedürfnisse befriedigen will. Sie geht in die Fabrik, wenn die Not sie dazu zwingt, wenn sie keine andere Lebensmöglichkeit besitzt, wenn sie sich und ihre Kinder vor Hunger schützen will. Eingehende Untersuchungen haben ergeben [1], daß die verheirateten Fabrikarbeiterinnen vorwiegend geschiedene oder eheverlassene Frauen sind, oder Frauen, deren Männer krank und nicht voll erwerbsfähig sind. Eine Frau, deren Mann die Familie ernähren kann, pflegt nicht in die Fabrik zu gehen. Wenn sie durch ihre häusliche Beschäftigung und durch die Verpflegung ihrer Kinder nicht ganz ausgefüllt ist, so sucht sie einen Nebenerwerb durch Arbeiten, die sie im Hause verrichten kann. Zwar werden diese Arbeiten meist schlechter bezahlt als die Fabrikarbeit, aber sie lassen die Möglichkeit, die Arbeit ganz nach Belieben zu unterbrechen und die Erfüllung häuslicher Auf gaben damit zu vereinigen. Die Fabrik aber, die zwar höhere Bezahlung gibt, beansprucht die Arbeiterin von morgens 6 bis abends 6 oder 7 Uhr, so daß die Arbeiterin ihren Kindern nicht Mutter sein kann. Dazu kommt dann, daß die Frau, die abends müde und abgearbeitet heim kommt, zu einer Zeit den Haushalt zu ordnen und zu versehen hat, in der sich der Mann der wohlverdienten Ruhe hingeben kann; und so sind denn die verheirateten Frauen, die in die Fabrik gehen, doppelt belastet. Aus diesem Grunde pflegen nur solche Frauen Fabrikarbeit zu suchen, die mit einem geringen Verdienst nicht vorlieb nehmen können; und denen darf die Möglichkeit, in der Fabrik ihr Brot zu verdienen, nicht vorenthalten werden.
Wenn aber die Arbeit der Frauen, auch der verheirateten, in der Fabrik notwendig ist, so ist unbedingt wünschenswert, die Schutzgesetze weiter als bisher auszudehnen und auszubauen, damit der Zweck des Gesetzes, der gesundheitliche Schutz der Frauen, der Schutz der Familie und des Hauses tatsächlich erreicht wird. In erster Linie wird zu diesem Zweck nicht nur von den deutschen Frauen, sondern auch von den meisten großen politischen Parteien eine Herabsetzung des Maximalarbeitstages zunächst auf 10 Stunden gewünscht, eine Forderung, die längst spruchreif ist, deren Erfüllung durch Untersuchungen der Regierung [2] sich als durchführbar erwiesen hat. Man sollte die Arbeiterinnen, die um dieses Zugeständnis schon die schwersten Kämpfe geführt haben - es braucht nur an den Krimmitschauer Streik vom Jahre 1903-04 erinnert zu werden - nicht länger warten lassen, um so mehr, als schon der größte Teil aller Betriebe, die Frauen beschäftigen, nicht länger als 10 Stunden arbeiten läßt und durch eine gesetzliche Verallgemeinerung der Maßregel nur die rückständigen Unternehmer zum Fortschritt gezwungen würden. In Ergänzung des Zehnstundentages ist die Freigabe des Sonnabend Nachmittages für die Frauen zu fordern, wie das in England bereits allgemein üblich ist, damit sie diese Zeit zur Instandsetzung des eigenen Haushaltes oder ihrer Kleidung und Wäsche verwenden können. Nur dann würde der Sonntag auch für die Frauen zu einem wahren Ruhetag werden. Ferner wird eine Heraufsetzung des Schutzalters für Jugendliche von 16 auf 18 Jahre gewünscht. [3]
Ebenso wichtig aber ist die Forderung nach einem besseren Schutz der Frauen vor und nach der Geburt ihrer Kinder. Man sollte den Frauen die Möglichkeit geben, in den letzten Wochen vor der Niederkunft der Arbeit fern zu bleiben und ihr Kind länger als 6 Wochen zu pflegen und zu nähren. Durch die Überanstrengung in dieser Zeit gerade sind die Frauenleiden in den Kreisen der Arbeiterinnen so besonders häufig, ist die Kindersterblichkeit so erschreckend hoch und der Gesundheitszustand der Kinder so ungünstig. Zunächst wäre eine Ausdehnung des Verbotes der Arbeit für Wöchnerinnen dahin zu fordern, daß die Frauen etwa 2 Wochen vor und 6 Wochen nach der Geburt des Kindes, im ganzen 8 Wochen von der Arbeit fern bleiben müssten. Natürlich ist ein solches Gesetz nur möglich, wenn man den Frauen einen Ersatz für den ausfallenden Lohn bietet. Ein Ansatz dafür ist in Deutschland bereits durch das Krankenversicherungsgesetz[4] gemacht, welches bestimmt, daß die Wöchnerinnen für die Zeit, in der sie nicht arbeiten dürfen (4 resp. 6 Wochen) ein Krankengeld erhalten, meist in der Höhe der Hälfte des ortsüblichen Tagelohns. Leider aber trifft diese Bestimmung, ebenso wie die meisten Schutzgesetze, nur die Fabrik und Werkstättenarbeiterinnen und die Heimarbeiterinnen [5]. Die Dienstmädchen und Landarbeiterinnen sind davon ausgeschlossen. Außerdem ist die Unterstützung viel zu niedrig, der Zeitraum von Arbeitsruhe und Unterstützung zu kurz, so daß eine Erweiterung in dem eben angeführten Maße dem Ideal einer Mutterschaftsversicherung wenigstens etwas näher käme.
Diesem Programm zur Erweiterung der Arbeiterinnenschutzgesetze hat man von den verschiedensten Seiten Bedenken entgegen gestellt. Auf der einen Seite ist die Frage auf geworfen worden, warum man denn so weitgehende Forderungen für den Schutz der Frauen von Seiten des Staates erhebt, während man es im Großen und Ganzen den männlichen Arbeitern überlässt, sich selbst zu schützen. Ganz besonders ist aus den Kreisen radikaler Frauenrechtlerinnen - mehr in Frankreich, England, Finnland, den skandinavischen Ländern als in Deutschland - auf diesen Punkt hingewiesen worden. Verschiedentlich haben sie unter Anerkennung der Tatsache, daß die Frau einen anderen Schutz braucht als der Mann, die Frage gestellt, warum denn die Frauen sich diesen Schutz nicht auch durch Selbsthilfe verschaffen sollen. Und weiter ist von Frauenrechtlerinnen betont worden, daß die Frauen doch keine Vorrechte fordern sollen, wenn sie im übrigen nach Gleichberechtigung im öffentlichen Leben und Staat streben. Durch die Arbeiterinnenschutzgesetze, so wurde behauptet, lassen sich die Frauen den Kindern und Unmündigen gleichstellen. Auch wurde der Ansicht Ausdruck gegeben, daß die Frauen durch solche Schutzgesetze leicht vom Arbeitsmarkt verdrängt werden dürften, da die Unternehmer vorziehen würden, männliche Arbeiter anzustellen, wenn die Beschäftigung der Frauen von besonderen erschwerenden Bedingungen abhängig gemacht wird. Oder die Frauen würden unter solchen Umständen nur sehr niedrig entlohnte, schlechte Arbeitsplätze erlangen können.
Diese Einwände müssen eingehend nach ihrer Berechtigung geprüft werden. Zunächst die Forderung, daß eine Verkürzung der Arbeitszeit nicht vom Staate ausgehen, sondern von den Frauen selbst erkämpft werden solle, wie das von den Gewerkschaften auch für die Männer in vielen Fällen geschehen sei. Gerade dieses Argument gegen die Gesetze zum Schutze der Arbeiterinnen zeigt aber, wie notwendig das Eingreifen des Staates ist. Denn die Geschichte der Arbeiterinnenbewegung - nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Staaten hat gelehrt, daß die Frauen sich durch ihre Berufsorganisation keinen ausreichenden Schutz erobern können. »Die Organisation hilft nur denen, die sich selbst helfen«, und die arbeitenden Frauen sind zu einem großen Teil in einer völlig hilflosen Lage. Sie können sich dieses Mittels - der Selbsthilfe - nicht bedienen. Die Frauenarbeit ist noch in viel stärkerem Maße als die männliche ungelernte Arbeit, und ungelernte Arbeiter, die jederzeit zu ersetzen sind, können in sich auch durch die Organisation keine günstigen Arbeitsbedingungen sichern. Sie müssen hinnehmen, was ihnen vom Arbeitgeber geboten wird, weil sie durch ihre Ersetzbarkeit widerstandsunfähig sind. Dazu kommt noch, daß auch die Industriearbeiterinnen, die nicht eigentlich ungelernte Arbeit tun, an den Organisationen in geringer Anzahl teilnehmen. Das ist nicht nur auf das veraltete Vereinsrecht vieler deutscher Staaten zurückzuführen, das die Frauen in ihrer Bewegungsfreiheit beschränkt. Es hängt wohl auch damit zusammen, daß die Frauen jahrhundertelang isoliert in ihren Haushaltungen gearbeitet haben, ohne daß ihr Solidaritätsgefühl sich entwickeln konnte. Es ist wahrscheinlich auch dem sehr niedrigen Frauenlohn zuzuschreiben, der es den Frauen oft unmöglich macht, auch nur wenige Pfennige als regelmäßigen Gewerkschaftsbeitrag zu zahlen.
Schließlich aber ist sicherlich die Tatsache, daß ein großer Prozentsatz aller arbeitenden Frauen nur vorübergehend im Berufsleben steht, daß die jüngeren Arbeiterinnen ihren Beruf als Übergangsstadium ansehen und auf eine spätere Versorgung durch die Ehe rechnen, mit daran schuld, daß sie weniger Interesse an der Organisation nehmen, die ihnen für die Zukunft eine Besserung der Arbeitsbedingungen verheißt. Alle diese Schwierigkeiten machen es doppelt notwendig, daß die Arbeiterin von Seiten des Staates Hilfe erhält, damit ihr wenigstens das Mindestmaß von Schutz gesichert wird, das die Männer sich längst selbst erkämpft und verschafft haben. Nur auf diese Weise kann den Frauen ein gleicher Schutz wie den Männern zuteil werden; nur auf diese Weise können sie auch verhindert werden, auf die Arbeitsbedingungen und Löhne der Männer zu drücken und diese zu unterbieten. Die Meinung, daß die Frauen mit solchen Schutzgesetzen Vorrechte beanspruchen, die sich mit den Prinzipien der Gleichberechtigung von Mann und Frau nicht vereinigen lassen, ist insofern hinfällig, als diese Bestimmungen keineswegs einseitig im Interesse der Frauen gegeben werden, sondern vor allem im Interesse des Staats, der Gesundheit und des Wohlstandes der ganzen Nation. Sie werden gegeben, weil Männer und Frauen von der Natur mit verschiedenen Auf gaben bedacht sind, weil sie deshalb auch unter verschiedenen Bedingungen ihrer Berufsarbeit nachgehen müssen. Die Frau müsste doppelt so kräftig sein wie der Mann, wenn sie die gleiche Berufsarbeit neben ihren anderen Pflichten erfüllen sollte. Einer besonderen Leistung der Frau soll ein besonderer Schutz gegenüber stehen.
Auch der Einwurf, daß die Frauen durch solche Gesetze den Kindern, den jugendlichen gleichgestellt werden, trifft nicht zu. Die deutsche Gesetzgebung unterscheidet nicht auf der einen Seite geschützte Kinder und Frauen, auf der anderen ungeschützte Männer, sondern sie unterscheidet vier verschiedene Kategorien von Arbeitern, von denen jede - ihren besonderen Lebensbedingungen entsprechend - besonderen Gesetzen unterworfen wird: Die Kinder, die jugendlichen Arbeiter, die erwachsenen Frauen und die erwachsenen Männer. daß auch für die erwachsenen Männer unter Umständen eine Regelung der Arbeitszeit wünschenswert sein kann, ist ja in Deutschland durch die Verordnung für Bäckereien u.s.w. anerkannt worden. Gewiss ist ein Maximalarbeitstag für alle Arbeiter wünschenswert. So lange aber die politische Lage ein solches Gesetz nicht zu Stande kommen lässt, soll man nicht auf einen Schutz der Frauen verzichten; vor allem, weil die gesetzliche Regelung der Arbeitszeit für die Frauen sicherlich notwendiger und bedeutungsvoller ist, weil die Frau durch die Bedingungen, die die Natur ihr gestellt hat, mehr als der Mann durch Überanstrengung geschädigt wird. Und auch wenn man für eine allgemeine Regelung der Arbeitszeit - für alle Arbeiter - eintritt, würden für die Frauen - in ihrer Eigenschaft als Träger des kommenden Geschlechtes - immer noch besondere Forderungen in Bezug auf den Schutz der Mädchen im Entwicklungsalter, auf Wöchnerinnenschutz und Mutterschaftsversicherung übrig bleiben.
Gewichtiger als dieser Einwand ist die Frage, ob die Frauen durch Schutzgesetze vom Arbeitsmarkt verdrängt werden, ob ihnen bessere Stellungen vorenthalten, ihre Lage auf dem Arbeitsmarkt erschwert wird. Sicherlich lässt sich vereinzelt nachweisen, daß durch neue gesetzliche Bestimmungen Frauen ihre frühere Arbeitsgelegenheit verloren haben. Aber der wirtschaftliche und kulturelle Fortschritt darf nicht Halt machen, wo das Interesse des Einzelnen im Augenblick bedroht scheint. Es kommt bei allen Schutzgesetzen schließlich darauf an, daß der Zwang, der ausgeübt wird, daß die Freiheitsbeschränkung Einzelner bei der Festsetzung des Arbeitsvertrages dazu führt, die Summe von Freiheit in der Gesellschaft zu erhöhen, daß sie einem weiteren Kreise Freiheit gibt als nimmt. Und wenn man den gesamten Arbeitsmarkt unseres Landes überblickt, so zeigt es sich, daß eine allgemeine Schädigung der Frauen durch die Schutzgesetze keineswegs; herbeigeführt worden ist. Haben die Frauen auch auf einzelnen Gebieten Arbeitsgelegenheiten verloren, so steht dem doch auf anderen ein ungeheurer Gewinn gegenüber. Gerade in den neunziger Jahren, nach Einführung des Maximalarbeitstages für Frauen hat die Frauenarbeit in stärkerem Umfang zugenommen als die Männerarbeit. Es wird schließlich immer darauf ankommen, daß solche Schutzgesetze in Zeiten wirtschaftlichen, Aufschwunges gegeben werden, in denen die Industrie sie tragen kann, in denen sie sich ihnen unterwerfen muss, weil kein Überfluss an Arbeitskräften vorhanden ist.
Wenn somit die Einwendungen, die von Frauenseite gegen den Arbeiterinnenschutz gemacht werden, nicht als stichhaltig anerkannt werden können, so muss noch auf die Bedenken hingewiesen werden, die von Seiten der Unternehmer gegen jede Erweiterung dieser Gesetze vorgebracht werden. In Deutschland wird ein zäher Kampf von Seiten vieler Unternehmerorganisationen gegen jede Maßregel geführt, die ihre Freiheit im Verkehr mit den Arbeitern in irgend einer Weise beeinträchtigen könnte.
Jeder Schritt, der auf sozialpolitischem Gebiet vorwärts getan werden soll, muss diese Widerstände überwinden: Der Ruin ganzer Industrien wird immer wieder in Aussicht gestellt. Die Verteuerung der Waren und der Verlust von Exportindustrien, die Erschwerung der Konkurrenz auf dem Weltmarkte werden als Argumente im Kampf vorgebracht. Tatsächlich lassen alle Erfahrungen darauf schließen, daß von den Unternehmern mehr ein Kampf um die Macht, um die ungehinderte Bewegungsfreiheit geführt wird, und daß eine wirkliche Beeinträchtigung ihrer Existenz, die auf die Lage der Arbeiter zurückwirken würde, nicht zu befürchten ist. Gewiss ist ein Fortschreiten des Arbeiterinnenschutzes nur da anzustreben, wo die Industrie im Stande ist, die daraus entstehenden Lasten zu tragen. Aber man braucht nicht zu vergessen, daß doch keineswegs allein in Deutschland solche Vorschriften erlassen werden, daß die meisten Kulturländer ihren Industrien ähnliche Lasten auferlegen, daß der Arbeiterschutz fast überall zu den sozialpolitischen Errungenschaften der letzten Jahrzehnte gehört, und daß er nicht ein einziges Land in eine besonders schwierige Lage versetzt. Außerdem aber pflegt ein Land, das einen weitgehenden Arbeiterschutz hat, sich eine gesunde und leistungsfähige Bevölkerung zu sichern, und diese wiederum kann durch ihre Leistungsfähigkeit besser als tiefstehende Nationen ihren Exportindustrien einen Platz auf dem Weltmarkt behaupten; vielleicht nicht immer auf Grund der Billigkeit, aber auf Grund der Qualität ihrer Erzeugnisse. Wie die einzelne Fabrik nicht weniger und nicht teurer zu produzieren pflegt, wenn sie ihren Arbeitern gesunde Arbeitsbedingungen schafft, so pflegt auch ein ganzes Volk sich in der Konkurrenz mit anderen besser behaupten zu können, wenn es hochstehende Arbeiter hat, die unter hygienischen Bedingungen leben, als wenn es aus verelendeten, ausgebeuteten Arbeitermassen besteht.
Wenn aber eine Exportindustrie sich nur halten kann, weil die Arbeiter unter ungünstigen Bedingungen leben, weil sie länger arbeiten und schlechter bezahlt werden als die Arbeiter anderer Länder, dann exportiert der Unternehmer zunächst auf Kosten der Arbeiter, dann auf Kosten des ganzen Staates, dem eine gesunde und leistungsfähige Generation verloren geht, der dann frühzeitig gealterte und kranke Arbeiter erhalten muss. Die auf diese Weise hergestellten Gegenstände sind, selbst wenn sie den Konsumenten billig erscheinen, niemals billig für die Nation. Sie sind die einzigen Waren, die zu keinem Preise billig sind; ihre Herstellungsart ist ein Prozess der Verarmung. Vom Gesichtspunkt des Staates ist das überhaupt kein Schaffen, sondern Vergeuden. Wenn Industrien bei dem Wettbewerb auf dem Weltmarkt sich nur dadurch halten können, daß die Produktionskosten durch Verschlechterung der Arbeitsbedingungen verringert werden und der Staat dem durch Verschonung bestimmter Industrien mit Schutzgesetzen Vorschub leistet, so könnte er eben so gut den Unternehmern Prämien zahlen oder Wechsel auf die Staatskasse ausstellen[6]
Im Interesse der arbeitenden Frauen, aber auch im Interesse des gesamten Volkslebens muss deshalb ein Fortschreiten auf der beschrittenen Bahn gefordert werden. Nicht nur im Sinne eines Ausbaus der Gesetzgebung für die Kategorien von Arbeitern, die schon heute geschützt sind, sondern vor allem auch durch Schaffung eines entsprechenden Schutzes für die Heimarbeiter, die ländlichen Arbeiter und die häuslichen Angestellten. Während der Mangel eines Schutzes für die letztgenannten Kategorien schon an sich schwer genug empfunden wird, ist er in Bezug auf die Heimarbeit von ganz besonderer Bedeutung. So lange ein Teil der gewerblichen Arbeiter solchen Gesetzen nicht untersteht, bleibt der Schutz der Fabrikarbeiter ein toter Buchstabe. Der Maximalarbeitstag in den Fabriken kann dadurch umgangen werden, daß nach Schluss der Fabrik den Frauen Arbeit mit nach Hause gegeben wird, und auch darüber hinaus bietet der Schutz der Fabrikarbeiterinnen den Unternehmern einen Anlass, die Heimarbeit zu vermehren. So wird schließlich der Mangel eines Schutzes der Heimarbeiter auch noch zum Hemmnis der Fortführung der Fabrikschutzgesetzgebung. Man fürchtet die Verhältnisse zu verschlechtern statt sie zu bessern, so lange nicht die Fabrikgesetze durch einen Schutz der Heimarbeiter ergänzt werden. Die Forderung des Heimarbeiterschutzes enthält daher eine doppelte Aufgabe: er müsste sowohl den Heimarbeitern, als auch den Fabrikarbeitern zu gute kommen, müsste beide Gruppen der Arbeiter vor den heute wirkenden Schäden der Heimarbeit schützen.
Die Forderung nach einem solchen gesetzlichen Schutz für die arbeitenden Frauen fügt sich als ein Glied in die Kette aller modernen Frauenbestrebungen. ein. Denn auch dieser Schutz, wenngleich er sich zunächst als ein Zwang darstellt, dient doch im letzten Grunde der Ausbildung und Sicherung der freien Persönlichkeit. Und das ist schließlich der Zweck aller sozialpolitischen Maßregeln. Bei genauer Betrachtung zeigt sich, daß die Arbeiterinnenschutzgesetze, die die Frauen beim Abschluss des Arbeitsvertrag, es bestimmten Einschränkungen unterwerfen, sie für ihr gesamtes Leben freier, leistungsfähiger, unabhängiger machen. Die Arbeiterinnenschutzgesetze stellen sich so als eines der wirksamsten Mittel dar, um die Anforderungen der Mutterschaft auszusöhnen und in Einklang zu bringen mit den neuen Aufgaben, die sich der Frau im Erwerbsleben aufdrängen.

