Beruf - Familie - Emanzipation

Im Haus sind die Kinder, im Betrieb ist die
Arbeit. Was anderes soll sie tun, als sich
abrackern? Nachzudenken, woher sie kommen
und wohin sie gehen, sind die Frauen an
den schönen Abenden zu erschöpft.
BERTOLT BRECHT

Studium und Beruf der Frau
(1902)*

* Vortrag, gehalten im Verein für erweiterte Mädchenbildung am 12. März 1902

Männer, die studiert haben, blicken auf ihre Studienzeit als auf die schönste ihres Lebens zurück; nicht anders geht es den studierten Frauen, obwohl das Universitätsleben sich für sie anders gestaltet. Als Mädchen zuerst anfingen zu studieren, malten Witzblätter aus, wie es wäre, wenn nun Frauen den Schläger führten und Salamander rieben. Es versteht sich von selbst, daß die studierenden Mädchen im allgemeinen nichts getan haben, was nicht der weiblichen Art gemäß wäre, und daß sie infolgedessen den Ausartungen des männlichen Studentenlebens unserer Zeit ferngeblieben sind. Sie stehen in einer idealistischen Epoche, und das Universitätsleben ist dem nicht unähnlich, das die männliche Jugend am Ende des achtzehnten Jahrhunderts, im Zeitalter des Idealismus, führte, wo der Zauber der studentischen Freiheit hauptsächlich in gemeinsamem Wandern und Schwärmen bestand, wo der Rausch durch unendliche Gespräche erzeugt wurde, in denen sich die erwachsenen Geister gegeneinander ergossen, wo man sich selbst fand, indem man Wahrheit und Schönheit suchte.
Von zwei Seiten fließt jetzt dem studierenden Mädchen der neue Lebensquell: der Einblick in die Wissenschaften erschließt ihr die geistige Welt; die Berührung mit Mensch und Leben entwickelt ihre Persönlichkeit und weckt ihren Sinn für die Welt der Dinge. Ich hörte selbst von einer Frau, die schon eine reife Persönlichkeit war, als sie anfing zu studieren, daß es den Beginn einer neuen, glücklichen Epoche für das Leben bedeutete, als sie begriff, daß über der konkreten Welt eine abstrakte besteht, als etwas Dauerndes, Unzerstörbares, eine Ewigkeit, an der alles teilnimmt, was je irgend einmal geistiges Leben gehabt hat.
In den meisten Fällen wird bei dem studierenden Mädchen das Erwachen der Erkenntnis mit dem der Persönlichkeit zusammengehen. Sich seiner selbst bewußt werden, sich der Welt gegenüber, wenn auch nicht als ein Ganzes, aber doch als eine werdende Einheit, als ein Keim zu allen Möglichkeiten empfinden, gewissermaßen begreifen, daß einem ein Reich gegeben ist, in dem man herrschen soll, mag das größte Glück sein, das der Mensch erleben kann; auch die Bereicherung der Erkenntnis durch die Wissenschaft kommt schließlich der Persönlichkeit zugute. In der Familie ist das heranwachsende, ja auch das erwachsene Kind, nichts Selbständiges, es nimmt teil am Charakter der Familie, der ein gewisses Maß von Achtung und Neigung entgegengebracht wird.
Verfolgen die Eltern auch die Entwicklung des Kindes mit Aufmerksamkeit, übertreiben sie sogar die Bedeutsamkeit seiner Lebensäußerungen, so tun sie es doch immer unter einem bestimmten Gesichtswinkel und kommen nie ganz aus einem Kreise von Gefühlen und Annahmen heraus, der sich in den allerersten Lebensjahren des Kindes bildete. Kommt das Mädchen in eine fremde Umgebung und in neue Verhältnisse, so fehlen alle Voraussetzungen, einer Studentin begegnet man sogar vielfach noch mit Mißtrauen.
Das hat sein Schweres; denn wenn auch die Familie das Ich, das Neue, Eigene im Kinde nicht unbefangen sah, sein unterirdisches Wesen, sein Weinen und Lachen, seine verborgenen Wurzeln kennt doch niemand wie sie, und es kommt oft hart an, gerade das Selbstverständliche erklären zu sollen. Aber dieser Zwang hilft einem zu werden, was man ist.
Wofür man unter Fremden gehalten werden will, das muß man sein, und die Keime der Persönlichkeit wachsen und gestalten sich im unbewußten Drange, so und nicht anders angesehen zu werden, als wie sie ist. Umgekehrt sieht die aus dem heimatlichen Umkreis Herausgetretene jetzt zum erstenmal unbefangen Welt und Menschen an. Bisher erlebte sie nicht, was sie sah, sie stand nicht fern genug, sie war noch kindlich mit der Welt verwachsen; nun drängt sich ihr Neues auf, sie vergleicht, und alles gewinnt Leben und Bedeutung. (Vortrag, gehalten im Verein für erweiterte Mädchenbildung am 12. März 1902.)
Im Verkehr mit Freunden, die einen in sich auf nehmen, wie man sie aufnimmt, die den eigenen verwandte Tätigkeiten und Ziele haben, kommt der junge Mensch am leichtesten und glücklichsten zu sich selbst, und es ist deshalb die Freundschaft der eigentliche Stern der Studienzeit, weit mehr als die Liebe ihr zugehörig und günstig.
Es ist viel über Mädchenfreundschaft gespottet worden, ohne daß man bedachte, wie selbstverständlich es ist, daß eine auf Zufall, das heißt auf Äußerlichkeiten gegründete Verbindung zwischen unpersönlichen Wesen auch durch jeden Zufall wieder zerstört werden kann. Wenn die Mädchen zu Persönlichkeiten heranreifen, führt ihre Neigung zu anderen Mädchen zu Verbindungen, die dauernd glückbringend und fruchtbar sind und den Titel Freundschaft mit mehr Recht beanspruchen dürfen als wenigstens in unserer Zeit die meisten Beziehungen der Männer untereinander. Die Intensität ihres Seelenlebens befähigt die Frauen im allgemeinen ganz besonders zur Freundschaft; sie begnügen sich nicht, wie die meisten Männer tun, mit einer oberflächlichen Gemeinsamkeit der Interessen, sondern wollen nur mit der häufigen Umgang pflegen, an deren ganzer Persönlichkeit sie Wohlgefallen haben und in deren Innerstem sie sich heimisch fühlen. Ich glaube, daß für alle Frauen, die studiert haben, die gemeinsam mit Freundinnen verbrachten Stunden, Wanderungen über die Berge, Fahrten auf dem See oder lange Abende am offenen Fenster, bei der Lampe, beim Klavier, bei der Arbeit, Glanzpunkte der Rückerinnerung sind.
Es waren Augenblicke, in denen sich das Gefühl der Jugend und Kraft, der unendlichen Zukunft besonders feurig sammelte. Für die ersten, die studierten, kam und kommt vielleicht jetzt noch dazu das Bewußtsein, sich das Recht zu studieren erobert zu haben, oder denn, wo aller Widerstand gefehlt hat, daß es ihnen als besonderes Glück, wonach viele umsonst streben, in den Schoß gefallen ist. Ich lobe damit nicht die eitle Freude, etwas Außergewöhnliches, Auffallendes zu tun oder zu erleben - wirklich erleben tut das nur derjenige, der es nicht sucht - aber das Ungewöhnliche bringt zu Bewußtsein und verhindert, daß man, wie es so oft geschieht, das Gute genießt, ohne es zu merken, und erst am Nachgeschmack spürt, daß man es hatte. Sind einmal den Mädchen alle Wege zum Studium geebnet, wird ihnen das Hochgefühl entgehen, das diejenigen beglückte, die es sich erkämpfen mußten; woraus freilich nicht geschlossen werden darf, daß es besser wäre, dem Frauenstudium fortwährend soviel wie möglich in den Weg zu legen.
Bekanntlich sind Männer am vergnügtesten, wenn sie unter sich sind, während in die üblichen Mädchengesellschaften erst Leben kommt, wenn die Herren erscheinen. Die Studentinnen pflegen gern jene Geselligkeit, deren Übermut und Heiterkeit auf der Abwesenheit jedes sinnlichen Moments beruht. Indessen ist auch der Verkehr mit den Studenten nicht gering anzuschlagen, durch den das Mädchen wieder mit neuen, in mancher Hinsicht von ihr abweichenden Individuen in Berührung kommt. Sie lernt den jungen Mann von einer besonders liebenswürdigen Seite, als Kameraden, kennen und genießt einen Umgang, der ebenso unschuldig und fördernd ist wie der mit dem gleichen Geschlechte und doch, bei aller Abwesenheit von Liebe, durch die bloße Möglichkeit derselben, einen anmutigen Reiz erhält. Die lebhafte Achtung, die gut geartete Studenten ihren gutgearteten Kolleginnen entgegenbringen, bildet eine Grundlage, auf der sich Ritterlichkeit und Galanterie besonders herzlich präsentieren. Daß häufig auch Liebe sich hier einstellt, versteht sich von selbst; eben so oft aber bilden sich Freundschaften, die für beide Teile wertvoll sind.
Wer mit angesehen oder mit erlebt hat, wie es die Studentinnen treiben, der begreift die Befürchtung nicht, die manche Menschen hegen, als könne sich durch das Studium der Typus der gelehrten Frau heranbilden, die durch ihre Kräfte übersteigende Kopfarbeit zu kränklich und nervös geworden ist, um noch eine liebenswerte Frau und Mutter gesunder Kinder werden zu können.
(...)
Wenn ich von dem guten Einfluß des Universitätslebens sprach, dachte ich immer an ein ernsthaftes, im Hinblick auf einen in Zukunft auszuübenden Beruf durchgeführtes Studium; denn nur ein solches - wenn auch das bloße Lernen schon nützlich sein kann - wirkt den vollen Segen. Trotzdem läßt sich nicht so uneingeschränkt Gutes vom Berufe sagen wie vom Studium; bezeichnet uns doch der Name Philister, also der nach Verlust der studentischen Freiheit in die Enge des Berufs Eingesperrte, das Trockene, Verstaubte, Beschränkte, die Menschenmumie. Der Beruf im allgemeinen hat etwas Mechanisierendes, lähmt und unterdrückt die Persönlichkeit mehr, als daß er sie entfaltet, im besten Fall entwickelt er sie einseitig.
Das beglückende Gefühl des allseitigen Weiterwachsens hört auf, und kein Bewußtsein von innen heraus zu wirken, tritt entschädigend ein. Auch der Mann hat von jeher darunter gelitten, und neuerdings ist Berufslosigkeit vieler Männer Ideal - vermutlich solcher, die infolge von Entartung weibliche Züge haben. Denn das Weib, sei es durch seine Natur oder durch seine Geschichte, leidet ganz besonders unter der beschränkenden Einwirkung des Berufs; es hat noch unverkümmert den naiven Drang, alles, was es tut, innerlich mitzuerleben, immer mit der Seele dabei zu sein. Entbehrlich ist der Beruf aber darum doch nicht; nur sehr starke Menschen bedürfen seiner Stütze nicht. Schränkt der Beruf die Persönlichkeit ein, so löst die Berufslosigkeit sie auf: fast ist das Übel noch größer.
Am glücklichsten ist derjenige, dessen Beruf seine ganze Persönlichkeit in Anspruch nimmt; und solche Berufe zu ergreifen oder sich zu schaffen, danach scheinen mir die Frauen zu streben.
Einer von den wissenschaftlichen Berufen erfüllt in hohem Maße die gewünschte Bedingung: der des Arztes, zu dem die Frau, wie es scheint, besonders tüchtig ist, und in dem sie sich, wie ich bestimmt weiß, glücklich fühlt. Der ärztliche Beruf verlangt Intelligenz und zum Scharfblick Geschicklichkeit und löst dadurch in erquickender Weise die Gehirntätigkeit ab, vor allen Dingen aber bringt er beständig mit Menschen in Berührung, auf deren Leib und Seele zusamt der Arzt wirken soll. Hier kommt der Frau die seelische Feinfühligkeit, die sie im allgemeinen vor dem Manne voraus hat, zustatten. Der Mensch ist das Lieblingsthema der Frau, das unerschöpfliche, wovon schon das sogenannte Klatschen zeugt; auch der Mann übt es aus, aber das der Frau verdient am ehesten den Namen Psychologietreiben, der jetzt diese Tätigkeit bezeichnet. Die Art der Ärztinnen, mit ihren Patienten umzugehen und auf sie zu wirken, wird denn auch von diesen lebhaft als wohltuend empfunden; und andererseits verschafft die Anhänglichkeit der Patienten und der an ihnen erreichte Erfolg der Ärztin die Befriedigung, die Wissenschaft allein ihr nicht geben könnte.
Ein anderer, sehr bedeutender Vorteil des ärztlichen Berufs ist der, daß die Heirat mit einem Kollegen nicht schädigend, sondern ersprießlich für ihn ist. Viele Ärztinnen haben Ärzte geheiratet und praktizieren mit Eintracht und Erfolg gemeinschaftlich. Persönlich kenne ich zwei deutsche Mädchen, die Schweizer Bezirksärzte geheiratet haben und sich mit diesen so teilen, daß für gewöhnlich der Mann die Männer, die Frau die Frauen behandelt, sie sich aber auch gegenseitig ersetzen. Beide Frauen haben gesunde, kräftige Kinder und sind durch die Geburt nur kurze Zeit an der Ausübung der Praxis verhindert worden.
Übler ist die Lehrerin gestellt, die durch Heirat ihre Stellung verliert. Überhaupt ist der Beruf des Lehrers, obwohl auch er die Persönlichkeit des Menschen in Anspruch nimmt, doch unfreier und einseitiger als der des Arztes; es ist schwerer, bei der beständigen lehrenden Einwirkung auf Junge Wesen, von denen keine Gegenwirkung ausgeht, sich Frische, Empfänglichkeit und weiten Blick zu erhalten.
Wo aber innerer Beruf zum Unterrichtswesen da ist, gibt auch das Lehren hohe Befriedigung, um so mehr, je reichere Ersatzquellen im Geiste fließen und vor dem Eintrocknen schützen. Ich kenne eine junge Frau, die das innigste Liebes- und Eheglück nicht über den durch die Heirat erfolgten Verlust ihres Lehramtes trösten konnte; erst die Teilnahme am Kampfe gegen den Alkohol hat ihr die frohe Genugtuung wiedergegeben, die sie vorher darin fand, junge, lebensbegierige Geister zu nähren und auszurüsten.
Frauen, die Zoologie oder Botanik studiert haben, können, wenn sie nicht Lehrerinnen werden wollen, nur als Assistentinnen an wissenschaftlichen Laboratorien Beschäftigung finden. Es gibt mehrere solche, und ich weiß von einer, die ich persönlich kenne, daß auch in einem rein wissenschaftlichen Berufe, der fast ausschließlich die Gehirntätigkeit in Anspruch nimmt, Frauen sich glücklich fühlen können.
Dessen ungeachtet bleibt im allgemeinen das bestehen, daß die Frauen sich dagegen sträuben, ihr Leben ausschließlich der Wissenschaft zu widmen; es geht den Männern nicht anders, nur, da sie sich ohne weiteres nehmen, was sie sonst noch brauchen, reden sie nicht viel davon, so daß es oft den Anschein hat, als wäre es ihnen nicht notwendig.
Besonders die unverheiratete Frau trachtet danach, ihre Kenntnisse im Leben fruchtbar zu machen, und wenn sie es nicht als Ärztin oder Lehrerin kann, tut sie es gern auf sozialem Gebiete, wo denn auch noch viele Wirkungskreise ihrer Tatkraft und ihrer Herzenswärme harren. Eine junge Chemikerin, die als Angestellte an einer chemischen Fabrik unerträglich unter dem Gefühl litt, daß viele, vorher frische und reiche Quellen ihres Wesens versiegen zu wollen schienen, ist kürzlich Fabrikinspektorin geworden; eine Zoologin, die für sich wissenschaftlich arbeitet, wird wahrscheinlich in den Kampf gegen den Alkohol eintreten; eine Juristin meiner Bekanntschaft wird ihre Tätigkeit ganz in den Dienst des Kinderschutzes stellen, auch eine Gefängnisinspektorin soll es in Deutschland schon geben.
Nichts scheint mir schöner und natürlicher zu sein, als daß die Frau, die im berechtigten Egoismus der Jugend Raum für ihre Persönlichkeit forderte, sich auszubreiten, wenn sie herangereift ist, sie zum Wohle des Ganzen wirken läßt, entweder mittelbar durch die Familie oder unmittelbar in einem der menschlichen Gesellschaft dienenden Berufe, wenn sich nicht, was das beste ist, beides miteinander vereinigen läßt.

