402-1-21

»Vertrieben!« hat Brunhild R. ihre Aufzeichnungen von der Flucht aus Ostpreußen 1945 überschrieben. Schon das Ausrufezeichen macht deutlich, daß hier nachdrücklich etwas bekannt gemacht und als zugefügtes Unrecht angeprangert werden soll. Brunhild R. rekonstruierte ihren Bericht, der mit Tagesdatierungen versehen ist, unmittelbar im Anschluß an die Flucht nach Kalendernotizen und Aufzeichnungen ihrer Tochter und erstellte ein Typoskript, das sie für ihre Familie vervielfältigte. Auch andere Verfasserinnen arbeiteten ihre ursprünglich notizhaften Aufzeichnungen in ruhigeren Phasen aus. Eva R.

402-1-20

In seiner Einleitung zu einer Sammlung von Reportagen und Alltagserzählungen aus den ersten Nachkriegsjahren weist Klaus Scherpe daraufhin, daß »Heilung durch Zitate« ein aktuelles Schlagwort der unmittelbaren Nachkriegszeit war, ein Ausdruck der »Rückbesinnung auf die Werte der Vergangenheit als Antwort auf den Sinnentzug nach dem Zusammenbruch« (1982, 9)

402-1-19

Hierzu zählen der Notizkalender von Lilly G., Hannah Hochs Taschenkalender 1945, der Ashelm Wochen-Vormerk Kalender 1945 von einer unbekannten Benutzerin, Brigitte H.s Wochen Merkbuch 1945 und die datierten Eintragungen, die Johanna L. in den Monaten April bis Juni 1945 in ihrem Notizheft festhält.

402-1-18

So führt Renate B. über die Monate April bis Juni 1945 Tagebuch. Irmela D. beschreibt in ihrem Tagebuch aus der Russenzeit die Monate Mai bis September 1945. Ruth G. führt ihr kurzes Tagebuch ausschließlich in der ersten Mai-Hälfte. Ingrid H.s und Charlotte K.s Tagebücher umfassen die Monate April und Mai 1945. Mit der Eroberung Berlins im April 1945 beginnt auch das Tagebuch von Etti S., das im Oktober des Jahres endet. Von April bis Juni 1945 schreibt Anni K. Tagebuch. Am 7. Mai 1945 beginnt Stefanie H. ihren unabgeschickten Fortsetzungsbrief, der im Oktober 1945 endet.

402-1-17

Während nur 7 Tagebücher und Notizen von Frauen in den Jahren vor 1943 beginnen, gibt es 20 Tagebücher aus den Jahren 1943-1945, 4 Kalender mit biographischen Notizen und 7 autobiographische Erinnerungsberichte aus dem Jahr 1945. 5 der 7 Tagebücher, die vor 1943 beginnen, werden bis in das Jahr 1945 weitergeführt.

402-1-16

So schreibt Hans P. beispielsweise 1939 das Polentagebuch und in Fortsetzung 1940 sein Frankreichtagebuch. Karl D., Robert R., Erich M. und Heinz W. beschreiben in ihren Diarien die Monate ihres Einsatzes an der Ostfront 1941-1943.

402-1-15

Viele der jüngeren Verfasserinnen besuchten ein Gymnasium - etwa Lieselotte G., Irmela K. und Sabine K. Irmela D. machte eine Lehrerinnenausbildung, Ingeborg T. war gelernte Fremdsprachensekretärin und Offiziersfrau, Marie von N. Frau eines Pfarrers, Etti S. Sängerin.

402-1-14

Um Tagebücher von Mädchen bzw. von jungen Frauen handelt es sich bei 16 Aufzeichnungen, während 9 Tagebuchautorinnen zum Zeitpunkt des Schreibens älter als 25 Jahre sind. Ich konnte nicht immer das genaue Alter der Autorinnen ermitteln. Zu den Verfasserinnen, die zum Schreibbeginn jünger als 25 Jahre sind, gehören: Renate B., Barbara B., Ursula E., Hermine F., Lilli G., Ruth G., Lieselotte G., Ingrid H., Brigitte H., Charlotte K., Margarete K., Irmela K., Sabine K., Anni K., Lore M., Erika P.

402-1-13

Kritische Äußerungen zum Kriegsverlauf konnten den Straftatbestand der »Wehrmachtszersetzung« erfüllen, der mit hohen Strafen bis zur Todesstrafe geahndet werden konnte. Zusätzlich war es verboten, in Briefen von der Front militärische Einzelheiten wie Orte oder Kampfverläufe zu beschreiben.

402-1-12

Eine Zusammenstellung und Interpretationen der zwischen 1945-50 veröffentlichten autobiographischen Literatur über die Jahre des Nationalsozialismus kann man in der Untersuchung von Helmut Peitsch: Deutschlands Gedächtnis an seine dunkelste Zeit (1990) finden.

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