Mutterschutz

Resolution der sozialdemokratischen Frauenkonferenz
1906 in Mannheim

Je mehr die Teilnahme der Frau am Berufsleben wächst, desto dringender wird die Frage: Wie vereinigt sich die Frauenerwerbsarbeit mit der Mutterschaft? Besonders die proletarische Frau und ihre Kinder leiden schwer durch diese Doppelbelastung; Unterleibserkrankungen, Erschwerung der Schwangerschaften und Entbindungen, Fehl- und Frühgeburten, frühe Sterblichkeit und Siechtum der Kinder haben häufig ihre Ursache in den ungünstigen Einflüssen der Frauenarbeit.
Der Weg einer Einschränkung (Halbtagsschicht) oder gar eines Verbots der Arbeit verheirateter Frauen ist für uns nicht gangbar. Die Arbeiterfrauen greifen nicht zum Vergnügen zur Lohnarbeit, sondern aus wirtschaftlicher Not, und eine Erschwerung oder ein Verbot der Arbeit außer dem Hause würde die Frau nur noch viel mehr in die ungeschützten Gebiete der Heimarbeit treiben. Ferner aber würden die unehelichen Mütter und Kinder, die den genannten Gefahren ohnehin schon in erhöhtem Grade ausgesetzt sind, ohne Schutz bleiben. Und schließlich sind wir überhaupt nicht für eine solche Einschränkung der Frauenarbeit, weil wir in der letzteren den einzigen Weg zur Frauenbefreiung sehen.
Für uns kommt nur in Frage:

  1. Die Frauenarbeit so zu gestalten, daß sie die Frauen nicht daran hindert, gesunde Mütter gesunder Kinder zu werden, und
  2. Einrichtungen zu schaffen, die den Frauen die Last der Mutterschaft erleichtern.

Zu 1. fordern wir:

  • I. Einführung des Achtstundentags für alle Arbeiterinnen über achtzehn Jahre (des Sechsstundentags für die 14- bis 18jährigen), der durch eine stufenweise Herabsetzung der täglichen Arbeitszeit auf 10 bzw. 9 Stunden für eine kurze, gesetzlich bestimmte Übergangszeit vorbereitet werden kann. Denn jede einseitige Arbeit ist gesundheitsschädlich, wenn sie zu lange dauert.
  • II. Verbot der Beschäftigung von Frauen mit solchen Arbeiten, die ihrer ganzen Beschaffenheit nach die Gesundheit von Mutter und Kind ganz besonders schädigen. Wir denken hier vor allem an Arbeiten, die Vergiftungsgefahren mit sich bringen, an Industriezweige, in denen Blei, Quecksilber, Phosphor, Schwefelkohlenstoff und sonstige Gifte verwendet werden; ferner an Heben und Tragen schwerer Gegenstände und andere speziell den weiblichen Organismus und die Gesundheit der Nachkommenschaft gefährdende Arbeiten.
  • III. Verbot solcher Arbeitsmethoden, die den weiblichen Organismus gefährden, vor allem Ersetzung der Maschinen mit Fußbetrieb (Pressen, Heftmaschinen, Näh- und Strickmaschinen) durch solche mit mechanischer Kraft. Wo diese Forderung zu einer Begünstigung der Heimarbeit führen könnte, wie z. B. in der Konfektionsindustrie, muss dem durch Einrichtung von Betriebswerkstätten vorgebeugt werden.

Zu 2 fordern wir:
Von der Arbeiterschutzgesetzgebung:

  • I. Das Recht der kündigungslosen Einstellung der Arbeit 8 Wochen vor der Niederkunft.
  • II. Ausdehnung des Arbeitsverbots für Wöchnerinnen auf 8 Wochen, wenn das Kind lebt - auf 6 Wochen nach Fehl- und Totgeburten, oder falls das Kind innerhalb dieser Frist stirbt.

Von der Krankenversicherung:

  • I. Obligatorische Gewährung einer Schwangerenunterstützung (die das Kranken-) (Versicherungs) G(esetz) bis jetzt in das freie Ermessen der Kasse stellt) im Fall der durch die Schwangerschaft verursachten Erwerbslosigkeit auf die Dauer von 8 Wochen.
  • II. Freie Gewährung der Hebammendienste und freie ärztliche Behandlung der Schwangerschaftsbeschwerden.
  • III. Ausdehnung der Wöchnerinnenunterstützung von 6 auf 8 Wochen, falls das Kind lebt, und wenn die Mutter fähig und willens ist, ihr Kind selbst zu stillen, auf die Dauer von mindestens 13 Wochen; Ausdehnung der Krankenkontrolle auf die Zeit von der 8. Woche ab.
  • IV. Erhöhung des Pflegegeldes an Schwangere, Wöchnerinnen und Stillende für die Dauer der Schutzfrist auf die volle Höhe des durchschnittlichen Tagesverdienstes.
  • V. Obligatorische Ausdehnung der unter 1-3 angeführten Bestimmungen auf die Frauen der Kassenmitglieder.
  • VI. Ausdehnung der Krankenversicherungsfälle auf alle lohnarbeitenden Frauen, auch die landwirtschaftlichen Arbeiterinnen, Heimarbeiterinnen und Dienstboten sowie überhaupt auf alle Frauen, deren jährliches Familieneinkommen 3000 Mark nicht übersteigt.

Von der Gemeinde:

  • Errichtung von Entbindungsanstalten, Schwangeren-, Wöchnerinnen- und Säuglingshelmen, Organisation der Wöchnerinnenhauspflege, Beschaffung guter keimfreier Kindermilch sowie Gewährung von Stillprämien, solange diese Periode nicht in die Unterstützungsfrist einbezogen ist.

Vom Staate:

  • Gewährung von Zuschüssen sowohl an die Krankenkassen als auch an die Gemeinde, damit diese den genannten Mutterschutzforderungen gerecht werden können.

Aufklärung der Frauen über die richtige Erfüllung ihrer Mutterpflichten durch Aufnahme der Säuglingspflege in den Schulplan der obligatorischen Fortbildungsschulen. Verteilung von Merkblättern mit Regeln für die Pflege und Ernährung des Säuglings und die Pflege der Wöchnerin seitens der Standesbeamten.

Gleicher Lohn für gleiche Leistung (1906)

Vor mehr als zwei Menschenaltern hat Thomas Hood das Los einer Näherin mit den Worten geschildert:

»Schaffen - Schaffen - Schaffen -
Und der Lohn! Ein Wasserhumpen,
Eine Kruste Brot, ein Bett von Stroh,
Dort das morsche Dach - und Lumpen!
Ein alter Tisch, ein zerbrochener Stuhl,
Sonst nichts auf Gottes Welt!
Eine Wand so bar -'s ist ein Trost sogar,
Wenn mein Schatten nur drauf fällt.«