Sind Mutterschaft und Hausfrauentum
vereinbar mit Berufstätigkeit?
(1903)

 

Eine sehr energische Persönlichkeit schreibt mir: »Es gibt nur ein Entweder - Oder. Entweder Beruf, oder Ehe und Mutterschaft.
Beides - ein Unding.
Ein Diktum, so töricht und überheblich, als wollte ich ihm das andere Diktum gegenüberstellen: die Frau muß neben Ehe und Mutterschaft noch einen Beruf ausfüllen. Ob sie es will oder nicht will, ob sie es kann oder nicht kann, das ist ihre Sache, nicht die meine. Die meine ist, soweit ich es vermag: Grenzen abzuschaffen.
Man redet viel von der Sphinxnatur des Weibes. Scheint dem Mann ihre Seelenschrift gleich der eines Palimpsestes, so liegt es daran, daß er nur die äußere, die obere Schicht der Schrift, die er selbst geschrieben hat, lesen kann. Die Urschrift aber kann und wird nur die Frau selbst entziffern. Viel Zeit läuft wohl noch ins Meer der Ewigkeit, ehe sie ganz entziffert sein wird.
In der Beantwortung der Frage, ob Mutterschaft und Berufstätigkeit vereinbar sind, treten alle möglichen Meinungsschattierungen zutage.
Wie die absoluten Verneiner, wie die lauen Befürworter der Berufstätigkeit - die Halben wie die Mütter selbst und wie die freien Frauen sich zu dem Thema stellen, will ich kurz charakterisieren.

Die absoluten Gegner der Berufsfrau

Ihr nur allzu oft schon diskutiertes Hauptargument: »Die Frau hat Kinder zu gebären. Punktum!« will ich noch einmal flüchtig streifen. Einmal liefern ja nicht alle Frauen Kinder, und tun sie es etwa ohne die Erlaubnis des Standesamts, so nimmt man es ihnen entsetzlich übel, mit Ausnahme vielleicht der Elternpaare, die einer Amme benötigt sind. Mag die Frau nicht heiraten, nicht Kinder zur Welt bringen, so braucht sie es nicht, ebenso wenig wie der Mann Ideen zu produzieren (soll seine Mission sein) angehalten werden kann.
Ferner: Zur Kinderproduktion gehört gar nicht soviel Zeit, wie die Gegner der Frauenbewegung annehmen. Ethisch und ästhetisch nicht zu beanstandende Vorbeugungen - Enthaltsamkeit in erster Linie - werden oder können den Kindersegen in einer Familie auf die heilige Zahl drei beschränken. (Schon im Volksmund heißt es, aller guten Dinge sind drei.)
Soviel ich weiß, beträgt in der Tat die Durchschnittszahl der Kinder in einer deutschen Familie drei bis vier. Wenn wir die Schonzeit vor und nach der Geburt auf je vier Wochen festsetzen (für eine normale Frau völlig ausreichend), würde für die Mutter der Zeitverlust, den drei Geburten mit sich bringen, sechs Monate betragen, bewilligen wir vier Kinder - acht Monate.
Wie viel mehr Zeit verliert der Mann bei seinem Militärdienst, von dem gemeinen Soldaten mit seiner dreijährigen Dienstpflicht gar nicht zu reden. Und die Geburten sind doch immerhin für den Bestand der Menschheit wesentlicher als das Getötetwerden im Kriege.
Man wird den Frauen das Kindergebären noch ganz verleiden mit der Sucht, sie damit für alle andern Lebensansprüche abfinden zu wollen. Lächerlich und eitel Hohn ist's, dem Weib zu sagen: »Gebäre Kinder! Kinder! Kinder!« Es aber für unweiblich, scham- und sittenlos zu halten, wollte sie auch nur durch eine Miene verraten, daß sie den zur Mutterschaft benötigten Mann herbeisehnt, geschweige denn, daß sie einen Finger rührt, um ihren Wünschen Nachdruck zu geben.
Abzuwarten hat sie, bis Gott oder eine kluge Tante, Schicksal oder Zufall, und wie die Möglichkeiten alle heißen; ihr das Mittel für ihren Lebenszweck: einen Mann - es kann unter Umständen der erste beste sein - besorgt.
Braucht denn die Gesellschaft oder die Menschheit so riesig viel Kinder? Sind es ihrer zu wenig, könnte man die Lücken nicht damit füllen, daß man versuchte, die ungeheure Menge von Kindern, die als Säuglinge sterben, am Leben zu erhalten? Weniger Kinderleichen - und Mehrgeburten wären nicht so dringend. Auch dürften frühe Heiraten und der Wegfall der Prostitution erfreuliche Resultate auf diesem Gebiet liefern.
Übrigens wird es ja immer Frauen geben, voraussichtlich eine der Nachfrage des Mannes entsprechende Anzahl, die nichts anderes wollen, als im Schoß der Familie zu verbleiben und sich der ehelichen Zärtlichkeit zu freuen; und ihrer etwaigen Sehnsucht nach einer unbegrenzten Kinderschar wird niemand eine Grenze setzen, der Gatte sicher nicht, wenn er Antifeminist ist. Der führt ja die Kinder, die die Frauen zu kriegen hat, immer im Munde.
(...)
Jene aber glauben, daß die Gefühle überhaupt, vor allem die Mutterliebe - die pi√©ce de r√©sistance der Weiblichkeit - unter der Belastung mit Berufsarbeit ein Defizit aufweisen, gewissermaßen die Welt entherzen und vermaterialisieren müßten. Manche Leute geben den Armen kein Geld, weil sie sich doch nur Schnaps dafür kaufen würden.
So verweigert man der Frau die Mittel für ihren geistigen Aufstieg, in der Befürchtung, daß die Ausbildung ihrer Intelligenz als eine Art Schnaps ihre Gefühlswerte betäuben würde.
Wie? Die Gefühle des Weibes, vor allem ihre Mutterliebe, müßten aus dem Leim gehen, wenn sie eine Kunst oder ein Amt ausübte? Wo sind denn die Menschen, - die Männer mit eingerechnet - die so ganz in ihrem Beruf aufgingen, daß sie wie mit Scheuklappen an allen Gefühlen vorbeirasten? Eine Frau kann ihre Kinder lieben, unsinnig lieben - das ist nämlich kein Kunststück - und trotzdem sie vernachlässigen. Liebe und Pflichterfüllung decken sich durchaus nicht.
Wie? Weil ich Schriftstellerin oder Ärztin oder Malerin bin, sollte ich meine Kinder weniger oder gar nicht lieben?! Aber das ist ja Unsinn, barster Unsinn! Männer dürfen hier nicht mitsprechen - da sie ja nach ihrem eigenen Urteil anders fühlen als Frauen - und wenn Frauen, wie es vorkommt, derselben Meinung sind, so können es nur kinderlose Frauen sein!
Wenn ich noch so emsig in einem Beruf arbeitete, würde ich mich nicht doch an der Liebe und Zärtlichkeit meines Gatten erfreuen? Für Musik, Theater, für alle feineren und gröberen Lustbarkeiten und Genüsse blieben meine Organe empfänglich, und nur der Sinn für Mütterlichkeit sollte mir eingehen? Um das höchste Glück, die intimste Wonne sollte das Weib sich selbst bringen? Aber das Weib denkt ja nicht daran! So dumm ist keine Frau - keine!
Übrigens, ich bestreite durchaus nicht, daß die Seele einer berufstätigen Frau nicht so völlig von ihren Kindern erfüllt sein wird, wie es bei einer berufslosen Mutter im Bereich der Möglichkeit liegt. (Der Möglichkeit, sage ich, denn tatsächlich ist die Zahl der Mütter - auch noch so berufsreiner - die jenseits der Mutterschaft seelen- und zeitabsorbierende Interessengebiete - selten auf Höhen gelegene haben, eine sehr große.) Ich meine aber, daß es einzig und allein darauf ankommt, ob es den Kindern nützlich und nötig ist, daß die Mutter ganz von ihnen aufgesogen wird.
Mir will scheinen, daß nicht der Umfang der Gefühle und der Zeit, die die Mutter den Kindern widmet, nicht das unausgesetzte Beisammensein mit ihnen und die Einzelbetätigungen an ihnen für ihre Wohlfahrt und diese ist doch der Gesamtsinn der Mutterschaft - entscheidend sind, sondern die Güte des Charakters, die Pflichtvergessenheit ausschließt, und die kluge Einsicht der Frau, die Mutter ist, eine Einsicht, die sie erkennen und verstehen lehrt, was die seelische und körperliche Entwicklung der Kinder fordert, die sie befähigt, die Mittel für die Verwirklichung dieses Zweckes zu finden.
Ohne den Unterbau dieser Qualitäten gleichen die Muttergefühle der schönen Fassade eines Hauses, das zu bewohnen ungesund ist.
Brave und kluge Frauen werden als Mütter ihre Lebenswege so gestalten (falls äußere Verhältnisse nicht einen Druck auf sie ausüben), daß ihre Mutterpflichten keinen Abbruch zu erleiden brauchen, gleichgültig, ob das Kind ihres Daseins ganzer Inhalt ist oder ob sie Beruf und Mutterschaft zu vereinigen wissen. Die Mutterliebe ist dabei nur ein sekundäres Erfordernis. Es geht sogar unter Umständen auch ohne sie, nur wäre die Pflichterfüllung dann eine ungleich schwerere.

