106-2-8

In einer Familie, in der keine »gesunde Abhängigkeit« herrscht, also eine Situation, in der Bedürfnisse geäußert, akzeptiert und erfüllt werden, wenn sie angemessen sind, ist es möglich, daß eine Tochter beginnt, Beziehungen auf sehr ungesunde Weise zu beurteilen: »Abhängigkeit kommt der Sklaverei gleich; Intimität bedeutet die Aufgabe der eigenen Integrität; und Sexualität bedeutet den Kontrollverlust über ihre Begierden, ihren Hunger.« Zerbe, S. 132

106-2-6

Ich spielte ein armes, hungerndes kleines Mädchen in einer Theateradaptation von Charles Dickens' Weihnachtsgeschichte, das in Lumpen gekleidet und mit weißem Babypuder geschminkt worden war. Heulend und mit ausgestreckten Händen tauchte ich aus dem Mantel des Geistes der gegenwärtigen Weihnacht hervor. Eine mitleiderregende Aufführung

106-2-5

Es gibt Studien, die belegen, daß Streitigkeiten während der Mahlzeiten Eßstörungen verschlimmern können. Auf kultureller Ebene deutet vieles darauf hin, daß der moderne Trend, häufig allein zu essen, zu seltsamen Eßgewohnlieiten führt. Die Person wählt Nahrungsmittel, die sie nicht zu sich nähme, wenn sie zusammen mit ihrer Familie oder mit anderen Personen äße.

106-2-4

Spitz- und Kosenamen sind natürlich immer primär liebevoll gemeint. Trotzdem ist es sicher nicht unwichtig, daß mein Vater sich Mr. Schwein nannte, daß er meine Mutter Dr. Schwein nannte und mich (bevor meine Eßstörung zutage trat) Schweinchen. Keiner von uns war jemals wirklich dick, und ich habe keine Ahnung, wo diese Namen herkamen

106-2-3

Ich glaube, es gibt nur wenige Kurse für zukünftige weibliche vierjährige Boxer, und ich glaube, meine Eltern wollten durch diesen Kurs erreichen, daß ich mich etwas graziöser bewegte (weil ich immer der Elefant im Porzellanladen war

106-2-2

Was immer Erfolg ist. Weitere Überlegungen über die wechselnde Bedeutung von Erfolg finden Sie in Kapitel 5. Meine eigene Unsicherheit in bezug auf Leistung und Erfolg, kombiniert mit meiner Überzeugung, daß Erfolg eine große Bedeutung hätte, machte mich im Alter von sechzehn zum frenetischen Workaholic. Schließlich siegte die Vorstellung, daß eine Eßstörung - oder besser gesagt ein »dünner Körper« - der einzige Erfolg war, den ich jemals ganz erreichen würde

106-2-1

Im gesamten Buch treffe ich die Unterscheidung zwischen Anorexia nervosa/Magersucht einerseits und Bulimia nervosa/Eß-Brech-Sucht andererseits. Beide Krankheitsbilder werden auch als Eßstörung bezeichnet, wobei sich die Symptome deutlich unterscheiden. Bei Anorexia nervosa handelt es sich um freiwillige Selbstaushungerung (die etymologische Bedeutung des Wortes Anorexie ist »Appetitverlust«, was allerdings irreführend ist; deshalb sollte der auf psychosomatische Zusammenhänge hindeutende Begriffszusatz »nervosa« nicht fehlen).

Seiten