Diese Worte können noch heute als Gleichnis für die Entlohnung der meisten Frauen gelten. Welchem Beruf sich die Frauen auch heute zuwenden mögen, überall wird es ihnen schwer gemacht, sich durch ihre Arbeit ausreichende Mittel zum Lebensunterhalt, zu einer anständigen Lebensführung zu verschaffen. Der alte volkswirtschaftliche Lehrsatz, daß die Arbeit die Quelle allen Reichtums ist, hat für die Frauen schlechthin keine Geltung. Denn die Frauen, die ihr Leben lang gearbeitet haben, sind meist nicht reich geworden, und die Frauen, die reich geworden sind, haben das meist nicht durch ihre Hände oder ihres Kopfes Arbeit erreicht. Die Löhne der Frauen in den verschiedensten Berufssphären zeigen die traurige Gemeinsamkeit eines auffallenden Tiefstandes.
Diese Tatsache hat dazu geführt, daß man sich in allen Kreisen die Frage nach den Ursachen der niedrigen Frauenlöhne vorlegt. Männer haben die Frauenarbeit bekämpft, weil sie durch die Frauen unterboten wurden, weil sie in ihnen unlautere Konkurrentinnen, Lohndrückerinnen sahen. Die Frauen aber haben sich bitter über die Ungerechtigkeit der ihnen gezahlten Löhne beklagt. Es ist sogar die Behauptung aufgestellt worden, daß -an den Frauen nur geringere, schlechtere Löhne als den Männern zu bieten wagt, weil sie politisch rechtlos seien. Aus solchen Betrachtungen ist die Forderung »gleicher Lohn für gleiche Leistung«, die sich im Programm der verschiedensten Frauenvereine und politischer Parteien findet, hervorgegangen.
Schon aus der Formulierung dieser Forderung geht hervor, daß Frauen und Männer für gleiche Leistungen nicht immer gleich bezahlt werden, und neben der Konstatierung dieser Tatsache schließt der Ausspruch eine Forderung ein, die aus dem Prinzip der Gerechtigkeit hervorgeht. Aber der Gedanke, von dem man sich bei dem Aufstellen dieser Forderung leiten lässt, der Gedanke der Gerechtigkeit steht zwar im engsten Zusammenhang mit der leitenden Idee der Frauenbewegung, die für die Frauen Gleichberechtigung in der Ausbildung und Ausübung aller Berufe, Gleichberechtigung vor dem Gesetz und dem Staat verlangt und erhofft, alle diese Forderungen durchzusetzen, wenn nur der Glaube an ihre Gerechtigkeit verbreitet werden kann. Aber in Bezug auf das Postulat eines gleichen Lohnes kann dieser Gedanke nicht zutreffend sein. Dieser kann nicht - wie vielleicht noch die Frauen der vorigen Generation glaubten - durch einen Druck auf die Arbeitgeber durchgesetzt werden, denn auf dem Arbeitsmarkt herrschen nicht die Ideen der Gerechtigkeit, sondern die des wirtschaftlichen Vorteils.
Der wirtschaftliche Vorteil aber bedingt, daß die Arbeitgeber die billigste Arbeit nehmen, die sie finden, daß sie billige Arbeit nehmen, wo sie sie finden. Tatsächlich bot sich und bietet sich noch heute die Frauenarbeit den Unternehmern aber fast immer billiger als gleichwertige männliche Arbeit dar. Gerade die Billigkeit der Frau hat ihr Eingang auf dem Arbeitsmarkt verschafft und sie vielfach tatsächlich zu einer gefährlichen Konkurrentin des Mannes gemacht. Nicht nur bei Arbeiten, die sie auf Grund ihrer besseren Geeignetheit übernehmen kann, sondern auch in den Gruben und Bergwerken, auf Bauten und an Hochöfen, eben weil die Frau den Mann unterbot, weil sie als Lohndrückerin auftrat.
Deshalb muss die Forderung gleicher Lohn für gleiche Leistung in erster Linie in unseren eigenen Reihen gelten. Wir müssen unsere Bemühungen darauf richten, daß die Frauen selbst die Ursachen beseitigen, die zu einer ungleichen Entlohnung von Mann und Frau, zu einer geringeren Lohnforderung der Frauen geführt haben.
Die Ursachen der ungleichen Entlohnung sind mannigfacher Art. Zunächst lässt sich feststellen, daß nur in ganz seltenen Fällen die Frauen tatsächlich die gleiche Arbeit wie Männer tun. Namentlich in der Fabrik, wo Mann und Frau oft nebeneinander im selben Arbeitssaal stehen, dieselben Maschinen bedienen, handelt es sich entgegen den allgemeinen Anschauungen um ganz verschiedenartige Handreichungen und Dienste, die von beiden geleistet werden. Die fortschreitende Arbeitszerlegung hat auch hier, wo keine Arbeitsteilung für die Geschlechter durch Gesetz und Recht vorgeschrieben war, zu einer fortschreitenden Differenzierung geführt. Man kann wohl sagen, daß am gleichen Ort und zur gleichen Zeit nur ganz vereinzelt, nur in Ausnahmefällen die Arbeit von Mann und Frau getan wird.
Es sind nicht immer Unterschiede in der Begabung, in der körperlichen Verschiedenheit von Mann und Frau, die zu dieser Arbeitsteilung führen. Sondern vielfach nimmt die Frau eine Stellung ein, für die eine besonders geringe Lehrzeit notwendig ist. Das Vordringen der Frauen auf neue Arbeitsgebiete, das die letzten drei Jahrzehnte gebracht haben, steht in einem engen Zusammenhang zu der Möglichkeit, zahlreiche ungelernte Arbeitskräfte zu verwerten, die durch die moderne Entwicklung von Handel und Gewerbe herbeigeführt worden ist. Als die Maschine die Muskelkraft der Männer - und auch vielfach die gelernte Arbeit - entbehrlich machte, spannte die Industrie Frauen und auch Kinder - ungelernte Arbeitskräfte - in ihren Dienst. Ganz ähnlich lag es in anderen Berufsarten. Den Eintritt in das kaufmännische Gewerbe, in den Staatsdienst - als Post und Bahnangestellte - erlangten die Frauen in einer Zeit fortschreitender Arbeitszerlegung, die die Heranziehung von wenig oder gar nicht vorgebildeten Kräften ermöglichte. Auch zu Lehrerinnen an öffentlichen Schulen wurden Frauen zuerst berufen, nicht weil man ihre besondere Eignung für dieses Arbeitsfeld erkannte, sondern weil es an männlichen Bewerbern fehlte und man daher mit schlechter vorgebildeten Lehrkräften - damals waren die Frauen schlechter vorgebildet vorlieb nehmen mußte. Überall hatten die Frauen den letzten Platz einzunehmen, die niedrigste und schlechtest bezahlte Arbeit zu tun, die besseren Plätze waren überall von Männern besetzt. Unter diesem Zeichen drangen die Frauen in die Erwerbsarbeit ein.
Aber auch wenn man von den Unterschieden in den Leistungen absieht, ist die Bezahlung der Frauen eine schlechtere als die der Männer. Man kann sogar feststellen, daß da, wo eine Frau tatsächlich ausnahmsweise die gleiche Arbeit wie ein Mann tut, ihr meist nicht der gleiche Lohn gezahlt wird. Wo aber Unterschiede in der Quantität oder Qualität der Leistung vorhanden sind, da eigentlich setzt erst die ungleiche, ungerechte Entlohnung ein. Hier wird die Frau nicht entsprechend der geringeren Leistung, sondern nach einem besonderen Maßstab bezahlt.
Aber auch diese Erscheinung ist erklärlich, wenn man die kurze Vergangenheit der Frauen auf dem Arbeitsmarkt verfolgt; wenn man nachforscht, warum sie ihre Forderungen niedriger als der Mann stellen mussten. Jahrhunderte lang haben die Frauen vorwiegend im Haus für die Familie geschafft. Ein Lohnverhältnis, das in Geld ausgedrückt wurde, blieb den meisten fremd. Wohl waren sie gewohnt oft schwere und aufreibende Arbeit zu tun, aber sie taten es aus Liebe zu ihren Angehörigen, oder aus Pflichtgefühl; vielleicht auch, weil sich ihnen keine andere Existenzmöglichkeit bot. Aber sie taten es niemals für Geld. Die Arbeit der Hausfrau wird bis auf den heutigen Tag nicht bezahlt und deshalb auch meist gering bewertet. In ihren persönlichen Bedürfnissen ist die Frau, die ein großes Hauswesen leitet, von ihrem Mann meist durchaus abhängig; abhängiger als die Lohnarbeiterin mit dem geringsten Einkommen. Sogar der Sprachgebrauch hat diese Frauen gewöhnt, den Mann als »Ernährer« zu betrachten, auch wo gar keine Veranlassung dazu vorliegt, wo sie selbst wichtige und unentbehrliche Arbeit tun. Es ist demnach kein Wunder, daß die Frauen, als die bittre Not einer schweren Zeit sie zur Erwerbstätigkeit drängte, ihre Arbeitskraft niedrig bewerteten, daß sie sie um jeden Preis herzugeben bereit waren. Die unbezahlte und unbewertete Arbeit der Hausfrau, die geringe Einschätzung ihrer Arbeitskraft haben die Frauen zu niedrigen Lohnforderungen veranlasst.
Dazu kommt, daß die Frauen nicht im halben Maße wie die Männer nach einer steigenden Entlohnung streben. Das Gros der Frauen rechnet gar nicht damit, den vollen Unterhalt verdienen zu müssen. Während der Mann sich nicht damit begnügt und begnügen kann, den vollen Bedarf für sich selbst durch seine Arbeit zu erlangen, während er den Unterhalt für eine Familie verdienen will, setzt nur in den seltensten Fällen eine Frau den Familienbedarf bei ihren Lohnforderungen mit in Rechnung. Nicht einmal der volle Individualbedarf wird immer angestrebt, - denn unzählige Frauen wollen nur einen Zuschuss zum Familieneinkommen verdienen. Das sind die Ehefrauen, die pensionierten Witwen, die Haustöchter, die womöglich nur ihre Toilettenausgaben und die Unkosten für Theaterbesuche und andere Vergnügungen mit ihrem Verdienst bestreiten wollen. Mit diesen niedrigen Lohnforderungen schaden sich aber nicht nur die Frauen, die nicht aufs Verdienen angewiesen sind, selbst; sondern sie drücken die Löhne ihrer Konkurrentinnen, die von der Arbeit leben müssen, mit herunter. Denn die Lohnbildung vollzieht sich stets innerhalb der Gruppe von konkurrierenden Arbeitern; und die Anlagen, die Ausbildung, das Alter und die Lohnforderungen aller, die für einen Platz überhaupt in Betracht kommen, geben den Ausschlag für die Bedingungen und den Lohn, der schließlich zustande kommt.
Die Tatsache, daß viele Frauen und Mädchen nicht einmal den vollen Individualbedarf anstreben, daß sicherlich die Meisten nicht den Bedarf für eine Familie zu verdienen brauchen, trägt auch wieder dazu bei, daß die Frauen vorwiegend wenig qualifizierte Arbeit tun, daß sie nicht viel Zeit für die Erlernung eines Berufes opfern. Das wird noch verstärkt durch die Erfahrungstatsache, daß ein großer Teil der arbeitenden Frauen jung aus dem Beruf ausscheiden (das Durchschnittsalter der Berliner Handlungsgehilfin beträgt 21Jahre). Die Mädchen sehen ihre Berufsarbeit häufig als Provisorium, als Übergangsstadium an, und deshalb herrscht in allen Klassen eine intensive Abneigung der Eltern wie der Mädchen - gegen eine längere Lehrzeit. Man scheut sich für die Lehrjahre einer Tochter Geld zu opfern, dessen Zinsertrag nicht gewiss erscheint, während das Geld, das man für die Ausbildung des Sohnes verwendet, als vielversprechende Kapitalsanlage angesehen wird. Das Mädchen soll überall so schnell wie möglich einen Verdienst finden, nicht einen Beruf ergreifen; und das drückt der ganzen Frauenarbeit den Stempel des dilettantischen, provisorischen, zufälligen auf und drückt die Löhne auf ein niedriges Niveau herab.
So verschlingen sich die Ursachen der ungleichen Entlohnung zu einem unentwirrbar scheinenden Knoten. Die vorwiegend ungelernte Frauenarbeit, die niedrigste Löhne zur Folge hat, hängt eines Teils zusammen mit dem unentwickelten Stadium der Frauenarbeit, mit der Notwendigkeit, auf dem Arbeitsmarkt da vorzudringen, wo am leichtesten ein Platz zu erobern ist. Sie hängt aber auch zusammen mit der Auffassung der Erwerbsarbeit, die noch in weiten Frauenkreisen den nötigen Ernst vermissen lässt. Durch die ungenügende Ausbildung leidet aber wiederum die Organisationsmöglichkeit und die Widerstandsfähigkeit der Frau. Das ist eine weitere Ursache der niedrigen Löhne. Schließlich hängt die geringe Bewertung der weiblichen Arbeitskraft - wo durch die Frauen selbst - mit der kurzen Vergangenheit der Frauenerwerbsarbeit zusammen. Nur wo es den Frauen gelungen ist für einen ganzen Stand diese Ursachen der schlechten Bezahlung zu beseitigen, die in letzter Linie in dem unentwickelten Stadium der Frauenberufsarbeit, in der dilettantischen Auffassung des Berufslebens und der ungenügenden Ausbildung der, Frauen zu suchen sind, da haben sie auch ihre Gehälter und ihre Löhne den männlichen anzunähern vermocht. In erster Linie kann als Beispiel hierfür der deutsche Lehrerstand genannt werden, der seine vorzügliche Berufsorganisation nutzbar machte, um die Anforderungen an die Mitglieder des Standes immer höher zu stellen. Wenn beispielsweise das Wissen und Können der Volksschullehrerinnen hinter dem ihrer männlichen Kollegen nicht zurückbleibt, so ist es darauf zurückzuführen, daß durch die Initiative der Lehrerinnen die Prüfungsanforderungen für die Frauen immer höhere wurden. Auf Grund dieser Leistungen haben die Frauen dann Gehaltsaufbesserungen durchgesetzt, wie das letzte Preußische Lehrerbesoldungsgesetz sie den Frauen gebracht hat.
Nur wenn in allen Berufszweigen die Frauen in ähnlicher Weise die Anforderungen an sich selbst höher stellen; wenn sie, ebenso wie die Männer, für den Beruf erzogen und tüchtig gemacht werden - gleichviel, ob sie ihn dauernd in vollem Umfange ausüben oder nicht dann nur können die Frauen zu höheren Stufen der Leistungsfähigkeit und zu einer gerechten Entlohnung gelangen. Es muss in den Frauen die Liebe zur Arbeit gepflegt werden, die Berufstreue und Berufshingabe, damit sie während der Dauer ihrer Berufsarbeit den ganzen Menschen einsetzen und auch den vollen Unterhalt für einen ganzen Menschen beanspruchen können. Wir müssen für den gleichen Lohn, den wir fordern, die gleiche Arbeit wie der Mann geben, und zwar nicht nur daßelbe Können, dieselbe Geschicklichkeit, sondern auch dieselbe Ausdauer, Regelmäßigkeit, Hingabe und Beruf streue. Dann wird die Frauenarbeit vordringen, wo sie geeigneter als Männerarbeit ist, nicht weil sie billiger ist. Und auch für die Frauen wird dann die Arbeit zur Quelle allen Reichtums werden.

Wie und in welchem Maße läßt sich die Wertung der Frauenarbeit steigern (1909)

 

Der Mann wird beruflich höher gewertet wegen größerer Fähigkeit, größerer Ansprüche und größerer Lasten. Die beiden letzteren Faktoren bilden die Geschlechtsprämie des Mannes, den Geschlechtszuschlag.
Die Frau wird beruflich geringer gewertet wegen geringerer Fähigkeit, geringerer Ansprüche und geringerer Lasten. Die beiden letzten Faktoren bilden ihren Geschlechtsabzug.
Die gleiche Bewertung von Frauen- und Männerarbeit stößt somit auf Hindernisse verschiedener Art: natürliche und künstliche; äußere und innere; physische und geistige; wirtschaftliche und soziale. Die gleiche Bewertung von Männer- und Frauenarbeit kann nur durch völlige Überwindung dieser Hindernisse bewirkt werden.
Lassen diese Hindernisse sich völlig überwinden? Zur Beantwortung dieser Hauptfrage ist es nötig, zwei Vorfragen zu stellen und zu beantworten.

I.

Lässt sich das Arbeitsgebiet der Frau erweitern?

Daran ist nicht zu zweifeln. Und diese Erweiterung darf eine Grenze nur in der Natur der Frau finden. Wir kennen die natürlichen Fähigkeiten der Frau heute aber noch nicht, denn der Frau ist die freie Berufswahl bisher nie gewährt worden. Die Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern hat sich nach dem Rechte des Stärkeren vollzogen. Die Frauenbewegung erstrebt nun eine Arbeitsteilung nach dem Rechte des Fähigeren, sei dieser Fähigere Mann oder Frau, d. h. sie strebt nach der Aufhebung des Geschlechtsvorurteils (gegen die Frau). Die individuelle Fähigkeit, nicht das Geschlecht soll fürder im Beruf den Ausschlag geben. Im Namen dieses Grundsatzes wird sich eine bedeutende Erweiterung des Arbeitsgebietes der Frau sowohl in Breite wie Höhe bewirken lassen. In Breite, wenn prinzipiell das einzelne weibliche Individuum jeden auch der sogenannten »Männerberufe« ergreifen kann; wenn sich prinzipiell den weiblichen Massen die neutralen Berufe (die von beiden Geschlechtern gleich gut ausgeübt werden können) ebenso weit öffnen wie bisher allein dem Mann (Handel, Bankwesen, Lehrfach, Staats- und Gemeindedienst, freie Berufe). In Höhe, wenn die Frau durch gleichwertige Berufsbildung und Abschaffung aller gesetzlichen Hindernisse die gleiche Anwartschaft auf die besseren Stellen erhält und auch hier eine Arbeitsteilung nach Fähigkeit die Arbeitsteilung nach dem Geschlecht verdrängt. (...)

II.

Lässt sich die Entlohnung der Frauenarbeit im allgemeinen erhöhen?