Die Halben

Unter den lauen Förderern der Frauenbewegung gibt es eine Kategorie, die lavierend zwischen der Hausfrau und der freien Frau der Zukunft - zwischen der alten und der neuen Frau - eine Vermittelung anstrebt. Sie beantworten die vorliegende Frage nicht mit ja und nicht mit nein, oder mit einem halben Ja und einem halben Nein.
Im wesentlichen laufen ihre Vermittlungsvorschläge darauf hinaus: »Die Frau darf studieren, aber nicht zu sehr; sie darf beruflich tätig sein, aber nicht als Regel, nur wenn es sich gerade so macht; besser aber, wenn es sich nicht so macht.« Solange sie das Berufliche nur so nebenbei betreibt - als Amateurin - kann sie allenfalls, wenigstens teilweise, ihre weiblichen Qualitäten konservieren; ihre Leistungen freilich, die werden dann nur so so sein. Arbeitet sie aber stramm in einem Beruf drauf los, so kann sie zwar Wertvolles leisten, aber - das Mannweib erscheint auf der Bildfläche.
Diese Halben plaidieren gelegentlich auch für die Zulassung der Frau zur Universität, aber nur, damit ihre ausgebildetere Intelligenz der Kindererziehung zugute komme, damit unter anderem die akademisch gebildete Frau den Söhnen bei den lateinischen Aufsätzen helfend zur Seite stehen könne, obwohl solche Hilfe eigentlich gegen das Schulreglement verstößt.
Einzelne dieser Kategorie versteigen sich sogar bis zur Forderung des Stimmrechts, aber nur, damit die Frau als Mutter, im Interesse ihrer Kinder, den Gesetzgebern auf die Finger sehen könne.
Also auch bei diesen Halben die Frau nur als ein Durchgang zum eigentlichen Menschen, eine lebenslängliche Amme, die essen oder lernen muß, um Nahrung für andere zu sammeln.
Und ist des Weibes Drang nach beruflicher Tätigkeit undämmbar - so dekretieren sie weiter oder zwingt eine Notlage sie zum Erwerb, so soll sie diejenigen Arbeitsgebiete wählen, die einmal der weiblichen Wesensart entsprechen, und zweitens solche, bei denen eine Konkurrenz mit dem Manne nicht stattfindet.
Gibt es Berufsarten, die einen Wettbewerb mit dem Manne ausschließen? Ich kenne keine. Müßten nicht die Frauen, wenn sie der Konkurrenz mit dem Manne ausweichen wollten, sich auch des Schneiderns, des Frisierens, des Kochens, der Geburtshilfe u. s. w. enthalten? Ja, selbst bei denjenigen Arbeitsgebieten, von denen man annehmen sollte, daß sie - weil unmittelbar an der Person der Frau haftend - nur der Frau eignen dürften, steht der Mann in vollem Wettbewerb mit ihr. Den Damenschneidern sind die allerdekolletiertesten Anproben anheim gegeben. Es gibt Damenfriseure, Damenmasseure. Ich kenne ein Sanatorium, wo der Arzt allein seine Patientinnen massiert. In der Türkei liegt das Metier des Kochens und Bügelns vorzugsweise den Männern ob. Sämtliche sogenannten weiblichen Berufsarten stehen dem Manne offen, nur mit dem Unterschied, daß seine Leistungen höher entlohnt werden als die der Frau, teils mit Recht, weil sie, infolge einer gründlicheren Ausbildung, besser sind als die seiner Konkurrentin, teils weil er eben der Mann ist und sie die Frau.
(...)

