Heute ist das Kind schon vor ihr aufgestanden...

...hat vom Bäcker ein duftendes, warmes Weißbrot geholt und mit seinem Frühstücksgeschrei die Mutter aus dem Traumschlaf gerissen. Helga muß sich an den Tisch setzen, auch wenn sie nichts ißt, bloß das Verlangen herunterschluckt nach weichem Brot und Tee. Schon wieder Hunger trotz der Suhur-Mahlzeit vor der Morgendämmerung; wie soll sie das aushalten bis zum Sonnenuntergang? Seit vier Tagen weiß sie, daß sie es schaffen kann.

Wieder in Berlin

Schlagworte

Seit ich am 23. Mai 1933 am Bahnhof Zoo gestanden und auf meinen Zug nach Paris gewartet hatte, war Berlin in meinen Gedanken eine Chimäre. Nie kam es mir in den Sinn, daß dieses Ungeheuer sich eines Tages in einen angenehmen Traum verwandeln könnte. Sagte ich mir nicht stets, daß ich Deutschland für immer den Rücken gekehrt hatte und daß nichts mich veranlassen würde, auch nur für einen kurzen Besuch zurückzukehren? Viele Male hatte ich Ruth, die meine unversöhnliche Einstellung nicht teilte, meinen Entschluß erklärt.

Zwischenspiel

Zwischen großen Anstrengungen braucht man eine Art »Zwischenspiel«, eine Zeit zum Nachdenken und Ausruhen: II faut reculer pour mieux sauter. Erinnerungen nehmen eine Art Vogelperspektive ein, aus der heraus Chronologie keine wesentliche Rolle mehr spielt. Die Vergangenheit so zu betrachten, wie das Gedächtnis sie auf die Leinwand des Geistes projiziert, läßt uns über unser vergangenes Leben erfahren, was uns sonst verschlossen bliebe. Doch kein Kompaß kann solch einer extensiven Zeitspanne Richtung verleihen.

Sexualwissenschaftliche Forschung

Am Beginn meiner sexualwissenschaftlichen Forschungen stand der Aufsatz über weibliche Homosexualität, den ich 1961 schrieb. Er war als Teil meiner autobiografischen Notizen »On the Way to Myself« (»Innenwelt und Außenwelt«) gedacht. Ich faßte damals den Plan, sobald das Manuskript meiner Autobiographie abgeliefert wäre, ein Forschungsprojekt über Lesbianismus durchzuführen, mit dem ich schließlich 1967 begann. Heute frage ich mich, was mich veranlaßt haben mag, mich derart intensiv mit dem Thema zu befassen.

Wechselhafte Zeiten

Obwohl ich auf meine englischen Freunde angewiesen war, glaubte ich nicht an sie. Die Zeit verging. Durch die Veröffentlichung von »The Human Hand« kamen viele neue Klienten zu mir. Doch mit Ausnahme eines schwedischen Arztes überwiesen mir keine etablierten Mediziner ihre Patienten. Die einzige enge Freundin, die ich hatte, war eine Südafrikanerin, und die größte Unterstützung bekam ich von einem Franzosen und einem Iren: Professor Wallon und Dr. Earle.

Ein neuer Anfang in London

Maria Huxley hatte mir ein kleines Zimmer mit Bad im Dalmeny Court, Piccadilly, gesichert. Es kostete vier Guineen die Woche, die ich kaum aufbringen konnte; doch ich hatte Freunde und eine ganze Menge Selbstvertrauen. Das Gefühl, mit dem Glück zu spielen, übte ohnehin einen besonderen Reiz auf mich aus. Da der größte Teil meiner Ersparnisse aufgebraucht war, mußte ich sofort damit beginnen, meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Lady Ottoline Morell war sogleich hilfreich zur Stelle und überredete ihre Freunde, mich zu konsultieren.

In Paris

»Place du Panthéon, s'il vous plâit«, sagte ich zu dem Taxifahrer. »Quelle adresse?« - »L'Hotel«, antwortete ich. Wußte ich eigentlich, daß es ein Hotel du Pantheon gab? Auf jeden Fall war es gut geraten. Das Taxi setzte mich an einem kleinen, nicht sehr sauberen Hotel ab, wo man mir das kleinste Zimmer zuwies. Das machte mir alles nichts aus, denn ich befand mich in dem Stadium zwischen verklingendem Entsetzen und neuer Hoffnung.

Als Ärztin in Berlin

Mein »praktisches Jahr« am Virchow-Krankenhaus brachte in mehrfacher Hinsicht eine Änderung meines Lebens. Ich warf den undurchdringlichen Panzer der Privatperson ab und begann, mich für die gesundheitlichen und sozialen Probleme anderer Menschen einzusetzen. Der Kontakt mit den Patienten machte mir Freude, und auch in meiner Freizeit hatte ich ein offenes Ohr für deren Sorgen und Nöte. Ich begriff, daß viele Krankheiten - wie man es heute nennt - psychosomatisch bedingt sind.

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