Jede Erweiterung des Arbeitsgebietes der Frau, die die Konkurrenz auf dem bisherigen Frauengebiet vermindert, jede Hebung ihrer Berufstüchtigkeit, jede Verringerung ihrer spezifischen Berufstörungen werden eine Erhöhung ihrer Entlohnung bedingen. Außerdem gibt es noch drei Mittel, die Wertung der Frauenarbeit direkt zu fördern: Berufsorganisation; politisches Wahlrecht; Erhöhung der Geschlechtsansprüche.
Die Berufsorganisation der Frau steht heute hinter der des Mannes noch weit zurück, eben weil unter den weiblichen Berufsarbeitern die gar nicht oder wenig qualifizierten, die schlecht bezahlten vorherrschen und die Stabilität des weiblichen Berufsarbeiters heute geringer ist. Die Frau ist durchschnittlich im Beruf weniger wurzelständig als der Mann; sie ist weniger zahlungs- d. h. organisationsfähig, und sie hat in allen gut organisierten und allen höheren Berufen mit der grundsätzlichen Feindseligkeit des Mannes zu kämpfen. Gelingt es der Frauenbewegung, der Gewerkschaftsbewegung, dem Sozialismus nun, (auch die Käuferligen und die öffentliche Meinung können wirksam dazu beitragen) die weiblichen Berufsarbeiter stärker und womöglich mit den Männern zusammen zu organisieren (in vielen Fällen wird die besondere Frauenorganisation aber doch bahnbrechend vorhergehen müssen) so wird eine höhere Entlohnung der Frauenarbeit darauf folgen.
Das gleiche gilt von dem Wahlrecht. Die Frau ist heute als Geschlecht außer Stande, ihre Wünsche und Ansprüche wirksam zu vertreten, weil sie sich nicht, wie der Mann, mit dem Wahlzettel die Berücksichtigung selbst ihrer gerechtfertigtsten Interessen erkaufen oder erdrohen kann. Sie ist politisch wahl- und rechtlos. Als Wähler hingegen wird sie diese Berücksichtigung erzwingen, da die Volksvertreter und Gesetzgeber, dann einem gemischten Wählerkollegium von Männern und Frauen Rechenschaft schuldig, und, bei Erneuerung ihres Mandats von beiden Geschlechtern abhängig, notwendigerweise auch die Interessen beider Geschlechter vertreten werden. Als Machtfaktor praktischer Politik ist die Frau der Berücksichtigung auch ihrer Bedürfnisse und Ansprüche sicher. Den Beweis dafür liefern die Staaten mit Frauenstimmrecht, in denen, unter dem Druck der weiblichen Wählerschaft, die gleiche Entlohnung der Männer und Frauen im Staatsdienst (Lehrerinnen, Beamtinnen) durchgesetzt wurde. Ein solches Vorgehen des bedeutendsten Arbeitgebers, des Staates, wirkt dann lohnerhöhend weiter.
Und doch wird der dritte genannte Faktor, die Erhöhung der Ansprüche des weiblichen Geschlechts als solches, bei der Erhöhung der Entlohnung noch wirksamer sein, ja, Berufsorganisation und Wahlrecht werden auf diesem Boden erst zu eigentlichen Angriffswaffen und Sturmböcken werden. Frauenarbeit wird heute fast immer weit unter ihrem Wert bezahlt. Wenn in einer Schokoladenfabrik der Arbeiter, dessen Maschine unter seiner Aufsicht 200 kg Schokolade täglich produciert, 5 fr. erhält, die Arbeiterin aber, deren Maschine unter ihrer Aufsicht auch 200 kg täglich erzeugt, nur 2 fr. 50, so liegt hier eine Geschlechtszahlung und eine Geschlechtsausbeutung der Frau vor. Der weibliche Berufsarbeiter braucht in solchen Fällen also nicht etwa eine Erhöhung seiner Fähigkeit und Produktion zu bewirken, eine Erhöhung seiner Ansprüche genügt. Es ist aber viel weniger der Mangel an Organisation und an Wahlrecht, der die erwerbende Frau hindert, ihre Ansprüche zu erhöhen, als die dem untergeordneten Geschlecht durchschnittlich angezüchtete Anspruchslosigkeit. Die Frau findet es im allgemeinen ganz in der Ordnung, daß sie geringer entlohnt wird, denn sie ist eben gewöhnt, sich geringer einzuschätzen und sich zu begnügen. Die Resignation des Untergeordneten und oft Unterdrückten Ist das Haupthindernis der besseren Entlohnung aller Frauenarbeit. Weit davon entfernt, einen Geschlechtszuschlag für sich zu beanspruchen, nimmt die Frau einen so riesigen Geschlechtsabzug wie 50% als selbstverständlich hin: die »Geschlechtsprämie gebührt dem Starken«, mag seine Arbeit auch weder schwerer noch ergiebiger noch qualifizierter sein. Hier muss eben ein anderer Geist in die weiblichen Berufsarbeiter einziehen. Eine Geschlechtsprämie auf Grund höherer Bedürfnisse kann nun aber die Frau mit sehr viel mehr Recht verlangen als der Mann. (...)
Die »größeren Lasten« des Mannes bestehen in der Begründung und Erhaltung der Familie. In erster Linie ist zu bemerken, daß sehr viele Männer diesen Zuschlag erhalten, ohne die entsprechenden Lasten zu tragen. Sie ziehen also praktischen Nutzen aus einer ideellen Konvention. Und der Umstand, daß der unverheiratete Mann schon wie ein verheirateter entlohnt wird, sich also an die überreichliche Befriedigung seiner Bedürfnisse gewöhnt oder sich neue Bedürfnisse zulegt, bewirkt, daß so viele Männer später erklären, »nicht heiraten zu können«. Der springende Punkt des Problems aber ist folgender: der Zuschlag auf Grund von Familienlasten gebührt gar nicht dem Manne, er gehört der Ehefrau. Sie ist's, die ihn verdient. Die häusliche Arbeit, die Schaffung materieller und geistiger Werte im Hause, die Entwicklung der nationalen Werte in Gestalt der Kinder - wer leistet das alles? Die Frau, und wiederum die Frau. Für diese Arbeit muss sie aber bezahlt, »honoriert« werden (K. Schirmacher, Die Wertung der häuslichen Frauenarbeit. F. Dietrich, Gautzsch b. Leipzig.) Dieser Geschlechtszuschlag des Mannes gebührt der Hausfrau als ihr Erwerb, von dem sie, gleich dem Mann, zu den Lasten des Haushalts beizutragen hat, über den ihr aber die Verfügung von rechts wegen zuerkannt, und der ihr, in bestimmten Fällen, sogar direkt ausgezahlt werden muss. Auf die Art treffen wir, durch die wirtschaftliche Wertung der häuslichen Frauenarbeit, das übel in der Wurzel, lehren die Frau die materielle Schätzung ihrer häuslichen Arbeit, machen sie in der Ehe wirtschaftlich unabhängig, erhöhen ihr Selbstgefühl und ihre Ansprüche. Diese Hebung der Frau und Mutter wird aber die Hebung der Mädchen und Töchter in der Familie bewirken. Durch Bewertung der häuslichen Frauenarbeit wird die prinzipielle Unterordnung von dem weiblichen Geschlecht genommen, zuerst im Hause, dann im Beruf.
Wenn der Zuschlag wegen Familienlasten nun auch Frauenerwerb ist, so wird er doch durch den Männerlohn ins Haus gebracht. Der Mann, wird man sagen, muss diesen Zuschlag doch zuerst fordern, um damit den Anspruch der Hausfrau zu befriedigen. Die erwerbende Frau kann, da sie nicht die gleichen Familienlasten trägt, unmöglich die gleiche Forderung stellen. Wer aber sagt denn, daß die erwerbende Frau nicht die gleichen Lasten trägt? Das ist ja greifbar falsch. Erstens tragen 50% der erwachsenen männlichen Berufsarbeiter diese Familienlasten auch nicht, da nur 50% unserer erwachsenen Frauen verheiratet, 50% der erwachsenen Männer, also ledig sind. Zweitens sind 1/4 unserer deutschen Industriearbeiterinnen verheiratet, d. h. sie haben Familienlasten, weil der Mann zu wenig oder gar nichts verdient oder von dem Verdienst nicht genug nach Hause bringt. Von den 6 Millionen außerhäuslich erwerbstätiger Frauen sind mindestens i Million verheiratet, d. h. familienbelastet. - Drittens befinden sich unter den ledigen Berufsarbeiterinnen eine große Zahl, die alte Eltern oder jüngere Geschwister zu erhalten haben, endlich werden über 25 % aller Ehefrauen Witwen, so daß ein großer Teil der weiblichen Berufsarbeiter, ganz die gleichen Familienlasten trägt, wie der Mann, denselben jedoch mit sehr viel geringeren Mitteln gerecht werden muss als jener. Wahrscheinlich entspricht der Prozentsatz familienbelasteter Berufsfrauen dem Prozentsatz tatsächlich familienbelasteter Berufsmänner. Schon das wäre ein ausreichender Grund für die Frau, den Anspruch auf Zahlung des Familienzuschlags zu stellen, da wir ja beim Manne gesehen, daß die wirtschaftlichen Bedürfnisse von 50% der Berufsarbeiter den anderen 50% den Mitgenuss eines sonst ungerechtfertigten Vorteils sichern können. Wir müssen aber noch eine Seite des Problems beleuchten. Wenn der Familienzuschlag allen Männern, auch den unverheirateten gewährt wird, so liegt das daran, daß der Mann, als Geschlecht, den Geschlechtsverkehr beansprucht, mag dieser nun ehelich oder unehelich sein. Zur rechten, wie zur linken Hand ist er also der Nehmende: seinem Erwerb wird der Verdienst der legitimen Frau zugerechnet, und seine Entlohnung steigt, damit er sich die illegitime Frau kaufen kann.- der »Familienzuschlag« beruht auf einem doppelten Raub an der Frau. Nur war und ist der Raub an der illegitimen Frau sozial noch viel verhängnisvoller. Warum sollte aber, was der Mann im Dienste des Triebs erzwang, die Frau nicht im Namen der Moral erzwingen können? Sie muss eben lernen, auf dem Gebiet der Arbeit, den Anspruch ihrer Ehe stellen und durchzusetzen, wie der Mann seit Jahrtausenden den ihrer Schande gestellt und durchgesetzt hat. Sie muss dem Mann den Teil seines höheren Verdienstes entreißen, den er als Geschlechtsprämie des Herrenrechts erhält, und mit dem er sie nur deshalb zu kaufen imstande ist, weil sie vorher an ihrem Verdienst den entsprechenden Abzug erduldete und sich nun auf den Zuschlag der Straße angewiesen sieht.
Die höhere Entlohnung des Mannes bedingt heute die Prostitution der Frau. Man nahm ihr an ehrlichem Tagesverdienst gerade so viel wie nötig, um sie zum unehrlichen Nachtverdienst zu zwingen. Hier steht eine furchtbare Schuldforderung der Frau an den Mann, der sie zwang als Geschlecht zum zweiten Male in Not und Schande und im Nebenberufe zu verdienen, was er ihr im Hauptberuf vorenthalten, und was einzuklagen sie keine Macht hatte. Nur weil diese wirtschaftliche Unfähigkeit auf dem ganzen erwerbenden Frauengeschlecht lag, und diese wirtschaftliche Ausbeutung das ganze erwerbende Frauengeschlecht traf, nur dadurch erklärt sich's, daß die doppelte Moral mit ihrem geschlechtlichen Faustrecht und ihrer geschlechtlichen Unverantwortlichkeit des Mannes so souverän herrschen konnte, wie bisher. Man stand und steht vor einer wirtschaftlich sozial begründeten Nachfrage und einem entsprechend begründeten Angebot. In diesem Kampfe erlag das sittliche Moment völlig. (...)
Wir haben die Frage der höheren Entlohnung der Frauenarbeit bisher nur vom Standpunkt der Frau betrachtet und die sich ergebenden Möglichkeiten begrüßt. Wir müssen die Frage nun vom Standpunkt des Mannes erörtern. Der Mann im allgemeinen ist der Frauenbewegung abhold; an eine Herrscher- und Ausnahmestellung gewöhnt, lehnt er Bestrebungen, die auf Gleichberechtigung der Geschlechter hinzielen, in erster Linie ab. Eine kleine Zahl Männer sind Frauenrechtler aus Gerechtigkeit. Die Mehrzahl besteht aus Gleichgültigen und Antifrauenrechtlern oder Herrenrechtlern. Die ersteren ermangeln des Scharfblicks oder leiden an Selbstüberschätzung. Die letzteren treffen instinktiv oder bewußt den nervus rerum, wenn sie von der Frauenbewegung eine Erschütterung ihrer bisher bevorrechtigten Stellung befürchten. Alle, auch seine abscheulichsten, Geschlechtsprivilegien betrachtet der Mann als »sein Recht« und ist an diese Auffassung so gewöhnt, daß er in den meisten Fällen nicht nur nicht anders will sondern einfach nicht anders sehen kann.
Auf dem Gebiet der Arbeit geht der Entscheidungskampf vor sich, denn die wirtschaftliche Bedeutung eines Geschlechts entscheidet über seine geistige und moralische Macht. Gelingt es der Frauenbewegung nun, die Wertung der häuslichen Frauenarbeit durchzusetzen und das Selbstgefühl des ganzen Geschlechts dadurch zu stärken; gelingt es ihr, das ausserhäusliche Arbeitsgebiet der Frau im oben ausgeführten Sinne zu erweitern, die Entlohnung der ausserhäuslichen Frauenarbeit im oben ausgeführten Sinne zu erhöhen, so ergibt sich aus der Arbeitsteilung nach Fähigkeiten und mit dem Wegfall des Geschlechtsvorurteils, das einen Schutzzoll zu Gunsten des Mannes bildete, die freie Konkurrenz der Geschlechter. Die Frau wird der prinzipiell gleich geordnete Berufsarbeiter, und der Mann verliert seine Ausnahmestellung auf Grund des Geschlechts. Es ist ganz zweifellos, daß er sich gegen diesen Verlust wehren wird. Denn, durch Natur wie Kultur, in hervorragendem Maße Egoist, wird er den heutigen sozial so unbefriedigenden und schädlichen Zustand, den seine Geschlechtsherrschaft schuf, und der sie erhält, doch einem sozial befriedigenden und gedeihlichen Zustande vorziehen, der diese Geschlechtsherrschaft untergräbt. Auf der ganzen Welt begegnen alle grundlegenden Reformen, die eine Gleichberechtigung der Geschlechter bezwecken, in erster Linie dem Widerstand des herrschenden, d. h. des männlichen Geschlechts.
Auf dem Gebiet der Arbeit hat sich das geäußert, und äußert es sich noch in folgenden Worten und Taten: In der jeder erfahrungsmäßigen Begründung entbehrenden Erklärung, daß die Frau sich weder für wissenschaftliche Studien, noch für liberale Berufe, noch leitende Stellungen eignet. In dem Ausschluß der Frau von der höheren Geisteskultur, in der Hintansetzung der Mädchenschul- und Berufsbildung. In dem leidenschaftlichen Kampf gegen die Abschaffung der doppelten Moral, in der reglementierten Prostitution. In der Weigerung, Frauen in männliche Berufsorganisationen aufzunehmen, der Vernachlässigung der Frauenberufsorganisation selbst und der Verweigerung oder Verkümmerung der beruflichen Interessenvertretung der Frau. In der völligen Entziehung oder der Schmälerung der politischen Frauenrechte. In der prinzipiellen Verteidigung der Unterordnung der Ehefrau. Wie man sieht, das Register ist lang.
So stellt sich die Mehrzahl der Männer feindlich zur Frauenbewegung. Auch die Sozialisten haben praktische Änderungen zu Gunsten der Frau bisher nur wenig in Angriff genommen. Und von einer Genossin ist es ausgesprochen, daß den Genossen in bezug auf die Frau der Zopf just so im Nacken sitzt, wie den Philistern.
Wir haben nun den Mann noch als Arbeitgeber zu betrachten. Wie wird er sich zur Erweiterung des Frauenarbeitsgebietes und zur Erhöhung der Frauenlöhne stellen? Der männliche Arbeitgeber kennt die Frau bisher in erster Linie als die billigere und die gefügigere Arbeitskraft. Aus beiden Gründen hat er sie verwendet:
1.auch wenn sie weniger leistete als der Mann;
2.noch sehr viel lieber, wenn sie ebenso viel leistete wie jener. Die Frauenarbeit macht ganze Industrien und die Industrie ganzer Länder leistungs- und konkurrenzfähig (so die japanische Industrie, die weit mehr Frauen als Männer beschäftigt. In Deutschland wurde die Befürchtung laut, die Einführung der obligatorischen Fortbildungsschule für Mädchen könne die Konkurrenzfähigkeit der deutschen Industrie schädigen!).
Die gleichwertige Frauenarbeit bietet den bedeutendsten Unternehmergewinn (man vergleiche das Beispiel der Schokoladenfabrik). Weil die Frauenarbeit wegen gewisser Vorzüge für den Unternehmer unersetzlich, weil sich die Gesamtheit der außerhäuslichen Berufsarbeit durch Männerkraft allein nicht bezwingen lässt, hat das Unternehmertum ganz allgemein die weiblichen Berufstörungen in Kauf genommen, und sich z. B. auch entschlossen, die Unbequemlichkeiten und Lasten des besonderen Arbeiterinnenschutzes zu tragen. So ist trotz dieser Schutzgesetze, die Zahl der weiblichen Arbeiterinnen in Deutschland nicht zurückgegangen. Die Frauenarbeit ist also unentbehrlich.
Es ist nun aber eine Evolution des Mannes zu erwarten. In seiner Mehrzahl überredet er sich noch immer, daß »die Frau ins Haus gehört«, daß die ausserhäuslich arbeitende Frau einer Laune oder unziemlichem Freiheitsdrang gehorcht, daß die »Konkurrenz« der Frau vorübergehen wird. Er hat die große Gesetzmäßigkeit nicht erkannt, die das Anwachsen der Frauenarbeit bewirkt, er sieht noch nicht, daß sich hier ein »Daseinskampf« des weiblichen Geschlechts vollzieht, und daß diese Erscheinung, statt sich eindämmen zu lassen, immer größere Proportionen in Breite und Höhe annehmen wird. ist die Gedankenevolution der männlichen Massen aber einmal bis zur Erkenntnis der Unvermeidlichkeit ausserhäuslicher Frauenarbeit großen Stils gelangt, so wird der Mann als Berufsarbeiter einsehen, daß er die »Konkurrenz« der Frau in Kauf zu nehmen hat, denn sie ist »Daseinskampf«; daß die Schmutzkonkurrenz der Frau von ihm selbst verursacht, nur durch gleichwertige Berufsbildung, gleiche Entlohnung, gleiche Berufsaussichten zu beheben ist, und daß es gegen sein eigen Interesse geht, in der Frau auch fürder einen Arbeiter zweiter Ordnung zu züchten, der den Mann durch Unterbieten verdrängen kann.
Eine selbstbewusste, organisierte, hohe Ansprüche stellende Berufsarbeiterschaft von Frauen freilich wäre ein Novum auf dem Arbeitsmarkt. Männliche Berufsarbeiter und Unternehmertum vereint, werden ihre Entstehung zuerst mit allen Mitteln zu hindern suchen. Da aber ein drittes Geschlecht mit Übernahme der Aschenbrödelrolle im Beruf nicht auffindbar (der Kinderschutz wird die Ausbeutung dieser Arbeiterkategorie ja verhindern), haben die Frauen starke Aussicht, ihre erhöhten Ansprüche durchzusetzen. Die Frage ist nun, wird diese Verbesserung der wirtschaftlichen Lage der Frau sich nationalökonomisch durchführen lassen? Fordert die Frau höhere Löhne, so wird der Gewinn, den der Unternehmer aus Frauenarbeit zieht, sich vermindern. Die Möglichkeit einer besseren Entlohnung der Frau ist also gegeben. In wie weit die Konkurrenzfähigkeit der nationalen Produktion davon betroffen wird, lässt sich nicht voraussagen. Sie wird es um so weniger sein, je gleichzeitiger die Frauenansprüche in allen Kulturländern steigen. Die internationale Organisation der Frauenbewegung wird hier eine Fähigkeitsprobe ablegen können. Man darf sich die wirtschaftliche Rehabilitierung der Frau aber um so eher etwas kosten lassen, als sie sich in großen sozialen Ersparnissen einbringen wird. Die Erhöhung der Entlohnung von Frauenarbeit hat für den Unternehmer aber noch eine andere Seite: Wir sahen vorher, daß die höheren Männerlöhne dem Manne nur zum Teil auf Grund höherer Leistung, zum Teil aber auf Grund höherer Ansprüche und höherer Lasten gezahlt werden, und daß diese Geschlechtsprämie teils auf übertriebenen und sozial schädlichen Ansprüchen, teils auf einem Raub an der Frau beruht. - Eine höhere Entlohnung der Frau lässt sich daher, rein theoretisch, ohne Vergrößerung der Unternehmerlasten vollziehen, wenn der Verdienst des Mannes um die angemaßte Geschlechtsprämie vermindert wird. (...)
Und der Mann? Auch bei der größten Ausdehnung der Frauenarbeit, bleibt ihm noch sehr viel vorbehaltenes Gebiet. Er ist aber heute schon in sehr vielen Fällen nicht mehr der alleinige »Erhalter« der Familie, und die starke Ehelosigkeit heiratsfähiger Männer kommt einer Bankrotterklärung auf diesem Punkte gleich. In Zukunft wird daher die wirtschaftliche Erhaltung der Familie anerkanntermaßen immer mehr auf beiden Ehegatten liegen: durch Anerkennung und Wertung der häuslichen Frauenarbeit, die Mutterschaftsversicherung oder durch außerhäusliche Berufsarbeit der Ehefrau. - Der Mann verliert derart angemaßte Rechte, die Frau gewinnt vorenthaltene. Die wirtschaftliche Wertung der häuslichen Frauenarbeit ist aber um so nötiger, je mehr die ausserhäusliche Berufsarbeit der Frau sich hebt, weil sonst die greifbare Benachteiligung der Ehefrau die Ehe gar zu sehr entwerten würde. Man hat die Befürchtung geäußert, daß, wenn die Frau auskömmlich verdient, der Mann sich auf die Bärenhaut legt, und es darf nicht geleugnet werden, daß solche Fälle vorkommen. Unseres Erachtens ist daran aber die mangelnde innere Erneuerung der Frau Schuld; ein bewusstes Frauengeschlecht, und nur dieses kann die erhöhte Entlohnung seiner Arbeit durchsetzen, wird solche Parasiten abzuschütteln wissen. Sicher jedoch wird die Gesellschaft sehr viel besser fahren, wenn sie in Erhaltung der Familie auf beide Gatten verteilt; der Mann hat sich in dieser Rolle zu oft als ungetreuer Haushalter erwiesen, das Verantwortlichkeitsgefühl der Frau gegenüber der Familie ist viel größer, wie die zahllosen Frauen beweisen, die, selbst unter den jetzigen elenden Bedingungen ihre Familie ohne den Mann zu erhalten gewusst.
Unsere Grundfrage: wie und in welchem Maße lässt sich die Wertung der Frauenarbeit steigern? ist also folgendermaßen zu beantworten: Weder die natürlichen noch die künstlichen Hindernisse, die sich einer höheren Wertung der ausserhäuslichen Frauenarbeit entgegenstellen, sind unüberwindlich; durch Erweiterung ihres Arbeitsgebietes, Erhöhung ihrer Ansprüche, Berücksichtigung ihrer Lasten, Berufsorganisation und politische Befreiung der Frau wird diese Wertung sich steigern, und zwar voraussichtlich bis zur Höhe der Männerentlohnung steigern lassen. Die ungerechtfertigte Bevorzugung des Mannes als Berufsarbeiter wird aufhören, seine Rolle eine bescheidenere werden und mehr im Einklang mit seinen wirklichen Leistungen, wirklichen Lasten und sozial gerechtfertigten Ansprüchen stehen. Die bevorrechtigte Ausnahmestellung des Mannes aber muss auf diesem wie den anderen Gebieten fallen. Sie bedeutet eine Anmaßung und beruht auf der ungerechtfertigten Unterordnung oder Ausbeutung des weiblichen Geschlechts. Dieser Zustand ist sozial schädlich. Der heutige Kampf der Geschlechter stammt aus dem Missverhältnis, zwischen den vielen Rechten des Mannes und seinen wenigen Pflichten, den vielen Pflichten der Frau und ihren wenigen Rechten. Jede herrschende Klasse, bei der Leistung und Genuss nicht mehr im Einklang, verliert am Ende ihre Vorherrschaft. Dieser Erfahrungssatz gilt auch vom Manne als Geschlecht. Die unkontrollierte Ausübung unumschränkter Gewalt, das materielle Besserleben sind ihm verhängnisvoll geworden. Seine Vorherrschaft hat die Welt vor die Notwendigkeit einer grundlegenden sozialen Reform gestellt, bedingt durch das Elend der rücksichtslos Ausgebeuteten. Wir essen heute die bitteren Früchte des Faustrechts. Ein Geschlecht aber, das als Gesamtheit erklärt, von seinem Trieb beherrscht zu sein, und dessen wirtschaftliche Vorherrschaft die Prostitution des anderen Geschlechts zur Voraussetzung hat, darf die Welt nicht dauernd allein beherrschen. Und gelingt es ihm, seine Herrschaft selbst zeitweilig aufzuzwingen, sie bleibt doch unverdient.
Fragt man endlich nach dem Mittel praktischer Durchführung unsrer Reform, so lautet es: erhöht das Selbstgefühl und die Ansprüche der Frau: ausschlaggebend bei Wertung der Arbeit, ist nicht die Leistung, sondern der Anspruch.