Die Mütter

Bei einer Rundfrage, ob Mutterschaft und Beruf vereinbar seien, in einem Kreise von Müttern der gebildeten und gutsituierten Stände getan, würde die Antwort beinah einstimmig lauten: Berufsarten außer dem Hause, mit kleinen Kindern im Hause, nein; ein Beruf im Hause,  ja. Aber auch dieses »ja« würde noch ein sehr bedingtes und zögerndes sein. Von vornherein widersprechen die Tatsachen dem »Nein«. Wir kennen alle eine beträchtliche Anzahl von Frauen, die, unbeschadet ihrer treulich erfüllten Mutter- und Hausfrauenpflichten, einen Beruf ausüben. Ich persönlich wüßte unter den vielen mir bekannten Berufsfrauen keine einzige lieblose oder pflichtvergessene Mutter. Meine Zahnärztin z. B. die erste, die in Berlin ansässig wurde ist bis zu ihrem 64sten Jahr in rüstiger Tätigkeit verblieben. Sie hat außer ihren zwei Söhnen ein halbes Dutzend Neffen und Nichten großgezogen, sie nimmt an allen gemeinnützigen Bestrebungen teil, hat das liebevollste Herz von der Welt und lebt in glücklicher Ehe.
Von anderen als künstlerischen Berufsarten läßt sich vorläufig kaum sprechen, weil sie, mit Ausnahme des ärztlichen, verheirateten Frauen nicht zugänglich sind. Lehrerinnen, Telephonistinnen gehen in Deutschland, wenn sie sich verheiraten, ihres Amtes verlustig.* (*Aufhebung der »Zölibatsforderung« 1919.)
Die meisten professionellen Berufe - ebenso wie die künstlerischen - können in einer mit der Wohnung zusammenhängenden Werkstätte oder in der Wohnung selbst betrieben werden.
Warum, erheben die Gegner der Frauenbewegung ihre Stimmen nie und niemals gegen den Beruf der Hebammen, die sie doch auch nicht zur Ehelosigkeit verdammen wollen? Aber im Gegenteill der wird den Frauen aufs heftigste angelobt.
Ob Berufsarten, die außer dem Hause betrieben werden, angetan sind, die Mütterlichkeit zu beeinträchtigen, ist zweifelhaft. Ich halte es bei den heutigen Verhältnissen für wahrscheinlich. Ich meine aber, daß auch hier die Schwierigkeiten nicht auf einer Naturnotwendigkeit beruhen. Unter anderem verweise ich auf die schon erwähnten Kindergärten und auf die Schulung der Kinderpflegerinnen, denen kein Naturgesetz im Wege steht, die Tüchtigkeit der englischen nurse zu erreichen.
Wenn wir von den proletarischen Betrieben absehen, gibt es gar nicht soviel Berufsarten, besonders nicht wissenschaftliche, die eine den ganzen Tag beanspruchende Tätigkeit der Frau außer dem Hause erfordern. Ein Jurist, ein Prediger, ein Lehrer ist täglich nur stundenweise vom Hause abwesend, gar nicht von den Universitätsprofessoren zu reden, deren ganze Tätigkeit außer dem Hause sich auf sechs bis acht Vorträge wöchentlich beschränkt. Dazu kommen fünf bis sechs Monate Ferien im Jahr.
Es wären demnach die Ämter eines Professors, Predigers oder Lehrers wie geschaffen für die Frau, die zugleich Mutter ist, würde ich sagen, wenn nicht in Betracht zu ziehen wäre, (auch einer meiner Briefsteller macht mich darauf aufmerksam), daß es nicht allein die Tätigkeit außer dem Hause ist, die die Kräfte absorbiert; mehr Zeit noch dürften die Vorarbeiten für das Amt und das nie auszusetzende Studium in der betreffenden Wissenschaft erfordern.
Das ist richtig. Aber bei dieser vorbereitenden Tätigkeit wäre die Frau doch dann eben zu Hause. Sie könnte um Rat gefragt werden, wenn es not tut; die Akten oder den griechischen Klassiker oder eine angefangene Predigt beiseite legend, einspringen; sie könnte in geeigneten kleinen Pausen - dem Zug ihres Herzens folgend - sich am Kinde freuen.
Wäre es wahr, daß der Beamte, der Gelehrte, der Gewerbetreibende wirklich so aufgerieben von seiner Berufsarbeit heimkommt, wie man es zur Abschreckung des Berufsweibes ausmalt, müßte da nicht der Staat der Überbürdung seiner Angestellten steuern? Ist er so arm, daß er Raubbau mit den geistigen Kräften der Nation treiben muß? Und überanstrengt sich der Gelehrte, der Künstler u.s.w. freiwillig, so handelt er ebenso unverantwortlich töricht, wie der Wüstling, der aus Genußgier seine Kräfte auf reibt. Brauchen die Frauen ihm nachzuahmen? Ist der Beamte, der Gelehrte, der Künstler nicht auch Familienvater? Gehört es nicht zum Familienleben, - es soll ja die Vorbedingung jedes geordneten Staatswesens sein - daß sich auch der Vater um die Kinder, (sie sollen ja in der Familie die Achse sein, um die sich alles dreht), besonders um ihre Erziehung kümmere? Nach antifeministischen Schriften sollte man meinen, daß der Vater ein den Familienfreuden und Sorgen fernstehender Arbeitsfanatiker ist.
So ist es doch in Wirklichkeit nicht. ja, haben nicht viele Männer neben der Berufsarbeit und neben dem Familienleben noch andere Interessen und Beschäftigungen? Sie verwalten das Vermögen, sie haben ihren Klub oder Stammtisch, sie beschäftigen sich mit Politik, besuchen Theater, Konzerte und nehmen an allen geselligen Divertissements der Gattin teil, vom Skat gar nicht zu reden.
Ja, noch mehr. Es gibt Männer, gütige, von edler Verständigkeit, die neben ihrer Berufsarbeit der Gattin im Hause helfen. Sie deshalb der Unwürdigkeit oder Weibischkeit zu zeihen, wäre zelotische Geschlechtssimpelei.
Ich denke dabei an ein Schweizer Ehepaar meiner Bekanntschaft.
Der Gatte ist Leiter einer vornehmen Mädchenschule, seine Frau die Hauptlehrerin an der Schule. Das Ehepaar hat sieben Kinder. Die Geldmittel sind karg. Der Frau liegt die Führung des großen Haushaltes ob und die Herstellung der gesamten Kindergarderobe. Und der Gatte hilft ihr dabei, indem er - horribile dictu - die gesamte Nähmaschinenarbeit übernimmt.
Es ist so armselig, immer wie eingegittert in dem engen Denkkreis seines Jahrzehnts zu verharren, und doch beginnt meist erst jenseits des Gitters der Weg, der aufwärts führt. Man nenne mir einen vor der Vernunft standhaltenden Grund, der dem Teilnehmen des Mannes an der Hausarbeit - immer vorausgesetzt, daß er willig dazu ist - entgegensteht. Einem bedeutenden Juristen meiner Verwandtschaft machte es besonderes Pläsir, die Lampen (man brannte noch Äl) in seinem Haushalt herzurichten. Er tat's aber bei verschlossenen Türen.
(...)
An diesem ziemlich einmütigen Widerspruch der Mütter gegen ein Arbeitsfeld außer dem Hause hat - so meine ich - die Gewöhnung einen wesentlichen und starken Anteil. Warum, wenn ich mein Kind in gutem Schutz weiß, sei es in einem der erwähnten paradiesischen Kindergärten, oder bei irgend einer Persönlichkeit meines vollen Vertrauens, warum, sage ich, sollte ich nicht einen Teil des Tages außer dem Hause in einem Amt zubringen dürfen?
Es ist die Ungewohntheit eines gezwungenen und regelmäßigen Fernbleibens zu bestimmten Stunden, die erschreckend für die Mutter ist. Daß bei gutem Wetter die Kinderfrau täglich stundenlang - je länger je besser - im Freien mit den Kindern sich aufhält, erscheint der Mutter wünschenswert und selbstverständlich. Oder die Mutter selbst verläßt stundenlang das Haus, die Kinder der Wärterin - und welchen Wärterinnen oft - überlassend.
Und wenn das Kind erkrankt? Ist die Erkrankung eine leichte, so ist es natürlich die Pflicht sowohl des Vaters wie der Mutter, Sorge zu tragen, daß alle Anordnungen des Arztes aufs peinlichste befolgt werden, daß eine Vernachlässigung in der Pflege nicht vorkommen kann.
Bei schwereren Erkrankungen des Kindes ist der Platz der Mutter zweifellos am Bett des kleinen Patienten.
Nun - in solchen Fällen - ein Kind erkrankt nicht jahrein, jahraus schwer - wird die von den Vorgesetzten und Prinzipalen zu fordernde menschliche Rücksicht den Angestellten gegenüber in Kraft treten. Der Vorgesetzte hat der Mutter einen Urlaub zu bewilligen und für den zeitweisen Ersatz ihrer Arbeitskraft zu sorgen, wie es ja auch jetzt selbstverständlich ist, wenn die oder der Angestellte selbst erkrankt. Eine junge Verwandte von mir, die Buchhalterin ist, erhielt ohne weiteres einen wochenlangen Urlaub von ihrem Prinzipal, um ihre schwer erkrankte Mutter zu pflegen. In vielen Fällen würde auch die eine Angestellte die Pflichten der anderen bereitwillig übernehmen.
Sind Fälle, daß Männer sich, aus irgend einem Grunde vertreten lassen, so selten? Aber, wer weiß, vielleicht ist vielen Frauen überhaupt die Vorstellung zu bestimmten Stunden zu bestimmten Arbeiten außerhalb des Hauses verpflichtet zu sein, in hohem Grade unsympathisch. Ob sie es den Männern nicht auch wäre, wenn bei ihnen nicht auf der einen Seite das Müssen, auf der andern die Gewöhnung vorläge? Eine mir verwandte jüngere Frau gehört zu den eifrigsten Gegnerinnen der weiblichen Berufsarbeit außer dem Hause. Sie hat zwei Töchterchen, die schon schulpflichtig sind. Ihr Verhältnis zu den Kindern ist ein unaussprechlich zärtliches. Sie arbeitet unausgesetzt in einem bestimmten schriftstellerischen Fach, aber im Hause. Da trat der Fall ein, daß ihr Mann aus Gesundheitsrücksichten einen Winter im Süden zubringen mußte. Wollte er seine Stellung an einem Lehrinstitut nicht verlieren, so mußte sie ihn vertreten, ein Amt, das einschließlich der Hin- und Rückwege den ganzen Vormittag in Anspruch nahm. Und siehe, es änderte sich absolut nichts in dem Verhältnis zu ihren Kindern. Ebensowenig litt die Haushaltung darunter. Nicht ungern würde sie das Amt beibehalten.
In einer anderen Frau meiner Bekanntschaft, deren Kinder zwar erwachsen sind, die aber einen außerordentlich großen und vornehmen Haushalt zu leiten hat, ist ein Johannistrieb für wissenschaftliche Studien erwacht. Sie besucht die Universität. Eine befreundete Dame bewunderte zwar ihre Vielseitigkeit, begriff aber nicht, wie ihre Wirtschaft dabei bestehen könne. »0,« entgegnete die andere, »es geht alles in gleichem Tempo weiter, meist Trab, zuweilen Galopp, niemals Schritt. Heut z. B. habe ich um 9 Uhr morgens das Haus verlassen und bin um 1 Uhr heimgekommen. Zwei Vorträge in der Universität. Von der Universität mußte ich zur Schneiderin, ein Winterkostüm anpassen, dann Einkäufe: Wurst, Kaffee u. s. w. Darauf zwei Krankenbesuche, und heut abend habe ich eine kleine Gesellschaft. Und Sie sehen, meine Wirtschaft besteht, und es geht sehr glatt, und das liegt an meinen Hausfrauentugenden.«
Diese Frau hat ein erlösendes Wort gesprochen. Geschätzte Hausfrauen sehen oft den Wald vor Bäumen nicht; das heißt: vor all den Einzelbetätigungen im Haushalt, den Mitteln und Mittelchen dazu verlieren sie die Blickweite für den Zweck, für die Totalität ihres Hauswesens. Bei den reingefegtesten Zimmern, dem gutgekochtesten Essen, den glattgeplättesten Oberhemden, den artigsten Kindern kann dem Haus der Zauber des traulichen Heims fehlen.
Worin eigentlich diese Hausfrauenqualität besteht, läßt sich nicht mit dürren Worten sagen, wenn auch eine gewisse organisatorische Energie dabei wünschenswert ist. Es ist das Sein der Frau, nicht ihr Tun, das ein harmonisches Gesamtbild der Häuslichkeit schafft, wie die Beleuchtung erst einer Gegend Reiz und Stimmung gibt.
(...)
Die freien Frauen endlich - vorläufig noch eine kleine Minderheit - diejenigen, die unabhängig von vorgeschriebenen Normen, nach den Gesetzen ihres eigenen Wesens ihr Dasein zu gestalten trachten, bejahen energisch die Titelfrage. Sie tun es mit der eigentlich selbstverständlichen, von mir schon erwähnten Einschränkung, daß jede Frau für sich die Frage, ob Beruf oder Nichtberuf, zu entscheiden hat, denn - jedes Bild paßt nicht in jeden Rahmen. Diese radikal gesinnten Frauen pflegt man gern, sehr mit Unrecht, einer Geringschätzung der Nurhausfrau zu zeihen.
Eine Frau, die mit kluger Umsicht, mit Gewissenhaftigkeit, Sachkenntnis und finanziellem Talent einen größeren Haushalt leitet und ihre Kinderschar in musterhafter Ordnung hält alle Achtung vor solcher Tüchtigkeit!
Niemand hat etwas dagegen, ich am allerwenigsten.
Alle Achtung aber auch den andern Frauen, die in einer außerhäuslichen Tätigkeit den Schwerpunkt ihres Seins suchen und finden. Hat doch schon Christus neben Martha auch Maria gelten lassen, und es sieht beinah so aus, als hätte er die Maria ein wenig vorgezogen.
Freilich läge der Maria die Pflicht ob, geeignete Hilfsgeister für den Haushalt zu währen. Und wenn es ihr an Intelligenz, sie zu wählen, fehlt? Nun, wenn die Dummen nicht Dummheiten machten, so wären sie eben nicht dumm. Ein Gänschen wird auch als »Nurhausfrau« nach keiner Richtung hin das Familienleben auf einen grünen Zweig bringen.
Nach meiner persönlichen Erfahrung reimen sich Berufstätigkeit und Beschäftigung im Haushalte aufs schönste zusammen.
Es gibt keinen Arzt, der nicht zur Erhaltung der Gesundheit die Abwechslung von Ruhe und Bewegung, von geistiger und körperlicher Arbeit für geboten hält.
Wenn ich einige Stunden geschrieben habe, fühle ich förmlich einen Drang, mich im Haushalt zu beschäftigen, und die vorangegangene - wenn es nicht unbescheiden klingt Geistestätigkeit hindert mich nicht im geringsten, mit Vergnügen und Interesse die Anordnung zum Mittagessen oder zu einer Teegesellschaft oder einer Kinderschokolade zu treffen und dafür zu sorgen, daß alles so hübsch und schmackhaft wie möglich gerät.
Mir scheint sogar diese Art der Erholung von geistiger Arbeit hygienischer und nutztragender als Skat und Zigarre, die für die Männer genießendes Ausruhen und Erholung bedeuten.
Gewiß gibt es auch unter den Freidenkerinnen eine Anzahl von Frauen, die für ihre Person die gleichzeitige Ausübung mütterlicher und beruflicher Funktionen ablehnen, sei es in dem Erkennen, daß ihr psychisches und physisches Kräftemaß - das ja bei verschiedenen Personen immer unendlich verschieden sein wird - solcher Doppelaufgabe nicht gewachsen ist, sei es, weil ihr Wesenskern, ihre Individualität dem Berufsleben überhaupt wlderstrebt.
Gehören diese Frauen zu den Feinen, Klugen, so finden sie wohl, wenn ihre aktive Mutterperiode geschlossen ist, andere Interessenbezirke für ihre geistige Selbsterhaltung, für ihr Aktionsbedürfnis. Aus ihren Reihen werden vielleicht eine nicht geringe Anzahl beruflicher Jugendbildnerinnen hervorgehen, die, wenn sie ihr Werk an den eigenen Kindern getan, es an anderen Kindern fortsetzen. Wie aber auch jede einzelne dieser freien Frauen subjektiv ihr Leben zu gestalten wünscht, einig sind sie alle in der Grundüberzeugung, daß die Freiheit der Persönlichkeit, das Sichselbstgehören, die vornehmste und unumgänglichste Existenzforderung der Frau ist, diejenige Forderung, die sie von dem Fluch erlöst, als Mensch nur Dilettant oder ein von andern bewegter Mechanismus zu sein.
(...)

