April 1910

Doch, der Winter ist vorbei. Else und Kete sind über trockene Wege gewandert, die Arme ineinandergeschlungen, haben den Tiergarten durchstreift, immer wieder ihr Gespräch unterbrochen, um sich gegenseitig aufmerksam zu machen auf eine Stelle, an der das Grün zu ihren Füßen besonders hoffnungsvoll schimmert, auf die ersten Gänseblümchen, auf Weidenkätzchen und Blattknospen. Kreuz und quer sind sie gelaufen, haben sich über den Himmel und die milde Sonne gefreut und über den Frühlingsduft, der sie umgibt wie zarter Schleier.

Februar 1910

Das ist wie Knöpfe abzählen: es geht - es geht nicht - es geht - es geht nicht. Aber Else hat zu viele verschiedene Blusen und Jacken, jeden Tag kommt sie zu einem anderen Ergebnis. Jeden Tag versucht sie es von neuem. Vor einer Woche, als sie zurück nach Hause kam und Herwarth mitten im Zimmer stand, konnte sie ihm nur wortlos in den Arm sinken. Und alles, was sie sich vorgenommen hatte, ihm zu sagen, war weggeschwommen in seinen Küssen. Wieviele Stunden sie so gestanden hatten, ineinander versunken, weiß sie nicht.

Januar 1910

Kaltnasser Schneesturm verstärkt ihr den Druck des Körpers, als Else sich gegen die schwere Haustüre stemmt, peitscht hinter ihr in den Flur.  Sie hastet die Treppe nach oben, atemlos steht sie, während unten die Tür ins Schloß fällt, vor der dunkelbraun gestrichenen Wohnungstür, an der es kein Namensschild gibt.  Mit vor Kälte halberstarrter Hand zieht sie die Glocke, lauscht nach dem schüchternen Klang, dann lehnt sie sich mit geschlossenen Augen gegen den Türrahmen, die Hand, die noch am Glockenzug festhält, reißt diesen heftig nach unten, einmal, noch einmal.  Die Glocke

November 1909

[1] Das Café ist ein Barometer: in dieser Zeit stehen die Zeiger auf Veränderung. Es wogt und rauscht, funkelt, dräut sich zusammen, entlädt sich - je nach Tageszeit. Manchmal vormittags scheint die Stille um die wenigen Gäste fast unglaubwürdig, eine trügerische Ruhe vor dem Sturm. Der setzt in den Nachmittagsstunden ein, nicht immer plötzlich, aber immer unaufhaltsam.

Oktober 1909

Im Zimmer ist es dunkel geworden. Die Umrisse der Möbelstücke sind weichgezeichnet, alle Ränder abgerundet, Kanten aufgelöst als flössen sie in Schleier. Die Decke hat sich herabgesenkt, der große Raum engt sich zur Höhle.
Else reißt die Augen auf. Noch muß sie das, was sie umgibt, nicht ahnen. Der Tisch vor dem Fenster, der Stuhl mit der hohen Lehne, sogar die Bücher und Blätter auf beiden - auch jeder andere würde sie erkennen.

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