Die Entwicklung der Frauenlöhne, insbesondere
für Jugendliche (1929)

Aus dem großen Gebiet der Frauenarbeit soll uns eine Einzelfrage beschäftigen: die Entlohnung der Frau. im Rahmen eines Vortrages läßt sich dieses Thema natürlich nicht erschöpfen. Ich muss mich auf die großen Linien des Problem-Komplexes beschränken, und ich bitte um Entschuldigung, wenn die feinere Zeichnung etwas zu kurz kommt.
Zunächst ein paar Worte zum Thema. Die absolute Höhe der Frauenlöhne soll uns hier nicht interessieren, wir wollen den Frauenlohn und seine Entwicklung im Verhältnis zum Männerlohn sehen. Sie alle wissen, daß die Frau niedriger entlohnt wird als der Mann. Vor dem Krieg erhielten z. B. die weiblichen Warenhaus-Angestellten rund 60 Prozent des Gehaltes - ihrer männlichen Kollegen, die industriellen Arbeiterinnen erhielten etwa 40-60 Prozent des Männerlohns. Das war in Hamburg nicht anders als im übrigen Deutschland, das war nicht nur in Deutschland so, sondern auch in den anderen Staaten. Manchmal scheint auf den ersten Blick ein günstigeres Lohnverhältnis bei Stücklohnzahlung vorzuliegen. Aber auch hier zeigt sich bei näherem Hinsehen oft das Gegenteil. Ein Beispiel möge das erläutern, das dem Buch von Professor Max Weber »Psychophysik der industriellen Arbeit« entnommen ist: In einer größeren Weberei waren für jede Art Arbeit unabhängig vom Geschlecht des Arbeitenden Akkordsätze festgesetzt. An schmalen Webstühlen arbeiteten Männer und Frauen in gleicher Weise. Nun wurde den männlichen Arbeitern ein höherer Mindestlohn garantiert und außerdem erhielten sie eine beträchtliche »Geschlechtszulage«, so daß auch hier die allgemein übliche Lohndifferenz für männliche und weibliche Arbeiter entstand.
Die Folgen dieser Lohndifferenz für die Arbeiterinnen, die gesamte Frauenwelt, die Arbeiterschaft und die Volksgemeinschaft sind bekannt. Der niedrigere Lohn der Arbeiterin ermöglicht vielfach keine ausreichende Bedarfsbefriedigung. Einschränkung oder Suchen nach Nebenverdienst durch Heimarbeit oder auf der Straße schädigen die Gesundheit der arbeitenden Frau und nehmen ihr Lebensmut und Lebensfreude. Auch wird durch die auf allen Gebieten niedrigere Entlohnung der Arbeiterin und auch der gesamten Frauenwelt ein drückendes Gefühl der Minderwertigkeit eingeimpft, das neben anderen Ursachen der vollen Entfaltung eigener Werte entgegen arbeitet und teilweise zur Nachahmung männlicher Ideale und zu der oft gescholtenen Entweiblichung führt.
Die männliche Arbeiterschaft hat nicht weniger unter dem niedrigen Frauenlohn zu leiden. Für sie bedeutet diese Lohndifferenz wirtschaftliche Schädigung, da viele Arbeitgeber die billigeren Kräfte anstellen und nun Frauen auch da arbeiten, wo nach Eignung und Neigung männliche Arbeiter am Platze gewesen wären. So fiel mir bei der Besichtigung einer Fabrik der Nahrungsmittelbranche auf, daß Frauen mit dem Transport und Aufstapeln der Ware beschäftigt waren, einer recht anstrengenden Arbeit, der ein Mann sicher besser gewachsen wäre als eine Frau. Auf meine Frage erklärte mein Führer, daß es sich tatsächlich um körperlich anstrengende Arbeit handele, aber »nach unserer Kalkulation stehen wir uns besser, wenn wir Frauen einstellen«, sagte er. Und gerade die Rationalisierungsbestrebungen haben die Frage der Ersetzung der männlichen durch billige weibliche Kräfte wieder laut werden lassen.
Und schließlich empfindet die Volksgemeinschaft alle diese Schäden ihrer arbeitenden Glieder, empfindet die Reibungen und Zerrungen des sozialen Organismus und spürt, wie die weibliche arbeitende Bevölkerung den allgemeinen Aufstiegswillen hemmt. Eine Gemeinschaft kann nicht voranschreiten, wenn ihre Glieder zum großen Teil körperlich und seelisch bedrängt leben, und gerade diese die kommende Generation zur Welt bringen und erziehen sollen.
Aber für eine bisher nicht erwähnte Gruppe von Menschen, die uns hier am meisten angeht, sind die Nachteile der niedrigeren Frauenlöhne besonders groß: Für die jugendlichen Berufsanfängerinnen, alle die, an deren Berufserziehung hier gearbeitet werden soll. Der niedrigere Lohn ist für die Mädchen das deutliche Zeichen, daß die Wirtschaft und die Gesellschaft ihre Arbeit nicht so ernst nehmen wie die des jungen Mannes. Also stärkt sich die Ansicht der Jugendlichen, daß nicht der Beruf sondern die spätere Ehe als Lebensinhalt angesehen werden muss. Wer wundert sich noch, daß die Berufstätigkeit als Zeitvertreib bis zum glücklichen Einlaufen in den Hafen der wahren Lebensbestimmung aufgefaßt wird. Wie kann die Durchschnittsarbeiterin sich an den Gedanken gewöhnen, daß ihr Beruf eine Pflicht, eine Aufgabe der Gemeinschaft gegenüber ist, wenn diese Gemeinschaft ihr in der Entlohnung stetig zeigt, daß sie selbst diese Aufgabe nicht vollwertet.
Scheint da der Schluss nicht selbstverständlich, daß die Frau, die nicht einer Familie lebt, ihren eigentlichen Lebenszweck verfehlt hat? Seelisches Verkümmern ist die Folge, gerade bei den feiner veranlagten Frauen, eine Verbitterung gegen den Beruf, eine Sehnsucht nach dem Frauendasein vergangener Jahrhunderte erfüllt ihre Gedanken. Wenn wir berufstüchtige Frauen erziehen wollen - und nie hat Deutschland tüchtige Berufstätige nötiger gehabt als jetzt - dann müssen wir an der Ausgleichung von Männer- und Frauenlöhnen arbeiten. Aber keine schematische Gleichmacherei soll gefordert werden, sondern entweder Beeinflussung der Ursachen, die die Frau zur minderwertigen Arbeiterin machen, falls sie tatsächlich weniger leistet als der Mann, oder aber Durchsetzung gleicher Behandlung in der Bewertung, wenn die Leistungen gleich sind, je nachdem, wo die wahren Ursachen der Lohndifferenz zu suchen sind. (...)
Der Lohn ist der Preis der Arbeitsleistung, der Maßstab für den Wert einer Arbeit für die Wirtschaft. Wenn ein Lohn niedriger ist als der andere, so kann entweder die eine Leistung selbst wertloser sein als die andere. Das ist der Grund, weshalb der gelernte Arbeiter höher entlohnt wird als der ungelernte: Gelernte Arbeit ist wertvoller. Aber auch wertvolle Arbeit wird nicht geachtet und entsprechend gelohnt, wenn der Arbeiter seiner Arbeit nicht Anerkennung erzwingen kann. Als Beispiel sei genannt die niedrig entlohnte Arbeit der heimarbeitenden Stickerin. Hier sind mangelnde Kenntnisse des Wirtschaftslebens und starke Konkurrenz Ursachen niedriger Entlohnung. Und schließlich hat die Wirtschaft einen eigenartigen Bewertungsmaßstab, der die Leistung nicht an sich beurteilt, sondern ihre Beurteilung in früheren Jahrzehnten berücksichtigt: Die traditionelle Bewertung. Hier finden u. a. die Lohnunterschiede der einzelnen Berufe ihre Ursache.
Welche dieser drei Arten von Ursachen der Lohnunterschiede: Leistungswert-Unterschiede, Macht-Unterschiede oder Traditions-Unterschiede - sind nun für die Frauenlohnfrage verantwortlich? Das wäre im einzelnen zu untersuchen.
Vorher noch eine Vorfrage. Oft wird der niedrige Frauenlohn erklärt mit dem geringeren Bedarf der Frau. Die Frau braucht weniger zum Leben, heißt es, also ist ihr niedriger Lohn berechtigt. Wie soll man sich dazu stellen? Einmal ist entgegen der allgemeinen Meinung durchaus nicht selbstverständlich, daß Frauen weniger brauchen als Männer. Wir sind zu leicht geneigt, die Entwicklung zu übersehen, die an die Stelle der vielleicht wirklich bedürfnisloseren nichtarbeitenden Bürgerfrauen und -mädchen berufstätige Menschen gesetzt hat, die den gleichen Lebensbedarf haben wie die männlichen Berufstätigen. Wenn sie heute wirklich mit weniger Einkommen auskommen, weil sie eben nicht mehr haben, so ist das kein Gegenbeweis, sondern die Ursache dafür, daß die arbeitenden Frauen Gesundheit und Kräfte früher verbraucht haben als die Männer und dann ihren Angehörigen oder dem Staate zur Last fallen.
Wenn Sie mir so weit folgen, so machen Sie mir vielleicht jetzt einen Einwand, dem man sehr oft begegnet: Der Mann hat eine Familie zu ernähren, die Frau nicht. Ich glaube, es gibt hier niemanden, der es als unberechtigt ansieht, daß diejenigen, die der Allgemeinheit die Sorge für noch nicht oder nicht mehr arbeitsfähige Glieder abnehmen, höhere Einnahmen haben als die Einzelpersonen. Aber diese Trennung der Arbeiterschaft in zwei Gruppen verläuft nicht gleich mit der Trennung der Geschlechter. Eine ganze Reihe von Frauen hat für Angehörige zu sorgen, für Eltern, Geschwister und Kinder und eine nicht unbeträchtliche Anzahl von Männern hat keinerlei derartige Verpflichtung. Und weiter, welchen gerechten Grund gibt es dafür, daß der Familienvater - nicht aber auch die arbeitende Familienmutter die Mehreinnahmen für die Haushaltsausgaben bekommt? Arbeitet die verheiratete Frau weniger für den gemeinsamen Haushalt und für die Kinder?
Und schließlich: der Bedarfsunterschied zwischen Mann und Frau, selbst wenn er heute aus Tradition bestände, könnte noch nicht zum Lohnunterschied führen, da der Einfluss des Bedarfs auf die Lohnhöhe verschwindend gering ist. Die Soziallohnversuche haben bisher die Wirtschaft immer dazu veranlasst, die ihres größeren Bedarfs wegen höher entlohnten Kräfte baldmöglichst auszuscheiden. Aus den beiden Gründen: Mangel an tatsächlichem Bedarfsunterschied und Einflusslosigkeit des Bedarfs auf die Lohnhöhe wird also der Bedarf als die Grundursache der Lohndifferenz abgelehnt.
Nun gehen wir zu der Betrachtung der drei vorher genannten Ursachen über. Zunächst: Besteht ein Wertunterschied zwischen Männer- und Frauenleistung? Wir haben vorhin schon festgestellt, daß anfänglich zweifellos ein Wertunterschied bestand, weil die Frau sich an ausserhäusliches Arbeiten gewöhnen musste. Als die gewerbliche Arbeit noch in stärkstem Maße Muskelkraft beanspruchte, war die Leistung der Frau auch aus diesem Grunde untergeordnet, und da damals die Mädchenschulbildung noch wesentlich hinter der Knabenschulbildung zurückblieb, musste die Frau in dem ihr etwa offen stehenden Angestellten-Posten ebenfalls Geringeres leisten. Wie ist es heute? Im Laufe der Entwicklung hat sich die Frau immer stärker an die Berufsarbeit gewöhnt, sind die Anforderungen der Industrie mehr und mehr auf das Gebiet der Ausdauer, Schnelligkeit und Geschicklichkeit übergegangen, ist auch das Mädchenschulwesen und Fachschulwesen ausgebaut worden. Für eine ganze Reihe von Tätigkeiten ist die Frau heute geeigneter als der Mann, z. B. zum Bedienen von Büromaschinen oder bei der Herstellung und Bearbeitung kleinerer Artikel aller Art, z. B. von Stahlfedern, ganz abgesehen von den rein weiblichen Tätigkeiten. Allerdings besteht heute noch eine Anzahl soziologischer Tatsachen, die den Leistungswert der Frau im Vergleich zur Männerleistung herabdrücken und die teilweise auch auf die Lohnhöhe einwirken. Das sind aber meistens Differenzen, wie sie jede Menschengruppe durchziehen. Denn Erscheinungen, die die eine Leistung geringwertiger machen, stehen andere gegenüber, die den Leistungswert über den der anderen heben. Vergleicht man den Wert der Leistung eines rheinischen und eines pommerschen Arbeiters, wird man Differenzen finden, die wohl ebenso groß sind, als die zwischen männlichen und weiblichen Arbeitern am gleichen Arbeitsplatz. daß solche Differenzen bestehen, kann nicht bestritten werden. So wird z. B. die Leistung der ganzen weiblichen Arbeitnehmerschaft dadurch beeinflusst, daß in der Regel die arbeitende Frau jünger ist als der arbeitende Mann, da die Mehrzahl der Frauen mit der Eheschließung auf einige Jahre der regelmäßigen Berufsarbeit entzogen wird. Gerade die Jahre, in denen der Mensch am leistungsfähigsten ist, verbringt die Frau selten ganz in der Berufstätigkeit, sie wird teilweise oder ganz von häuslichen Aufgaben, Sorgen und Freuden in Anspruch genommen.
Ein weiterer Grund teilweise geringerer Leistungen der Frau liegt in der schlechten Berufsausbildung so mancher Berufsanfängerinnen. Wo der junge Mann eine mehrjährige Lehre oder Fachschule durchmacht, glaubt das junge Mädchen mit einem möglichst kurzfristigen Kursus auszukommen. Kein Wunder, wenn die betreffende Laborantin oder Kontoristin nicht mit den gründlicher vorgebildeten männlichen Kräften Schritt halten kann, wenn es an Aufgaben geht, die den engen Rahmen ihrer Kenntnisse einmal überschreiten.
Noch eine Frage soll hierzu auf geworfen werden. Die Arbeitgeber klagen über das häufige Fehlen der weiblichen Arbeiter wegen Krankheit. Nach einer Schrift des Arbeitgeberverbandes für die Deutsche Textilindustrie kamen auf 100 Arbeitnehmer Krankmeldungen:

im Jahr        1924        1925
Männer      42,09       46,05
Frauen        61,25        61,91

Die höhere Krankheitsziffer der Frau ist aber nicht Ursache, sondern Folge der niedrigen Löhne, wie überhaupt die Leistungsminderung aus gesundheitlichen Gründen stark mit den Einschränkungen hinsichtlich Ernährung und Wohnung und mit ausserberuflicher Arbeit zusammenhängt. Wenn der niedrige Lohn nicht ausreicht, um die notwendigen Bedürfnisse oder die für notwendig angesehenen Bedürfnisse zu befriedigen, dann wird meist zunächst an der Ernährung gespart. Das bleibt auf die Dauer nicht ohne Wirkung auf die Arbeitsleistung.
Daneben ist noch zu berücksichtigen, daß die Art der Arbeit sehr vieler Frauen - ungeheure schnelle Kleinarbeit - das Nervensystem stärker angreift, als die schwere Muskelarbeit die körperliche Gesundheit beeinträchtigt.
Für manche berufstätige Frau spielt aber auch ein falscher Ehrgeiz eine verhängnisvolle Rolle, indem er sie zu übertriebenem Fleiß antreibt. Der übermäßige Kräfteverbrauch muss sich selbstverständlich später rächen.
Wenn die leistungsmindernden Tatsachen des weiblichen Geschlechts hier hervorgehoben wurden, so geschah das aus dem Grunde, zu zeigen, wo möglicherweise noch die Grundfrage angefaßt werden könnte. Kein objektiv überlegender Mensch wird bestreiten, daß ähnliche oder andere Ursachen auch bei vielen Gruppen der männlichen Arbeiter den Wert der Leistung mindern.  So ist z.B. das gemeinsame verabredete »Bremsen« der Arbeit, die Verlangsamung des Arbeitstempos, bei den Frauen eigentlich gar nicht zu finden. Die Leistungen der einzelnen Individuen in ihrer Arbeit sind verschieden. Die Leistungen des Einzelindividuums zu bestimmten Zeiten sind verschieden darüber geht die Lohnberechnung vielfach stillschweigend hinweg. Viele Fabriken zahlen bereits allen ihren männlichen Facharbeitern, gleich welcher Branche, und ebenfalls allen ihren Hilfsarbeitern je einen und denselben Lohn. Wenn trotzdem die Trennung zwischen Männer- und Frauenlohn aufrechterhalten wurde, muss der Grund des Lohnunterschiedes wenigstens teilweise, wahrscheinlich überwiegend auf anderem Gebiete zu suchen sein.
Nun wäre also die zweite Ursache des geringeren Frauenlohns zu betrachten: Können die  arbeitenden Frauen ihrer Leistung vielleicht noch nicht die richtige Anerkennung verschaffen? Löhne werden festgelegt in Verträgen nach mehr oder minder langen Verhandlungen. 
In diesen Verträgen gewinnt der den größten Vorteil, der die größte Macht hat, wie überall im sozialen Leben. Zwar gibt es Grenzen, die weder der stärkste Arbeitgeber noch der mächtigste Arbeitnehmer überschreiten kann, Grenzen, die durch die allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnisse gezogen werden. Innerhalb dieser Grenzen gibt das Gewicht, das jede Partei in die Waagschale werfen kann, den Ausschlag. Das große Gewicht, das die Arbeitnehmer haben, ist die Einigkeit, der gemeinsame Kampf um die gleichen Ziele - die Organisation. Unter den heute gegebenen Wirtschaftsverhältnissen sind starke Arbeitnehmer-Organisationen für den Arbeitnehmer notwendig, soviel sich auch von anderen Gesichtspunkten aus gegen ihre bestehende Form und Taktik anführen lässt.

Wie steht es nun mit der Organisation weiblicher Arbeiter?

Jeder, der irgendwie einmal im praktischen Leben mit Frauen-Vertretung und Frauen-Organisation zu tun gehabt hat, weiß wie schwer ein erfolgreiches Zusammenarbeiten zu erreichen ist.  Zwar ist es nicht so schwierig, den Frauen den Sinn und Zweck des Verbandes klarzumachen, aber das tatsächliche Mitarbeiten, die Verantwortung für das gemeinsame Ziel ist schwer in ihnen wachzurufen. So ist's auch bei der Organisation der Arbeiterinnen und Angestellten. Der Zahl nach ist das Interesse an den Verbänden heute gar nicht so viel geringer, als das der Männer. Nach der Berufszählung von 1925 war etwa ein Fünftel der Industriearbeiterschaft weiblich. In den beiden größten Organisationen waren zur gleichen Zeit in den freien Gewerkschaften etwa 15 bis 16 Prozent Frauen, in den christlichen Gewerkschaften rund 19 Prozent Frauen.
Die tätige Mitarbeit der Frau ist aber sehr, sehr mäßig. Die meisten Frauen sind in gemischten Verbänden organisiert und überlassen die Verhandlungstaktik fast ganz ihren männlichen Kollegen. Nun kann nicht geleugnet werden, daß die männliche Arbeiterschaft teilweise recht energisch für die Frauen eingetreten ist. Aber sehr oft wurde doch auf Kosten des Frauenlohns der Männerlohn gesteigert. Es kann billigerweise nicht verlangt werden, daß eine Gruppe von Menschen befähigt ist, die Interessen einer anderen, teilweise mit ihr konkurrierenden Gruppe ganz zu verstehen und zu vertreten.
Nun fangen die Frauen langsam an, in den Lohnverhandlungen mitzureden. Hier und da finden sich, vor allem, wenn es sich um Industrien mit starker weiblicher Arbeiterschaft handelt, weibliche Delegierte. Auch hier muss erst Lehrgeld gezahlt werden und Verhandlungstaktik gelernt werden. Vorerst wird noch häufig der Vorwurf der Unsachlichkeit laut, die weiblichen Vertreter versuchen ihre Ziele mit Gefühlsargumenten zu erreichen. Hier wird aber sicher die Zeit, unterstützt durch Erziehung und Übung, Wandel schaffen.
Unzweifelhaft ist aber die Frau heute im Machtkampf um die Lohnhöhe schwächer als der Mann. Sie kann eine ihrer Leistungshöhe entsprechende Bewertung nicht durchsetzen. Die Wirtschaft aber richtet sich nach den längst vergangenen Verhältnissen hinsichtlich der Frauenlöhne. Wenn der Frauenlohn heute also niedriger ist, als er nach dem Wert der Frauenleistung sein dürfte, so ist das eine Folge der Tradition, eine Folge des Beharrungsvermögens aller soziologischen Beziehungen. Auch diese Tradition ist ins Wanken gekommen. Krieg und Frauen-Kriegsarbeit haben der Wirtschaft und Gesellschaft neue Anschauungen vom Wert der Frauenleistung gegeben und so die neue Basis für die günstigere Frauenentlohnung im Vergleich mit der Vorkriegszeit geschaffen. Nur war dieser Bruch der Tradition noch nicht stark genug, um vollständig mit den alten Anschauungen aufzuräumen. Hier muss bewusste Weiterarbeit einsetzen und endgültig Abhilfe schaffen.
Und das Mittel dieser Weiterarbeit ist die Erziehung, einmal die Erziehung der Volksgesamtheit zur Lösung von der Tradition, die die Frauenarbeit als minderwertig ansieht und zweitens und vor allem Erziehung der Berufsanfängerinnen, daß sie diese Fragen erkennen, die Zusammenhänge klar sehen und ihre Verantwortung für das Ganze in dieser Angelegenheit empfinden. Dann dürfen wir auf eine Zeit hoffen, in der die Frauenarbeit an der Maschine und auf dem Kontorstuhl als vollwertig geachtet und geehrt wird.

Ausbildung: Die handwerksmäßige und
fachgewerbliche Ausbildung der Frau (1910)

»Welche Stellung nimmt die Frau innerhalb der gelernten Arbeiter ein?«
Die Antwort, welche die Berufsstatistik v. Jahre 1907 gibt, ist die denkbar traurigste. Denn sie konstatiert unter den gelernten Arbeitern nur 5,8 % weibliche gelernte Arbeiter und stellt weiter fest, daß der geringe Prozentsatz weiblicher gelernter Arbeit seit 1895 auch noch um 0,3% zurückgegangen ist!! Der Prozentsatz der gelernten Arbeiter betrug:

  Männer Frauen
1895 40,5% 6,1%
1907 38,0% 5,8%

Der Prozentsatz der ungelernten Arbeiter betrug (Helene Simon, Tabelle I):

  Männer Frauen
1895 19,3% 5,4%
1907 24,1% 7,1%

Es ist somit bei den Männern die gelernte Arbeit noch immer die weit überwiegende, während bei den Frauen das umgekehrte Verhältnis stattfindet und jeder neue Zustrom weiblicher Industriearbeiter nur die Masse der ungelernten vermehrt.
Zugleich darf nicht übersehen werden, daß diese 5,8% gelernte weibliche Arbeiter nur cum grano salis zu verstehen sind. Unter ihnen stehen z. B. 148 000 gelernte Schneiderinnen. Das sind aber zum größten Teile Frauen, die nur 4-6 Monate gelernt haben, bei denen also von wirklicher Fachausbildung gar nicht die Rede sein kann. Weiter erscheinen hier 8616 Friseurinnen (gegen 8 5773 Friseure) als gelernte Arbeiterinnen. Nun weiß aber jeder Mensch aus der täglichen Erfahrung, daß es sich hier oft um 6-8 wöchentliche »Ausbildung« handelt, die sogar nur vorgetäuscht wird um das Gewerbe der Prostitution zu verbergen und daß diese Frauen mit dem »gelernten Friseur« niemals auf gleiche Stufe gestellt werden.
Sehr bezeichnend sagt Helene Simon, die in ihrer wertvollen statistischen Arbeit die Zahlen der »gelernten Arbeiterinnen« für die einzelnen Branchen zusammenstellt: »ln den 3 großen Gewerben mit je über 100 000 Frauen: Weberei, Spinnerei und namentlich in der Tabakindustrie sind Grundzahl und Zuwachsverhältnis der gelernten Arbeit der Frauen sogar vergleichsweise hoch. Die Gründe liegen nahe: Weder Weberei und Spinnerei noch Tabakgewerbe sind im Durchschnitt Tätigkeiten, die fachliche Ausbildung und längeren Lehrgang erheischen.«
Angesichts dieser minimalen Zahlen und ihrer tatsächlichen Bedeutung müssen wir sagen: Die industrielle Arbeiterin aller Branchen weiß von gelernter Arbeit so gut wie nichts. Die Frau ist nur unter den Scharen der ungelernten Arbeiter zu finden oder, wie es Dr. Hanns Dorn, München, ausgesprochen hat.
»Die Frauen sind die Kulis der modernen Volkswirtschaft«.
Was ist nun ungelernte Arbeit? Dr. Marie Baum[7] gibt auf diese Frage eine kurze Antwort: »Was ist ungelernte Arbeit? Tote Arbeit, die, wenn beendet, auch abgetan ist, Arbeit, die mit dem Wesen des Arbeitenden in keinerlei fördernder Beziehung steht; entseelte, entsittlichte Arbeit.
Man macht sich diese Unterschiede am besten durch einige Bilder klar. Das Schwarzwälder Dorfkind, das Porzellanknöpfe auf Pappblätter näht, oder für Blumenfabriken die grünen ausgestanzten Blättchen mit Stielen beklebt, müht sich schon im zartesten Alter mit typisch ungelernter Tätigkeit ab, der gegenüber selbst körperlich noch anstrengendere Hilf e im Haus, Garten, Feld oder in der väterlichen Handwerksstätte beneidenswert erscheint. Neben das schulentlassene, heranwachsende Mädchen, das im Fabrikbetriebe packt, einfüllt, Papier oder Lumpen sortiert, ausstanzt, als Aufsteckerin die Spinnmaschine bedient usw. usw., stelle man etwa den weiblichen Lehrling in einer guten Schneider- oder Buchbinderwerkstatt, die Schülerin einer Haushaltungsschule, oder gar einer kunstgewerblichen Anstalt. Neben die Arbeiterin, deren Tagewerk ein endloses, eintöniges Wiederholen weniger Handgriffe ist, die andere, die in ihrer Arbeit schöpferisches Können und sei es auch nur in primitiven Formen, wie Geschmack, Anpassung, geschicktes Kombinieren hineintragen muss.«
Wer aber diese ungelernte Arbeit der Frau mit einem Blick überschauen will, der folge mir im Geiste in einen »Zentral-Arbeitsnachweis« unserer Großstädte. Da haben die Buchbinder, die Schlosser, die Maler, die Maschinenbauer, die Konditoren ihre »Facharbeitsnachweise« wo für jeden Beruf in einem besonderen Raum Arbeit an gelernte Arbeiter der Branche vermittelt wird. Fachleute leiten den Arbeitsnachweis, denn es gehört technisches Wissen und Können dazu, den Schriftsetzer, den Schneider etc. passend unterzubringen. Nun treten wir in die Abteilung für Frauen. Da sitzen sie durcheinander: halbe Kinder, die erst in das Leben der Arbeit eintreten wollen, und ältere Frauen, die vom Leben herumgestoßen wurden, wieder einmal Schiffbruch gelitten haben und nur »Arbeit!« rufen, »Arbeit, so bald als möglich!!« Nun geht der Arbeitsmarkt los und durcheinander schallen die Angebote.
Gesucht wird:

  • eine Reinmachefrau für Privathaushalt,
  • eine Bogenfängerin für eine Druckerei,
  • eine Papiersortiererin,
  • eine Durchlasserin für Dampfwäscherei,
  • ein Mädchen für eine Lehrstelle für Porzellanmalerei; 4 Wochen Lehrzeit, dann ausgelernt!! Guten Verdienst im Akkord,
  • Lehrmädchen für Knopfloch-Maschine, 14 Tage Lehrzeit!! Dann Akkord,
  • Geübte Kragen-Stärkerin,
  • Packerin für Konfitüren,
  • Arbeiterin für Bonbonfabrik: wöchentlich 11 M,
  • Hohlsaum-Näherin für Wäsche-Geschäft,
  • Tütenkleberin,
  • Toiletten-Frau für ein großes Café,
  • Laufmädchen für ein Pelzgeschäft: wöchentl. 13 M,
  • Bouillon-Würfel-Einpackerin, 12 M. wöchentl.
  • Kaffee-Verleserin,
  • Korsett-Plätterin,
  • Geübte Schrauben-Dreherin,
  • Etikettiererin für eine chemische Fabrik,
  • Maschinen-Arbeiterin, die etwas nähen kann,
  • Packerin für chirurgische Instrumente,
  • Mädchen zum Fädenabschneiden: 11-12 M. wöchentl.