Die Frauenarbeit im Hause  ihre ökonomische,
rechtliche in sociale Wertung (1905)

Wenn die Nationalökonomie von »Frauenarbeit« spricht, so versteht sie darunter fast ausschliesslich die Fabrik- und Werkstättenarbeit der Frauen.
Die Frauenarbeit im Hause wird meist mit einer kurzen Analyse abgetan, die den nicht produktiven Charakter der häuslichen Frauenarbeit betont. Die Frau im Hause, heisst es, konsumiert Werte, verteilt Werte, schafft aber keine Werte. Ich beeile mich hinzuzusetzen, dass letzteres unrichtig ist.
Der Gedanke, den nationalökonomischen Wert der häuslichen Frauenarbeit abzuschätzen, zu prüfen, ob die Frauen für die Erfüllung so zahlreicher Pflichten das gebührende Äquivalent an Geld, an bürgerlichen und politischen Rechten, an sozialer Wertschätzung erhalten, dieser Gedanke ist den Nationalökonomen nur selten gekommen.
Haben sie mit Absicht dieses Kapitel der Wirtschaftslehre ausser Acht, ausserhalb ihrer scharfsinnigen Analysen, ihrer eindringenden Forschung gelassen? Verdiente dieser Gegenstand die Aufmerksamkeit des Mannes nicht?
Oder hat man gefühlt, dass hier eine Gefahr vorlag, eine Mine, die springen und das Gebäude der »Männerwelt« zum Sturze bringen konnte? Hat man gefürchtet, durch eingehendes Studium der Frauenarbeit im Hause zu einer Umwertung bestehender Werte, zur wissenschaftlichen Anerkennung unbequemer Forderungen gezwungen zu werden?
Wie dem auch sei, bei meiner Beschäftigung mit der häuslichen Frauenarbeit habe ich einen ziemlich unberührten Boden gefunden und war meist auf mich selbst angewiesen.
Ausgegangen bin ich von der Tatsache, dass Frauenarbeit fast immer unter ihrem Werte bezahlt wird.
Niemand, auch der schärfste Gegner der Frauenbewegung, bestreitet diese Ungerechtigkeit auf industriellem Gebiet. Jedermann findet es unbillig, dass eine Arbeiterin, auch bei gleichwertiger Arbeit, ein Drittel, ja die Hälfte geringer bezahlt wird als der Arbeiter.
Ähnliche Ungerechtigkeiten lasten aber auf der häuslichen Frauenarbeit, und dass sie weniger zu Tage treten, vermindert ihre Wucht nicht.
Sie feststellen, deutlich an den Tag legen, die öffentliche Aufmerksamkeit darauf ziehen, scheint mir eine erstrebenswerte Aufgabe.
Die nachstehenden Ausführungen beziehen sich auf die überwiegende Mehrzahl der Frauen, auf etwa 90%.
Sie sind nicht anwendbar auf die sehr reichen oder sehr wohlhabenden Frauen, die eine bevorrechtigte Ausnahmestellung einnehmen, welche nicht immer durch ihr persönliches Verdienst, noch ihre sociale Nützlichkeit gerechtfertigt wird.
Da diese bevorrechtigten Frauen aber kaum 10% der weiblichen Bevölkerung bilden, darf ich sie ausserhalb des Rahmens meiner Betrachtungen lassen.
Denn nicht die bevorrechtigten Minderheiten, sondern die arbeitenden Massen interessieren die Soziologen.

