I
Die Huch zitiert Friedrich Schlegel: «Was ist häßlicher als überladene Weiblichkeit; was ist so ekelhaft als übertriebene Männlichkeit, die in unseren Sitten, unseren Meinungen, ja auch in unserer besseren Kunst herrschen ... Man muß den Charakter des Geschlechts keineswegs noch mehr übertreiben, sondern vielmehr durch starke Gegengewichte zu mildern suchen... Nur sanfte Männlichkeit, nur selbständige Weiblichkeit ist die echte, wahre und schöne...
Denn das verstandest du: die vollen Früchte. Die legtest du auf Schalen vor dich hin und wogst mit Farben ihre Schwere auf. Und so wie Früchte sahst du auch die Fraun und sahst die Kinder so, von innen her getrieben in die Formen ihres Daseins. Und sahst dich selbst zuletzt wie eine Frucht, nahmst dich heraus aus deinen Kleidern, trugst dich vor den Spiegel, ließest dich hinein bis auf dein Schaun; das blieb groß davor und sagte nicht: das bin ich; nein: dies ist.
Rainer Maria Rilke
Aus «Requiem. Für eine Freundin»
Sie war von ungewöhnlicher Bescheidenheit und Diskretion. Von ihren eigenen poetischen und literarischen Produktionen sprach sie nie. Sie wußte offenbar, wo die wirklichen Lebenswerte zu suchen sind. Wer ihr näherkam, bekam den stärksten Eindruck von der Echtheit und der Harmonie ihres Wesens und konnte zu seinem Erstaunen feststellen, daß ihr alle weiblichen, vielleicht die meisten menschlichen Schwächen fremd oder im Lauf des Lebens von ihr überwunden waren.
Aus dem Nachruf von Sigmund Freud in der «Internationalen Zeitschrift für Psychoanalyse (1937)
Ihre Sprache erschien den Zeitgenossen zunächst fremd den neuen Generationen klang sie schon vertrauter; das Geschlecht von morgen wird ihr aber aus der Tiefe seines Herzens und seiner Vernunft lauschen. Es wird einig sein das zu verurteilen was sie verurteilte das zu fordern was sie forderte: ihre Stimme wird es zu der seinen machen ihrer Seele sich zugehörig fühlen.
Ich hatte dir so viel zu sagen,
ich war zu lang im fremden Land,
und doch warst du in all den Tagen
die, die am besten mich verstand.
Hermann Hesse, «Meiner lieben Mutter»
1. Strophe (1902)