So geht der Arbeitsnachweis der ungelernten Frauenarbeit fort, Tag für Tag, jahraus, jahrein. Die einzelnen treten heran, nehmen an, lehnen ab. Für wie lange? Danach fragt niemand und kann niemand fragen, denn diese Masse flutet hin und her. Sie hat keine innere Verbindung mit ihrer Arbeit, sie wirft sie hin, wenn besser bezahlte winkt. Viele unter diesen Mädchen und Frauen sind oft wiederkehrende Gäste. (...)
Suchen wir nun nach einer volkswirtschaftlichen Erklärung für die Tatsache, daß die Masse der Frauen wie loser Sand widerstandslos in die Tiefen des Arbeitslebens geschwemmt wird, So ist sie leicht gefunden.
Das Maschinenzeitalter hat eine Teilung und eine Mechanisierung des Arbeitsprozesses zur Folge gehabt, die beide der Vergangenheit völlig unbekannt waren. So entstand ein Riesenbedarf nach ungelernten und darum billigen Arbeitskräften. Als solche boten sich die Frauen dar, die durch die wirtschaftliche Entwicklung aus dem Hause gestoßen, als völlige Neulinge, ungelernt und unbeschützt in die Welt der öffentlichen Arbeit eintraten.
Noch bis zur Stunde ist dieser Bedarf der Industrie nach ungelernter Arbeit ein steigender, die Masse der ungelernten Arbeiter ist von 1895-1907 von 19,3 auf 24,1 % gestiegen. Unerschüttert aber bleibt die Tatsache, daß noch heute die ganz überwiegende Masse der Männer in der Industrie gelernte Arbeit tut, die Frauen aber fast nur ungelernte. Von »Konkurrenz der Frau« kann also nur in der Unterschicht der ungelernten Arbeiterschaft die Rede sein, in der gelernten Arbeit - gleichviel ob sie in der Werkstatt des Meisters oder in der Fabrik getan wird - herrscht konkurrenzlos der Mann.
Aus der Feststellung dieser Tatsache und dem Vorhergesagten ergibt sich, daß jede geistige Höherentwickelung, jede wahre Menschwerdung dieser 2,1 Millionen Industriearbeiterinnen ausgeschlossen ist, so lange es nicht gelingt, auch die Frau zum Fach und Berufsmenschen zu machen.
Da wir nun angesichts der Frauenleistungen in allen Kulturstaaten und auf den verschiedensten Gebieten uns längst der wunderlichen Theorie entwöhnt haben, daß die Natur alle Gaben des Geistes auf das eine Geschlecht ausgeschüttet und das andere nur für das Gebiet sexueller Leistungen bestimmt habe, so können wir den wahren Grund für den Tiefstand industrieller Frauenarbeit nicht in der Eigenart des Geschlechtes finden.  Wir finden ihn aber auch nicht in der kapitalistischen Wirtschaftsform allein, sondern vor allem in der Organisation des Männerstaates, wie er war und noch heute ist.
Wer war da in den 50er und 60er Jahren, des vorig. Jahrh. als die Umwälzungen des Maschinenalters auch über Deutschland heraufkamen, der der Frauen, ihrer Bildung, ihrer Höherentwickelung gedacht hätte? Der Staat sorgte für die Ausbildung der Knaben, das Kapital riß die billigen Frauenhände an sich. Das war alles.
Eine organisierte Frauenbewegung als öffentlichen Machtfaktor gab es nicht. Das Wort von Auguste Schmidt: »Wir fordern, daß die Arena der Arbeit der Frau geöffnet werde« klang wie ein Hohn, wenn man auf die hungernden und seufzenden Arbeits- und Ehesklaven da unten blickte. Aber je mehr die Frauenbewegung erstarkte, um so mehr wurde sie sich ihrer Pflicht bewusst, und dieses Bewusstsein faßte sich in der Forderung der obligatorischen Fortbildungsschule zusammen.
Freilich, der Inhalt, den man dieser Forderung gab, war so kümmerlich, so irrtümlich, wie die sozialpolitische Erkenntnis der Frauen jener Tage. Die Welt der Handwerksstube, der Fabrik war ihnen Inner-Afrika. So träumte man von einer allgemeinen Fortbildungsschule mit Deutsch, Rechnen, Kochen, Flicken, Nähen und etwas Kinderpflege, und dieser Gedanke blieb unerschüttert trotz all der Tausende, die jahraus jahrein in immer wachsender Zahl körperlich, geistig und sittlich in den Tiefen der ungelernten Industriearbeit versanken.
Die verdiente Organisation der kaufmännisch angestellten Frauen (Kaufmännischer Verband für weibliche Angestellte, Berlin. 25238 Mitgl.) legte zum ersten Male Bresche in diese allmählich versteinerten Anschauungen. Mit voller Klarheit über das, was not tat, forderten diese Frauen eine obligatorische Fachschule und setzten die Bestimmung des § 120 der Reichsgewerbeordnung durch, nach welcher der Fortbildungszwang durch die Ortsbehörde auch für kaufmännisch angestellte Frauen beschlossen werden kann. Von dieser gesetzlichen Bestimmung haben bisher 70 Städte Gebrauch gemacht. Die erste weibliche obligatorische Fortbildungsschule, die in's Leben trat, war also eine streng begrenzte Fachschule. Mit unerbittlicher Energie hat diese große Berufsorganisation dagegen gekämpft, als man ihnen das »Kochen« in ihre Fachschule hineinbringen wollte.
Die organisierte Arbeiterinnenschaft aber war innerhalb der Männer-Organisationen an eigener Initiative gehindert und damit tot für den Gedanken der Frauenbildungsreform. Die wenigen aber doch entschieden bahnbrechenden Schritte des Lettehauses, die zur Ausbildung einiger Schriftsetzerinnen, Buchbinderinnen führten, berührten die Massen des Arbeiterinnenstandes nicht im Geringsten.
Da endlich, als im Januar 1909 die Ergebnisse der Berufszählung von 1907 erschienen und die neuen Zahlen das Bildungselend der industriellen Arbeiterinnenschaft und zugleich die schwere nationale Gefahr in seiner ganzen Größe aufdeckten, gelang es einer kleinen Schar sozialdenkender Frauen und Männer, den alten Bann zu brechen und in 8monatlicher Arbeit den Verband für handwerksmäßige und fachgewerbliche Ausbildung der Frau zu schaffen. Sein Verdienst ist schon heute, daß er dem Gedanken der »allgemeinen Fortbildungsschule« den Todesstoß gegeben und für die industrielle Arbeiterin die Fachbildung gefordert hat, die allein ihr den Aufstieg in die Schicht der gelernten Arbeiterschaft ermöglicht.
Um den Einwendungen, die man auf Grund der massenhaften ungelernten Frauenarbeit machen könnte, sofort zu begegnen, erkläre ich ausdrücklich, daß auch für die ungelernte Arbeiterin die »allgemeine Fortbildungsschule« ein Widersinn ist. Nehmen wir zwei Beispiele: A. eine ungelernte Arbeiterin in einer Baumwollen-Spinnerei, B. eine ungelernte Arbeiterin in einer Fischkonservenfabrik. Was braucht die Erste? Nun, sicherlich Kenntnis der Maschine, mit der sie täglich umzugehen hat, weiter: Kenntnis des Materials, das ein Menschenleben lang durch ihre Hände geht, d. h. Kenntnis des Produktions-Gebietes der Baumwolle, der Handelsverhältnisse und endlich der hundertfachen Formen, in denen eben dieses Rohprodukt im Dienste des Menschen erscheint. Das ist die Fortbildungsschule der ungelernten Spinnerin, die teilt sie mit keinem anderen.
Dagegen die ungelernte Arbeiterin in der Fischkonservenfabrik. Hier werden ganz andere Dinge nötig: der Reichtum des Meeres, Entwickelung des deutschen Fischfanges, die Bedeutung der Seefische als Volksnahrungsmittel müssen der Arbeiterin zum klaren Verständnis gebracht werden. Nur wenn man so vorgeht, wird man auch die ungelernte Arbeiterin innerlich mit ihrer Arbeit verknüpfen und wären die Handgriffe, die sie tut, noch so eintönig und noch so mechanisch.
Erkennt man diese Forderung als richtig an, so ist der Gedanke der allgemeinen Fortbildungsschule tot, und das immer eigenartige Leben der Arbeit ist in jeder Fortbildungsschule allein das Herrschende. Ihm ordnet sich das, was an Fortsetzung der Schulbildung in Deutsch, Rechnen, Zeichnen, Staatsbürgerkunde gegeben werden muss, unter.
Die viel erörterte Frage aber, wo denn diese von früher Jugend an ausserhäuslich tätigen Frauen über ihre Pflichten als Hausfrau und Mutter belehrt werden sollen, ist praktisch am besten dadurch zu beantworten, daß die Volksschule mit obligatorischen Haushaltungs- und Hygieneunterricht den Grund legt und dann für diejenigen, die vor der Ehe stehen, »Ehekurse« eingerichtet werden. Diese Einrichtung besteht in Berlin bereits und wird viel und mit Ernst und Eifer benutzt.
Wir kehren nach dieser Abschweifung zu unserem Thema zurück und untersuchen nun die Wege, die zur Ausbildung der gelernten Arbeiterin führen müssen. Die neue Zeit hat auch dem Handwerk wieder Gesetz und Ordnung gegeben und die Knaben, die zum gelernten Arbeiter aufsteigen wollen, treten bei einem Meister in die Lehre, um nach 3-4jähriger Lehrzeit die Gesellenprüfung und nach weiterer 3jähriger Arbeit als Geselle zu einem kleinen Teil wenigstens die Meisterprüfung zu machen. Die Lehrverträge und eine strenge behördliche Kontrolle der Lehrlingsausbildung sind in bestimmter Form vorgeschrieben. Die Fabriken aber sind der Handwerkskammer und damit diesen gesetzlichen Bestimmungen nicht unterstellt.
Dennoch geschieht es, daß Fabrikbetriebe, wie etwa der von Mix & Genest für Telephonanlagen in Berlin, die Lehrlingsausbildung sehr gründlich betreiben, eine eigene Fachschule errichten und ihre Lehrlinge freiwillig der Handwerkskammer unterstellen.
Außerdem haben wir staatlich anerkannte Lehrwerkstätten und Fachschulen, welche ebenfalls zahlreiche Lehrlinge zu gelernten Arbeitern ausbilden.
Und nun kommen wir bei dieser gesetzlichen Ordnung für den gelernten Arbeiter zu der überraschenden Tatsache, daß gesetzliche Schranken für die Frau auf diesem Bildungswege nicht bestehen. Die Reichsgewerbeordnung kennt keinen Unterschied nach dem Geschlecht. Es sind daher auch schon seit Jahren einzelne weibliche Lehrlinge ausgebildet und ordnungsgemäß geprüft worden. ja, es haben sogar einige Frauen bereits die Meisterprüfung bestanden. Leider ist die Statistik auf diesem Gebiete noch sehr unvollkommen, eine Aufnahme, die der »Ausschuss zur Gründung des Verbandes für handwerksmäßige Ausbildung der Frau« bereits im Sommer 1909 veranstaltete, wurde von vielen Handwerkskammern nicht oder nicht sorgfältig genug beantwortet. (...)
Wir sind somit bezüglich der Fortschritte der Frauenarbeit im Handwerk bis die Handwerkskammern auf diesem Gebiete völlige Klarheit schaffen, auf Zeitungsnachrichten angewiesen, die einzelne sehr erfreuliche Tatsachen melden, z. B. »Ein weiblicher Goldschmiedelehrling ist in Berlin bei Friedländer Unter den Linden eingestellt und besucht auch die Fachschule für Goldschmiede.« »Am 9. April hat Frl. Angelika Brandis, Tochter des Direktors der Jenaer Universitätsbibliothek vor der Weimarer Handwerkskammer ihre Gesellenprüfung als Buchbinder abgelegt. Sie hatte 2 /2 Jahr als Lehrling in der Werkstatt des Buchbindermeisters Adalbert Hochhausen in Jena gearbeitet; sie bestand die Prüfung mit der Note: Sehr gut.«
»Der erste weibliche Braumeister im Deutschen Reiche dürfte Fräulein Kolatschny in Driesen sein, die nach fünfmonatlichem Kursus auf der Brauereiakademie in Grimma i.S. die Prüfung als Braumeister mit Auszeichnung bestanden hat. Die Tochter des Schmiedemeisters Sunntag in Ballenstedt (Anhalt), die seit acht Jahren die einzige Hilfe ihres Vaters beim Beschlagen von Pferden und Ochsen war, hat die Gesellenprüfung bei der Hufschmiedeinnung in Bernburg mit Prädikat >gut< bestanden.«
»In einer kleinen Stadt Badens hat die erste deutsche Dame als Bäckermeisterin ihre Prüfung abgelegt; schon als kleines Mädchen hatte sie ihrem Vater, der eine gut gehende Bäckerei besaß, tüchtig oft helfen müssen, und jetzt wird sie das väterliche Geschäft selbst als Meisterin fortsetzen. Da sie den Bäckermeistertitel besitzt, ist sie auch berechtigt, Gesellen zu halten und Lehrlinge auszubilden. Wie es heißt, sollen sich bereits mehrere junge Mädchen gemeldet haben, die bei der Meisterin, Fräulein Elble, das Bäckereihandwerk erlernen wollen.« (Frauenbeilage, »Berliner Tageblatt«.)

Weiter nennt die Berufsstatistik von 1907 unter den 5,8 % gelernten Arbeiterinnen[8]

782 gelernte Bäcker
129 gelernte Fleischer
12 gelernte Brauer
12 gelernte Klempner
13 gelernte Küfer
6 gelernte Kupferschmiede
4 gelernte Maurer
3 gelernte Erz- und Glockengießer
2 gelernte Büchsenmacher
2 gelernte Mühlenbauer
1 gelernte Hufschmied
1 gelernte Steinsetzer