Was ist unter »häuslicher Frauenarbeit« zu verstehen? In erster Linie scheint es, dass »häusliche Frauenarbeit« alle die Verrichtungen umfasst, die zur Führung der Haushaltung, zur Existenz und zum Wohlsein der Familienmitglieder unentbehrlich sind.
Diese Vorrichtungen obliegen den Hausfrauen, Müttern und den Dienerinnen. Nun besteht aber ein nennenswerter Unterschied zwischen der Tätigkeit der Hausfrau und Mutter und der der Dienerinnen. Die Dienerinnen leisten wohl »häusliche Frauenarbeit«, jedoch als eine ausserhäusliche Berufsarbeit, für Rechnung Dritter und im fremden Hause.
Die Hausfrau und Mutter hingegen leistet die häusliche Berufsarbeit für ihre eigene Rechnung, am eigenen Herd und für die Ihren. Das gibt ihr eine ganz besondere Stellung, und ich habe mich hier nur mit derjenigen häuslichen Frauenarbeit zu beschäftigen, die von der Frau am eignen Herd im eignen Interesse geleistet wird. Unter »häuslicher Frauenarbeit« verstehe ich daher die Gesamttätigkeit der Hausfrau und Mutter. Hausfrauen und Mütter sind nun in meinen Augen nicht nur die standesamtlich oder kirchlich Getrauten, mit einem »gesetzlichen Vertreter« versehenen Frauen. Jede Frau - sei sie ledig oder verwitwet, Gattin oder Geliebte sobald sie einen Haushalt führt, ist sie eine Hausfrau. Ebenso wie jede Frau, die ein Kind hat, sei sie gesetzlich verheiratet oder nicht, eine Mutter ist. Das scheinen Binsenwahrheiten.
Leider sind sie es nicht.
Die öffentliche Meinung hat die schlechte Angewohnheit, sowie sichs um Ehe und Mutterschaft handelt, den Formalismus über alles zu stellen und die Kategorien der Hausfrau und der Mutter auf die de jure verheirateten Frauen zu beschränken.
Diese von moralischen Gesichtspunkten beeinflusste Definition widerspricht den Tatsachen, sie ist unwissenschaftlich, und ich habe daher das Recht, sie vom rein wirtschaftlichen Standpunkt aus zu erweitern und den Tatsachen anzupassen. Der Nationalökonom ist kein Moralist. Die von mir vorgeschlagene Definition ist übrigens noch so wenig gebräuchlich, dass die Statistik uns in keinem Land der Welt die Zahl der Frauen angibt, die tatsächlich Hausfrauen und tatsächlich Mütter sind. Man beschränkt sich darauf, die Zahl der »verheirateten Frauen« anzugeben, was ersichtlicherweise ungenügend ist.
Ich glaube, dass eine in meinem Sinne vorgenommene Volkszählung die Zahl der Hausfrauen und Mütter um etwa ein Drittel erhöhen würde. Aber die offizielle Statistik ist schamhaft.
Welcher Verrichtungen entledigen sich die Hausfrauen? Ihre Tätigkeit ist eine äusserst mannigfaltige. Sie sind, je nachdem, Dienstmädchen und Köchin, Wirtschafterin, Schneiderin, Wäscherin, Tapezierer, Maler, Dekorateur etc. Das Haus, die Wiege aller Industrie und Gewerbe, verlangt von der Hausfrau die zahlreichsten und verschiedenartigsten Fähigkeiten, nicht eine hohe Spezialisierung und Vollkommenheit, sondern ein gewisses Mittelmass von Können für den täglichen Hausgebrauch. Das Arbeitsfeld der Hausfrau ist sehr ausgedehnt und ihre häusliche Berufsschulung mehr extensiv als intensiv, mehr in die Breite als in die Tiefe gehend.
Die Beschäftigungen der Mutter sind ebenso mannigfaltig und zeitraubend. Die Vorbereitung auf die Mutterschaft, die Zeit der Schwangerschaft, ist lang und oft beschwerlich. Die Geburt des Kindes ist ein schmerzhafter Akt. Bei dem Neugeborenen hat die Mutter bald Amme und Wärterin, bald Krankenpflegerin zu sein, und das stille Heldentum der Mutter am Krankenbett lässt die Bezeichnung der Frauen als »schwaches Geschlecht« ganz unzulässig erscheinen. Die Mutter ist auch des Kindes natürliche Lehrerin, sein erster »Professor«, sein Wegweiser auf den Pfaden der sichtbaren, wie der geistigen und moralischen Welt, sein Seelsorger und Berater.
Kurz die Frau als Hausfrau und Mutter betreibt im Hause, je nach Umständen, 10-20 verschiedene Tätigkeiten, die ausserhalb des Hauses als ebenso viele unabhängige Berufe betrieben, anerkannt und gegen klingenden Lohn ausgeübt werden. Für gewöhnlich schafft die Hausfrau und Mutter neben all diesen materiellen Werten noch jene moralischen Imponderabilien, die aus einem Haus ein Heim und aus einer Menschengruppe eine Familie machen. Zehn Dienstboten können nicht eine Hausfrau und Mutter ersetzen.
Im Volk, im Kleinbürgerstand und in den gebildeten Klassen, wenn's an Vermögen fehlt, nimmt die Hausfrau nicht nur an allen häuslichen Arbeiten Anteil, sondern erledigt sie ganz eigenhändig. Die besitzenden Frauen können sich bezahlte Hilfskräfte halten und von ihnen einen Teil oder auch die ganze Hausarbeit besorgen lassen. Immerhin liegt diesen Frauen doch die eigentliche Leitung und Organisation des Haushalts ob, dessen spiritus rector und Schutzengel sie sein müssen. Die künstlerisch-ästhetische Seite der häuslichen Tätigkeit, das Anordnen von Kunstgegenständen, Blumen, von Dekorationen, alles was den Reiz und Luxus eines Hauses macht, ist ausserdem der Hausfrau eigenstes Gebiet.
Das sieht nach nichts aus. Will man aber den nötigen Geschmack, die nötige Sorgfalt darauf verwenden, so ist auch das eine Arbeit, die Stunden in Anspruch nimmt.
(...)
Wer nie Hausarbeit getan noch ein Hauswesen geführt hat, (und das ist leider bei fast allen Männern der Fall) kann sich nur einen unvollkommenen Begriff von dem Charakter dieser Arbeiten machen. Rein materiell gesprochen, füllen sie den ganzen Tag aus; kaum ist das erste Frühstück besorgt, so heisst es ans Mittagessen denken; ist das Geschirr aufgewaschen, so muss man das Vesper servieren, und ist das erledigt, kann man zu Abend kochen. Und so geht's alle Tage ohne Ausnahme, ja, an Sonn- und Festtagen kommt noch Extraarbeit dazu. Es gibt auch für die Frauenarbeit im Haus keine festen Stunden, sie ist endlos, die Arbeit der Penelope. Ferien, Freizeit sind den meisten Hausfrauen und Müttern unbekannt, wenn sie fortwährend Vorräte beschaffen, den Herd anzünden, alle Haushaltsgegenstände, sowie die Kleider der ganzen Familie in Stand halten, überall anfassen und nachschauen sollen.
Wie wächst die Beschäftigung erst, wenn die Kinder klein sind. Da gibt's nicht Schlaf, nicht Vergnügen, die nicht von dem Geschrei und den Forderungen dieser lieben, aber oft schrecklich tyrannischen, kleinen Wesen gestört werden. Die Arbeit der Hausfrau und Mutter verursacht aber auch grosse geistige Ermüdung. Nichts macht nervöser als wie zu wissen, dass man nie Herr über seine Zeit ist, dass man keine Pläne machen kann, fortwährend in seiner Beschäftigung unterbrochen wird; nichts ermüdet auf die Dauer mehr als die Notwendigkeit für einen Erwachsenen, sich unablässig auf das Kinderniveau hinunterzuschrauben.
Die mütterliche Tätigkeit ist jedoch nicht nur zeitraubend und anstrengend, sie bringt auch ernste Gefahren mit sich. Die Zahl der Frauen, die im Wochenbett sterben oder infolge der Mutterschaft eine schwere Schädigung ihrer Gesundheit davontragen, diese Opfer und Invaliden des Mutterberufs sind sicher zahlreicher als die Opfer und Invaliden des Schlachtfeldes.
(s. Bebel, die Frau, S. 221.)
Man hat auch bemerkt, dass viele Hausfrauen, viele Mütter vor der Zeit verblüht und verbraucht sind, dass sie an allerlei nervösen Zuständen und Krankheiten leiden, kein Interesse am geistigen Leben, keinen Geschmack an Lektüre, kein Gedächtnis selbst für die Namen und Daten der Zeitgeschichte haben.
Diese Frauen sind Opfer ihres Berufs, sind Ehekrüppel. Sie leiden an nervöser Zerrüttung, Folge ihrer unbarmherzigen, häuslichen Überanstrengung. Sie sind verkümmert und verwelkt, aufgebraucht von dem oftmals unbewussten aber brutalen Egoismus der anderen, der Ihren, die da finden, dass nie genug für sie da sein kann. Ich muss gegen diese Ausbeutung der Hausfrau und Mutter protestieren, sie ist ebenso ungerecht, verhängnisvoll und unmoralisch wie die der Arbeiterin. Die Hausfrauen und Mütter werden sich stets aufopfern. Ich rate ihnen aber, es wie Montaigne zu machen und nur bis zum Scheiterhaufen, exclusive zu gehen.
(...)
Im Heere der Arbeit sind die Frauen sozusagen: die Intendanz. Will der Mann ausserhäuslichem Beruf nachgehen, so muss die Frau ihm die zu seiner Existenz unentbehrlichen häuslichen Verrichtungen abnehmen. Die häusliche Frauenarbeit ist die conditio sine qua non der ausserhäuslichen Berufsarbeit des Mannes. Wäre der Mann, von Anbeginn der Zivilisation an, verpflichtet gewesen, jeden Tag sein Zimmer zu fegen, sein Bett zu machen, seinen Markt und seine Küche zu besorgen, seine Kleider zu nähen und seine Kinder zu hüten, er hätte unmöglich seinen Geist bilden, erfinden und entdecken können.
Ohne die geduldige Arbeit von Millionen Frauen, deren Namen nie ein Lied, nie ein Heldenbuch nennen wird, wäre eine Geisteskultur, eine Entwickelung der Künste und Wissenschaften undenkbar gewesen. Was der Mann wird, verdankt er zum Teil der Aufopferung der Frau. Was der Mann leistet, leistet er dank ihrer Mitarbeiterschaft, einer anonymen, nicht eingestandenen, nicht gewerteten noch anerkannten, aber nichts desto weniger unentbehrlichen und unbestreitbaren Mitarbeiterschaft. Unsere heutige Kultur beruht auf der häuslichen Hörigkeit, der anonymen Mitarbeiterschaft der Frau.
Die häusliche Tätigkeit der Frauen ist sowohl eine produzierende, wie eine erhaltende und verteilende. Man ist im allgemeinen über die beiden letzten Punkte einig. Die Hausfrau, sagt man, erhält die Werte, die ihren Haushalt zusammensetzen, Möbel, Kleider, Küchengerät etc., beim Einkauf der Vorräte verteilt, setzt sie das Geld, dass der Mann für die Bedürfnisse des Haushalts heimbringt , in Umlauf, übt sie die grosse, soziale Macht des Käufers, des Konsumenten aus. So betrachten Roscher und Lorenz Stein die Hausfrauentätigkeit, und bei dieser Anschauung ist man bisher verblieben. Soll jedoch die häusliche Frauenarbeit als eine produktive Tätigkeit hingestellt werden, so erhebt man Schwierigkeiten. Ich glaube, man wird aber nicht länger den Augenschein leugnen können.
Die Frau im Hause ist nicht nur Erhalter und Verteiler von Werten, sie schafft, sie produziert auch neue. Wenn die Hausfrau Stoff zu einem Kleidungsstück, Mehl, Eier und Butter zu Kuchen, einen Meter Seide zu einem Lampenschirm verarbeitet, so ist diese Hausfrau, was man auch sage, ein Produzent. Wenn dies Kleidungsstück, diese Kuchen, dieser Lampenschirm aus einem Laden kommen, wird niemand ihnen den Charakter von »Werten« abstreiten, noch der Arbeit, die sie erzeugt, den Charakter einer »produktiven« Arbeit. Inwiefern kann aber der Umstand, dass diese Gegenstände »Hausarbeit« sind, die Natur des Produkts und die Natur der Arbeit verändern?
Gibt es endlich eine »produktivere Arbeit« als die der Mutter? Ist es nicht die Mutter, die ganz allein den Wert aller Werte, den denkenden und handelnden Wert aufbaut, den man ein Menschenwesen nennt? Ist es nicht die Mutter, die das Kind produziert, die die grosse nationale Industrie der Bevölkerung ausübt, von der das Bestehen der Menschheit abhängt? Und man wollte ihrer Tätigkeit den Charakter einer eminent produktiven Arbeit abstreiten? Das hiesse doch die Tatsachen leugnen, gegen die Wahrheit verstossen, sich am Augenschein vergehen. Ich schliesse daher aus dem Vorhergehenden, dass die Arbeit der Hausfrau und Mutter eine wirkliche Berufsarbeit ist.
(...)
In der Praxis hat man auch die Arbeit der Hausfrau und Mutter stets als eine »Berufsarbeit« betrachtet, denn man hat der Hausfrau und Mutter stets im Haus einen Unterhalt gewährt. Hingegen hat man unterlassen, explicite anzuerkennen, dass dieser »Unterhalt« von der Frau erarbeitet und verdient war, dass er ihr »zukam«, sie ein Anrecht darauf hatte, diese Summen ihren Erwerb, ihr Geld, etwas das sie de jure reklamieren konnte, darstellten. Man hat das unbestimmt vermuten lassen. Weil aber die Leistung nicht ausdrücklich anerkannt, der Wert der Arbeit nicht direkt in Geld veranschlagt, auch nicht in Zahlen ausgedrückt wurde, deshalb ist die Frage des Entgelts, der Gegenleistung an die Frau auch nicht deutlich gestellt worden.
Der Mann schien der Frau als eine Gnade zu gewähren, was sie als ein Recht beanspruchen durfte, und er vermied derart jede Streitigkeit über die Äquivalenz dessen, was er von der Frau empfing und dessen, was er ihr dafür gab. Bis heutigen Tages hat die Frau keinen rechten Begriff von dem wirtschaftlichen Wert ihrer Tätigkeit als Hausfrau und Mutter, hat sie die wirtschaftliche und rechtliche, die politische und soziale Wertung ihrer häuslichen Arbeit bisher auch kaum diskutiert. Es ist so ungewohnt, die Tätigkeit der Hausfrau und Mutter als einen »Beruf« zu betrachten, dass die Berufsstatistiken der ganzen Welt die Hausfrauen und Mütter nicht unter die »Berufstätige Bevölkerung« zählen. Für die Statistiker aller Länder gehören die Frauen, die ihr Leben im Dienst der Familie aufbrauchen, nicht zum Heere der Arbeiter. Die Mütter zählen nicht zur Kategorie der »nationalen Produzenten«.
