Der Ruf der Ewigkeit erhebt Mit Stimmen sich,
unirdisch-festen, derweil ob blühnden Weichselästen
Das Mondlicht sanfte Bläue webt.[202]
Anna Achmatowa (1958)
Mitte Mai 1944 ging Achmatowas Exil in Usbekistan zu Ende. Sie wurde zunächst nach Moskau ausgeflogen, wo es sie aber nur wenige Tage hielt. Am letzten Maitag traf sie in dem bis zur Unkenntlichkeit verwüsteten Leningrad ein. Nur hierhin zurück hatte es sie all die Jahre in der Ferne gezogen. Das Erlebnis des asiatischen Taschkent aber blieb unauslöschlich in ihren Erinnerungen.
Und es fiel ein Wort aus Stein
Auf die Brust, in der noch Leben ist.
Doch was solls: ich war dafür bereit.
Damit werd ich fertig, irgendwie.[113]
Anna Achmatowa (1939)
Dem Sonnenstrahl gilt mein Gebet-
Dem zarten, graden, blassen.
Am Morgen bin ich stumm und steh
Als wär mein Herz, gespalten.
Auf meinem Waschgefäß
Grünt des Kupfers Span?[36]
Anna Achmatowa (1909)
Wofür ich sang, wovon ich träumte,
Es hat mir nur das Herz zerrissen.[15]
Anna Achmatowa (1917)
Sie gehört zu den sprachmächtigsten Lyrikerinnen des 20. Jahrhunderts. In ihrer Heimat wurde die russische Dichterin zunächst gefeiert und gerühmt, später dann von der stalinistischen Kulturpolitik ausgegrenzt und öffentlich geschmäht. Heute jedoch ist ihr künstlerischer Rang unbestritten. Tief verwurzelt in den Traditionen der europäischen Kulturgeschichte, schuf Anna Achmatowa mit ihren Gedichten und Esseys einen Beitrag zur literarischen Moderne, dessen Bedeutung erst in jüngster Zeit, nach dem Ende der Sowjetunion, in vollem Umfang erkannt wird.