Endlich finden wir gelernte Arbeiterinnen mit längerer Ausbildung und höheren Löhnen in der Bijouterie-Industrie in Baden und ebenso im photographischen Gewerbe einzelne Frauen, deren künstlerische Leistungen dem Publikum der großen Städte wohl bekannt sind.
Wir finden also vereinzelte Anfänge eines neuen Lebens auf der ganzen Linie.
Als nun der Verband für handwerksmässige und fachgewerbliche Ausbildung seine Arbeit für Gewinnung von Lehrstellen in Berlin begann, beschloss er angesichts dieser Tatsachen von der stark antiken Frage der »männlichen und weiblichen« Berufe ganz abzusehen und wandte sich an die Vertreter von 64 verschiedenen Gewerben. Ausgeschlossen wurden: das Gewerbe der Stein-Setzer, wegen der außergewöhnlichen Kraft, die es erfordert, und das Bäckergewerbe, weil von den wenigstens in Berlin unglücklichen Schlafgelegenheiten sittliche Gefahren für den weiblichen Lehrling befürchtet wurden. Ebenso schied das Schuhmachergewerbe aus, weil dieses Handwerk als ein in Berlin niedergehendes bezeichnet wurde.
Zu dieser Frage der Auswahl der Gewerbe bemerke ich, daß selbstverständlich lokale Verhältnisse mitsprechen müssen. Für München z. B., wo die Anfertigung von teuren Bergschuhen ein blühendes Gewerbe ist, würde die Ausbildung weiblicher Schuhmacher sich entschieden empfehlen, ebenso wurde mir, als ich in einer Mittelstadt über diese Frage sprach, gesagt, daß man gerade die Ausbildung weiblicher Bäckerlehrlinge in-s Auge fassen wolle. Unsere Bedenken wären bei den dortigen Wohnungsverhältnissen leicht zu beseitigen. Weiter ist der Arbeitsmarkt ins Auge zu fassen. Herrscht in einem Gewerbe andauernd, d. h. seit Jahren Arbeitslosigkeit, so wird man selbstverständlich gut tun, von der Einstellung weiblicher Lehrlinge abzusehen. Daher ist eine Verbindung des weiblichen Lehrstellen-Nachweises mit den Vertretern der Gewerkschaften und mit den Arbeitsnachweisen unerlässlich. So wurden wir von den Stuckateuren mit statistischen Aufnahmen, die sich auf mehrere Jahre erstreckten, versehen, die bewiesen, was ja der Augenschein lehrt, daß die Zeit der Stuckfassaden für Berlin vorüber ist und daß längst die schöne künstlerische Steinfassade an ihre Stelle getreten ist.
Alle Gegengründe aber, die von den Gewerkschaften und ihren Facharbeitsnachweisen, sowie von paritätischen Arbeitsnachweisen zur Frage der Einstellung weiblicher Lehrlinge vorgebracht werden, sind aufs sorgfältigste im Interesse der Frauenarbeit zu prüfen. Wenn z. B. die Arbeitslosigkeit in dem betreffenden Gewerbe nur eine vorübergehende Erscheinung ist, so kann man weibliche Lehrlinge wohl einstellen, denn dann steht zu erwarten, daß nach 3 Jahren, wenn der Lehrling ausgebildet ist, das an sich blühende Gewerbe durchaus aufnahmefähig für Arbeitskräfte sein wird. All diesen Bedenklichkeiten gegenüber muss eben immer betont werden, daß die gelernte Arbeiterin auf dem Arbeitsmarkt genau wie der Mann schlechte wie gute Konjunkturen hinnehmen muss.
Was die »mangelnde Körperkraft« betrifft, so hat die Frau in der Landwirtschaft, im Bergbau, bei Erd- und Forstarbeiten, beim Steine- und Torftragen bereits so viele Beweise von Körperkraft gegeben, daß man einem gesunden Mädchen von 14 Jahren nicht den Beruf des Tischlers oder Schlossers verschließen darf. Sie wird sich sogar hier, wo mehr Kraft gefordert wird, besser entwickeln als etwa an der Nähmaschine. Bessere Löhne und bessere Nahrung werden manche alte Theorie gründlich erschüttern.
Nachdem nun über die Auswahl der Gewerbe entschieden und die Anschreiben an Innungen und Gewerkschaften abgegangen waren, war es interessant, das Ergebnis zu sehen. Ein großer Teil der offiziellen Vertreter antwortete gar nicht, der andere Teil lehnte die Einstellung weiblicher Lehrlinge ab, da das Gewerbe für Frauen nicht geeignet sei, ein kleiner Teil antwortete freundlich zustimmend. Der Bitte, uns tüchtige Meister zu nennen, die geneigt wären, Mädchen auszubilden, entsprach niemand.
Wir ließen uns dadurch nicht abschrecken, sondern sind so zusagen von Haus zu Haus gegangen, um eine offene Tür zu finden. Der Kräfte aber, die zu einem weiblichen Lehrstellen-Nachweis nötig sind, waren viel zu wenige. Man kann direkt auf Unterbringung eines Mädchens 4 Wochen Arbeit rechnen. Daher der bescheidene Erfolg: 3 weibliche Lehrlinge in 3 Monaten untergebracht: 1 Buchbinderlehrling, 1 Zuschneidelehrling für feine Wäsche, 1 Lehrling im Atelier eines eleganten Damenschneiders.
Die Arbeit der weiblichen Lehrstellen-Nachweise muss daher nicht (wie bei den Knaben) 3 Monate, sondern 6 Monate vor der Schulentlassung beginnen, und muss über zahlreiche Kräfte verfügen, wenn etwas Größeres erreicht werden soll.[9] daß die Handwerkskammer, die Innungen, die Gewerkschaften, Volks-und Fortbildungsschullehrer sich offiziell an der Arbeit beteiligen, ist dringend zu wünschen.[10]
Nicht vergessen soll hierbei werden, daß trotz vielfacher Bemühungen unsererseits die Facharbeitsnachweise für gelernte Arbeiter, die zahlreiche Lehrstellen an Knaben vermitteln, jede Lehrstellen-Vermittelung an Mädchen glattweg ablehnten. In einem Falle geschah das mit der klassischen Antwort: »Solange noch ein Familienvater arbeitslos ist, werden wir kein Mädchen einstellen. Im übrigen - eine Frau findet immer Arbeit«. Auf den Hinweis, daß ja auf diese Weise jede höhere Bildung der Arbeiterin niedergeschlagen würde und man doch sonst so große Worte im Munde führe von dem gleichen Recht für beide Geschlechter, hieß es nur kurz: »0, ja, für bessere Bildung sind wir auch.«
Ein älterer gutmütiger Mann im Facharbeitsnachweis der Schlosser, gefragt, ob er ein Mädchen unterbringen würde, sagte ganz überrascht: »Nein, so weit sind wir noch nicht!« Dann aber besann er sich und setzte hinzu: »Aber freilich, einzelne Meister haben schon ihre Tochter ausgebildet«. So war uns denn bald klar, daß nur immer wiederholte persönliche Besuche bei den einzelnen Meistern und jahrelange propagandistische Tätigkeit in der Presse und in Arbeiterversammlungen zum Ziele führen könne, trotzdem gesetzliche Schranken für die Fachbildung der Frau nicht bestehen.
Neben diesem eisernen Widerstande aber erhebt sich ein anderer nicht minder zäh und scheinbar unüberwindlich - und das ist der der Eltern.
Es ist auch bei dem besser gestellten Arbeiter eine alte Tradition: der Knabe geht in die Lehre, das Mädchen - geht in die Arbeit. Der Knabe wird 3-4 Jahre von den Eltern erhalten, (das Kostgeld des Meisters von 4-8 M. wöchentlich reicht zur Erhaltung des Lehrlings nicht aus). Das Mädchen muss »verdienen« und die Familienkasse füllen. Ganz naiv kam diese allgemeine Auffassung in den Worten einer tüchtigen Frau und fürsorglichen Mutter zum Ausdruck, die mit einem begabten Mädchen, das die 1. Kl. der Berliner Volksschule durchgemacht hatte, zu mir kam. Das Mädchen wollte zur feinen Wäsche-Konfektion gehen. Ich schlug ihr den Beruf der »Zuschneiderin für feine Wäsche« vor mit 31/2jähriger Lehrzeit. Der Arbeitgeber zahlt zunächst nur 3,75 M. wöchentliches Kostgeld, steigert daßelbe aber allmählich, bis 12,50 M. erreicht sind. Erschreckt sagte die Frau: »Nein, das kann ich nicht, Sie müssen bedenken: ich habe 3 Knaben in einer guten Lehre«. Erst als ich ihr sagte, welche Versündigung sie an ihrem Kinde zu begehen im Begriff war, wurde sie still, sah alles ein und hat dann mit großer Geduld alle Gänge und Enttäuschungen auf sich genommen, die wir durchmachen mussten, bis das Mädchen vorzüglich untergebracht war.
7000 Anschreiben an die Eltern haben wir vom 1. Januar 1910 bis 1. April 1910 in den Berliner Volksschulen zur Verteilung gebracht - 4 Mädchen haben sich auf dieselben hin gemeldet. Da am 30. April 1909 31 209 Lehrlinge in die Rollen der Berliner Handwerkskammer welche Berlin und den Regierungsbezirk Potsdam umfasst, eingetragen waren, und nach allgemeiner Schätzung 3-4000 Lehrlinge heimlich ausgebildet und der Kammer entzogen werden, so wird man nicht fehl gehen, wenn man annimmt, daß aus Groß-Berlin allein jährlich etwa 8-9000 männliche Lehrlinge der gelernten Arbeit sich zuwenden. Rechnet man nun diejenigen hinzu, welche in Fabriken ausgebildet werden, so erreicht man sicher die Zahl: 10 000 d. h. bei jeder Schulentlassung in Groß-Berlin treten etwa 5000 männliche Lehrlinge in geordnete Lehren ein.
Dieser Zahl entsprechen auch die Angaben aus den Berliner Fortbildungsschulen für Knaben. Hier sind bei Einführung der obligatorischen Fortbildungsschule Fachabteilungen für 30 Berufe geschaffen worden und damit sind für die männliche Arbeiterjugend vorzügliche Grundlagen für eine fachgewerbliche Ausbildung gegeben. Lehrherren und Schulleiter gingen bei der Aufstellung der Lehrpläne Hand in Hand.
Die Handwerkskammer hat als Beirat eine bedeutungsvolle Stimme. In diesen Fortbildungsschulen von Berlin (Charlottenburg, Schöneberg etc. rechnen also nicht mit) sind heute 33 000 Knaben untergebracht, wovon 22 000 gelernte und 11 000 ungelernte Arbeiter sind. Es wäre somit für Groß-Berlin die Zahl von 10 000 männlichen Lehrlingen als jährlich Neueintretende eher zu niedrig als zu hoch gegriffen sein. Demgegenüber berichtet die Berliner Handwerkskammer auf meine Anfrage, daß im April 1910 im Kammerbezirk (Stadtkreis Berlin und Regierungsbezirk Potsdam) 17 weibliche Lehrlinge gemeldet waren und zwar:

  • 2 Uhrmacher
  • 4 Photographen
  • 5 Barbiere, Friseure und Perrückenmacher
  • 6 Buchbinder.

Da nun die Zahl der weiblichen Volksschülerinnen noch etwas größer ist als die der männlichen, so geben diese Lehrlingszahlen ein erschreckendes Bild von der völligen Verwahrlosung der gewerblichen Frauenbildung. Erst wenn den 10 000 Knaben 10 000 Mädchen als Lehrlinge an die Seite treten, wird unsere Aufgabe gelöst sein. Wir Frauen aber haben schon mehr als einmal solchen Riesenaufgaben gegenüber gestanden, wir erschrecken nicht. Wohl aber gilt es, die in der deutschen Frauenbewegung organisierten Frauen aufzuklären über die große Aufgabe, die in ihre Hände gelegt ist. Die Bildungsreform für die Töchter des Arbeiterstandes muss endlich planmäßig und energisch in Angriff genommen werden. Zahlreiche Frauen sind reif für diese Arbeit, und was ihnen da oder dort noch fehlen könnte, das wird die Praxis ihnen bald geben. Sie werden auch auf diesem Wege nichts Neues finden: die alten Widerstände, die alten verblassten Theorien. Aber erschrecken werden sie vor dem Gedanken: »Wie wenig haben wir für die Berufsbildung unserer hart ringenden Geschlechtsgenossinnen da unten getan!«
Nun denn: was versäumt ist, kann nachgeholt werden. Die Tatsachen der Statistik sind da, die Gewerbe-Ordnungsnovelle ist da und der Reichstag wird, wenn nicht alle Zeichen trügen, in wenigen Monaten den Ortsgemeinden das Recht geben, den Fortbildungsschulzwang auch für die weiblichen Arbeiter zu beschließen. Im größten deutschen Staate aber ist ein besonderes Fortbildungsschulgesetz für 1911 angekündigt. Da heißt es sich aufraffen. Kein Frauenverein darf ohne einen »Ausschuss für handwerksmäßige und fachgewerbliche Ausbildung der Frau« bleiben. Die Not ist groß, und die Zeit ist reif. Vielleicht gelingt es auch endlich eine Brücke zu den sozialistischen Frauen zu schlagen und ihre Unterstützung für die Arbeit zu gewinnen.
Selbst wenn sie aber ablehnen, müssen wir tun, wozu wir berufen sind. Die Versöhnung der auseinander gerissenen Klassen kann nur von oben her kommen. Hier ist ein Mittel zur sozialen Versöhnung wie nicht leicht ein anderes. Soziale Wohltaten aller Art kann man vergessen, aber die Hand, die dem Einzelnen sich darbot, damit er als Mensch, als Persönlichkeit seine Kräfte entfalte - die wird nicht vergessen. Von dieser Tatsache gilt das Dichterwort: »Ein Werdender wird immer dankbar sein«
Haben wir nun gesehen, daß es gilt, weite Gebiete der männlichen Arbeit dem Weibe neu zu erobern, so wären diese Erörterungen doch höchst lückenhaft, wenn sie nicht auch das Gebiet berührten, das man bisher als das »weibliche Handwerk« anzusehen gewöhnt war. Mit diesem Namen bezeichnet man die von Frauen betriebene Damenschneiderei, das Putzmachen, Wäschenähen, Frisieren. Was hier fehlt, ist eine völlige Neuordnung. Was als »männliches« Handwerk gilt, ist gesetzlich sehr wohl geordnet. Schon das sogenannte »Handwerkerschutzgesetz v. J. 1897« hat den Grund zu einer sorgfältigen Lehrlingsausbildung und zum Schutze des Meistertitels gelegt. Die Gewerbeordnungsnovelle vom 30. Mai 1908 unter dem Titel »Gesetz über den kleinen Befähigungsnachweis« bekannt, geht aber sehr viel weiter und fordert von jedem, der in einem Handwerk Lehrlinge - Knaben oder Mädchen - ausbilden will,

  1. ein Alter von 24 Jahren,
  2. die Ablegung der Meisterprüfung. (Reichsgewerbe-Ordnung §§ 126, 129, 131, 133 )

»Zur Meisterprüfung sind in der Regel nur solche Personen zuzulassen, welche eine Gesellenprüfung bestanden haben und in dem Gewerbe, für welches sie die Meisterprüfung ablegen wollen, mindestens 3 Jahre als Geselle tätig gewesen« ... »Um wirtschaftliche Schädigungen einzelner aber nur in der Übergangszeit« zu vermeiden, lässt das Gesetz die Ausnahme zu, daß bis zum 1 Oktober 1913 Personen, welche die Gesellenprüfung nicht bestanden, aber ihr Handwerk bereits vor dem 1. Oktober 1908 als Gehilfen oder selbständig ausgeübt haben zur Meisterprüfung zugelassen werden. Tüchtige, mindestens 24 Jahre alte Schneiderinnen haben also damit die Möglichkeit, nach dem Besuch von Meisterkursen zur Meisterprüfung zugelassen zu werden.

Dieses wichtige Gesetz verfolgt den Zweck, eine gründliche Lehrlingsausbildung sicher zu stellen und die Pfuscherarbeit durch Qualitätsarbeit zu bekämpfen.
Leider wandte man daßelbe - ebenso wie das zuerst genannte auf die sogen. weiblichen Handwerke gar nicht oder nur in den seltensten Fällen an. Man argumentierte nämlich so: die »Damenschneiderei«, »Putzmacherei«, das »Wäschenähen« und »Frisieren« der Frauen stellt ein »Handwerk« im eigentlichen Sinne, d. h. einen »Beruf auf Lebenszeit«, nicht dar. Es handelt sich bei dieser Frauenarbeit nur um eine voreheliche »Beschäftigung« oder um ein ganz bescheidenes Lernen »für den Hausbedarf«. Aus diesem Grunde eignet sich das ganze Gebiet des »weiblichen Handwerkes« für eine strenge, gesetzliche Erfassung nicht. Aus dieser Auffassung der berufenen Behörden ist die Verwahrlosung der Frauenarbeit erwachsen, die wir heute sehen. Nehmen wir als Beispiel die allgemein bekannten Zustände in der »Damenschneiderei«.
Jedes junge Mädchen, das etwas schneidern kann, nimmt »Lehrlinge« an. Die Lehrzeit dauert 4 Wochen, 3 Monate, 1 Jahr. Was das Kind lernt, kontrolliert niemand, keine Prüfung stellt seine Kenntnisse fest. In den meisten Fällen aber kann ihm gar nichts Gründliches gelehrt werden, weil die Lehrmeisterin selbst nichts versteht und die Lehrzeit zu kurz ist, also alle Bedingungen für eine fachgemäße Ausbildung fehlen. Die Ausbeutung der kindlichen Arbeitskraft ist die Hauptsache. Mancher macht 2, 3 derartige Lehrkurse durch und bleibt selbstverständlich ein Stümper und Pfuscher. Nur ganz ausnahmsweise ringt sich eine besonders begabte Natur unter vieljährigen Mühen zu etwas Tüchtigem durch.
Das ist die Fürsorge, die der Staat der Berufsbildung der Frau gewidmet hat. (...)
Es ergibt sich also aus dem bisherigen Überblick, daß es sich auf dem ganzen Gebiete der gewerblichen Arbeit immer um das Gleiche handelt: nämlich darum: die Frau zum gut durchgebildeten Fachmenschen zu machen. Ob wir ihr neue Arbeitsgebiete erobern, indem wir sie zum Maschinenbauer machen, oder ob wir ihr altes Arbeitsgebiet: wie die Damenschneiderei fachgewerblich in Ordnung bringen - das läuft im Grunde auf daßelbe hinaus.[11] daß die »Ausschüsse für handwerksmäßige und fachgewerbliche Ausbildung der Frau« nach beiden Richtungen arbeiten, halte ich für unerläßlich, einmal weil es gilt eine größere Anzahl von Lehrstellen zur Verfügung zu haben und dann, weil Anlagen und Neigungen der Mädchen sehr verschieden sind. (...)