Die Hausfrauen werden angeblich vom Gatten »erhalten«, sie verdienen ihr Brot nicht durch eine Berufstätigkeit. Ich sehe hierin ein grosses Vorurteil gegen die Frauen, eine Einseitigkeit der Auffassung, die sie schwer geschädigt hat.
(...)
Manche verletzt sogar der Gedanke einer genauen wirtschaftlichen Schätzung ihrer häuslich mütterlichen Tätigkeit. Sie handeln, sagen sie, aus Liebe und Hingebung und denken nicht daran, sich dafür »bezahlen« zu lassen. Ich habe nicht das Herz, sie zu tadeln, aber ich habe die Pflicht, die Wahrheit zu sagen. Und die Wahrheit lautet: In unserer schrankenlos egoistischen Welt schlägt solche Selbstlosigkeit zum Nachteil derer aus, die sie üben. Wer in dieser Welt der Ungerechtigkeit grosse, unentbehrliche Dienste erweist, ohne deren Wert zu kennen, ohne die entsprechende Gegenleistung in Geld, ohne das schickliche Äquivalent an Rechten zu verlangen, wird notwendigerweise ausgebeutet! So ist es der Frau im Hause ergangen. -
Es gibt zwei Arten der Entlohnung für Arbeit: die pekuniäre Entlohnung durch Geld, die soziale Entlohnung durch Rechte, Achtung etc. Die pekuniäre Entlohnung der Hausfrau und Mutter ist äusserst ungleich. Die Frau im Hause wird nicht nach dem Wert ihrer persönlichen Leistung bezahlt, sondern entsprechend den zufälligen Mitteln ihres Gatten. Dieser Umstand bedeutet vom wirtschaftlichen Standpunkt aus eine Anomalie, die grosse Nachteile für die Frau mit sich bringt. Daher kommt es, dass die Entlohnung der Frau oft im umgekehrten Verhältnis zu ihrer Arbeit, Mühe und dem geleisteten Dienste steht.
Die wohlhabenden Hausfrauen und Mütter haben Hilfe im Hause und geniessen ein Wohlleben, die armen Hausfrauen und Mütter müssen alles selbst machen, sich abplagen und oft noch Hunger leiden. Im allgemeinen darf man sagen, dass die Entlohnung der Frau im Hause in dem gleichen Masse abnimmt, wie die Arbeit und Plage wächst.
Die pekuniäre Gegenleistung für die häusliche Frauenarbeit ist jedoch nicht nur sehr wandelbar, sie ist auch indirekt. Was die Frau im Hause verdient, sie verdient es, ohne es zu wissen, ohne dass es anerkannt wird, sie verdient es nicht direkt, und die Summen, die sie verdient, werden ihr nicht als »ihr Eigentum« ausgezahlt. Ich habe vorher ausgeführt, dass die häusliche Frauenarbeit die conditio sine qua non der ausserhäuslichen Berufsarbeit des Mannes ist. Von den Summen, die der Mann draussen erhält, schuldet er also einen Teil der Frau.
Der Mann wird für zwei bezahlt, weil sein Arbeitgeber, sei es der Staat oder ein Privater, die berufliche Leistung des Mannes nur dann erhalten kann, wenn er den Mann in Stand setzt, sich bei der ihm unentbehrlichen Hausarbeit durch eine Frau vertreten zu lassen. Man hat daraus geschlossen, dass der Mann für zwei arbeitet, während er doch nur für zwei einstreicht; dass er die Frau im Hause unterhält, während sie das ganz allein durch ihrer Hände Arbeit besorgt; dass sie wirtschaftlich von ihm abhängt, während sie ihre pekuniäre Unabhängigkeit verlangen darf. Der Modus der indirekt bezahlten Frauenarbeit hat bisher gestattet, diese ganz elementare Tatsache zu übersehen.
Man hat sie durch Jahrhunderte ignorieren, jedoch nicht aus der Welt schaffen können. Man überlege: dem Manne soll seine ausserhäusliche Beruf stätigkeit nicht nur wirtschaftliche Unabhängigkeit, sondern auch rechtliche Vorherrschaft und politische Freiheit geben, die Frau hingegen soll für ihre häusliche Beruf stätigkeit durch wirtschaftliche Abhängigkeit, rechtliche Unterordnung und politische Rechtlosigkeit belohnt werden? Das hiesse doch Pflichten und Rechte gar zu ungleich, gar zu ungerecht verteilen. Ich darf als Beweis für meine Anschauung übrigens eine wichtige, alltägliche Tatsache citieren, an der niemand Anstoss nimmt:
die Zahlung der Witwenpensionen durch den Staat. Wäre der Staat nicht der Ansicht, dass die Witwe an ihrem Herd eine Arbeit leistet, die Entgelt verdient, so würde er seinen Beutel nicht öffnen. Nachdem der Gatte verschieden, zahlt der Staat der Witwe direkt, was er ihr früher durch den Mann zukommen liess: der Mann war nur Mittelsperson. - Die Fortsetzung der häuslichen Arbeitsleistung von Seiten der Frau zieht die Fortsetzung der pekuniären Gegenleistungen von Seiten des Staats nach sich. Dass dieses Beispiel des Staates von den privaten Arbeitgebern nicht immer nachgeahmt wird, ist bedauerlich, beweist nichts gegen die Berechtigung der Forderung.
Denn jede Hausfrau, jede Mutter, die arbeitet, ohne bezahlt zu werden, hat eine Schuldforderung an die Gesellschaft, deren Gläubiger sie wird, und in einer sozialen Welt (die unsere verdient diesen Namen leider nicht) wäre die Erstattung dieser Schuld im Grossen organisiert.
(...)
Der Widerstand der sich gegen eine » Entlohnung« der häuslichen Frauenarbeit geltend macht, ist z. B. eine Folge der geringen Schätzung, der häusliche Frauenarbeit gemeinhin begegnet. Wir leben in einer »Männerwelt«, vom Mann in erster Linie für sich, nach seinem Bilde, für sein Behagen geschaffen. In dieser Welt hat der Mann sich als Massstab aller Dinge und Wesen betrachtet, auch als Massstab der Frau. Wer seines Gleichen sein wollte, musste ihm gleich sein, tun, was er tat, um seine Achtung zu erwerben. Für ihn lag die Gleichwertigkeit einzig in der Gleichartigkeit, nur Similität galt ihm als Parität.
In der Frauenarbeit sah er nicht eine eigenartige Leistung für sich, sondern, verglichen mit der seinen, eine Inferiorität. Er definierte sie unbewusst durch Negation: »es war keine Männerarbeit«. Statt anzuerkennen, was die Frau konnte, hat er sich beeilt festzustellen, was sie nicht tat. Bis heutigen Tages ist auf diesem Gebiet der Gedanke nicht durchgedrungen, dass Gleichwertigkeit auch bei Verschiedenartigkeit bestehen kann. Dieser fundamentale Irrtum hat die Wertung der Frauenarbeit sehr beeinträchtigt. Aus dieser Quelle stammt die Geringschätzung der häuslichen Frauentätigkeit. Der Mann übte diese Tätigkeit nicht aus und hat daraus geschlossen, dass sie untergeordnet sei.
(...)
Wer sich einen genauen Begriff von der Stellung der Frau in einem Lande machen will, der studiere die Paragraphen des Eherechts, und er wird klar sehen.
Man beobachte auch das soziale Leben, lese die Dichter und Schriftsteller, aber man halte sich an das Gesetzbuch. Es ist die »Wahrheit«, wenn auch nicht immer das Leben und hat in allen Fällen das letzte Wort. Die Dichter mögen singen, preisen, und vergöttern, die Schriftsteller erfinden, fabulieren, idealisieren, einzig das Recht sagt trocken und kategorisch was »sein soll«. Es wäre daher zu wünschen, dass die Frauen, statt Autoren zu lesen, die ihnen schmeicheln, das Recht studierten, das sie demütigt. Dieses Studium wäre ihnen heilsam und nützlich. Bisher hat das Gesetzbuch die Frauen bekämpft, nun können einmal die Frauen das Gesetzbuch bekämpfen. Und wenn man einwirft, dass die Sitten in vielen Fällen liberaler sind als das Recht, so antworte ich darauf, dass dies uns die Aufgabe erleichtert, das Recht den Sitten anzupassen. Hier das Eherecht des Code Napoléon anzuführen, wäre unzulässig.
Es datiert von vor 100 Jahren. Die Paragraphen des ehelichen Personen- und Güterrechts sind heute durchaus veraltet. Diejenigen Artikel, die der Verachtung Napoleons gegen die Frau in gar zu krasser Form Ausdruck geben, werden heute entweder umgangen oder offen bekämpft. Ich werde mich also hüten, die Stellung der Französin von 1904 nach dem Recht von 1800 zu beurteilen. Das neue Schweizer bürgerliche Gesetzbuch ist noch nicht endgültig publiciert, ich muss mir seine Diskussion daher versagen. Ein grosses Kulturvolk Mitteleuropas hat sich jedoch ganz kürzlich ein neues Zivilrecht gegeben, das deutsche B.G.B. von 1900. Dieses neue Recht muss demnach das genaue Mass der Schätzung und Wertung enthalten, die der moderne Gesetzgeber der häuslichen Tätigkeit der Gattin und Mutter entgegenbringt. Und da Deutschland sich gerne rühmt, die Hausfrau und Mutter zum Gegenstand eines besonderen Kultus zu machen, bietet der Zufall uns anscheinend ein äusserst günstiges Studienobjekt.
Als ich das B.G.B. zur Hand nahm, sagte ich mir: Wenn ein hochzivilisiertes Volk wie die Deutschen, wenn eine grosse, moderne Kulturnation im Jahre  1900 den rechtlichen Status der Ehefrau festlegt, d.h. ihr in scharf abgegrenzten Rechten das Äquivalent für die erfüllten Pflichten gibt, so muss das alte Eherecht tief gehende Änderungen erfahren haben. Der Gesetzgeber von 1900 hat doch nicht umhin gekonnt, anzuerkennen, dass die Ehefrau, die der Familie, der Gesellschaft wenn nicht gleichartige so doch gleichwertige Dienste leistet wie der Mann, auch dem Manne gleichberechtigt sein muss.
Er hat die Ehe auf die Coordination der Gatten gründen, hat die politische Rechtlosigkeit der Frau aufheben müssen, die nicht weiterbestehen kann, sobald die Äquivalenz der geleisteten Dienste anerkannt ist. Und ich machte mich an die Arbeit. Sie sollte mir eine Enttäuschung bringen.
(...)
Trotz der unbestreitbaren Gleichwertigkeit ihrer Leistungen ist die Ehefrau im B.G.B von 1900 praktisch und faktisch die Untergeordnete des Mannes geblieben. Und das in kleinen wie in grossen Dingen. Das deutsche B.G.B stempelt die Ehefrau allerdings nicht prinzipiell zu einer »Unmündigen«, wie der Code Napoleon. Die deutsche Ehefrau bleibt eine rechtsfähige Persönlichkeit, die im Prinzip ohne eheherrliche Erlaubnis vor Gericht gehen, sich verteidigen, prozessieren, kaufen, verkaufen, hypothekieren, sich verpflichten kann etc. Aber das eheliche Güterrecht, das dem Gatten die grössten Machtvollkommenheiten gibt, macht diese theoretische Freiheit der Gattin häufig in der Praxis illusorisch. Der Mann hat in der ehelichen Gemeinschaft die Vorherrschaft.
Ich citiere zuerst zwei kleinere Punkte:
Die Ehefrau muss von gesetzeswegen den Familiennamen des Mannes tragen, statt dass die Familiennamen beider Gatten, wie das bei Associ√©s geschieht, in der »sozialen Firma« vereinigt werden. Die Ehefrau muss auch von gesetzeswegen dem Manne an seinen Wohnort folgen. Denn das B.G. hält an der Auffassung fest, dass der Mann der alleinige Erhalter der Familie ist. Wenn nun aber die Frau die Familie erhält, oder wenn beide Gatten die Familie erhalten, was rechtfertigt dann diese Vorherrschaft des Mannes?
Diese Vorherrschaft findet eine viel drückendere Form in dem Paragraphen 1354, dem Gehorsamkeitsparagraphen: in allen gemeinschaftlichen ehelichen Angelegenheiten entscheidet der Mann. Damit ist die Unfehlbarkeit des Ehemannes sanctioniert. - Denn in der Ehe gibt es nur gemeinschaftliche Angelegenheiten. Die Frau ist daher gesetzlich der fortwährenden Einmischung des Mannes ausgesetzt. Der Mann kann ihr verbieten, einem Erwerb, sei er praktischer, künstlerischer oder literarischer Natur, nachzugehen, wenn er findet, dass die Ausübung dieses Erwerbs der Führung des Haushalts schadet. Er kann ihr auch das Recht der für den Haushalt nötigen Einkäufe entziehen, wenn er glaubt, dass diese Einkäufe das richtige Mass überschreiten.Diese eheherrlichen Verbote sind aber an und für sich rechtskräftig, ohne dass der Ehemann sie vorher vor Gericht begründet hat.
Der Frau steht es frei, nachher, wenn ihr die Demütigung zugefügt, ihr der Schlag versetzt worden, vor Gericht »auf Missbrauch der eheherrlichen Gewalt« zu klagen.
Dann wird ihr jedoch die Last des Beweises auferlegt, von der der Mann bei Erlass des Verbots entbunden. Das ist nicht gerecht, und so behandelt man nicht »Seines Gleichen«.
Paragraph 1354 trifft die Frau noch weit empfindlicher als Mutter. - Als Gattin hat sie selbst die törichten und ungerechten Entscheidungen eines Mannes hinzunehmen, über dessen Handlungen sie von rechtswegen keinerlei Kontrolle ausüben darf. Als Mutter ist sie im Gesetz eine ohnmächtige Null ihren Kindern gegenüber. Denn alles, was die Kinder betrifft, ihre Erziehung, Heirat, Berufswahl bildet eine »gemeinschaftliche eheliche Angelegenheit«, und auf diesem Gebiet ist der Mann souverän.
(...)
Das neue deutsche Eherecht beruht auf dem alten Irrtum, dass der Ehemann ein Muster von Tugend und Verstand ist, dass der Ehemann allein Geld verdient, dass die Gattin von ihm »unterhalten« wird, und dass ihre Arbeit der seinen nicht ebenbürtig ist. Wer zahlt, befiehlt, das ist in drei Worten die Basis des deutschen Eherechts von 1900.
Nun habe ich bewiesen, dass die Ehefrau ebenso gut »verdient und zahlt« wie der Ehemann.
Ich darf daher verlangen, dass sie auch ebenso gut »befiehlt« wie er, dass die eheliche Gemeinschaft die Gemeinschaft zweier gleichberechtigter Associs wird und das absolute Regiment in der Familie dem konstitutionell-parlamentarischen Platz macht. Diese Forderung erstreckt sich auf alle Gesetzbücher der Welt. Einige, z. B. das englische, sind dem deutschen in manchen Punkten voraus. Nicht eines jedoch sieht bisher in der Ehe die Association zweier ungleichartiger aber gleichwertiger und gleichberechtigter Faktoren, die, da sie gleichbedeutende Dienste leisten, sich in allen Dingen Gegenseitigkeit schulden, jedoch nicht mehr die brutale Behauptung der vorgeblichen Überlegenheit des einen auf Kosten der Würde und Freiheit des anderen gestatten.
Ich möchte noch eine Bemerkung hinzufügen: Das BGB kennt keinerlei zivilrechtliche Beschränkung der unverheirateten Frau. Diese ist rechtlich dem Manne gleich gestellt. Alle Beschränkungen sind der Gattin und Mutter vorbehalten. Ist das nicht eine seltsame Art »Frauenkultus«? Selbstverständlich vorenthält das deutsche Recht den verheirateten Frauen die politische Freiheit, gibt es sie doch nicht einmal den unverheirateten Frauen. Der Mann allein und allein der Mann ist Wähler, Gesetzgeber, er allein verwaltet die Steuergelder, organisiert Schul- und Heerwesen, Verwaltung, Handel, Industrie etc. Die Frau hingegen, ob sie gleich Steuerzahler, Gerichtszuständiger und Administrierter ist, den Reglements und Gesetzen zu gehorchen, diese Schulen zu besuchen, ihre Kinder in diese Kasernen zu schicken hat, wird nicht um ihre Meinung befragt. Das ist eine wahre Ungeheuerlichkeit. Man hat sie durch den Spruch: Die Frau gehört ins Haus maskieren wollen. Schon gut, aber das Haus ist kein Gefängnis, es ist keine Isolierzelle, es ist ein Teil des Gemeinwesens, der Kommune, des Staats, der Gesellschaft. Wer die Frau im Haus einsperrt, sie auf einen engen Ideenkreis beschränkt, sie vom öffentlichen Leben ausschliesst, der macht sie selbst eng und klein, unfähig starke Tugenden, richtige, gesunde Anschauungen zu vererben. Statt Kraft, Energie, Gemeinsinn, kann sie nur einen kleinlichen Familienegoismus lehren, sie wird über ihre vier Wände, ja über ihre eigene Nase nicht hinaussehen.
Wir aber wollen, dass sie als Tochter, Gattin, Mutter von Bürgern, sich für die Stadt, das Vaterland interessiere, die auch ihre Stadt, ihr Vaterland sind, dass sie als Mensch teil habe an den polltischen Geschäften der Menschheit. Nur wenige Länder haben die häusliche Frauenarbeit so hoch gewertet, dass sie in ihre Entlohnung die politischen Rechte mit einbegriffen. Es sind dieses fünf australische Kolonien, vier der vereinigten Staaten von Nordamerika und die kleine Insel Man, (England) die ihre Frauen politisch völlig emancipiert haben. England, Norwegen, Schweden und Finnland, Russland und Ästerreich haben den Steuerzahlerinnen das kommunale Wahlrecht gegeben.
Aber selbst das liberale England hat sich noch nicht dazu entschliessen können, auch nur einer beschränkten Anzahl von (200 000) gebildeten, intelligenten Steuerzahlerinnen das politische Wahlrecht zu gewähren. Auch die Gegner des Frauenstimmrechts anerkennen, dass diese Frauen eine durchaus kompetende Wählerklasse bilden würden.
Man vorenthält ihnen jedoch ihr Recht, weil sie Frauen sind, d. h. der Mann sieht eine Inferiorität in der Fähigkeit, ihn zu gebären, die die Natur der Frau verlieh. Das ist kein Beweis von Frauenachtung. In manchen Kreisen empört das Missverhältnis zwischen den schweren Pflichten der Frau und den mageren Rechten, die man ihr als Entgelt zugesteht, die Frauen. Sie wollen sich um jeden Preis befreien und haben daher folgende Theorie aufgestellt: Es ist ihre ungerechtfertigte, wirtschaftliche Abhängigkeit, die die Unterordnung der Ehefrau auch auf allen anderen Gebieten nach sich zieht. Wenn die Frau vom Manne pekuniär unabhängig ist, wird ihr Anspruch auf Gleichberechtigung anerkannt werden. Daher soll jede verheiratete Frau einen Beruf ausüben, der ihr gestattet, direkt Geld zu verdienen.
Sie sei zu gleicher Zeit Hausfrau und ausserhäuslicher Berufsarbeiter. Ich verweile einen Augenblick bei dieser neuen Richtung, die besonders in Deutschland zu Tage tritt, denn ich halte sie für irrtümlich und daher bedenklich. Um ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit, ihre Gleichheit vor dem Gesetz, ihre politischen Rechte zu verlangen, braucht die Hausfrau und Mutter sich zu ihrer bisherigen Arbeit weder neue Lasten aufzuladen, noch gleichzeitig zwei Berufe auszuüben.
Das hiesse ihr, im Gegenteil, grosses Unrecht tun und sie auf einen Irrweg locken. Alle jene Rechte kann sie im Namen ihrer bisherigen Leistungen beanspruchen, im Namen ihrer bisherigen Arbeit als Hausfrau und Mutter darf sie die Stimme erheben. Hier liegen ihre Verdienste. Sie sind uralte, und es bedarf keiner neuen. Hat man die Leistungen der Frau bisher unterschätzt, so müssen heute nicht die Dienste, sondern ihre Schätzung muss vergrössert werden. Die Frauenrechtlerinnen, die der Ehefrau zwei Berufe aufladen wollen, schlagen also eine falsche Richtung ein. Sie sollen ruhig die Hausfrau und Mutter am häuslichen Herde lassen, wohl aber dafür sorgen, dass ihre Leistungen dort vom Manne als Gesetzgeber und Gatten höher eingeschätzt werden. Dann werden wir einer natürlichen Entwicklung beiwohnen, deren Phasen durch die allmäligen Siege der Frauen auf wirtschaftlichem, rechtlichem und politischem Gebiet markiert werden.
Bisher ist ausschliesslich von der ökonomischen Wertung der häuslichen Frauenarbeit und deren rechtlichen Folgen die Rede gewesen. Gehen wir zur sozialen Wertung über.
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Im sozialen Leben kann eine Frau von Kopf sich ihren Platz neben dem Manne machen. Es gibt sogar manche, die auf diesem Gebiet fürchterliche Revanche nehmen und all die Autorität, Überlegenheit, Vorherrschaft etc., womit das Recht den Ehemann so reichlich bedenkt, elend zu Schanden machen. Das ist, meiner Ansicht nach, eine traurige Vergeltung, denn niemals wird man aus zweierlei Unbill eine Gerechtigkeit machen. Wenn mich der Anblick eheherrlicher Tyrannis der Frau gegenüber empört, so kann ich mich trotzdem über die Rache der Frau am Manne nicht freuen. Ungerechtigkeiten, Brutalitäten sind stets abscheulich, mögen sie vom Mann, mögen sie von der Frau ausgeübt werden. Sie machen die Ehe zu einem widerlichen Zerrbild, erniedrigen und schänden sie, wer auch ihr Opfer sei.
Gibt es aber eine Menge Frauen, die durch ihre Persönlichkeit, Intelligenz und Kraft all die demütigenden Paragraphen des Gesetzes, in ihrem individuellen Fall, hinfällig machen, so gibt es sicher ebenso viele, die selbst im sozialen Leben, im Haus, in der Familie, der Gesellschaft den Kürzeren ziehen und ihr lebelang die Haushälterin oder erste Dienerin ihres Mannes bleiben. Die anderen gelangen zur fast völligen Gleichberechtigung. Diese verharren in ewiger Unterordnung. Haben sie vielleicht mit einem besonders brutalen Gatten zu tun?
Ist ihre Geistesbildung der seinen gar zu wenig gewachsen? Wie dem auch sei, es gelingt ihnen nicht, sich sozial zu rehabilitieren. Es sind arme, verschüchterte Geschöpfe, furchtsam, ohne Selbstvertrauen, die brutal zu ihren Kochtöpfen und ihrem Kinderwiegen verwiesen, ja wie Dienstboten gescholten werden. Der Dienstbote aber kann wenigstens kündigen; die Ehefrau jedoch muss aushalten, wenn sie sich nicht gleich scheiden lassen will.
Das Dasein solcher Frauen ist ein langes Martyrium und ihre Geschichte durch die Jahrhunderte ein Martyrolog. Helene Böhlan hat in »Halbtier« eine meisterhafte Studie solch das unter der Zuchtrute eines ehelichen Aschenputtels gegeben, eines tyrannischen Meisters alle Würde und Persönlichkeit verliert. So erschütternd die Schilderung auch sei, sie ist nicht übertrieben.
Die ungerechtfertigte Vorherrschaft des Mannes wirft ihren Schatten also auch auf das soziale Gebiet. Nur die stärksten gehen hier als Sieger aus dem Kampf hervor, den sie um ihr Recht: die Gleichberechtigung, kämpfen müssen. Die vorhergehenden Ausführungen beziehen sich ausschliesslich auf die rite verheirateten Hausfrauen und Mütter. Es bleibt noch ein Wort über die wirtschaftliche, rechtliche und soziale Lage der Hausfrauen und Mütter ausser der Ehe zu sagen. Es ist das eine der dunkelsten Kapitel der Frauengeschichte. Auf diesem Gebiete hat das Faustrecht von jeher in seiner rohesten und wildesten Form geherrscht, und die doppelte Moral hier fürchterlich gewüstet. (...)
Das deutsche B. G. z. B. verpflichtet den Mann, der unehelichen Mutter die Entbindungskosten und dem Kinde bis zu seinem 14. Jahr Alimente zu zahlen. - Diese Zahlung richtet sich nach der socialen Stellung der Mutter. Ausserdem bestimmt das deutsche Gesetz jedoch, dass zwischen illegitimem Vater und unehelichem Kinde keinerlei Verwandtschaft besteht (das Kind ist also in keiner Weise erbfähig) und dass es ex officio den Namen der Mutter trägt, die jedoch nicht die elterliche Gewalt über das Kind ausübt.
Selbst die humanere Gesetzgebung trägt, wie man sieht, noch tiefe Spuren von Klassen- und Geschlechtsegoismus. Kein Recht der Welt hat sich bisher dazu verstehen können, in den unehelichen Müttern ganz einfach »Opfer« zu sehen. Keines hat bisher die Situation vom Standpunkt der »geleisteten Arbeit« aus betrachtet, um daraus zu schliessen, dass auch diese »Mütter« Lohn verdienen. Oder vielmehr, diese Anerkennung ist eine sehr ungenügende. Ist aus irgend einem Grunde die pekuniäre Haftung des unehelichen Vaters undurchführbar, so tritt der Staat allerdings mit einer gewissen Entlohnung für die uneheliche Mutter ein. Ich meine damit die Wöchnerinnenunterstützungen, unentgeltlichen Milchverteilungen, Erziehungsgelder, die die öffentliche Armenpflege aller civilisierten Länder in gewissem Masse organisiert hat. Die pekuniäre Intervention des Staats beweist, dass es sich um die Entlohnung einer Leistung handelt, und in diesem Sinne behandelt der Staat die vom Manne verlassenen, illegitimen Mütter, ebenso wie die Witwen der Staatsbeamten: er giebt ihnen eine Art Pension. Nur ist die Unterstützung der »illegitimen Witwen« noch weit kärglicher als die der legitimen, und sie wird als Almosen und in besonders demütigender Form verabreicht. Man macht eben nicht viel Umstände mit Parias. Die Strenge, mit der Staat und Gesellschaft die uneheliche Mutter behandeln, lässt sich vom wirtschaftlichen Standpunkt aus nicht rechtfertigen: diese Frau arbeitet wie jede andere, wenn nicht noch mehr und unter grösserer Mühe. Sie ist also ihres Lohnes wert. Rechtlich und social wäre diese Strenge nur gerechtfertigt, falls Staat und Gesellschaft die gleiche Haltung dem Manne gegenüber beobachtete, der in den meisten Fällen der verantwortliche Urheber dieser leidvollen Tragödien ist.
Dem ist jedoch nicht so. Diese Härte ist ganz einseitig, sie wendet sich allein gegen die Frau und dient, wieder einmal, zum Schutz des Starken gegen den Schwachen. Gegen dieses schmachvolle Vorgehen werden die Frauenrechtler sich immer wieder mit unermüdlicher Zähigkeit erheben müssen.
Ich komme zum Schluss:
Im allgemeinen wird die häusliche Frauenarbeit unter ihrem Werte geschätzt und unter ihrem Werte bezahlt. Es besteht ein Missverhältnis zwischen den Leistungen der Hausfrau und Mutter und der ihr dafür gewährten Gegenleistung, zwischen ihren Pflichten und Rechten. Die Gleichwertigkeit ihrer Arbeit mit der des Mannes ist nicht anerkannt, und die unverdiente, wirtschaftliche Hörigkeit der Frau zieht ihre rechtliche Unterordnung, ihre politische Rechtlosigkeit nach sich. Die »moderne Ehe«, die auf dem Princip der Association, Coordination und Gegenseitigkeit beruht, ist vom Gesetz noch nicht sanctioniert. Die Ehe, wie das Gesetz sie heute hinstellt, beruht auf dem Princip der Überordnung des Mannes, der Unterordnung der Frau. Aus diesem Grundirrtum, (denn Mann und Weib sind gleichberechtigt, wenn auch nicht gleichartig), entstammen alle weiteren Irrtümer. Die Frau soll daher ruhig und unerschütterlich ihr Recht verlangen. Nur dadurch kann die Welt »wieder eingerenkt« werden. Freilich, es genügt nicht: Gerechtigkeit, Gerechtigkeit zu rufen, um sie zu erhalten. Man muss auch die Macht haben, sich Gerechtigkeit zu verschaffen. So gross aber ist die Macht der Idee, dass es nichts giebt, was auf die Dauer dem langsamen, steten Druck von tausend und aber tausend Energien widersteht, die vom »Bewusstsein ihres Rechts« belebt sind. Die Frauen treten heute mit den aufgesammelten Schuldforderungen von 5000 Jahren vor den Mann.
Wird er nicht bezahlen müssen?